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Das Verfahren wird ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung zu folgenden Fragen ersucht:
1. Ist Artikel 3i Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. EU L 229/1) in der Fassung der Verordnung (EU) 2022/576 des Rates vom 8. April 2022 (ABl. EU L 111/1) dahingehend auszulegen, dass das Verbot der Einfuhr oder des Verbringens der in Anhang XXI aufgeführten Güter nur dann gilt, wenn festgestellt werden kann, dass die betreffende Ware Russland erhebliche Einnahmen erbringt und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren?
2. Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage zu verneinen ist: Ist Artikel 3i Absatz 3ad der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. EU L 229/1) in der Fassung der Verordnung (EU) 2023/2878 des Rates vom 18. Dezember 2023 (ABl. L, 2023/2878, 18.12.2023) dahingehend auszulegen, dass die danach gestattete Zulassung eines Fahrzeugs, das sich am 19. Dezember 2023 im Gebiet der Union befunden hat, auch für ein Kraftfahrzeug gilt, das nicht unter Artikel 3i Absatz 3ab oder 3ac der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 fällt und dessen Einfuhr oder dessen Verbringen in die Union nach Artikel 3i Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verboten ist und die zuständige Zollbehörde trotz dieses Verbots die Sicherstellung des betreffenden Fahrzeugs aufheben muss?
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe
2I.
31. Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Q.. Er erwarb am 27. Januar 2023 in Russland einen gebrauchten Personenkraftwagen der Marke Mercedes von einem russischen Staatsangehörigen für einen Kaufpreis von 5.000.000 russische Rubel. Das Fahrzeug wurde in Russland am 0. Februar 2023 auf den Kläger als Halter zugelassen. Er fuhr mit dem Fahrzeug am 11. Mai 2023 zunächst nach Polen. Von dort wurde das Fahrzeug auf einem Anhänger ohne Kennzeichen nach Deutschland befördert, wo es noch im Mai am Wohnort des Klägers in Q. eintraf.
2. Der Kläger meldete das Fahrzeug am 28. August 2023 beim beklagten Hauptzollamt mit einem Zollwert von 50.390,71 Euro zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an. Das beklagte Hauptzollamt stellte das Fahrzeug mit Verfügung vom 28. August 2023 sicher und erklärte die Zollanmeldung für ungültig, weil die Einfuhr des Fahrzeugs nach Artikel 3i Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. EU L 229/1), in der Fassung der Verordnung (EU) 2023/427 des Rates vom 25. Februar 2023 (ABl. EU L 59 I/6) (VO Nr. 833/2014), verboten sei.
3. Mit seinem gegen die Sicherstellung des Fahrzeugs gerichteten Einspruch trug der Kläger vor: Die Voraussetzungen des Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 seien nicht erfüllt. Bei der Prüfung der Frage, ob Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 einer Einfuhr oder einem Verbringen des Fahrzeugs in die Europäische Union entgegenstehe, müsse auch geprüft werden, ob die betreffende Ware Russland erhebliche Einnahmen erbringe und dadurch ermögliche, die Lage in der Ukraine zu destabilisieren. Der Kauf des Fahrzeugs von einer Privatperson habe dem russischen Staat keine Einnahmen erbracht, die es ihm ermöglicht hätten, die Lage in der Ukraine zu destabilisieren. Der Verkäufer habe von dem erhaltenen Kaufpreis keine Steuern zahlen müssen. Die Höhe des Kaufpreises sei im Verhältnis zu den russischen Kriegskosten auch nicht erheblich. Im Übrigen sei nach dem durch die Verordnung (EU) 2023/2878 des Rates vom 18. Dezember 2023 (ABl. L, 2023/2878, 18.12.2023) eingefügten Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 mittlerweile eine Zulassung des Fahrzeugs möglich, weil es sich bereits vor dem 19. Dezember 2023 im Gebiet der Union befunden habe.
4. Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 5. April 2023 als unbegründet zurück und führte aus: Die Einfuhr und das Verbringen des Fahrzeugs in die Union seien nach Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 verboten. Da das Fahrzeug der Position 8703 der Kombinierten Nomenklatur (KN) in Anhang XXI zur VO Nr. 833/2014 aufgeführt sei, sei nicht mehr zu prüfen, ob es Russland erhebliche Einnahmen erbringe und dadurch ermögliche, die Lage in der Ukraine zu destabilisieren. Hierfür sprächen die Ausnahmeregelungen in Artikel 3i Absatz 3a und 3ab VO Nr. 833/2014, die Waren beträfen, die zum persönlichen Gebrauch von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten erforderlich seien. Auf Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Diese Regelung betreffe nicht das Verbot der Einfuhr oder des Verbringens in Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014. Darüber hinaus beziehe sich die in Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 genannte Zulassung nur auf Fahrzeuge, die sich aus einem anderen Grund zulässigerweise im Gebiet der Union befunden hätten.
5. Der Kläger trägt mit seiner gegen die Sicherstellungsverfügung gerichteten Klage vor: Das Fahrzeug habe sich am 19. Dezember 2023 im Gebiet der Union befunden, so dass es nach Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 zugelassen werden könne. Die danach gestattete Zulassung des Fahrzeugs setze voraus, dass das beklagte Hauptzollamt die Sicherstellung aufhebe und seiner Zollanmeldung entspreche. Da das Fahrzeug offenkundig nicht zum Verkauf bestimmt sei, wie dies Artikel 3i Absatz 3aa VO Nr. 833/2014 erfordere, stehe ein etwaiges Verbot nach Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 seiner Zulassung gemäß Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 nicht entgegen. Diese Regelung beziehe sich nicht nur auf die in Artikel 3i Absatz 3ab und 3ac VO Nr. 833/2014 genannten Kraftfahrzeuge. Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 gelte zudem nicht nur für Fahrzeuge, die sich zulässigerweise am 19. Dezember 2023 im Gebiet der Union befunden hätten.
6. Jedenfalls seien die Einfuhr und das Verbringen des Fahrzeugs in die Union nicht nach Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 verboten. Das Fahrzeug erbringe Russland keine erheblichen Einnahmen und ermögliche Russland nicht, die Lage in der Ukraine zu destabilisieren. Auf die Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals dürfe nach dem Wortlaut der Bestimmung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verzichtet werden.
7. Das beklagte Hauptzollamt trägt vor: Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg auf Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 berufen, weil diese Bestimmung das Verbot des Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 unberührt lasse und die Zollbehörde nicht für die Zulassung von Kraftfahrzeugen zuständig sei. Die Regelung des Artikel 3i Absatz 3aa VO Nr. 833/2014 habe im Zeitpunkt der Sicherstellung noch nicht gegolten und beziehe sich nicht auf Kraftfahrzeuge. Im Übrigen sei die Sicherstellung des Fahrzeugs nicht unverhältnismäßig.
II.
188. Für die Entscheidung über die Vorlagefragen ist folgende Bestimmung des deutschen Zollverwaltungsgesetzes (ZollVG) vom 21. Dezember 1992 (Bundesgesetzblatt 1992 Teil I, Seite 2125; 1993 Teil I, Seite 2493), zuletzt geändert durch Artikel 6 Absatz 6 des Gesetzes vom 5. Juli 2021 (Bundesgesetzblatt 2021 Teil I, Seite 2274), von Bedeutung:
9. § 13 Verwertung von Waren
(1) Soweit im Zollkodex der Union und in sonstigen unionsrechtlichen Vorschriften geregelt ist, dass Waren durch die Zollbehörden veräußert werden können, können sie durch Wegnahme oder Verfügungsverbot zollamtlich sichergestellt werden…
23(2) Im Rahmen des Artikels 197 des Zollkodex der Union können vorübergehend verwahrte Waren durch die Zollbehörden veräußert werden, wenn ihnen Verderb oder eine wesentliche Minderung ihres Wertes droht oder ihre Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung unverhältnismäßig viel kostet oder unverhältnismäßig schwierig ist. Absatz 1 ist anzuwenden.
24(3) Waren, die nach den Absätzen 1 oder 2 nicht veräußert werden können, können vernichtet werden.
25III.
2610. Der Senat setzt das Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor formulierten Fragen zur Vorabentscheidung vor.
11. Die Entscheidung über die Klage hängt zunächst davon ab, ob Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 dahingehend auszulegen ist, dass das Verbot der Einfuhr oder des Verbringens der in Anhang XXI aufgeführten Güter nur dann gilt, wenn festgestellt werden kann, dass die betreffende Ware Russland erhebliche Einnahmen erbringt und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren.
12. Gemäß § 13 Absatz 1 Satz 1 ZollVG können Waren durch eine Wegnahme oder ein Verfügungsverbot zollamtlich sichergestellt werden, soweit im Zollkodex der Union und in sonstigen unionsrechtlichen Vorschriften geregelt ist, dass Waren durch die Zollbehörden veräußert werden können. Nach Artikel 198 Absatz 1 Buchstabe b Ziff. iv der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. EU L 269/1) können die Zollbehörden Waren einziehen und veräußern, wenn diese Verboten oder Beschränkungen unterliegen.
13. Im Streitfall stellt sich die Frage, ob der Einfuhr oder dem Verbringen des vom Kläger zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldeten Kraftfahrzeugs der Position 8703 KN, das unter Anhang XXI der VO Nr. 833/2014 fällt, das Verbot des Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 entgegensteht. Der Senat hat Zweifel an der Auslegung des Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014. Legt man diese Bestimmung dahingehend aus, dass es für das Eingreifen des Verbots ausreicht, dass die betreffende Ware in Anhang XXI aufgeführt ist und ihren Ursprung in Russland hat oder aus Russland ausgeführt worden ist, käme der Liste der Güter und Technologien gemäß Artikel 3i in Anhang XXI zur VO Nr. 833/2014 die Bedeutung einer unwiderlegbaren Vermutung zu. Dann käme es nicht mehr darauf an, ob die betreffende Ware Russland tatsächlich erhebliche Einnahmen erbringt und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren.
14. Dem Wortlaut des Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 in verschiedenen Sprachfassungen lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob bei der Anwendung der Regelung auf die Prüfung der Frage verzichtet werden kann, ob die betreffende Ware Russland erhebliche Einnahmen erbringt und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren. In der niederländischen („de in bijlage XXI vermelde goederen die…“) und deutschen Fassung („die in Anhang XXI aufgeführten Güter, die…“) der Bestimmung schließt sich dieses Tatbestandsmerkmal unmittelbar an die Nennung der in Anhang XXI aufgeführten Güter an. Das könnte dafür sprechen, dass es für die Anwendung des Verbots nicht ausreicht, dass die betreffende Ware in Anhang XXI aufgeführt ist und ihren Ursprung in Russland hat oder aus Russland ausgeführt worden ist. Hiergegen könnten die englische („as listed in Annex XXI“), französische („tels qu’énumérés à l’annexe XXI“), spanische („enumerados en el anexo XXI“), italienische („elencati nell’allegato XXI“) und portugiesische („tal como enumeradas no anexo XXI“) Fassungen der Regelung sprechen. Diese Sprachfassungen könnten die Annahme nahelegen, dass es für das Eingreifen des Verbots ausreicht, dass die betreffende Ware in Anhang XXI aufgeführt ist und ihren Ursprung in Russland hat oder aus Russland ausgeführt worden ist.
15. Eine solche Auslegung der Vorschrift könnte ihre Anwendung durch die Zollbehörden und Gerichte der Mitgliedstaaten wesentlich erleichtern, weil in vielen Fällen nicht zuverlässig festzustellen sein dürfte, ob die betreffende Ware Russland erhebliche Einnahmen erbringt und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren. Hierfür könnten auch die verschiedenen in Anhang XXI aufgeführten Waren sprechen, die beispielsweise zubereitete Haarbehandlungsmittel der Position 3305 KN sowie Zahn- und Mundpflegemittel der Position 3306 KN umfassen.
16. Der systematische Zusammenhang des Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 im Vergleich mit den anderen Regelungen dieses Artikels dürfte keine eindeutigen Hinweise für die Auslegung der Bestimmung geben. Die Regelungen in Artikel 3i Absatz 3aa und 3ab VO Nr. 833/2014 könnten zwar die Annahme nahelegen, dass nach Auffassung des Rates offenbar auch nicht zum Verkauf bestimmte persönliche Gegenstände sowie ausschließlich zum persönlichen Gebrauch bestimmte Kraftfahrzeuge unter das Verbot des Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 fallen können. Bei derartigen Gegenständen und Kraftfahrzeugen dürfte es nicht ohne weiteres vorstellbar sein, dass sie Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch Handlungen Russlands ermöglichen könnten, die Lage in der Ukraine zu destabilisieren. Allerdings sind die Regelungen des Artikel 3i Absatz 3aa und 3ab VO Nr. 833/2014 erst mit Wirkung ab dem 19. Dezember 2023 durch Artikel 1 Nummer 10 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2023/2878 des Rates vom 18. Dezember 2023 (ABl. L, 2023/2878, 18.12.2023) eingefügt worden. Dies spricht dafür, dass die Bestimmungen des Artikel 3i Absatz 3aa und Absatz 3ab VO Nr. 833/2014 im Streitfall, in dem die Einfuhr des Fahrzeugs des Klägers bereits im Mai 2023 stattfand, noch nicht zur Auslegung herangezogen werden dürfen (in diesem Sinne EuGH, Urteile vom 7. Juni 2001, C-479/99, ECLI:EU:C:2001:317 Randnr. 31; vom 16. Dezember 2010, C-339/09, ECLI:EU:C:2010:781 Randnr. 27).
17. Die Entstehungsgeschichte des Artikel 3i Absatz VO Nr. 833/2014 könnte dafür sprechen, dass es dem Rat bei der Einführung des Verbots nicht darauf ankam, dass im Einzelfall konkret festzustellen ist, dass eine in Anhang XXI aufgeführte Ware Russland tatsächlich erhebliche Einnahmen erbringt und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht werden, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren. Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 ist durch Artikel 1 Nummer 13 der Verordnung (EU) 2022/576 des Rates vom 8. April 2022 (ABl. EU L 111/1) eingefügt worden. Dem lag der Beschluss (GASP) 2022/578 des Rates vom 8. April 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L 111/70), zugrunde. Nach dem 5. und 6. Erwägungsgrund zu dem Beschluss (GASP) 2022/578 sollten unter anderem rasch weitere koordinierte Sanktionen und restriktive Maßnahmen gegen Russland und Belarus verhängt werden, um die russischen Möglichkeiten zur Fortsetzung der Aggression wirksam zu vereiteln. Zu diesem Zweck sollten zusätzliche Einfuhrbeschränkungen für bestimmte von Russland ausgeführte oder aus Russland stammende Güter eingeführt werden (6. Erwägungsgrund Satz 7 zum Beschluss (GASP) 2022/578). Dies könnte die Annahme nahelegen, dass der Rat der Formulierung „Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen“, die teilweise der Überschrift der Verordnung entnommen wurde, nicht die Bedeutung eines selbständig zu prüfenden Tatbestandmerkmals beimessen wollte.
18. Andererseits könnte es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nahelegen, Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 so auszulegen, dass nicht auf die Prüfung der Frage verzichtet werden darf, ob die betreffende Ware Russland erhebliche Einnahmen erbringt und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren.
19. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört und in Artikel 5 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union verankert ist, verlangt, dass die von einer Bestimmung des Unionsrechts eingesetzten Mittel zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über das zum Erreichen dieser Ziele Erforderliche hinausgehen (EuGH, Urteile vom 5. Juni 2007 C-170/04, ECLI:EU:C:2007:313 Randnr. 50; vom 15. November 2012 C-539/10 P und C-550/10 P, ECLI:EU:C:2012:711 Randnr. 122).
20. Es könnte zweifelhaft sein, ob das Verbot der Einfuhr eines von einer Privatperson in Russland erworbenen Personenkraftwagens durch eine Privatperson geeignet und erforderlich ist, um die russischen Möglichkeiten zur Fortsetzung seiner Aggression gegenüber der Ukraine wirksam zu vereiteln (in diesem Sinne: Gericht der Europäischen Union, Urteil vom 20. Dezember 2023 T-233/22, ECLI:EU:T:2023:828 Randnr. 50 ff.). Es ist im Streitfall auch nicht ersichtlich, inwiefern der Verkauf des fraglichen Fahrzeugs in Russland an den Kläger und dessen spätere Einfuhr in die Union Russland erhebliche Einnahmen erbracht und dadurch Handlungen Russlands ermöglicht haben könnte, welche die Lage in der Ukraine destabilisieren. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass der Verkäufer von dem erhaltenen Kaufpreis keine Steuern habe zahlen müssen.
21. Falls die erste Vorlagefrage zu verneinen sein sollte, stellt sich die Frage, ob Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 dahingehend auszulegen ist, dass die danach gestattete Zulassung eines Fahrzeugs, das sich am 19. Dezember 2023 im Gebiet der Union befunden hat, auch für ein Kraftfahrzeug gilt, das nicht unter Artikel 3i Absatz 3ab oder 3ac VO Nr. 833/2014 fällt und dessen Einfuhr oder dessen Verbringen in die Union nach Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 verboten ist und die zuständige Zollbehörde trotz dieses Verbots die Sicherstellung des betreffenden Fahrzeugs aufheben muss.
22. Obgleich Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 erst durch Artikel 1 Nummer 10 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2023/2878 des Rates vom 18. Dezember 2023 (ABl. L, 2023/2878, 18.12.2023) mit Wirkung ab dem 19. Dezember 2023 eingefügt worden ist, dürfte diese Bestimmung im Streitfall grundsätzlich anwendbar sein. Es dürfte sich um eine Verfahrensbestimmung handeln, die lediglich voraussetzt, dass sich das betreffende Fahrzeug am 19. Dezember 2023 bereits im Gebiet der Union befand.
23. Allerdings ist zweifelhaft, ob eine Anwendung des Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis führen könnte, dass das beklagte Hauptzollamt für eine danach mögliche Zulassung des Fahrzeugs dessen Sicherstellung aufheben müsste. Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 bestimmt lediglich, dass das Verbot des Artikels 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 nicht der Zulassung eines Fahrzeugs, das sich am 19. Dezember 2023 bereits im Gebiet der Union befunden hat, in einem Mitgliedstaat entgegenstehen soll. Die Regelung des Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 dürfte das etwaige Bestehen eines Verbots nach Artikel 3i Absatz 1 VO Nr. 833/2014 und die daran anknüpfende Befugnis der Zollbehörde zur Sicherstellung eines Kraftfahrzeugs unberührt lassen.
24. Die vorstehenden Ausführungen scheinen zudem die Annahme nahezulegen, dass Artikel 3i Absatz 3ad VO Nr. 833/2014 nur für die Fälle des Artikel 3i Absatz 3ab und 3ac VO Nr. 833/2014 gilt, die gleichfalls durch Artikel 1 Nummer 10 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2023/2878 des Rates vom 18. Dezember 2023 (ABl. EU L 2878/1) eingefügt worden sind. Hierfür spricht zudem der 9. Erwägungsgrund Satz 2 und 3 zu der Verordnung (EU) 2023/2878, nach dem die Mitgliedstaaten offenbar nur für die Fälle des Artikel 3i Absatz 3ab und 3ac VO Nr. 833/2014 befugt sein sollen, die Situation von Fahrzeugen aus Russland, die sich bereits im Gebiet der Union befinden, zu regeln.