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Der Bescheid vom 17.11.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.3.2022 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass für eine zusätzliche Strommenge von 10.905,900 MWh die Entlastung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG zu gewähren ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 8 % und der Beklagte zu 92 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über den Umfang der der Klägerin zu gewährenden Entlastung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Stromsteuergesetzes (StromStG).
3Die Klägerin betreibt in B. eine Müllverbrennungsanlage. Der dort durch die Verbrennung des Abfalls erzeugte Dampf wird in ein Fernwärmenetz eingespeist. Nach dem Anbau einer Dampfturbine ... nutzt die Klägerin den in der Müllverbrennungsanlage erzeugten Dampf auch für die Erzeugung von Strom. Der Strom wird überwiegend für den Betrieb der Müllverbrennungsanlage verwendet. Überschüssige Mengen des erzeugten Stroms leistet die Klägerin an die S. GmbH. Zusätzlich für den Betrieb der Müllverbrennungsanlage erforderliche Strommengen bezieht die Klägerin von der Y. AG.
4Die auf dem Betriebsgelände angelieferten Abfälle werden zunächst gewogen und alsdann über vorgesehene Abkippstellen in ein Müllbett gekippt. Von dort gelangt der Abfall über einen Müllbettschieber in einen Müllbunker, wo er unter Einsatz eines Krans vermischt wird. Die Durchmischung des Abfalls stellt einen gleichmäßigen Heizwert und dadurch eine konstante Dampferzeugung sicher. Die vermischten Abfälle werden unter Einsatz von zwei Brückenkränen den drei Verbrennungslinien zugeführt. Dort werden die Abfälle auf sechs hintereinander angeordneten Walzen verbrannt. Die für die Verbrennung des Abfalls erforderliche Luft wird mit einem Gebläse aus dem Müllbunker abgezogen und unter den sechs Walzen verteilt. Die bei der Verbrennung entstehenden heißen Rauchgase werden in einem nachgeschalteten dreizügigen Kessel von etwa 900 bis 1.100 Grad Celsius auf etwa 320 Grad Celsius abgekühlt. Ein Teil des hierbei entstehenden Dampfes wird vor der Zuführung zur Turbine zur Fernwärmeversorgung ausgekoppelt. Der übrige Dampf wird der Dampfturbine zugeführt und dort von etwa 15 bar auf etwa 0,3 bar entspannt. Die Temperatur des Dampfes sinkt von etwa 198 Grad Celsius auf 69 Grad Celsius. Der Dampf wird anschließend in einem luftgekühlten Kondensator kondensiert und sodann den Kesseln als sogenanntes Speisewasser wieder zur Verfügung gestellt. Das Kondensat wird im dampfbeheizten Speisewasserbehälter vorgewärmt, so dass es über eine weitere Vorwärmstufe den Kesseln wieder zugeführt werden kann. Die durch die Verbrennung der Abfälle entstandenen Rauchgase werden in einer Rauchgasreinigungsanlage gereinigt und an die Außenluft abgeführt.
5Der Beklagte erteilte der Klägerin mit Verfügung vom 8.11.2018 mit Rückwirkung zum 15.12.2017 die Erlaubnis, Strom als Versorgerin leisten zu dürfen sowie nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerbefreiten Strom zur Stromerzeugung entnehmen zu dürfen.
6Die Klägerin gab am 27.5.2019 eine das Kalenderjahr 2018 betreffende Stromsteueranmeldung ab, in der sie eine Menge von 4.608,093 MWh zum Regelsteuersatz in Höhe von ... € zu versteuernden Strom angab. Ferner gab sie eine Menge von 13.352,027 MWh zur Stromerzeugung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG entnommenen Strom und eine Menge von 4,240 MWh in einer Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage erzeugten und zum Selbstverbrauch entnommenen Strom (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG) an. Sie teilte hierzu mit, es sei bei der Berechnung bereits berücksichtigt worden, dass 21,08 % des erzeugten Dampfes nicht an der Stromerzeugung teilnähmen, da die Wärme insoweit unmittelbar in das Fernwärmenetz eingespeist werde.
7Der Beklagte stellte sich unter Bezugnahme auf eine die Kalenderjahre 2014 bis 2016 betreffende Außenprüfung auf den Standpunkt, dass die Klägerin im Kalenderjahr 2018 nur 8 % des insgesamt in diesem Jahr erzeugten Stroms von 17.960,120 MWh, mithin nur 1.436,810 MWh zur Stromerzeugung steuerfrei nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG entnommen habe. Er setzte deshalb abweichend von der Steueranmeldung der Klägerin die Stromsteuer gegen diese mit Bescheid vom 18.7.2019 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf ... € fest.
8Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch übersandte die Klägerin einen Bericht der N. GmbH (N. GmbH) zur Erfassung des Stroms zur Stromerzeugung in der Müllverbrennungsanlage und trug vor: Aus dem von ihr übersandten Bericht der N. GmbH ergebe sich, dass die überwiegende Menge des in der Müllverbrennungsanlage verbrauchten Stroms zur Stromerzeugung entnommen worden sei. In dem Bericht seien alle Anlagenbestandteile, die im Zusammenhang mit der Stromerzeugung stünden und dafür betriebsnotwendig seien, aufgeführt und messtechnisch erfasst worden. Sämtliche Anlagenbestandteile im Bereich der Brennstoffversorgung, der Wasseraufbereitung und der Rauchgasreinigung seien für die Erzeugung des Stroms betriebsnotwendig. Diese Anlagenbestandteile seien am Wasser-Dampf-Kreislauf beteiligt. Der Begriff der Anlagen zur Brennstoffversorgung sei weit auszulegen. Dementsprechend sei der Verbrauch des Stroms durch den Müllkran sowie die Kesselbefeuerung erforderlich, um die Stromerzeugungsanlage mit dem Brennstoff zu versorgen. Die Anlagenbestandteile müssten nicht ausschließlich der Stromerzeugung dienen. Nicht entscheidend könne es sein, ob die Erzeugung des Stroms Haupt- oder Nebenzweck für die Entnahme des Stroms sei. Es widerspreche der obligatorischen Steuerbefreiung des Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Energiesteuerrichtlinie – EnergieStRL –), die Steuerbefreiung nur in Höhe von 8 % des gesamten in der Müllverbrennungsanlage verbrauchten Stroms zu gewähren. Die Regelung sei weit auszulegen. Nach ihr komme es gleichfalls nicht darauf an, ob die Verwendung des Stroms zur Stromerzeugung ihr Haupt- oder Nebenzweck sei.
9Die Klägerin gab am 4.3.2020 eine berichtigte Steueranmeldung ab, in der sie eine in Höhe von ... € zum Regelsteuersatz zu versteuernde Menge von 16.732,077 MWh Strom angab. In der Steueranmeldung gab sie ferner eine Menge von 13.352,027 MWh Strom an, der selbst erzeugt und zur Stromerzeugung entnommen worden sei, ohne hierfür einen Steuerbetrag abzuziehen.
10Prüferinnen des Hauptzollamts E. führten bei der Klägerin eine das Kalenderjahr 2018 betreffende Außenprüfung durch. Die Prüferinnen vertraten in ihrem Bericht vom 27.4.2021 unter Rn. 3.2.3 die Auffassung, dass 8,29 %, d.h. 1.488,894 MWh des insgesamt im Jahr 2018 in der Müllverbrennungsanlage verbrauchten Stroms von 17.960,120 MWh steuerfrei zur Stromerzeugung entnommen worden sei. Der Hauptzweck der Verwendung des Stroms habe in der Verbrennung der Abfälle bestanden. Die Nutzung des durch die Verbrennung erzeugten Dampfes für die Bereiche der Fernwärme- und Stromerzeugung seien nur Nebenzwecke gewesen. Soweit Strom sowohl für die Erzeugung von Fernwärme als auch für die Erzeugung von Strom entnommen worden sei, seien die entsprechenden Mengen aufzuteilen. Soweit Strom nur zur Erzeugung von Strom entnommen worden sei, seien die entsprechenden Mengen nur diesem Nebenzweck zuzuordnen. Der Ansicht der Klägerin, dass 92,58 % des gesamten in der Müllverbrennungsanlage verbrauchten Stroms als zur Stromerzeugung entnommen anzusehen sei, könne nicht gefolgt werden. Wegen der Einzelheiten der Berechnung der von den Prüferinnen als steuerfrei angesehenen Menge von 1.488,894 MWh wird auf die Anlage 4 zum Prüfungsbericht (Bl. 100 Steuerakte) Bezug genommen.
11Die Klägerin trug nach der Übersendung des Prüfungsberichts vor: Für die Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG komme es nicht darauf an, ob die betreffende Anlage schwerpunktmäßig der Stromerzeugung diene. Der Umstand, dass die Dampfturbine erst im Jahr 2014 nachträglich angebaut worden sei, stehe der Annahme, dass der Strom überwiegend zur Stromerzeugung entnommen worden sei, nicht entgegen. Die Erzeugung des Stroms sei auch nicht nur ein zufälliger Nebenzweck. Vielmehr diene die Erzeugung des Stroms der Deckung des Bedarfs an Strom der Müllverbrennungsanlage. Würde der für die Anlage erforderliche Strom anderweit in einem Kohlekraftwerk erzeugt, wäre der hierfür entnommene Strom steuerfrei. Die von den Prüferinnen vorgenommene Aufteilung in einen Haupt- und einen vermeintlich zufälligen Nebenzweck verkenne den untrennbaren Zusammenhang zwischen der thermischen Abfallbehandlung und der Stromerzeugung und führe zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung verschiedener Stromerzeugungsprozesse. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien solche Hilfs- und Nebenanlagen in die Begünstigung einzubeziehen, ohne die eine Stromerzeugungsanlage nicht betrieben werden könne. In ihrem Fall stünden der gesamte Verbrennungs- und der damit verbundene Stromerzeugungsprozess in einem untrennbaren Zusammenhang. Soweit der BFH zudem auf einen rechtlichen Zusammenhang abstelle, sei auch dieser wegen der genehmigungsrechtlichen Verbundenheit gegeben.
12Mit einem auf § 164 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten Bescheid vom 17.11.2021 setzte der Beklagte die Stromsteuer für eine Menge von 16.679,996 MWh auf ... € neu fest. Dabei beließ er, dem Prüfungsbericht vom 27.4.2021 folgend, eine Menge von 1.488,894 MWh Strom nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerfrei.
13Der Beklagte wies den Einspruch der Klägerin mit Entscheidung vom 14.3.2022 als unbegründet zurück und führte aus: Für die Frage, ob die Steuerbefreiung angewendet werden dürfe, komme es auf den Zweck der Verwendung des Stroms an. Strom sei daher nur soweit von der Steuer befreit, als er zur eigentlichen Stromerzeugung entnommen werde. Eine Müllverbrennungsanlage, in der Dampf durch die Verbrennung von Abfällen erzeugt werde, der zur Stromerzeugung verwendet werde, sei dem Grunde nach (auch) eine Stromerzeugungsanlage. Im Streitfall habe der entnommene Strom jedoch überwiegend dazu gedient, den Bedarf der Müllverbrennungsanlage zu decken und die Abfälle zu entsorgen. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin sei die Entsorgung von Abfällen. Für den angenommenen Abfall sei an die Klägerin eine Abfallgebühr zu entrichten, so dass Brennstoffe nicht gekauft werden müssten. Demgemäß weise die Klägerin in ihrem Jahresabschluss für das Kalenderjahr 2018 keine Umsätze aus der Veräußerung des erzeugten Stroms aus. Der durchschnittliche Selbstverbrauch von Kraftwerken in Deutschland betrage 6 % der Bruttostromerzeugung. Die Besteuerung führe nicht zu einer Benachteiligung der von der Klägerin betriebenen Anlage im Vergleich zu anderen Stromerzeugungsanlagen. Vielmehr sei die zur Stromerzeugung entnommene Menge Strom unter Berücksichtigung der aktuellen Verhältnisse steuerfrei belassen worden. Würde man die gesamte Anlage nach der Erweiterung im Jahr 2014 als Stromerzeugungseinheit ansehen, würde dies zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung der Klägerin führen. Mengen an Strom, die ursprünglich vollständig steuerpflichtig gewesen seien, würden auf Grund der im Jahr 2014 vorgenommenen Aufnahme der Stromerzeugung weitgehend von der Steuer freigestellt, obwohl sich am eigentlichen Zweck der Anlage nichts geändert habe. Die Stromerzeugung in der Anlage der Klägerin diene als Nebenzweck dem Hauptzweck der Abfallbeseitigung. Soweit die Klägerin geltend mache, dass bei einer externen Stromerzeugung die Mengen des zur Stromerzeugung entnommenen Stroms nicht bei ihr, sondern an anderer Stelle steuerfrei gestellt werden müssten, gebe es für eine solche bilanzierende Betrachtungsweise keine verbrauchsteuerrechtliche Grundlage.
14Hiergegen hat die Klägerin am 13.4.2022 Klage erhoben, mit der sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Sie macht ergänzend u.a. geltend: Zwar dienten einzelne Verbraucher der Fernwärmeversorgung, insoweit handele es sich aber um Prozesse, die zugleich untrennbar mit der Stromerzeugung verbunden und daher nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) entlastungsfähig seien. Soweit in ihrer ursprünglichen Berechnung der begünstigungsfähigen Strommenge die Gesamtstrommenge um 5,80 % reduziert worden sei, beruhe dies auf einer ohne Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem Bericht der N. GmbH vorgenommenen Schätzung der nicht begünstigungsfähigen Stromverbräuche in Verwaltungs-, Werkstatt- und Sozialräumen.
15Die Klägerin beantragt,
16den Steuerbescheid vom 17.11.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.3.2022 aufzuheben, soweit noch für eine Menge von 11.863,133 MWh Strom Steuer festgesetzt worden ist.
17Der Beklagte beantragt,
181. die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung.
22Entscheidungsgründe:
23Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid ist nur im tenorierten Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin nur insoweit in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
24Rechtsgrundlage für die Änderung der Steuerfestsetzung durch den Bescheid vom 17.11.2021, der gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO Gegenstand des Einspruchs- und damit des Klageverfahrens geworden ist, ist § 164 Abs. 2 Satz 1 AO. Die Festsetzung erweist sich insoweit als rechtswidrig, als der Beklagte die Menge des nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG von der Steuer befreiten Stroms mit 1.488,894 MWh statt mit 12.394,794 MWh angesetzt hat.
25Die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte der Klägerin erst mit Verfügung vom 8.11.2018 mit Rückwirkung zum 15.12.2017 die Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 StromStG erteilt hat, nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerbefreiten Strom zur Stromerzeugung entnehmen zu dürfen. Der BFH hat zwar die Auffassung vertreten, dass eine derartige stromsteuerrechtliche Erlaubnis nicht rückwirkend erteilt werden dürfe (BFH, Beschluss v. 9.8.2006 – VII E 18/05, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2006, 2135, Rn. 7; BFH, Beschluss v. 13.11.2007 – VII B 112/07, BFH/NV 2008, 409, Rn. 5 f.). Der Beklagte hat der Klägerin indessen gleichwohl rückwirkend eine Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 Satz 1 StromStG erteilt. Daher ist gemäß § 124 Abs. 2 AO von der Erteilung der Erlaubnis für das gesamte Kalenderjahr 2018 auszugehen.
26Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG ist Strom von der Steuer befreit, der zur Stromerzeugung entnommen wird. Die Vorschrift beruht auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 EnergieStRL. Diese Bestimmung darf nicht weit ausgelegt werden, weil andernfalls der durch die Richtlinie eingeführten harmonisierten Besteuerung jede praktische Wirksamkeit genommen würde (vgl. EuGH, Urteil v. 7.3.2018 – C-31/17, Cristal Union, Rn. 25; Urteil v. 9.3.2023 – C-571/21, RWE Power, Rn. 30). Daher ist § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Steuerbefreiung nur für solchen Strom zu gewähren ist, der zur eigentlichen Stromerzeugung entnommen wird (vgl. BFH, Urteil v. 13.12.2011 – VII R 73/10, BFH/NV 2012, 661, Rn. 8 f.; BFH, Urteil v. 30.4.2019 – VII R 10/18, BFH/NV 2019, 1204, Rn. 11 f.). Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung wird Strom zur Stromerzeugung entnommen, der in Neben- und Hilfsanlagen einer Stromerzeugungseinheit insbesondere zur Wasseraufbereitung, Dampferzeugerwasserspeisung, Frischluftversorgung, Brennstoffversorgung oder Rauchgasreinigung zur Erzeugung von Strom im technischen Sinne verbraucht wird. Auch nach dieser Vorschrift sind nur solche Strommengen von der Steuer befreit, deren Verwendung in einem engen Zusammenhang mit der Stromerzeugung stehen.
27Der EuGH hat die Voraussetzungen von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EnergieStRL zuletzt wie folgt konkretisiert (Urteil v. 9.3.2023 – C-571/21, RWE Power, Rn. 27 ff.): Die Verwendung von elektrischem Strom muss unmittelbar zum technologischen Prozess der Stromerzeugung beitragen. Dies kann bei der Umwandlung und Aufbereitung eines zu verbrennenden Guts, wie etwa beim Brechen, Abscheiden von Fremdteilen, Zerkleinern und Trocknen von Braunkohle der Fall sein, wenn diese Vorgänge für den Prozess der Stromerzeugung unentbehrlich sind und hierzu unmittelbar beitragen. Demgegenüber umfasst die Steuerbefreiung nicht die Verwendung elektrischen Stroms, die lediglich im Zusammenhang mit dem Prozess der Stromerzeugung vorkommt, wie dies etwa bei dem elektrischen Strom, der in den Verwaltungsgebäuden eines Kraftwerks verbraucht wird, der Fall ist. Nicht begünstigungsfähig sind ferner Strommengen, die zur (vorgelagerten) Herstellung eines Energieerzeugnisses eingesetzt werden, das selbst Besteuerungsgegenstand der EnergieStRL ist.
28Nach diesen Maßstäben ist auch der Strom begünstigt, der zu Beginn des Stromerzeugungsprozesses der Klägerin eingesetzt wird, um den Müll vom Müllbett in den Müllbunker zu befördern, ihn zu vermischen und mithilfe von Brückenkränen den Verbrennungslinien zuzuführen. Denn die Aufbereitung im Müllbunker, insbesondere die Durchmischung des Abfalls stellt eine konstante spätere Dampferzeugung sicher, weshalb sie – nicht anders als etwa das Brechen und Trocknen von Braunkohle oder das Abscheiden von Fremdteilen – für die Stromerzeugung unentbehrlich ist und zu ihr unmittelbar beiträgt. Diese dem eigentlichen Verbrennungsvorgang vorgelagerten Prozesse dienen auch nicht der Herstellung eines Energieerzeugnisses, das selbst Besteuerungsgegenstand wäre. Soweit die Klägerin nach dem Prüfungsbericht vom 27.4.2021 (Bl. 86 Verwaltungsakte) und ihrem Schreiben vom 22.10.2020 (Bl. 91 f. Verwaltungsakte) ursprünglich selbst offenbar einzelne Vorgänge am Beginn des Prozesses als nicht begünstigt eingeordnet hat, versteht der Senat den Schriftsatz vom 1.3.2024 und den Vortrag ihrer Vertreter in der mündlichen Verhandlung so, dass sie hieran angesichts der genannten EuGH-Rechtsprechung nicht mehr festhält. Der Beklagte hat hiergegen nichts eingewandt und insbesondere nicht dargelegt, welche konkreten vorgelagerten Prozesse von der Begünstigung ausgeschlossen sein könnten.
29Allerdings ist der im gesamten Prozess eingesetzte Strom aufzuteilen auf Strom, der der Stromerzeugung dient, und solchen, der der Erzeugung von Fernwärme bzw. anderen Zwecken dient. Maßgeblich ist der Zweck des jeweiligen Verbrauchs (vgl. EuGH, Urteil v. 7.11.2019 – C‑68/18, Petrotel-Lukoil, Rn. 25; EuGH, Urteil v. 3.12.2020 – C-44/19, Repsol Petróleo, Rn. 27 f.; Senat, Urteil v. 29.6.2022 – 4 K 701/20 VSt, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2022, 349, Rn. 40). Diese Aufteilung dient gerade dem vom Vertreter der Generalzolldirektion (GZD) in der mündlichen Verhandlung betonten Zweck der Vermeidung einer Doppelbesteuerung (vgl. EuGH, Urteil v. 9.3.2023 – C-571/21, RWE Power, Rn. 36; Urteil v. 7.3.2018 – C-31/17, Cristal Union, Rn. 30), indem der Stromerzeugung dienende Strommengen von anderen Strommengen abgegrenzt werden. Dass der durch Stromeinsatz produzierte Strom zu einem großen Teil oder sogar vollständig von der Klägerin selbst entnommen wird und wiederum – allerdings nur teilweise – einer Begünstigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG unterliegt, rechtfertigt keine andere Einschätzung, sondern ist den Abläufen im technologischen Prozess der Klägerin geschuldet, die in tatsächlicher Hinsicht nicht streitig sind.
30Der Senat teilt nicht die Ansicht des Beklagten, nach der der Stromverbrauch, der auf die thermische Abfallverwertung entfällt, als insgesamt nicht begünstigungsfähig einzustufen sei und es insoweit keiner Aufteilung bedürfe. Denn die thermische Verwertung diente im Streitjahr sowohl der Erzeugung von Fernwärme als auch der Stromerzeugung. Hierfür kommt es nicht auf die Frage an, ob die Müllverbrennung als Hauptzweck und die Strom- und Wärmeerzeugung als bloße Nebenzwecke der von der Klägerin betriebenen Anlage einzustufen sind. Eine derartige Unterscheidung sieht weder das Gesetz noch die Richtlinie vor. Sie ist entgegen der vom Vertreter der GZD in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht auch nicht deshalb geboten, um unmittelbar zur Stromerzeugung beitragenden Strom von bloß mittelbar beitragendem Strom zu unterscheiden. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist insoweit der technologische Prozess der Stromerzeugung maßgeblich (Urteil v. 9.3.2023 – C-571/21, RWE Power, Rn. 27 unter Verweis auf Urteil v. 3.12.2020 – C-44/19, Repsol Petróleo, Rn. 34); daher ist nicht danach zu differenzieren, ob Müll oder etwa fossile Brennstoffe verbrannt werden (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts L. v. 22.2.2018 – Rs. C-31/17, Cristal Union, Rn. 45) und dient auch Strom, mit dessen Hilfe durch das Verbrennen von Müll Strom erzeugt wird, unmittelbar der Stromerzeugung. Andererseits lässt sich der vorliegende technologische Prozess im Hinblick auf etwaige Wettbewerbsverzerrungen nicht mit Müllverbrennungsanlagen vergleichen, in denen kein Strom erzeugt wird, da in diesen Fällen gerade keine – auch keine teilweise – Doppelbesteuerung mit Stromsteuer droht. Soweit der Vertreter der GZD in der mündlichen Verhandlung auf das Senatsurteil vom 15.11.2023 (N01, n.v.) abgestellt hat, betraf diese Entscheidung die Frage der Zuordnung zum Produzierenden Gewerbe nach § 2 Nr. 3 StromStG, nicht aber die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG.
31Was die Abgrenzung der Strom- von der Fernwärmeerzeugung angeht, so ist es zunächst erforderlich, die Stromverbraucher soweit möglich dem jeweiligen Zweck unmittelbar zuzuordnen.
32Der Prüfungsdienst des Beklagten hat in seinem Bericht vom 27.4.2021 drei Verbraucher mit einem Jahresverbrauch von 1.182,795 MWh Strom unmittelbar der Stromerzeugung zugeordnet (Anlage 4 des Berichts, Bl. 100 Verwaltungsakte); diese Zuordnung ist unstreitig (vgl. Bl. 328 Gerichtsakte – GA –). Eine unmittelbare und ausschließliche Zuordnung weiterer Verbraucher zum Zweck der Stromerzeugung ist nicht möglich. Soweit die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 1.3.2024 (Bl. 328 GA) so zu verstehen sein sollten, dass ihrer Ansicht nach alle im Bericht der N.-GmbH vom 8.10.2020 als „erzeugungsrelevant“ bezeichneten Verbraucher unmittelbar der Stromerzeugung zuzuordnen sind, folgt der Senat dem nicht. Denn in der hiermit in Bezug genommenen Anlage 9 (Bl. 516 ff. GA) erfasst der Bericht auch Verbraucher als erzeugungsrelevant, die erkennbar auch der Fernwärmeversorgung dienen, wie etwa Dampferzeugerwasserspeiseanlagen. Dass weitere Verbraucher unmittelbar und ausschließlich der Stromerzeugung dienen, lässt sich dem Bericht nicht entnehmen.
33Die im Bericht der N.-GmbH vom 8.10.2020 unter Gliederungspunkt 8 als „nicht erzeugungsrelevante Anlagen“ bezeichneten Verbraucher (Bl. 520 f. GA) sind unmittelbar der Fernwärmeerzeugung zuzuordnen. Dass insoweit eine unmittelbare Zuordnung angezeigt ist, hat der Beklagte zwar selbst in Abrede gestellt (vgl. Bl. 132 f. GA). Gleichwohl dienen diese Verbraucher nach der Darstellung der Klägerin der Auskopplung des Dampfanteils, der nicht der Turbine zugeführt werden soll, sondern der Fernwärmeversorgung dient (vgl. Bl. 328 f. GA). Dagegen spricht entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht die EuGH-Entscheidung vom 9.3.2023 (C-571/21, RWE Power). Denn auch diese verlangt für eine Begünstigung einen unmittelbaren Zusammenhang zum Prozess der Stromerzeugung (Rn. 27 ff.), an dem es hier gerade fehlt, da der Dampf gezielt zur Fernwärmeversorgung ausgekoppelt wird. Aus diesem Grunde kommt insoweit auch nicht eine von den Vertretern der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgeschlagene Quotelung in Betracht. Soweit bei den „nicht erzeugungsrelevanten Anlagen“ auch Anlagen in Verwaltungs-, Sozial- und Werkstatträumen erfasst sind, ist es zutreffend, auch die auf diese Anlagen entfallenden Verbräuche nicht zu begünstigen (vgl. EuGH, Urteil v. 7.11.2019 – C‑68/18, Petrotel-Lukoil, Rn. 25; EuGH, Urteil v. 3.12.2020 – C-44/19, Repsol Petróleo, Rn. 27). Die Klägerin hat diese Verbräuche zwar ursprünglich pauschal mit einem Anteil von 5,80 % an der Gesamtstrommenge bemessen, dies aber ausdrücklich noch ohne Berücksichtigung des Berichts der N.-GmbH. Die demnach unmittelbar anderen Zwecken als der Stromerzeugung zuzuordnende Strommenge betrug nach dem Bericht der N.-GmbH vom 8.10.2020 (Bl. 520 f. GA)
341.200,152 MWh + 73,856 MWh = 1.274,008 MWh
35Soweit eine unmittelbare Zuordnung entweder zur Strom- oder zur Fernwärmeerzeugung nicht möglich ist, ist eine Aufteilung erforderlich, die nach Auffassung des Senats sachgerecht anhand der Verwendung des mithilfe dieser Strommengen erzeugten Dampfes vorzunehmen ist. Diesem Ansatz folgt auch die Klägerin insgesamt, der Beklagte zumindest für den Strom, der auf die Dampferzeugung entfällt. Nach den Erläuterungen der Klägerin im Schriftsatz vom 1.3.2024, die in tatsächlicher Hinsicht mit den Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 24.1.2024 (Bl. 133 GA) und dem N.-Bericht vom 8.10.2020 übereinstimmen, gilt insoweit Folgendes: Eine Dampfmenge von 52.068,083 MWh [53.342,086 MWh – 1.274,000 MWh] wurde zur Aufrechterhaltung des Dampf-Wasser-Kreislaufs benötigt. Zudem enthält diese Menge einen geringen Teil an Dampfverlusten. Diese Dampfmenge von 52.068,083 MWh verblieb demnach im System und erzeugte keinen energetischen Output, so dass sie bei der Aufteilung anhand der Verwendung des Dampfes auszuklammern ist. Es verbleibt eine Dampfmenge von 134.167,473 MWh, die der Turbine zugeführt wurde und somit der Stromerzeugung dient. Demgegenüber wurden Mengen von 50.079,100 MWh und von 1.274,000 MWh zur Fernwärmeversorgung und zur Versorgung der Verwaltungsgebäude und somit nicht unmittelbar zur Stromerzeugung eingesetzt. Setzt man diese Mengen ins Verhältnis, ergibt sich ein zur Stromerzeugung eingesetzter Anteil des Dampfes von
36134.167,473 MWh / (134.167,473 MWh + 50.079,100 MWh + 1.274,000 MWh) = 72,32 %.
37Es ergibt sich insgesamt (in MWh):
38Strommenge gesamt |
17.960,120 |
|
Abzgl. direkt zur Stromerzeugung zuordenbare Menge |
1.182,795 |
1.182,795 |
Abzgl. direkt anderen Zwecken zuordenbare Menge |
1.274,008 |
|
Verbleiben |
15.503,317 |
|
Davon begünstigt 72,32 % |
11.211,999 |
11.211,999 |
Summe begünstigt |
12.394,794 |
|
Abzgl. bereits gewährte Begünstigung |
1.488,894 |
|
Zusätzlich zu begünstigen |
10.905,900 |
Der Umstand, dass nach den Feststellungen der Außenprüfung der Stromverbrauch in der Müllverbrennungsanlage im dreijährigen Durchschnitt nach dem Anbau der Dampfturbine und der Aufnahme der Stromerzeugung 2014 nur um etwa 8 % des Gesamtstromverbrauchs der Müllverbrennungsanlage angestiegen ist, rechtfertigt es demgegenüber nicht, nur einen derart geringen Prozentsatz des verbrauchten Stroms der Stromerzeugung zuzuordnen. Maßgeblich bleibt insoweit die tatsächliche Nutzung der Anlage im Streitjahr, bei der gemessen am Zweck des Verbrauchs – wie oben dargestellt – ein deutlich höherer Prozentsatz des verwandten Stroms der Stromerzeugung diente.
40Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1, § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Klägerin konnte sich mit ihrem Begehren, eine zusätzliche Strommenge von 11.863,133 MWh steuerfrei zu belassen, zu rund 92 % durchsetzen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.