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Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 07.08.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.09.2023 betreffend Januar 2019 bis Juni 2022 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
2Die Beteiligten streiten über einen Kindergeldanspruch für das Kind D. E., geb. am 00.00.1997.
3Zugunsten der Klägerin war für ihren Sohn D. E. zunächst bis Januar 2018 Kindergeld festgesetzt worden, weil dieser bis zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement erfolgreich absolviert hatte.
4Im August 2018 beantragte die Klägerin erneut die Festsetzung des Kindergeldes und machte geltend, dass ihr Sohn ab dem Wintersemester 2018/2019 ein Vollzeitstudium ... an der Hochschule Y. aufnehmen werde. Zudem gab die Klägerin an, dass ihr Sohn eine Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden bei der G. ausübe. Mit Bescheid vom 03.09.2018 wurde daraufhin das Kindergeld für die Zeit ab April 2018 wieder festgesetzt.
5Mit Schreiben vom 04.10.2018 informierte die Klägerin die Beklagte darüber, dass sich die wöchentliche Arbeitszeit des Kindes seit dem 01.10.2018 auf 23,1 Stunden pro Woche erhöht habe.
6Im Februar 2021 übersandte die Klägerin eine Immatrikulationsbescheinigung der ...Hochschule 2 vom 18.01.2021, wonach D. E. dort seit dem 01.09.2018 für ein Studium Business Administration (Teilzeit) eingeschrieben sei. Sie gab zudem an, dass sich die Erwerbstätigkeit seit März 2020 auf 24 Stunden pro Woche erhöht habe.
7Mit Bescheid vom 02.06.2022 wurde die Festsetzung des Kindergeldes ab Juli 2022 aufgehoben, weil das Kind die maßgebliche Altersgrenze von 25 Jahren erreicht habe.
8Auf Anfrage übersandte die Klägerin im Dezember 2022 eine Studienbescheinigung für das Wintersemester 2021/22. Die daraufhin vorgenommene Überprüfung der Beklagten ergab, dass eine Berücksichtigung des Kindes aufgrund seiner Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden bereits seit Oktober 2018 ausgeschlossen sei.
9Mit auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes –EStG- gestütztem Bescheid vom 07.08.2023 wurde die Festsetzung des Kindergeldes für den Zeitraum von Oktober 2018 bis Juni 2022 aufgehoben und der für diesen Zeitraum überzahlte Betrag von 9.910 EUR zurückgefordert. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Voraussetzungen zur Berücksichtigung volljähriger Kinder nicht erfüllt seien.
10Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 27.09.2023) verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der vorliegenden Klage weiter und trägt im Wesentlichen Folgendes vor:
11Der Sohn der Klägerin habe sich im streitigen Zeitraum in einer mehraktigen Ausbildung befunden; das Studium sei als Teil seiner Erstausbildung zu werten. Zudem seien die Voraussetzungen der Korrekturvorschrift des § 70 Abs. 2 EStG nicht erfüllt, weil es an einer Änderung der Verhältnisse fehle; bereits im Zeitpunkt der Kindergeldfestsetzung seien der Beklagten sämtliche Tatsachen bekannt gewesen, insbesondere die klägerseits schon am 05.10.2018 mitgeteilte erweiterte Erwerbstätigkeit des Kindes mit 23,10 Wochenstunden seit dem 01.10.2018.
12Im Verlaufe des Klageverfahrens hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid für den Zeitraum Oktober 2018 bis Dezember 2018 wegen Festsetzungsverjährung wieder aufgehoben; insoweit ist das Verfahren nach übereinstimmender Hauptsacheerledigung abgetrennt worden.
13Die Klägerin beantragt,
14den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2023 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.09.2023 betreffend den noch streitigen Zeitraum von Januar 2019 bis Juni 2022 aufzuheben.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagte wendet ein: Bei dem Studium handele es sich um eine berufliche Weiterbildung und den Aufstieg im bereits aufgenommenen Berufszweig. Es handelte sich um ein Teilzeitstudium. Die Tätigkeit als Mitarbeiter der Verwaltung bei der G. setze die bereits erworbene Qualifikation als Bürokaufmann voraus und betrage mehr als 20 Stunden pro Woche. Die Voraussetzungen der Korrekturvorschrift des § 70 Abs. 2 EStG seien erfüllt. Die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich erst nach dem Zeitpunkt der letzten Festsetzung mit Bescheid vom 03.09.2018 geändert.
18Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Kindergeldvorgänge Bezug genommen.
19Das Gericht entscheidet im Einvernehmen mit den Beteiligten durch die Berichterstatterin anstelle des Senats (§ 79 Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung -FGO-) sowie ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
20Die Klage ist begründet.
21Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO; die Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung für den noch streitigen Zeitraum Januar 2019 bis Juni 2022 zu Unrecht aufgehoben.
22Zwar steht der Klägerin für den Streitzeitraum kein materieller Kindergeldanspruch zu. Vielmehr handelt es sich bei dem Studium an der FGO Hochschule 2 um eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung (Zweitausbildung), nicht dagegen um einen weiteren Abschnitt einer einheitlichen Erstausbildung, so dass die parallel ausgeübte Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden (seit 01.10.2018) anspruchsschädlich ist, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes –EStG-. Die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit stellt die Hauptsache dar, während es sich bei den weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache handelt. Das folgt unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (etwa Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 14.02.2016 – III R 14/15, Bundessteuerblatt –BStBl- II 2016, 615; vom 11.12.2018 – III R 26/18, BStBl II 2019, 765) aus dem Umfang der wöchentlichen Erwerbsarbeitszeit von 23,1 und später 24 Stunden, im Vergleich zu einem „bloßen“ Teilzeitstudium, also einer schon konzeptionell berufsbegleitend ausgelegten Hochschulausbildung. Zudem stand die Studienbewerbung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss der Berufsausbildung (versetzt nur um einige Monate) und sieht das Gericht wegen desselben Fachbereichs auch inhaltliche Überschneidungen.
23Jedoch ist der angefochtene Aufhebungsbescheid aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig, weil es an einer Korrekturvorschrift, die die Durchbrechung der Bestandskraft des ursprünglichen Festsetzungsbescheides vom 03.09.2018 rechtfertigen könnte, fehlt.
24Die in dem Aufhebungsbescheid zitierte Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 2 EStG ist nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten. Die Vorschrift zielt somit auf eine ursprünglich rechtmäßige Kindergeldfestsetzung ab, die durch eine Änderung der ihr zugrundeliegenden Verhältnisse rechtswidrig wird. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Bereits im Zeitpunkt des Erlasses des –bestandskräftig gewordenen – Bescheides vom 03.09.2018 war die Festsetzung des Kindergeldes rechtswidrig, weil das Kind schon am 01.09.2018 nicht das – von der Beklagten damals noch angenommene – Vollzeitstudium an der Hochschule Y., sondern das Teilzeitstudium an der Hochschule 2... aufgenommen hatte. Auch wenn D. E. nach Studienbeginn noch einen Monat lang (September 2018) lediglich 19,25 Stunden erwerbstätig gewesen ist, war das Studium wegen seiner Ausgestaltung als Teilzeitstudium – berufsbegleitender Charakter - bereits damals dem Beschäftigungsverhältnisuntergeordnet, was die unmittelbar nach Studienbeginn schon ab 01.10.2018 vorgenommene Erhöhung der Arbeitszeit auf 23,1 Stunden aufzeigt und bestätigt.
25Auch wenn die Tatbestandsmerkmale für eine Änderung nach § 173 der Abgabenordnung -AO- nach dem reinen Wortlaut vorliegen, war die Beklagte nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an der Aufhebung der bestandskräftigen Kindergeldfestsetzung gehindert.
26Nach § 173 Absatz 1 S. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. In diesem Sinne waren die Aufnahme eines (bloßen) Teilzeitstudiums und die jeweilige Stundenzahl der Erwerbstätigkeit des Kindes der Beklagten erst nach dem Erlass des Bescheides vom 03.09.2018 bekannt geworden.
27Allerdings ist die Änderung eines Bescheides gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der Behörde die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre (vgl. etwa BFH-Urteil vom 13.11.1985 – II R 208/82, BStBl II 1986,241). Vorliegend hat die Beklagte ihrer Ermittlungspflicht aus § 88 AO verletzt, während auf der anderen Seite die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten umfänglich Genüge getan hat. Angesichts der Information der Klägerin bereits mit Schreiben vom 04.10.2018, dass sich die Arbeitszeit des Kindes schon vom 01.10.2018 an auf 23,1 Wochenstunden erhöht habe, hätte es der Beklagten oblegen, dieser Mitteilung nachzugehen und sie zum Anlass einer Überprüfung der Kindergeldfestsetzung zu nehmen. Im Rahmen derartiger Ermittlungen wäre der Beklagten auch die Aufnahme des Teilzeitstudiums, anstelle des ursprünglich angekündigten Vollzeitstudiums, schon zum 01.09.2018 bekannt geworden.
28Aus der Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheids folgt hier zugleich die Rechtswidrigkeit des auf § 37 Abs. 2 AO gestützten Rückforderungsbescheids.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.