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Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung zur Eintragung in das Schuldnerverzeichnis gem. § 284 Abs. 9 der Abgabenordnung (AO).
3Der Kläger betreibt seit einigen Jahren das B. P. in G. und das B. Z. in W., in denen jeweils auch 2 Geldspielautomaten aufgestellt sind.
4Der Beklagte (das Finanzamt – FA) versuchte in 2020 und 2021 mehrfach erfolglos die Vollstreckung in das Vermögen des Klägers wegen offener Umsatzsteuerforderungen aus den Jahren ab 2018.
5Das FA forderte den Kläger schließlich mit Schreiben vom 02.11.2021 zur Abgabe der Vermögensauskunft auf, sofern er nicht innerhalb von 2 Wochen die gegenüber dem Fiskus bestehenden Rückstände i.H.v. 37.633,52 € begleiche. Als Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft wurde der 16.12.2021 bestimmt. Zum anberaumten Termin erschien der Kläger ohne Mitteilung von Gründen nicht.
6Unter dem 16.12.2021 ordnete das FA daraufhin die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis gegenüber dem Kläger an; der Bescheid enthielt keine Ermessenserwägungen. Aus der dem Gericht vorliegenden Erhebungsakte ist ersichtlich, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach im Schuldnerverzeichnis eingetragen war. Mit Schreiben vom gleichen Tag stellte es beim Amtsgericht W. zudem den Antrag auf Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft nach § 284 Abs. 8 AO.
7Gegen die Eintragungsanordnung legte der Prozessbevollmächtigte am 21.12.2021 Einspruch ein und begründete diesen damit, dass der Kläger an der Wahrnehmung des Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft aufgrund einer ernsthaften Erkrankung am Vortag unverschuldet gehindert gewesen sei. Ein entsprechendes Attest werde nachgereicht. Zugleich bat der Prozessbevollmächtigte um Anberaumung eines neuen Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft. Das angekündigte Attest reichte er in der Folge nicht ein.
8Das Finanzamt erläuterte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 11.01.2022, warum eine Neuansetzung des Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft ausscheide und warum auch von der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nicht abgesehen werden und der Antrag auf Anordnung der Haft nicht zurückgenommen werden könne. Auf das Schreiben wird an dieser Stelle vollumfänglich Bezug genommen.
9Unter dem 15.02.2022 erneuerte der Kläger über den Prozessbevollmächtigten seine Bitte um Bestimmung eines neuen Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft, trug jedoch keine weitere Begründung vor und legte insbesondere das avisierte Attest nicht vor.
10Am 28.03.2022 erfolgte die Eintragung des Klägers in das Schuldnerverzeichnis.
11Mit Einspruchsentscheidung vom 18.05.2022 wies das FA den Einspruch gegen die Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis als unbegründet zurück. Das FA ging in der Einspruchsentscheidung zunächst darauf ein, dass der Kläger rechtmäßig zur Abgabe der Vermögensauskunft aufgefordert worden sei. An die Aufforderung seien zwar strenge Maßstäbe zu stellen, Gläubiger- und Schuldnerinteressen gegeneinander abzuwägen. Die Finanzverwaltung habe indes die Aufgabe, Steuerrückstände zeitnah beizutreiben und sich dabei der gesetzlich vorgeschriebenen Mittel zu bedienen. Der Abgabe einer Vermögensauskunft könnten daher nur unzumutbare Belastungen des Auskunftspflichtigen (Gefährdung von Leben oder Gesundheit) entgegenstehen; diese seien jedoch durch ärztliches Attest nachzuweisen. Im Streitfall bestünden zum einen erhebliche Steuerrückstände und sämtliche Vollstreckungsmöglichkeiten seien erfolglos ausgeschöpft worden. Zum anderen habe der Kläger seine behauptete Erkrankung im Zeitpunkt des Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft gerade nicht nachgewiesen. Aus diesen Gründen seien sowohl die Aufforderung zur Abgabe der Vermögensauskunft als auch die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis ermessensgerecht gewesen. Auf die (weiteren) Einzelheiten der Begründung der Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.
12Der Haftbefehl gegen den Kläger wurde am 08.09.2022 vollstreckt, letzterer gab am gleichen Tag ein Vermögensverzeichnis ab.
13Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen die Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis und wendet im Wesentlichen ein, dass das FA sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Weder der Bescheid vom 16.12.2021 noch die Einspruchsentscheidung würden Ermessenserwägungen enthalten. Es liege ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Konkret hätte das FA nach Auffassung des Klägers auf die Folgen der Eintragung für seine gewerberechtliche Zuverlässigkeit eingehen und zudem sein fehlendes Verschulden an der Nichtwahrnehmung des Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft eingehen müssen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründung vom 09.11.2022 verwiesen.
14Der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene Kläger beantragt schriftsätzlich,
15die Eintragungsanordnung vom 16.12.2021 in der Gestalt der Einspruchs-entscheidung vom 18.05.2022 aufzuheben.
16Das FA beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Es betont zunächst, dass es sein Ermessen entgegen den Ausführungen des Klägers erkennbar ausgeübt habe. Die Ermessensausübung ergebe sich sowohl aus dem Schreiben vom 11.01.2022 als auch aus der Einspruchsentscheidung. Das FA trägt unter Berufung auf § 102 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sodann Folgendes vor:
19Bei den Ermessenserwägungen sei insbesondere der Zweck des § 284 Abs. 9 AO zu berücksichtigen. Zweck der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis sei es, den Geschäftsverkehr vor unzuverlässigen Schuldnern zu warnen und deren Zahlungsmoral zu steigern. In den Fällen, in denen es wegen eines pflichtwidrigen Verhaltens des Schuldners, z.B. dem unentschuldigten Fernbleiben zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft, nicht zur Abgabe der Vermögensauskunft komme, solle die Eintragung in das Schuldverzeichnis zugleich als Druckmittel dienen (vgl. Finanzgericht –FG– Düsseldorf Beschluss vom 09.08.2018 – 10 V 1958/18 A (KV)). Begrenzt werde das Ermessen durch die Umstände des Einzelfalls. In die Ermessensabwägung einzubeziehen seien die Höhe und Dauer der Rückstände, die Dauer der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die Erfolglosigkeit bisheriger Vollstreckungsmaßnahmen sowie Bemühungen des Schuldners zur Begleichung der Steuerrückstände. Nach dem Beschluss des FG Düsseldorf vom 09.08.2018 (10 V 1958/18 A (KV)) sei dem Umstand, dass die Eintragung des Vollstreckungsschuldners zur Bedrohung der Existenz des Vollstreckungsschuldners führen könne, hingegen keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen. Der Gesetzgeber habe die Gefährdung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz der Vollstreckungsschuldner im Allgemeinen oder einzelner Berufsgruppen gekannt und bewusst in Kauf genommen. Ungeachtet dessen dürfe die Finanzbehörde die sich für den Vollstreckungsschuldner ergebenden wirtschaftlichen Konsequenzen bei der Ermessensentscheidung nicht vollständig außer Acht lassen; vielmehr seien die Gesamtumstände des Einzelfalls in die Entscheidung einzubeziehen und abzuwägen. Im Streitfall sei der Zweck der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis, nämlich der Schutz des Rechtsverkehrs vor unzuverlässigen Schuldnern, erfüllt. Der Kläger sei seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen. Zudem diene die Eintragung als Druckmittel zur Steigerung der Zahlungsmoral bzw. zur Abgabe der Vermögensauskunft und somit zur Offenlegung von verborgenen Vermögenswerten. Die wirtschaftlichen Folgen der Eintragung (z.B. etwaige Gewerbeuntersagung) führten vorliegend nicht zu einer Eingrenzung des Ermessens, da Versuche der Vollstreckung mit weniger belastenden Mitteln nicht zum Erfolg geführt hätten.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Steuerakte Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Die Klage ist unbegründet.
231. Das Gericht kann entscheiden, obwohl der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Denn er ist ausweislich der Akten ordnungsgemäß geladen und dabei darauf hingewiesen worden, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 FGO).
242. Vorab ist festzuhalten, dass sich die Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nicht durch die tatsächliche Eintragung des Klägers in das Schuldnerverzeichnis erledigt hat (mit der Folge, dass der Kläger hier auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO hätte umstellen müssen). Denn nach § 284 Abs. 11 AO sind, wenn die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nach § 882h Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erfolgt ist, Entscheidungen über Rechtsbehelfe des Vollstreckungsschuldners gegen die Eintragungsanordnung durch die Vollstreckungsbehörde oder durch das Gericht dem zentralen Vollstreckungsgericht nach § 882h Abs. 1 ZPO elektronisch zu übermitteln. Die Eintragung des Schuldners ist sodann zu löschen, wenn durch die Entscheidung über den Rechtsbehelf die ursprüngliche Eintragungsanordnung aufgehoben wird (vgl. § 882e Abs. 3 ZPO, dazu auch Baldauf in BeckOK AO, 28. Ed. 15.4.2024, § 284 Rz. 248). Daran zeigt sich, dass die Eintragungsanordnung weiterhin eine Wirkung erzeugt und Grundlage für die tatsächliche Eintragung bleibt.
253. Der danach als Anfechtungsklage zu behandelnden Rechtsbehelf des Klägers hat keinen Erfolg. Die Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis war rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO in seinen Rechten.
26a) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach den §§ 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 Satz 1, 254 Abs. 1 Satz 1 AO liegen unstreitig vor.
27b) Auch die (besonderen) tatbestandlichen Voraussetzungen des § 284 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 AO liegen vor, der Kläger ist seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft unentschuldigt (dazu Baldauf in BeckOK AO, 28. Ed. 15.4.2024, § 284 Rz. 213) nicht nachgekommen. Die ernsthafte Erkrankung am Vortag ist trotz mehrfacher Aufforderung seitens des FA nicht glaubhaft gemacht worden durch ein (angekündigtes) ärztliches Attest und war daher ganz offensichtlich lediglich eine bloße Schutzbehauptung.
28c) Das FA hat schließlich auch von dem ihm nach § 284 Abs. 9 Satz 1 AO eingeräumten Ermessen – jedenfalls unter Berücksichtigung der im gerichtlichen Verfahren zulässigerweise ergänzten Erwägungen – in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht.
29aa) Soweit die Finanzbehörde nach einer Vorschrift ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, ist die Prüfung der Ermessensausübung seitens des Gerichts durch § 102 Satz 1 FGO beschränkt.
30An die Ermessensausübung i.R.d. der Entscheidung über die Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis sind grds. keine allzu großen Anforderungen zu stellen. Die mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis üblicherweise verbundenen nachteiligen Folgen für den Vollstreckungsschuldner erfordern zwar grds., dass das FA mit Bedacht und Zurückhaltung von der Anordnung Gebrauch macht und dabei insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Grundlegende Begrenzungen ergeben sich daraus aber nicht. Der Gesetzgeber hat eine mögliche Gefährdung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz des Vollstreckungsschuldners gesehen und bewusst in Kauf genommen, um die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis als taugliches Druckmittel zur Steigerung der Zahlungsmoral auszugestalten (zum Vorstehenden m.w.N. Klüger in Koenig, 5. Aufl. 2024, AO § 284 Rz. 44). Nach Maßgabe dieser Grundsätze ergibt sich Folgendes:
31bb) Stellte man vorliegend nur auf die Ausführungen in der Eintragungsanordnung vom 16.12.2021, im Erörterungsschreiben vom 11.01.2022 sowie in der Einspruchsentscheidung vom 18.05.2022 ab, so wäre die Eintragungsanordnung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, weil ein Ermessensfehlgebrauch vorläge. Zwar hat das FA in der Einspruchsentscheidung zutreffend auf die hohen Steuerrückstände sowie die vergeblichen Vollstreckungsversuche abgestellt (beides sind zulässige Ermessenserwägungen). Auch hat es (jedenfalls abstrakt) erkennen lassen, dass Gläubiger- und Schuldnerinteressen gegeneinander abzuwägen sind. Allerdings hat es den Zweck des § 284 Abs. 9 AO – nämlich einerseits durch die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis den Rechtsverkehr vor illiquiden Wirtschaftsteilnehmern zu warnen und andererseits Druck auf den Schuldner aufzubauen (s. hierzu FG Düsseldorf, Beschluss vom 09.08.2018 – 10 V 1958/18 A (KV), EFG 2018, 1512, Rz. 32 m.w.N.) – nicht erwähnt und auch die möglichen Konsequenzen einer Eintragung für die wirtschaftliche Existenz des Schuldners nicht angesprochen. Die Ermessenserwägungen waren daher insofern unvollständig.
32cc) Im Rahmen der Klageerwiderung hat das FA seine Ermessenserwägungen aber zulässigerweise nach § 102 Satz 2 FGO ergänzt und die bis dahin bestehenden Mängel in der Ermessensausübung geheilt.
33(1) Die Finanzbehörde kann nach § 102 Satz 2 FGO ihre Ermessenserwägungen bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Damit ist es der Finanzbehörde aber nur gestattet, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Nicht dagegen ist die Behörde befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen. Eine Heilung der behördlichen Entscheidung bei fehlerhaftem Entschließungs- oder Auswahlermessen, Über- oder Unterschreitung des Ermessens sowie bei erheblichen Mängeln in der Sachverhaltsermittlung ist im Wege einer Ergänzung nach § 102 Satz 2 FGO nicht möglich (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.2019 – XI R 56/17, BFH/NV 2020, 775, Rz. 21 m.w.N.).
34(2) Die Voraussetzungen des § 102 Satz 2 FGO sind hier nach Auffassung des Gerichts (noch) erfüllt.
35Das FA hat mit der Klageerwiderung nunmehr konkret zum Zweck der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis (Schutz des Rechtsverkehrs vor unzuverlässigen Schuldnern sowie Druckmittel zur Steigerung der Zahlungsmoral bzw. zur Abgabe der Vermögensauskunft) vorgetragen. Auch führte es richtigerweise in Ergänzung seiner bisherigen Erwägungen aus, dass der Gesetzgeber die Gefährdung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz der Vollstreckungsschuldner im Allgemeinen oder einzelner Berufsgruppen gekannt und bewusst in Kauf genommen habe und letzterer Aspekt auch beim Kläger der Eintragung nicht entgegenstünde, weil die Vollstreckung mit weniger belastenden Mitteln vorliegend nicht zum Erfolg geführt habe.
36Durch die dargestellten, bloß ergänzenden Ermessenserwägungen in der Klageerwiderung hat das FA weder erstmals Ermessenserwägungen angestellt noch die Ermessensgründe ausgewechselt oder vollständig nachgeholt. Es hat seine bisherigen Ermessenserwägungen lediglich verbreitert bzw. verdeutlicht. Dafür; dass das FA bereits in der Einspruchsentscheidung im Blick hatte, dass auch die schutzwürdigen Interessen des Klägers zu berücksichtigen sind, sprechen die dortigen (wenn auch recht allgemein gehaltenen) Ausführungen. Das FA hatte zudem ausweislich der Erhebungsakte Kenntnis davon, dass die jetzige Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nicht die erste für den Kläger sein würde. Daher waren auch die Auswirkungen der neuerlichen Eintragungsanordnung als deutlich geringer einzustufen als es eine Ersteintragung gewesen wäre. Nimmt man zudem in den Blick, dass die Eintragung des Vollstreckungsschuldners nach der stark am Interesse des allgemeinen Gläubigerschutzes im Rechtsverkehr ausgerichteten Regelung des § 284 Abs. 9 AO (n.F., Neuregelung zum 01.01.2013 durch das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29.07.2009, BGBl I 2009, 2258; ausführlich hierzu Baldauf in BeckOK AO, 28. Ed. 15.4.2024, § 284 Rz. 5 ff.) die Regel sein sollte (dazu Werth in Klein, 17. Aufl. 2023, AO, § 284 Rz. 35), sind die Grenzen einer von § 102 Satz 2 FGO abgedeckten bloßen „Nachbesserung“ der Ermessenserwägungen im Streitfall jedenfalls noch gewahrt.
374. Grds. hätte der Kläger die Kosten des Verfahrens aufgrund seines Unterliegens zu tragen (§ 135 Abs. 1 FGO). Vorliegend waren die Kosten des Verfahrens jedoch insgesamt dem FA nach § 137 Satz 2 FGO aufzuerlegen und zwar aus folgenden Gründen.
38a) In der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass in Konstellationen wie der vorliegenden, in denen eine unzureichende Ermessensausübung im Vorverfahren nach § 102 Satz 2 FGO im Klageverfahren geheilt wird und der Kläger nur dadurch mit seiner Klage unterliegt, die Kosten grds. der Finanzbehörde aufzuerlegen sind. Teilweise wird als Grundlage hierfür eine entsprechende Anwendung von § 137 Satz 1 FGO genannt (s. Rauda in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 102 FGO Rz. 121 [Stand: 273. Lieferung, 4/2023]; Stapperfend in Gräber, FGO. 9. Auflage 2019, § 102 Rz. 31), teilweise wird auf die Anwendung von § 137 Satz 2 FGO abgestellt (vgl. Ratschow in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 137 Rz. 3; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 137 FGO Rz. 8 [Stand: 176. Lieferung, 7/2023]). Wieder andere nennen nur § 137 FGO ohne Bezugnahme auf einen konkreten Satz (Fu in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 102 FGO Rz. 52 [Stand: 44. Lieferung 12/2014]; Wagner/Wagner in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 102 FGO Rz. 4; so im Übrigen auch die – soweit ersichtlich – einzige finanzgerichtliche Entscheidung im Zusammenhang mit der vorliegenden Frage, die allerdings in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und vor dem Erlass einer Einspruchsentscheidung erging: FG Köln, Beschluss vom 17.01.2014 – 13 V 3359/13, EFG 2014, 610, Rz. 68; die dortige Begründung erschöpft sich allerdings in einem kurzen Absatz).
39Das Gericht schließt sich zunächst ganz allgemein der einhelligen Auffassung des Schrifttums an, dass eine Kostenauferlegung zum Nachteil der Finanzbehörde in Fällen der Ermessensergänzung nach § 102 Satz 2 FGO, welche (erst) zum Unterliegen des Klägers führt, über § 137 FGO möglich ist. Es handelt sich hierbei um einen Fall vorprozessualen Verschuldens, ähnlich wie bei der Veranlassung des Klägers zu einer Klage durch eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. hierzu Ratschow in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 137 Rz. 3). Hinsichtlich der konkreten Grundlage in § 137 FGO ist dabei der Auffassung, die auf Satz 2 der Vorschrift abstellt, der Vorzug zu geben. Die Ergänzung der Ermessenserwägungen ist weder eine verspätet vorgebrachte „Tatsache“ i.S.d. Satzes 1 noch bedarf dessen entsprechender (d.h. analoger) Anwendung, da der Fall von Satz 2 als „Grundnorm“ der Vorschrift (dazu Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 137 FGO Rz. 8) erfasst ist (dazu sogleich) und damit keine Regelungslücke besteht. Letztlich dürfte die genaue Zuordnung zu einem der beiden Sätze aber zweitrangig sein, da die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 im Grunde identisch sind und der BFH selbst Satz 1 als „Anwendungsfall“ von Satz 2 sieht (BFH-Urteil vom 31.05.2005 – I R 68/03, BStBl II 2006, 380, Rz. 37).
40b) Nach § 137 Satz 2 FGO können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem unabhängig vom Ausgang des Verfahrens – also auch wenn er obsiegt – auferlegt werden (z.B. Ratschow in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 137 Rz. 3). „Verschulden“ i.S.d Satzes 2 meint jedes Verschulden; es genügt also leichte Fahrlässigkeit (vgl. nur BFH-Urteil vom 06.10.2005 – V R 64/00, BStBl. II 2006, 212).
41c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 137 Satz 2 FGO sind vorliegend erfüllt.
42aa) Es ist zunächst ein Verschulden des FA nach § 137 Satz 2 FGO gegeben.
43Das FA hat sowohl bei Erlass der ursprünglichen Eintragungsanordnung als auch bei der Einspruchsentscheidung nicht die gebotene Sorgfalt walten lassen, weil es im Ausgangsbescheid zunächst gar keine Ermessenserwägungen angestellt und in der Einspruchsentscheidung dann einzelne relevante Aspekte, die in die Ermessensabwägung einzubeziehen gewesen wären, jedenfalls unerwähnt gelassen hat. Es wäre dem FA ohne weiteres möglich gewesen, die im Klageverfahren ergänzten Ermessenserwägungen bereits im Vorverfahren anzuführen. Hierbei handelt es sich nach Auffassung des Gerichts zwar nur um eine einfache (und keine grobe) Fahrlässigkeit, eine solche reicht aber – wie gezeigt – für die Anwendung des § 137 FGO aus.
44bb) Das Verschulden des FA ist nach Überzeugung des Gerichts auch ursächlich für die Erhebung der Klage und die damit verbundenen (gerichtlichen wie außergerichtlichen) Kosten gewesen.
45Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Klage vor der bzw. ohne die Ergänzung der Ermessenserwägungen durch das FA im Klageverfahren Erfolg gehabt hätte. Die Klagebegründung stützte sich auch ausschließlich auf die fehlerhafte Ermessensausübung des FA. Es ist daher davon auszugehen, dass die Klage bei von vornherein ordnungsgemäßer Ermessensausübung vom Kläger nicht erhoben worden wäre. Das FA hat den Kläger insofern in gewisser Weise durch die unzureichende Ermessensbetätigung zur Klage „herausgefordert“.
46d) Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 137 Satz 2 FGO erfüllt sind, ist dem Gericht ein Ermessen dahingehend eröffnet, ob und in welcher Höhe der obsiegende Beteiligte mit den Kosten belastet wird. Im Streitfall erscheint es ermessensgerecht, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten insgesamt aufzuerlegen (d.h. gerichtliche sowie außergerichtliche Kosten).
47Sowohl der Ursprungsbescheid als auch die Einspruchsentscheidung des FA lassen hinsichtlich der Ermessenserwägungen die notwendige Sorgfalt, die bei einer Ermessensentscheidung zu erwarten gewesen wäre, vermissen. Insofern wird auf die Ausführungen oben (unter 3.c)bb)) Bezug genommen. Den Kläger trifft dagegen an den zunächst mangelhaften Ermessenserwägungen kein (Mit-) Verschulden. Dass er sich zur (ursprünglich aussichtsreichen) Anfechtung der Entscheidung entschlossen und hierfür einen Anwalt eingeschaltet hat, obwohl das „Risiko“ einer Ermessensergänzung nach § 102 Satz 2 FGO bestand (mit der Folge der damit eintretenden Unbegründetheit der Klage), kann ihm nicht vorgeworfen werden. Eine Entscheidung dergestalt, dass dem FA nur die Gerichtskosten auferlegt werden und der Kläger seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, erscheint dagegen nicht angezeigt. Denn das FA ist nach § 2 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes ohnehin von der Zahlung der Gerichtskosten befreit, der Kläger würde dagegen trotz der oben dargelegten eindeutigen Verschuldensanteile auf Seiten des FA auf den – wenn auch überschaubaren (was aber eher zusätzlich für eine Zumutbarkeit der Tragung durch das FA spricht) Anwaltskosten „hängen bleiben“.
485. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) bestanden nicht.