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Die Bescheide über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages für 2015 bis 2018 jeweils vom 29. Januar 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2021 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war erforderlich.
Tatbestand
2Streitig ist die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in den Streitjahren 2015 bis 2018.
3Die Klägerin ist Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes ... . Sie betätigt sich schwerpunktmäßig im Bereich der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV). Alleingesellschafterin-Geschäftsführerin der Klägerin ist V..
4Der Auftrag zur Erbringung von Pflegedienstleistungen wird der Klägerin einerseits von Pflegebedürftigen unmittelbar erteilt, andererseits erfolgt die Erbringung von Pflegeleistungen an Pflegebedürftige als Mitglied eines sogenannten C. Teams, das in der G. eG (G. eG) organisiert ist. Während bei einer unmittelbaren Beauftragung durch Pflegebedürftige die Abrechnung der ihnen gegenüber erbrachten Leistungen mit den gesetzlichen Krankenkassen durch die Klägerin selbst erfolgt, wird die Abrechnung gegenüber dem Sozialversicherungsträger bei Tätigwerden als Mitglied des G. durch die G. eG in eigenem Namen und auf eigene Rechnung übernommen. Dieser stellt die Klägerin ihre an die pflegebedürftigen Personen erbrachten Pflegeleistungen in Rechnung und erhält für die erbrachten Leistungen eine Vergütung von der G. eG auf Grundlage eines Leistungsplans.
5Bei der G. eG handelt es sich um eine eingetragene Genossenschaft, die mit Satzung vom 00.00.0000 von ... natürlichen sowie ... juristischen Personen mit jeweils einem Geschäftsanteil von 1.000 Euro gegründet worden ist. Die G. eG ist nach der Satzung ein freiwilliger Zusammenschluss der Beteiligten an der Palliative-Versorgung in der Region B.. Laut Satzung besteht der Zweck der G. eG in der wirtschaftlichen Förderung und Betreuung der Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes sowie der Erhaltung einer hochwertigen palliativen Versorgung (§ 2 Nr. 1 der Satzung). Der Gegenstand der G. eG besteht unter anderem in der Erbringung von SAPV-Leistungen auf Grundlage der ... mit den Krankenkassen bestehenden Verträge (§ 2 Nr. 3 der Satzung) ... . Nach § 3 Nr. 1 der Satzung können die Mitgliedschaft in der G. eG nur niedergelassene Ärzte mit palliativ-medizinischer Qualifikation, examinierte Pflegekräfte mit der Qualifikation C., Mitglieder psychosozialer Berufe mit der Qualifikation C. sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts und privaten Rechts sowie Personengesellschaften, deren Gesellschafter oder Mitglieder Ärzte, Pflegekräfte oder Psychotherapeuten sind, erwerben. Gründungsgesellschafterin der G. eG ist unter anderem V., die seit Gründung auch ununterbrochen Vorstandsmitglied der Genossenschaft ist und als staatlich examinierte Krankenschwester die pflegerische Leitung des C. Teams innehat.
6Die G. eG erfüllt die Voraussetzungen der auf Grundlage von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch –SGB V– erlassenen SAPV-Richtlinie. Mit der Kassenärztlichen Vereinigung ... sowie dem Verband der Ersatzkassen e. V. und weiteren Ersatzkassen hat die G. eG einen „Vertrag über die Erbringung Spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV) ... gemäß § 132 d SGB V i. V. m. § 37 b SGB V“ mit Wirkung zum 00.00.0000 abgeschlossen, nach dessen Präambel alle an der SAPV Beteiligten eine aufeinander abgestimmte effiziente und wirksame palliativmedizinische und palliativpflegerische Versorgung erbringen sollen. § 4 Abs. 2 des Vertrags sieht vor, dass die SAPV ausschließlich von Leistungserbringern nach § 132d SGB V erbracht wird und nach Maßgabe des Versorgungsbedarfs Beratungsleistungen, Koordination der Versorgung, additiv unterstützende Teilversorgung oder vollständige Versorgung umfassen kann. Gemäß § 5 Abs. 1 des Vertrags ist es Aufgabe der G. eG, Leistungen der SAPV durch spezialisierte Leistungserbringer, die sich zu einem C.-Team zusammengeschlossen haben und Teil einer multiprofessionell vernetzten Versorgungsstruktur im regionalen Gesundheits- und Sozialsystem sind, zu erbringen. § 6 Abs. 1 des Vertrags sieht unter anderem vor, dass Leistungen der SAPV nur dann Vertragsgegenstand sind, wenn sie ausschließlich in einer multiprofessionell vernetzten Versorgungsstruktur erbracht werden. Gemäß § 6 Abs. 2 des Vertrags hat die G. eG der zuständigen Krankenkasse ein schriftliches Konzept vorzulegen, in dem darzustellen ist, in welcher Form die Koordination in der G. eG erfolgt und das alle medizinisch-pflegerischen Maßnahmen klar und eindeutig unter Beachtung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung formuliert und darüber hinaus verdeutlicht, wie eine qualifizierte Leistungserbringung zu erfolgen hat. Die ärztlichen und pflegerischen bzw. kombinierten Leistungen im Rahmen der SAPV werden als Komplexpauschalen nach Maßgabe von Anlage 4 des Vertrags vergütet (§ 16 Abs. 1 des Vertrags). Auf den weiteren Inhalt des Vertrags, der an den von der Kassenärztlichen Vereinigung ... veröffentlichten Mustervertrag über die Erbringung Spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV) ... angelehnt ist, wird Bezug genommen.
7Nach dem von der Klägerin vorgelegten Versorgungskonzept der G. eG zur Gewährleistung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung in der Fassung vom 01.05.2023 ist die Klägerin als eine von drei Palliativpflegediensten als sogenannte Koordinationsstelle vorgesehen (Tz. 4.1.3). In dieser Funktion tritt sie für die G. eG zunächst im Rahmen der Annahme von Neuaufträgen auf (Tz. 5.1.1) und prüft dann gemeinsam mit einem Palliativarzt, ob die Voraussetzungen für die palliative Versorgung des anfragenden Patienten erfüllt sind. Wird der Patient angenommen, wird im Anschluss mit dem Patienten ein individueller Versorgungsplan erstellt und die Koordinationsstelle beantragt die Gewährung der Palliativversorgung durch die zuständige Pflegekasse. Nach Tz. 5.1.3 rechnen die Pflegeteams und die behandelnden Ärzte ihre Leistungen mit der G. eG ab, die dann die gesamte SAPV-Leistung über die Kassenärztliche Vereinigung mit allen zuständigen Krankenkassen abrechnet. Nach Angaben der Klägerin bestand ein inhaltlich gleiches Versorgungskonzept auch für die Streitjahre.
8Den Anteil des Erlöses aus den gegenüber der G. eG abgerechneten Pflegeleistungen am Gesamterlös der von ihr insgesamt erbrachten Pflegeleistungen gab die Klägerin in ihren Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. den Kontennachweisen hierzu wie folgt an (gerundet):
9Jahr |
2015 |
2016 |
2017 |
2018 |
Umsatzerlöse gesamt |
... € |
... € |
... € |
... € |
Davon G. eG (entspricht |
... € 82% |
... € 79,9% |
... € 85,3% |
... € 79,8%) |
Zwischen den Beteiligten ist dabei nicht mehr streitig, dass die Pflegekosten, die die Klägerin der G. eG in den Streitjahren in Rechnung gestellt hat, in mindestens 40% der Fälle letztlich von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen worden sind.
11Bei einer im Jahr 2020 bei der Klägerin durchgeführten steuerlichen Außenprüfung für die Streitjahre (Prüfungsbericht vom 25.11.2020) gelangte die Prüferin – neben nicht mehr streitigen Feststellungen – zu der Auffassung, dass die Klägerin ihre gegenüber der G. eG abgerechneten SAPV-Leistungen an die G. eG erbringe und die hieraus erzielten Erträge nicht der Gewerbesteuerbefreiung des § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG unterfielen. Der insoweit auf diesen Bereich entfallende ertragsteuerliche Gewinn der Klägerin sei daher der Gewerbesteuer zu unterwerfen. Nicht gewerbesteuerpflichtig sei lediglich der Umsatzanteil, der nicht auf die gegenüber der G. eG abgerechneten SAPV-Leistungen entfalle. Die Prüferin gelangte zu einem steuerfreien gegenüber einem steuerpflichtigen Gewinn aus Gewerbebetrieb wie folgt (gerundet):
12Jahr |
2015 |
2016 |
2017 |
2018 |
Steuerfreier Anteil am Gewinn |
... € |
... € |
... € |
... € |
Steuerpflichtiger Anteil am Gewinn |
... € |
... € |
... € |
... € |
Für die Ermittlung des gewerbesteuerpflichtigen Gewinns nahm die Prüferin eine „sachgerechte Aufteilung der Betriebsausgaben nach Umsätzen“ vor. Dazu ermittelte die Prüferin zunächst den Anteil von steuerfreien Umsätzen gegenüber den auf die SAPV-Leistungen an die G. eG entfallenden Umsätzen am Gesamtumsatz und ließ hierbei solche Umsätze unberücksichtigt, die unmittelbar dem steuerfreien oder steuerpflichtigen Teil zuzuordnen sind (Investitionskostenzuschüsse sowie eine Zusatzvergütung für SAPV). Die so ermittelten Umsatzverhältnisse übertrug die Prüferin dann auf den um die Investitionskostenzuschüsse sowie eine Zusatzvergütung für SAPV gekürzten Gesamtbetrag der Einkünfte nach der Außenprüfung. Für die Ermittlung des gewerbesteuerpflichtigen Gewinns wird im Übrigen auf Tz. 2.5 und auf die Anlage 2 des Prüfungsberichts vom 25.11.2020 verwiesen.
14Der Beklagte (im Folgenden: das Finanzamt –FA–) folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ erstmalige Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2015 bis 2018 vom 29.01.2021, in denen es den Gewerbesteuermessbetrag unter Zugrundelegung gewerbesteuerpflichtiger Gewerbeerträge (gerundet) wie folgt festsetzte:
15Jahr |
2015 |
2016 |
2017 |
2018 |
Steuerpflichtiger Gewinn aus Gewerbebetrieb |
... € |
... € |
... € |
... € |
Gewerbesteuermessbetrag |
... € |
... € |
... € |
... € |
Die gegen die Änderungsbescheide eingelegten Einsprüche blieben erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 28.10.2021). Zur Begründung führte das FA aus, dass die pflegerischen Leistungen zwar von der Klägerin tatsächlich erbracht würden. Sie würden aber nicht gegenüber den hilfs- oder pflegebedürftigen Personen erbracht, sondern gegenüber der G. eG. Aufgrund der bestehenden Rechtsbeziehung werde die Leistungserbringung gegenüber der G. eG geschuldet, die auch die Art der Leistungserbringung bestimme. Sie koordiniere die verschiedenen Leistungserbringer, weshalb davon auszugehen sei, dass auch die Pflegeaufträge bei ihr und nicht bei der Klägerin lägen. Eine unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin und den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung oder Sozialhilfe bestehe nicht. In Bezug auf die Umsätze der Klägerin aus der SAPV habe die Klägerin nicht durch ihre nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG privilegierten Einrichtung (nämlich dem ambulanten Pflegedienst) Leistungen gegenüber den von ihr mit dieser Einrichtung betreuten hilfs- und pflegebedürftigen Personen erbracht. Denn Leistungsempfänger seien nicht diese Personen, sondern die G. eG. Deshalb könne nur die G. eG solche nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG begünstigten Leistungen mit den ihr durch die Klägerin erbrachten Leistungen gegenüber den pflegebedürftigen Personen erbringen. Es könnte nur diejenige Leistung einer Einrichtung privilegiert sein, mit der überhaupt auch unmittelbar den Sozialversicherungsträgern Kosten entstehen. Im Streitfall entständen Kosten jedoch nur für die von der G. eG erbrachten Leistungen, weil die Sozialversicherungsträger nur mit ihr in einer Rechtsbeziehung ständen. Die Voraussetzung einer unmittelbaren Kostenentstehung ergebe sich dabei im Umkehrschluss aus der Prüfung der in der Befreiungsvorschrift vorgesehenen 40%-Grenze. Um die Prüfung zu vollziehen, habe jede Einrichtung entsprechende Nachweise vorzuhalten. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung seien dabei für jede gepflegte Person beleg- und buchmäßig nachzuweisen. Diese Nachweise hätten nach den Feststellungen der Außenprüfung nicht vorgelegen. Eine gemeinsame Betrachtung der Klägerin und der G. eG scheide überdies aus, weil nach der Befreiungsvorschrift nur eine Einrichtung privilegiert sei.
17Mit ihrer am 09.11.2021 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin die Freistellung des gesamten auf den Betrieb der Pflegeeinrichtung entfallenden Gewinns einschließlich der von der G. eG erhaltenen Erträge von der Gewerbesteuer weiter. Sie ist der Ansicht, dass die Rechtsauffassung des FA allen Methoden der Gesetzesauslegung widerspreche. Die Annahme des FA, dass Voraussetzung für die Gewährung der betreffenden Steuerbefreiung unter anderem sei, dass die Pflegeleistungen von einer Einrichtung der ambulanten Pflege gegenüber kranken oder hilfsbedürftigen Personen auch als zivilrechtliche Leistungsempfänger erbracht werden, ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Die Klägerin erbringe auch mit ihren Leistungen, die sie gegenüber der G. eG abrechne, solche unter die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG fallenden Leistungen. Faktisch handele es sich bei diesen Leistungen um die ambulante Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen. Dabei stützt sich die Klägerin auf den Wortlaut der Befreiungsvorschrift („Einrichtung zur ambulanten Pflege“), wonach für die Gewerbesteuerbefreiung nicht auf den Leistungsempfänger, sondern auf die ausgeübte Tätigkeit abgestellt werde. Dies werde durch die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.03.2010 (I R 41/09), vom 22.06.2011 (I R 43/10) und vom 20.08.2015 (IV R 26/13) deutlich. Insbesondere zeige auch die BFH-Entscheidung vom 08.09.2011 (I R 78/10), dass es darauf ankomme, ob eine Leistung erbracht wird, die – wie im Streitfall – einem Sozialversicherungsträger in Rechnung gestellt werden kann. Dass die Palliativleistungen der Klägerin letztlich von den Sozialversicherungsträgern gezahlt werden, stelle das FA nicht in Abrede.
18Das von der Klägerin zugrunde gelegte Verständnis entspreche ferner dem Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift. Die Struktur der G. eG ermögliche es dabei auch kleinen Anbietern, sich im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung zu betätigen, so dass sie zu einer Verbesserung der Versorgungsstruktur beitragen könnten. Andernfalls wären besonders große Anbieter, die in der Lage sind, sämtliche Leistungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung selbst zu erbringen und daher auf Zusammenschlüsse nicht angewiesen sind, gewerbesteuerlich in nicht zu rechtfertigender Weise bevorteilt. Deshalb spreche auch das Prinzip der Wettbewerbsneutralität dafür, sämtliche Erbringer von SAPV-Leistungen von der Steuerpflicht zu befreien. Würde man die Gewerbesteuerbefreiung zudem nur der G. eG zugestehen, würde das gesetzgeberisch verfolgte Ziel insoweit nicht erreicht, weil die Steuerbefreiung bei der G. eG mangels eines bei ihr im Vordergrund stehenden Gewinnstrebens ins Leere liefe. Es könne nicht gesetzgeberische Intention gewesen sei, bei doppelstöckigen Strukturen nur die Ebene des zivilrechtlichen Leistungserbringers zu befreien und so in die Aufgabenverteilung zwischen den Beteiligten dahingehend einzugreifen, dass die Steuerbelastung umso niedriger ausfällt, je mehr Aufgaben dem zivilrechtlichen Leistungserbringer zufallen. Denn mehr Aufgaben beim zivilrechtlichen Leistungserbringer bedeuteten, dass dieser daraus eigene von der Gewerbesteuer befreite Erträge erwirtschaften könne. Im Streitfall ergebe sich jedoch genau das Gegenteil, weil die G. eG lediglich die Verwaltung und Auftragskoordination übernehme, während alle anderen Aufgaben von den einzelnen Mitgliedern wahrgenommen würden. Dies zeige sich an den erwirtschafteten Gewinnen der G. eG, die Gewinne nur im niedrigen ... Bereich erziele. Die Klägerin hingegen erziele ausschließlich wegen der von ihr selbst erbrachten Leistungen schon Gewinne im ... Bereich.
19Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die G. eG nicht auf die Erwirtschaftung eigener Erträge ausgerichtet sei. Alle Genossenschaftsmitglieder seien in gleicher Höhe an der Genossenschaft beteiligt, obwohl Art und Umfang der für sie erbrachten Leistungen höchst unterschiedlich seien. Dies sei nur interessensgerecht, wenn die G. eG die von ihr erzielten Umsätze nach Abzug ihres Verwaltungsaufwandes an ihre Mitglieder für die jeweils erbrachten Leistungen weiterleitet. Es sei nicht zu befürchten, dass den Sozialversicherungsträgern auf die Doppelstruktur zurückzuführende höhere Kosten entstehen.
20Die Rechtsauffassung der Klägerin werde schließlich auch durch die Anfrage während der Betriebsprüfung bestätigt, wonach zur Ermittlung der 40%-Grenze eine Ermittlung der unter § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG fallenden Erträge angefordert worden sei. Mit der Anforderung von Einzelnachweisen erkenne auch die Finanzverwaltung an, dass die Nachweise für die gepflegten Personen und nicht für den zivilrechtlichen Leistungsempfänger zu erbringen seien.
21Hilfsweise trägt die Klägerin vor, dass die Klägerin und die G. eG gemeinsam als „Einrichtung“ anzusehen seien. Soweit das FA das zu § 4 Nr. 16e des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergangene Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 14.11.1997 (Bundessteuerblatt –BStBl.– I 1997, 957) heranziehe und behaupte, dass die Steuerbefreiungsvoraussetzungen bei jeder Einrichtung eines Unternehmens gesondert zu prüfen seien und deshalb ein Zusammenwirken mehrerer Einrichtungen nicht steuerbegünstigt sei, ergebe sich hieraus für den Streitfall keine Erkenntnis.
22Die Klägerin beantragt,
23die Bescheide über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für 2015 bis 2018, jeweils vom 29.01.2021 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.10.2021, aufzuheben;
24hilfsweise, im Unterliegensfall die Revision zuzulassen;
25die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für erforderlich zu
26erklären.
27Das FA beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Es hält an seiner Auffassung aus der Einspruchsentscheidung fest, wonach die Klägerin die Leistungen zwar faktisch an die Patienten, letztlich aber an die G. eG erbracht habe. Ergänzend zieht das FA auch die Vorschrift des § 4 Nr. 16e UStG a.F. heran, die als „Vorlage“ für die Befreiungsregelung in § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG gedient habe. Folgerichtig seien ursprünglich für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung vorliegen, für Zwecke der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer dieselben Maßstäbe anzulegen. So seien z.B. die Grundsätze im BMF-Schreiben vom 14.11.1997 zu § 4 Nr. 16e UStG gleichermaßen auch für die Gewerbesteuer anzuwenden. Diesen Ausführungen sei zu entnehmen, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung auch innerhalb eines Unternehmens, das mehrere gleichartige Einrichtungen betreibt, bei jeder einzelnen Einrichtung zu prüfen seien. Die Steuerbefreiung komme jeweils nur für die Einrichtung zum Tragen, die in sich alle Voraussetzungen erfüllt. Bereits hieraus sei zu erkennen, dass der Gesetzgeber ein Zusammenwirken mehrerer Einrichtungen, die nur gemeinsam die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllen, als nicht ausreichend angesehen hat.
30Eine teleologische Auslegung von § 3 Nr. 20 Buchst. d) EStG zugunsten der Klägerin sei ausgeschlossen. Soweit die Klägerin aus den sozialrechtlichen Vorschriften den Rechtssatz ableite, dass die Zwischenschaltung einer eingetragenen Genossenschaft jedenfalls dann unschädlich sein soll, wenn sie nicht auf die Erwirtschaftung eigener Erträge ausgerichtet ist, ergebe sich dies nicht aus den von der Klägerin herangezogenen sozialrechtlichen Vorschriften (§ 132d SGB V i.V.m. § 37b SGB V und § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 14 SGB V i.V.m. der SAPV-Richtlinie, § 71 Elftes Buch Sozialgesetzbuch–SGB XI–). Es sei bereits zweifelhaft, ob das SGB V zur Auslegung des GewStG heranzuziehen sei. Auch die SAPV-Richtlinie sei für die in Streit stehende Frage unergiebig, weil die Ermächtigungsgrundlage § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 14 SGB V keine Ermächtigung zum Erlass von Richtlinien über den Zusammenschluss von Leistungserbringern oder die Schaffung von Körperschaften als Kooperationsinstanzen in einer zweistufigen Struktur enthalte.
31...
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Steuerakte Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe
34Die Klage ist begründet.
35Die Bescheide vom 29.01.2021 über den Gewerbesteuermessbetrag für 2015 bis 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.10.2021 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung–FGO–). Die Klägerin ist mit den Erträgen aus der von ihr betriebenen Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen vollständig von der Gewerbesteuer nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG befreit.
361. Der Klägerin war die Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG über die bereits als steuerfrei behandelten Erträge hinaus auch insoweit zu gewähren, als sie ihre SAPV-Leistungen durch eigene Beschäftigte tatsächlich gegenüber pflegebedürftigen Personen erbracht, diese Leistungen gegenüber der G. eG abgerechnet und von dieser hierfür eine Vergütung erhalten hat. Es ist für die Gewährung der Steuerbefreiung unschädlich, dass die Vergütungen für diese von der Klägerin erbrachten Leistungen nicht unmittelbar von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe an die Klägerin gezahlt wurden.
37a) Nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG sind von der Gewerbesteuer befreit Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen, wenn im Erhebungszeitraum die Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
38Die Steuerbefreiungsnorm begründet dabei keine persönliche Steuerbefreiung, durch die der Träger der in § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG genannten Einrichtung mit seinem gesamten Gewerbeertrag von der Gewerbesteuer befreit wird. Es werden lediglich die aus dem Betrieb der Einrichtung resultierenden Erträge begünstigt. Der Zweck der Befreiungsnorm besteht darin, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (BFH, Urteil vom 22.010.2003 – I R 65/02, BStBl. II 2004, 300). Hieraus lässt sich ableiten, dass nur diejenigen Erträge begünstigt sein sollen, die aus dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung selbst erzielt werden, weil nur insoweit für den Sozialversicherungsträger Kosten entstehen. Soweit der Träger der Einrichtung außerhalb derselben Erträge erzielt, unterliegen diese der Gewerbesteuer (siehe zu den Grundsätzen für die Steuerbefreiung in § 3 Nr. 20 GewStG BFH-Urteile vom 01.09.2021 – III R 20/19, BStBl. II 2022, 83 sowie vom 22.06.2011 – I R 59/10, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2012, 61 zu der insoweit identischen Zweckrichtung in § 3 Nr. 20 Buchst. b) GewStG und vom 22.06.2011 – I R 43/10, BStBl. II 2011, 892 zu der insoweit identischen Zweckrichtung in § 3 Nr. 20 Buchst. c) GewStG). Deshalb erfordern die Steuerbefreiungsvorschriften in § 3 Nr. 20 GewStG eine Differenzierung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Tätigkeiten der Einrichtung (so auch Finanzgericht –FG– Düsseldorf, Urteil vom 18.08.2023 – 3 K 2043/19 G, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2023, 1479; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.09.2023 – 6 K 6060/20, EFG 2024, 316).
39b) Die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsnorm § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG sind im Streitfall auch hinsichtlich der Erträge aus den gegenüber der G. eG abgerechneten SAPV-Leistungen erfüllt.
40aa) Die Klägerin hat in den Streitjahren eine Einrichtung i.S.v. § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG betrieben.
41(1) Die von der Steuerbefreiungsnorm vorausgesetzte Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen ist dabei nach Maßgabe von § 71 Abs. 1 SGB XI zu bestimmen (siehe zu der Maßgeblichkeit der in § 71 Abs. 1 SGB XI enthaltenen Begriffsbestimmung BFH, Urteil vom 09.09.2015 – X R 2/13, BStBl. II 2016, 286 und Beschluss vom 18.09.2007 – I R 30/06, BStBl. II 2009, 126). Zwischen den Beteiligten ist hierzu unstreitig, dass die Einrichtung der Klägerin die Voraussetzungen von § 71 Abs. 1 SGB XI erfüllt. Dies hat das FA insbesondere auch dadurch anerkannt, indem es jedenfalls die nicht an die G. eG abgerechneten Pflegeleistungen der Klägerin als von einer von ihr betriebenen Einrichtung i.S.v. § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG erbracht und daher steuerfrei ansieht.
42(2) Sämtliche Erträge für ihre erbrachten Pflegeleistungen hat die Klägerin aus dem Betrieb dieser Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen erzielt. Dies umfasst auch die Erträge aus den gegenüber der G. eG abgerechneten Leistungen. Das Gericht folgt hierzu nicht der vom FA vertretenen Auffassung, wonach die Klägerin die gegenüber der G. eG abgerechneten SAPV-Leistungen nicht mit ihrer von § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG erfassten Einrichtung (nämlich dem ambulanten Pflegedienst) erbracht hat und deshalb die hieraus erzielten Erträge nicht gewerbesteuerfrei zu stellen sind.
43Diese vom FA vertretene Auffassung beruht dabei auf der Annahme, dass nicht die hilfsbedürftigen Pflegepersonen Empfänger derjenigen Leistungen der Klägerin waren, die diese der G. eG in Rechnung gestellt hat, sondern dass die G. eG Leistungsempfänger war. Dabei lässt das FA indes unberücksichtigt, dass die Steuerbefreiungsnorm in § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG lediglich „Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen“ voraussetzt, denen unter den weiteren Voraussetzungen die Steuerbefreiung zu gewähren ist. Indem die Vorschrift auf einen spezifischen Leistungserbringer, nämlich eine Einrichtung i.S.v. § 71 Abs. 1 SGB XI, abstellt, gibt das Gesetz eine tätigkeitsbezogene Betrachtung vor (vgl. zu der Tätigkeitsbezogenheit der Steuerbefreiungsnorm in § 3 Nr. 20 GewStG zuletzt BFH, Urteil vom 01.09.2021 – III R 20/19, BStBl. II 2022, 83 sowie zu § 3 Nr. 20 Buchst. b) GewStG BFH, Urteil vom 20.08.2015 – IV R 26/13, BStBl. II 2016, 408 und zu § 3 Nr. 20 Buchst. c) und d) BFH, Urteil vom 22.06.2011 – I R 43/10, BStBl. II 2011, 892). Maßgeblich ist im Ausgangspunkt zunächst also nur, dass ein Leistungserbringer mit der Erbringung von Pflegeleistungen im ambulanten Umfeld tätig wird. Dass die Klägerin Pflegeleistungen mit eigenem Personal tatsächlich erbracht hat und diese Pflegeleistungen in tatsächlicher Hinsicht pflegebedürftigen Personen zugutegekommen ist, wird von dem FA im Streitfall auch für die Fälle nicht in Abrede gestellt, die die Klägerin gegenüber der G. eG in Rechnung gestellt.
44Das Verständnis des FA, dass die G. eG Empfänger der von der Klägerin erbrachten SAPV-Leistungen sei, impliziert ein Verständnis von Leistungsbeziehungen, bei dem nicht auf die faktische Leistungserbringung abgestellt wird, sondern das auf eine zivilrechtlich verstandene Leistungsbeziehung hindeutet. Ein solches Verständnis der Leistungsbeziehung ist dem Gesetzeswortlaut in § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG indes nicht zu entnehmen. Denn die Norm fordert mit der Voraussetzung einer „Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Menschen“ lediglich, dass die Tätigkeit der Einrichtung in der Pflege bedürftiger Menschen bestehen muss. Dies bemisst sich jedoch einzig nach den tatsächlichen Umständen und nicht nach rechtlichen Maßstäben. Ob die pflegerische Tätigkeit zugleich auch in Erfüllung einer zivilrechtlichen Verpflichtung gegenüber einem Dritten – im Streitfall der G. eG – erfolgt, ist nach dem Wortlaut der Befreiungsvorschrift kein Kriterium der Steuerbefreiung.
45Ein Verständnis dahingehend, dass im Streitfall die G. eG der Empfänger der Pflegeleistungen war, widerspricht zudem der anzuwendenden tätigkeitsbezogenen Betrachtungsweise. Denn indem § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG zunächst nur eine konkrete Tätigkeit der Einrichtung – nämlich eine ambulante Pflegeleistung an kranken und pflegebedürftigen Personen – erfasst und voraussetzt, folgt hieraus zugleich, dass diese Tätigkeit einer zu pflegenden Person zugutekommen muss. Daraus ergibt sich sodann, dass auch nur pflegebedürftige Personen überhaupt Empfänger dieser Pflegeleistung sein können. Die i.S.v. § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG vorausgesetzte Tätigkeit der Einrichtung kann hiernach gegenüber der G. eG schon nicht erfolgen, weil diese keine pflegebedürftige Person darstellt. Die G. eG scheidet als tauglicher Empfänger einer Leistung einer Einrichtung i.S.v. § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG insoweit aus.
46Die Annahme des FA geht auch deshalb fehl, weil sich die von der Klägerin gegenüber der G. eG abgerechneten Pflegeleistungen in der zugrundeliegenden Tätigkeit nicht von jenen Pflegeleistungen unterscheiden, die die Klägerin nicht gegenüber der G. eG abgerechnet hat. Die Klägerin erbringt insoweit identische Leistungen gegenüber den pflegebedürftigen Personen, lediglich der unmittelbare Schuldner der Vergütung ist unterschiedlich. Darauf kommt es aber bei der tätigkeitsbezogenen Betrachtungsweise gerade nicht an, weil nur auf die Tätigkeit der Einrichtung abgestellt und danach unterschieden wird, ob die Leistung von § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG privilegiert sein soll oder nicht.
47(bb) Im Streitfall wurden auch die Pflegekosten für die Erbringung der Pflegeleistungen der Klägerin in mindestens 40% der Fälle je Erhebungszeitraum bzw. Streitjahr ganz oder teilweise von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen. Dass die Klägerin ihre SAPV-Leistungen teilweise gegenüber der G. eG abgerechnet hat, ist für die Gewährung der Steuerbefreiung im Streitfall unschädlich.
48(1) Für die Ermittlung der 40%-Grenze ist von der Anzahl der insgesamt von der Einrichtung der Klägerin gepflegten Personen als je einem Fall auszugehen. Dabei ist nicht zwischen den Pflegebedürftigen dahin zu unterscheiden, ob die Klägerin gegenüber der G. eG oder unmittelbar mit den Sozialversicherungsträgern abgerechnet hat. Denn sämtliche Pflegepersonen wurden von der Klägerin mit ihrer Einrichtung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) EStG gepflegt, sodass es einer Aufteilung der Fälle in zwei Betrachtungsmengen und einer gesonderten Ermittlung der 40%-Grenze je Betrachtungsmenge nicht bedarf.
49Es steht hierzu zwischen den Beteiligten nicht in Streit, dass für mindestens 40% der von der Klägerin tatsächlich gepflegten Personen letztlich ein Träger der Sozialversicherung die Pflegekosten finanziell aufgekommen ist. Für das Gericht besteht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen, zumal anhand der für den Monat Mai 2016 als beispielhaftem Monat vorgelegten Rechnungen und Abrechnungsunterlagen erkennbar ist, dass die Klägerin ihre Pflegeleistungen für die weit überwiegende Anzahl der von ihr gepflegten Personen gegenüber der G. eG in Rechnung gestellt hat und diese in ihren Abrechnungsdokumenten gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ... eine identische Fallzahl angibt. Dass darüber hinaus für die nicht gegenüber der G. eG abgerechneten Pflegeleistungen eine unmittelbare Abrechnung der Klägerin mit den Trägern der Sozialversicherung erfolgt, steht ebenfalls außer Streit.
50Dass keine Zweifel an der ganz überwiegenden Übernahme der Kosten für die Pflegeleistungen der Klägerin durch die Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe angezeigt sind, wird auch durch das Verhältnis zwischen dem Gesamtumsatz der Klägerin und dem aus der Geschäftsbeziehung mit der G. eG stammenden Umsatz in den Jahresabschlüssen der Streitjahre verdeutlicht. Mit rund 82% bzw. 80% in den Jahren 2015 und 2016 sowie rund 91% bzw. 90% in den Jahren 2017 und 2018 bestand die Tätigkeit der Klägerin schwerpunktmäßig in der Pflege von Personen, für die sie ihre Pflegeleistungen gegenüber der G. eG in Rechnung stellte und die diese wiederum weitestgehend an die Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe weiterleitete.
51(2) Einer Kostentragung i.S.v. § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG steht im Streitfall nicht entgegen, dass die von der Klägerin der G. eG in Rechnung gestellten Leistungen von dieser vergütet wurden und es mangels unmittelbarer Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin und den Trägern der Sozialversicherung und Sozialhilfe nicht zu einer unmittelbaren Kostenerstattung durch diese Träger an die Klägerin gekommen ist. Ein solches Unmittelbarkeitserfordernis besteht nicht.
52(a) Dem Gesetzeswortlaut ist weder zu entnehmen, dass eine unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Sozialversicherungsträger bestehen muss, noch dass das Abrechnungsverfahren unmittelbar zwischen Leistungserbringer und Sozialversicherungsträger erfolgen muss. Der Gesetzeswortlaut von § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG setzt lediglich einen spezifischen Leistungserbringer (Einrichtung nach § 71 SGB XI) neben einem spezifischen tatsächlichen Leistungsempfänger (pflegebedürftige Person) und zusätzlich einen quantitativ näher bezifferten Umfang der Kostentragung durch die Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe voraus. Eine solche Kostentragung bedeutet jedoch dem Wortsinn nach schon nur, dass der Sozialversicherungs- bzw. Sozialhilfeträger für die Pflegekosten aufkommen muss, sie also wirtschaftlich und finanziell zulasten eigener Rechnung zu tragen hat. Das Gesetz bringt hiermit aber nicht zum Ausdruck, dass der wirtschaftlichen Belastung des Sozialversicherungsträgers unmittelbar eine wirtschaftliche Besserstellung des die privilegierte Pflegeleistung tatsächlich Erbringenden gegenüberstehen muss. Bedeutsam ist hier alleine, dass die Kosten für die Pflegeleistungen letztlich von der Versichertengemeinschaft übernommen werden und nicht von der pflegebedürftigen Person zu tragen sind.
53(b) Dieses Verständnis folgt auch aus dem Gesetzeszweck der Steuerbefreiungsnorm. Von diesem ist ein Unmittelbarkeitserfordernis dergestalt, dass eine unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen dem spezifischen Leistungserbringer und dem wirtschaftlich belasteten Sozialversicherungsträger bestehen muss, nicht gefordert. Der Zweck der Befreiungsnormen in § 3 Nr. 20 GewStG besteht darin, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (BFH, Urteil vom 22.010.2003 – I R 65/02, BStBl. II 2004, 300). Zur Erreichung des letztgenannten Ziels, nämlich die Aufwendungen für den Sozialversicherungsträger gering zu halten, ist es jedoch unerheblich, ob der Sozialversicherungsträger den die Pflegeleistung tatsächlich Erbringenden vergütet oder ob eine Mittelsperson die Vergütung erhält und diese dann im Innenverhältnis an den die Pflegeleistung tatsächlich Erbringenden weiterleitet. Darüber hinaus lässt sich nach der Rechtsprechung des BFH aus dem Gesetzeszweck ableiten, dass nur diejenigen Erträge von der Steuerbefreiung begünstigt sein sollen, die aus dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung selbst erzielt werden, weil nur insoweit für die Sozialversicherungsträger Kosten entstehen (BFH, Urteil vom 22.06.2011 – I R 43/10, BStBl. II 2011, 892). Wird hiernach ebenfalls die Kostenbelastung des Sozialversicherungsträgers als maßgebliches Abgrenzungskriterium gegenüber nicht privilegierten Leistungen herangezogen, verdeutlicht dies erneut, dass es für die Gewährung der Steuerbefreiung unerheblich ist, wem gegenüber der Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger die Kosten erstattet, solange sie nur für privilegierte Leistungen anfallen.
54(c) Dass für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG eine fehlende unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin, die die Pflegeleistung faktisch erbracht, und dem Sozialversicherungsträger, der zur Kostentragung verpflichtet ist, unschädlich ist, zeigt auch eine vergleichende Betrachtung mit der Rechtsprechung des BFH zu der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 16 Buchst. k) UStG 2009. Hiernach waren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen erbracht werden, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind. Hierzu hat der BFH mit Urteil vom 13.06.2018 (XI R 20/16, BStBl. II 2023, 786 Rn 63 ff.) entschieden, dass eine nur mittelbare Kostentragung durch den Sozialhilfeträger der Steuerbefreiung nicht grundsätzlich entgegensteht. Dies entspricht der jüngeren Rechtsprechung des BFH, wonach zur Gewährung der Umsatzsteuerbefreiung an Subunternehmer (nach verschiedenen Tatbeständen) eine mittelbare oder durchgeleitete Kostentragung ausreicht (BFH, Urteil vom 13.06.2018 – XI R 20/16, BStBl. II 2023, 786 Rn. 71 m.w.N.). Die Finanzverwaltung hat sich der Rechtsprechung für das Umsatzsteuerrecht angeschlossen (BMF-Schreiben vom 12.07.2023, BStBl. I 2023, 1505). Reicht es hiernach für die Steuerbefreiung in § 4 Nr. 16 Buchst. k) UStG 2009 und das dabei vorausgesetzte Merkmal, dass der Sozialversicherungsträger die Leistung „vergütet“ hat, aus, wenn der Leistungserbringer die Vergütung nicht unmittelbar von dem Sozialversicherungsträger erhält, ist dies für die Gewährung der Steuerbefreiung in § 3 Nr. 20 Buchst. d) im Streitfall nicht anders zu sehen. Denn ein sachlicher Grund für eine strengere Handhabung der Gewerbesteuerbefreiung gegenüber der Umsatzsteuerbefreiung ist nicht erkennbar.
55(d) Gegen ein Unmittelbarkeitserfordernis bei der Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin als Pflegeleistungserbringer und den Trägern der Sozialversicherung und Sozialhilfe spricht auch § 13 Abs. 1 und 2 SGB V. Hiernach darf eine Krankenkasse in Abweichung von dem grundsätzlich im SGB V herrschenden Sachleistungsprinzip (§ 2 Abs. 2 SGB V) anstelle der zu erbringenden Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit dies durch das SGB V oder das SGB IX vorgesehen ist (§ 13 Abs. 1 SGB V). Versicherten steht es unter näher bezeichneten Bedingungen frei, anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung durch die Krankenkasse zu wählen, wenn sie die Sach- oder Dienstleistung durch den Leistungserbringer zunächst selbst beschaffen (§ 13 Abs. 2 SGB V). Sieht das Sozialversicherungsrecht hiernach bereits selbst konzeptionell einen vom herkömmlichen Sachleistungsprinzip abweichenden Modus der Leistungsabwicklung und -abrechnung in Gestalt eines Erstattungsverfahrens vor, führte die von dem FA vertretene Auffassung eines Unmittelbarkeitserfordernisses zu dem Ergebnis, dass in diesen Fällen der Kostenerstattung die vom Leistungserbringer erbrachte Leistung nicht von der Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG erfasst wäre. In der Folge wäre bei Pflegebedürftigen, die die Pflegeleistung zunächst selbst beauftragen, diese zahlen und sodann eine Kostenerstattung gegenüber der Pflegekasse erfolgreich geltend machen, eine Gewerbesteuerbefreiung für die Pflegeleistungen mangels einer unmittelbaren Rechtsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Sozialversicherungsträger ausgeschlossen. Erfolgte die Pflege der pflegebedürftigen Person jedoch dem Sachleistungsprinzip folgend, wäre die identische Pflegeleistung von der Gewerbesteuer befreit. Für eine solche Differenzierung ist kein sachlicher Grund erkennbar. Auch für den Leistungserbringer wäre dabei – obwohl er die identische Leistung wie bei einer Leistungserbringung mit unmittelbarer Abrechnung gegenüber dem Sozialversicherungsträger erbringt – nicht erkennbar, ob die Leistung von § 3 Nr. 20 Buchst. d) GewStG erfasst ist. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu dem gesetzlichen Zweck der Steuerbefreiungsnorm, die Kosten für die Sozialversicherungsträger zu reduzieren.
562. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
573. Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO.