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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits tragen der Kläger zu 96 % und der Beklagte zu 4 %.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer wegen eines Bescheids zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung 2015 zu ändern.
3Die Eheleute V. T. und Q. R.-T. wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
4V. T. war seit dem Jahr 2000 alleiniger Gesellschafter der E. GmbH (GmbH, AG J. HRB N01). Die Anteile wurden von ihm im Privatvermögen gehalten.
5V. T. verstarb am 16.02.2015 und wurde von Q. R.-T., Stiefmutter des Klägers, und dem Kläger zu je ½ beerbt. Mit Vertrag vom 28.08.2015 veräußerte die Erbengemeinschaft die Geschäftsanteile an der GmbH. Der Veräußerungspreis betrug 2.000.000 €, die gesamten Anschaffungskosten 163.978 € und die Veräußerungskosten 97.894,68 €.
6Die Erbengemeinschaft reichte ihre Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensteuer 2015 am 04.05.2016 beim Beklagten ein. Dabei erklärte sie einen Veräußerungsgewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.004.581,71 €. Die Erbengemeinschaft fügte ihrer Erklärung eine Anlage zur Ermittlung eines Veräußerungsgewinns gemäß § 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei. Während der Veräußerungserlös (damals noch: 1.982.055,34 €) und die Anschaffungskosten zu 60 % angesetzt wurden, wurden die Veräußerungskosten (damals noch: 86.264,69 €) in voller Höhe abgezogen.
7Der Beklagte erließ am 29.05.2017 gegenüber Frau R.-T. für sie selbst sowie gegenüber Frau R.-T. und dem Kläger als Erben nach V. T. den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer. Er setzte bei Frau R.-T. Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 502.290 € an.
8Auf Antrag des Klägers und Frau R.-T. wurde der Bescheid am 23.06.2017 wegen eines hier nicht streitgegenständlichen Punktes geändert.
9Mit Bescheid für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 05.07.2016 stellte der Beklagte erklärungsgemäß für die Erbengemeinschaft folgende Einkünfte fest:
10„Einkünfte aus Kapitalvermögen
11Kapitalerträge, die dem Steuerabzug unterlegen haben
12Kapitalerträge i.S.d. § 32d Abs. 1 EStG 1.004.581,72 €
13Darin enthaltene Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft 1.004.581,72 €.“
14Der Ertrag wurde den Beteiligten jeweils hälftig zugerechnet.
15In den Erläuterungen führte der Beklagte aus, der Veräußerungsvorgang erfülle vorerst den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG. Die Umqualifizierung des Vorgangs nach § 17 EStG erfolge auf Ebene der Gesellschafter.
16Mit Schreiben vom 13.11.2017 beantragte die Erbengemeinschaft eine Änderung dieses Bescheides gemäß § 175 der Abgabenordnung (AO). Es sei ein weiterer Kaufpreis i.H.v. 17.944,66 € gezahlt worden. Zudem seien im Jahr 2017 noch zwei weitere Rechnungen wegen anwaltlicher Beratung im Zusammenhang mit dem Verkauf bezahlt worden (Summe 11.629,99 €). Dadurch habe sich der Veräußerungsgewinn im Ergebnis auf 1.003.718,00 € verringert.
17Im Rahmen der Bearbeitung dieses Änderungsantrages stellte der Beklagte fest, dass bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns im ersten Bescheid keine Kürzung der Veräußerungskosten um 40 % erfolgt war.
18Mit geändertem Bescheid für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 04.01.2018 stellte der Beklagte für die T. Erbengemeinschaft folgende Einkünfte fest:
19„Einkünfte aus Kapitalvermögen
20Kapitalerträge, die dem Steuerabzug unterlegen haben
21Kapitalerträge i.S.d. § 32d Abs. 1 EStG 1.042.876,39 €
22Darin enthaltene Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft 1.042.876,39 €“.
23Der Ertrag wurde den Beteiligten jeweils hälftig zugerechnet.
24In den Erläuterungen führte der Beklagte aus, dass die nachträgliche Kaufpreiszahlung und die nachträglichen Veräußerungskosten gemäß § 175 AO berücksichtigt würden. Jedoch sei aufgefallen, dass die Veräußerungskosten zu 100 % und nicht richtigerweise gemäß § 3c Abs. 2 EStG nur zu 60 % abgezogen worden seien. Diese offenbare Unrichtigkeit sei gemäß § 129 AO zu korrigieren.
25Der Veräußerungsvorgang erfülle vorerst den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG. Die Umqualifizierung des Vorgangs nach §§ 17, 20 Abs. 8 EStG erfolge auf Ebene der Gesellschafter.
26Den Gewinn ermittelte er wie folgt:
27Veräußerungspreis |
2.000.000,00 € |
Anschaffungskosten |
163.978,00 € |
Veräußerungskosten |
97.894,68 € |
=1.738.127,32 € |
|
X steuerpflichtig 60 % |
1.042.876,39 € |
Nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens erhob die Erbengemeinschaft gegen die Einspruchsentscheidung vom 15.11.2019 am 04.12.2019 Klage zum Finanzgericht (FG) L. (Aktenzeichen 8 K 3276/19 F).
29Der Beklagte änderte am 05.12.2019 den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Er setzte bei Frau R.-T. Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 521.438 € an. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 245.150 €. Der Bescheid erging gegenüber Frau R.-T. für sie selbst sowie gegenüber Frau R.-T. und dem Kläger als Erben nach V. T..
30Nachdem das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2021 darauf hinwiesen hatte, dass § 129 AO nicht einschlägig sei und neben der Vorschrift des § 175 AO auch die des § 177 AO zu beachten sei, verpflichtete sich der Beklagte, den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 04.01.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.11.2019 dahingehend zu ändern, dass als Veräußerungsgewinn gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG ein Betrag in Höhe von 1.022.526,30 Euro festgestellt werde.
31Im Anschluss daran erklärten die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
32Mit geändertem Bescheid für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 19.04.2021 stellte der Beklagte für die T. Erbengemeinschaft folgende Einkünfte fest:
33„Einkünfte aus Kapitalvermögen
34Kapitalerträge, die dem Steuerabzug unterlegen haben
35Kapitalerträge i.S.d. § 32d Abs. 1 EStG 1.022.526,30 €
36Darin enthaltene Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft 1.022.526,30 €“.
37Der Ertrag wurde den Beteiligten jeweils hälftig zugerechnet.
38In den Erläuterungen führte der Beklagte aus, die Änderungen erfolgten aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung. Die Umqualifizierung erfolge gemäß § 20 Abs. 8 EStG durch das Wohnsitzfinanzamt.
39Der Beklagte änderte daraufhin am 17.06.2021 den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Der Bescheid erging gegenüber Frau R.-T. für sie selbst sowie gegenüber Frau R.-T. und dem Kläger als Erben nach V. T. als Inhaltsadressaten. Er setzte bei Frau R.-T. Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 511.263 € an. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 240.572 €. Es erfolgte jeweils eine Einzelbekanntgabe.
40Der Kläger beantragte innerhalb der Einspruchsfrist im eigenen Namen „als Miterbe nach V. T.“ gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) AO die Änderung des Bescheids, „hilfsweise erheben wir Einspruch“.
41Er beantragte, 40 % des im Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung angesetzten Betrages steuerfrei zu stellen und Veräußerungskosten in Höhe von 97.894,68 € zu berücksichtigen.
42Der Beklagte wies unter dem 29.07.2021 daraufhin, dass im Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung bereits eine 40%ige Steuerbefreiung gewährt worden sei. Auch seien die nun geltend gemachten Veräußerungskosten, bei denen es sich um die gesamten Veräußerungskosten handele, bereits in diesem Bescheid berücksichtigt.
43Zudem sei der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn in Höhe von 1.042.876,39 € bereits zur Hälfte (521.438,20 €) im Bescheid für 2015 über Einkommensteuer vom 05.12.2019 berücksichtigt worden. Der nun angefochtene Bescheid vom 17.06.2021 hätte daher nicht ergehen dürfen.
44Er beabsichtige daher, den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer vom 17.06.2021 aufzuheben, wodurch der Bescheid vom 05.12.2019 wiederauflebe. Dadurch komme es zu einer höheren Steuer. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31.08.2021 gegeben.
45Nachdem der Kläger trotz beantragter und gewährter Fristverlängerung nicht reagierte, hob der Beklagte den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer vom 17.06.2021 mit Einspruchsentscheidung vom 20.12.2021 auf, soweit er gegenüber dem Kläger ergangen war.
46Die einheitliche und gesonderte Feststellung hätte nicht erfolgen dürfen. Die Erbengemeinschaft habe nicht den Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG verwirklicht, da die Anteile vor dem 01.01.2009 erworben worden seien.
47Der Veräußerungsvorgang sei sowohl im Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung als auch zur Einkommensteuer berücksichtigt worden. Ersterer sei gemäß § 174 Abs. 1 AO aufzuheben.
48Aber auch wenn man von einer Bindungswirkung ausgehe, seien die Veräußerungskosten und die 40%ige Steuerbefreiung bereits im Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung berücksichtigt worden. Eine erneute Berücksichtigung scheide auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus.
49Der Kläger hat am 13.01.2022 Klage erhoben.
50Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags meint er, dass der Beklagte an die im Bescheid festgestellte Höhe der Einkünfte von 511.263 € gebunden sei. Hiervon seien die auf ihn [gemeint ist Q. R.-T.] entfallenden Veräußerungskosten in Höhe von 48.947,34 € (50 % von 97.894,68 €) abzuziehen. Der so ermittelte Gewinn sei gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG zu 40 % steuerfrei. Damit ergäben sich für Q. R.-T. steuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen gemäß 17 EStG in Höhe von 277.389,40 € ([511.263 € - 48.947,34 €] * 60 %).
51Hierfür sei es irrelevant, ob der Beklagte bei Erlass des Bescheids zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung bereits rechtsfehlerhaft die Veräußerungskosten abgezogen und die 40%ige Steuerbefreiung gewährt habe.
52Nachdem das Gericht in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass der unter eine Bedingung erhobene Einspruch unzulässig sei, hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Einspruchsentscheidung vom 20.12.2021 aufgehoben, soweit er darin den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer vom 17.06.2021 gegenüber dem Kläger aufgehoben hat.
53Der Kläger beantragt nunmehr wörtlich,
54den Bescheid für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen in der Form auszuwerten, dass auf „Gesellschafterebene“ bzw. Ebene der Miterben nur 60 % als steuerpflichtige Einkünfte festgesetzt werden und entsprechende Veräußerungskosten berücksichtigt werden,
55hilfsweise,
56die Revision zuzulassen.
57Der Beklagte beantragt,
58die Klage abzuweisen.
59Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags verweist er darauf, dass der Kläger keinen Antrag auf Aufhebung des Bescheids zur einheitlichen und gesonderten Feststellung gemäß § 174 Abs. 1 AO gestellt habe.
60Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die hinzugezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
61Entscheidungsgründe
62Die Ablehnung der Änderung des Bescheid für 2015 über Einkommensteuer vom 17.06.2021 unter Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinn bei Q. R.-T. in Höhe von 277.389,40 € ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Beklagte hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, den im Bescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung festgestellten Kapitalertrag um Veräußerungskosten zu reduzieren und hierauf eine 40%ige Steuerbefreiung zu gewähren.
63I. Der Kläger hat eine Änderung des Bescheids für 2015 über Einkommensteuer vom 17.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.12.2021 beantragt. Zur Begründung dieses Antrags beruft er sich auf die Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 AO und damit der Sache nach auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Unerheblich ist, dass er als Änderungsnorm § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) AO benennt. Die Korrektur eines Steuerbescheids nach Maßgabe des § 175 AO ist im gerichtlichen Verfahren durch eine Verpflichtungsklage i.S. des § 40 Abs. 1 Var. 2 FGO zu verfolgen (Bundesfinanzhof --BFH-- Urteil vom 24.05.2006 I R 93/05, BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76, unter II.1.).
64Die Sachurteilsvoraussetzung eines abgeschlossenen Vorverfahrens, das grundsätzlich gemäß § 44 Abs. 1 FGO dem Klageverfahren vorausgehen muss, ist im Streitfall erfüllt. Zwar hat der Beklagte vor der Einspruchsentscheidung keinen Bescheid erlassen, durch den er den Änderungsantrag des Klägers abgelehnt hat. So erläutert der Beklagte in seinem Schreiben vom 29.07.2021 lediglich, warum der Änderungsantrag seiner Meinung nach unbegründet ist. Eine Ablehnungsentscheidung enthält dieses Schreiben nicht.
65Aber in der Einspruchsentscheidung vom 20.12.2021 wird insoweit erstmals eine ablehnende Verwaltungsentscheidung getroffen.
66Zwar lautet der Tenor der Einspruchsentscheidung nur, dass der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen wird, sodass dieser Tenor den Antrag nicht ausdrücklich erfasst. Allerdings wurde der Einspruch unter der --wenn auch unzulässigen
67Bedingung-- eingelegt, dass dem Antrag nicht entsprochen wird. Aus der Begründung der Einspruchsentscheidung ergibt sich außerdem, dass der Beklagte die Auffassung vertritt, die Änderung zugunsten des Klägers sei ausgeschlossen.
68Daher war es im Streitfall nicht notwendig, ein weiteres Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen. Denn es ist eine Einspruchsentscheidung ergangen, die vom Kläger als Beschwertem in zulässiger Weise durch Klage angefochten werden konnte (BFH-Urteil vom 23.02.2017 III R 35/14, BFHE 257, 20, BStBl II 2017, 757, Rz 14, m.w.N.).
69Entscheidend und ausreichend ist, dass der Antrag des Klägers auf einen niedrigeren Ansatz des Gewinns aus Gewerbebetrieb aus Veräußerung durch den Beklagten in der Einspruchsentscheidung abgelehnt wurde (BFH-Beschluss vom 29.01.2016 X B 93/15, BFH/NV 2016, 776, Rz 20, 23).
70II. Der Antrag des Klägers, den Beklagten dazu zu verpflichten, den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer vom 17.06.2021 zu ändern (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 182 Abs. 1 AO) und niedrigere Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen anzusetzen, ist unbegründet. Zwar hat der Beklagte zu Unrecht die Bindungswirkung des Bescheids für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen verneint (dazu 1.). Dies wirkt sich im Streitfall indes nicht aus, da er wegen der Umqualifizierung der Einkünfte zu einer eigenständigen Ermittlung der Höhe der Einkünfte berechtigt und verpflichtet ist (dazu 2.).
711. Der Beklagte ist dazu verpflichtet, den Bescheid für 2015 über Einkommensteuer nach Maßgabe der Bindungswirkungen des Bescheids für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zu ändern.
72Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen oder geändert wird. Zu den Grundlagenbescheiden zählen gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1, § 179 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AO auch die Feststellungsbescheide nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AO.
73Nach § 179 Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AO werden einkommensteuerpflichtige Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen gesondert und einheitlich festgestellt, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Nach diesen Vorschriften sind insbesondere die von einer Personengesellschaft erzielten Einkünfte sowie deren Verteilung auf die Gesellschafter im Wege der gesonderten und einheitlichen Feststellung zu erfassen (BFH-Urteil vom 24.06.2009 IV R 55/06, BFHE 226, 14, BStBl II 2009, 950, m.w.N.). Im Rahmen dieser Feststellung ist auch über die Art der erzielten Einkünfte zu entscheiden.
74Im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist eine gesonderte und einheitliche Feststellung vorzunehmen, wenn mehrere Personen gemeinschaftlich den Tatbestand verwirklichen und dadurch Einkünfte erzielen, sei es in Gestalt einer Gesamthands- oder Bruchteilsgemeinschaft (BFH-Urteil vom 26.01.1999 IX R 17/95, BFHE 188, 53, BStBl II 1999, 360, m.w.N.).
75Der Beklagte war an die Entscheidung im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung vom 19.04.2021 gebunden, wonach die Erbengemeinschaft Kapitalerträge i.S.d. § 32d Abs. 1 EStG in Höhe von 1.022.526,30 € aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft erzielte und dem Kläger und Q. R.-T. jeweils hälftig zugerechnet wurden.
76Der Beklagte war verfahrensrechtlich daran gehindert, dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid die --materiell-rechtlich zutreffende-- Würdigung zugrunde zu legen, dass die Erbengemeinschaft nicht § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG verwirklicht habe.
77Die Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet das für den Erlass eines Folgebescheids zuständige Finanzamt, den Grundlagenbescheid umzusetzen. Die Vorschrift stellt die Anpassung des Folgebescheids mithin nicht in das Ermessen der Finanzbehörden (z.B. BFH vom 18.07.2012 X R 28/10, BFHE 238, 484, BStBl II 2013, 444, m.w.N.). Die Bindung an den Feststellungsbescheid schließt es aus, über einen Sachverhalt, über den im Feststellungsverfahren entschieden worden ist, im Folgeverfahren in einem damit unvereinbaren Sinne anders zu entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 18.04.2012 X R 34/10, BFHE 237, 135, BStBl II 2012, 647, Rz 21, m.w.N.).
78Noch zutreffend verweist der Beklagte darauf, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG nach § 52 Abs. 28 Satz 11 EStG erstmals auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2008 erworben wurden. Ebenso zutreffend ist, dass der Erblasser die Anteile vor diesem Zeitpunkt erworben hat und sein Anschaffungszeitpunkt den Erben gemäß § 20 Abs. 4 Satz 6 EStG zuzurechnen ist.
79Ob die Feststellung zu Recht auf § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AO gestützt werden konnte, ist für die Bindungswirkung indes irrelevant. Denn auch ein unter Verletzung der in der Abgrenzung von Grundlagen- und Folgebescheid liegenden Kompetenzverteilung ergangener Feststellungsbescheid ist nicht nichtig, sondern wirksam und damit bindend (BFH-Urteil vom 10.06.2015 I R 63/12, BFH/NV 2016, 1, Rz 17, m.w.N.; Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 167. Lieferung, 8/2021, § 182 AO Rz 3).
80Etwas anders folgt auch nicht aus § 174 Abs. 1 AO.
81§ 174 Abs. 1 Satz 1 AO setzt voraus, dass "ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden (ist), obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Die Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn sich Feststellungsbescheid und Folgebescheid widerstreiten (BFH-Urteil vom 09.04.2003 X R 38/00, BFH/NV 2003, 1035, unter II. 1. a)).
82Die Voraussetzungen sind hier schon deswegen nicht gegeben, weil sich die im Feststellungsbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen und die im angegriffenen Folgebescheid angesetzten Besteuerungsgrundlagen nicht widersprechen (dazu sogleich).
83Vor allem aber handelt es sich bei § 174 Abs. 1 AO um eine Korrekturvorschrift, um einen rechtswidrigen Bescheid aufzuheben oder zu ändern. Solange der Grundlagenbescheid --wie hier-- nicht aufgehoben ist, entfaltet er Bindungswirkung (BFH-Urteil vom 25.06.1991 IX R 57/88, BFHE 164, 502, BStBl II 1991, 821).
842. Im Streitfall war der Beklagte berechtigt und verpflichtet, die als Einkünfte aus Kapitalvermögen gesondert und einheitlich festgestellten Einkünfte von Q. R.-T. im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer abweichend als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 Abs. 1 EStG zu beurteilen und die Höhe selbst zu ermitteln.
85Die einkommensteuerrechtliche Qualifizierung der Einkünfte von Gesellschaftern einer Personengesellschaft hängt grundsätzlich davon ab, welche Einkunftsart durch die Tätigkeit der Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, mithin durch die Tätigkeit der Gesellschaft verwirklicht wird (BFH-Beschluss vom 25.06.1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. III. 3. a).
86Die Beteiligung eines oder mehrerer gewerblich tätiger Gesellschafter an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft führt zwar grundsätzlich nicht dazu, dass die Tätigkeit dieser sog. Zebra-Gesellschaft insgesamt als gewerblich anzusehen wäre (BFH-Beschluss vom 25.06.1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. III. 3. b bb). Wird aber ein Gesellschaftsanteil an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft von einem Gesellschafter im gewerblichen Betriebsvermögen gehalten, hat dies zur Folge, dass die Anteile dieses Gesellschafters an den Wirtschaftsgütern der Gesellschaft bei ihm Betriebsvermögen sind. Deshalb ist --unbeschadet der Einkünftequalifizierung bei der Gesellschaft-- die anteilige Erfassung der Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern durch die Personengesellschaft bei diesem Gesellschafter erforderlich (BFH-Urteil vom 11.12.1997 III R 14/96, BFHE 185, 177, BStBl II 1999, 401, unter II. 1. b cc).
87Bei einem betrieblich beteiligten Gesellschafter an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft werden demnach die ihm zuzurechnenden Beteiligungseinkünfte als betriebliche Einkünfte qualifiziert. Da sich dies jedoch außerhalb der Zebra-Gesellschaft vollzieht, hat sowohl ihrer Art als auch ihrer Höhe nach das für die persönliche Besteuerung des Gesellschafters zuständige Finanzamt verbindlich zu entscheiden (BFH-Urteile vom 11.12.1997 III R 14/96, BFHE 185, 177, BStBl II 1999, 401, unter II. 1. b) bb); und vom 15.09.2005 III R 18/03, BFH/NV 2006, 235; BFH-Beschluss vom 11.04.2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679; vgl. auch Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 167. Lieferung, 8/2021, § 180 AO Rz 57 mit umfangreichen Nachweisen).
88Kapitalbeteiligungen einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft sind den Gesellschaftern der Personengesellschaft für die Bestimmung des Veräußerungstatbestands nach § 17 EStG anteilig zuzurechnen. Folge der Bruchteilsbetrachtung ist unter anderem, dass der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG nicht Gegenstand einer einheitlichen und gesonderten Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 sein kann. Dies gilt selbst dann, wenn ein Gesellschafter aufgrund der Höhe seines Anteils an der Personengesellschaft sowie der Höhe der zum Gesamthandsvermögen gehörenden Kapitalbeteiligung gemäß § 17 EStG wesentlich an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist (BFH-Urteil vom 09.05.2000 VIII R 41/99, BFHE 192, 273, BStBl II 2000, 686).
89Die Umqualifizierung nach § 20 Abs. 8 EStG und die Ermittlung der Höhe der Einkünfte gemäß § 17 EStG können damit zwingend erst auf Ebene der Gesellschafter vollzogen werden.
90Dass es sich bei den Einkünften aus der Veräußerung der Beteiligung an der GmbH um Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 EStG handelt und auf Ebene der Beteiligten gemäß § 20 Abs. 8 EStG eine Umqualifizierung zu erfolgen hat, steht zwischen den Beteiligten zu Recht außer Streit. Ebenso ist die gemäß § 17 Abs. 2 EStG zu ermittelnde materiell-richtige Höhe des Veräußerungsgewinn von 521.438,20 € zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Der Senat sieht insofern von weiteren Ausführungen ab.
91Für die verbindliche Entscheidung des Feststellungs-Finanzamts über die Höhe der Einkünfte eines gemäß § 17 EStG fiktiv betrieblich an einer Erbengemeinschaft Beteiligten fehlt es zudem an einer Rechtsgrundlage. Aus dem Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) folgt, dass Besteuerungsgrundlagen nur dann durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt werden, soweit dies gesetzlich bestimmt ist (vgl. hierzu auch § 179 Abs. 1 AO, BFH-Beschluss vom 11.04.2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, unter C. 4.).
92Der in der mündlichen Verhandlung von der Bevollmächtigten des Klägers beantragte Schriftsatznachlass war nicht zu gewähren. § 283 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO sieht das Nachbringen schriftsätzlicher Erklärungen nur für den Fall vor, dass sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des anderen Beteiligten nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Daran fehlt es im Streitfall.
93Denn zum einen umfasst der Anwendungsbereich des § 283 ZPO nur Erklärungen zu Tatsachen, nicht aber ergänzende Rechtsausführungen (BFH-Beschluss vom 07.10.2005 II B 94/04, BFH/NV 2006, 323).
94Zum anderen kam der Hinweis von Seiten des Senats und dieser Hinweis in der mündlichen Verhandlung auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11.04.2005 (GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679) kann in keiner Weise als überraschend gewertet werden, da alleiniger Streitgegenstand von Beginn an die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids war.
95Eine Erhöhung der vom Beklagten angesetzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Veräußerungsgewinnen ‑ von 511.263,- € auf 521.438,20 € ‑ ist dem Senat indes verwehrt (Verböserungsverbot, vgl. nur BFH-Urteil vom 13.06.2012 VI R 92/10, BStBl II 2013, 139, Rz. 20).
96III. Da sich der Rechtsstreit zum Teil durch die Teilaufhebung der Einspruchsentscheidung in der mündlichen Verhandlung erledigt hat und der Kläger mit seiner weitergehenden Verpflichtungsklage unterlegen ist, war über die Kosten nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 i.V.m. § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO zu entscheiden.
97Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit nach der teilweisen Aufhebung der Einspruchsentscheidung insoweit konkludent für erledigt erklärt haben (hierzu BFH-Beschluss vom 25.08.2004 IX B 94/04, BFH/NV 2005, 70), beruht die Kostenentscheidung auf § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO.
98Danach sind die Kosten der Behörde aufzuerlegen, soweit ein Rechtsstreit dadurch erledigt wird, dass dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wird.
99Der Beklagte ist im Übrigen nicht i.S. des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO "nur zu einem geringen Teil" unterlegen. Dieses Tatbestandsmerkmal kann zwar gegeben sein, wenn der unterliegende Beteiligte --wie im Streitfall der Beklagte-- bei einer Kostenteilung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO weniger als 5 v.H. der Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Bei einem Teilobsiegen des Klägers in Höhe von 10.175 € kann ein Unterliegen des Beklagten "zu einem geringen Teil" jedoch nicht angenommen werden (BFH-Urteil vom 21.06.2022 VIII R 26/19, BFH/NV 2023, 50, Rz 33, m.w.N.).
100IV. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.