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Das Verfahren wird ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung zu folgender Frage ersucht:
Ist Artikel 172 Absatz 1 und 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. EU L 343/1) gültig?
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Gründe
2I.
31. Die Klägerin wandte sich im November 2018 wegen der Erteilung einer Bewilligung für eine aktive Veredelung für aus der Volksrepublik (VR) China eingeführte Waren an das beklagte Hauptzollamt. Das beklagte Hauptzollamt wies die Klägerin am 22. November 2018 darauf hin, dass der Antrag mit einem Antragsformular nebst Ergänzungsblatt zu stellen sei. Ferner seien die ausgefüllten Fragebögen für zollrechtliche Bewilligungen Nr. 1, 2, 3 und 5 zu übersenden.
2. Die Klägerin beantragte daraufhin unter dem 14. Dezember 2018 mit einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck beim beklagten Hauptzollamt, ihr eine Bewilligung für eine aktive Veredelung für aus der VR China eingeführte Waren zu erteilen. Den Antrag übersandte sie am 17. Dezember 2018. Sie sagte zu, die noch fehlenden Fragebögen für die Bearbeitung des Antrags nachzureichen. Am 22. Januar 2019 teilte ein Sachbearbeiter des beklagten Hauptzollamts der Klägerin mit, dass „die beantragte Bewilligung einer aktiven Veredelung“... „nach Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen unter der Bewilligungsnummer DE/N01 geführt werden“ werde.
3. Im Rahmen einer Besprechung am 7. Februar 2019 wiesen die Vertreter des beklagten Hauptzollamts die Klägerin erneut darauf hin, dass sie noch die von ihr auszufüllenden Fragebögen nachzureichen habe. Dies geschah in der Folgezeit zunächst nicht. Die Klägerin meldete vielmehr weiterhin bis zum 18. Juli 2019 aus der VR China eingeführte Waren zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an und entrichtete insoweit Zoll von 1.173.497,14 Euro.
4. Die Klägerin beantragte am 12. April 2021 beim beklagten Hauptzollamt, ihr rückwirkend eine Bewilligung für eine aktive Veredelung für von ihr aus der VR China eingeführte Waren zu erteilen. Dabei nahm sie Bezug auf ihren Antrag vom 14. Dezember 2018 und die Besprechung vom 7. Februar 2019. Sie begründete den erneuten Antrag mit einer nachträglichen Beseitigung der wirtschaftlichen Nachteile, die ihr durch die Entrichtung der Einfuhrabgaben entstanden seien. Mit Schreiben vom 21. Mai 2021 übersandte sie unter anderem den von ihr ausgefüllten Fragebogen für die Erteilung zollrechtlicher Bewilligungen 2 und 3.
5. Das beklagte Hauptzollamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11. Juli 2021 ab. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin habe den Fragebogen für zollrechtliche Bewilligungen 1 nach wie vor nicht vorgelegt. Ferner habe sie eine wirtschaftliche Notwendigkeit nicht nachgewiesen.
6. Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch trug die Klägerin vor: Die Voraussetzungen für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung lägen vor. Insbesondere bestehe eine wirtschaftliche Notwendigkeit für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung, weil sie die Einfuhrabgaben nicht auf ihre Kunden habe abwälzen können. Die zeitliche Begrenzung der Rückwirkung einer Bewilligung durch Artikel 172 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. EU L 343/1) (UZK-DelVO) sei mit dem geltenden Unionsrecht nicht zu vereinbaren. Für den Erlass des Artikels 172 UZK-DelVO habe sich die Kommission nicht auf eine Befugnisnorm stützen können. Selbst wenn es eine Befugnisnorm geben sollte, habe die Kommission den rechtlichen Rahmen des Artikels 211 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. EU L 269/1) (Unionszollkodex – UZK) überschritten.
7. Die Klägerin übersandte dem beklagten Hauptzollamt am 14. Juli 2021 einen von ihr ausgefüllten Fragebogen für die Erteilung zollrechtlicher Bewilligungen 1.
8. Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 26. Juli 2023 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus: Der Antrag der Klägerin vom 14. Dezember 2018 habe sich nicht auf die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung bezogen. Es habe sich bei diesem Antrag deshalb nicht um einen Antrag im Sinne des Artikels 172 Absatz 1 UZK-DelVO gehandelt. Der Klägerin könne auf der Grundlage ihres Antrags vom 12. April 2021 keine rückwirkende Bewilligung erteilt werden, weil sie die letzte hiervon betroffene Zollanmeldung am 18. Juli 2019 abgegeben habe. Aus diesem Grund fehle es an einem wirtschaftlichen Bedürfnis für die rückwirkende Erteilung der von ihr begehrten Bewilligung. Die Klägerin habe darüber hinaus auch keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikels 172 Absatz 2 UZK-DelVO vorgetragen. Ein außergewöhnlicher Umstand könne nicht darin erblickt werden, dass ihr Antrag vom 14. Dezember 2018 nicht abgelehnt worden sei. Eine Prüfung dieses Antrags sei wegen fehlender Unterlagen nicht möglich gewesen. Im Übrigen verstoße Artikel 172 Absatz 2 UZK-DelVO nicht gegen höherrangiges Unionsrecht. Die Kommission sei durch Artikel 212 Buchstabe a UZK ermächtigt worden, die Bedingungen für die Erteilung einer Bewilligung durch einen delegierten Rechtsakt festzulegen.
9. Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Maßgebend für die Erteilung der von ihr begehrten Bewilligung sei ihr Antrag vom 14. Dezember 2018. Dieser Antrag sei als ein solcher auf rückwirkende Erteilung einer Bewilligung auszulegen. Das beklagte Hauptzollamt habe diesen Antrag auch angenommen, weil es ihr am 22. Januar 2019 eine Bewilligungsnummer zugeteilt habe und nicht mitgeteilt habe, dass der Antrag nicht angenommen worden sei oder noch weitere Informationen benötigt würden. Jedenfalls enthalte weder Artikel 24 Buchstabe d UZK noch die speziellere Regelung des Artikels 212 UZK eine Befugnisnorm für den Erlass des Artikels 172 UZK-DelVO.
10. Das beklagte Hauptzollamt trägt vor: Die Klägerin habe unter dem 14. Dezember 2018 nicht die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung beantragt. Sie habe damals auch keine Veranlassung gehabt, die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung für Einfuhren zu beantragen, die seinerzeit noch nicht stattgefunden hätten.
II.
2411. Der Senat setzt das anhängige Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Artikel 267 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor formulierte Frage zur Vorabentscheidung vor. Die Entscheidung über die Klage hängt davon ab, ob Artikel 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO gültig ist.
12. Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist Artikel 211 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 UZK. Danach können die Zollbehörden unter anderem eine aktive Veredelung rückwirkend bewilligen. Das beklagte Hauptzollamt stellt nicht in Abrede, dass die Voraussetzungen des Artikels 211 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b bis g UZK vorliegen.
13. Der Erteilung der von der Klägerin begehrten rückwirkenden Bewilligung könnte Artikel 172 Absatz 1 UZK-DelVO entgegenstehen. Danach wird eine von der Zollbehörde gemäß Artikel 211 Absatz 2 UZK rückwirkend erteilte Bewilligung frühestens ab dem Datum der Annahme des Antrags wirksam. Unerheblich ist hierbei, ob der Antrag ausdrücklich auf die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung gerichtet war. Artikel 172 Absatz 1 UZK-DelVO stellt lediglich darauf ab, dass die Bewilligung frühestens ab dem Datum der Annahme eines nicht ausdrücklich als rückwirkend bezeichneten Antrags wirksam wird.
14. Nach Überzeugung des Senats hat das beklagte Hauptzollamt den Antrag der Klägerin vom 14. Dezember 2018 nicht vor dem 14. Juli 2021 im Sinne des Artikels 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 UZK angenommen. Gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. EU L 343/558) (UZK-DVO) ist der Tag der Annahme eines Antrags der Tag, an dem der Zollbehörde alle nach Artikel 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 UZK benötigten Informationen vorliegen. Dem beklagten Hauptzollamt lagen nicht alle benötigten Informationen vor. Die Klägerin hat erst mit Schreiben vom 21. Mai 2021 die von ihr ausgefüllten Fragebögen für die Erteilung zollrechtlicher Bewilligungen 2 und 3 übersandt. Den von ihr ausgefüllten Fragebogen für die Erteilung zollrechtlicher Bewilligungen 1 hat sie dem beklagten Hauptzollamt erst im Einspruchsverfahren nach dem Ergehen des Bescheids vom 11. Juli 2021 übersandt.
15. Die Klägerin konnte die Nachricht des Sachbearbeiters des beklagten Hauptzollamts vom 22. Januar 2019, mit dem dieser ihr mitteilte, dass „die beantragte Bewilligung einer aktiven Veredelung“ ... „nach Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen unter der Bewilligungsnummer ... geführt werden“ werde, nicht als Annahme ihres Antrags im Sinne des Artikels 22 Absatz 2 Unterabsatz 2 UZK auffassen. Der Sachbearbeiter hat vielmehr unmissverständlich darauf hingewiesen, dass eine Bewilligung erst zukünftig „nach Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen“ unter der genannten Bewilligungsnummer geführt werde.
16. Das beklagte Hauptzollamt hätte der Klägerin daher nach Artikel 12 Absatz 2 Unterabsatz 2 UZK-DVO mitteilen müssen, dass es ihren Antrag vom 14. Dezember 2018 nicht angenommen habe. Auch das ist nicht geschehen. Gleichwohl gilt ihr Antrag nicht gemäß Artikel 12 Absatz 3 Satz 1 UZK-DVO bereits am 17. Dezember 2018 als angenommen. Als Tag der Annahme des Antrags gilt gemäß Artikel 12 Absatz 3 Satz 2 UZK-DVO grundsätzlich der Tag der Einreichung des Antrags bei der Zollbehörde. Die Klägerin ist allerdings aufgefordert worden, zusätzliche Informationen vorzulegen. Dieser Aufforderung ist sie zunächst nicht nachgekommen. Sie hat vielmehr erst im Einspruchsverfahren dem beklagten Hauptzollamt mit Schreiben vom 14. Juli 2021 den noch fehlenden ausgefüllten Fragebogen für die Erteilung zollrechtlicher Bewilligungen 1 übersandt. Gemäß Artikel 12 Absatz 3 Satz 2 UZK-DVO ist mithin auf den 14. Juli 2021 als den Tag abzustellen, an dem dem beklagten Hauptzollamt die letzten Informationen vorgelegt wurden. Die Klägerin hatte indes bereits am 12. April 2021 ihren Antrag auf rückwirkende Erteilung einer Bewilligung gestellt.
17. Gemäß Artikel 172 Absatz 2 UZK-DelVO können die Zollbehörden unter außergewöhnlichen Umständen zulassen, dass eine Bewilligung nach Artikel 172 Absatz 1 UZK-DelVO frühestens ein Jahr vor dem Datum der Annahme des Antrags wirksam wird.
18. Im Streitfall dürfte kein wirtschaftliches Bedürfnis (Artikel 211 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a UZK) für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung nach Artikel 172 Absatz 2 UZK-DelVO bestehen. Die Festsetzung von Einfuhrabgaben gegen einen Antragsteller wegen des Fehlens einer rückwirkend erteilten Bewilligung kann zwar ein wirtschaftliches Bedürfnis begründen. Wird die Bewilligung rückwirkend erteilt, ist die Zollanmeldung nach Artikel 148 Absatz 4 Buchstabe d UZK-DelVO für ungültig zu erklären. Das hat gemäß Artikel 124 Absatz 1 Buchstabe d UZK zur Folge, dass die Zollschuld erlischt und die entsprechenden Einfuhrabgabenbeträge nach Artikel 117 Absatz 1 UZK erstattet werden können. Im Streitfall könnte eine gemäß Artikel 172 Absatz 2 UZK-DelVO der Klägerin rückwirkend erteilte Bewilligung jedoch nicht mehr zu einem Erlöschen der Zollschulden führen, weil sie die aus der VR China eingeführten Waren bis zum 18. Juli 2019 zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet hatte.
19. Der Senat hat Zweifel, dass Artikel 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO mit höherrangigem Unionsrecht vereinbar ist.
20. Nach Artikel 290 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV müssen in einem Gesetzgebungsakt, mit dem der Kommission die Befugnis übertragen wird, einen Rechtsakt ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften übertragen wird, die Ziele, der Inhalt, der Geltungsbereich und die Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt werden. Die Übertragung einer delegierten Befugnis darf daher nur dem Erlass von Vorschriften dienen, die sich in einen rechtlichen Rahmen einfügen, wie er durch den Basisgesetzgebungsakt definiert worden ist (Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH –, Urteile vom 18. März 2014, C-427/12, ECLI:EU:C:2014:170 Randnr. 38; vom 17. März 2016, C-286/14, ECLI:EU:C:2016:183 Randnr. 30). Die übertragene Befugnis muss insbesondere in dem Sinne hinreichend genau umgrenzt sein, dass ihre Grenzen klar angegeben sind und die Ausübung durch die Kommission einer Kontrolle anhand vom Unionsgesetzgeber festgelegter objektiver Kriterien unterliegt (EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017, C-696/15 P, ECLI:EU:C:2017:595 Randnr. 49).
21. Befugnisnormen für den Erlass des Artikels 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO könnten die Artikel 24 Buchstabe d und 212 Buchstabe a UZK sein.
22. Die Kommission hat sich zum Erlass des Artikels 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO auf Artikel 24 Buchstabe d UZK gestützt. Die Kommission hat in dem Klammerzusatz zur Überschrift des Artikels 172 UZK-DelVO ausdrücklich auf Artikel 22 Absatz 4 UZK Bezug genommen. Nach Artikel 24 Buchstabe d UZK war die Kommission befugt, die in Artikel 22 Absatz 4 Satz 1 UZK genannten Fälle festzulegen, in denen eine Entscheidung zu einem anderen Datum wirksam wird, als dem Datum, an dem die Entscheidung dem Antragsteller bekannt gegeben wird oder als bekannt gegeben gilt. Dies dürfte auch die Befugnis beinhalten, die Bedingungen für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung in den Fällen des Artikel 211 Absatz 1 Buchstabe a UZK zu regeln.
23. Die Kommission wurde zudem durch Artikel 212 Buchstabe a UZK ermächtigt, durch einen delegierten Rechtsakt die Bedingungen für die Erteilung der Bewilligung für die Verfahren gemäß Artikel 211 Absatz 1 Buchstabe a UZK festzulegen. Diese Befugnisnorm dürfte sich insbesondere auch auf die Bedingungen für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung nach Artikel 211 Absatz 2 UZK beziehen. In Artikel 212 Buchstabe a UZK wird zwar nicht ausdrücklich auf Artikel 211 Absatz 2 UZK Bezug genommen. Durch die Formulierung in Artikel 212 Buchstabe a UZK, die Bedingungen für die Erteilung der Bewilligung „für die Verfahren gemäß Artikel 211 Absatz 1 UZK“ festzulegen („the conditions for granting the authorisation for the procedures referred to in Article 211(1)“ in der englischen Fassung und „les conditions d’octroi de l’autorisation aux fins des régimes visés à l’article 211, paragraphe 1“ in der französischen Fassung der Bestimmung), dürfte indes hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein, dass die Kommission insbesondere auch ermächtigt werden sollte, im Einzelnen die Bedingungen für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung (Artikel 211 Absatz 2 UZK) unter anderem für das in Artikel 211 Absatz 1 Buchstabe a UZK genannte Verfahren der aktiven Veredelung festzulegen.
24. Zweifelhaft ist indes, ob sich die Regelungen des Artikel 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO in den rechtlichen Rahmen einfügen, wie er durch den Basisgesetzgebungsakt definiert worden ist. Das Europäische Parlament und der Rat haben in Artikel 211 Absatz 2 UZK nicht geregelt, bis zu welchem Zeitpunkt die Zollbehörden rückwirkend eine Bewilligung erteilen dürfen. Es ist zweifelhaft, ob die Kommission deshalb auf der Grundlage der Artikel 24 Buchstabe d und 212 Buchstabe a UZK befugt war, zu regeln, bis zu welchem Zeitpunkt die Zollbehörden rückwirkend eine Bewilligung für die Verfahren gemäß Artikel 211 Absatz 1 UZK erteilen dürfen. Darüber hinaus sieht Artikel 211 Absatz 2 UZK nicht vor, dass eine Bewilligung rückwirkend nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände erteilt werden darf.
25. Nach Artikel 290 Absatz 1 Unterabsatz 2 Satz 2 AEUV sind die wesentlichen Aspekte eines Bereichs dem Gesetzgebungsakt vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für sie deshalb ausgeschlossen. Das Europäische Parlament und der Rat haben in Artikel 211 Absatz 2 UZK detailliert die Voraussetzungen für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung geregelt. Dies könnte die Annahme nahelegen, dass das Europäische Parlament und der Rat überhaupt keinen zeitlichen Rahmen und keine weiteren Voraussetzungen für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung vorgesehen haben. Bei der Regelung des zeitlichen Rahmens für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung könnte es sich zudem um einen wesentlichen Aspekt des Zollrechts der Union handeln, der einer Regelung in dem UZK vorbehalten war und eine Befugnisübertragung ausschloss.
26. Unbeschadet dessen ist unklar, um welche Art einer Befugnisübertragung es sich bei den Regelungen der Artikel 24 Buchstabe d und 212 Buchstabe a UZK handeln soll. Danach soll die Kommission berechtigt sein, die in Artikel 22 Absatz 4 Satz 1 UZK genannten Fälle „festzulegen“, in denen eine Entscheidung zu einem anderen Datum wirksam wird, als dem Datum, an dem die Entscheidung dem Antragsteller bekannt gegeben wird oder als bekannt gegeben gilt, sowie die Bedingungen für die Erteilung der Bewilligung für die Verfahren gemäß Artikel 211 Absatz 1 Buchstabe a UZK „festzulegen“.
27. Aus den Begriffen „ergänzen oder ändern“ in Artikel 290 Absatz 1 AEUV ergibt sich, dass sich die beiden vorgesehenen Kategorien delegierter Befugnisse deutlich voneinander unterscheiden (EuGH, Urteil vom 17. März 2016, C-286/14, ECLI:EU:C:2016:183 Randnr. 40). Mit der Übertragung der Befugnis, einen Gesetzgebungsakt zu „ergänzen“, soll der Kommission lediglich erlaubt werden, diesen Rechtsakt zu konkretisieren. Übt die Kommission eine solche Befugnis aus, ist ihre Ermächtigung darauf beschränkt, nicht wesentliche Elemente der betreffenden Regelung, die der Gesetzgeber nicht definiert hat, unter Beachtung des vom Gesetzgeber erlassenen Gesetzgebungsakts in seiner Gesamtheit im Einzelnen auszuarbeiten (EuGH, Urteil vom 17. März 2016, C-286/14, ECLI:EU:C:2016:183 Randnr. 41). Mit der Übertragung der Befugnis, einen Gesetzgebungsakt zu „ändern“, soll der Kommission hingegen erlaubt werden, die vom Gesetzgeber in diesem Rechtsakt festgelegten nicht wesentlichen Elemente abzuändern oder aufzuheben. Macht die Kommission von einer solchen Befugnis Gebrauch, ist sie nicht verpflichtet, die Elemente zu beachten, deren Änderung durch die ihr eingeräumte Ermächtigung gerade bezweckt wird (EuGH, Urteil vom 17. März 2016, C-286/14, ECLI:EU:C:2016:183 Randnr. 42). Diese Unterschiede zwischen den beiden Kategorien der in Artikel 290 Absatz 1 AEUV geregelten delegierten Befugnisse stehen der Annahme entgegen, dass der Kommission die Befugnis eingeräumt werden kann, die Art der ihr übertragenen Befugnis selbst zu bestimmen. Daher obliegt es dem Gesetzgeber der Union, die Art der Befugnis, die er der Kommission zu übertragen beabsichtigt, selbst festzulegen (EuGH, Urteil vom 17. März 2016, C-286/14, ECLI:EU:C:2016:183 Randnr. 46).
28. Die Formulierungen in Artikel 24 Buchstabe d und 212 Buchstabe a UZK, nach denen die Kommission berechtigt sein soll, die in Artikel 22 Absatz 4 Satz 1 UZK genannten Fälle oder die Bedingungen für die Erteilung der Bewilligung „festzulegen“, dürften nicht ohne weiteres erkennen lassen, ob die Kommission zum Erlass lediglich ergänzender oder gar ändernder Rechtsakte berechtigt sein soll. Anderes sieht mittlerweile die Kommission etwa in Artikel 6 Absatz 8 Buchstabe d ihres Vorschlags vom 17. Mai 2023 (COM(2023) 258 final) für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union und zur Einrichtung der Zollbehörde der Europäischen Union sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 (Celex Nr. 52023PC0258) vor.
29. Die Kommission hatte zwar bereits in Artikel 508 Absatz 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. EG Nr. L 253/1) (ZK-DVO) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom 4. Mai 2001 (ABl. EG Nr. L 141/1) ähnliche Regelungen wie in Artikel 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO erlassen. Diese Regelungen wurden jedoch noch vor dem Inkrafttreten des Artikel 290 AEUV am 1. Dezember 2009 erlassen, der erst mit dem Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. EU C 306/1) in den AEUV eingefügt worden ist.
30. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 9. Juli 2020 (C-391/19, ECLI:EU:C:2020:547 Randnr. 30 f.) zwar die Wirksamkeit des Artikels 172 Absatz 2 UZK-DelVO nicht in Frage gestellt. Der EuGH hat zudem in seinem Urteil vom 21. Oktober 2021 (C-825/19, ECLI:EU:C:2021:869 Randnr. 43 ff.) die Wirksamkeit der grundsätzlich geltenden Jahresfrist in der dem Artikel 508 Absatz 3 ZK-DVO entsprechenden Vorschrift des Artikel 294 Absatz 3 ZK-DVO nicht in Frage gestellt. Die vorlegenden Gerichte hatten dem EuGH in diesen beiden Vorabentscheidungsverfahren jedoch lediglich Auslegungsfragen und keine Gültigkeitsfragen unterbreitet.
31. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Regelung des zeitlichen Rahmens für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung in Artikel 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO den Begründungserfordernissen für einen solchen Rechtsakt genügt. Die Ausübung der Befugnis der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte unterliegt bestimmten Anforderungen. So müssen die mit einer delegierten Verordnung verfolgten Ziele geeignet sein, ihren Erlass zu rechtfertigen, und die Verordnung muss dem für einen solchen Rechtsakt vorgeschriebenen Begründungserfordernis genügen (EuGH, Urteil vom 21. September 2023, C-210/22, ECLI:EU:C:2023:693 Randnr. 53).
32. Die Kommission hat im 14. Erwägungsgrund zur UZK-DelVO zur Begründung der Regelung des Artikels 172 Absatz 1 und 2 UZK-DelVO lediglich ausgeführt, in bestimmten Fällen solle eine Entscheidung ab einem anderen Datum als dem, an dem sie bei dem Antragsteller eingehe oder als eingegangen gelte, wirksam werden, insbesondere wenn der Antragsteller um ein anderes Datum des Wirksamwerdens ersucht habe oder Voraussetzung für das Wirksamwerden der Entscheidung die Erfüllung bestimmter Förmlichkeiten durch den Antragsteller sei. Im Interesse von Eindeutigkeit und Rechtssicherheit sollten die entsprechenden Fälle gründlich definiert werden. Es stellt sich die Frage, ob diese allgemein gehaltene Begründung ausreicht, um eine für die Wirtschaftsbeteiligten und die Zollbehörden der Mitgliedstaaten so weitreichende Regelung wie die des zeitlichen Rahmens für die rückwirkende Erteilung einer Bewilligung „festzulegen“.