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Der Haftungsbescheid vom 30.09.2024 wird aufgehoben, soweit der Kläger als Haftender für Umsatzsteuer 3. Vierteljahr 2018, Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 3. Vierteljahr 2018 und Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 3. Vierteljahr 2018 in Haftung genommen wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens bis zum 30.09.2024 tragen der Kläger zu 45,4 % und der Beklagte zu 54,6 %, die Kosten ab dem 30.09.2024 tragen der Kläger zu 71 % und der Beklagte zu 29 %.
Die Revision wird zugelassen, soweit der Kläger wegen Körperschaftsteuer 2017 vom 30.08.2021 in Höhe von 3.603,00 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags, wegen Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 vom 30.08.2021 in Höhe von 198,17 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags, wegen Umsatzsteuer 2017 vom 12.11.2020 in Höhe von 50.632,82 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags, wegen Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 vom 11.01.2021 in Höhe von 1.307,00 €, wegen Umsatzsteuer 2017 vom 22.02.2021 in Höhe von 846,83 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags sowie wegen Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 vom 12.07.2021 in Höhe von 84,00 € in Haftung genommen wurde und im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids.
3Der Kläger gründete mit Vertrag vom 00.00.2016 vor dem Notar D. in S. die C. GmbH (GmbH) mit Sitz in V. (Amtsgericht --AG-- F. HRB N01, Bl. 332-340 GA). Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war der Kläger.
4In der Gewerbeanmeldung vom 16.08.2016 meldete der Kläger für die GmbH als Tätigkeit „Gebäudereinigung, Lagerarbeiten aller Art an“ (Bl. 301 der Akte zu N05).
5Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung vom 25.08.2016 erklärte der Kläger als Geschäftsführer der GmbH, dass diese Gebäudereinigungen und Lagerarbeiten aller Art ausführe, für die für Zwecke der Umsatzsteuer ein Wechsel der Steuerschuldnerschaft stattfinde. Als Beginn der Tätigkeit der GmbH gab er den 01.09.2016. Der Umsatz im Jahr 2016 werde voraussichtlich 30.000 € und 2017 voraussichtlich 75.000 € betragen.
6Das zu dieser Zeit zuständige Finanzamt V. genehmigte der GmbH mit Bescheid vom 15.11.2016 die Besteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten. Im Bescheid führte das Finanzamt V. aus, dass die Genehmigung automatisch mit Beginn eines Jahres erlischt, wenn der Gesamtumsatz des Vorjahres den Betrag von 500.000 € übersteigen sollte.
7Mit Beschluss vom 13.02.2017 verlegte die GmbH ihren Sitz nach X. (AG G. HRB N02, Bl. 175 der Akte zu N05).
8Die GmbH war als Nachunternehmerin ausschließlich für die Firma B. GmbH tätig.
9Die B. GmbH war Inhaberin einer Verleihererlaubnis und schloss Rahmenverträge zur Mitarbeiterüberlassung mit verschiedenen Firmen (im Einzelnen vgl. Bl. 236 der Akte zu N05, insoweit übereinstimmende Darstellung in der Verteidigerschrift Bl. 785 der Akte zu N05). Auftraggeber der B. GmbH war unter anderem die W. GmbH aus F..
10Mit Prüfungsanordnung vom 02.11.2017 führte das Hauptzollamt G. eine Geschäftsunterlagenprüfung bei der GmbH durch. Laut dem Prüfungsbericht, auf den vollumfänglich Bezug genommen wird (vgl. Bl. 25-33 der Akte zu N05), wurden zahlreiche Auffälligkeiten festgestellt.
11Mit Vertrag vom 29.11.2017 veräußerte der Kläger seinen Anteil an der GmbH an E. zum Preis von 12.500 € (Bl. 343-347 GA). In § 4 des Vertrags bestätigte der Kläger, den Kaufpreis bereits erhalten zu haben.
12Der Kläger wurde mit Beschluss vom gleichen Tag als Geschäftsführer abberufen und ihm wurde Entlastung erteilt. E. wurde als neuer Geschäftsführer bestellt. E. ist rumänischer Staatsbürger und wurde zum 06.10.2017 seitens des Einwohnermeldeamts G. von Amts wegen abgemeldet.
13Ebenfalls am 29.11.2017 erteilte E. dem Kläger eine notarielle Generalvollmacht für die GmbH (Urkunde des Notars D. Urkundenrolle N03/2017, Bl. 350-352 GA). Diese lautet auszugsweise:
14„Die Vollmacht erstreckt sich auf alle Rechtshandlungen und Geschäfte, die der Betrieb des Handelsgewerbes der Firma C. GmbH mit sich bringt. Sie umfasst die Befugnis zur Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, zur Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, zur Eröffnung und Führung von Konten bei Banken, zur Schließung von Konten, sowie zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozessführung. Er ist berechtigt Gelder in Empfang zu nehmen, zu quittieren und Rechnungen jeglicher Art für die Firma zu bezahlen.
15Der Bevollmächtigte ist darüber hinaus berechtigt, Gesellschafterbeschlüsse jeglicher Art zu fassen sowie alle Tätigkeiten auszuüben, die auch ich als Gesellschafter ausüben kann. Der Bevollmächtigte ist darüber hinaus berechtigt, die Gesellschaft zu veräußern. Er ist ermächtigt, den Käufer frei zu wählen, über den Kaufpreis frei zu entscheiden, also alle Bestimmungen des Kaufvertrages frei nach seinem Ermessen zu treffen.“
16Am 00.00.2018 wurde gegen den Kläger durch das Hauptzollamt G. ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und des Verdachts des illegalen Verleihs von Arbeitnehmern eröffnet.
17Grundlage war neben dem Prüfungsbericht vom 25.01.2018 eine Verdachtsmeldung der Bank V. vom 09.06.2017, wonach der Kläger das Geschäftskonto der GmbH (Nr. N04) ganz überwiegend bar führte (vgl. Bl. 1, 5 der Akte zu N05, vgl. zu den Kontoverfügungen vom 01.03.2017 bis 09.06.2017 auf Bl. 7-12 der Akte zu N05 und vom 09.06.2017 bis 23.11.2017 auf Bl. 115-127 der Akte zu N05).
18Mit Bescheid vom 19.06.2018 ordnete der Beklagte bei der GmbH eine Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum 4. Vierteljahr 2017 bis 4. Vierteljahr 2018 an.
19Mit Beschluss vom 06.06.2018 ordnete das AG G. wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt unter anderem die Durchsuchung der Wohnräume des Klägers an. Der Kläger sei verdächtig, als Geschäftsführer der GmbH Personen beschäftigt zu haben, die nicht richtig zur Sozialversicherung angemeldet wurden.
20Am 09.08.2018 wurde unter anderem das zu dieser Zeit vom Kläger und seiner Familie bewohnte Einfamilienhaus vom Hauptzollamt G. durchsucht. Nach dem Durchsuchungsprotokoll vom gleichen Tag (Bl. 134-136 der Akte zu N05) und dem Durchsuchungsbericht vom 10.08.2018 (Bl. 132-133 der Akte zu N05) wurden für dortige Verfahren relevante Beweismittel insbesondere auf dem Esstisch im Wohn-/Esszimmer und in dem als Büro genutzten Lagerraum gefunden. Hierbei handelte es sich unter anderem um Unterlagen der GmbH im Original in Papierform sowie elektronischer Form und Sozialversicherungsausweise verschiedener unbekannter Personen sowohl in Papierform wie auch elektronischer Form.
21Das Hauptzollamt beschlagnahmte daneben unter anderem zwei an die GmbH adressierte Rechnungen der C. K. aus Juni 2018 mit dem Leistungsgegenstand „Verpackung“ in Höhe von insgesamt rund 110.000 € brutto sowie den auf dem Wohnzimmertisch des Klägers liegenden Firmenstempel der C. K..
22Die C. K. stellte der GmbH von November 2017 bis Juni 2018 Rechnungen über Nachunternehmerleistungen in Höhe von insgesamt 441.667,08 € (Bl. 195, 480 f. der Akte zu N05). Insgesamt wurden ihr nach der Finanzbuchhaltung der GmbH 629.019,11 € in Rechnung gestellt (Bl. 216 der Akte zu N05).
23Firmeninhaber der C. K. war der am 00.00.1989 geborene rumänische Staatsbürger K.. Er meldete am 28.11.2016 den Gewerbebetrieb an und verzog am 15.12.2016 nach Rumänien. Am 16.04.2018 wurde das Gewerbe von Amts wegen abgemeldet, da ein Betriebssitz nicht mehr feststellbar war (Bl. 215, 480 f. der Akte zu N05).
24Ferner beschlagnahmte das Hauptzollamt einen auf dem Wohnzimmertisch des Klägers befindlichen Firmenstempel der Y. GmbH. Letztere stellte der GmbH im Zeitraum November 2016 bis Juni 2018 Rechnungen in Höhe von insgesamt 626.222,86 € (Bl. 194, 479 f. der Akte zu N05). Insgesamt wurden ihr nach der Finanzbuchhaltung der GmbH 868.885,40 € in Rechnung gestellt (Bl. 215, 480 der Akte zu N05).
25Die Y. GmbH war mit Vertrag vom 08.01.2015 vor dem Notar D. gegründet und in das Handelsregister des AG T. eingetragen worden. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war der rumänische Staatsbürger J., geboren am 00.00.1991. Ein inländischer Wohnsitz war für ihn nicht feststellbar, der letzte bekannte Wohnsitz wurde von Amts wegen abgemeldet. Im Handelsregister und Firmenanzeiger erfolgten keine weiteren Eintragungen. Die Y. GmbH wurde am 05.02.2015 beim Gewerbeamt angemeldet und zum 31.01.2016 von Amts wegen abgemeldet, da kein Betriebssitz mehr feststellbar war (Bl. 215 der Akte zu N05).
26Eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt Q. wurden im September 2021 abgesetzt, da die Y. GmbH den Feststellungen des Finanzamtes zufolge an der angegebenen Adresse zu keiner Zeit ihren Sitz oder eine Betriebsstätte hatte.
27Gewöhnliche Korrespondenz (Schreiben, Notizen, E-Mail, Telefonnummern) zwischen der GmbH und den vorgenannten Firmen wurde nicht aufgefunden.
28Eine Durchsuchung in den Geschäftsräumen der GmbH am 09.08.2018 durch das Hauptzollamt G. war erfolglos (Bl. 142-143 der Akte zu N05). Mit Ausnahme von zerrissenen Belegen zu einem ...Bankkonto konnten keine Geschäftsunterlagen der GmbH sichergestellt werden.
29Für E. konnten keine Telefonnummer, E-Mailadresse oder Hinweise auf den tatsächlichen Aufenthaltsort ermittelt werden. Keine Person gab an, Kontakt zu ihm gehabt zu haben (Bl. 499 der Akte zu N05). Er bezog kein Gehalt für seine Tätigkeit. Über seine Eintragung als Geschäftsführer hinaus fanden sich keine Anhaltspunkte für seine Tätigkeit für die GmbH.
30Nach der letzten Summen- und Saldenliste der GmbH zum 30.06.2018 war zu diesem Datum ein Kassenbestand von 57.732,43 € vorhanden. Es wurde weder ein Kassenbuch geführt noch wurden Kassenbelege vorgelegt. Die GmbH tilgte ferner am 18.01.2018 und 29.08.2018 zwei Darlehen für PKW in Höhe von 14.265 € und 28.170 €. Vom 12.07. bis 09.10.2018 wurden vom Konto der GmbH bei der Bank V. 163.830 € in bar abgehoben, deren Verbleib ungeklärt ist. Nach dem 30.06.2018 konnten für die GmbH keine Ausgangsumsätze mehr festgestellt werden. Am 27.09.2018 meldete der Kläger bei der Stadt X. das Gewerbe der GmbH ab.
31Im Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 04.10.2018, auf den Bezug genommen wird, führte der Beklagte verschiedene Änderungen bezüglich der Besteuerung von unentgeltlichen Wertabgaben im Zusammenhang mit der privaten PKW Nutzung, der Veräußerung eines PKWs und der Korrektur des Vorsteuerabzugs mangels ordnungsgemäßer Rechnungen der Firmen Y. GmbH und C. K. auf.
32Am 04.10.2018 erstellte der Zeuge A. in S. unter der Nr. N06/2018 eine Urkunde als amtlich bestellter Vertreter des Notars D. Der Kläger beschloss danach unter Verwendung der notariellen Generalvollmacht die Liquidation der Gesellschaft und bestimmte sich zu deren Liquidator. E. wurde als Geschäftsführer abberufen (Bl. 354-356 GA).
33Der Kläger beantragte für die GmbH am 16.01.2019 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim AG G. (Az. N07). Mit Beschluss vom 28.02.2019 beauftragte das AG G. Rechtsanwalt Z. als vorläufigen Insolvenzverwalter zu prüfen, ob für die GmbH ein Insolvenzeröffnungsgrund vorliegt, welche Aussichten für eine Fortführung der GmbH bestehen und ob deren Vermögen die Kosten eines Verfahrens decken werde.
34Da der Kläger an der Erstellung des Insolvenzgutachtens nicht mitwirkte, ordnete das AG G. nach vorheriger Androhung mit Beschluss vom 08.08.2019 die zwangsweise Vorführung des Klägers zur Auskunftserteilung an.
35Der Insolvenzverwalter Z. wandte sich erstmals mit Schreiben vom 29.10.2019 an die Staatsanwaltschaft G. zur Akteneinsicht (Bl. 274-275 der Akte zu N05)
36Der Kläger könne oder wolle als ehemaliger Geschäftsführer und jetziger Liquidator keine Geschäftsunterlagen der GmbH vorlegen. Der Kläger habe zunächst behauptet, dass sämtliche Unterlagen vom Hauptzollamt G. beschlagnahmt worden seien. Dies sei jedoch unzutreffend, da es sich nach seiner Durchsicht nur um Personalunterlagen handele, die keine Angaben zu den Vermögensgegenständen und ehemaligen betrieblichen Verhältnissen enthielten.
37Nach dem Insolvenzgutachten des Rechtsanwalts/Insolvenzverwalters Z. vom 12.08.2020 (Bl. 63 ff. GA), auf das Bezug genommen wird, war die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzulehnen.
38Der Kläger sei nicht daran interessiert, die Schuldner der GmbH gleichmäßig zu befriedigen. Vielmehr basiere sein „Geschäftsmodell“ auf Rechtsverstößen. Er verweigere ferner die Auskunft zum Verbleib von Mitteln der GmbH.
39Der Insolvenzverwalter konnte mangels Buchhaltungsbelegen nicht feststellen, ob der Jahresabschluss und der Buchhaltungsaufwand die wirtschaftlichen Ergebnisse der GmbH wiedergibt. Dies sei aber, so der Insolvenzverwalter, zu bezweifeln.
40Ausweislich des Gutachtens konnte daher auch nicht festgestellt werden, wann die Zahlungsunfähigkeit bzw. rechtlichen Überschuldung eingetreten sei.
41Vom Eintritt könne bereits im November 2016 ausgegangen werden, da die GmbH eine Vielzahl von Arbeitnehmern beschäftigt habe, ohne die geschuldeten Beiträge zur Sozialversicherung sowie Lohnsteuern in erheblicher Höhe abzuführen. Der Insolvenzverwalter ging davon aus, dass das „Geschäftsmodell“ der GmbH ursächlich für die Insolvenz sei. Das Hauptzollamt G. habe ermittelt, dass bei der GmbH in großem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigt wurden und von ihr Scheinrechnungen (sog. Abdeckrechnungen) zum Zwecke des unberechtigten Vorsteuerabzuges verwendet worden seien.
42Mit Beschluss vom 28.12.2021, auf den Bezug genommen wird, lehnte das AG G. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab (Bl. 383-388 GA).
43Die GmbH meldete unter anderem folgende Umsätze an:
44Voranmeldezeitraum |
Eingangsdatum |
Umsatz |
Vorsteuer |
Zahllast |
Oktober 2017 |
21.11.2018 |
67.898,00 € |
-7.934,66 € |
20.835,28 € |
November 2017 |
21.11.2018 |
120.032,00 € |
- 1,099,66 € |
23.905,74 € |
Dezember 2017 |
21.11.2018 |
98.001,00 € |
9.584,59 € |
9.035,60 € |
1. VJ 2018 |
21.11.2018 |
326.470,00 € |
662,45 € |
61.366,85 € |
2. VJ 2018 |
10.08.2018 |
300.655,00 € |
54.430,18 € |
2.694,27 € |
Ab dem 3. Vierteljahr 2018 gab die GmbH keine Voranmeldungen mehr ab. Der Beklagte schätzte daher unter anderem folgende Umsätze:
46Voranmeldezeitraum |
Bescheiddatum |
Umsatz |
Vorsteuer |
Zahllast |
3. VJ 2018 |
14.01.2019 |
474.100,00 € |
0,00 € |
90.079,00 € |
4. VJ 2018 |
21.05.2019 |
300.000,00 € |
0,00 € |
57.000,00 € |
Gegen die auf Schätzungen beruhenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide „Oktober 2018 bis Dezember 2019“ legte die GmbH am 09.03.2020 Einspruch ein. Die Bescheide seien aufzuheben, da die werbende Tätigkeit der GmbH bereits seit dem 27.09.2018 eingestellt worden sei.
48Da für die GmbH keine Körperschaftsteuererklärung abgegeben wurde, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen im Bescheid für 2017 über Körperschaftsteuer vom 25.04.2019. Ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 339.705 € setzte er die Körperschaftsteuer auf 50.955 € und den Solidaritätszuschlag auf 2.802,52 € fest. Der Bescheid erging gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Bescheid vom gleichen Tag setzte er den Verspätungszuschlag auf 1.000 € fest.
49Ebenfalls mit Bescheid vom gleichen Tag erließ der Beklagte einen Vorauszahlungsbescheid für 2018 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag. Dabei ging er von einem Jahresüberschuss in Höhe von 850.000 € aus und setzte die nachträglichen Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer auf 126.375 € und Solidaritätszuschlag auf 6.950 € fest.
50Da für die GmbH keine Umsatzsteuererklärung abgegeben wurde, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen im Bescheid für 2017 über Umsatzsteuer und Verspätungszuschlag vom 25.04.2019.
51Dabei ging er von Lieferungen und sonstigen Leistungen zu 19 % in Höhe von 1.085.000 € netto und Vorsteuer in Höhe von 140.000 € aus. Die festgesetzte Steuer betrug danach 66.150 €. Der Bescheid erging gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
52Den Verspätungszuschlag setzte der Beklagte auf 1.000 € fest.
53Der Beklagte schätzte mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 4. Vierteljahr 2018 vom 21.05.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Vierteljahr 2019 vom 18.06.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für April 2019 vom 10.09.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Mai 2019 vom 10.09.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Juni 2019 vom 10.09.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Juli 2019 vom 30.09.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für August 2019 vom 11.11.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für September 2019 vom 28.11.2019, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 2019 vom 06.03.2020, mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für November 2019 vom 06.03.2020 und mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Dezember 2019 vom 06.03.2020 die jeweiligen Besteuerungsgrundlagen.
54Da der Kläger keine Angaben zur Liquidation der GmbH machte und keine Liquidationsbilanz vorlegte, setzte der Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2019 ein Zwangsgeld in Höhe von 400 € fest. Der Bescheid wurde ihm am 08.11.2019 persönlich zugestellt.
55Die Aufenthaltsermittlung des Beklagten für E. im Inland verlief negativ. Auf einen nach Rumänien übersandten Fragebogen zu einer möglichen Haftungsinanspruchnahme für die Umsatzsteuer Oktober 2017 bis 1. Vierteljahr 2018 der GmbH vom 18.11.2020 reagierte E. nicht. Auch eine erneute Anfrage unter einer inländischen Adresse vom 23.11.2020 blieb erfolglos. Der am 22.01.2021 an E. nach Rumänien versandte Haftungsbescheid über Umsatzsteuer-Vorauszahlungen von Oktober 2017 bis 1. Vierteljahr 2018 konnte nicht zugestellt werden. Der Beklagte stellte ihn deshalb öffentlich zu.
56Am 13.01.2020 forderte der Beklagte den Kläger als Liquidator der GmbH auf, zu einer möglichen Haftungsinanspruchnahme für die nachfolgenden Steuerschulden der GmbH Stellung zu nehmen. Der Kläger wurde zur Angabe der Mittelverwendung auf den 04.10.2018 aufgefordert. Da der Kläger hierauf nicht reagierte, nahm ihn der Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2020 für die nachfolgenden Steuerschulden in Haftung:
57Steuerart |
Fälligkeit |
Höhe |
Davon 70 % |
Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
49.455,00 € |
34.618,50 € |
Säumniszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
4.450,50 € |
3.115,35 € |
|
Verspätungszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.000,00 € |
700,00 € |
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
2.722,52 € |
1.905,76 € |
Säumniszuschlag zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
243,00 € |
170,10 € |
Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
29.05.2019 |
126.375,00 € |
88.462,50 € |
Säumniszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
11.371,50 € |
7.960,05 € |
|
Solidaritätszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
29.05.2019 |
6.950,00 € |
4.865,00 € |
Säumniszuschlag zu Solidaritätszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
625,50 € |
437,85 € |
|
Umsatzsteuer 2017 |
29.05.2019 |
10.661,96 € |
7.463,37 € |
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
958,50 € |
670,95 € |
|
Verspätungszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.000,00 € |
700,00 € |
Umsatzsteuer Oktober 2017 |
03.12.2018 |
19.853,43 € |
13.897,40 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Oktober 2017 |
2.977,50 € |
2.084,25 € |
|
Umsatzsteuer November 2017 |
03.12.2018 |
22.403,63 € |
15.682,54 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer November 2017 |
3.360,00 € |
2.352,00 € |
|
Umsatzsteuer Dezember 2017 |
03.12.2018 |
8.001,13 € |
5.600,79 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Dezember 2017 |
1.200,00 € |
840,00 € |
|
Umsatzsteuer 1. VJ. 2018 |
03.12.2018 |
55.943,87 € |
39.160,71 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 2018 |
8.385,00 € |
5.869,50 € |
|
Umsatzsteuer 3. VJ 2018 |
24.01.2019 |
90.079,00 € |
63.055,30 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 3. VJ 2018 |
11.706,50 € |
8.194,55 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 3. VJ 2018 |
2.520,00 € |
1.764,00 € |
|
Umsatzsteuer 4. VJ. 2018 |
31.05.2019 |
57.000,00 € |
39.900,00 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 4. VJ. 2018 |
5.130,00 € |
3.591,00 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 4 VJ. 2018 |
2.730,00 € |
1.911,00 € |
|
Umsatzsteuer 1. VJ 2019 |
28.06.2019 |
57.000,00 € |
39.900,00 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 1. VJ. 2019 |
4.560,00 € |
3.192,00 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 1. VJ. 2019 |
28.06.2019 |
2.160,00 € |
1.512,00 € |
Umsatzsteuer April 2019 |
20.09.2019 |
22.610,00 € |
15.827,00 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer April 2019 |
1.130,00 € |
791,00 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer April 2019 |
20.09.2019 |
1.710,00 € |
1.197,00 € |
Umsatzsteuer Mai 2019 |
20.09.2019 |
22.800,00 € |
15.960,00 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Mai 2019 |
1.140,00 € |
798,00 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer Mai 2019 |
20.09.2019 |
1.730,00 € |
1.211,00 € |
Umsatzsteuer Juni 2019 |
20.09.2019 |
23.408,00 € |
16.385,60 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Juni 2019 |
1.170,00 € |
819,00 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer Juni 2019 |
20.09.2019 |
1.770,00 € |
1.239,00 € |
Umsatzsteuer Juli 2019 |
10.10.2019 |
24.700,00 € |
17.290,00 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Juli 2019 |
1.235,00 € |
864,50 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer Juli 2019 |
10.10.2019 |
2.020,00 € |
1.414,00 € |
Umsatzsteuer August 2019 |
21.11.2019 |
24.700,00 € |
17.290,00 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer August 2019 |
741,00 € |
518,70 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer August 2019 |
21.11.2019 |
2.370,00 € |
1.659,00 € |
Umsatzsteuer September 2019 |
09.12.2019 |
31.540,00 € |
22.078,00 € |
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer September 2019 |
945,00 € |
661,50 € |
|
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer September 2019 |
09.12.2019 |
3.150,00 € |
2.205,00 € |
Summe |
739.692,54 € |
517.784,77 € |
Der Kläger sei seit dem 04.10.2018 Liquidator der GmbH und damit deren gesetzlicher Vertreter. In dieser Eigenschaft sei er dazu verpflichtet gewesen, monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das 3. Vierteljahr 2018 bis September 2019 für die GmbH abzugeben. Ferner sei er dazu verpflichtet gewesen, die Körperschafts- und Umsatzsteuerjahressteuererklärungen 2017 abzugeben. Schließlich sei er dazu verpflichtet gewesen, die geschuldeten Steuern zu entrichten. Der Kläger habe diese gesetzlichen Pflichten grob fahrlässig verletzt. Aufgrund des Insolvenzantrags werde davon ausgegangen, dass die festgesetzten Steuern auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der gesetzlichen Pflichten nur zu 70 % hätten festgesetzt werden können.
59Eine Vollstreckung bei der GmbH sei nicht erfolgreich gewesen. Auch E. sei für den Zeitraum Oktober 2017 bis März 2018 in Haftung genommen worden.
60Mit Anweisung vom 19.03.2020 hob der Beklagte die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das 4. Vierteljahr 2018 sowie die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für 2019 nebst zugehörigen Nebenleistungen antragsgemäß auf, da die Tätigkeit der GmbH laut Gewerbeabmeldung zum 27.09.2018 eingestellt wurde und die GmbH sich in Liquidation befand.
61Der Kläger legte gegen den Haftungsbescheid unter dem 03.04.2020 Einspruch ein.
62Da der Einspruch trotz Aufforderung nicht begründet wurde, wies ihn der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 03.07.2020 als unbegründet zurück. Bei der Prüfung des Akteninhalts seien keine Gründe festgestellt worden, den angefochtenen Bescheid zu ändern.
63Der Kläger (vgl. Bl. 42 GA) reichte im November 2020 für die GmbH folgende Steuererklärungen ein:
64In der am 12.10.2020 für die GmbH eingereichten Körperschaftsteuererklärung 2017 wurde ein Verlust in Höhe von 438.926 € erklärt. Der Gesamtumsatz betrug danach 1.055.188 €. Als Betriebsausgaben wurden unter anderem Fremdleistungen in Höhe von 350.959 € und Personalaufwand in Höhe von 1.094.282,25 € geltend gemacht. In der am 12.10.2020 für die GmbH eingereichten Umsatzsteuererklärung 2017 ergab sich eine verbleibende Umsatzsteuer in Höhe von 116.782,82 €. Dabei wurden für die GmbH Lieferungen und Leistungen zu 19 % in Höhe von 1.020.575 € netto und Vorsteuer in Höhe von 77.126,43 € erklärt. Nach Abzug des Vorauszahlungssolls in Höhe von 53.613,83 € ergab sich eine Abschlusszahlung in Höhe von 63.168,99 €. Aus der Abrechnung zur Umsatzsteuer für 2017 sowie dem Bescheid über Zinsen vom 08.12.2020 ergab sich ein Soll der GmbH für Umsatzsteuer in Höhe von 120.161,81 €, für Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von 4.554 € und für den Verspätungszuschlag in Höhe von 1.000 €.
65In der am 22.01.2021 für die GmbH eingereichten Umsatzsteuererklärung 2017 ergab sich eine verbleibende Umsatzsteuer in Höhe von 117.629,65 €. Dabei wurden für die GmbH Lieferungen und Leistungen zu 19 % in Höhe von 1.025.032 € netto und Vorsteuer in Höhe von 77.126,43 € erklärt. Nach Abzug des Vorauszahlungssolls in Höhe von 53.613,83 € ergab sich eine Abschlusszahlung in Höhe von 64.015,82 €. Aus der Abrechnung zur Umsatzsteuer für 2017 sowie dem Bescheid über Zinsen vom 08.06.2021 ergab sich ein Soll der GmbH für Umsatzsteuer in Höhe von 127.819,64 €, für Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von 4.638 € und für den Verspätungszuschlag in Höhe von 1.000 €. In der am 17.11.2020 für die GmbH eingereichten Umsatzsteuererklärung 2018 ergab sich eine verbleibende Umsatzsteuer in Höhe von 111.800,94 €. Dabei wurden für die GmbH Lieferungen und Leistungen zu 19 % in Höhe von 594.563 € netto und Vorsteuer in Höhe von 1.166,03 € erklärt. Nach Abzug des Vorauszahlungssolls in Höhe von 64.061,12 € ergab sich eine Abschlusszahlung in Höhe von 47.739,82 €. Der Anmeldung wurde am 07.07.2021 zugestimmt. Der Verspätungszuschlag wurde auf 150 € festgesetzt.
66In der am 17.11.2020 für die GmbH eingereichten Körperschaftsteuererklärung 2018 wurde ein Verlust in Höhe von 427.082 € erklärt. Der Gesamtumsatz betrug danach 586.517,26 €. Als Betriebsausgaben wurde unter anderem Personalaufwand in Höhe von 977.131 € geltend gemacht.
67Mit Schreiben vom 22.12.2020 forderte der Beklagte unter anderem Kontennachweise über die Personalaufwendungen einschließlich sämtlicher Arbeitsverträge für beide Jahre an. Der Steuerberater der GmbH reichte elf Arbeitsverträge ein, die weiteren Unterlagen befänden sich beim Zoll und seien beschlagnahmt. Unter dem 15.04.2021 teilte die GmbH mit, dass sich aus dem Umsatzsteuersonderprüfungsbericht „der Großteil der erklärten Personalaufwendungen“ ergebe.
68Am 22.01.2021 reichte die GmbH geänderte Körperschaftsteuererklärungen für 2017 und 2018 ein. Der Verlust in 2017 wurde nunmehr mit 439.946 € und in 2018 mit 427.082 € erklärt. Der am 26.07.2021 gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheid für 2017 über Körperschaftsteuer führte zu einer Steuerfestsetzung in Höhe von 54.558 € Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlags in Höhe von 3.000,69 €. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben. Die Zinsen zur Körperschaftsteuer wurden in Höhe von 486 € festgesetzt. In den Erläuterungen führte der Beklagte aus, dass der erklärte Verlust um nicht nachgewiesene Personalaufwendungen in Höhe von 1.075.036,25 € erhöht und um nachgewiesene Fremdleistungen in Höhe von 261.366,22 € gemindert wurde. Der sich danach ergebende Jahresüberschuss betrage 363.724,03 €.
69Der am 26.07.2021 erlassene Bescheid für 2018 über Körperschaftsteuer führte zu einer Steuerfestsetzung in Höhe von 33.475 € für Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von 1.841,12 €. In den Erläuterungen führte der Beklagte aus, dass der erklärte Verlust um nicht nachgewiesene Personalaufwendungen in Höhe von 912.130,81 € erhöht und um nachgewiesene Fremdleistungen in Höhe von 261.879,49 € gemindert wurde. Der sich danach ergebende Jahresüberschuss betrage 233.169,32 €.
70Gegen die Bescheide für 2017 und 2018 über Körperschaftsteuer legte die GmbH unter dem 17.08.2021 Einspruch ein. Es seien Fremdleistungen an die Firmen K. und Y. GmbH in 2017 in Höhe von 725.309,74 € und 2018 in Höhe von 649.397,31 € zu berücksichtigen. Die Rechnungen könnten nur teilweise vorgelegt werden, da diese beschlagnahmt seien.
71Unter dem 04.03.2022 teilte der Beklagte der GmbH mit, dass Zahlungen an die Y. GmbH nicht zu berücksichtigen seien, da unabhängig von den unüblichen Barzahlungen die Y. GmbH unter der angegebenen Adresse niemals tätig gewesen sei. Der tatsächliche Zahlungsempfänger stehe damit nicht fest. Hinsichtlich der C. K. komme eine Berücksichtigung nur in Betracht, wenn die Rechnungen und Quittungen vorgelegt würden. Mit Einspruchsentscheidung vom 15.08.2023 wies der Beklagte die Einsprüche der GmbH als unbegründet zurück. Die GmbH hat hiergegen keine Klage erhoben.
72Die GmbH ist bis zum heutigen Tag nicht im Handelsregister gelöscht.
73Die Staatsanwaltschaft G. hat den Kläger wegen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und der Angabe von unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegenüber der Sozialversicherung am 20.07.2021 beim AG H. angeklagt (Bl. 533 ff. der Akte zu N05).
74In seiner Verteidigungsschrift vom 16.08.2024 (Bl. 783 ff. der Akte zu N05) wies der Kläger darauf hin, dass die Arbeitgebereigenschaft der GmbH bzw. seine eigene nicht feststehe. Auf Grund der formellen Illegalität der Arbeitnehmerüberlassung, liege ein Arbeitsverhältnis zwischen der B. GmbH und den Arbeitnehmern vor. Eine Gesamtschuldnerschaft der GmbH und der B. GmbH komme nur in Betracht, wenn diese die Arbeitnehmer tatsächlich entlohnt hätte. Dies sei aber nicht festgestellt worden. Zudem sei die GmbH im maßgeblichen Zeitraum insolvent gewesen, so dass die Zahlung nicht möglich gewesen sei.
75Das Strafverfahren gegen den Kläger vor dem AG H. wurde in der Hauptverhandlung vom 29.08.2024 gemäß § 153a der Strafprozessordnung gegen eine Geldauflage in Höhe von 3.000 € eingestellt (Bl. 778 ff. der Akte zu N05, Beschluss getackert auf Rückseite von Aktenband V zu der Akte zu N05).
76Der Kläger hat gegen den Haftungsbescheid am 31.07.2020 Klage erhoben.
77Er behauptet, er verfüge auf Grund seiner einfachen Schulbildung und Berufshistorie als einfacher Arbeiter nicht über die Fähigkeiten zum Errichten und Leiten von Scheinfirmen. Die GmbH sei steuerlich beraten gewesen. Er sei auch nicht gegenüber Dritten für die Y. GmbH aufgetreten.
78Ferner meint er, dass auch die Säumniszuschläge im Haftungsbescheid verfassungswidrig seien.
79Für 2019 seien bisher keine Jahressteuererklärungen abgegeben worden, da die Gesellschaft den Geschäftsbetrieb eingestellt habe und die Liquidation beschlossen sei.
80Ursprünglich hat der Kläger nach wiederholten Fristverlängerungsanträgen mit Schriftsätzen vom 07.12.2020 (Bl. 41 f. GA), 11.01.2021 (Bl. 57 ff. GA), 27.05.2021 (Bl. 122 ff. GA) und 25.08.2021 (Bl. 134 ff. GA) sowie 22.08.2022 im Eilverfahren (Bl. 1 ff. zu Aktenzeichen 8 V 1829/22 A (H)) vorgetragen, er habe im Laufe des Klageverfahrens für die GmbH als Liquidator die Jahresabschlüsse für die Veranlagungszeiträume 2017 und 2018 eingereicht, aus denen sich die tatsächlich erwirtschafteten Ergebnisse der GmbH ergäben. Der Beklagte habe noch nicht auf die von ihm Ende November 2020 für die GmbH eingereichten Steuererklärungen mit den Jahresabschlüssen für 2017 und 2018 sowie die Liquidationsbilanz reagiert. Hierdurch würde sich die Haftungssumme erheblich reduzieren. Zunächst sei daher der Ausgang des von ihm als Liquidator für die GmbH geführten Rechtsbehelfsverfahren abzuwarten. Zudem sei über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis heute nicht entschieden.
81Er sei im Oktober 2018 als Liquidator der GmbH eingetragen worden. Während seiner Stellung als Liquidator habe die GmbH jedoch keine geschäftlichen Aktivitäten mehr entfaltet. Der Beklagte habe ungeachtet der Gewerbeabmeldung für die Zeit ab dem 3. Vierteljahr 2018 weitere Umsätze der GmbH geschätzt und gegen diese Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuervorauszahlungen festgesetzt, sodass erhebliche Steuerforderungen gegen die GmbH bestünden, die den tatsächlichen Verhältnissen jedoch nicht entsprächen.
82Aufgrund der von ihm beschlossenen Liquidation der GmbH sei zwischenzeitlich die Veröffentlichung der Liquidationseröffnungsbilanz veranlasst.
83Unter Verweis auf das von ihm vorgelegte Insolvenzeröffnungsgutachten von Rechtsanwalt Z. im Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH vom 12.08.2020 (Bl. 63 ff. GA) meinte er ferner, der Haftungszeitraum beginne erst mit seiner Bestellung zum Liquidator am 08.10.2018 [! sic Bl. 60 und 123 GA, gemeint ist der 04.10.2018]. Ab Oktober 2018 seien aber keine Barmittel mehr vorhanden gewesen. Die Konten der GmbH seien zu diesem Zeitpunkt aufgelöst gewesen, Kreditlinien hätten nicht zur Verfügung gestanden.
84Zum Zeitpunkt seiner Bestellung zum Liquidator der GmbH habe diese Verbindlichkeiten in Höhe von 981.329,21 € gehabt. Davon habe er noch insgesamt 80.096,00 € getilgt. Dies entspreche 8,47 % der Gesamtverbindlichkeiten, so dass selbst bei bestandskräftigen Steuerbescheiden nur eine Haftungsquote in dieser Höhe in Betracht komme. Der Kassenbestand von 57.732,43 € habe vom Insolvenzverwalter nicht in Besitz genommen werden können, da dieser Betrag für betriebliche Zwecke verbraucht worden sei. Da er selbst erst seit Oktober 2018 Liquidator gewesen sei, sei ihm dieses Nichtvorhandensein der Barmittel nicht zuzurechnen, für Mängel der ehemaligen Geschäftsführer der GmbH hafte er als Liquidator nicht. Er wisse weder was ein Liquidator sei, noch welche Rechte und Pflichten mit einer solchen Tätigkeit verbunden seien.
85Die Stempel der Y. GmbH und der C. K. gehörten nicht ihm, sondern seinem Bruder M., der zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bei ihm gewohnt habe. Dieser habe die Stempel von den Firmen erhalten, um Mitarbeiter einzustellen (S. 10 des vom Kläger vorgelegten Insolvenzgutachten, Bl. 72 GA).
86Nachdem der Beklagte im Aussetzungsverfahren mitgeteilt hatte, dass eine antragsgemäße Veranlagung auf Basis der für die GmbH eingereichten Steuererklärungen nicht in Betracht komme und die Haftungsquote wegen der ungeklärten Barabhebungen erheblich höher sei, behauptete der Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 20.10.2022 (Bl. 124 ff. zu Aktenzeichen 8 V 1829/22 A (H)), dass er am Beschluss der Liquidation nicht mitgewirkt habe und sich auch nicht zum Liquidator bestellt habe. Es sei ungeklärt, wer die Erklärungen beim Notar abgegeben habe.
87Unter Verweis auf die Verteidigungsschrift vom 22.12.2020 im Strafverfahren (Bl. 354 ff. der Akte zu N05 = Bl. 145 ff. zu Aktenzeichen 8 V 1829/22 A (H)) behauptet er, er hätte im Rahmen seiner Tätigkeit unter anderem E. kennengelernt. Er, der Kläger, habe auch E. gegenüber erklärt, dass er die Tätigkeit bei der GmbH nicht mehr ausüben wolle. Das Ganze sei ihm zu stressig geworden. Er habe auch nicht die große Anzahl von Mitarbeitern beschaffen können, die von der B. GmbH angefordert worden seien. Er, der Kläger, sei in einer Situation gewesen, in der er im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr gekonnt habe.
88E. habe angegeben, er habe Kontakte zu vielen rumänischen Landsleuten, sodass er sich in der Lage sah, weitere Arbeitnehmer für die Tätigkeit bei der B. GmbH zu finden. Allerdings habe für E. das Problem bestanden, dass er die Abläufe in der Firma nicht gekannt habe, sodass E. ihn gebeten habe, als Angestellter in der GmbH auch nach einer Übertragung an ihn tätig zu sein.
89Fortan sei er auf Angestelltenbasis für die GmbH tätig gewesen. Er habe auch ordentliche Lohnabrechnungen als Angestellter bekommen. Sein Arbeitsverhältnis sei von dem Geschäftsführer E. im August 2018 mit Wirkung zum 30.09.2018 gekündigt worden. Mit der schriftlichen Kündigung durch E. sei seine Tätigkeit bei der GmbH beendet gewesen.
90Zweifel an der in der Urkunde vom 04.10.2018 ausgeführten Feststellung der anwesenden Personen durch den Zeugen A. ergäben sich bereits daraus, dass in der notariellen Urkunde zur Übertragung der Geschäftsanteile für E. eine Adresse angegeben sei, die objektiv gar nicht mehr bestanden habe. Ein weiteres Indiz gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu den Beteiligten der notariellen Urkunde des Zeugen A. als Vertreter des Notars D. ergebe sich daraus, dass D. verstorben sei und keine Einsicht in Handakten genommen werden könne. Da der Zeuge A. ihn nicht aus vorausgegangenen Beurkundungen gekannt habe, ergebe sich aus der Urkunde nicht schlüssig, wie der Zeuge der Amtspflicht zur eindeutigen Identifizierung der Urkundenbeteiligten nachgekommen sei.
91Die Staatsanwaltschaft G. habe in ihrer Anklageschrift ausgeführt, dass als sehr starker belastbarer Beweis für seine alleinige Verantwortung aufgrund der Generalvollmacht als faktischer Geschäftsführer der GmbH, die Tatsache zu bewerten sei, dass er angeblich die C. K. und Y. GmbH geführt habe und sich persönlich um die Meldung zur Sozialversicherung für die Mitarbeiter gekümmert habe. Beweismittel hierfür existierten nicht. Insoweit werde die Beziehung der strafgerichtlichen Akte angeregt.
92Belege dafür, dass er tatsächlich nach seiner Abberufung als Geschäftsführer der GmbH noch Arbeitsverhältnisse mit Mitarbeitern eingegangen sei und diese für die GmbH als Arbeitgeberin unterzeichnet habe sowie im Außenverhältnis gegenüber anderen Dritten tatsächlich als Vertreter der GmbH aufgetreten sei, enthalte auch das Insolvenzgutachten nicht.
93Insbesondere die Tatsache, dass E. bereits vor dem Erwerb der Geschäftsanteile und seiner Bestellung als Geschäftsführer von der Stadt G. von Amts wegen abgemeldet worden sei, sei kein Indiz für seine, des Klägers, faktische Geschäftsführerposition bei der GmbH, da jedenfalls ausweislich der notariellen Urkunde zur Bestellung von E. dessen Anwesenheit im Beurkundungstermin durch den Notar festgestellt und von E. ein Personalausweis vorgelegt worden sei. Ob E. sich abgemeldet habe oder von der Stadt G. – aus welchen Gründen auch immer – bereits als unbekannt verzogen abgemeldet worden sei, ändere nichts daran, dass er, E., die Anteile der GmbH von ihm, dem Kläger, in notarieller Urkunde erworben und beim Notar auch seine Bestellung zum Geschäftsführer vorgenommen habe, mit der entsprechenden Registeranmeldung.
94Zudem führe die Tatsache, dass er in der Vergangenheit zeitlich vor Ausstellung der Vollmacht bereits Geschäftsführer der GmbH gewesen sei und Arbeitsverträge unterzeichnet habe, zu einer erheblichen Minderung des Aussagewerts der Angaben des Insolvenzverwalters, da natürlich Arbeitsverträge unterzeichnet von ihm vorlägen, die aus seiner Zeit als Geschäftsführer der Steuerschuldnerin stammen könnten. Es sei nicht festgestellt und auch vom Insolvenzverwalter in seinem Gutachten nicht näher beschrieben, aus welchem Zeitraum die ihm vorliegenden Arbeitsverträge stammten.
95Der Beklagte erließ am 30.09.2024 einen geänderten Haftungsbescheid für folgende Steuerschulden der GmbH:
96Steuerart |
Fälligkeit |
Höhe |
Davon 70 % |
Davon 50 % |
Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
49.455,00 € |
34.618,50 € |
|
Säumniszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
31.648,00 € |
15.824,00 € |
||
Körperschaftsteuer 2017 |
30.08.2021 |
3.603,00 € |
2.522,10 € |
|
Säumniszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
1.332,00 € |
666,00 € |
||
Verspätungszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.000,00 € |
700,00 € |
|
Zinsen zur Körperschaftsteuer 2017 |
30.09.2021 |
145,00 € |
101,50 € |
|
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
2.722,52 € |
1.905,76 € |
|
Säumniszuschlag zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.728,00 € |
864,00 € |
|
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
30.08.2021 |
198,17 € |
138,72 € |
|
Säumniszuschlag zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
55,50 € |
27,75 € |
||
Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
29.05.2019 |
32.500,00 € |
22.750,00 € |
|
Säumniszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
45.201,00 € |
22.600,50 € |
||
Solidaritätszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
29.05.2019 |
1.781,12 € |
1.246,78 € |
|
Säumniszuschlag zu Solidaritätszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
2.472,00 € |
1.236,00 € |
||
Umsatzsteuer 2017 |
29.05.2019 |
10.587,96 € |
7.411,57 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
6.774,00 € |
3.387,00 € |
||
Umsatzsteuer 2017 |
12.11.2020 |
50.632,82 € |
35.442,97 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
23.782,00 € |
11.891,00 € |
||
Umsatzsteuer 2017 |
22.02.2021 |
846,83 € |
592,78 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
352,00 € |
176,00 € |
||
Verspätungszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.000,00 € |
700,00 € |
|
Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 |
11.01.2021 |
1.307,00 € |
914,90 € |
|
Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 |
00.00.2021 |
84,00 € |
58,80 € |
|
Umsatzsteuer Oktober 2017 |
03.12.2018 |
14.742,77 € |
10.319,94 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Oktober 2017 |
11.268,50 € |
5.634,25 € |
||
Umsatzsteuer November 2017 |
03.12.2018 |
22.403,63 € |
15.682,54 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer November 2017 |
15.680,00 € |
7.840,00 € |
||
Umsatzsteuer Dezember 2017 |
03.12.2018 |
8.001,13 € |
5.600,79 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Dezember 2017 |
5.600,00 € |
2.800,00 € |
||
Umsatzsteuer 1. VJ. 2018 |
03.12.2018 |
13.754,69 € |
9.628,28 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 2018 |
23.534,50 € |
11.767,25 € |
||
Umsatzsteuer 3. VJ 2018 |
24.01.2019 |
90.079,00 € |
63.055,30 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 3. VJ 2018 |
62.134,50 € |
31.067,25 € |
||
Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 3. VJ 2018 |
2.520,00 € |
1.764,00 € |
||
Summe |
538.926,64 € |
215.155,25 € |
115.781,00 € |
|
Haftungssumme |
330.936,25 € |
Der Kläger hafte gemäß § 34 Abs. 1, § 35 AO für die Steuerschulden der GmbH. Er sei seit der Gründung der GmbH am 00.00.2016 bis zum 29.11.2017 deren Geschäftsführer gewesen.
98Zwar sei er am 29.11.2017 als Geschäftsführer abberufen worden. Auf Grund der am gleichen Tag erstellten Generalvollmacht sei er aber faktischer Geschäftsführer der GmbH gewesen. Er habe weiterhin Verträge unterzeichnet und ein Gehalt für die Tätigkeit im Dienst der GmbH erhalten.
99Zum 04.10.2018 habe er dann die Liquidation beschlossen und sich selbst zum Liquidator bestellt.
100Der Kläger habe bezüglich der vorgenannten Haftungsschulden den Tatbestand des § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1, § 35 AO dadurch verwirklicht, dass er als Geschäftsführer und faktischer Geschäftsführer grob fahrlässig nicht dafür gesorgt habe, dass die GmbH fristgerecht die Körperschaftsteuererklärungen 2017 und die Umsatzsteuerjahreserklärungen 2017 einreichte. Aufgrund der Nichtabgabe der Körperschaftsteuererklärung 2017 sei auch die nachträgliche Körperschaftsteuervorauszahlung für 2018 nicht rechtzeitig festgesetzt (und auch nicht gezahlt) worden.
101Zudem habe er als Liquidator nicht dafür gesorgt, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 3. Vierteljahr 2018 und die Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuerjahreserklärung 2018 abgegeben wurden.
102Die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 3. Vierteljahr 2018 der GmbH sei nicht abgegeben worden. Die Jahressteuererklärungen für Umsatz- und Körperschaftsteuer 2017 und 2018 seien erst Ende 2020 und damit nach dem Ablauf der gesetzlichen Abgabefristen eingereicht worden.
103Die Pflichtverletzung sei hier als grob fahrlässig einzustufen, da bei Personen i.S.v. §§ 34, 35 AO, zu denen der Kläger gehöre, gewöhnliche Kenntnisse über die steuerlichen Pflichten der von ihnen vertretenen Steuerpflichtigen bzw. ihrer eigenen Pflichten vorausgesetzt würden.
104Mit der Nichtabgabe und der Nichtzahlung festgesetzter und fälliger Steuern habe der Kläger die gesetzlichen Vorschriften missachtet und daher grob fahrlässig gehandelt.
105Vorliegend beginne der Haftungszeitraum damit am 10.12.2017 (fiktive Fälligkeit der Umsatzsteuer 10/2017 bei korrekter Erklärungsabgabe) und ende am 30.09.2024.
106Zu der Zeit als Geschäftsführer und faktischer Geschäftsführer habe die GmbH, laut vorliegenden Unterlagen über Zahlungen und Barentnahmen, noch über ausreichende Mittel verfügt. Bis heute hätte, aufgrund fehlender Mitwirkung durch den Kläger, nicht nachvollzogen werden können, wofür diese Zahlungen und Barentnahmen verwendet worden seien, sodass hier davon auszugehen sei, dass die GmbH zahlungsfähig war. Etwas Anderes sei durch den Kläger auch nicht vorgetragen worden.
107Der Mittelvorsorge- und Mittelverwaltungspflicht sei der Kläger, aufgrund der nicht nachvollziehbaren Zahlungen und Barentnahmen, eindeutig nicht nachgekommen.
108Nachdem der Kläger seiner Verpflichtung zur Mitwirkung nicht nachgekommen sei und sich die Gesellschaft seit dem 04.10.2018 in Liquidation befände, würde davon ausgegangen, dass der GmbH zumindest in Höhe von 70% ausreichend Mittel zur Tilgung der rückständigen Beträge zur Verfügung gestanden hätten und der Kläger seine Pflichten zur rechtzeitigen Festsetzung und Zahlung der o.a. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ohne Einschränkung grob fahrlässig verletzt habe.
109Laut Insolvenzgutachten seien zudem Scheinrechnungen durch die GmbH ausgestellt worden, um Mitarbeiter schwarz zu bezahlen. Dieses „Geschäftsmodell" lege also nahe, dass die GmbH zu keiner Zeit allen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen wäre, sondern bewusst Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt hätte. Infolgedessen erscheine eine Haftungsquote in Höhe von 70 % als angemessen.
110Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 AO würden auch die steuerlichen Nebenleistungen, wie Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge (§ 3 Abs. 4 AO) gehören.
111Die Haftung gemäß § 69 Satz 1 AO würde ebenso die während der Geschäftsführung des Klägers entstandenen und pflichtwidrig und grob fahrlässig nicht entrichteten Säumniszuschläge umfassen. Sachlich unbillig sei die Erhebung der Säumniszuschläge jedoch dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen z.B. Liquidation nicht in vollem Umfang möglich wäre und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verlöre. Nach dem Zweck der Haftungsnorm sei der Kläger daher nur für die hälftigen Säumniszuschläge in Haftung zu nehmen.
112Es wäre auch ermessensgerecht, den Kläger als Haftungsschuldner für die rückständigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis einstehen zu lassen. Der Beklagte habe die Steuerschuldnerin erfolglos zur Zahlung der rückständigen Ansprüche aufgefordert. Vollstreckungsversuche seien ohne Erfolg geblieben.
113Vom 29.11.2017 bis 04.10.2018 sei E. Geschäftsführer der GmbH gewesen. Die Aufenthaltsermittlungen für ihn seien erfolglos geblieben, sodass der entsprechende Haftungsbescheid bezüglich Umsatzsteuer-Vorauszahlungen von Oktober 2017 bis 1. Vierteljahr 2018 an ihn im Zeitraum öffentlich zugestellt worden sei.
114Der Kläger hat am 24.08.2022 bei Gericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids vom 06.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.07.2020 gestellt, dem das Gericht mit Beschluss vom 30.11.2022 (Aktenzeichen 8 V 1829/22 A (H)) teilweise stattgegeben hat.
115Der Kläger hat ursprünglich beantragt, den Haftungsbescheid vom 06.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.07.2020 aufzuheben.
116Der Kläger beantragt nunmehr,
117den Haftungsbescheid vom 30.09.2024 ersatzlos aufzuheben.
118Der Beklagte beantragt,
119die Klage abzuweisen.
120Für die Haftung des Klägers seien intellektuelle und sprachliche Fähigkeiten irrelevant. Gleiches gelte für die Frage, ob und inwieweit er in die Fänge eines Scheinfirmengebildes geraten sei. Aus den nunmehr abgegebenen Umsatzsteuererklärungen 2017 und 2018 ergäben sich höhere Zahlungen als im ursprünglichen Haftungsbescheid festgesetzt worden seien.
121Zur Körperschaftsteuer 2017 und 2018 fehle es trotz der eingereichten Steuererklärungen an den erforderlichen Mitwirkungen des Klägers. Eine weitergehende Herabsetzung komme nicht in Betracht. Auch eine Begrenzung der Haftungsquote komme grundsätzlich nicht in Betracht. Das vom Kläger eingereichte Insolvenzgutachten zeige deutlich, dass sein „Geschäftsmodell“ bei der GmbH auf seine Bereicherung angelegt sei.
122Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 04.07.2024 den Zeugen A. (vorsorglich) von der Schweigepflicht entbunden (Bl. 395 GA). Zudem hat das LG S. den Zeugen A. mit Schriftsatz vom 17.07.2024 von der notariellen Verschwiegenheitspflicht anstelle eines etwaigen unbekannten Beteiligten hinsichtlich der UR-Nr. N06/2018 des ehemaligen Notars D. in S. vom 04.10.2018 entbunden (Bl. 426 GA).
123Dem Gericht lagen die Akten der GmbH sowie die Akten zum Strafverfahren des Klägers (Aktenzeichen N08) vor.
124Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2024 A. als Zeugen zu der Frage vernommen, ob der Kläger --wie in der dem Gericht vorliegenden Urkunde N06/2018 wiedergegeben-- persönlich den Termin am 04.10.2018 zur Beurkundung wahrgenommen hat. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 24.10.2024 Bezug genommen.
125Entscheidungsgründe
126A. Gegenstand des Klageverfahrens ist der Haftungsbescheid vom 30.09.2024.
127Der Beklagte nahm im Klageverfahren den Haftungsbescheid vom 06.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.07.2020 gemäß § 130 Abs. 1 AO zurück und erließ zugleich einen neuen Haftungsbescheid. Dieser Bescheid ist gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
128Nach § 68 Satz 1 FGO wird, wenn ein angefochtener Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Ergeht jener Verwaltungsakt während eines Klageverfahrens und wird durch ihn dem Begehren des Klägers nicht in vollem Umfang abgeholfen, so wird durch seinen Erlass das Klageverfahren nicht erledigt. Es ist vielmehr fortzusetzen, wobei Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung nunmehr der ändernde oder ersetzende Verwaltungsakt ist.
129Nach der Rechtsprechung ist § 68 Satz 1 FGO auch auf Ermessensverwaltungsakte anwendbar (vgl. BFH-Urteile vom 16.12.2008 I R 29/08, BFHE 224, 195, BStBl II 2009, 539 [Rz 9-18]; und vom 05.05.2010 I R 104/08, Rz 12).
130B. Die Klage ist teilweise begründet. Der Haftungsbescheid vom 30.09.2024 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit der Beklagte ihn für Umsatzsteuer 3. Vierteljahr 2018, Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 3. Vierteljahr 2018 und Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer 3. Vierteljahr 2018 in Haftung genommen hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig.
131I. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 20.09.2016 X R 36/15, Rz 12, m.w.N.). Die Finanzbehörde hat zunächst zu prüfen, ob die Personen, die sie zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllen. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung der Finanzbehörde an, ob und wen sie als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Abs. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.
1321. Die Voraussetzungen der Haftungsvorschrift des § 69 AO liegen vor. Gemäß § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Gemäß § 69 Satz 2 AO umfasst die Haftung auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge (§ 240 AO).
133a) Der Kläger gehörte seit der Gründung der GmbH bis zum heutigen Tag zum Kreis der haftenden Personen. Gesetzliche Vertreter im Sinne des § 34 Abs. 1 AO sind die Geschäftsführer und Liquidatoren einer GmbH (§ 35 Abs. 1 i.V.m. §§ 69, 70 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG--). Dem formellen Geschäftsführer einer GmbH wird gemäß § 35 AO ein Verfügungsberechtigter gleichgestellt (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.1989 I R 121/85, BFH/NV 1990, 7 m.w.N.).
134Der Kläger war vom 00.00.2016 bis 29.11.2017 Geschäftsführer der GmbH. Am 29.11.2017 wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen.
135Auf Grundlage der am gleichen Tag erteilten notariellen Generalvollmacht handelte er in der Folgezeit weiterhin als Verfügungsberechtigter (faktischer Geschäftsführer) der GmbH. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und insbesondere der vorliegenden Akten ist der Senat der sicheren Überzeugung, dass es sich bei E. um einen Strohmann handelt und allein der Kläger für die GmbH tätig wurde.
136Gemäß § 35 AO hat, wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Zu den Erklärungsverpflichteten gehört unter anderem auch der Verfügungsberechtigte i.S. des § 35 AO (BFH-Urteil vom 05.08.2010 V R 13/09, Rz 39, m.w.N.; Bundesgerichtshof --BGH-- Urteil vom 27.06.2023 1 StR 374/22, Rz 7).
137Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO ist danach jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und nach außen hin als Verfügungsberechtigter auftritt. Die Verfügungsmacht kann auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen (siehe zum Ganzen zuletzt BFH-Urteil vom 20.02.2024 VII R 16/21, BFHE nn BStBl II 2024, 624, Rz 16, m.w.N.).
138Dass der Kläger auf Grund der umfassenden Vollmacht rechtlich dazu in der Lage war, sämtliche Handlungen für die GmbH auszuüben ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Senat sieht deshalb von weiteren Ausführungen ab.
139Der Senat ist auch davon überzeugt, dass allein der Kläger auf Basis dieser Vollmacht und niemand sonst für die GmbH in der Zeit zwischen dem 29.11.2017 und 04.10.2018 als Verfügungsberechtigter aufgetreten ist.
140Ein Auftreten des faktischen Geschäftsführers nach außen kann z.B. darin liegen, dass Zahlungen geleistet und entgegengenommen werden (BFH-Urteil vom 21.02.1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491 [Rz 7]), dass Einstellungen vorgenommen und Verträge abgeschlossen werden (Jatzke, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 141. Ergänzungslieferung, August 2018, § 35 AO Rz 11, m.w.N.). Ferner stellt die Erteilung einer Kontovollmacht ein starkes Indiz für die Stellung eines Verfügungsberechtigten dar (Jatzke, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 141. Ergänzungslieferung, August 2018, § 35 AO Rz 11 unter Verweis auf BFH-Beschluss vom 08.12.2010 VII B 102/10, Rz 10, wobei im dortigen Fall der Gebrauch der Kontovollmacht festgestellt wurde).
141Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass das Strafverfahren des Klägers eingestellt wurde. Der Senat hat berücksichtigt, dass nicht allein aufgrund der Zustimmung des Klägers zur Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153a StPO davon ausgegangen werden kann, dass dem Kläger die vorgeworfene Straftat nachgewiesen worden sei (BFH-Beschluss vom 20.12.2000 I B 93/99, BFH/NV 2001, 639 [Rz 9]). Die dort relevante Frage der zivilrechtlichen Wirksamkeit von Arbeitnehmerüberlassungen zwischen der GmbH und der B. GmbH stellt sich hier indes nicht.
142Es ist nach den beigezogenen Akten nichts dafür ersichtlich und vom Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen, dass der zum Geschäftsführer bestellte E. irgendwelche Handlungen für die GmbH ausgeübt hat. Dessen Verfügungsbefugnis über die Konten konnte nicht festgestellt werden. Keiner der Zeugen im zoll- bzw. strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hat ausgesagt, dass er E. im Zusammenhang mit der GmbH überhaupt wahrgenommen hat.
143E. hat --im Gegensatz zum Kläger-- weder Verträge unterzeichnet noch ein Gehalt für seine Tätigkeit im Dienst der GmbH erhalten. Letzteres ergibt sich aus dem vom Kläger eingereichten Insolvenzgutachten (S. 14, Bl. 76 GA). Schließlich wurden zu einer Zeit, als der Kläger nach seinem Vortrag angeblich nur noch einfacher Angestellter gewesen war, zahlreiche Unterlagen der GmbH im Rahmen der Beschlagnahmung bei ihm gefunden. Hingegen konnten am angeblichen Geschäftssitz der GmbH mit Ausnahme von zerrissenen Bankunterlagen keine Unterlagen der GmbH gefunden werden.
144Die Behauptung des Klägers, er sei in ein Geflecht hineingeraten und die Hintermänner seien nicht greifbar, ist ebenfalls unvereinbar mit der Tatsache, dass die Unterlagen offen in den Wohnräumen des Klägers lagen. Es spricht nach Lage der Akten alles dafür, dass allein der Kläger die Geschäfte der GmbH auch nach seiner formellen Abberufung weiterführte und hierfür über die relevanten Unterlagen verfügte.
145Dafür spricht auch, dass er, was er zunächst auch selbst eingeräumt hat (dazu sogleich), veranlasst hat, dass für die GmbH Steuererklärungen eingereicht wurden. Damit steht fest, dass er allein über die notwendigen Unterlagen verfügte.
146Dass die für die GmbH im Besteuerungsverfahren der GmbH eingereichten Arbeitsverträge kaum lesbar sind und nicht erkennbar ist, welche Person die Verträge für die GmbH unterzeichnet hat, basiert zur sicheren Überzeugung des Senats auf der vom Kläger planvoll betriebenen Verschleierung seiner faktischen Beherrschung. Insbesondere belegen nach Auffassung des Senats die beim Kläger gefundenen Unterlagen im Original, dass der Kläger weiterhin alleine die Geschicke der GmbH leitete und über ihr Vermögen verfügte.
147Ebenso ist der Senat davon überzeugt, dass dies auf dem Willen oder zumindest der Gleichgültigkeit von E. beruht, was auch bereits ohne die Generalvollmacht eine Duldungs- oder mindestens Anscheinsvollmacht belegen würde.
148Die Behauptung, dass der Kläger wegen des Unfalls seiner Tochter nur noch als einfacher Angestellter für die GmbH arbeiten wollte, steht bereits im Widerspruch zu der zeitgleich erstellten notariellen Generalvollmacht. Im Übrigen ereignete sich der Unfall bereits 2014 (Bl. 129 zu 8 V 1829/22 A (H)). Die grundsätzlich verständliche Reaktion, seine berufliche Tätigkeit in Folge eines privaten Schicksalsschlags zu reduzieren, steht damit im klaren Widerspruch zur GmbH-Gründung im Jahr 2016.
149Die Behauptung, dass E. Arbeitskräfte aus Rumänien anwerben wollte, ist ebenfalls eine durch nichts belegte Schutzbehauptung. Ausweislich der Strafakten wurden auch in 2017 und 2018 vor allem Flüchtlinge aus Syrien und keine Rumänen beschäftigt, worauf auch die Namen hindeuten (vgl. auch Bl. 495 der Akte zu N05). Es handelt sich jedenfalls nicht um typisch osteuropäische Namen (vgl. Bl. 484-490 der Akte zu N05, vgl. exemplarisch die ersten beiden und letzten drei Namen der Auflistung: P., N., U., L. und [nb] R.).
150Dies deckt sich auch mit den beim Kläger aufgefunden Unterlagen (Bl. 134-135 des Durchsuchungsprotokolls, Nr. 4 und 5).
151Insoweit wird exemplarisch auf den Sonderband IX - Nicht gemeldete Arbeitnehmer – A-BJ. der Akte zu N05 Bezug genommen. Hier wurden im Rahmen der Beschlagnahme beim Kläger aufgefunden:
152Aufenthaltstitel, Gesundheitskarte, Bankkarte, ... und Bestätigung zur Vorlage vom Arbeitgeber der Krankenkasse von QX.
Aufenthaltstitel, Gesundheitskarte von WW.
Sozialversicherungsausweis und Aufenthaltstitel von UE..
Die vorgenannten Personen wurden im Juli und August 2018 im Lager der „W.“ in F. eingesetzt.
157Aus den auf Anregung des Klägers beigezogenen Akten aus dem Strafverfahren ergibt sich durch die kurz zuvor angekündigte Zollprüfung ein offenkundiges Motiv, warum der Kläger nicht mehr als formeller Geschäftsführer auftreten, aber durch die Generalvollmacht weiterhin die Geschicke in der Hand halten wollte.
158Entgegen der Behauptung des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ist dieses Vorgehen auch nicht objektiv sinnlos. Denn auch wenn die Entleiher tatsächlich zur Abführung der Sozialabgabe verpflichtet sind, wozu dem Senat keine abschließenden Feststellungen möglich sind, betrifft das vorliegende Verfahren steuerliche Schulden. Insoweit ist es nachvollziehbar und plausibel, dass der Kläger sich dieser Haftung durch die Scheinkonstruktion entziehen wollte.
159Abgesehen davon hat selbst der Strafverteidiger des Klägers nach eigenem Vortrag erst in 2024 erkannt, dass die GmbH wegen der zivilrechtlichen Unwirksamkeit der Arbeitnehmerüberlassung nicht Schuldnerin der Sozialabgaben sein soll (vgl. Bl. 785 der Akte zu N05 unter Verweis auf eine entsprechende gutachterliche Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung vom 27.08.2019). Auch dies zeigt, dass das Vorgehen des Klägers nach seiner insoweit maßgeblichen ex-ante Sicht keinesfalls sinnlos war.
160Ab dem 04.10.2018 war der Kläger als Liquidator für die GmbH tätig. Es bestehen für den Senat keine Zweifel daran, dass der Kläger unter Verwendung der notariellen Generalvollmacht die Liquidation der GmbH beschlossen und sich selbst zum Liquidator bestellt hat.
161Zwar ist ein Beteiligter nicht gehindert, sein Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Vortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (vgl. insoweit die ständige Rechtsprechung des BGH-Beschluss vom 23.11.2023 V ZR 170/22, Rz 7).
162Der Vortrag des Klägers, er habe sich nicht zum Liquidator bestellt, steht indes in unauflöslichem Widerspruch zum bisherigen Vortrag. Der Kläger hat zunächst nach wiederholter Fristverlängerung mehrfach und ausdrücklich vorgetragen, dass er die Liquidation beschlossen (Bl. 60 GA) und in der Folgezeit noch Verbindlichkeiten getilgt hat (Bl. 61 GA).
163Es spricht daher alles dafür, dass es sich um eine reine Schutzbehauptung handelt, die durch keinerlei objektive Beweismittel belegt werden kann. Es sind auch keine vorherigen Verhaltensweisen oder Aussagen des Klägers erkennbar, die als Indizien hierfür herangezogen werden können.
164Die ausführlichen und detaillierten Ausführungen zur konkreten Vermögenssituation der GmbH und seinen Handlungen als Liquidator sind unvereinbar mit seiner jetzigen Aussage, er wisse nicht, wer die Urkunde vom 04.10.2018 errichtet habe und sei nicht Liquidator gewesen (vgl. insoweit zum Widerspruch zwischen einem detailreichen Geständnis und der im Besteuerungsverfahren behaupteten Unkenntnis BFH-Beschluss vom 02.08.1999 VII B 211/98, BFH/NV 2000, 102 [Rz 6]). Das gilt auch dann, wenn man davon ausgeht, dass die Erklärungen im Wesentlichen auf Aufklärungen des Steuerberaters und des Prozessbevollmächtigten beruhen. Der Senat hat insoweit auch berücksichtigt, dass in der Verteidigungsschrift vom 22.12.2020 an die Staatsanwaltschaft G. bereits vorgetragen wurde, dass der Kläger die notarielle Urkunde vom 04.10.2018 nicht errichtet habe und auch nicht Liquidator sei (S. 7, Bl. 139 zu 8 V 1829/22 A (H)).
165Denn insoweit ist es in keiner Weise nachvollziehbar, warum diese zentrale Behauptung nicht bereits zuvor im Klageverfahren vorgetragen wurde. Dies gilt auch deshalb, weil dem Kläger persönlich durch den Beklagten zuvor ein Zwangsgeld wegen der Nichterfüllung seiner Liquidatorenpflichten auferlegt worden war. Der Bescheid wurde dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde ordnungsgemäß zugestellt. Auch auf den ausdrücklichen Vorhalt der Vertreterin des Beklagten hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich erwidert, dass es dem Kläger freistehe, seine Verteidigung vor der mündlichen Verhandlung zu ändern.
166Es ist auch keinerlei Motiv dafür erkennbar, warum ein Dritter unter dem Namen des Klägers als Liquidator auftreten sollte. Der Senat hat berücksichtigt, dass am 10.09.2018 eine 2. Ausfertigung der Generalvollmacht erstellt wurde (Bl. 357 GA). Aus den vorgenannten Gründen hält er es jedoch für ausgeschlossen, dass ein unbekannter Dritter sich diese Abschrift hätte erstellen lassen, um dann im Namen des Klägers eine Identitätstäuschung vorzunehmen.
167Zur Überzeugung des Senats beruht die Änderung des Sachvortrags allein auf der Tatsache, dass der Beklagte auf die hohen Barabhebungen und fehlende Mitwirkung zur Mittelverwendungsberechnung hingewiesen hat und daher von einer entsprechend hohen Haftungsquote ausging.
168Den Kläger trafen auch deshalb besondere Mitwirkungs- und Nachweispflichten, weil sein Vorbringen im Widerspruch zu eigenem vorangegangenen Tun steht und einen Sachverhaltskomplex betrifft, der --im Verhältnis zum Beklagten gesehen-- ausschließlich seiner Wissens- und Einflusssphäre angehört (vgl. dazu grundsätzlich: BFH-Urteil vom 15.02.1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462, 464 [Rz 32-33]).
169Die bloße Behauptung des Klägers, dass er die Erklärung nicht abgegeben habe, ist demgegenüber nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Notarvertreters zu wecken.
170Der Senat hat bei seiner Entscheidungsbildung beachtet, dass die formalisierten Beweisregeln der ZPO keine Anwendung finden. Um die richterliche Beweiswürdigung im finanzgerichtlichen Verfahren nicht einzuengen, wurde die sinngemäße Anwendung der gesetzlichen Beweisregelungen der §§ 415 ff. ZPO bewusst nicht in § 83 FGO übernommen. Sie können damit auch nicht über § 155 FGO sinngemäß angewendet werden kann (BFH-Urteile vom 07.05.1969 I R 68/67, BFHE 95, 395, BStBl II 1969, 444 [Rz 11], vom 19.07.1995 I R 87, 169/94, BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19 [Rz 9]).
171Der Senat hat indes berücksichtigt, dass ausweislich der Urkunde vom 04.10.2018 der Kläger vom Notarvertreter nach Maßgabe von § 10 Abs. 3 Satz 1 Beurkundungsgesetz (BeurkG) als "von Person bekannt" bezeichnet und damit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben identifiziert wurde. Andernfalls wäre nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BeurkG zu vermerken gewesen, dass sich der Notar keine Gewissheit über die Person verschaffen konnte (vgl. hierzu und zur zivilprozessualen Folgen der Beweiswürdigung BGH-Urteil vom 29.09.2010 XII ZR 41/09, Rz 18, m.w.N.).
172Die Zeugenaussage bietet insgesamt keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass im vorliegenden Fall bzw. beim betroffenen Notariat Beurkundungen entgegen der gesetzlichen Vorschriften mit nicht identifizierten Personen erfolgten.
173Der Zeuge hat insoweit zunächst plausibel geschildert, dass er an den konkreten, zum üblichen Tagesgeschäft eines Notariats gehöhrenden Vorgang keine Erinnerung hat. Aufgrund seiner Beschäftigung als freier Mitarbeiter im Notariat erscheint dem Senat die Erklärung des Zeugen, dass er den Kläger bereits aus früheren Beurkundungen gekannt haben muss, ebenfalls überzeugend. Der Zeuge hat insoweit allgemein ausgesagt, dass er auch bei Urkunden, die er nicht selbst errichtet hat, in der Vorarbeit beschäftigt war bzw. Beurkundungsterminen von D. als Zuhörer beigewohnt hat. Damit im Einklang steht die Tatsache, dass der Kläger mit Vertrag vom 00.00.2016 die GmbH vor dem Notar D. gegründet hat und dem Kläger mit Urkunde des Notars D. am 29.11.2017 eine notarielle Generalvollmacht erteilt worden ist.
174Nicht entscheidend ist schließlich, dass das Notariat nach Aussage des Zeugen im Allgemeinen auf vorherige Anweisung Urkunden vorbereitet hat und die Vorgänge dann beurkundet hat. Dieses Vorgehen basiert auf der (auch vom Zeugen geschilderten) Notwendigkeit, dass entsprechende Beurkundungen vorbereitet werden müssen und entspricht zudem den gerichtsbekannten üblichen Abläufen im Falle notarieller Beurkundungen.
175Es kann auch nicht daran vorbeigesehen werden, dass der Kläger ausweislich der Urkunde vom 29.11.2017 auf ausdrückliches Befragen des Notars erklärt hat, der deutschen Sprache ausreichend mächtig zu sein. Insoweit bestehen für den Senat nach dem Vorhergesagten keine Zweifel daran, dass der Kläger wusste, welchen Inhalt die von ihm am 04.10.2018 errichtete Urkunde hatte. Der Einwand der Prozessbevollmächtigten, der Kläger verfüge nicht über ausreichende Sprachkenntnisse, muss auch insoweit als reine Schutzbehauptung gewertet werden.
176b) Die nachfolgenden, im Haftungsbescheid aufgeführten Steuerrückstände haben mindestens in der vom Beklagten angesetzten Höhe zu einem entsprechenden Haftungsschaden geführt:
177Steuerart |
Fälligkeit |
Höhe |
Davon 70 % |
Davon 50 % |
Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
49.455,00 € |
34.618,50 € |
|
Säumniszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
31.648,00 € |
15.824,00 € |
||
Körperschaftsteuer 2017 |
30.08.2021 |
3.603,00 € |
2.522,10 € |
|
Säumniszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
1.332,00 € |
666,00 € |
||
Verspätungszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.000,00 € |
700,00 € |
|
Zinsen zur Körperschaftsteuer 2017 |
30.09.2021 |
145,00 € |
101,50 € |
|
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
2.722,52 € |
1.905,76 € |
|
Säumniszuschlag zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.728,00 € |
864,00 € |
|
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
30.08.2021 |
198,17 € |
138,72 € |
|
Säumniszuschlag zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
55,50 € |
27,75 € |
||
Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
29.05.2019 |
32.500,00 € |
22.750,00 € |
|
Säumniszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
45.201,00 € |
22.600,50 € |
||
Solidaritätszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
29.05.2019 |
1.781,12 € |
1.246,78 € |
|
Säumniszuschlag zu Solidaritätszuschlag zu Körperschaftsteuer 4. VJ. 2018 |
2.472,00 € |
1.236,00 € |
||
Umsatzsteuer 2017 |
29.05.2019 |
10.587,96 € |
7.411,57 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
6.774,00 € |
3.387,00 € |
||
Umsatzsteuer 2017 |
12.11.2020 |
50.632,82 € |
35.442,97 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
23.782,00 € |
11.891,00 € |
||
Umsatzsteuer 2017 |
22.02.2021 |
846,83 € |
592,78 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
352,00 € |
176,00 € |
||
Verspätungszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
29.05.2019 |
1.000 € |
700,00 € |
|
Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 |
11.01.2021 |
1.307 € |
914,90 € |
|
Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 |
00.00.2021 |
84 € |
58,80 € |
|
Umsatzsteuer Oktober 2017 |
03.12.2018 |
14.742,77 € |
10.319,94 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Oktober 2017 |
11.268,50 € |
5.634,25 € |
||
Umsatzsteuer November 2017 |
03.12.2018 |
22.403,63 € |
15.682,54 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer November 2017 |
15.680,00 € |
7.840,00 € |
||
Umsatzsteuer Dezember 2017 |
03.12.2018 |
8.001,13 € |
5.600,79 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer Dezember 2017 |
5.600,00 € |
2.800,00 € |
||
Umsatzsteuer 1. VJ. 2018 |
03.12.2018 |
13.754,69 € |
9.628,28 € |
|
Säumniszuschlag zur Umsatzsteuer 2018 |
23.534,50 € |
11.767,25 € |
||
Summe |
384.193,14 € |
150.335,95 € |
84.713,75 € |
Nachdem der Beklagte mit bestandskräftiger Entscheidung die Einsprüche der GmbH gegen die Bescheide für 2017 und 2018 über Körperschaftsteuer zurückgewiesen hat, ist der Kläger als Liquidator gemäß § 166 AO mit entsprechenden Einwendungen ausgeschlossen. Danach hat, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter anzufechten, diesen gegen sich gelten zu lassen, wenn die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt wurde.
179Den vor Erlass der Einspruchsentscheidung vorgetragenen Einwendungen ist damit nicht mehr nachzugehen. Insbesondere ist der Einwand, die Steuerfestsetzungen seien noch nicht bestandskräftig, der im Haftungsverfahren ohnehin irrelevant ist (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.1999 VII R 98/98, BFHE 190, 25, BStBl II 2000, 486), überholt.
180Die von der Haftung umfassten Säumniszuschläge für die nicht bezahlten Steuerschulden, sind die, für die der Vertreter als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird.
181Die Haftung für Umsatzsteuer 3. Vierteljahr 2018 in Höhe von ursprünglich insgesamt 154.733,50 € entfällt vollständig, da, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, keine Umsätze für die GmbH nach dem 30.06.2018 festgestellt werden konnten. Angesichts der Tatsache, dass der Beklagte der Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 zugestimmt hat und sich damit der Sachverhaltsdarstellung der GmbH insoweit angeschlossen hat, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab.
182Bezüglich der Haftung für die Umsatzsteuer 2017 und 2018 (mit Ausnahme des 3. Vierteljahres 2018) sind im Übrigen zu Recht keine Einwände gegen die Rechtmäßigkeit Bescheide erhoben worden. Die Umsatzsteuerjahresfestsetzungen beruhen auf den von der GmbH eingereichten Steuererklärungen. Liquidator und damit gesetzlicher Vertreter im Zeitpunkt der Einreichung war der Kläger. Zwar kann ein in Haftung genommener Vertreter des Steuerpflichtigen auf eine Aufhebung/Änderung einer hier unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung hinwirken und trotz Unanfechtbarkeit der (noch wirksamen) Vorbehaltsfestsetzung uneingeschränkt Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Steuerfestsetzung und gegen die Höhe der gegen ihn festgesetzten Haftungsschuld geltend machen (BFH-Urteil vom 22.04.2015 XI R 43/11, BFHE 249, 315, BStBl II 2015, 755 Rz 36). Da der Kläger indes gegen die inhaltliche Richtigkeit keine substantiierten Einwände erhebt, ist die abstrakte Möglichkeit hierzu irrelevant.
183Im Übrigen bleibt der Regelungsgehalt der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide von dem späteren Erlass des Jahressteuerbescheids unberührt, wenn --wie hier-- der Umsatzsteuer-Jahresbescheid keine Feststellungen darüber enthält, dass die Voranmeldungen bzw. Festsetzungen der Umsatzsteuer für bestimmte Monate materiell fehlerhaft waren. Die sich aus § 18 Abs. 4 Satz 1 und 2 UStG ergebende Fälligkeit der Jahressteuer von einem Monat nach Abgabe der Steueranmeldung oder nach abweichender Festsetzung betrifft nur den von der Summe der vorangemeldeten Steuer abweichenden Unterschiedsbetrag (BFH-Urteil vom 12.10.1999 VII R 98/98, BFHE 190, 25, BStBl II 2000, 486 [Rz 25]).
184Der Kläger kann daher auch nach Ergehen des Umsatzsteuer-Jahresbescheids gegenüber dem Steuerschuldner noch durch Haftungsbescheid für rückständige Umsatzsteuer-Vorauszahlungen in Anspruch genommen werden, wenn --wie hier-- die Haftungsvoraussetzungen bezüglich der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen vorlagen.
185Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass § 240 AO hinsichtlich der festgelegten Höhe der Säumniszuschläge verfassungswidrig ist. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ist damit nicht erforderlich.
186Der Senat schließt sich insofern den überzeugenden Ausführungen des VI. Senats des BFH an (BFH-Beschluss vom 28.10.2022 VI B 15/22 (AdV), BFHE 278, 27, BStBl II 2023, 12.) Der erkennende Senat weist --zur Vermeidung von Wiederholungen-- nur ergänzend darauf hin, dass sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 173) die Höhe der Säumniszuschläge nach der für die Frage der Vergleichsgruppenbildung maßgeblichen Einschätzung des Gesetzgebers an der Höhe von Kreditzinsen orientiert. Insofern bestehen keine Zweifel daran, dass ihre Höhe auch in Zeiten der Niedrigzinsphase den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Typisierung genügt.
187Es ist insgesamt keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
188Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Nach Satz 3 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nach Satz 4 nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß.
189Die Verjährung ist, soweit die Haftungsbeträge bereits in dem Haftungsbescheid vom 06.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.07.2020 erfasst waren, gehemmt gewesen.
190Die für Haftungsbescheide geltende Regelungslage ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die Anfechtung eines solchen Bescheids den Ablauf der maßgeblichen Festsetzungsfrist hemmt (§ 171 Abs. 3a AO) und dass diese Hemmung fortwirkt, wenn
191--wie im Streitfall-- ein angefochtener Haftungsbescheid durch einen anderen Haftungsbescheid ersetzt wird (BFH-Urteil vom 05.10.2004 VII R 18/03, BFHE 208, 292, BStBl II 2005, 323). Das Gesetz geht mithin davon aus, dass die Finanzbehörde einen angefochtenen Haftungsbescheid bis zum Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens ohne zeitliche Einschränkung ersetzen kann (BFH-Urteil vom 16.12.2008 I R 29/08, BFHE 224, 195, BStBl II 2009, 539 [Rz 24]).
192Im Übrigen war für nachfolgenden Steuerforderungen bei Erlass des nun streitgegenständlichen Haftungsbescheids am 30.09.2024 wegen der Anlaufhemmung keine Festsetzungsverjährung eingetreten:
193Steuerart |
Fälligkeit |
Höhe |
Davon 70 % |
Davon 50 % |
Körperschaftsteuer 2017 |
30.08.2021 |
3.603,00 € |
2.522,10 € |
|
Säumniszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
1.332,00 € |
666,00 € |
||
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
30.08.2021 |
198,17 € |
138,72 € |
|
Säumniszuschlag zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 |
55,50 € |
27,75 € |
||
Umsatzsteuer 2017 |
12.11.2020 |
50.632,82 € |
35.442,97 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
23.782,00 € |
11.891,00 € |
||
Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 |
11.01.2021 |
1.307,00 € |
914,90 € |
|
Umsatzsteuer 2017 |
22.02.2021 |
846,83 € |
592,78 € |
|
Säumniszuschlag zu Umsatzsteuer 2017 |
352,00 € |
176,00 € |
||
Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 |
00.00.2021 |
84,00 € |
58,80 € |
|
Summe |
82.193,32 € |
39.670,27 € |
12.760,75 € |
Da die Haftung nur auf § 69 AO gestützt wurde und die Steuerfestsetzungen bereits in 2021 geändert wurden, kommt insoweit weder eine verlängerte Festsetzungsfrist noch eine Ablaufhemmung in Betracht.
195Der Senat ist indes der Auffassung, dass die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 AO für den Kläger als Haftungsschuldner Anwendung findet.
196Danach beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
197Die Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuererklärungen 2017 und 2018 wurden erstmals im Jahr 2020 eingereicht. Die Festsetzungsfrist begann damit mit Ablauf des Jahres 2020 und endete mit Ablauf des Jahres 2024.
198Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 13.06.2022 (8 K 45/19 H, Rz 96-99) die Auffassung vertreten, dass in Fällen wie dem Vorliegenden allein die GmbH und nicht der gesetzliche Vertreter zur Abgabe der Steuererklärung bzw. Steueranmeldung verpflichtet ist.
199Die Ablehnung einer Anlaufhemmung entspricht auch der Rechtsprechung des VII. Senat des BFH, der im Urteil vom 22.04.2008 (VII R 21/07, BFHE 220, 319, BStBl II 2008, 735) inzident die Anwendung von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in einem solchen Fall abgelehnt hat. Im dort entschiedenen Fall wurde die Umsatzsteuer 1994 mangels Erklärungsabgabe geschätzt. Die Erklärung wurde erst im Jahr 1997 abgegeben. Der im Jahr 2001 erlassene Haftungsbescheid gegen den Geschäftsführer der GmbH wurde wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung aufgehoben, obgleich unter Anwendung von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a.E. AO die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1997 begonnen und damit die vierjährige reguläre Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2001 geendet hätte.
200Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der BFH gegen das Urteil vom 13.06.2022 (8 K 45/19) unter dem Aktenzeichen VII R 20/23 die Revision bezüglich der Frage zugelassen hat, ob die Anlaufhemmung gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch in solchen Fällen Anwendung findet, in denen originär der Steuerschuldner (und nicht der Haftungsschuldner) gesetzlich zur Abgabe einer Steuererklärung oder -anmeldung verpflichtet ist und der Haftungsschuldner gemäß seiner Stellung als Vertreter im Sinne des § 34 AO dessen steuerliche Pflichten zu erfüllen hat. Ferner betrifft das Revisionsverfahren die Frage, ob die für sogenannte Entrichtungsschuldner entwickelte Rechtsprechung, im Falle der Haftung für Umsatzsteuer, auch für Haftungsschuldner gilt.
201Dies hat der Senat zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zu überprüfen.
202Ausgangspunkt hierfür ist die ständige Rechtsprechung, wonach, wenn der haftungsbegründende Pflichtenverstoß darin begründet ist, dass eine Steueranmeldung (Entrichtungssteuer) nicht abgegeben wurde, die Festsetzungsfrist für eine Haftung eines sogenannten Entrichtungsschuldners mit Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (erstmals BFH-Urteil vom 17.04.1996 I R 82/95, BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608 [Rz 11]; zuletzt BFH-Urteil vom 13.10.2021 I R 18/18, BFHE 274, 556, BStBl II 2022, 376, Rz 36, m.w.N.).
203Im hierzu grundlegenden Urteil vom 09.08.2000 (I R 95/99, BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13) führt der BFH im Leitsatz aus: Der Anlauf der Festsetzungsfrist gegenüber einem Haftungsschuldner wird gehemmt, wenn der Haftungsschuldner von Gesetzes wegen zur Abgabe einer Steueranmeldung oder zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet ist und dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Entscheidend ist danach, dass der Haftungsschuldner den Anlauf der Festsetzungsfrist ohne weiteres hätte bewirken können, indem er die Erklärungspflicht erfüllt hätte. Insoweit beruht die Anlaufhemmung auf seiner eigenen Pflichtverletzung.
204Diese sowie die hierzu in der Folgezeit ergangenen Entscheidungen des BFH waren grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass der Haftungsschuldner auf Grundlage einer speziell ihn betreffenden Regelung zur Abgabe einer Steuererklärung, -anmeldung oder zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet war.
205Darüberhinausgehend hat der VII. Senat des BFH in einem Beschluss ausgeführt, die Anlaufhemmung nach § 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Nr. 1 AO sei auch auf die Haftung des GmbH-Geschäftsführers anzuwenden (BFH-Beschluss vom 22.06.2011 VII S 1/11, Rz 27).
206Dies schloss er aus der ständigen Rechtsprechung, der sich auch der erkennende Senat anschließt, wonach § 34 AO eine eigene Pflicht des gesetzlichen Vertreters zur Abgabe der Steuererklärung für die GmbH begründet (BFH-Urteile vom 27.06.1989 VIII R 73/84, BFHE 158, 103, BStBl II 1989, 955 [Rz 12]; und vom 12.12.1990 I R 92/88, BFHE 163, 299, BStBl II 1991, 384 [Rz 14], zuletzt allgemein zur Rechtsfolge von § 34 AO vom 29.04.2020 XI R 18/19, BFHE 268, 506, BStBl II 2020, 620 Rz 17). Die im BFH-Urteil vom 09.08.2000 (I R 95/99, BFHE 193, 12, BStBl II 2001, 13) aufgestellten Grundsätze zur Anlaufhemmung seien folglich entsprechend anwendbar (BFH-Beschluss vom 22.06.2011 VII S 1/11, Rz 27).
207Von diesen Grundsätzen ist auch der I. Senat des BFH im Urteil vom 15.01.2015 (I R 33/13) ausgegangen. Zwar knüpft er hinsichtlich der Anlaufhemmung in den Gründen an die Rechtsprechungsgrundsätze zum Entrichtungsschuldner an (Rz 22). Der Streitfall betraf indes den Haftungsbescheid gegen den Geschäftsführer einer GmbH. Die GmbH hatte es unterlassen, die mit der Ausschüttung ausgelöste Kapitalertragsteuer anzumelden. Der Geschäftsführer der ausschüttenden GmbH war verantwortlich, deren Pflicht zur Anmeldung zu erfüllen (Rz 17).
208Ausreichend für die Anwendung der Anlaufhemmung ist damit nach den beiden vorgenannten Entscheidungen, dass der Haftungsschuldner gemäß § 34 AO verpflichtet ist, eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten. Für einen Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO kann danach nichts Anderes gelten.
209Im vorliegenden Fall bedarf es keiner Entscheidung, ob etwas Anderes gelten muss, wenn der Haftungsschuldner seine Stellung als gesetzlicher Vertreter verliert, ihm daher in der folgenden Zeit keine Möglichkeit mehr offensteht, auf die Abgabe einer Steuererklärung der Kapitalgesellschaft hinzuwirken (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15.01.2015 I R 33/13, Rz 23-24). Der Kläger war während des gesamten Haftungszeitraums als Geschäftsführer, faktischer Geschäftsführer und Liquidator rechtlich dazu verpflichtet und tatsächlich in der Lage, für die GmbH Steuererklärungen abzugeben.
210c) aa) Der Kläger hat bezüglich der nachfolgenden Haftungsschulden den objektiven Tatbestand des § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1, § 35 AO dadurch verwirklicht, dass er als Geschäftsführer die Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 2017 nicht fristgerecht eingereicht und nicht dafür Sorge getragen hat, dass die entsprechende Umsatzsteuer-Vorauszahlung rechtzeitig entrichtet wurde.
211Er hat ferner als faktischer Geschäftsführer vom 29.11.2017 bis zum 04.10.2018 nicht dafür gesorgt, dass die GmbH fristgerecht die Körperschaftsteuererklärungen 2017 und die Umsatzsteuerjahreserklärungen 2017 und 2018 abgegeben hat. Ferner hat er nicht dafür Sorge getragen, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldung von November 2017 bis 1. Vierteljahr 2018 rechtzeitig abgegeben und die entsprechenden Vorauszahlungen rechtzeitig entrichtet wurden. Durch die nicht rechtzeitige Abgabe der Körperschaftsteuererklärung 2017 wurden auch die nachträglichen Vorauszahlungen für 2018 nicht rechtzeitig festgesetzt und nicht gezahlt.
212Schließlich hat er als Liquidator nicht dafür Sorge getragen, dass die noch nicht eingereichten Steueranmeldungen und –erklärungen sowie die Körperschaftsteuerjahreserklärung 2018 beim Beklagte eingereicht und die fälligen Steueransprüche getilgt wurden.
213Ferner hat der Kläger als Geschäftsführer, späterer faktischer Geschäftsführer und schließlich Liquidator gegen seine Mittelvorsorgepflicht verstoßen und nicht dafür Sorge getragen, dass die später fälligen, hier streitgegenständlichen Haftungsschulden entrichtet wurden.
214Als Geschäftsführer, späterer faktischer Geschäftsführer und schließlich Liquidator der GmbH hatte der Kläger gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1, § 35 AO dafür zu sorgen, dass für die GmbH ordnungsgemäße Steuererklärungen innerhalb der gesetzlichen Frist nach §§ 149 AO i.V.m. § 18 Abs. 1 und 3 Umsatzsteuergesetz (UStG), § 31 Abs. 1 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz beim Beklagte eingereicht werden und die sich daraus ergebenden Steuern gezahlt werden. Die Frist für die Jahreserklärungen endete gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 AO am 01.07. des Folgejahres. Die Annahme einer Verlängerung gemäß § 149 Abs. 3 Satz 1 AO scheidet aus, da nicht festgestellt werden konnte, dass mit der Erstellung der konkreten Erklärungen bzw. Anmeldungen vor Fristablauf Personen, Gesellschaften, Verbände, Vereinigungen, Behörden oder Körperschaften im Sinne der §§ 3 und 4 des Steuerberatungsgesetzes beauftragt waren. Selbst wenn man eine Fristverlängerung annehmen würde, hätte der Kläger jedenfalls bei dem späteren Zeitpunkt seine Pflicht zur Abgabe verletzt.
215Die Frist zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 endete bereits am 31.07.2018. Hat der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit nur in einem Teil des Kalenderjahres ausgeübt, so ist die Steueranmeldung gemäß § 16 Abs. 3, § 18 Abs. 3 Satz 2 UStG binnen eines Monats nach Ablauf dieses kürzeren Besteuerungszeitraums zu übermitteln.
216Bei der Amtsübernahme muss sich der gesetzliche Vertreter bzw. der Verfügungsberichtigte vergewissern, dass unter der Amtsführung seines Vorgängers keine Steuerrückstände aufgelaufen sind. Erkennt er, dass sein Vorgänger die Abgabe von Steuererklärungen oder die Entrichtung geschuldeter Steuer unterlassen hat, hat er das Versäumte unverzüglich nachzuholen (Jatzke in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 143. Ergänzungslieferung, Dezember 2018, § 69 AO Rz 25.1 zum GmbH-Geschäftsführer). Das gilt erst Recht dann, wenn es sich wie hier um dieselbe Person handelt, welche lediglich in unterschiedlichen Rollen für eine GmbH tätig wird.
217Die Frist zur Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Oktober bis Dezember 2017 endete am 10. des Folgemonats bzw. für das 1. und 2 Vierteljahr 2018 im folgenden Vierteljahr. Die Jahressteuererklärungen für Umsatz- und Körperschaftsteuer 2017 und 2018 wurden erstmals Ende 2020 und damit nach dem Ablauf der gesetzlichen Abgabefristen eingereicht.
218Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sich ein gesetzlicher Vertreter daneben bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen. Denn von ihm ist zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält. Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig (zuletzt BFH-Urteil vom 29.08.2023 VII R 47/20, BFHE 281, 288, Rz 29, m.w.N.). Ein gesetzlicher Vertreter ist insbesondere verpflichtet, die Mittel so zu verwalten, dass er zur pünktlichen Tilgung auch der erst künftig fällig werdenden Steuerschulden in der Lage ist.
219bb) Der Kläger hat diese Pflichten auch mindestens grob fahrlässig verletzt.
220Grob fahrlässig im Sinne des § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Handelnde gesetzliche Vorschriften nicht beachtet, deren Beachtung von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden muss (vgl. BFH-Beschluss vom 07.03.1995 VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941, m.w.N.). Die Frage, welche Anforderungen an eine haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit eines Geschäftsführers im Sinne des § 69 AO zu stellen sind, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Besonderheiten des einzelnen Falles (BFH-Beschluss vom 05.03.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325 m.w.N.). Die Nichtzahlung festgesetzter, fälliger Steuern führt zu einem Steuerschaden in dieser Höhe und indiziert das Verschulden des Verantwortlichen i.S. von § 69 Satz 1 AO (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteil vom 17.09.2019 VII R 5/18, BFHE 266, 104, BFH/NV 2020, 287, Rz 14; BFH-Beschluss vom 18.09.2018 XI R 54/17, BFH/NV 2019, 100, Rz 31, jeweils m.w.N.).
221Soweit der Kläger behauptet, dass er nur eine geringe formale Bildung und einfache Berufshistorie habe, vermag ihn dies nicht zu entlasten. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass ein Geschäftsführer bei mangelnder Sachkunde verpflichtet ist, fremde Hilfe durch einen Angehörigen eines rechts- oder steuerberatenden Berufes in Anspruch zu nehmen (BFH-Beschluss vom 04.05.2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363 [Rz 11 m.w.N.]).
222Die Behauptung des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass die GmbH steuerlich beraten gewesen sei, ist zum einen nicht belegt und wäre zum anderen nicht ausreichend. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt auf die offenkundige Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten reagiert.
223Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass am 25.10.2016 eine Vollmacht der GmbH für DO. (ZC. GmbH) und ab dem 03.08.2017 für VC. eingereicht wurde. Eine konkrete Beauftragung für die hier streitgegenständlichen Besteuerungszeiträume konnte jedoch nicht festgestellt werden.
224Im Übrigen hat es die Rechtsprechung nicht bereits als einen Entschuldigungsgrund für verspätete, unterlassene oder fehlerhafte Steuererklärungen oder Steuerzahlungen ausreichen lassen, dass sich die gesetzlichen Vertreter zur Erfüllung der ihnen obliegenden steuerlichen Pflichten der Hilfe von qualifizierten Dritten bedient haben. Sie hat vielmehr verlangt, dass der Geschäftsführer diese auch überwacht. Es ist insbesondere gefordert worden, der Geschäftsführer müsse sich über den Geschäftsgang so eingehend unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen könne (BFH-Urteil vom 27.11.1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284 [Rz 25 m.w.N.], Jatzke in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 143. Ergänzungslieferung, Dezember 2018, § 69 AO 1977 Rz 33 m.w.N.). Entsprechendes ist hier weder vorgetragen worden noch sonst aus den Akten ersichtlich.
225Soweit der Kläger pauschal vorträgt, er sei auf Grund fehlender formaler Bildung nicht zur Gründung von (Schein)Firmen und Beschäftigung von Mitarbeitern in der Lage, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es ist allgemein bekannt, dass formale Bildung kein Indikator für Intelligenz und unternehmerisches Geschick ist. Erst recht kann aus ihrem Fehlen nicht geschlossen werden, dass der Kläger hierzu nicht in der Lage wäre. Vor allem aber belegen die vom Kläger selbst eingereichten Umsatzsteuererklärungen für die GmbH, dass er mit dieser Ausgangsleistungen von über einer Millionen Euro im Jahr 2017 erbrachte und damit über hinreichende Fähigkeiten im Wirtschaftsverkehr verfügt. Es kann auch nicht darüber hinweggesehen werden, dass die Angaben im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung der GmbH Umsätze im mittleren fünfstelligen Betrag angibt, für die es zu einem Wechsel der Steuerschuldnerschaft komme. Denn tatsächlich wurden keine solchen Umsätze ausgeführt, sondern vielmehr unstreitig steuerpflichtige Umsätze von mehr als einer Millionen Euro erbracht.
226Schließlich ist es aus Sicht des Senats widersprüchlich, wenn in der Verteidigungsschrift an die Staatsanwaltschaft G. vom 22.12.2020 gleichzeitig auf die fehlenden „sprachlichen Fähigkeiten“ des Klägers verwiesen wird (S. 10, Bl. 142 GA zu Aktenzeichen 8 V 1829/22) und im selben Schriftsatz ausgeführt wird, dass die Besprechung regelmäßig per Telefon erfolgte (S. 2, Bl. 134 GA zu Aktenzeichen 8 V 1829/22). Denn die zu besprechende Materie bleibt unabhängig davon komplex, ob sie tatsächlich ausgeführt oder nur telefonisch besprochen wird.
227Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass durch die zu niedrige Erklärung der erwarteten Umsätze, der Sitzverlegung und der Fassung des Liquidationsbeschlusses am Tag der Erstellung des Umsatzsteuersonderprüfungsberichtes zu keiner Zeit die Absicht bestand, die fälligen Steuerschulden zu entrichten. Hierfür spricht nicht nur die nachhaltige Verletzung steuerlicher Erklärungs- und Zahlungspflichten, sondern auch die Tatsache, dass die GmbH zwar formal an E. übertragen wurde, der Kläger aber rechtlich und faktisch auf Grundlage der notariellen Vollmacht weiterhin die GmbH wie ein Geschäftsführer geleitet hat.
228Auf Grundlage des gesamten Akteninhalts ist davon auszugehen, dass die GmbH während der Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer, faktischer Geschäftsführer sowie auch noch zum Zeitpunkt der Übernahme der Liquidatorenstellung des Klägers am 04.10.2018 über ausreichend (Bar- oder Forderungs-) Vermögen verfügte, um die Steuerschulden zu tilgen. Der Kläger hat damit entweder gegen seine Zahlungspflicht oder seine Mittelvorsorgepflicht verstoßen.
229Mangels jeglicher Mitwirkung des Klägers und vor dem Hintergrund fehlender Unterlagen kann zwar nicht festgestellt werden, ob und in welcher Höhe das Geld im Zeitpunkt der Bestellung des Klägers als Liquidator am 04.10.2018 bei der GmbH noch vorhanden war. Entweder war das Geld noch in voller Höhe in der ohne Kassenbuch geführten Barkasse der GmbH. In diesem Fall wäre die GmbH zahlungsfähig gewesen. Selbst wenn der Kläger entgegen der sicheren Überzeugung des Senats nicht Verfügungsberechtigter der GmbH gewesen wäre, würde sich seine Haftung daher auch allein aus seiner Liquidatorenstellung ergeben.
230Sofern das Geld bereits vom Kläger für private Zwecke entnommen gewesen wäre, hätte der Kläger als Liquidator entsprechende Rückforderungsansprüche der GmbH gegen sich geltend machen müssen. Dass diese Ansprüche nicht durchsetzbar wären, ist durch nichts belegt. Zwar hat der Insolvenzgutachter allein aufgrund der Angaben des Klägers im Insolvenzgutachten vom 03.06.2020 angenommen, dass der Kläger nicht zahlungsfähig sei (S. 25, Bl. 87 GA). Er hat hierbei aber bloß ohne weitere Nachforschungen unterstellt, dass der Verbleib der Gelder nicht aufklärbar sei. Erst Recht lassen sich hieraus keine Schlüsse bezogen auf die Vermögenslage am 04.10.2018 ziehen. Dies stellt auch das Insolvenzgutachten wie bereits ausgeführt ausdrücklich fest. Die konkrete Vermögenslage der GmbH ist für den Senat nicht aufklärbar, der Kläger hat hieran wie bereits im Insolvenzverfahren der GmbH nachhaltig nicht mitgewirkt.
231Der Senat hält es --auch wegen der gesamten Höhe der ungeklärten Zahlungen der GmbH und der damit verbundenen Mittelabflüsse-- für ausgeschlossen, dass der Kläger am 04.10.2020 nicht mindestens zur Rückzahlung der offenen Verbindlichkeiten der GmbH in der Lage gewesen wäre.
232Zwar ist dabei im Ausgangspunkt noch zu berücksichtigen, dass nach dem vorgelegten Insolvenzgutachten vom 12.08.2020 keine Aktiva zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung vorlagen (S. 20, Bl. 82 GA).
233Entgegen der Behauptung des Klägers ergibt sich daraus aber ausdrücklich nicht, dass die GmbH zum Zeitpunkt der Übernahme seines Amtes als Liquidator am 04.10.2018 nicht mehr über Vermögen verfügte. Der Insolvenzgutachter konnte eine solche Feststellung ausdrücklich nicht treffen, da für den Zeitraum nach Juni 2018 keine Buchhaltungsauswertungen vorlagen (S. 18, Bl. 80 GA). Der Verbleib der Buchhaltungsbelege ist unbekannt (S. 20, Bl. 82 GA) und auch für den Senat nicht aufklärbar.
234Abweichend vom Insolvenzgutachten, dass die Verbindlichkeiten aus Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2017 bis 2019 mit 739.692,54 € beziffert, ist nach dem oben Gesagten nur von entsprechenden Verbindlichkeiten in Höhe von 223.282,45 € auszugehen (vgl. zur gesamten Aufstellung des Insolvenzgutachtens Anlage 1, Bl. 92-93 GA).
235Die Angaben zu den eingereichten Bilanzen sind für den Senat weiterhin nicht nachvollziehbar und widersprüchlich. Noch zutreffend ist, dass am 02.12.2020 eine auf den 04.10.2018 datierte Liquidationseröffnungsbilanz beim Bundesanzeiger eingereicht wurde (so Schreiben des Klägers vom 11.01.2021, Seite 3 = Bl. 59 GA). Der gleichzeitig eingereichte Jahresabschluss umfasst den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 03.10.2018. Dann ist aber unverständlich, wieso am 06.05.2021 eine berichtigte Bilanz abgegeben wurde, welche nunmehr auf den 31.12.2018 erstellt wurde und Kontennachweise von Januar bis Dezember 2018 ausweist. Der darin geltend gemachte Personalaufwand wurde dann auch überwiegend im Rechtsbehelfsverfahren nicht nachgewiesen. Ob und welche Werte zutreffend sind, konnten weder der Insolvenzgutachter, der Beklagte noch der Senat aufklären.
236Ausgehend von diesen Steuerrückständen und der im Übrigen nur schätzungsweise ermittelbaren Verbindlichkeiten der GmbH gilt folgendes:
237Der in der Buchhaltung ausgewiesene Kassenbestand der GmbH am 30.06.2018 betrug 57.732,43 €.
238Zwar hat der Kläger behauptet, dass das Geld für betriebliche Zwecke verwendet worden sei und sich ein entsprechendes Kassenbuch in den vom Zoll beschlagnahmten Unterlagen befände. Nach dem vom Kläger vorgelegten Insolvenzgutachten konnte der Insolvenzverwalter jedoch weder in den beschlagnahmten Unterlagen noch beim Steuerberater der GmbH entsprechende Belege oder ein Kassenbuch auffinden (S. 17, 25 des Insolvenzgutachtens, Bl. 79, 87 GA).
239Ferner hat der Kläger alleine im Zeitraum vom 12.07. bis 09.10.2018 Barabhebungen vom Konto der GmbH in Höhe von 163.830 € vorgenommen, deren Verbleib ungeklärt ist (S. 7, 14 des Insolvenzgutachtens, Bl. 69 76 GA). Belege über die behauptete betriebliche Veranlassung konnten wiederum weder vom Kläger vorgelegt noch vom Insolvenzverwalter beim Zoll oder dem Steuerberater der GmbH aufgefunden werden (S. 6-7, Bl. 68-69 GA).
240Vor allem aber besteht ein Widerspruch zur Behauptung des Klägers, die GmbH hätte die Geschäftstätigkeit zum 30.06.2018 eingestellt (so jedenfalls der Vortrag im Schriftsatz vom 27.10.2022, Bl. 34 GA und die Angabe gegenüber dem Insolvenzgutachter, Bl. 77 GA, anders die Mitteilung des Steuerberaters der GmbH, wonach die Einstellung zum 27.09.2018 erfolgte, vgl. Bl. 290 GA) und der Behauptung, 221.562,43 € seien für betriebliche Zwecke der GmbH verwendet worden.
241Für eine Einstellung am 30.06.2018 spricht, dass ab diesem Zeitpunkt unter Verweis auf die Einstellung keine Umsatzsteuer-Voranmeldungen mehr abgegeben wurden. Die auf den 31.12.2018 erstellte Bilanz weist in den Konten nach dem 30.06.2018 nur noch geringfügigen Lohnaufwand auf.
242Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht daran vorbeigesehen werden, dass bereits bei den benannten Zahlungsempfängern, nämlich der C. K. und der Y. GmbH, hinsichtlich Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.067.889,94 € (Insolvenzgutachter S. 9, Bl. 71 GA) nicht festgestellt werden konnte, dass die GmbH hierfür eine feststellbare, adäquate Gegenleistung erhielt.
243Es muss damit davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Gelder seit dem 01.07.2018 gerade nicht für betriebliche Zwecke eingesetzt hat.
244In der Gesamtschau bleibt nach wie vor unklar, wofür mindestens über 1,2 Millionen € aus den Mitteln der GmbH konkret verwendet wurden.
245Dabei geht es zu Lasten des Klägers, dass er allenfalls rudimentäre Angaben zur Mittelverwendung und -verwaltung während seiner Tätigkeit für die GmbH gemacht hat. Vielmehr steht auf Grundlage des vom Kläger eingereichten Insolvenzgutachtens und des hiesigen Verfahrens fest, dass er nicht zur Mitwirkung bereit war und ist.
246Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem Umsatzsteuersonderprüfungsbericht vom 04.10.2018 (S. 5-6) allein für das 4. Vierteljahr 2017 und das 1. Vierteljahr 2018 Fremdleistungen der Firmen Y. GmbH und C. K. in Höhe von insgesamt 523.243 € mangels ordnungsgemäßer Rechnungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt haben.
247Aus den Rechnungen habe sich nicht ergeben, welche konkreten Leistungen die Firmen an die GmbH erbracht hätten, insbesondere, welche Personen in welchem Umfang hierbei tätig geworden seien. Korrigierte Rechnungen wurden hierfür nach Aktenlage bislang nicht vorlegt. Die GmbH ist diesem Vorbringen nach Aktenlage weder substantiiert für Zwecke der Umsatz- wie auch Körperschaftsteuer entgegengetreten. Die entsprechenden Körperschaftsteuerfestsetzungen sind wie ausgeführt zwischenzeitlich auch bestandskräftig.
248Ferner kann nicht daran vorbeigesehen werden, dass sich in der Wohnung des Klägers Stempel für beide Firmen befanden. Nach Aktenlage spricht alles dafür, dass es sich um funktionslose Scheinfirmen handelt. Die Behauptung, dass die Stempel vom Bruder des Klägers, M., in seine Wohnung verbracht wurden, damit dieser Personaleinstellungen für beide Firmen vornimmt, ist durch nichts belegt. Im Übrigen war der Bruder in der IV.-straße, G. zu keinem Zeitpunkt gemeldet. Hierauf hat der Senat bereits im Beschluss zum Verfahren Aktenzeichen 8 V 1829/22 hingewiesen. Der Kläger ist dem auch nicht mehr entgegengetreten.
249Nicht aufgeklärt werden musste, ob der Kläger diese Firmen kontrolliert hat, oder ob er bloß, was feststeht, Zugriff auf ihre Stempel hatte. Insoweit bemerkt der Senat nur der Vollständigkeit halber, dass das AG H. die vom Kläger im Schriftsatz vom 26.06.2024 gerügte Lichtbildvorlage (Bl. 301-302 GA) durchgeführt hat. Der für die Betreuung der vorgenannten Firmen zuständige Mitarbeiter der ZC. GmbH MJ. hat den Kläger danach als denjenigen erkannt, der für die vorgenannten Firmen aufgetreten ist („Frage: Sie sollen hier eine Aussage machen zu einem Verfahren gg. BJ. aus 2018. Ich habe mit Ihnen soeben eine Wahllichtbildvorlage durchgeführt. Sie sollen im Rahmen dieser Wahllichtbildvorlage die Person bestimmen, der die Unterlagen für die Firma C. K und für die Firma Y. GmbH im August bis November 2017 ausgehändigt wurden. Haben Sie auf den Fotos diese Person wiedererkannt? Antwort: Ja. Ich habe die Person auf dem Foto 3 eindeutig wiedererkannt. Es handelt sich um die Person, die ich als BJ. kenne." vgl. Bl. 680 und insgesamt Bl. 679-683 der Akte zu N05, einschließlich der Kopien der übergegebenen Unterlagen).
250Im Übrigen ist den übersandten Verwaltungsakten zu entnehmen, dass der Beklagte bereits am 22.12.2020 Unterlagen zu den Fremdleistungen und dem Personalaufwand angefordert hat. Die Arbeitsverträge konnten ausweislich der Stellungnahme des Steuerberaters der GmbH ganz überwiegend nicht vorgelegt werden. Die Behauptung, dass diese durch den „Zoll“ beschlagnahmt worden seien, steht im Widerspruch zu dem vom Kläger eingereichten Insolvenzgutachten. Vielmehr ergibt sich aus diesem, dass der Insolvenzgutachter auch nach Durchsicht der beim Hauptzollamt G. gelagerten Unterlagen weder Nachweise über die behaupteten Barlohnzahlungen (S. 7, Bl. 69) noch geordnete Personalunterlagen (S. 16, Bl. 78) gefunden hat.
251Vielmehr ergeben sich allein aus den dem Gericht vorliegenden Verträgen derart viele Widersprüche, dass den wiederum durch nichts belegten Aussagen des Klägers nicht gefolgt werden kann.
252So wurden am 31.12.2017 Löhne in einer Buchung über 725.309,74 € und am 30.06.2018 Löhne über 649.387,31 € erfasst. Es ist offensichtlich, dass dies keiner geordneten Buchführung und der Erfassung von Lohnaufwand für eigene Mitarbeiter oder aber Fremdleistungen entspricht. Es steht auch im Widerspruch zu den von der GmbH im Einspruchsverfahren gegen die Bescheide für 2017 und 2018 über Körperschaftsteuer vorgelegten Rechnungen der Firmen Y. GmbH und C. K. (Ordner Rb-Nr. 2-5). Danach wurden monatliche Abrechnungen (Januar 2017 bis März 2018 bzw. November 2017 bis März 2018) erstellt. Die insoweit unvollständigen Unterlagen der GmbH wurden darüber hinaus auch widersprüchlich in der Buchführung abgebildet.
253Wie der Senat bereits im Eilverfahren aufgezeigt hat, liegt es auf der Hand, dass die nach Auskunft des Klägers zuletzt beschäftigten sieben Mitarbeiter (Insolvenzgutachten S. 16, Bl. 78 GA) bzw. drei Mitarbeiter im März 2018 (Insolvenzgutachten S. 16, Bl. 78) mit einem Bruttomonatslohn zwischen 185 € bis 1.050 € (vgl. Verwaltungsakte „Vertragsakte“) den als Betriebsausgabe erklärten Lohnaufwand (siehe oben) nicht erklären können. So wurden zwölf zwischen dem 01.01.2017 und 15.08.2018 abgeschlossene Arbeitsverträge vorgelegt.
254Der in schlechter Kopie vorgelegte Arbeitsvertrag mit HF. vom 18.09.2017 wurde mit dem Stempel der GmbH mit der Adresse in V. gestempelt, obwohl die GmbH bereits am 13.02.2017 ihre Sitzverlegung nach X. beschlossen hat.
255Gleiches gilt für die Verträge mit PJ. vom 29.10.2017, PY. vom 14.08.2018 und AI. vom 14.08.2018.
256Umgekehrt wurde der ebenfalls in schlechter Kopie eingereichte Vertrag mit „Herrn/Frau VB.“ vom 01.01.2017 mit dem Stempel der GmbH unter der Adresse in X. gestempelt, während im Fließtext die Adresse aus V. steht. Da der Mietvertrag für die Räume in X. erst am 04.02.2017 geschlossen wurde, ist nicht verständlich, wie der Vertrag zum 01.01.2017 diese widersprüchlichen Informationen enthalten konnte, wenn er tatsächlich zum angegebenen Zeitpunkt abgeschlossen wurde. Der Arbeitsvertrag mit HC. vom 13.03.2017 wurde dann wieder unter der Adresse in V. geschlossen.
257Schließlich wurde der Arbeitsvertrag mit ET. vom 30.09.2017 und MG. vom 30.11.2017 unter der Adresse „UC.-straße, PT.-straße, X.“ geschlossen, wobei die Straßennamen in unterschiedlichen Schriftarten angegeben wurden. Im Übrigen wurden die Netto-Stundenlöhne mit 1.000 € bzw. 700 € beziffert.
258Erst Recht widersprüchlich ist es, wenn die Betriebseinstellung zum 30.06.2018 behauptet wird und gleichzeitig Arbeitsverträge nach diesem Datum geschlossen sein sollen. Auch nach Ergehen des Eilbeschlusses hat der Kläger hierzu keine sachdienlichen Angaben gemacht.
259Die Aufklärung durch den Kläger scheitert auch nicht daran, dass E. die Unterlagen der GmbH an sich genommen und nicht an den Kläger zurückgegeben hat. Einen entsprechenden Geschehensablauf hält der Senat für ausgeschlossen. Für den Senat liegt es auf Grundlage der feststehenden Tatsachen im besonderen Maße nahe, dass der Kläger E. als sogenannten Firmenbestatter eingesetzt hat. Aus der umfassenden notariellen Vollmacht vom gleichen Tage ergibt sich, dass der Kläger niemals die Kontrolle über die GmbH verloren hat, sondern wie ein Eigentümer hierüber verfügen konnte. Auch im weiteren Verlauf hat alleine der Kläger entsprechende Handlungen vorgenommen.
260Da für die GmbH im Jahr 2020 Steuererklärungen für 2017 und 2018 erstellt wurden, spricht alles dafür, dass die Unterlagen niemals an den Erwerber übergegeben wurden.
261d) Die grob fahrlässigen Pflichtverletzungen waren auch kausal für den Steuerausfall, soweit sie die Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer, faktischen Geschäftsführer und Liquidator betreffen.
262Zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt muss ein Verursachungszusammenhang in dem Sinne bestehen, dass der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100 m. w. N.). Zur Begründung der Kausalität bedarf es auch der Feststellung, ob der Steuerschuldner, nachdem die Steuer entstanden war, überhaupt in der Lage gewesen war, diese zu bezahlen, ihm mithin ausreichende Mittel zur Verfügung standen (BFH-Urteil vom 06.03.2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100).
263Der nach der BFH-Rechtsprechung zu fordernde Kausalzusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind (BFH-Urteil vom 06.03.2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100, m.w.N.). Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht auf die Fälle übertragen werden, in denen der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- noch über ausreichende Mittel verfügt, um nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung zumindest einen Teil der Steuerschuld zu begleichen.
264Hierzu hat die Finanzbehörde unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder --soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann-- im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO). Zur Feststellung der Haftungssumme kann die Finanzbehörde vom gesetzlichen Vertreter einer GmbH, den es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90 Abs. 1 AO, BFH-Urteil vom 27.02.2007 VII R 60/05, BFHE 216, 487, BStBl II 2008, 508, m.w.N.).
265Nach diesen Grundsätzen sind die vom Beklagten geschätzte Tilgungsquote und der hieraus errechnete Haftungsschaden nicht zu beanstanden. Nach dem Vorhergesagten verfügte die GmbH auch noch am 04.10.2018 entweder über ausreichende Barreserven oder aber jedenfalls entsprechend werthaltige Rückforderungsansprüche gegen den Kläger, um mindestens 70 % der Haftungsschuld zu tilgen.
266Der Kläger hat weder im hiesigen Verfahren noch bei der Erstellung des Insolvenzgutachtens mitgewirkt, so dass angesichts der hohen nicht nachgewiesenen Zahlungen grundsätzlich auch eine Schätzung dergestalt zulässig erscheint, wonach die GmbH voll zahlungsfähig gewesen ist.
267Indes folgt das Gericht hier der Schätzung des Beklagten und geht von einer Haftungsquote in Höhe von 70 % aus. Maßgeblich hierfür sind die bisherigen Feststellungen im Insolvenzgutachten (S. 19, Bl. 81 GA), wonach die GmbH durch Scheinrechnungen Gelder aus der GmbH transferiert habe um Mitarbeiter „schwarz“ zu bezahlen. Das „Geschäftsmodell“ der GmbH sei daher nicht fortführungsfähig. Dies spricht dafür, dass die GmbH zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen wäre, allen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, sondern entsprechend ihres „Geschäftsmodells“ von Anfang an bewusst Sozialversicherungsbeiträge und Steuern
268nicht entrichtet hat (vgl. auch S. 20, Bl. 82 GA). Da die Lohnnebenkosten für Arbeitgeber 2016 bis 2018 27 % bis 28 % betrugen (Statistisches Bundesamt, Lohnnebenkosten in Deutschland in Euro, abgerufen unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitskosten-Lohnnebenkosten/Tabellen/lohnkosten-deutschland.html und zur Beiakte genommen, Stand 30. Juni 2022, vgl. insoweit bereits die wortgleichen Ausführungen im Beschluss 30.11.2022, 8 V 1829/22 A (H), S. 33-34, Bl. 276-277 der dortigen GA), berücksichtigt die Schätzung alle tatsächlich feststellbaren Umstände.
269Soweit der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung darüber hinaus vorgetragen hat, dass auch ein Abzug für den Arbeitslohn hätte erfolgen müssen, ist dem nicht zu folgen.
270Die Schätzung von 30 % für nicht nachgewiesenen Aufwand stellt sich bereits deshalb als äußerste Grenze dar, weil die GmbH nach dem letzten Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers überhaupt nicht Schuldnerin der Sozialabgaben gewesen sein soll. Auch in der Verteidigungsschrift an das AG H. wurde insoweit vorgetragen, dass die GmbH bzw. der Kläger allenfalls Gesamtschuldner sein könnten. Die Haftungsquote wäre danach deutlich höher.
271Abgesehen von den Sozialabgaben wäre die GmbH aber --jedenfalls soweit dies ohne Unterlagen im Rahmen der Schätzung überhaupt beurteilt werden kann-- zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten in der Lage gewesen. Dass die GmbH unter Berücksichtigung der Zahlungen der B. GmbH nicht dazu in der Lage gewesen wäre, die Löhne oder Fremdleistungen zu bezahlen, hat auch das Insolvenzgutachten nicht festgestellt. Ein weiterer Abzug für nicht näher bezifferte „Löhne“ oder aber Fremdleistungen kommt danach nicht Betracht.
2722. Der Beklagte hat sein Ermessen im vorliegenden Fall ordnungsgemäß ausgeübt. Er hat den Kläger als Geschäftsführer, Verfügungsberechtigten und Liquidator in Anspruch genommen.
273Ferner hat der Beklagte bezüglich der Säumniszuschläge berücksichtigt, dass die GmbH zum tatsächlichen Fälligkeitszeitraum bereits zahlungsunfähig war.
274Bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 34, 69 AO Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs.1 AO) der Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die gemäß § 102 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (BFH-Urteil vom 12.05.1992 VII R 15/91, BFH/NV 1993, 143, m.w.N.). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 19.05.2022 III R 16/20, BFH/NV 2022, 1160, Rz 22, m.w.N.).
275Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur in den Fällen der sog. Ermessensreduzierung auf null ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 14.03.2012 XI R 28/09, BFH/NV 2012, 1493, Rz 19; und vom 19.05.2022 III R 16/20, BFH/NV 2022, 1160, Rz 22, jeweils m.w.N.).
276Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lassen (§ 102 Satz 1 FGO), muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid begründet werden (vgl. § 121 Abs. 1 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen --die Abwägung des Für und Wider der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners-- aus der Entscheidung erkennbar sein. Eine fehlerfreie Ermessensausübung durch die Finanzbehörde kann nur auf der Grundlage eines umfassend und einwandfrei ermittelten Sachverhalts getroffen werden (BFH-Urteil vom 20.03.2017 X R 13/15, BFHE 257, 486, BStBl II 2017, 1110 Rz 100).
277Hat die Finanzbehörde beim Erlass eines Haftungsbescheids Erwägungen zum Auswahlermessen angestellt, so können diese nur dann fehlerfrei sein, wenn sie die in Betracht kommenden Haftungsschuldner und deren Beitrag zur eingetretenen Steuerverkürzung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutreffend gewürdigt hat (BFH-Urteile vom 12.05.1992 VII R 15/91, BFH/NV 1993, 143; und vom 11.03.2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 57 m.w.N.).
278Für die gerichtliche Prüfung sind diejenigen tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, die der Behörde im Zeitpunkt der letzten Ermessensausübung bekannt waren oder bekannt sein mussten (BFH-Beschluss vom 19.01.1999 X B 112/98, BFH/NV 1999, 904 m.w.N.).
279Diesen Anforderungen wird der streitgegenständliche Haftungsbescheid gerecht.
280Der Beklagte hat zutreffend erkannt, dass die vorrangige Beitreibung bei der GmbH als Primärschuldnerin erforderlich und hier aussichts- und erfolglos war. Er hat ferner E. in seiner Eigenschaft als Nachfolgegeschäftsführer gemäß §§ 34, 69 AO durch Haftungsbescheid vom 04.03.2021 in Haftung genommen.
281Der Beklagte hat die Haftungsquote für die Säumniszuschläge auf 50 % reduziert und damit ungeachtet der nicht feststellbaren Liquidität die Haftung auf das insoweit in jedem Fall zulässige Maß beschränkt.
282Wird ein Haftungsschuldner für Säumniszuschläge in Anspruch genommen, so sind bei der Inanspruchnahme gemäß § 191 Abs. 1 AO die Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen, die bei der Erhebung der Säumniszuschläge gegenüber dem Steuerschuldner nach § 227 AO, also in einem besonderen Verfahren, zu einem Billigkeitserlass hätten führen können und unter Umständen auch hätten führen müssen. Sachlich unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen vor allem dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert (ständige Rechtsprechung, zuletzt BFH-Urteil vom 14.12.2021 VII R 14/19, BFH/NV 2022, 401, Rz 21, m.w.N.).
283II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 FGO.
284III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 FGO zugelassen, soweit der Kläger wegen Körperschaftsteuer 2017 vom 30.08.2021 in Höhe von 3.603,00 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags, wegen Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2017 vom 30.08.2021 in Höhe von 198,17 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags, wegen Umsatzsteuer 2017 vom 12.11.2020 in Höhe von 50.632,82 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags, wegen Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 vom 11.01.2021 in Höhe von 1.307,00 €, wegen Umsatzsteuer 2017 vom 22.02.2021 in Höhe von 846,83 € und darauf entfallenden Säumniszuschlags sowie wegen Zinsen zur Umsatzsteuer 2017 vom 12.07.2021 in Höhe von 84,00 € in Haftung genommen wurde; im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.