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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der gerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
2Die Beteiligten streiten über die Höhe des Zinssatzes gemäß § 4 Abs. 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes -EStG-.
3Die Klägerin ist eine OHG, an der G. W. und der Beigeladene beteiligt sind.
4Am 21.12.2018 erließ der Beklagte für die Klägerin betreffend die Streitjahre 2013 -2016 geänderte Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Gewinnfeststellungsbescheide), in denen u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt wurden. In den Bescheiden wurden in dem Gesamthandvermögen der Klägerin Hinzurechnungen wegen nicht abziehbarer Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG vorgenommen. Solche Hinzurechnungen erfolgten auch für das Sonderbetriebsvermögen des Beigeladenen.
5Am 08.01.2019 ergingen zudem geänderte Gewerbesteuermessbescheide für 2013 -2016 sowie ein geänderter Bescheid über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 für die Klägerin.
6In dem Einspruchs- und Klageverfahren wandte sich die Klägerin mit verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die Höhe der Hinzurechnungen. Sie begehrte, den Hinzurechnungen einen Prozentsatz von 2,9 % statt des gesetzlich vorgesehenen Satzes von 6 % zugrunde zu legen. Hier gälten die gleichen Bedenken wie gegen den Zinssatz in § 238 der Abgabenordnung -AO-. In den Streitjahren, während anhaltender Niedrigzinsphase, habe der typisierte Zinssatz keinen Bezug mehr zum langfristigen Marktzinsniveau; der angemessene Rahmen einer wirtschaftlichen Realität sei erheblich überschritten.
7Der Senat hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.05.2019 als unbegründet abgewiesen.
8Im Rahmen des Revisionsverfahrens beim Bundesfinanzhofs –BFH- IV R 19/19 hat der Senat nach Nachholung der Beiladung mit Gerichtsbescheid vom 01.12.2022 die Klage erneut abgewiesen, nachdem er zudem die einfachgesetzlichen Anwendungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 4a EStG geklärt hatte. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes habe der Senat weiterhin nicht, zumal die Typisierung der Vereinfachung diene und zudem der Steuerpflichtige die Verzinsung durch eine abweichende Gestaltung vermeiden könne. Zwischenzeitlich habe das Bundesverfassungsgericht -BVerfG- mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 2422/17, Bundesgesetzblatt –BGBl- 2021,4303) die Weitergeltung der Vollverzinsung nach §§ 233a, 238 AO (0,5 % monatlich) bis 2018 angeordnet (vorliegende Streitjahre: 2013 - 2016).
9Die Klägerin hat gegen den Gerichtsbescheid sowohl die – dort zugelassene – Revision eingelegt als auch einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Der BFH hat das Revisionsverfahren in seinen Registern gelöscht und auf die nunmehr vom Finanzgericht –FG- durchzuführende mündliche Verhandlung verwiesen.
10Die Klägerin beantragt,
11die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 - 2016 mit Bescheiden vom 21.12.2018, die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2013 - 2016 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016, jeweils vom 08.01.2019, sowie die Einspruchsentscheidung vom 26.03.2019 dahin zu ändern, dass den Hinzurechnungen gemäß § 4 Abs. 4a EStG ein Zinssatz von 2,9 % zugrunde gelegt wird,
12hilfsweise die Revision zuzulassen.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Der Beklagte trägt vor: Dem Klagevortrag könne er hinsichtlich sowohl der betrieblichen Veranlassung der Schuldzinsen als auch der ermittelten Überentnahmen folgen; der Sachverhalt sei unstreitig. Nach diesem Zahlenmaterial führe die Berücksichtigung der kumulierten Entnahmen und des jeweiligen kumulierten Entnahmeüberschusses auch bei Anwendung der neueren BFH-Rechtsprechung (Urteile vom 14.03.2018 – X R 17/16 bzw. vom 06.12.2018 - IV R 15/17) zu keiner Änderung der in den streitbefangenen Bescheiden hinzugerechneten Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG. Bei dem Zinssatz handele es sich um eine vom Gesetzgeber festgelegte und auch zulässige Typisierung, die der aktuellen Rechtslage entspreche; die anhängigen Verfahren betr. § 238 AO seien hier nicht übertragbar. Der zwischenzeitlich ergangene Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 - l BvR 2237/14, l BvR 2422/17 über die Verfassungsbeschwerden betreffend die Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO bestätige im Ergebnis die hier angewandten Grundsätze. Wegen der Einzelheiten des Beklagtenvorbringens wird auf insbesondere auf dessen Schriftsatz vom 02.11.2022 Bezug genommen.
16Der Beigeladene hat weder eine Stellungnahme abgegeben noch einen Antrag gestellt.
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Steuerakten Bezug genommen
18Die Klage ist unbegründet.
19Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO-.
20Der Beklagte hat den streitgegenständlichen Bescheiden die betrieblich veranlassten Schuldzinsen und die Überentnahmen sämtlicher Streitjahre in zutreffender Höhe zugrunde gelegt, wie auch die Beteiligten übereinstimmend vorbringen. Damit ist auch der zwischenzeitlich ergangenen BFH-Rechtsprechung zutreffend Rechnung getragen. Insbesondere beruht die – vom Beklagten unstreitig gestellte – Berechnung der Klägerin auf den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 14.03.2018 – X R 17/16, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2018, 744.
21Zudem hat der Beklagte zutreffend den gesetzlich typisierten Zinssatz des § 4 Abs. 4a EStG angewendet. Der Senat hält auch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin für nicht berechtigt. § 4 Abs. 4a EStG bezweckt, die nicht zum Betriebsausgabenabzug zugelassenen Zinsaufwendungen in pauschalierter Art und Weise festzustellen. Die Regelung, dass die nichtabziehbaren Schuldzinsen typisiert mit 6 v.H. der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zu ermitteln sind, bestätigt dies (Urteil des FG Münster vom 06.08.2004 11 K 4399/03, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG- 2005, 263; Revision unbegründet lt. BFH-Urteil vom 07.03.2006 - X R 44/04, BStBl II 2006, 588).
22Die Typisierung dient einem Vereinfachungszweck, welcher die in der Abkehr vom Individualmaßstab liegende Gleichbehandlung von Ungleichem (namentlich infolge der je nach genauem Entnahmezeitpunkt verschiedenen Finanzierungslaufzeit) vor Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG- rechtfertigt. Insbesondere erspart sie dem Steuerpflichtigen wie der Verwaltung eine genaue umfangmäßige und zeitanteilige Zuordnung der angefallenen Zinslasten, die sich letztlich nur bei einer liquiditätsbezogenen Betrachtungsweise leisten ließe. Die Typisierung erweist sich als technische Bedingung der praktikableren kapitalbezogenen Sichtweise (so schon das BFH-Urteil vom 17.08.2010 - VIII R 42/07, BStBl II 2010, 1041; BFH-Urteil vom 22.01.2012 – X R 12709, BFH/NV 2012, 1418; nochmals bekräftigt durch Urteil vom 17.05.2022 – VIII R 38/18, BStBl 2022, 662; Seiler in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rdnr. Ea 83). Das BVerfG hat mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl 2021, 4303) über die Verfassungsbeschwerden betreffend die Vollverzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO ebenso entschieden, dass Typisierung bedeute, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Der Gesetzgeber dürfe sich dabei grundsätzlich am Regelfall orientieren und Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, generalisierend vernachlässigen. Er könne auch bei der Auswahl des Zinsgegenstands und der Bemessung des Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung leiten lassen. Das muss hier umso mehr gelten, als es sich bei den streitgegenständlichen Zinsen nicht um eine Zusatzleistung über die ohnehin schon zu entrichtende Steuer handelt, sondern um eine pauschalierende Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen. Aus der außerbilanziellen Hinzurechnung muss sich noch nicht einmal eine Abgabenlast ergeben (ebenso Drüen in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 4 Rdn. 611). Damit lässt sich der besonders strenge Prüfungsmaßstab für die Vollverzinsung nach §§ 233a, 238 AO (steuerliche Nebenleistung) auf die Vorschrift des § 4 Abs. 4a EStG (steuerliche Gewinnermittlung) nicht übertragen, wie der Beklagte ebenso ausdrücklich ausführt.
23Der Kritik einer mit 6 v.H. übermäßigen Verzinsung der Überentnahmen ist entgegen zu halten, dass der Nachteil durch einen entsprechenden Vorteil – gleiche Behandlung von Einlagen und Gewinnen – bei pauschalierender Betrachtung aufgehoben wird. Zudem hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit einer abweichenden, die Verzinsung vermeidenden Gestaltung (Nacke in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 4 EStG Rdnr. 1658d); er hat die Wahl, ob er Überentnahmen tätigt und damit den Zins- und Hinzurechnungstatbestand bewusst eintreten lassen will (vgl. auch Loschelder in Schmidt, EStG, 42. A., § 4 Rdn. 528). Der Zinssatz führt zudem jedenfalls dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn die Überentnahme sehr früh im Jahr erfolgt – jedenfalls vor dem Hintergrund der bezweckten Pauschalierung und im Hinblick auf den Vereinfachungseffekt (Frotscher/Watrin in Frotscher, EStG, § 4 Rdnr. 654).
24Der Tatbestand des § 4 Abs. 4a EStG rekurriert auf Überentnahmen, was regelmäßig einen privaten Mittelabfluss voraussetzt, der zu einer für die Bestreitung betrieblicher Aufwendungen unzureichenden Kapitalausstattung führt. Mittelbar ist die Notwendigkeit der Zuführung von zinstragendem Fremdkapital daher durch die – zulässigen – Entnahmen bedingt. Wenngleich die vorangegangenen Privatentnahmen wegen der unmittelbaren Verwendung der aufgenommenen Darlehensmittel nicht zur Durchbrechung der betrieblichen Veranlassung der Zinsen führen, rechtfertigt dies den Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs. Hieran vermag auch die periodenübergreifende Betrachtung nichts zu ändern, wie der BFH mit Urteil vom 17.08.2010 – VIII R 42/07, BStBl II 2010,1041, entschieden hat (zum Vorstehenden: Meyer in BeckOK EStG, 17. A., § 4 Rdn. 2681).
25Ohnehin hat das BVerfG im Verfahren über die Verfassungsbeschwerden gegen die Verzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 AO mit obigem Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl 2021, 4303) die Vollverzinsung mit 0,5 % monatlich erst ab dem 01.01.2014 für mit dem Gleichheitssatz unvereinbar festgestellt und zudem die Weiterregelung bis zum 31.12.2018 angeordnet (vgl. hierzu auch das Urteil des FG Münster vom 24.08.2022 7 K 3764/19 E, EFG 2022, 1767 betr. Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG für 2017). Das vorliegende Verfahren zu § 4 Abs. 4a EStG betrifft indes nur den Zeitraum 2013 bis 2016. Der Einwand der Klägerin, der Entscheidung sei aber eine Struktur bzw. ein Grundsatz auch für das vorliegende Verfahren zu entnehmen, vermag nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass die Fortgeltungsanordnung das Ergebnis einer jeweils im Einzelfall zu treffenden Abwägungsentscheidung ist, sind bereits die materiellrechtlichen Maßstäbe der Entscheidung des BVerfG hier schon deshalb nicht übertragbar, weil der Steuerpflichtige die Entstehung von Nachzahlungszinsen anders als vorliegend von Zinsen wegen Überentnahmen nicht vermeiden kann.
26Das FG Köln hat mit Urteil vom 26.05.2023 14 K 775/23, juris, für die dortigen Streitjahre 2012 bis 2015 unter Hinweis auf den o.a. Beschluss des BVerfG den typisierten Zinssatz von 6 % in § 4 Abs. 4a EStG ebenfalls als verfassungsrechtlich unbedenklich gewertet; das gelte umso mehr, als – anders als bei § 233a AO – in die Bemessungsgrundlage auch Überentnahmen aus Jahren vor 2014 einbezogen seien, für die der Prozentsatz offenbar nicht verfassungswidrig gewesen sei und weiterlaufe.
27Hinsichtlich der Säumniszuschläge hat der BFH mit Urteilen vom 23.08.2022 – VII R 21/21, BStBl II 2023, 304 , und 15.11.2022 – VII R 55/20, BStBl II 2023, 621, sowie 23.08.2023 – X R 30/21, BFH/NV 2024, 298 auch für die Zeiträume nach dem 31.12.2018 verfassungsrechtliche Bedenken gegen deren Höhe verneint; das gelte selbst bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau, denn weder ließen sich die Grundsätze des BVerfG zu §§ 233a, 238 AO insoweit übertragen noch verstoße die gesetzliche Höhe der Säumniszuschläge gegen das Übermaßverbot.
28Soweit die generell als noch vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasste Typisierung im extrem gelagerten Einzelfall zu grob sachwidrigen Ergebnissen führt, kommen ggf. Billigkeitsmaßnahmen in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 17.08.2010- III R 42/07, BStBl II 2010, 1041; Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 4 Rdnr. 1036). Mit derartigen Billigkeitsmaßnahmen kann auch den dortigen Bedenken von Schallmoser a.a.O. Rechnung getragen werden, dass § 4 Abs. 4a EStG einen unabänderlichen Zinssatz zugrunde legt, ohne auf den Zeitpunkt der Entnahme und damit auf die zeitliche Wirkung der Überentnahme im Wirtschaftsjahr Rücksicht zu nehmen und ohne dem Steuerpflichtigen über eine Escape-Regel die Möglichkeit einzuräumen, einen im Einzelfall tatsächlich geringeren „mittelbar privaten“ Zinsaufwand nachzuweisen. Bei unterschiedlichen Entnahmezeitpunkten könne dies, so Schallmoser, im Einzelfall zu grob sachwidrigen Ergebnissen und damit zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz führen. Billigkeitsmaßnahmen sind indes im vorliegenden Festsetzungsverfahren nicht zu prüfen; die Grenze des § 163 AO (statt § 227 AO) ist nicht erreicht (weitergehend: Seiler in Kirchhof/Söhnen/Mellinghoff, EStG, § 4 Rdn. Ea 203).
29Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 4 FGO.
30Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO zuzulassen; der BFH hat mit dem obigen zurückverweisenden Gerichtsbescheid vom 22.03.2022 – IV R 19/19 eine Vorlage der aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes in § 4 Abs. 4a EStG als „etwa erforderlich“ eingestuft.