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Die Einkommensteuerbescheide 2001 vom 08.112017, 11.06.2018 und 05.09.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2020 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist, ob im Jahr 2018 gegenüber der Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer im Jahr 2005 verstorbenen Stiefmutter G. M. noch eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung für 2001 ergehen durfte.
3Der Vater der Klägerin, Herr J. „F.“ M., war in zweiter Ehe mit Frau G. M. verheiratet. Aus der ersten Ehe des F. M. stammten zwei Kinder, die Klägerin und T. M.; aus der ersten Ehe der G. M. stammte ein Kind, Z. X.. Testamentarisch hatten sich F. und G. M. (im Folgenden: die Eheleute M.) wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt. Der oder die Längstlebende sollte durch die drei Kinder jeweils zu 1/3 beerbt werden.
4Die Eheleute M. verfügten zu Lebzeiten über erhebliches Kapitalvermögen, das u.a. im Streitjahr 2001 bei der C. AG, K./Schweiz (Konto Nr. N01 für F. M. und N02 für G. M.) und der P. AG, K. (Depot-Nr. N03 für F. M.) ertragbringend angelegt war. Die Einkommensteuererklärung 2001 der Eheleute M. wurde im Mai 2002 abgegeben. Die aus den Kapitalanlagen in der Schweiz erzielten Kapitalerträge wurden in der Erklärung – wie auch in den Erklärungen der Vorjahre und Folgejahre – nicht angegeben und blieben entsprechend im Einkommensteuerbescheid 2001 vom 21.11.2002 unberücksichtigt (festgesetzte Einkommensteuer: ... €). Der in dem Bescheid enthaltene Vorbehalt der Nachprüfung wurde unter dem 06.12.2004 aufgehoben.
5Am 00.00.0000 verstarb F. M. und wurde von G. M. beerbt. Die o.g. Kapitalanlagen der Eheleute M. wurden – unter anderen Depot-Nummern (C.-AG Nr. N04; P.: Nr. N05) – durch G. M. fortgeführt. Am 15.12.2003 übergab G. M. der Klägerin und T. M. bei einem gemeinsamen Termin beim I. in A. Schecks i.H.v. jeweils ... €. Die Schecks wurden durch die Klägerin und T. M. auf neu eingerichtete Konten bei dem I. eingelöst. Die Vermögensanlage bei der P. wurde im Mai 2004 auf das Konto Nr. N06 überführt, das G. M. und ihrer Schwester O. H. je hälftig zuzurechnen war. Am 21.10.2005 wurde in N./Schweiz durch eine Treuhandanstalt eine Stiftung nach liechtensteinischem Recht, die D.-Stiftung, gegründet. Erstbegünstigte der Stiftung war nach den Beistatuten G. M., Zweitbegünstigte nach ihrem Ableben zu gleichen Teilen die Klägerin, T. M. sowie Z. X.. Am 24.10.2005 wurden von dem durch G. M. bei der C. AG gehaltenen Vermögen i.H.v. insgesamt rund ... € rund ... € auf ein Konto der D.-Stiftung bei der C. AG (Konto Nr. N07) transferiert.
6Am 00.00.0000 verstarb G. M.. Erben wurden zu gleichen Teilen die Klägerin, T. M. sowie Z. X.. Bis Juli 2006 teilten die Erben das bei der C. AG verwahrte Kapitalvermögen unter sich auf. Aus dem Stiftungsvermögen der D.-Stifung, die umbenannt und als E.-Stiftung mit Herrn T. M. als Erstbegünstigtem fortgeführt wurde, wurden zudem im Juli 2006 rund ... € auf ein Konto der im Juni 2006 gegründeten S.-Stiftung bei der C. AG transferiert. Erstbegünstigte der S. war nach den Beistatuten die Klägerin, Zweitbegünstigte ihre drei Kinder. Im Juni 2006 wurden zudem auf einem Unterkonto bei der P. gehaltene Vermögenswerte auf das Konto N06 überführt. Die Kapitalanlage bei der P. wurde sodann im Oktober 2006 aufgelöst und hälftig auf O. H. einerseits und die Erben der G. M. andererseits übertragen. Wegen der – zwischen den Beteiligten nicht streitigen – weiteren Einzelheiten der Vermögensanlagen und -übertragungen in Bezug auf die Konten bei der C. AG und der P. wird auf den Bericht des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R. (im Folgenden: Steuerfahndung R.) vom 30.08.2017 über die steuerlichen Feststellungen bei den Eheleuten M. (Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft U., Aktenzeichen N08, Bd. 2 Bl. 385 ff.) Bezug genommen.
7Für die Erbengemeinschaft nach G. M. wurde im Juni 2007 eine Erbschaftsteuererklärung, unterzeichnet durch T. M., abgegeben. Das schweizerische Kapitalvermögen wurde hierin nicht angegeben. Über die zu Lebzeiten von den Eheleuten M. und nach deren Ableben von den Erben erzielten Kapitalerträge wurden einkommensteuerlich zunächst ebenfalls keine Angaben gemacht.
8Mit diversen Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 16.09.2012 nahmen die Klägerin und T. M. – auch als Gesamtrechtsnachfolger der Eheleute M. – Nacherklärungen u.a. von Einkünften aus Kapitalvermögen vor und erstatteten – auch als Gesamtrechtsnachfolger der G. M. – Anzeigen nach § 30 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG). Sie gaben insbesondere an, dass Erträge aus in der Schweiz belegenem Vermögen in der Vergangenheit nicht deklariert worden seien.
9Am 25.09.2012 leitete die Steuerfahndung R. gegen die Klägerin ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein. Der Verdacht betraf einkommensteuerlich die Nichtabgabe der (eigenen) Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2004 bis 2011 sowie das Unterlassen einer nach § 153 der Abgabenordnung (AO) gebotenen Berichtigung hinsichtlich der Einkommensteuer 2002 bis 2005 der Eheleute M.. Die Einleitung des Strafverfahrens wurde der Klägerin mit Schreiben vom 04.02.2013, ihr zugestellt am 09.02.2013, bekannt gegeben. In diesem Schreiben wurde die Klägerin darauf aufmerksam gemacht, dass sie im Besteuerungsverfahren betreffend die Jahre 2000 bis 2011 weiterhin zur Mitwirkung verpflichtet sei. Zur Überprüfung der Wirksamkeit, Richtigkeit und Vollständigkeit der Selbstanzeigen seien noch weitere Unterlagen bzw. Auskünfte erforderlich, u.a. berichtigte Anlagen zu den Einkommensteuererklärungen 2000 bis 2011. Ebenfalls am 25.09.2012 wurde durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Y. – Straf- und Bußgeldsachenstelle – ein Strafverfahren gegen T. M. wegen des Verdachts der Hinterziehung der (eigenen) Einkommensteuer 2004 bis 2010 sowie der Hinterziehung von Erbschaftsteuer eingeleitet. Das Verfahren gegen ihn wurde infolge der Anzeige vom 16.09.2012 nach Erlass von Änderungsbescheiden im Juli 2014 eingestellt. Gegen Z. X., die nach den Feststellungen der Steuerfahndung nach Australien verzogen ist, wurde kein Strafverfahren eingeleitet.
10Unter Bezugnahme auf das Schreiben der Steuerfahndung R. vom 04.02.2013 übersandte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 04.09.2013 Bankunterlagen der P. und der C. AG und zeigte u.a. an, dass die Eheleute M. im Veranlagungszeitraum 2001 Kapitalerträge aus den ausländischen Wertpapiervermögen i.H.v. ... € bzw. ... € erzielt hätten. Im Dezember 2015 wurden zudem Anlagen KAP und SO für die Eheleute M., u.a. auch für das Jahr 2001 übersandt. Hierin wurden neben Kapitalerträgen aus den Konten bei der C. AG und der P. in Bezug auf Frau G. M. geschätzte Kapitalerträge i.H.v. ... € aus dem „Kapitalstamm I.“ erklärt. Mit Schreiben vom 26.05.2017 führte die Steuerfahndung R. aus, dass davon auszugehen sei, dass neben der Klägerin und T. M. auch Z. X. im Jahr 2003 einen Vermögensanteil i.H.v. ... € erhalten habe. Dies heiße, dass neben dem Stiftungsvermögen der G. M. und dem Vermögen auf den Nummernkonten bei der C. AG und der P. noch zusätzlich ca. ... € Vermögen bis Ende 2003 anders angelegt gewesen sei. Neben den nacherklärten Kapitalerträgen aus dem „Kapitalstamm I.“ von (5 v.H. von ... € =) ... € würden sich die Kapitalerträge in 2001 bis 2003 deshalb jeweils um weitere ... € erhöhen.
11Im Bericht der Steuerfahndung R. vom 30.08.2017 über die steuerlichen Feststellungen bei den Eheleuten M., dem Beklagten mit Schreiben vom 31.08.2017 übersandt, kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass bei den Eheleuten M. für das Jahr 2001 zusätzliche Einkünfte gemäß § 20 EStG i.H.v. ... DM anzusetzen seien. Eine Bescheidänderung sei verfahrensrechtlich noch möglich, da durch die Selbstanzeige vom 16.09.2012 eine Hemmung der Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 3 AO eingetreten sei. Die Festsetzungsfrist sei zudem mit Beginn der Fahndungsprüfung und Bekanntgabe der Einleitung des Verfahrens gegenüber der Gesamtrechtsnachfolgerin am 09.02.2013 über den insgesamt zu prüfenden steuerlichen Ermittlungszeitraum (2001 bis 2005) gehemmt worden.
12Nach Abschluss der Ermittlungen durch die Steuerfahndung R. wurde das Strafverfahren gegen die Klägerin in Bezug auf den Tatvorwurf der eigenen Einkommensteuerhinterziehung 2006 bis 2011 nach Zahlung einer Geldauflage i.H.v. ... € nach § 153a Abs. 1 StPO und im Übrigen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
13Die steuerlichen Feststellungen der Steuerfahndung in Bezug auf die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. setzte der Beklagte zunächst in einem an die „Erbengem. M.-X. […] als Gesamtrechtsnachfolgerin für Herrn F. M. und Frau G. M.“ adressierten und auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid vom 08.11.2017 – maschinell zunächst datiert auf den 02.11.2017 – um, gegen den die Klägerin und T. M. am 24.11.2017 Einspruch einlegten. Mit Schreiben vom 11.06.2018 teilte der Beklagte mit, dass der „Bescheid vom 02.11.2017“ nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden sei und als gegenstandslos erachtet werden könne. Ebenfalls unter dem 11.06.2018 erging ein neuer, hinsichtlich der Steuerfestsetzung mit dem vorherigen Bescheid identischer Einkommensteueränderungsbescheid 2001 (festgesetzte Einkommensteuer: ... €), der an die Prozessbevollmächtigte als „Empfangsbevollmächtigte für die Miterben Frau Q. M. und Herr T. M. der Erbengemeinschaft M.-X. nach Herrn F. M. und Frau G. M.“ adressiert war und hinsichtlich der Änderungen auf den Bericht der Steuerfahndung vom 31.08.2017 Bezug nahm. Hiergegen legten die Klägerin und T. M. am 28.06.2018 ebenfalls Einspruch ein.
14Unter dem 05.09.2018 erging ein weiterer Einkommensteueränderungsbescheid 2001 mit identischer Einkommensteuerfestsetzung, der nunmehr an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin als „Empfangsbevollmächtigte für Frau Q. M. und Herrn T. M. als Miterben in der Erbengemeinschaft M.-X. bestehend aus Frau Q. M., Herrn T. M. und Frau Z. X. als Gesamtrechtsnachfolger nach Herrn F. M. und Frau G. M.“ adressiert war. Erneut wurde hinsichtlich der Änderungen auf den Bericht der Steuerfahndung vom 31.08.2017 Bezug genommen. Gegenüber Z. X. wurden Einkommensteuerbescheide 2001 vom 11.06.2018 öffentlich zugestellt bzw. vom 05.09.2018 an ihre zwischenzeitlich ermittelte Anschrift in Australien versandt.
15Gegen den Bescheid vom 05.09.2018 legten die Klägerin und T. M. am 13.09.2018 ebenfalls Einspruch ein und wiesen darauf hin, dass gegen T. M. kein Strafverfahren in Bezug auf die Einkommensteuer 2001 eröffnet worden sei. Infolgedessen wurde gegenüber Herrn T. M. mit Schreiben vom 20.03.2020 u.a. der Einkommensteuerbescheid 2001 vom 05.09.2018 aufgehoben.
16Den Einspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 11.08.2020 als unbegründet zurück. Unter anderem führte er aus, dass die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum 2001 im Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheides noch nicht abgelaufen gewesen sei. Festsetzungsverjährung sei grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2012 eingetreten. Für die durch Unterlassen der Berichtigung der Einkommensteuererklärung der Rechtsvorgänger nach § 153 AO durch die Erben begangene eigene Steuerstraftat sei jedoch erst im November 2015 strafrechtliche Verjährung eingetreten. Die Steuerfahndung habe in 2013 mit Ermittlungen gegen die Klägerin als Erbin unter anderem wegen der unterlassenen Berichtigung nach § 153 AO der Steuererklärung 2001 der Erblasser begonnen, wodurch unter Anwendung von § 171 Abs. 7 AO eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO ausgelöst worden sei.
17Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der am 14.09.2020 erhobenen Klage. Unter Einbeziehung ihres Vorbringens im Einspruchsverfahren macht sie geltend:
18Die Einspruchsentscheidung verweise auf den Einkommensteuerbescheid vom „20.11.2017“. Auch der Beklagte habe erkannt, dass dieser Bescheid nicht wirksam bekannt gegeben worden sei und aus diesem Grund den Bescheid vom 11.06.2018 neu erlassen. Eine Aufhebung des Bescheides vom „20.11.2017“ habe es zu keiner Zeit gegeben. Eine solche sei auch nicht erforderlich, weil der Bescheid mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe zu keinem Zeitpunkt wirksam geworden sei.
19Die Einkommensteuer 2001 der Erblasser sei bei Erlass des Änderungsbescheides vom 20.11.2017 und damit auch bei Erlass des neuen Einkommensteuerbescheides vom 11.06.2018 bereits festsetzungsverjährt gewesen. Die verlängerte, zehnjährige Festsetzungsfrist habe mit Ablauf des Kalenderjahres 2012 geendet. Nach dem 31.12.2012 sei eine Festsetzung der Einkommensteuer 2001 damit nur noch im Falle einer Hemmung des Eintritts der Festsetzungsverjährung möglich gewesen.
20Hinsichtlich ihres Schreibens vom 16.09.2012, das der Beklagte als Selbstanzeige i.S.d. § 371 AO gewertet habe, sei die Festsetzungsfrist gemäß §171 Abs. 9 AO lediglich bis September 2013 gehemmt gewesen. Die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens i.S.d. § 171 Abs. 5 Satz 2 AO sei für die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. weder ihr – der Klägerin – noch ihrem Bruder T. M. gegenüber erfolgt. Ihr sei auch nicht bekannt, dass eine solche Verfahrenseinleitung gegenüber der dritten Erbin erfolgt sei. Selbst wenn, wie der Beklagte annehme, in 2013 mit Ermittlungen gegen sie als Erbin unter anderem wegen der unterlassenen Berichtigung nach § 153 AO der Einkommensteuererklärung 2001 der Erblasser begonnen worden wäre, wäre zu diesem Zeitpunkt die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO bereits abgelaufen gewesen. Auch eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO scheide damit aus.
21Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nicht nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt gewesen, da sie hinsichtlich der Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. keine Steuerhinterziehung durch Unterlassen einer Berichtigungsanzeige nach § 153 AO begangen habe. Sie habe vom gesamten Umfang des Nachlasses und dem Kapitalvermögen erst kurz nach dem Tod ihrer Stiefmutter erfahren. Davor habe sie keinen Kontakt zu ihrem Vater und ihrer Stiefmutter gehabt. Über die Frage, ob die Eltern die Kapitalerträge in ihren Steuererklärungen angegeben hätten, habe sie sich bei Antritt der Erbschaft keine Gedanken gemacht. Sie sei seinerzeit von ihrem Bruder und ihrer Stiefschwester dahingehend beeinflusst worden, das Kapitalvermögen in der Schweiz und auch die diesbezüglichen Kapitalerträge bei der Einkommensteuererklärung nicht zu offenbaren, um zu vermeiden, dass insoweit ein Zugriff des Finanzamts erfolge. Sie sei von ihren Geschwistern darauf hingewiesen worden, dass sie anderenfalls bezüglich ihrer Erbschaft auf den Pflichtteil beschränkt würde. Die Aufteilung des Erbes und die Gründung ihrer Stiftung seien im Jahr 2006 erfolgt. Nach dem Tod der Stiefmutter habe es ein Treffen in der Schweiz bei der Bank gegeben. Hieran hätten neben ihren Geschwistern auch ihre Tante O. H. und ihr Onkel teilgenommen. In diesem Zuge habe sie auf Anraten der Bank die neue Stiftung gegründet. Erst im Zusammenhang mit der Offenlegung – der Anzeige im September 2012 – sei ihr bewusst geworden, dass Steuerschulden ihrer Eltern bestanden hätten. Zur Anzeige gegenüber der Finanzverwaltung sei es gekommen, da sie seinerzeit ihre Verhältnisse habe ordnen wollen und außerdem zu jener Zeit die sogenannten Steuer-CDs kursiert hätten.
22Selbst bei Annahme einer Steuerhinterziehung und einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO wäre zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 11.06.2018 aber bereits offensichtlich strafrechtliche Verfolgungsverjährung eingetreten gewesen. Der vom Beklagten angenommenen Kombination von Ablaufhemmungen stehe eine eindeutige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Urteilen vom 03.07.2018 VIII R 9/16 und VIII R 10/16 entgegen. Für die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO sei erforderlich, dass vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen begonnen werde. Anknüpfungspunkt der einzelnen eigenständigen Ablaufhemmungen nach § 171 AO bleibe danach die ungehemmte Festsetzungsfrist i.S.d. § 169 AO. Es obliege der Finanzverwaltung, durch entsprechende Maßnahmen weitergehende Ablaufhemmungen vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist eintreten zu lassen. Dies sei jedoch unstreitig nicht erfolgt. Zudem seien auch etwaige Ermittlungen betreffend den Veranlagungszeitraum 2001 für die Klägerin zu keiner Zeit erkennbar gewesen. Auch Sinn und Zweck der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO hätten nicht mehr getragen. § 171 Abs. 7 AO solle zwar sicherstellen, dass sofern und solange eine Handlung strafrechtlich noch verfolgt und geahndet werden könne, auch die (hinterzogenen) Steuern aus dieser Tat noch festgesetzt werden könnten. Nicht Sinn und Zweck der Norm sei es hingegen, (strafrechtliche) Ermittlungen auch nach eingetretener Verfolgungsverjährung fortzuführen. Im Übrigen sei § 171 Abs. 7 AO auf Fälle einer unterlassenen Berichtigung nach § 153 AO nicht anwendbar.
23Hilfsweise seien die Einkünfte aus Kapitalvermögen um die vorgenommene Hinzuschätzung von Zinseinnahmen i.H.v. ... € herabzusetzen. Sie – die Klägerin – müsse nicht nachweisen, dass nicht auch ein weiterer Kapitalstamm bestanden habe, der ihrer Stiefschwester zugewendet worden sei. Es sei unzumutbar, das Nichtvorhandensein steuererheblicher Tatsachen nachweisen zu müssen. Sie und ihr Bruder – die beiden leiblichen Kinder des vorverstorbenen F. M. – hätten die Zuwendungen bei einem gemeinsamen Termin erhalten, von dem die Stiefschwester zu keinem Zeitpunkt Kenntnis gehabt habe und nach ihrer Informationslage auch bis heute nichts wisse. Eine Schenkung an die Stieftochter des Verstorbenen sei daher weder zwingend noch sei sie wahrscheinlicher, als dass keine Schenkung erfolgt sei.
24Die Klägerin beantragt,
25die Einkommensteuerbescheide 2001 vom 08.11.2017, 11.06.2018 und 05.09.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2020 aufzuheben,
26hilfsweise, den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 05.09.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2020 dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um die vorgenommene Hinzuschätzung der Zinseinnahmen i.H.v. ... € herabgesetzt werden,
27sowie im Falle des Unterliegens die Revision zuzulassen.
28Der Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Er macht geltend, eine Hemmung des Eintritts der Festsetzungsverjährung habe sich im Streitfall aus einer kombinierten Anwendung von § 171 Abs. 7 AO und § 171 Abs. 5 AO ergeben.
31§ 171 Abs. 7 AO greife auch, wenn der Gesamtrechtsnachfolger innerhalb der aufgrund einer Steuerhinterziehung des Erblassers verlängerten Festsetzungsfrist eine eigenständige Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Berichtigungspflicht begehe. Im Streitfall hätten die Erben zum Zeitpunkt der entstandenen Berichtigungspflicht die steuerlich noch nicht festsetzungsverjährten Veranlagungszeiträume des Erblassers korrigieren und die Unrichtigkeit dem Finanzamt anzeigen müssen. Spätestens nach dem Tod von G. M. am 00.00.0000 hätten sie Kenntnis von der Höhe des Auslandsvermögens und der Nichtversteuerung des Vermögens durch die Eltern erlangt. Die positive Kenntnis lasse sich eindeutig durch das schlüssige Verhalten der Gesamtrechtsnachfolger und die weiteren Indizien herleiten. Die Weiterführung der Auslandskonten und Gründung weiterer Stiftungen sowie die Einrichtung neuer Konten im Ausland, auch schon zu Lebzeiten der G. M., sowie die Übernahme des Steuerhinterziehungssystems der Eheleute M. durch die Gesamtrechtsnachfolger in ihren eigenen Einkommensteuererklärungen sprächen eindeutig dafür, dass die Kinder selbst und als Gesamtrechtsnachfolger die Nichterklärung der Auslandserträge im Rahmen der Einkommensteuer analog zu ihren Eltern übernommen hätten und entsprechend hätten fortführen wollen. Bezogen auf das Klageverfahren hätten die Erben nachweislich bereits ab 2003, aber spätestens ab 2005 Kenntnis von dem umfangreichen Kapital der Eltern und den daraus erzielten Erträgen gehabt. Die gewählten Kapitalanlageformen im Ausland seien nicht darauf ausgelegt gewesen, diese im Rahmen der jeweiligen Einkommensteuererklärungen zu deklarieren. Vielmehr sei das Verhalten der Eltern durch die Erben übernommen worden.
32Für den strafrechtlichen Verjährungsbeginn i.S.v. § 171 Abs. 7 AO sei darauf abzustellen, wann die nachfolgende Änderungsveranlagung bei rechtzeitiger Anzeige nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO frühestens bekannt gegeben worden wäre. Im Hinblick auf den Zusammenhang mit einem Erbfall könne hilfsweise die BGH-Rechtsprechung zum strafrechtlichen Verjährungsbeginn bei Nichtabgabe einer Anzeige nach § 30 ErbStG herangezogen werden (BGH 1 StR 631/10). Hiernach könne bei fristgerechter Anzeige einer Schenkung/Erbschaft die Bekanntgabe der Veranlagung vier Monate nach der jeweiligen Schenkung/Erbschaft erfolgen, sodass zu diesem Zeitpunkt die jeweilige Unterlassungstat beendet sei. Zeitpunkt der Tatbeendigung sei hiernach im Streitfall der 00.00.0000 (Todestag G. M.: 00.00.0000 + 4 Monate Korrekturfrist = 00.00.0000). Strafverfolgungsverjährung sei, da es sich um einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung mit 10-jähriger strafrechtlicher Verjährungsfrist gehandelt habe, dementsprechend am 00.00.0000 eingetreten.
33Durch die im Jahr 2013 durch die Steuerfahndung begonnenen Ermittlungen sei im Rahmen der nach § 171 Abs. 7 AO gehemmten Festsetzungsfrist eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ausgelöst worden. Die Ermittlungen seien auch für die Klägerin erkennbar gewesen, da sie mit Schreiben vom 04.02.2013 darauf hingewiesen worden sei, dass die Besteuerungsgrundlagen für die Veranlagungszeiträume ab 2000 überprüft würden. Die Rechtsprechung des BFH (VIII R 9/17 und VIII R 19/16) zu § 171 Abs. 5 AO i.V.m. § 171 Abs. 9 AO sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Bereits die Schutzzwecke von § 171 Abs. 7 AO und § 171 Abs. 9 AO seien nicht identisch. § 171 Abs. 7 AO solle verhindern, dass auf hinterzogene oder verkürzte Beträge verzichtet werden müsse, solange die Hinterziehung bzw. Verkürzung noch geahndet werden könne. § 171 Abs. 9 AO ergänze § 171 Abs. 7 AO, um der Finanzbehörde Gelegenheit zu geben, berichtigte Steuererklärungen (§ 153 AO) und Selbstanzeigen (§§ 371, 378 Abs. 3 AO) auszuwerten. Zudem würde § 171 Abs. 7 AO durch eine fehlende Kombination mit § 171 Abs. 5 AO an Bedeutung verlieren. In Fällen, in denen die Finanzbehörde erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist von der Steuerhinterziehung der Erben erführe, wäre der für eine zulässige Änderung der Steuerfestsetzung zur Verfügung stehende Zeitrahmen auf den Zeitraum bis zum Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung begrenzt. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO würde dann faktisch nie greifen können, da die Steuerfahndung keine Gelegenheit bekäme, vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist ein Strafverfahren einzuleiten oder mit Ermittlungen zu beginnen.
34Hinsichtlich des Hilfsantrages sei von einer rechtmäßigen Schätzung auf der Grundlage eines weiteren Vermögens der G. M. i.H.v. ... € auszugehen. Nach den Feststellungen der Steuerfahndung, die auf den Angaben in der Selbstanzeige beruhten, habe G. M. im Zeitpunkt ihres Todes immer noch über fast gleich hohe Vermögenswerte wie zum Todeszeitpunkt ihres Ehemannes verfügt, obwohl sie in der Zwischenzeit zumindest den leiblichen Kindern ihres Ehemannes jeweils einen Scheck über ... € und ihrer Schwester O. H. nach den Feststellungen der Steuerfahndung weitere Beträge von insgesamt ... € zugewendet habe. Da die Herkunft der Mittel unaufklärbar sei, habe von weiterem Kapitalvermögen der G. M. ausgegangen werden können. Im Übrigen seien im Rahmen der Nacherklärung für die Jahre ab 2001 aus einer Geschäftsbeziehung zum I. in A. keine Vermögensgegenstände bzw. Einnahmen erklärt worden. Die Klägerin selbst habe aber eingeräumt, dass es sich bei den Zuwendungen an sie und ihren Bruder um Gelder gehandelt habe, die aus Anlagen bei dieser Bank gestammt hätten. Soweit von der Klägerseite bestritten werde, dass auch Z. X. eine Zuwendung i.H.v. ... € erhalten habe, sei darauf hinzuweisen, dass an dem bei der C. AG verwahrten Vermögen der D.-Stiftung nach dem Ableben der G. M. alle drei Kinder zu gleichen Teilen berechtigt gewesen seien. Insofern erscheine auch eine Vorabzuwendung an die leibliche Tochter der G. M., Z. X., im zeitlichen Zusammenhang mit den Zuwendungen an die Klägerin und ihren Bruder logisch. Vorliegend handele es sich um eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO, da es sich bei den unaufgeklärten Zuwendungen um einen Sachverhalt mit Auslandsbezug handele und die Klägerin die Vermögensherkunft der Zuwendungen nicht erklären könne. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, warum die Klägerin keinen Beweis erbringen könne, dass die in Rede stehende Zuwendung von weiteren ... € nicht aus einer Geschäftsbeziehung des Bankhauses I. in A. stamme.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge sowie der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft U., Aktenzeichen N08, Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe
37A. Die Klage ist begründet.
38Der Einkommensteueränderungsbescheid 2001 vom 05.09.2018 betreffend die Steuerschuld der Eheleute M., der gemäß § 365 Abs. 3 AO Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden und an die Stelle der vorhergehenden Bescheide vom 08.11.2017 und vom 11.06.2018 getreten ist, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Bescheid durfte nicht mehr erlassen werden, weil bereits zuvor Festsetzungsverjährung eingetreten war. Der Senat sieht es als geboten an, entsprechend dem Klageantrag auch die vorhergehenden, durch die Klägerin ebenfalls mit Einsprüchen angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide vom 08.11.2017 und 11.06.2018 aufzuheben. Ungeachtet der Frage, ob diese Bescheide mangels hinreichender Bestimmtheit der Klägerin als Steuerschuldnerin bereits unwirksam waren und insofern eine Aufhebung jedenfalls aus Gründen der Rechtsklarheit zur Beseitigung eines von ihnen ausgehenden Rechtsscheins angezeigt wäre, war auch bei Erlass dieser Bescheide bereits Festsetzungsverjährung eingetreten.
39Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Im Streitfall endete die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. regulär mit Ablauf des Jahres 2012 (hierzu unter I.). Auch unter Berücksichtigung der im Streitfall einschlägigen Ablaufhemmungen ist allerspätestens im Juli 2017 Festsetzungsverjährung eingetreten, so dass ab diesem Zeitpunkt eine Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig war (hierzu unter II.).
40I. Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. begann infolge der Abgabe der Einkommensteuererklärung im Mai 2002 mit Ablauf des Jahres 2002 (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Ohne Ablaufhemmung endete sie regulär nach 10 Jahren mit Ablauf des 31.12.2012. Dass eine vorsätzliche Steuerhinterziehung der Eheleute M. vorlag und infolgedessen die verlängerte zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zur Anwendung kommt, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Die Eheleute M. haben in ihrer Einkommensteuererklärung 2001, wie auch in den Erklärungen der Vor- und Folgejahre, die aus ihren Kapitalanlagen in der Schweiz erzielten erheblichen Kapitalerträge nicht angegeben.
41Die verlängerte zehnjährige Festsetzungsfrist lief auch für die Klägerin sowie die Miterben T. M. und Z. X. als Gesamtrechtsnachfolger der G. M., die ihrerseits zuvor Gesamtrechtsnachfolgerin des Herrn F. M. geworden war. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, haftet der Steuer als solcher an und geht mit dem Übergang der Steuerschuld nach § 45 Abs. 1 AO auf den Gesamtrechtsnachfolger über (vgl. dazu BFH, Urteile vom 02.12.1977 III R 117/75, BStBl II 1978, 359; vom 21.06.2022 VIII R 26/19, BStBl II 2023, 210).
42Eine weitere Steuerhinterziehung in Bezug auf die Einkommensteuer der Eheleute M. durch die Miterben (hierzu unter II. 2. b) aa)) vermochte die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht erneut in Gang zu setzen oder nochmals zu verlängern. Zwar ist auch die Steuerhinterziehung eines Erben geeignet, die Festsetzungsfrist für den übergegangenen Steueranspruch auf zehn Jahre zu verlängern. Die Steuerhinterziehung des Erben bewirkt jedoch nur dann eine Fristverlängerung auf zehn Jahre, wenn es sich bei dieser – anders als im Streitfall – um eine erstmalige Verlängerung der Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung handelt (vgl. BFH, Urteil vom 21.06.2022 VIII R 26/19, BStBl II 2023, 210).
43II. Auch unter Berücksichtigung der im Streitfall einschlägigen Ablaufhemmungen des § 171 AO war bereits vor Erlass des ersten Einkommensteueränderungsbescheides 2001 vom 08.11.2017 Festsetzungsverjährung eingetreten.
441. Durch die am 17.09.2012 eingegangenen Anzeigen der Klägerin und ihres Bruders, mit denen der Finanzverwaltung die Unrichtigkeit u.a. der Einkommensteuererklärungen der Eheleute M. in Bezug auf die Kapitalerträge aus der Schweiz i.S.v. § 153 Abs. 1 Satz 2 AO zur Kenntnis gebracht wurde, wurde der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 9 AO lediglich für die Dauer eines Jahres bis zum 17.09.2013 gehemmt. Im Jahr 2017 war diese Jahresfrist bereits abgelaufen.
45Die Anzeigen stellten entgegen der Annahme der Steuerfahndung im Bericht vom 30.08.2017 auch keine Anträge i.S. des § 171 Abs. 3 AO dar und führten daher nicht zu einer Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift. § 171 Abs. 9 AO, der den Fall des Eingangs einer Selbstanzeige oder einer Anzeige gemäß § 153 AO erfasst, käme keine Bedeutung mehr zu, wenn man jede Selbstanzeige oder Anzeige nach § 153 AO als Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO beurteilen würde (vgl. BFH, Urteil vom 08.07.2009 VIII R 5/07, BStBl II 2010, 583).
462. Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO führte im Streitfall zum Eintritt der Festsetzungsverjährung spätestens im Juli 2017.
47Gemäß § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsfrist in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Die Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit, deren strafrechtliche Verfolgbarkeit eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO bewirkt, kann die Tat sein, die – wie im Streitfall die Steuerhinterziehung durch die Eheleute M. – selbst zur Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO geführt hat. Der Anwendungsbereich der Norm ist hierauf aber nicht begrenzt. Eine Hemmung der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 7 AO tritt auch ein, wenn strafrechtliche Verfolgungsverjährung für eine anderweitige, aber dieselbe Steuerschuld betreffende Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit noch nicht eingetreten ist. Dementsprechend läuft die Festsetzungsfrist auch dann nicht ab, wenn der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begeht. Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann (vgl. BFH, Urteil vom 21.06.2022 VIII R 26/19, BStBl II 2023, 210).
48a) Hinsichtlich der durch die Eheleute M. unstreitig begangenen Einkommensteuerhinterziehung, die zur Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO geführt hat, war bereits vor Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist strafrechtliche Verfolgungsverjährung eingetreten. Mit dem Tod der Eheleute M. im Jahr 2003 bzw. 2005 war deren Steuerhinterziehung strafrechtlich nicht mehr verfolgbar (vgl. BFH, Urteil vom 02.12.1977 III R 117/75, BStBl II 1978, 359).
49b) Zwar haben die Klägerin und die weiteren Miterben eine anderweitige, die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO auslösende Steuerstraftat in Bezug auf die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. in Form einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen (hierzu unter aa). Diesbezüglich war allerdings spätestens im Juli 2017 Strafverfolgungsverjährung und damit auch Festsetzungsverjährung eingetreten (hierzu unter bb).
50aa) Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO setzt voraus, dass die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt worden sind. Gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerpflichtiger, der nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO trifft diese Verpflichtung auch den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen. Der Gesamtrechtsnachfolger muss hiernach tätig werden, wenn er erkennt, dass Erklärungen des Rechtsvorgängers unrichtig waren. Erforderlich ist insofern die positive Kenntnis des Gesamtrechtsnachfolgers von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Steuererklärung des Rechtsvorgängers. Ein fahrlässiges oder leichtfertiges (§ 378 AO) Nichterkennen löst demgegenüber keine Berichtigungspflicht aus (vgl. Schindler in Gosch, AO/FGO, § 153 AO Rn. 22; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 153 AO Rn. 13b). Eine Kenntnis bereits vor dem Tod des Erblassers schließt die Berichtigungspflicht nicht aus, da für die nachträgliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge, d.h. auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers, abzustellen ist (vgl. BFH, Urteil vom 29.08.2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rn. 17).
51Die Klägerin und die weiteren Miterben haben in Bezug auf die streitgegenständliche Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen, indem sie die sie treffende Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs.1 AO verletzt haben. Bei Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalles waren sich die Miterben zur Überzeugung des Senats spätestens im Juli 2006 der Tatsache bewusst, dass die aus den Kapitalanlagen in der Schweiz in der Vergangenheit erzielten erheblichen Erträge durch die Eheleute M. steuerlich nicht erklärt worden waren. Im Hinblick darauf erfolgte die Anzeige der Klägerin und ihres Bruders T. M. gegenüber der Finanzverwaltung im September 2012 nicht unverzüglich nach Kenntniserlangung i.S.v. § 153 Abs. 1 AO.
52Der Klägerin zufolge hat sie von dem erheblichen Kapitalvermögen in der Schweiz erst nach dem Tod ihrer Stiefmutter erfahren. Wie sich aus den umfangreichen Verfügungen der Miterben über das geerbte Kapitalvermögen im Juli 2006 ergibt, bestand eine umfassende Kenntnis aller Miterben spätestens zu diesem Zeitpunkt. Den Verfügungen war nach den Schilderungen der Klägerin ein persönliches Treffen bei einer Bank in der Schweiz vorausgegangen, bei dem die Miterben sowie ihr Onkel und ihre Tante O. H. die konkrete Aufteilung der Kapitalanlagen besprochen haben. Auf Grundlage der erlangten Kenntnisse über das geerbte Kapitalvermögen, insbesondere auch über die – der Art nach bereits im Jahr 2001 existenten – Anlagen bei der C. AG und der P., haben die Miterben das steuerliche Erklärungsverhalten der Eheleute M. nahtlos fortgesetzt. Sie haben bis zur Anzeige im September 2012 weder das Kapitalvermögen erbschaftsteuerlich noch die im Rahmen der Erbengemeinschaft bzw. nach der Vermögensverteilung jeweils individuell erzielten Kapitalerträge einkommensteuerlich erklärt. Dieses Verhalten der Miterben lässt – in Verbindung mit der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung dargelegten diesbezüglichen Abrede – nach Auffassung des Senats nur den Rückschluss auf eine Kenntnis vom früheren steuerlichen Erklärungsverhalten der Eheleute M. in Bezug auf die erzielten Kapitalerträge zu. Wären die Miterben davon ausgegangen, dass der Finanzverwaltung gegenüber das Kapitalvermögen und die früheren Erträge der Eheleute M. bereits ordnungsgemäß erklärt worden waren, hätten sie sich mit dem Entschluss, die Erträge – dann im Gegensatz zu ihren Rechtsvorgängern – fortan nicht mehr zu erklären, in nicht nachvollziehbarer Weise einem immensen Aufdeckungsrisiko hinsichtlich der von ihnen insoweit begangenen Steuerhinterziehungen ausgesetzt. Dass den Miterben im Gegenteil aber gerade daran gelegen war, eine Entdeckung der Kapitalanlagen zu vermeiden, zeigt sich an der – nach den Angaben der Klägerin – vor der Verteilung des Vermögens im Juli 2006 zwischen ihnen getroffenen Abrede, das Kapitalvermögen in der Schweiz und die diesbezüglichen Kapitalerträge steuerlich nicht offenzulegen. Der Klägerin zufolge wurde sie diesbezüglich von ihren Geschwistern sogar unter Druck gesetzt, um einen Zugriff des Finanzamts zu vermeiden. Eine derartige Abrede mit dem Ansinnen, die Kapitalanlagen vor der Finanzverwaltung versteckt zu halten, ist nur vor dem Hintergrund der Annahme der Miterben erklärlich, dass dieses Vermögen und die daraus erzielten Erträge bis zu diesem Zeitpunkt der Finanzverwaltung nicht bekannt waren. Die Einlassung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass sich ihr Vorsatz, die Kapitalerträge steuerlich nicht zu erklären, lediglich auf die aus dem geerbten Vermögen erzielten Erträge, mangels entsprechender Kenntnis nicht jedoch auf die zuvor durch die Eheleute M. erzielten Erträge bezogen habe, erweist sich angesichts dessen als unschlüssig und stellt sich nach Auffassung des Senats ebenso als Schutzbehauptung dar wie ihre Einlassung, sich aufgrund ihrer damaligen persönlich schwierigen Situation keine Gedanken über das steuerliche Erklärungsverhalten ihrer Rechtsvorgänger gemacht zu haben.
53Ob bereits zu einem früheren Zeitpunkt nach dem Tod der G. M. – dem frühestmöglichen Zeitpunkt der hier maßgeblichen Kenntniserlangung als Gesamtrechtsnachfolger – die Miterben positive Kenntnis i.S.v. § 153 Abs. 1 Satz 2 AO erlangt hatten, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn selbst unter – zulasten der Klägerin – Zugrundelegung des spätestmöglichen Zeitpunktes im Juli 2006 hat der Beklagte die steuerlichen Feststellungen der Steuerfahndung in Bezug auf die Einkommensteuer 2001 nicht mehr innerhalb der nach § 171 Abs. 7 AO gehemmten Festsetzungsfrist umgesetzt.
54bb) Strafrechtliche Verfolgungsverjährung hinsichtlich der Steuerhinterziehung der Miterben trat spätestens im Juli 2017 ein.
55(1) Die strafrechtliche Verfolgungsverjährung beginnt, sobald die Tat beendet ist (§ 78a Satz 1 des Strafgesetzbuchs – StGB –). Für den Zeitpunkt der maßgeblichen strafrechtlichen Beendigung ist wie für die Vollendung bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen einer Berichtigung nach § 153 AO regelmäßig derjenige Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Veranlagung spätestens stattgefunden hätte, wenn die Berichtigung pflichtgemäß, insbesondere rechtzeitig eingereicht worden wäre (vgl. BFH, Urteil vom 21.06.2022 VIII R 26/19, BStBl II 2023, 210; FG Hamburg, Urteil vom 26.02.2020 5 K 95/17, EFG 2020, 1034; Jäger in Klein, AO, § 376 Rz. 29). Zur Bestimmung dieses hypothetischen Zeitpunktes sind sowohl angemessene Vorbereitungszeiten auf Seiten des Steuerpflichtigen für die Erstellung der Anzeige und die nachfolgende Berichtigung als auch die Bearbeitungsdauer auf Seiten der Finanzverwaltung einzubeziehen.
56Im Streitfall begann die strafrechtliche Verfolgungsverjährung spätestens im Juli 2007. Selbst bei – zu Lasten der Klägerin – großzügigstem Ansatz von Vorbereitungszeit für die Anzeige auf Seiten der Klägerin und Berichtigung nach § 153 AO sowie Bearbeitungszeit auf Seiten der Finanzverwaltung im Hinblick auf den Umfang des Kapitalvermögens wäre der Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2001 jedenfalls innerhalb eines Jahres nach Entstehen der Anzeigepflicht erlassen worden, damit spätestens im Juli 2007.
57(2) Die strafrechtliche Verjährungsfrist betrug im Streitfall 10 Jahre, da ein Fall besonders schwerer Steuerhinterziehung i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO vorliegt. Sie endete hiernach spätestens im Juli 2017.
58Die Verjährungsfrist in Fällen der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO beträgt fünf Jahre (§ 78c Abs. 3 Nr. 4 StGB). Für Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung beläuft sie sich gemäß § 376 Abs. 1 AO in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 (JStG 2009) vom 19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794) auf zehn Jahre. Diese Vorschrift gilt für alle bei Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 25.12.2008 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen (vgl. Art. 97 § 23 des Einführungsgesetzes zur AO).
59Die Voraussetzungen des § 376 Abs. 1 AO für eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfrist auf zehn Jahre liegen hier vor. Die nach dem Tod der G. M. durch die Miterben begangene Steuerhinterziehung, für die bei Inkrafttreten des JStG 2009 mit Wirkung zum 25.12.2008 die ursprünglich fünfjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war, erfüllt im Hinblick auf den Umfang der hinterzogenen Einkommensteuer 2001 von deutlich mehr als 50.000 € (zu dieser Wertgrenze Bundesgerichtshof – BGH –, Urteil vom 27.10.2015 1 StR 373/15, wistra 2016, 157) das Regelbeispiel der Steuerverkürzung in großem Ausmaß i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO. Der Umstand, dass das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bis zur Änderung durch Gesetz vom 21.12.2007 (BGBl I 2020, 3198) und damit zum Zeitpunkt der Tatbeendigung enger gefasst war – es enthielt noch das einschränkende Merkmal des Handelns aus grobem Eigennutz – steht der Anwendung der verlängerten Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, dass die Voraussetzungen des § 376 Abs. 1 AO erfüllt sind und die Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verjährungsvorschrift noch nicht verjährt war (vgl. BGH, Beschluss vom 05.03.2013 1 StR 73/13, wistra 2013, 280).
60(3) Die strafrechtliche Verjährung ist auch nicht mit der Folge eines neuen Verjährungsbeginns (§ 78c Abs. 3 Satz 1 StGB) und entsprechender Verlängerung der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO unterbrochen worden.
61Die Verjährung wird – neben anderen hier ersichtlich nicht in Betracht kommenden Maßnahmen – gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 StGB unterbrochen durch die erste Vernehmung des Beschuldigten, die Bekanntgabe, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung dieser Vernehmung oder Bekanntgabe (Nr. 1) und jede richterliche Vernehmung des Beschuldigten oder deren Anordnung (Nr. 2).
62Weder ist die Klägerin oder einer der Miterben als Beschuldigter bezüglich des Tatvorwurfs einer Hinterziehung der Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. vernommen worden noch ist diesbezüglich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Etwaige Maßnahmen durch die Steuerfahndung gegenüber der Klägerin zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen des Jahres 2001 außerhalb eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens konnten nicht zu einer Unterbrechung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung in Bezug auf diese Tat führen. Denn strafrechtliche Verjährungsunterbrechung kann nur durch Ereignisse eintreten, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Strafverfolgung wegen einer bestimmten Tat stehen (vgl.Mitsch in Münchener Kommentar zum StGB, § 78c Rn. 7; Bosch in Schönke/Schröder, StGB § 78c Rn. 3). Rein steuerliche Ermittlungsmaßnahmen reichen hierzu nicht aus.
633. Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO kam im Streitfall weder unmittelbar noch über eine Kombination mit weiteren Ablaufhemmungen zur Anwendung.
64Beginnen die Behörden des Zollfahndungsdienstes oder die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind; Absatz 4 Satz 2 gilt sinngemäß. Das Gleiche gilt, wenn dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Einleitung des Steuerstrafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. Satz 1 und 2 AO).
65a) Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO ist – dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig – tatbestandlich nicht gegeben. Wegen einer Steuerstraftat in Bezug auf die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. ist ein Straf- oder Bußgeldverfahren weder gegen die Klägerin noch gegen die Miterben eingeleitet und bekannt gegeben worden.
66b) Der Eintritt der Festsetzungsverjährung war auch nicht nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gehemmt.
67Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Sinne dieser Vorschrift ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird (vgl. BFH, Urteile vom 16.04.1997 XI R 61/94, BStBl II 1997, 595; vom 13.02.2003 X R 62/00, BFH/NV 2003, 740). Solche Ermittlungshandlungen können z.B. in der Einholung von Auskünften oder Anforderung von Unterlagen bestehen. Behördeninterne Aktenvermerke reichen hingegen nicht aus (vgl. Paetsch in Gosch, AO/FGO, § 171 AO Rn. 107).
68aa) Ermittlungshandlungen in diesem Sinne, die auch die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. betroffen hätten und für die Klägerin oder die Miterben erkennbar waren, sind von den mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist, d.h. bis zum Ablauf des Jahres 2012, unstreitig nicht vorgenommen worden. Erst nach dem Ende der regulären Festsetzungsfrist, nämlich im Rahmen der Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens für die Jahre ab 2002, sind gegenüber der Klägerin erstmals steuerliche Ermittlungsmaßnahmen in Bezug auf die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. durchgeführt worden. Mit Schreiben der Steuerfahndung R. vom 04.02.2013 ist die Klägerin erstmals auf ihre Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren der Jahre 2000 bis 2011 hingewiesen und aufgefordert worden, berichtigte Anlagen zu den Einkommensteuererklärungen 2000 bis 2011 vorzulegen. Dieser Aufforderung ist sie durch Übersendung u.a. berichtigter Anlagen KAP und SO für die Einkommensteuer 2001 der Eheleute M. mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.12.2015 nachgekommen. Gegenüber T. M. und Z. X. sind zu keinem Zeitpunkt derartige Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden.
69bb) Die im Jahr 2013 erst nach Ablauf der regulären zehnjährigen Festsetzungsfrist durchgeführten Ermittlungen konnten eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht mehr herbeiführen.
70Der Wortlaut des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist insofern allerdings nicht eindeutig. Mit der Formulierung „vor Ablauf der Festsetzungsfrist“ könnte die reguläre ungehemmte Frist oder auch die bereits anderweitig – im Streitfall gemäß § 171 Abs. 9 AO bzw. § 171 Abs. 7 AO – gehemmte Frist gemeint sein. Gegen eine Erweiterung der in den § 171 Abs. 9 AO und § 171 Abs. 7 AO vorgesehenen zeitlichen Rahmen durch Ermittlungen der Steuerfahndung i.S.v. § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nach Ablauf der regulären ungehemmten Festsetzungsfrist sprechen aber teleologische und systematische Gründe. Es handelt sich jeweils um verjährungsrechtliche Sonderregelungen, deren Rechtsfolgen nicht durch die Verknüpfung mit dem Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO unterlaufen werden dürfen.
71(1) Der Zweck des § 171 Abs. 9 AO besteht allein darin, die Finanzbehörde in die Lage zu versetzen, eine kürzer als ein Jahr vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingehende Anzeige ohne Zeitdruck prüfen und eine etwaige Bescheidänderung innerhalb eines Jahres veranlassen zu können. Nur um die erforderliche Auswertung der Selbstanzeige oder der Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO sicherzustellen, gewährt der Gesetzgeber dem Fiskus bewusst eine Auswertungsfrist von einem Jahr. Mit Rücksicht auf diesen Gesetzeszweck ist es nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, nicht zulässig, den Tatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, der ohne vorherigen Eingang der Anzeige für sich betrachtet keine verjährungshemmende Wirkung entfalten würde, mit Abs. 9 der Vorschrift zu kombinieren (vgl. BFH, Urteil vom 08.07.2009 VIII R 5/07, BStBl II 2010, 583).
72(2) Auch der in § 171 Abs. 7 AO vorgesehene zeitliche Rahmen kann durch Ermittlungen der Steuerfahndung i.S.v. § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, die erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist aufgenommen werden, nicht mehr erweitert werden.
73Zweck des § 171 Abs. 7 AO ist es zu verhindern, dass bei einer Steuerstraftat eine Steuerfestsetzung nicht mehr vorgenommen werden kann, obwohl die Tat strafrechtlich noch verfolgt werden kann (vgl. BT-Drucks. VI/1982, 152). Der Gesetzgeber will auf die Festsetzung einer Steuer nicht verzichten, solange die Bestrafung bzw. Ahndung eines diese Steuer betreffenden Steuerdelikts noch möglich ist (vgl. BFH, Urteil vom 21.06.2022 VIII R 26/19, BStBl II 2023, 210; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 171 AO Rn. 163). Entsprechend endet die steuerliche Ablaufhemmung, wenn die Verjährung der Strafverfolgung eintritt (vgl. Paetsch in Gosch, AO/FGO, § 171 AO Rn. 133). Der Gesetzeszweck des § 171 Abs. 7 AO erschöpft sich damit in einer Angleichung der steuerlichen Festsetzungsverjährung an eine längere Strafverfolgungsverjährung. Der Norm liegt die Annahme zugrunde, dass die steuerlichen Folgen einer Steuerstraftat spätestens bis zum Ablauf der strafrechtlichen Verjährung gezogen werden können. Die Möglichkeit, den Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 7 AO mit der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 AO zu verknüpfen und dadurch den Eintritt der steuerlichen Festsetzungsverjährung über das Ende der strafrechtlichen Verjährungsfristen in den – nur vom Rechtsinstitut der Verwirkung gezogenen – zeitlichen Grenzen des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO auszudehnen, wird von diesem sehr eingegrenzten Gesetzeszweck nicht erfasst.
74Unter Berücksichtigung dieser gesetzgeberischen Wertung spricht auch das Rechtsinstitut der Unterbrechung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung systematisch gegen eine Verknüpfung von § 171 Abs. 7 AO mit § 171 Abs. 5 Satz 1 AO. Über § 171 Abs. 7 AO wirken Unterbrechungen der strafrechtlichen Verjährung hemmend auf den Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist ein. Die strafrechtliche Verfolgungsverjährung wird u.a. durch die Bekanntgabe der Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) oder eines Bußgeldverfahrens (§ 376 Abs. 2 AO) unterbrochen. Im Falle einer solchen Unterbrechung beginnt die strafrechtliche Verjährung gemäß § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB von neuem. Die Höchstgrenze der Verjährung beträgt nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist, in den Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung – vor Einführung des im Streitfall noch nicht anwendbaren § 376 Abs. 3 AO i.d.F. des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes vom 29.06.2020 (BGBl I 2020, 1512) – mithin 20 Jahre. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO kann insofern über eine Unterbrechung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung – hinsichtlich des Unterbrechungstatbestandes des § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB vergleichbar mit der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO – auch ohne Rückgriff auf § 171 Abs. 5 AO bis zu den Höchstgrenzen der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung ausgedehnt werden. Sollen jedoch in Bezug auf eine Steuerstraftat keine weiteren strafrechtlichen Konsequenzen gezogen werden und unterbleiben verjährungsunterbrechende strafrechtliche Maßnahmen, kann die allein an der strafrechtlichen Verfolgbarkeit ausgerichtete Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO nicht als Ausgangspunkt für rein steuerliche Maßnahmen über den Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung hinaus herangezogen werden. Die Norm kann der gesetzgeberischen Intention entsprechend nicht als „Behelfsbrücke“ genutzt werden, um die zeitliche Lücke zwischen dem Ablauf der regulären Festsetzungsfrist und dem späteren Vorliegen der Voraussetzungen einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO zu überwinden.
754. Die durch die Klägerin jeweils eingelegten Einsprüche gegen die Einkommensteueränderungsbescheide 2001 vom 08.11.2017, 11.06.2018 und 05.09.2018 haben schließlich nicht zu einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO geführt.
76Eine Ablaufhemmung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gemäß § 171 Abs. 3a AO setzt voraus, dass der angefochtene Bescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist (vgl. BFH, Urteile vom 29.06.2011 IX R 38/10, BStBl II 2011, 963; vom 12.12.2017 VIII R 6/14, BFH/NV 2018, 606).
77Sämtliche Bescheide sind jedoch – wie bereits ausgeführt – erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen. Die Frage, ob die Bescheide vom 08.11.2017 und 11.06.2018 inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und damit unwirksam waren, weil sie die Klägerin nicht als Steuerschuldnerin erkennen ließen (vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines an den Erben gerichteten Einkommensteuerbescheides betreffend die Steuerschuld des Rechtsvorgängers BFH, Urteile vom 28.06.1984 IV R 204-205/82, BStBl II 1984, 784; vom 27.10.2015 VIII R 59/13, BFH/NV 2016, 726), bedarf angesichts dessen keiner Entscheidung.
78B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
79C. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Frage, ob § 171 Abs. 5 Satz 1 AO auch zur Anwendung kommt, wenn steuerliche Ermittlungshandlungen im Sinne dieser Vorschrift nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist, aber noch innerhalb der nach § 171 Abs. 7 AO gehemmten Festsetzungsfrist erfolgen, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden worden.