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Der Stromsteueränderungsbescheid vom 23. Mai 2022 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 2022 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass für eine weitere Strommenge von 14.653,007 MWh die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG zu gewähren ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 53 % und der Beklagte zu 47 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über den Umfang der Stromsteuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Stromsteuergesetzes (StromStG).
3Die Klägerin betreibt ... eine Müllverbrennungsanlage. ... Den erzeugten Strom leistet sie überwiegend an die R. GmbH. Einen Anteil von etwa 1/3 des erzeugten Stroms entnimmt sie zum Betrieb der Müllverbrennungsanlage. Zusätzlich für den Betrieb der Anlage erforderliche Strommengen bezog die Klägerin von der Y. AG. Ein Notstromgenerator, der ebenfalls mit selbst erzeugtem oder extern bezogenem Strom betrieben wird, sichert den Betrieb der Müllverbrennungsanlage. Die gewonnene Fernwärme gibt die Klägerin an die I. GmbH ab.
4Der Beklagte erteilte der Klägerin mit Verfügung vom 18. Dezember 2000 die Erlaubnis, Strom als Versorgerin leisten zu dürfen sowie mit Verfügung vom 8. November 2002 die Erlaubnis, nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerbefreiten Strom zur Stromerzeugung entnehmen zu dürfen.
5... Die nicht mehr verwertbaren Stoffe – im Streitjahr 2018 machten diese einen Anteil von 71,08 % der insgesamt sortierten Abfälle aus – werden in der Müllverbrennungsanlage verbrannt. Über eine Sperrmüllschere wird Sperrmüll ab einer bestimmten Größe vor der Verbrennung zerkleinert, um einen kontinuierlichen Verbrennungsprozess zu gewährleisten. Der Abfall wird über einen Müllkran aufgegriffen, durchmischt und entweder unmittelbar dem Verbrennungsprozess oder zunächst einem Müllbunker zur Zwischenlagerung zugeführt. Die Durchmischung verhindert im Verbrennungsprozess die Bildung von Wärmenestern. Die Zwischenlagerung dient der gleichmäßigen Zuführung von Abfällen zum Verbrennungsprozess. Beide Vorgänge sorgen für einen einheitlichen Heizwert zur effizienten Verbrennung und einer konstanten Dampferzeugung. Bei der Zwischenlagerung ist die Durchmischung zudem zur Einhaltung immissionsschutzrechtlicher Auflagen erforderlich, da sich andernfalls durch die Kompostwirkung Methangase bilden können. Zur Steuerung und Überwachung der technischen Einrichtungen werden die Schalt- und Arbeitsräume der jeweiligen Neben- und Hilfsanlagen mit Frischluft versorgt und beleuchtet.
6Des Weiteren nimmt die Klägerin mechanisch entwässerten Klärschlamm mit einem Trockenstoffgehalt von ca. 25 % entgegen. In diesem Zustand ist der Klärschlamm bereits brennbar. Um zur effizienten Verbrennung eine weitere Trocknung im Verbrennungsprozess zu vermeiden, trocknet die Klägerin den Klärschlamm zuvor in einer Klärschlammvortrocknungsanlage auf einen Trockenstoffanteil von ca. 97 %. Im Jahr 2018 nahm die Klägerin 31.057,29 t Klärschlamm entgegen. Vom Trockenstoffgehalt des Klärschlamms (= 7.764,32 t, entspricht 25 %) führte sie nach der Trocknung 6.061,09 t (entspricht 78,06 %) als Granulat der Verbrennungsanlage zu. Der restliche Anteil wurde extern entsorgt.
7Die Verbrennungsanlage besteht aus zwei baugleichen Verbrennungslinien mit jeweils einer rauchgasbetriebenen Kesselanlage und einer Feuerungswärmeleistung von jeweils 49,5 Megawatt. Die durch die Verbrennung entstehenden Rauchgase werden in einer genehmigungsrechtlich vorgeschriebenen Rauchgasreinigungsanlage gereinigt und an die Außenluft abgeführt. Der in den Kesseln erzeugte Dampf wird mit einer Temperatur von etwa 400 Grad Celsius und einem Druck von etwa 40 bar größtenteils über eine Dampfschiene einer Entnahme-Kondensations-Turbine zugeführt. Bei der Durchströmung der Turbine treibt der Wasserdampf eine Turbinenwelle mit einem angeschlossenen Stromgenerator mit einer elektrischen Nennleistung von 22 Megawatt zur Stromerzeugung an. Durch diese Beaufschlagung wird der Dampf in der Turbine kontinuierlich entspannt und abgekühlt. Ein Teil des Dampfes wird in der Turbine an zwei Stellen zur Fernwärmegewinnung entnommen. Die erste Dampfentnahme erfolgt, nachdem der Dampf auf etwa 3,5 bar entspannt und 140 Grad Celsius abgekühlt wurde. Der entnommene Dampf wird einem Wärmetauscher zugeführt, in dem die Energie des Dampfes an das Fernwärmenetz übertragen wird. Das hierbei entstehende Kondensat wird den Kesseln als Speisewasser zur Dampfproduktion zurückgeführt. An einer zweiten Stelle wird Dampf bei einem Druck von etwa 0,6 bar und einer Temperatur von 86 Grad Celsius bedarfsweise entnommen und zur Energieübertragung in der Vorwärmstufe des Fernwärmesystems einem weiteren Wärmetauscher zugeführt. Das entstehende Kondensat wird auch hier zum Speisen der Kessel zurückgeführt. Der nicht über die Fernwärmegewinnung kondensierte, am Ende der Turbine verbleibende Dampf (etwa 0,8 bar, 50 Grad Celsius) wird in einem luftgekühlten Kondensator kondensiert und sodann ebenfalls den Kesseln als Speisewasser wieder zur Verfügung gestellt. Der Betrieb der KWK-Anlage erfolgt wärmegeführt, d.h. die entnommene Dampfmenge hängt von der Wärme im Rücklauf des Fernwärmenetzes ab.
8Insgesamt wurden der Turbine im Jahr 2018 813.451 t Dampf mit einem Energiegehalt von 666.461,53 MWh zugeführt. Mit dieser Energie wurden 151.384,610 MWh elektrische Energie gewonnen sowie 89.811,73 MWh per Kondensation an das Fernwärmesystem abgegeben. Weitere 7.218,27 MWh wurden durch Wärmeübertragung an das Fernwärmesystem abgegeben. Die nicht genutzte Energie verblieb nach der Kondensation als Restenergie im Wasser zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten der verwendeten Energiemengen wird auf Anlage K22 (Bl. 223 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
9Ein Teil des erzeugten Dampfs wird vor der Turbine zur Klärschlammvortrocknung (34.429 t), zur Reinigung der Kesselheizflächen zwecks effizienter Dampferzeugung (11.821 t), zur Wiederaufheizung von Rauchgas vor dem Katalysator (54.223 t) und bedarfsweise zur Voraufheizung des Aktivkoks-Filters im Rahmen der Rauchgasreinigung (186 t) ausgekoppelt.
10Mit Steueranmeldung für das Kalenderjahr 2018 vom 6. März 2019 gab die Klägerin eine insgesamt erzeugte Strommenge von 151.384,610 MWh an, wovon 100.110,980 MWh in das öffentliche Stromnetz eingespeist und 197,520 MWh an andere Firmen geleistet worden seien. Zudem gab sie einen Fremdbezug von 7,420 MWh sowie eine vom Notstromgenerator erzeugte Menge von 42,110 MWh an. Ferner gab sie eine Menge von 43.042,837 MWh zur Stromerzeugung steuerfrei nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG entnommenen Strom an, sodass sie eine zu versteuernde Menge von 8.280,323 MWh zum Regelsteuersatz i.H.v. ... € anmeldete. Die steuerfrei entnommene Menge entfiel den Angaben der Klägerin zufolge i.H.v. 39.323,890 MWh auf die KWK-Anlage, i.H.v. 3.080,856 MWh auf die Trocknung des in der Anlage verbrannten Klärschlammgranulats (78,06 % des Gesamtverbrauchs der Klärschlammvortrocknungsanlage), i.H.v. 392,891 MWh auf den Betrieb der Vorschaltanlage, soweit dieser auf verbrannte Abfälle entfiel (71,08 % des Gesamtverbrauchs), sowie i.H.v. 245,200 MWh auf den Betrieb des Notstromgenerators.
11Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass es für die Beurteilung, ob die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG angewendet werden könne, auf den Verwendungszweck des entnommenen Stroms ankomme. Die Vorschrift diene nur der Vermeidung einer Doppelbesteuerung und nicht der Förderung einzelner Wirtschaftsbeteiligter. Die Klägerin erzeuge den Strom lediglich als Nebenzweck zum Hauptzweck der Abfallverwertung. Eine zwingende Pflicht zur Stromerzeugung bestehe für Betreiber von Müllverbrennungsanlagen nach § 13 der 17. BImSchV (Siebzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Verordnung über die Verbrennung und die Mitverbrennung von Abfällen, in der Fassung des Art. 3 der Verordnung vom 2. Mai 2013, BGBl. I 2013 S. 1021, 1044, 3754) nicht. Sofern die Stromerzeugung lediglich Nebenzweck sei, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass letztlich wirtschaftliche Prozesse begünstigt würden, die außerhalb des Anwendungsbereichs von § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG bzw. Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2003/96/EG (Richtlinie 2003/96) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. EU L 283/51) lägen. Zwar verfüge die Müllverbrennungsanlage über eine Stromerzeugungseinheit, sodass die Stromentnahmen dem Grunde nach auch der eigentlichen Stromerzeugung dienen könnten. Es seien aber diejenigen Strommengen nicht begünstigungsfähig, die auch zum Betrieb von Müllverbrennungsanlagen ohne Stromerzeugungseinheit benötigt würden. Nur zusätzlich oder alternativ zum Hauptzweck der Müllverbrennung entnommene Strommengen könnten steuerfrei sein. Daher seien vorliegend die Stromentnahmen für die Rauchgasreinigungsanlage, den Verbrennungsprozess und für die jeweils hierauf entfallende Raumluftversorgung, Beleuchtung und Steuerung nicht begünstigt, wohingegen der Verbrauch in der Dampferzeugungsanlage und im Speisewasserkreislauf (Vollentsalzungsanlage) steuerfrei belassen werden könne. Soweit die Stromentnahmen zur Herstellung des Brennstoffs verwendet würden, sei eine Begünstigung schon dem Grunde nach ausgeschlossen. Dies betreffe den für den Betrieb des Müllkrans, der Sperrmüllschere und der Klärschlammvortrocknungsanlage entnommenen Strom.
12Zur Ermittlung der demgemäß begünstigten Strommengen teilte der Beklagte die von der Klägerin in Summe für den Betrieb der KWK-Anlage angemeldete Strommenge auf die einzelnen Stromverbraucher der Müllverbrennungsanlage auf. Zuerst erfolgte die Aufteilung anhand der Anschlussleistungen und Benutzungsdauern der Verbraucher. Auf dieser Grundlage unterwarf der Beklagte mit Steueränderungsbescheid vom 8. Dezember 2020 eine bisher als steuerfrei belassene Strommenge von 34.804,834 MWh dem Regelsteuersatz und setzte Stromsteuer i.H.v. insgesamt ... € gegen die Klägerin fest. Im Rahmen einer anschließenden Außenprüfung teilte der Beklagte die Strommengen nunmehr unter Anwendung eines Kraftwerk-Kennzeichensystems auf die Verbraucher auf und beließ mit Steueränderungsbescheid vom 14. Dezember 2021 eine weitere Menge von 2.980,426 MWh steuerfrei. Zum Abschluss des von der Klägerin geführten Einspruchsverfahrens setzte der Beklagte mit Steueränderungsbescheid vom 23. Mai 2022 die Stromsteuer für eine insgesamt zu versteuernde Menge von 39.817,549 MWh auf ... € herab. Die Änderung beruhte in erster Linie auf einer Korrektur des Ausgangswertes der von der KWK-Anlage insgesamt verbrauchten Strommenge von 39.323,890 MWh auf 38.979,783 MWh im Hinblick auf Strom, der für die Trocknung von extern entsorgtem Klärschlamm sowie auf die Wasserproduktion des Fernwärmenetzes in der Vollentsalzungsanlage verbraucht worden war. Im Ergebnis beließ er eine für die Stromerzeugung in der Müllverbrennungsanlage verbrauchte Menge von 11.218,301 MWh und für den Betrieb des Notstromaggregats verbrauchte Menge von 245,200 MWh steuerfrei nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG. Zudem beließ er den – bisher als steuerpflichtig angesetzten – vom Notstromgenerator erzeugten Strom i.H.v. 42,110 MWh nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 StromStG steuerfrei. Wegen der Einzelheiten der Steuerberechnung und der Aufteilung der (nicht) begünstigten Strommengen auf die einzelnen Verbraucher wird auf die Anlagen 1 und 2 des Steueränderungsbescheids vom 23. Mai 2022 Bezug genommen (Bl. 357 ff. der Verwaltungsakte).
13Eine weitergehende Steuerbefreiung lehnte der Beklagte mit Einspruchsentscheidung ebenfalls vom 23. Mai 2022 ab.
14Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren macht sie u.a. geltend: Zwar habe der Beklagte die auf die einzelnen Verbraucher entfallenden Strommengen zutreffend ermittelt und sie begehre auch keine Steuerbefreiung für Strom, der unmittelbar der Fernwärmeerzeugung zuzuordnen sei. Es unterliege jedoch sämtlicher Strom, den sie für den Betrieb der Neben- und Hilfsanlagen, d.h. der Verbraucher der Müllverbrennungsanlage (38.979,783 MWh) sowie der Klärschlammvortrocknungsanlage (3.080,856 MWh) und der Vorschaltanlage (392,891 MWh) entnommen habe, der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG. Ausreichend sei allein die Fähigkeit, Strom zu erzeugen. Zudem sei der Betrieb der Nebenanlagen zum Teil genehmigungs- oder immissionsschutzrechtlich vorgeschrieben. Die Müllverbrennung sei zwingende Voraussetzung für die Stromerzeugung. Auf die Art der Stromerzeugung durch die untrennbar hiermit verbundene Müllverbrennung komme es hingegen nicht an. Unbeschadet davon, dass die obligatorische Steuerbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 nicht dem europäischen Beihilferecht unterliege, stelle die Befreiung keinen beihilferechtlichen Vorteil dar, da die Anlage nicht mit Müllverbrennungsanlagen ohne Stromerzeugungseinheit vergleichbar sei. Wegen der Eignung als Brennstoff unterliege darüber hinaus auch Abfall der Preisbildung am Markt. Im Vergleich zu anderen KWK-Anlagen benachteilige der Beklagte vielmehr sie, die Klägerin, aufgrund des verwendeten Brennstoffs unter Verstoß gegen den steuerrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
15Es sei zudem unerheblich, dass der erzeugte Dampf auch zur Fernwärmegewinnung genutzt werde, da die gesamte der Turbine zugeführte Dampfmenge zunächst zur Stromerzeugung eingesetzt werde, wohingegen eine Entnahme des Dampfs zur Fernwärmegewinnung erst in späteren Schritten erfolge. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 7. März 2018 (Rs. Cristal Union C-31/17), das nur den begünstigten Anteil des in einer KWK-Anlage verwendeten Energieerzeugnisses, aber nicht eine KWK-Anlage für die Stromerzeugung behandele. Weitere, nicht energetische Erzeugnisse im Sinne des EuGH-Urteils vom 3. Dezember 2020 (Rs. Repsol Petróleo C-44/19, Randnr. 37) erzeuge die KWK-Anlage nicht. Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Alt. 1 der Richtlinie 2003/96 erfasse sämtliche im technischen Zusammenhang mit der Dampferzeugung stehende Stromverbräuche, wohingegen eine Aufteilung auf die Fernwärmegewinnung nur bei Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Alt. 2 der Richtlinie 2003/96 in Betracht komme. Demgemäß betreffe das Senatsurteil vom 29. Juni 2022 (4 K 701/20 VSt) eine Aufteilung nur für den nicht streitgegenständlichen Stromverbrauch der Netzumwälzpumpen. Eine weitere Aufteilung führe entgegen der Vorgaben aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. a und Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/96 sowie § 53a des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) zu einer Benachteiligung gegenüber reinen Stromerzeugungsanlagen.
16Die Klägerin beantragt,
171. den Steueränderungsbescheid vom 23. Mai 2022 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 2022 dahingehend zu ändern, dass eine weitere Strommenge von 31.235,228 MWh als steuerfrei nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG berücksichtigt wird;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
211. die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Zur Begründung macht er unter Einbeziehung seines Vorbringens in der Einspruchsentscheidung geltend: Die Steuerbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 sei als Ausnahme von dem Grundsatz der Besteuerung eng auszulegen. Für die Frage, ob die einzig der Vermeidung einer Doppelbesteuerung dienende Steuerbefreiung angewendet werden dürfe, komme es auf den Zweck der Verwendung des Stroms an. Die Richtlinie 2003/96 selbst sowie die Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) stellten auf den Verwendungszweck ab. Der entnommene Strom müsse als Hauptzweck zur Herstellung eines Energieerzeugnisses verwendet werden. Der Unternehmensgegenstand der Klägerin und der Hauptzweck der Müllverbrennung seien hingegen die Abfallentsorgung, sodass der Strom nur mittelbar zur Stromerzeugung entnommen werde. Auch nach den Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) bezwecke die Anlage in erster Linie – trotz der energetischen Verwertung des Abfalls – die Abfallverbrennung. Eine weite Auslegung nähme den mit der Richtlinie 2003/96 verfolgten umweltpolitischen Zielen, insbesondere bestimmter nur nach Art. 15 der Richtlinie 2003/96 möglichen fakultativen Steuerbefreiungen ihre Wirksamkeit. Eine weite Auslegung entzöge den Sachverhalt zudem regelwidrig den Anforderungen des Unionsrechts an staatliche Beihilfen, da die Begünstigung als obligatorische Steuerbefreiung nicht als staatliche Beihilfe nach Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gelte. Eine vollständige Steuerfreistellung führe zu einem selektiven Vorteil von Müllverbrennungsanlagen mit einer Stromerzeugungseinheit und damit zu einer Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV. Andere, ebenfalls zum Wirtschaftszweig der Abfallbeseitigung gehörende Unternehmen ohne Stromerzeugungseinheit müssten den zur Verbrennung benötigten Strom nämlich steuerpflichtig dem allgemeinen Versorgungsnetz entnehmen. Die Steuerfreistellung stehe nicht im Einklang mit dem Grund- und Leitprinzip der Vermeidung einer Doppelbesteuerung, da die Abfallbeseitigung nicht mit Stromsteuer belastet werde. Gleiches gelte für Anlagen, deren Abfallverwertungsmaßnahmen wie z.B. das Recycling in der Abfallhierarchie nach § 6 KrWG über der thermischen Verwertung stünden. Zudem würden konventionelle Stromerzeugungsunternehmen, die die Brennstoffe am Markt einkaufen müssten, benachteiligt. Da die gesamte Dampfmenge auf der ersten Druckstufe zur Stromerzeugung verwendet worden sei, sei keine Aufteilung auf Stromerzeugung und Fernwärmegewinnung vorgenommen worden.
25Entscheidungsgründe
26Die Klage ist teilweise begründet.
27I. Der angefochtene Stromsteuerbescheid ist nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin nur insoweit in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der von der Klägerin entnommene Strom ist i.H.v. insgesamt 25.871,308 MWh nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerfrei, sodass der Beklagte für eine Strommenge von 14.653,007 MWh zu Unrecht Stromsteuer festgesetzt hat. Im darüberhinausgehenden Umfang hat der Beklagte die Klägerin zu Recht für die Stromsteuer in Anspruch genommen.
281. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG ist Strom, der zur Stromerzeugung entnommen wird, von der Steuer befreit. Zur Stromerzeugung entnommen wird gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (Stromsteuer-Durchführungsverordnung – StromStV) u.a. Strom, der in den Neben- und Hilfsanlagen einer Stromerzeugungseinheit insbesondere zur Wasseraufbereitung, Dampferzeugerwasserspeisung, Frischluftversorgung, Brennstoffversorgung oder Rauchgasreinigung zur Erzeugung von Strom im technischen Sinne verbraucht wird.
29Die Bestimmungen beruhen auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2003/96. Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten bei der Stromerzeugung verwendete Energieerzeugnisse bzw. verwendeten elektrischen Strom sowie elektrischen Strom, der zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, verwendet wird, von der Steuer. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf diese Bestimmung nicht weit ausgelegt werden, weil andernfalls der durch die Richtlinie eingeführten harmonisierten Besteuerung jede praktische Wirksamkeit genommen würde (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2023, C-833/21 Endesa Generación, ECLI:EU:C:2023:516, Rn. 34). Daher fällt nur eine Verwendung von Strom, die unmittelbar zum technologischen Prozess der Stromerzeugung beiträgt, unter die Steuerbefreiung des Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2003/96 (vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 2023, C-571/21 RWE Power, ECLI:EU:C:2023:186, Rn. 31). Auch die Verwendung von elektrischem Strom für die Umwandlung und Aufbereitung eines Energieerzeugnisses kann unter diese Befreiung fallen, wenn diese Vorgänge für den Prozess der Stromerzeugung unentbehrlich sind und hierzu unmittelbar beitragen. Dagegen ist die (vorgelagerte) Herstellung eines Energieerzeugnisses, das selbst Besteuerungsgegenstand der Richtlinie 2003/96 ist, nicht nach dieser Vorschrift begünstigt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 2023, C-571/21 RWE Power, ECLI:EU:C:2023:186, Rn. 27 f.). Die Frage, welche Arbeitsschritte oder Prozesse im Einzelnen der Stromerzeugung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Richtlinie 2003/96 zuzurechnen sind, muss unter Berücksichtigung der konkreten Umstände in jedem Einzelfall entschieden werden. Hierbei kann nicht allein auf die Bezeichnung der Vorgänge (zum Beispiel als Bearbeitungshandlung) abgestellt werden. Vielmehr kommt es – insbesondere zur Abgrenzung zur Steuerbegünstigung nach Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie 2003/96 – entscheidend auf den Zweck des Verbrauchs der Energieerzeugnisse beziehungsweise der Verwendung des Stroms zur Stromerzeugung, mithin auf einen hinreichend engen Zusammenhang zur eigentlichen Stromerzeugung an (vgl. BFH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 VII B 103/22, BFH/NV 2024, 27, Rn. 19, 21). Auch bei solchen Einrichtungen, ohne die ein Kraftwerk nach den atomrechtlichen, gewerberechtlichen, umweltrechtlichen, wasserrechtlichen oder arbeitsrechtlichen Vorschriften oder Auflagen überhaupt nicht betrieben werden kann, ist ein enger Zusammenhang zum technischen Vorgang der Stromerzeugung unabdingbar (vgl. BFH, Urteil vom 30. April 2019 VII R 10/18, BFHE 264, 556, Rn. 13).
302. Gemessen hieran ist der von der Klägerin für den Betrieb der streitgegenständlichen Verbraucher entnommene Strom dem Grunde nach gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG von der Steuer befreit (siehe unter a)). Gleichwohl kann die Klägerin die Steuerbefreiung nicht für den gesamten Stromverbrauch in Anspruch nehmen, da dieser auf die begünstigte Stromerzeugung und die nicht begünstigte Fernwärmegewinnung aufzuteilen ist (siehe unter b)).
31a) Der für die streitgegenständlichen Verbraucher verwendete Strom ist dem Grunde nach gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG begünstigt.
32Die Begünstigungsfähigkeit des für die Rauchgasreinigungsanlage und die Raumluftversorgung verbrauchten Stroms ergibt sich bereits aus § 12 Abs. 1 Nr. 1 StromStV, der diese ausdrücklich nennt (vgl. BFH, Urteil vom 13. Dezember 2011 VII R 73/10, BFHE 237, 478, Rn. 16). Die Vollentsalzungsanlage dient der dort ebenfalls genannten Wasseraufbereitung, ohne die sich die Stromerzeugung nicht aufrechterhalten ließe. Der Verbrennungsvorgang und der Dampferzeugungsprozess sind für den Antrieb der Turbine und in der Folge für den Antrieb des Stromgenerators betriebsnotwendig, sodass diese unmittelbar zum technologischen Prozess der Stromerzeugung beitragen. Gleiches gilt für die Beleuchtung der zu den jeweiligen technischen Nebenanlagen gehörenden Arbeits- und Schalträume, ohne die eine Überwachung, Steuerung und Wartung des Anlagenbetriebs nicht möglich ist. Der für die Steuerung der Müllverbrennungsanlage in den Schalthäusern verbrauchte Strom steht ebenfalls in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Stromerzeugung. Insoweit stellt auch der Beklagte nicht in Abrede, dass es sich bei der Müllverbrennungsanlage im Hinblick auf die vorgenannten Prozesse grundsätzlich um eine Stromerzeugungseinheit handelt.
33Auch der für die Vorschaltanlage, den Müllkran und die Sperrmüllschere verbrauchte Strom am Beginn des Stromerzeugungsprozesses ist dem Grunde nach begünstigt. Der Stromverbrauch dient nicht der Herstellung eines Energieerzeugnisses, sondern der Brennstoffversorgung. Durch die Verarbeitungsschritte wird der Abfall sortiert, zerkleinert, durchmischt und der Verbrennung zugeführt. Diese Prozesse gewährleisten eine effiziente Verbrennung, mithin eine konstante Dampferzeugung, die für die Stromerzeugung unentbehrlich ist und zu ihr unmittelbar beiträgt. Die Aufbereitung des Abfalls ist insofern vergleichbar mit dem Brechen und Trocknen von Braunkohle oder dem Abscheiden von Fremdteilen (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 19. April 2023 – 4 K 3119/18 VSt, ZfZ 2023, 349).
34Entsprechendes gilt für den Stromverbrauch der Klärschlammvortrocknungsanlage. Die weitere Trocknung des mit einem Trockenstoffgehalt von 25 % angelieferten Klärschlamms dient einer effizienten Verbrennung, da so die Entstehung von Wasserdampf im eigentlichen Verbrennungsprozess vermieden wird. Der Strom wird hierbei nicht zur Herstellung oder Gewinnung eines Energieerzeugnisses verwendet, was allenfalls nach Art. 21 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2003/96 begünstigt sein könnte (vgl. BFH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 VII B 103/22, BFH/NV 2024, 27; FG Düsseldorf, Urteil vom 19. April 2023 – 4 K 3119/18 VSt, ZfZ 2023, 349). Klärschlamm stellt nach § 1b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes (EnergieStV) i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 der Klärschlammverordnung kein Energieerzeugnis dar, das als Steuergegenstand unter das Energiesteuergesetz fällt. Soweit der Beklagte geltend macht, dass erst dann ein fertiger Brennstoff vorliege, wenn dieser ohne weitere Bearbeitungsschritte in der Stromerzeugungsanlage verwendet werden könne, gilt dies im Übrigen für den angelieferten Klärschlamm, der auch mit einem Trockenstoffgehalt von 25 % bereits brennbar wäre. Die Anwendbarkeit von § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG für Strom, der für die Aufbereitung von Klärschlamm eines Trockenstoffgehalts von 28 % – insofern vergleichbar mit dem der Klägerin im Streitfall geliefertem Klärschlamm eines Trockenstoffgehalts von 25 % – durch eine weitere Trocknung bis zur Entstehung von Klärschlammgranulat verwendet wird, hat der Senat bereits mit Urteil vom 21. September 2005 (4 K 2253/04, ZfZ 2006, 137, Rn. 41 ff.) bejaht.
35b) Die dem Grunde nach begünstigten Stromentnahmen sind nur teilweise steuerfrei.
36aa) Eine Beschränkung der Steuerbefreiung ergibt sich allerdings nicht aus einer Unterscheidung zwischen der Müllverbrennung als Hauptzweck und der Stromerzeugung als Nebenzweck der Stromentnahmen. Soweit der Beklagte solche Strommengen von der Steuerbefreiung ausgenommen hat, die auch in Müllverbrennungsanlagen ohne Stromerzeugungseinheit anfallen würden, folgt der Senat dem nicht. Auf die Frage, ob die Stromerzeugung als bloßer Nebenzweck zum Hauptzweck der Müllverbrennung anzusehen ist, kommt es für die Beurteilung der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG nicht an. Eine solche Unterscheidung lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Der Wortlaut von § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG verlangt zwar einen finalen Zusammenhang („Strom zur Stromerzeugung“). Dieser wird allerdings im Lichte der bei der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 gebotenen engen Auslegung durch den unmittelbaren Zusammenhang der Stromentnahme zum technologischen Prozess der Stromerzeugung hergestellt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 2023, C-571/21 RWE Power, ECLI:EU:C:2023:186, Rn. 31). Auf die Art der Stromerzeugung kommt es hingegen nicht an (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts K. vom 22. Februar 2018, Rs. C-31/17 Cristal Union, Rn. 45). Auch das vom Vertreter der GZD in der mündlichen Verhandlung angeführte Senatsurteil vom 15. November 2023 (4 K 280/23, n.v.) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Urteil behandelt nicht die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG, sondern die Zuordnung eines Unternehmens zum Produzierenden Gewerbe. Die Müllverbrennung als vermeintlicher Hauptzweck der klägerischen Tätigkeit, die zugleich die Art der Stromerzeugung darstellt, kann demgemäß nicht zur Einstufung von unmittelbar bzw. nur mittelbar für die Stromerzeugung i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG verwendeten Stromentnahmen heranzogen werden.
37Etwas Anderes folgt auch nicht aus Art. 107 ff. AEUV. Im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 als obligatorischer Steuerbefreiung sind die beihilferechtlichen Vorschriften bereits nicht anwendbar, sodass sich Fragen der Zulässigkeit der Steuerbefreiung unter dem Gesichtspunkt des unionsrechtlichen Beihilferechts nicht stellen (vgl. Henseler in Friedrich/Soyk, Energiesteuern, § 9 StromStG, Rn. 19). Die einfachrechtliche Frage, ob im Streitfall Strom zur Stromerzeugung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG verwendet wird, kann nicht durch Art. 107 f. AEUV beantwortet werden. Im Übrigen sind die vom Beklagten behaupteten Wettbewerbsverzerrungen nicht ersichtlich, da andere Müllverbrennungsanlagen ohne KWK-Anlage nicht mit der Anlage der Klägerin vergleichbar sind.
38Ob die Klägerin nach den Vorschriften des Immissionsschutzrechts oder des Abfallrechts zur Nutzung des bei der Verbrennung entstehenden Dampfs zur Strom- oder Fernwärmeerzeugung verpflichtet ist oder in der Abfallhierarchie unterhalb von Recycling-Unternehmen steht, ist für die Beurteilung der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr die Vermeidung einer Doppelbesteuerung.
39bb) Die Stromentnahmen können nicht in vollem Umfang steuerfrei belassen werden. Vielmehr sind die Strommengen auf die begünstigte Stromerzeugung und die nicht begünstigte Fernwärmegewinnung aufzuteilen. Den im Rahmen der thermischen Verwertung erzeugten Dampf hat die Klägerin durch den KWK-Prozess nicht nur zur Stromerzeugung, sondern auch zur Fernwärmegewinnung verwendet. Nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 ist aber nur Strom, der zur Stromerzeugung oder zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, verwendet wird, steuerfrei. Die fakultative Steuerbefreiung des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/96 für elektrischen Strom, der für die Kraft-Wärme-Kopplung verwendet wird, hat der nationale Gesetzgeber hingegen nicht umgesetzt. Eine parallele Vorschrift zu § 53a EnergieStG sieht das StromStG nicht vor. Die notwendige Aufteilung auf Strom, der für die nicht begünstigte Fernwärmegewinnung verwendet wird, folgt demnach gerade aus dem Unionsrecht.
40Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass sämtlicher der Turbine zugeführter Dampf zunächst zur Stromerzeugung genutzt wird. Maßgebend ist der Zweck des jeweiligen Verbrauchs (vgl. EuGH, Urteile vom 7. November 2019, Rs. C‑68/18, ECLI:EU:C:2019:933, Rn. 25; vom 3. Dezember 2020, Rs. C-44/19, ECLI:EU:C:2020:982, Rn. 27 f.), der sich hier nicht durch eine stufenweise Aufgliederung der Prozesse innerhalb der Turbine abbilden lässt. Insofern verlangt der EuGH im Rahmen der Steuerbefreiung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96 eine Abgrenzung des Teils eines Energieerzeugnisses, der in einer KWK-Anlage für die Stromerzeugung verwendet wird, von dem Teil, der für die Wärmeerzeugung verwendet wird (vgl. EuGH, Urteil vom 7. März 2018, C-31/17, Randnr. 45). Es ist nicht ersichtlich, weshalb in KWK-Prozessen für zur Stromerzeugung verwendeten Strom etwas Anderes gelten sollte. Dementsprechend überzeugt es auch nicht, nur bei Strom, der zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, Strom zu erzeugen, verwendet wird (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alt. 2 der Richtlinie 2003/96), eine Aufteilung auf Stromerzeugung und Fernwärmegewinnung vorzunehmen. Denn die im Dampf enthaltene Wärmeenergie wird über den KWK-Prozess nicht nur zur Erzeugung von Strom, sondern anteilig auch zur Fernwärmegewinnung verwendet. Auch die für die Dampferzeugung verwendeten Strommengen stehen sowohl mit der Stromerzeugung als auch mit der Fernwärmegewinnung im (technischen) Zusammenhang, dienen mithin beiden Zwecken. Im Verfahren 4 K 701/20 VSt hatte der Senat nur über die Steuerbefreiung für den zum Betrieb von Netzumwälzpumpen verwendeten Strom zu entscheiden. Die hier in Rede stehenden Stromverbraucher einer Müllverbrennungsanlage mit angeschlossener KWK-Anlage waren nicht streitgegenständlich.
41cc) Die begünstigten Strommengen sind im Streitfall anhand des energetischen Outputs, d.h. anhand der erzeugten Strommenge sowie der an das Fernwärmenetz übertragenen Energie zu ermitteln (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). Im Kalenderjahr 2018 hat die Klägerin durch die Umwandlung von Wärmenergie in Rotationsenergie über den Stromgenerator insgesamt 151.384,610 MWh Strom erzeugt. Zudem wurde die im Dampf enthaltene Wärmeenergie durch Kondensation (89.811,730 MWh) sowie durch Wärmeübertragung (7.218,270 MWh), d.h. insgesamt i.H.v. 97.030,000 MWh in das Fernwärmenetz eingespeist. Demnach entfällt ein Anteil von 60,94 % (151.384,610 MWh / 248.414,610 MWh) der umgewandelten Energie auf die Stromerzeugung. Bei dieser Betrachtung wird die ungenutzte thermische Energie, die am Ende der Turbine über den Kondensator als Speisewasser den Kesseln zurückgeführt wird, außer Acht gelassen. Diese Aufteilung ist bei der wärmegeführten KWK-Anlage der Klägerin sachgerecht, da die zur Fernwärmegewinnung entnommene Dampfmenge von der Temperatur des Wassers im Fernwärmerücklauf abhängt. Sofern weniger Wärme benötigt wird, sinkt die entnommene Dampfmenge und die an das Fernwärmesystem übertragene Energie, wodurch wiederum der Anteil der zur Stromerzeugung begünstigten Stromentnahmen steigt. Anders als die Klägerin meint, ist bezüglich der Fernwärme nicht lediglich der auf die Wärmeübertragung entfallende Anteil (7.218,270 MWh) zu berücksichtigen. Zwar wird der Dampf als Kondensat in den Verdampfungsprozess zurückgeführt. Gleichwohl wird zuvor die im Dampf enthaltene Kondensationsenthalpie freigesetzt und an das Fernwärmenetz übertragen.
42Da keine der streitgegenständlichen Stromverbräuche unmittelbar der Strom- oder Fernwärmeerzeugung zugeordnet werden können, sind sämtliche Stromentnahmen für den Betrieb der Verbraucher der KWK-Anlage sowie der Klärschlammvortrocknung und der Vorschaltanlage anhand der Quote aufzuteilen. Keine Auswirkung auf die Aufteilung haben zudem die Dampfmengen, die vor der Turbine zur Klärschlammvortrocknung, Kesselreinigung sowie im Rahmen der Rauchgasreinigung ausgekoppelt werden. Die Prozesse hängen sowohl unmittelbar mit dem technologischen Prozess der Stromerzeugung als auch mit der Fernwärmegewinnung zusammen. Der für die Produktion dieser Dampfmengen benötigte Strom kann daher ebenfalls über den energetischen Output im Zuge der Quote berücksichtigt werden.
43Insgesamt wurde für den Betrieb der KWK-Anlage eine Strommenge von 38.979,782 MWh sowie für die Klärschlammvortrocknung von 3.080,856 MWh und die Vorschaltanlage von 392,891 MWh entnommen, sodass sich eine insgesamt steuerfreie Strommenge von 25.871,308 MWh (= 60,94 % von 42.453,529 MWh) ergibt. Demnach ist eine zusätzliche Strommenge von 14.653,007 MWh (= 25.871,308 MWh abzgl. bisher als steuerfrei behandelte 11.218,301 MWh) steuerfrei zu belassen.
44Soweit der Vertreter der GZD in der mündlichen Verhandlung zu Bedenken gegeben hat, dass im Falle der Verwertung der bei der Verbrennung entstehenden Abfallprodukte eine weitere Aufteilung notwendig sei, bedarf dies im Streitfall keiner Entscheidung. Denn der technische Betriebsleiter der Klägerin hat hierzu klargestellt, dass die Klägerin die entstehenden Abfallprodukte (Gips und Schlacke) nicht verwertet, sondern auf einer Deponie entsorgt.
45II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.