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Die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 2016 bis 2019, der Bescheide über den Gewerbesteuer-Messbetrag 2016 bis 2019, der Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 bis 31.12.2019, der Einkommensteuerbescheide für 2016 bis 2019, der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2016 bis 31.12.2019 und des Vorauszahlungsbescheids zur Einkommensteuer für 2021, allesamt vom 27.9.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.3.2023, wird bis einen Monat nach Ergehen einer rechtskräftigen Entscheidung über die anhängige Klage mit dem Aktenzeichen 5 K 665/23 E,G,U,F mit der Maßgabe ausgesetzt, dass bei der Berechnung des Gewinns bzw. Umsatzes lediglich von einem durchschnittlichen Tageserlös von 3.000,00 EUR anstatt – wie bisher – von 3.423,04 EUR auszugehen ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Berechnung der auszusetzenden Beträge wird dem Antragsgegner übertragen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller zu 70% und dem Antragsgegner zu 30% auferlegt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung).
Gründe
2I.
Der Antragsteller (Ast) betrieb seit dem 0.0.2016 in V. einen Lebensmitteleinzelhandel (Supermarkt) unter dem Namen „M.“. Den Betrieb hatte er zu diesem Zeitpunkt von Frau P. übernommen. Seinen Gewinn ermittelte der Ast in den Streitjahren 2016 bis 2019 durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR) nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Umsatzsteuerlich erzielte er sowohl Umsätze zum Regelsteuersatz von 19% als auch zum ermäßigten Steuersatz von 7%. Die Tageseinnahmen wurden in Form von manuellen Berichten aufgezeichnet, in die u.a. auch die Erlöse einer Geschäftskasse einflossen. Die manuellen Berichte dienten als Grundlage für die Erstellung der EÜR durch den damit beauftragten Steuerberater.
5Mit Prüfungsanordnung vom 14.12.2020 ordnete der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) eine Betriebsprüfung (BP) beim Ast an, die zunächst die Einkommensteuer (ESt), Umsatzsteuer (USt) und den Gewerbesteuer-Messbetrag (GewSt-MB) für die Veranlagungszeiträume 2016 bis 2018 umfasste. Mit einer weiteren Prüfungsanordnung vom 26.1.2022 wurde der Prüfungszeitraum auf das Streitjahr 2019 sowie der Prüfungsgegenstand auf die Feststellung der vortragsfähigen Gewerbeverluste nach § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt nach § 10d EStG für die Zeiträume 31.12.2016 bis 31.12.2019 erweitert. Darüber hinaus wurde am 25.1.2021 ein weiterer Prüfer als Fachprüfer eingeschaltet und mit der Prüfung des Datenzugriffs beauftragt.
6Am 11.11.2021 führte das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung J. (Steufa) eine Durchsuchungsmaßnahme beim Ast durch. Dabei wurden u.a. Tagesabschlussberichte (TAB) einer PC-Kasse aus dem Mai 2016 und den Monaten Juni, Juli und Dezember 2019 aufgefunden. Auf den aus dem Juni 2019 stammenden TAB befand sich auf der Rückseite der Vermerk „Kasa 1“ sowie eine notierte Tageseinnahme, die nicht derjenigen entsprach, die auf der Vorderseite ausgewiesen war, sondern häufig (aber nicht immer) mit dem Betrag übereinstimmte, der als Kasseneinnahme in die manuellen Berichte Eingang gefunden hatte. Der Abgleich zwischen den in der Akte befindlichen TAB der ersten Kasse und den aufgefundenen Belegen der weiteren Kasse stellte sich wie folgt dar (in Klammern gesetzt sind abweichende Wertansätze des FA im BP-Bericht):
7Tabelle 1 |
||||
Datum |
Bruttoerlös lt. TAB Kasse 1 |
Vorderseite der am 11.11.21 aufgefundenen Belege |
Handschr. Notiz auf der Vorder-/ Rückseite |
Summe (brutto) |
Mai 2016 |
||||
2.5.16 |
262,03 (898,25) |
2.120,14 |
2.382,17 (3.018,38) |
|
3.5.16 |
637,02 |
2.358,46 |
2.995,48 |
|
4.5.16 |
829,73 |
4.085,66 |
4.915,39 |
|
6.5.16 |
1.928,60 |
2.349,66 |
4.278,26 |
|
7.5.16 |
2.416,46 |
4.548,76 |
6.965,22 |
|
9.5.16 |
838,81 |
2.691,44 |
3.530,25 |
|
10.5.16 |
361,15 |
2.474,77 |
2.835,92 |
|
10.0.16 |
1.114,47 |
2.786,86 |
3.901,33 |
|
12.5.16 |
744,22 |
2.938,91 |
3.683,13 |
|
13.5.16 |
1.350,92 |
4.138,14 |
5.489,06 |
|
14.5.16 |
2.296,57 |
2.905,94 |
5.202,51 |
|
17.5.16 |
665,82 (978,47) |
2.416,15 |
3.081,97 (3.394,62) |
|
18.5.16 |
312,65 (538,03) |
2.030,64 |
2.343,29 (2.568,67) |
|
19.5.16 |
538,03 (0,00) |
2.168,39 |
2.706,42 (2.168,39) |
|
20.5.16 |
742,98 |
2.453,70 |
3.196,68 |
|
20.0.16 |
1.132,48 |
3.328,02 |
4.460,50 |
|
Zwischens. |
16.171,94 |
45.795,64 |
61.967,58 |
|
Juni 2019 |
||||
5.6.19 |
1.343,95 |
817,23 |
1.343,95 |
2.161,18 |
6.6.19 |
7.890,72 |
1.004,04 |
Kasa I 1.331 € |
8.894,76 |
7.6.19 |
1.818,14 |
894,41 |
Kasa I 1.818,14 |
2.712,55 |
8.6.19 |
3.850,82 |
1.688,56 |
Kasa I 3.850 € |
5.539,38 |
11.6.19 |
2.187,75 |
702,70 |
Kasa 1 2.187 € Q. 379 € Kasa 1 |
2.890,45 |
12.6.19 |
0.080,56 |
708,18 |
Kasa 1 0.080, D. 1,72 |
2.288,74 |
13.6.19 |
1.253,83 |
984,10 |
Kasa 1 1.253 € Kasa 2 200 € E. |
2.237,93 |
14.6.19 |
2.322,13 |
1.105,59 |
Kasa I 2.322 € |
3.427,72 |
15.6.19 |
3.203,84 |
1.339,01 |
Kasa 1 2.933 € |
4.542,85 |
17.6.19 |
1.493,96 |
1.061,91 |
Kasa 1 1.493 € |
2.555,87 |
18.6.19 |
0.041,82 |
1.168,30 |
0.041,82 |
2.710,12 |
19.6.19 |
2.565,39 |
1.432,74 |
2.516,25 |
3.998,13 |
21.6.19 |
2.516,25 |
1.252,77 |
Kasa I 1.249 € |
3.769,02 |
24.6.19 |
1.249,34 |
885,30 |
Kasa I 1.249 € |
2.134,64 (5.134,64) |
26.6.19 |
1.479,76 |
951,39 |
Kasa I 1.479 €, 50 € C. Kasa II |
2.431,15 |
27.6.19 |
1.100,50 |
979,08 |
Kasa I 1.100 € |
2.079,58 |
29.6.19 |
3.638,42 |
1.252,68 |
3.638,42 |
4.891,10 |
Summe |
41.037,18 |
18.227,99 |
59.265,17 (62.265,17) |
|
Juli 2019 |
||||
16.7.2019 |
1.413,66 |
780,82 |
2.194,48 |
|
Dez. 2019 |
||||
10.12.2019 |
0.085,00 |
842,14 |
2.427,14 |
Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahme der Steufa wurden des Weiteren zwei aktiv eingerichtete Kassen der Marken „Schapfl“ und „Leopos“ sowie drei nicht mehr eingesetzte Kassen aufgefunden. Bei Letzteren handelte es sich um zwei Kassen des Typs Samsung SAM4S Modell ER 945 und um eine Kasse des Typs Samsung SAM4S Modell ER 5240 M. Die drei letztgenannten Kassen wurden beschlagnahmt. In den beiden Kassen des Typs Samsung SAM4S Modell ER 945 befanden sich keine SD-Karten. Ob die Inhalte gelöscht oder die Kassen so eingestellt worden waren, dass keine Speicherung erfolgt war, konnte nicht festgestellt werden.
9Die Prüferin ging aufgrund der beschlagnahmten TAB davon aus, dass der Ast im Prüfungszeitraum seine Einnahmen unter Einsatz der beiden Kassen des Typs Samsung SAM4S Modell ER 945 aufgezeichnet habe, allerdings nur die TAB einer der beiden Kassen auch tatsächlich Eingang in die steuerlichen Aufzeichnungen gefunden hätten. Vor diesem Hintergrund kam es am 26.1.2022 zu einer Besprechung zwischen dem Ast und dem FA. Ausweislich des vom FA gefertigten Gesprächsvermerks gab der Ast auf die Frage des FA, wie der betriebliche Ablauf gestaltet sei, zunächst an, dass er die Kassenabschlüsse erstellt und am Ende eines Tages die Einnahmen der zweiten Kasse der Marke Leopos in einer Summe in die erste Kasse der Marke Schapfl eingebucht habe. Auf einen Vorhalt des FA korrigierte der Ast sodann seine Angaben dahingehend, dass er die in der zweiten Kasse erfassten Einnahmen im Laufe eines Tages entweder einzeln oder als Sammelumsatz von 10 bis 12 Umsätzen in der ersten Kasse erfasst habe. Auf einen weiteren Vorhalt erläuterte er schließlich, dass er die Einnahmen zunächst runden und dann einbuchen würde. Zu den unbaren, mit Karte bezahlten Umsätzen aus der zweiten Kasse erklärte der Ast, dass diese nicht in der ersten Kasse erfasst worden wären, sondern lediglich in den EC-Abrechnungen enthalten seien. Darüber hinaus ließ sich der Ast laut Gesprächsvermerk dahingehend ein, dass er lediglich im Mai 2016 sowie ab September 2021 zwei Kassen im Betrieb eingesetzt habe. Sonst sei immer nur eine Kasse eingesetzt worden. In Bezug auf den Mai 2016 räumte er ein, dass die für diesen Monat erfassten und erklärten Betriebseinnahmen zu niedrig und damit falsch seien. Für diese geringen Einnahmen „würde ich ja gar nicht aufstehen“. Hier seien die Einnahmen der zweiten Kasse nicht in den erklärten Einnahmen enthalten, was korrigiert werden müsse. Die übrigen Einnahmen seien jedoch vollständig und in der richtigen Höhe erklärt worden.
10Die BP wurde mit Bericht vom 27.6.2022 abgeschlossen, auf den wegen der Einzelheiten der getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen Bezug genommen wird. Die Prüfer kamen darin zu dem Ergebnis, dass der Ast gegen die Aufbewahrungspflicht des § 147 der Abgabenordnung (AO) verstoßen habe, indem er die mit den beiden eingesetzten Kassen des Typs Samsung SAM4S ER 945 gefertigten Einzelaufzeichnungen nicht auf den zugehörigen SD-Karten gespeichert habe. Der Umstand, dass alle digitalen Einzelaufzeichnungen fehlen würden, stelle einen gravierenden Mangel dar. Dieser begründe hinreichende Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der Aufzeichnungen und der darauf basierenden EÜR. Die für die Streitjahre erstellten EÜR könnten daher insgesamt nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Die mangelnde Prüfbarkeit der Besteuerungsgrundlagen mache vielmehr eine Schätzung notwendig. Dies gelte umso mehr, als aus den im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahme am 11.11.2021 aufgefundenen TAB, die auf der Rückseite den Vermerk „Kasa 1“ sowie den in der EÜR erfassten Betrag aufweisen würden, klar erkennbar sei, dass der Ast zwei Kassen genutzt habe, aber nur die TAB einer Kasse Eingang in die steuerlichen Aufzeichnungen und damit in die EÜR gefunden hätten. Was die Höhe der Schätzung angehe, sei unter Zugrundelegung der beschlagnahmten TAB ein durchschnittlicher Tageserlös für die Öffnungstage, für die TAB beider Kassen vorlägen, zu errechnen. Dabei werde unterstellt, dass der Ast ausschließlich Umsätze zum ermäßigten Steuersatz von 7% getätigt habe. Für Mai 2016 ergebe sich ein durchschnittlicher Tageserlös für 16 Öffnungstage von 3.656,76 EUR netto und für 2019 ein solcher von 3.423,04 EUR. Zu Gunsten des Ast sei der niedrigere durchschnittliche Netto-Jahreserlös von 3.423,04 EUR anzusetzen und unter Berücksichtigung der festgestellten Öffnungstage auf einen Jahresgesamterlös hochzurechnen. Die Differenz zwischen dem ermittelten Jahresgesamterlös (netto) und den erklärten Netto-Jahreserlösen sei hinzuzuschätzen. Hieraus ergäben sich folgende Zuschätzungen:
112016 |
2017 |
2018 |
2019 |
|
Öffnungstage |
201 |
301 |
298 |
302 |
Nettoerlös/Tag |
3.423,04 |
3.423,04 |
3.423,04 |
3.423,04 |
Nettoerlös neu |
688.031,84 |
1.030.336,24 |
1.020.067,11 |
1.033.759,29 |
erklärt |
-381.973,44 |
-583.486,90 |
-595.695,33 |
-650.034,58 |
Zuschätzung netto |
306.058,40 |
446.849,34 |
424.371,78 |
383.724,70 |
USt auf Zuschätzung |
21.424,08 |
31.279,45 |
29.706,02 |
26.860,73 |
Summe Zuschätzung |
327.482,48 |
478.128,79 |
454.077,80 |
410.585,43 |
Zus. Modifikation Gewinn |
-65.000,00 |
|||
Zus. Modifikation USt |
-4.550,00 |
|||
Korrigierte Zuschätzung |
257.932,48 |
Dass eine solche Hinzuschätzung angemessen sei, ergebe sich aus dem internen Betriebsvergleich. Bereits in den Jahren 2007 bis 2009 und 2011 bis 2012 seien in dem „M.“ Nettoerlöse zwischen 925.000,00 EUR und 1.160.000,00 EUR erwirtschaftet worden. Es seien auch keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen, die erklären könnten, warum die erklärten Umsätze der Streitjahre soweit darunter gelegen hätten.
13Für die Richtigkeit der gewählten Schätzungsmethode spreche auch der externe Betriebsvergleich. Stelle man auf die erklärten Beträge ab, ergäben sich extrem niedrige, zum Teil sogar negative Rohgewinnaufschlagsätze (RAS). Vergleiche man dagegen die Einnahmen nach Schätzung mit den amtlichen Richtsätzen, ergebe sich lediglich im Rumpfwirtschaftsjahr 2016 eine Überschreitung des maximalen RAS. Aus diesem Grund habe das FA insoweit einen Abschlag auf die Hinzuschätzung des wirtschaftlichen Umsatzes vorgenommen und den (in der Tabelle dargestellten) Gewinn um 65.000,00 EUR und die Umsatzsteuer um 4.550,00 EUR reduziert. In den übrigen Streitjahren würden die Richtsätze in keinem Jahr überschritten und lägen teilweise deutlich unter den maximalen Werten.
14Von einer weiteren Verprobung über eine Geldverkehrsrechnung habe das FA abgesehen, da eine solche nicht zielführend sei. Der Ast habe nachweislich Bargeld über eine Reisebank, nämlich Western Union, ins Ausland versandt.
15Am 27.9.2022 erließ das FA entsprechend geänderte ESt-, USt- und GewSt-MB-Bescheide für 2016 bis 2019 sowie Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2016 bis 31.12.2019, Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 bis 31.12.2019 sowie einen Vorauszahlungsbescheid zur Einkommensteuer 2021. Die geänderten Steuerfestsetzungen stellten sich wie folgt dar (Beträge in EUR):
16ESt |
2016 |
2017 |
2018 |
2019 |
Ursprünglich angesetzter Gewinn |
-43.947,00 |
-104.579,00 |
23.254,00 |
50.000,00 |
Ursprüngliche Festsetzung |
0,00 |
0,00 |
0,00 |
0,00 |
Festgestellter Verlustvortrag |
43.947,00 |
148.526,00 |
125.272,00 |
75.272,00 |
Gewinn nach BP |
213.986,00 |
373.551,00 |
477.333,00 |
497.790,00, |
Differenz |
257.933,00 |
478.130,00 |
454.079,00 |
447.790,00 |
ESt-Festsetzung nach BP |
56.273,00 |
104.926,00 |
138.122,00 |
136.993,00 |
Zinsen |
2.531,00 |
0 |
0,00 |
0,00 |
SolZ |
3.095,01 |
5.770,93 |
7.596,71 |
7.534,61 |
Verlustvortrag nach BP |
Aufhebung Feststellung |
Aufhebung Feststellung |
Aufhebung Feststellung |
Aufhebung Feststellung |
USt |
2016 |
2017 |
2018 |
2019 |
Ursprüngliche Festsetzung |
-3.656,59 |
-10.964,15 |
483,72 |
0.064,19 |
Festsetzung nach BP |
13.217,54 |
20.315,35 |
30.189,83 |
27.257,10 |
Nachzahlung |
16.874,13 |
31.279,50 |
29.706,11 |
25.692,91 |
Zinsen |
758,00 |
0,00 |
0,00 |
0,00 |
Verspätungsz. |
0,00 |
0,00 |
0,00 |
340,00 |
GewSt-MB/VF |
2016 |
2017 |
2018 |
2019 |
Ursprüngliche Festsetzung |
0,00 |
0,00 |
0,00 |
0,00 |
Ursprünglicher vortragsfähiger Verlust |
43.967,00 |
148.545,00 |
125.291,00 |
75.291,00 |
Festsetzung MB nach BP |
6.629,00 |
12.215,00 |
15.848,00 |
16.562,00 |
Vortragsfähiger Verlust nach BP |
Aufhebung Feststellung |
Aufhebung Feststellung |
Aufhebung Feststellung |
Aufhebung Feststellung |
Für 2021 wurden nachträgliche ESt-Vorauszahlungen in Höhe von 133.289,00 EUR und ein SolZ von 7.330,00 EUR festgesetzt.
20Dagegen legte der Ast am 13.10.2022 Einsprüche ein und beantragte sowohl die Aussetzung der Vollziehung (AdV) als auch die Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen nach § 364 AO. Seinen AdV-Antrag begründete er u.a. damit, dass das FA seiner Pflicht zur Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen nicht nachgekommen sei. Bereits dieser Umstand rechtfertige die AdV. Darüber hinaus fänden sich in dem BP-Bericht des FA keine nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen zur vermeintlichen Schätzungsbefugnis. Schließlich seien die Schätzungen auch der Höhe nach nicht nachvollziehbar.
21Im Rahmen des weiteren Fortgangs des Einspruchsverfahrens beantragte der Bevollmächtigte des Ast am 19.12.2022 erneut, ihm die Besteuerungsgrundlagen mitzuteilen. In diesem Zusammenhang bat er um Übersendung der sog. TAB-Asservate und des Protokolls des Zwischengesprächs zwischen Ast und FA vom 26.1.2022.
22Das FA lehnte die (mehrfach) gestellten Anträge auf AdV mit Schreiben vom 5.12.2022, vom 10.2.2023, vom 22.3.2023 und vom 24.4.2023 ab. Mit Schreiben vom 11.1.2023 übersandte es dem Bevolllmächtigten des Ast den Gesprächsvermerk betreffend die Besprechung vom 26.1.2022 sowie die TAB- Asservate, die im Rahmen der Durchsuchung aufgefunden worden waren.
23Bereits mit Einspruchsentscheidung vom 23.3.2023 hatte das FA die Einsprüche des Ast als unbegründet zurückgewiesen. Daraufhin hatte der Ast Klage beim Finanzgericht (FG) Düsseldorf erhoben, die unter dem Az. 5 K 665/23 E,G,U,F geführt wird und über die noch nicht entschieden ist.
24Mit Antrag vom 1.6.2023 beantragt der Ast nunmehr die AdV durch das FG gem. § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zur Begründung führt er aus:
25Im Streitfall bestünden ernstliche Zeifel an der Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Bescheide. Die AdV sei vorliegend bereits deshalb in vollem Umfang zu gewähren, weil das FA die Pflicht zur Mitteilung von Besteuerungsunterlagen gem. § 364 AO missachtet und damit einen schweren Verfahrensfehler begangen habe. Vorliegend habe er das FA aufgefordert, die in dem BP-Bericht aufgeführten TAB-Asservate zu übersenden. Das FA habe zwar einige Kopien übersandt. Diese seien aber anscheinend nicht vollständig, da nur einige wenige Bons auf den Kopien dargestellt seien.
26Zudem habe das FA nicht ausgeführt, weshalb die Buchführung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden könne. Nachvollziehbare und in sich schlüssige Ausführungen zur vermeintlichen Schätzungsbefugnis fänden sich weder in dem BP-Bericht noch in den weiteren Schreiben. Formelle Buchführungsmängel berechtigten nach ständiger Rechtsprechung nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass gäben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25.3.2015 X R 20/13 und vom 12.12.2017 VI R 5/14, jeweils m.w.N.). Hierzu habe das FA nichts ausgeführt. Es habe lediglich den Gesetzestext wiedergegeben, ohne weitere Ausführungen in der Sache zu tätigen. Gemäß § 145 AO müsse die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln könne. Die Bücher könnten in Papierform oder elektronisch geführt werden. Es bestehe keine Pflicht zur elektronischen Buchführung oder zur Verwendung bestimmter Soft- bzw. Hardware. Sowohl die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form (GoBD) als auch die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) und die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS) seien nur für die Finanzverwaltung, nicht jedoch für den Steuerpflichtigen oder das FG bindend. Für den Steuerpflichtigen bestehe daher keine Pflicht zur Befolgung der GoBD vom 14.11.2014, sondern nur eine Pflicht zur Befolgung der §§ 145 ff. AO. Für die elektronische Buchführung bestehe - ebenso wie bei einer Papierbuchführung - nach Maßgabe des § 146 AO eine Aufzeichnungspflicht und nach Maßgabe des § 147 AO eine Aufbewahrungspflicht. Aus der Aufbewahrungspflicht werde eine Speicherpflicht. An die Ordnungsmäßigkeit einer elektronischen Buchführung seien die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung in Papierform. Auch bei der elektronischen Buchführung seien also die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit zu gewährleisten. Ferner seien ebenfalls die weiteren Aufzeichnungspflichten des § 146 AO zu beachten. Unterschiede ergäben sich bezüglich der Aufbewahrung beziehungsweise Speicherung der Unterlagen, Daten und der Prüfung der Unterlagen/Daten, weil die §§ 146 und 147 AO spezielle Regelungen für die elektronische Buchführung enthielten. Bei einer elektronischen Buchführung sei eine Zertifizierung der Software oder Hardware durch die Finanzverwaltung bislang weder erforderlich noch möglich. Die Ordnungsmäßigkeit der elektronischen Buchführung könne daher nicht mit der Begründung verneint werden, dass die Soft- bzw. Hardware nicht von der Finanzverwaltung zertifiziert worden sei. Auch eine Zertifizierung durch den Hersteller der Soft- bzw. Hardware oder durch einen Wirtschaftsprüfer sei für die Ordnungsmäßigkeit der elektronischen Buchführung nicht erforderlich. Nach dem Gesetz sei die Aufzeichnung der Verfahrensdokumentation für die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ebenfalls nicht zwingend erforderlich, sofern die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der Buchführung gewährleistet sei (Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2018, § 145 Rn. 12).
27Schließlich seien die Schätzungen auch der Höhe nach nicht nachvollziehbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH müssten die gewonnenen Schätzungsergebnisse schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Ausgehend von diesen Maßstäben seien die vorliegenden Hinzuschätzungen nicht schlüssig. Das FA habe bislang lediglich Behauptungen aufgestellt, ohne diese zu belegen. Die TAB-Asservate umfassten vorliegend lediglich einige Tage im Mai 2016 und im Juni 2019. Die hieraus vermeintlich gewonnenen Erkenntnisse könnten jedoch nicht ohne Weiteres auf die anderen Streitjahre übertragen werden. Die vorliegend ausgewählte Schätzungsmethode schließe es zudem grundsätzlich aus, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen, weil sie betriebsinterne Anknüpfungspunkte nicht ausreichend berücksichtige und somit die spezifischen geschäftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen nicht realitätsnah widerspiegele. Auch der der Hinzuschätzung zugrunde gelegte RAS sei völlig überhöht. Ohnehin sei die Schätzung des FA auf Grundlage von Richtsätzen nicht bedenkenfrei (vgl. BFH-Beschluss vom 14.12.2022 X R 19/21).
28Wenn das FA ausführe, dass der Ast den Vorwurf, Einnahmen im Mai 2016 nicht erfasst zu haben, eingeräumt habe, treffe dies nicht zu. Er, der Ast, habe auch nicht ausgeführt, dass er für so geringe Einnahmen gar nicht aufstehen würde.
29Der Ast beantragt sinngemäß,
30die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 2016 bis 2019, der Bescheide über den Gewerbesteuer-Messbetrag 2016 bis 2019, der Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2016 bis 31.12.2019, der Einkommensteuerbescheide für 2016 bis 2019, der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2016 bis 31.12.2019 und des Vorauszahlungsbescheids zur Einkommensteuer für 2021, allesamt vom 27.09.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.3.2023, bis einen Monat nach Ergehen einer rechtskräftigen Entscheidung über die anhängige Klage mit dem Aktenzeichen 5 K 665/23 E,G,U,F auszusetzen.
31Das FA beantragt,
32den Antrag abzulehnen.
33Das FA führt zur Begründung aus: Die Buchführung des Ast sei bei summarischer Prüfung für die Streitjahre bereits deswegen mit formellen Mängeln behaftet, weil dieser die Einzelaufzeichnungen, die die beiden in den Streitjahren eingesetzten Kassen gespeichert hätten, nicht vorgelegt habe (Hinweis auf Tz. 2.3.4 des BP-Berichts). Zudem habe man auf Grund der Durchsuchung der Steufa feststellen können, dass der Ast nicht sämtliche erzielten Umsätze erklärt habe. Bei Einsatz eines elektronischen Kassensystems bestehe eine Einzelaufzeichnungspflicht. Einzelpositionen dürften nicht zusammengefasst oder verdichtet werden. Die elektronischen Einzelaufzeichnungen seien aufzubewahren und zur Auswertung gem. § 147 Abs. 6 AO zur Verfügung zu stellen. Bei den im Prüfungszeitraum genutzten Kassen könnten die Einzelaufzeichnungen auf SD-Karten gespeichert werden. Die aufgefundenen SD-Karten enthielten jedoch keine Aufzeichnungen. Ferner seien im Rahmen der Durchsuchung am 11.11.2021 TAB für die Zeiträume (bzw. Einzeltage) 2.5.2016 bis 20.0.2016, 5.6.2019 bis 29.6.2019, 16.7.2019 und 10.12.2019 sichergestellt worden. Diese habe der Ast weder in die manuell geführten Aufzeichnungen übertragen noch in seinen EÜR erfasst (Tz. 2.3.6 und 2.3.7 des BP-Berichts). Der Ast habe auch eingeräumt, dass die im Mai 2016 erklärten Einnahmen i.H.v. 16.808,00 € zu niedrig und damit falsch seien.
34Im Übrigen sei das FA seiner Verpflichtung gegenüber dem Ast zur Offenlegung der Besteuerungsgrundlagen vollumfänglich nachgekommen. Die BP habe den Besteuerungssachverhalt geschlossen, verständlich und schriftlich dargestellt und den Steueranspruch rechtlich schlüssig begründet. Es habe in ständigem Austausch mit dem Ast und dessen Steuerberater gestanden. Die Rechtsbehelfsstelle habe dem Ast darüber hinaus ein Gespräch angeboten, in welchem die Bearbeiterin die Hinzuschätzungen nochmals hätte erläutern und erklären wollen (vgl. die Gesprächsnotiz vom 21.06.2022). Dies habe der Bevollmächtigte des Ast abgelehnt. Das FA vermöge somit nicht zu erkennen, welche Unterlagen es dem Ast gegenüber noch hätte offenlegen sollen.
35II.
36Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.
371. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder - was vorliegend nicht in Betracht kommt und vom Ast auch nicht geltend gemacht wird - seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des unstreitigen Sachverhalts, der gerichtsbekannten Tatsachen und der präsenten Beweismittel erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen kann (Beschlüsse des BFH vom 26.9.2007 I B 53, 54/07, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 2008, 415; vom 30.10.2008 II B 58/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH --BFH/NV-- 2009, 418). Bei der hiernach gebotenen Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen, wobei diese nicht überwiegen müssen.
382. Nach Maßgabe dieser Grundsätze bestehen vorliegend nur insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, als das FA bei der Berechnung seiner Hinzuschätzung lediglich von einem durchschnittlichen Tageserlös (netto) von 3.000,00 EUR anstatt von 3.423,04 EUR hätte ausgehen dürfen.
39Bei summarischer Prüfung ist eine Schätzungsbefugnis des FA dem Grunde nach zu bejahen (vgl. a). Auch die vom FA gewählte Schätzungsmethode ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Lediglich hinsichtlich der Höhe des vom FA angesetzten durchschnittlichen Tageserlöses hält der Senat für Zwecke des Aussetzungsverfahrens geringfügige Korrekturen der Zahlen und die Berechnung eines Sicherheitsabschlags für erforderlich (vgl. b). Für eine darüber hinausgehende AdV wegen der vom Ast behaupteten unterbliebenen Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen (§ 364 AO) besteht aus Sicht des Senats kein Anlass (vgl. c).
40a) Das FA dürfte in sämtlichen Streitjahren gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu einer Hinzuschätzung beim Gewinn und beim Umsatz befugt gewesen sein.
41Entgegen der Auffassung des FA geht der Senat allerdings davon aus, dass sich die Schätzungsbefugnis nicht bereits aufgrund eines formellen Mangels dergestalt ergibt, dass der Ast seine Verpflichtung zur Aufbewahrung von mit der Geschäftskasse erstellten Einzelaufzeichnungen verletzt hätte und schon deshalb die Richtigkeitsvermutung des § 158 AO widerlegt wäre (vgl. bb). Nach Auffassung des Senats ergibt sich die Schätzungsbefugnis aber jedenfalls daraus, dass aufgrund materieller Fehler – hier dem Verschweigen der Erlöse einer zweiten Kasse – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die vom Ast eingereichten Aufzeichnungen und die darauf basierenden EÜR sachlich falsch sind (vgl. cc).
42aa) Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO).
43Zu schätzen ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 AO insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gilt das Gleiche, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 AO nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 AO nicht erteilt.
44Gemäß § 158 AO in der im Streitfall gültigen Fassung (vor der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22.3.2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Modernisierung des Steuerverfahrensrechts vom 20.12.2022, BGBl. I 2022, 2730) sind die Buchführung und Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Dabei ist § 158 AO nicht nur auf Bücher und Aufzeichnungen anwendbar, die nach Handelsrecht zu führen sind (§§ 238 ff. des Handelsgesetzbuchs), sondern auch auf solche, die nach den Einzelsteuergesetzen (z.B. § 22 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--) zu führen sind (vgl. etwa BFH-Urteil vom 24.6.2009 VIII R 80/06, Sammlung der Entscheidungen des BFH --BFHE-- 225, 302, BStBl II 2010, 452; Urteil des FG des Saarlandes vom 21.6.2012 1 K 1124/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 1816).
45Eine Hinzuschätzung darf bei formellen Buchführungs- und Aufzeichnungsmängeln dann erfolgen, wenn diese Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.7.2017 X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204 und vom 14.8.2018 XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1). Jedenfalls dann, wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel der Kassenführung den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 12.7.2017 X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204). Dies ist der Fall, wenn die Verletzung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung dazu führt, dass keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen gegeben ist (vgl. BFH-Beschluss vom 14.8.2018 XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1).
46Ist dagegen die Buchführung oder sind die Aufzeichnungen formell ordnungsgemäß, führen materielle Mängel nur dann zu einer Schätzungsbefugnis, wenn die Würdigung des Sachverhalts ergibt, daß diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig ist; die objektive Beweislast für die hierfür maßgeblichen steuererhöhenden Tatsachen trägt das FA (vgl. etwa BFH-Urteil vom 24.6.1997 VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51).
47bb) Im Streitfall vermag der Senat – jedenfalls im Rahmen der hier allein gebotenen summarischen Prüfung – die vom FA als Grundlage für dessen Schätzung herangezogenen formellen Mängel nicht zu erkennen.
48(1) Nach Aktenlage dürfte der Ast im Grundsatz die Aufzeichnungen geführt und – zulässig in Papierform – aufbewahrt haben, zu denen er als Überschussrechner nach der ständigen Rechtsprechung des BFH verpflichtet war.
49Die Vorschrift des § 4 Abs. 3 EStG selbst normiert keine Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen oder Betriebsausgaben (vgl. etwa BFH-Urteil vom 15.4.1999 IV R 68/98, BStBl II 1999, 481). Aus den allgemeinen Grundsätzen der Feststellungslast folgt insoweit lediglich, dass Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, verpflichtet sind, die ihrer Gewinnermittlung zugrundeliegenden Belege aufzubewahren (vgl. BFH-Beschluss vom 7.2.2008 X B 189/07, abrufbar in juris). Nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege verdient eine Einnahmen-Überschussrechnung Vertrauen und kann für sich die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 7.2.2008 X B 189/07, abrufbar in juris). Darüber hinaus ist die Aufbewahrung aller Belege notwendige Voraussetzung für den Schluss, dass die Betriebseinnahmen vollständig erfasst sind (BFH-Urteil vom 15.4.1999 IV R 68/98, BStBl II 1999, 481).
50Nach Maßgabe der finanzgerichtlichen Rechtsprechung sind jedenfalls die folgenden Möglichkeiten für eine ordnungsmäßige Aufzeichnung von Bareinnahmen in Fällen der EÜR bei Sachverhalten, in denen die Führung von Einzelaufzeichnungen nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nicht ohnehin als zwingend anzusehen ist, anerkannt (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 12.7.2017 X B 16/17, BFHE 257, 523; ferner BFH-Urteil vom 20.6.1985 IV R 41/82, BFH/NV 1985, 12):
511. eine geordnete Belegablage mit Einzelaufzeichnungen der Erlöse;
2. Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf ein tägliches Auszählen des Kassenbestands, aber Aufbewahrung der Ursprungsaufzeichnungen und Abgleich von Soll- und Ist-Bestand der Kasse "in gewissen Abständen" (insbesondere bei der Nutzung von Registrierkassen);
3. Verzicht sowohl auf Einzelaufzeichnungen als auch auf die Aufbewahrung von Ursprungsbelegen, aber tägliches tatsächliches Auszählen der Kasse, das in fortlaufenden Kassenberichten dokumentiert wird.
Nach den Feststellungen des FA hat der Ast am Ende eines jeden Öffnungstages jedenfalls einen TAB erstellt und ausgedruckt. Wie die Betriebsprüferin auf telefonische Nachfrage des Berichterstatters am 7.9.2023 mitgeteilt hat, befinden sich unter den beim FA befindlichen beschlagnahmten Asservaten auch zahlreiche Bonrollen. Für Zwecke des Aussetzungsverfahrens unterstellt der Senat zu Gunsten des Ast, dass es sich hierbei auch um die Bonrollen der im Streitjahr eingesetzten Kasse handelt, deren TAB in die manuellen Kassenberichte und damit in die EÜR eingegangen sind. Den Anforderungen der unter 2. genannten Aufzeichnungsart dürfte damit hinreichend Rechnung getragen sein, denn das Zustandekommen der im TAB verdichtet dargestellten Tageslosung kann anhand dieser Kassenstreifen überprüft werden.
56(2) Der vom FA angenommene Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht hinsichtlich der digitalen Einzeldaten, durch die das Datenzugriffsrecht der Prüfer nach § 147 Abs. 6 AO unmöglich gemacht worden sein soll, ist bei summarischer Prüfung nicht gegeben, da es vorliegend schon an einer entsprechenden Einzelaufzeichnungspflicht fehlen dürfte.
57Nach § 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 AO kann die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung Einsicht in die gespeicherten Daten nehmen, wenn Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind. Sie kann insoweit auch verlangen, dass ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AO) oder dass die Daten nach ihren Vorgaben in einem maschinell auswertbaren Format an sie übertragen werden (§ 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AO). Voraussetzung für die Datenanforderung nach § 147 Abs. 6 AO ist dabei das Bestehen einer Aufbewahrungspflicht i.S.v. § 147 Abs. 1 AO (vgl. etwa BFH-Urteil vom 24.6.2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452). Eine Aufbewahrungspflicht hängt wiederum vom Bestehen einer entsprechenden Aufzeichnungspflicht des Steuerpflichtigen ab; freiwillig geführte, also über die gesetzliche Pflicht hinausreichende Unterlagen und Daten unterliegen nicht dem Datenzugriff (vgl. etwa BFH-Urteile vom 24.6.2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452; vom 12.2.2020 X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045).
58Eine entsprechende Verpflichtung des Ast, Einzelaufzeichnungen über seine mit der Geschäftskasse abgewickelten Geschäftsvorfälle zu führen, dürfte in den Streitjahren nicht bestanden haben.
59(a) Eine Einzelaufzeichnungspflicht, wie sie sich i.d.R. für buchführungspflichtige Kaufleute aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) ergibt (grundlegend, auch zum Begriff und Inhalt der Einzelaufzeichnungspflicht, BFH-Urteil vom 12.5.1966 IV 472/60, BFHE 86, 118, BStBl III 1966, 371), besteht für Gewerbetreibende, die – wie der Ast – ihren Gewinn durch EÜR ermitteln, nicht.
60Abgesehen davon wäre im Streitfall nach Maßgabe der BFH-Rechtsprechung nach dem Sinn und Zweck und nach der Entwicklung der GoB sowie unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit eine Ausnahme von der Pflicht zur Einzelaufzeichnung geboten. Wie der BFH mit Urteil vom 12.5.1966 IV 472/60 (BFHE 86, 118) entschieden hat, ergibt sich für Einzelhandelsunternehmer, die im allgemeinen Waren an ihnen der Person nach nicht bekannte Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkaufen, aus den GoB in der Regel nicht die Verpflichtung, die baren Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen.
61Entgegen einer in Teilen der Rechtsprechung und Literatur vorzufindenden Deutung (in diese Richtung etwa BFH-Urteil vom 12.2.2020 X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045 Rz. 26) vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass der BFH im Urteil vom 12.5.1966 nur im Fall fehlender technischer, betriebswirtschaftlicher und praktischer Möglichkeiten – gleichsam als tatbestandliche Voraussetzung – eine Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht angenommen hat. Den Entscheidungsgründen des Urteils ist nach Ansicht des Senats vielmehr zu entnehmen, dass der BFH bei Bargeschäften mit einem der Person nach nicht bekannten Kundenkreis den GoB keine entsprechende Pflicht zu entnehmen vermochte, weil diese unter dem Gesichtspunkt des Zumutbaren stehen und aus technischen, betriebswirtschaftlichen und praktischen Gründen in diesen Fällen eine Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht geboten ist (so zutreffend auch der BFH in seinem Beschluss vom 7.2.2008 X B 189/07, abrufbar in juris):
62„Der Senat gelangt aber bei Barverkäufen an im allgemeinen der Person nach nicht bekannte Kunden in offenen Ladengeschäften praktisch zu demselben Ergebnis wie der BdF. Denn die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verlangen die Einzelaufzeichnungen der Kassenvorgänge nur im Rahmen des nach Art und Umfang des Geschäftes Zumutbaren. Es ist technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich, an die Aufzeichnung der einzelnen zahlreichen baren Kassenvorgänge in Einzelhandelsgeschäften gleiche Anforderungen wie bei anderen Handelsgeschäften zu stellen, nämlich zur Identifizierung und zur Bestimmung des Inhalts des Geschäfts Namen und Anschrift des Kunden und den Gegenstand des Kaufvertrages festzuhalten. Es kann sich bei dieser Art von Geschäften mit der Person nach im allgemeinen nicht bekannten Käufern nur darum handeln, ob die einzelnen vereinnahmten Barbeträge festgehalten werden müssen. Diese Frage ist zu verneinen. Wollte man die Einzelaufzeichnungspflicht bejahen, so müßten die einzelnen Einnahmen entweder durch handschriftliche Vermerke oder durch technische Hilfsmittel (Registrierkassen) sofort nach Abschluß jedes Geschäfts festgehalten werden. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß es eine große Zahl von Einzelhandelsunternehmen gibt, bei denen auch diese Aufzeichnungen technisch und betriebswirtschaftlich nicht durchgeführt werden könnten oder einen im Verhältnis zu dem sich daraus ergebenden Vorteil ungewöhnlichen Arbeitsaufwand erfordern würden, z.B. bei Stehbierhallen, Straßen- und Markt*-ständen oder Spiel- und Verkaufs*-automaten. Es kommt hinzu, daß Einzelhandelsgeschäfte in zunehmendem Maße Registrierkassen verwenden, bei denen lediglich für den Kunden Belege ausgeworfen, im übrigen aber die Einzelbeträge gespeichert werden, so daß zu jeder Zeit nur die Endsumme abgelesen werden kann. Mag auch die Aufzeichnung aller baren Kasseneinnahmen in dem einen oder anderen Fall die innerbetriebliche Kontrolle erleichtern, so erscheint es jedoch nicht gerechtfertigt, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung von ihr abhängig zu machen. (…) Der Senat kommt somit zu dem Ergebnis, daß nach dem Sinn und Zweck und nach der Entwicklung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts der Zumutbarkeit in Betrieben, in denen Waren von geringerem Wert an eine unbestimmte Vielzahl nicht bekannter und auch nicht feststellbarer Personen verkauft werden, die baren Betriebseinnahmen in der Regel nicht einzeln aufgezeichnet zu werden brauchen“.
63Dass diese Rechtsprechung überholt wäre, ist für den Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Zwar hat der BFH in jüngerer Zeit mit Recht darauf hingewiesen, dass eine elektronische Aufzeichnung von Geschäftsvorfällen heute einfacher möglich ist und damit auch für einen Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn durch EÜR ermittelt, zumutbar erscheint (BFH-Urteil vom 12.2.2020 X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045). Dass sich entsprechende GoB auch bei einem Verkauf von Waren an eine dem Verkäufer nicht bekannte Vielzahl von Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung herausgebildet hätten, hat die finanzgerichtliche Rechtsprechung aber – jedenfalls soweit dies für den Senat ersichtlich ist – bislang nicht positiv festgestellt.
64(b) Eine Verpflichtung zur Fertigung von Aufzeichnungen ergibt sich indes auch für die Gewinnermittlung durch EÜR aus § 22 UStG i.V.m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Aus den umsatzsteuerlichen Aufzeichnungen müssen u.a. die vereinbarten --bzw. in den Fällen des § 20 UStG die vereinnahmten-- Entgelte für die vom Unternehmer ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen zu ersehen sein (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 und 5 UStG). Zwar sind derartige Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen "nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen" i.S. des § 140 AO. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine solche Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (vgl. BFH- Urteil vom 2.3.1982 VIII R 225/80, BFHE 136, 28, BStBl II 1984, 504; BFH-Beschluss vom 16.2.2006 X B 57/05, BFH/NV 2006, 940).
65Auch die nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG erforderliche Pflicht zur Aufzeichnung der Entgelte dürfte aber unter dem Vorbehalt des Zumutbaren stehen. Soweit dies für den Senat ersichtlich ist, wurden die vom BFH im Urteil vom 12.5.1966 IV 472/60 (BStBl III 1966, 371) festgestellten Zumutbarkeitserwägungen in der ständigen BFH-Rechtsprechung auch auf diese Aufzeichnungspflicht, wenn auch unausgesprochen, übertragen (vgl. BFH-Urteil vom 26.2.2004 XI R 25/02, BFHE 205, 249, BStBl II 2004, 599; BFH-Beschlüsse vom 18.3.2015 III B 43/14, BFH/NV 2015, 978 und vom 12.7.2017 X B 16/17, BFHE 257, 523; Kister in Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, § 22 Rn. 37). Seit der Änderung des § 146 Abs. 1 AO durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.2016 (BGBl. I 2016, 3152) ergibt sich diese Rechtsfolge nach Ansicht des Senats nunmehr auch ausdrücklich aus der Gesetzessystematik. Zu den „sonst erforderlichen Aufzeichnungen“ i.S.d. § 146 Abs. 1 Satz 1 AO gehören auch die umsatzsteuerlichen Aufzeichnungspflichten gem. § 22 UStG (Görke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 146 AO Rn. 5). Eine aus § 22 UStG ableitbare Einzelaufzeichnungspflicht steht nach der Neufassung der Vorschrift nunmehr unter dem ausdrücklich in § 146 Abs. 1 Satz 3 AO geregelten Zumutbarkeitsvorbehalt (gl.A. Stapperfend in Rau/Dürrwächter, UStG Kommentar, § 22 Rn. 71).
66(c) Aus § 146 Abs. 1 Satz 1 AO in der im Streitjahr 2016 noch geltenden Fassung (vor den Änderungen durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.2016, BGBl I 2016, 3152) ergibt sich ebenfalls keine Pflicht zur Vornahme von Einzelaufzeichnungen. Danach sind die erforderlichen Aufzeichnungen lediglich vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen gem. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO täglich festgehalten werden. Im Übrigen bestand zu dieser Fassung der Vorschrift ein Konsens darüber, dass § 146 Abs. 1 Satz 1 AO keine Aufzeichnungspflichten erzeugt, sondern lediglich voraussetzt (vgl. etwa Görke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 146 AO Rn. 5).
67Nichts Anderes gilt im Ergebnis für die Streitjahre 2017 bis 2019. Zwar wurde durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.2016 (BGBl I 2016, 3152, gemäß seinem Art. 3 am Tag nach der Verkündung – die am 28.12.2016 erfolgt ist – in Kraft getreten) der Tatbestand des § 146 Abs. 1 Satz 1 AO um eine Einzelaufzeichnungspflicht ergänzt („Die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen sind einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen“. In der Literatur ist aber umstritten, ob die Neuregelung auf die Gewinnermittlung durch EÜR anwendbar ist (dafür Baum in AO-eKommentar, § 146 AO Rn. 30; Haselmann in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 146 Rn. 7; Märtens in Gosch, AO/FGO, § 146 AO Rn. 11.2; unentschieden Kulosa, Finanz-Rundschau 2017, 501, 507; ablehnend ders. noch in Steueranwaltsmagazin 2017, 9, 21; ebenfalls ablehnend Nöcker, Neue Wirtschaftsbriefe --NWB-- 2017, 492, 493; Beyer, NWB 2021, 1230, 1233; Rätke in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 20).
68Vorliegend kann diese Frage aber dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn für den Ast aus § 146 Abs. 1 Satz 1 AO eine Pflicht zur Einzelaufzeichnung ableitbar wäre, wäre diese in der im Streitfall maßgeblichen Fallgestaltung aus Zumutbarkeitsgründen suspendiert. § 146 Abs. 1 Satz 3 AO sieht ausdrücklich vor, dass die Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO „aus Zumutbarkeitsgründen“ bei einem Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung nicht gilt.
69Soweit vereinzelt die Auffassung vertreten wird, dass die Formulierung „aus Zumutbarkeitsgründen“ als eigenständiges Tatbestandsmerkmal angesehen werden müsse, mit der Folge, dass eine Einzelaufzeichnung nur dann nicht zumutbar sei, wenn es technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich sei, die einzelnen Geschäftsvorfälle aufzuzeichnen (Achilles, Der Betrieb 2018, 2545, 2457), folgt der Senat diesem Auslegungsverständnis nicht. Eine solche Auslegung ist weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch mit der Gesetzeshistorie in Einklang zu bringen. § 146 Abs. 1 Satz 3 AO ist gerade nicht konditional in dem Sinne formuliert, dass es sich bei der „Zumutbarkeit“ um eine zu erfüllende Bedingung für die angestrebte Rechtsfolge handeln muss. Vielmehr handelt es sich nach der Auffassung des Senats um einen bloßen erläuternden Hinweis, mit dem an die BFH-Rechtsprechung aus dem BFH-Urteil vom 12.5.1966 IV 472/60, (BFHE 86, 118, BStBl III 1966, 371) angeknüpft werden sollte (in diese Richtung wohl auch BT-Drucks. 18/10667, 26).
70Eine Ausnahme von den Zumutbarkeitserwägungen des Satzes 3 greift vorliegend nicht. Zwar sieht § 146 Abs. 1 Satz 4 AO vor, dass diese dann nicht greifen sollen, wenn ein elektronisches Aufzeichnungssystem im Sinne des § 146a AO verwendet wird. Die letztgenannte Regelung tritt aber erst zum 31.12.2019 in Kraft (vgl. Art. 97 § 30 des Einführungsgesetzes zur AO). Die mit Satz 4 verbundene Einschränkung kann daher in den Streitjahren nicht greifen (gl.A. Rätke in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 40).
71(d) Eine Einzelaufzeichnungspflicht dürfte sich schließlich auch nicht aus dem Umstand ergeben, dass der Ast in seinem Betrieb eine PC-Kasse eingesetzt hat.
72Zwar hat der BFH in seinem sog. „Apothekerurteil“ (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.2014 X R 42/13 und X R 29/13, BFHE 248, 99, BStBl II 2015, 519) entschieden, dass sich der Steuerpflichtige dann, wenn er sich für ein modernes PC-Kassensystem entscheide, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichne (mithin insbesondere die in Geld bestehende Gegenleistung sowie den Inhalt des Geschäfts) und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten Einzelaufzeichnungen ermögliche, nicht (mehr) auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen könne. Dieses Urteil betrifft aber nicht den vorliegend gegebenen Fall einer Gewinnermittlung durch EÜR, sondern einen zur Buchführung verpflichteten Steuerpflichtigen.
73Soweit das FG Hamburg in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen des BFH im Apothekerurteil zur Zumutbarkeit auch für die Gewinnermittlung durch EÜR gelten müssten (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 16.1.2018 2 V 304/17, juris), vermag sich der Senat dieser Ansicht – jedenfalls im Hinblick darauf, dass eine AdV auch bei Unsicherheiten in der Beurteilung von Rechtsfragen geboten ist – nicht anzuschließen. Eine steuerliche Einzelaufzeichnungspflicht muss für den Steuerpflichtigen hinreichend vorhersehbar sein. Der Ast konnte in den Streitjahren davon ausgehen, dass seine aus § 22 UStG abgeleitete Pflicht zur Aufzeichnung der Entgelte aus Zumutbarkeitsgründen nicht im Sinne einer Einzelaufzeichnung zu verstehen ist. Es kann dem Steuerpflichtigen dagegen nicht – jedenfalls nicht vor Inkrafttreten des § 146a AO – zugemutet werden, aus der Art der in seinem Betrieb eingesetzten Kasse auf eine damit verbundene Einzelaufzeichnungspflicht schließen zu müssen.
74Soweit die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 26.11.2010 (BStBl I 2010, 1342) eine andere Auffassung vertreten hat, ist hieran weder der Steuerpflichtige noch das FG gebunden.
75cc) Eine Schätzungsbefugnis des FA besteht im Streitfall allerdings – unabhängig von etwaigen anderen formellen Mängeln der Aufzeichungen – in jedem Fall aufgrund der vom FA festgestellten materiellen Fehler, die die Richtigkeitsvermutung des § 158 AO widerlegen.
76(1) Nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls steht – auch im Rahmen der hier allein gebotenen summarischen Prüfung – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass die vom Ast geführten Aufzeichnungen sachlich unzutreffend sind, weil Einnahmen einer zweiten Kasse verschwiegen wurden.
77Die Steufa hat im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahme drei Kassen beschlagnahmt. Nach Aktenlage geht das FA davon aus, dass die zwei beschlagnahmten Kassen des Typs Samsung SAM4S Modell ER 945 in den Streitjahren zum Einsatz kamen, da diese auf dem gleichen technischen Stand sind, während die dritte Kasse technisch veraltet war. Dem schließt sich das FG an.
78Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht, dass für die in der Tabelle 1 aufgeführten Tage im Rahmen der beim Ast durchgeführten Durchsuchung TAB einer zweiten Kasse aufgefunden wurden (vgl. Tabelle 1 im Tatbestand). Diese befanden sich nicht bei den steuerlichen Aufzeichnungen. Die Tageslosungen sind offenbar auch nicht in den Beträgen enthalten, die in der vom Ast für das betreffende Streitjahr eingereichten EÜR verbucht sind. Dies wird schon daran ersichtlich, dass die Tageslosungen der zweiten Kasse, wie sie sich aus den TAB für Mai 2016 ergeben, durchweg höher waren als die Tageslosungen der ersten Kasse, die Eingang in die EÜR gefunden haben.
79Die Existenz einer zweiten Kasse wird auch durch die handschriftlichen Notizen bestätigt, die sich auf der Vorder- oder Rückseite eines Teils der TAB befinden, die im Rahmen der Durchsuchung für den Monat Juni 2019 aufgefunden wurden (vgl. zu den Notizen die Tabelle 1 im Tatbestand). So befindet sich etwa auf dem TAB vom 7.6.2019 die handschriftliche Notiz „Kasa 1 1818,14“. Dieser Betrag entspricht demjenigen, der auf dem TAB der ersten Kasse ausgewiesen ist, deren Ergebnis in den Kassenbericht des betreffenden Tages übernommen wurde. Das Ergebnis des TAB des bei der Durchsuchung aufgefundenen Bons ist dagegen nicht in den Kassenbericht des betreffenden Tages übernommen worden. Auch in der EÜR ist für den betreffenden Tag lediglich ein Erlös von 1.818,14 EUR angesetzt.
80Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass das FA nicht dargelegt habe, dass die bei der Durchsuchung aufgefundenen TAB der zweiten Kasse überhaupt zum Kassensystem des Ast gehört hätten. Dies steht für den Senat außer Frage, da die TAB beider Kassen jeweils die Überschrift „M.“ und dessen Anschrift tragen.
81(2) Es ist ferner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Einsatz der zweiten Kasse auch in den Zeiträumen der Streitjahre erfolgte, in denen keine entsprechenden Kassenbelege der zweiten Kasse aufgefunden wurden. Hiervon ist der Senat bereits aufgrund des Umstandes überzeugt, dass ein Teil der aufgefundenen TAB der zweiten Kasse aus dem ersten Monat nach der Betriebsübernahme durch den Ast (Mai 2016) und ein weiterer Teil aus dem letzten Jahr des Prüfungszeitraums (Juni 2019, Juli 2019 und Dezember 2019) stammt. Dies spricht für einen durchgehenden Einsatz einer zweiten Kasse.
82(3) Hierfür spricht des Weiteren, dass auch am Tag der Durchsuchung am 11.11.2021 zwei Kassen im Betrieb des Ast eingesetzt waren. Die Behauptung des Ast, dass die Bons der zweiten Kasse (Leopos) in die erste Kasse (Schapfl) übertragen worden seien, sieht der Senat als bloße Schutzbehauptung an, zumal sich diese Erklärung im Rahmen der Überprüfung durch das FA als unschlüssig erwiesen hat. Insoweit wird auf die Feststellungen des Prüfers S. in dem in der BP-Handakte abgehefteten Arbeitspapier „Auswertung der Daten aus dem System Schapfl und Leopos“ Bezug genommen.
83(4) Ein weiteres – gewichtiges – Indiz dafür, dass der Ast die Einnahmen aus der zweiten Kasse in den gesamten Streitjahren nicht erklärt hat, liegt nach der Auffassung des Senats darin, dass die für die Streitjahre anhand der EÜR ermittelbaren Rohgewinnaufschlagsätze (RAS) im Vergleich zu den unteren und mittleren RAS für Vergleichsbetriebe laut Richtssatzsammlung auffällig niedrig sind. Das gilt insbesondere, worauf das FA mit Recht hingewiesen hat, für die Streitjahre 2016 und 2017, in denen sich bei überschlägiger Ermittlung sogar negative RAS ergeben:
842016 |
2017 |
2018 |
2019 |
|
Erlöse netto laut EÜR |
381.973,44 |
583.486,90 |
595.695,33 |
650.934,58 |
Wareneinkauf lt. FA |
399.014,49 |
721.392,66 |
578.819,00 |
611.109,08 |
Rohgewinn |
-17.041,05 |
-137.905,76 |
16.876,33 |
39.825,50 |
Rohgewinnsatz |
-4,27 |
-19,12 |
2,92 |
6,52 |
Unterer Wert lt. Richtssatzsammlung |
22,00 |
23,00 |
23,00 |
23,00 |
Mittlerer Wert lt. Richtssatzsammlung |
33,00 |
41,00 |
41,00 |
41,00 |
Hinzu kommt, dass in allen vier Jahren der unterste RAS der Richtsatzsammlung weit unterschritten wird. Nach der Rechtsprechung des BFH rechtfertigt das Unterschreiten des untersten RAS der Richtsatzsammlung bei formell ordnungsmäßiger Buchführung dann eine Schätzung, wenn das FA zusätzlich konkrete Hinweise auf die sachliche Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses geben kann oder der Steuerpflichtige selbst Unredlichkeiten zugesteht (vgl. BFH-Urteil vom 18.10.1983 VIII R 190/82, BFHE 139, 350, BStBl II 1984, 88). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die sachliche Unrichtigkeit der vom Ast gefertigten EÜR steht aufgrund der aufgefundenen TAB der zweiten Kasse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest. In dieser Konstellation ist es daher nach Auffassung des Senats gerechtfertigt, das systematische Unterschreiten der untersten Rohgewinnsätze als weiteres Indiz dafür heranzuziehen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ergebnis der Buchführung unzutreffend und damit die Richtigkeitsvermutung des § 158 AO widerlegt ist.
86(5) Dies rechtfertigt vorliegend dem Grunde nach eine Schätzung, denn eine gezielte Korrektur der Einnahmen, die der Ast in seinen EÜR angesetzt hat, ist nicht möglich.
87Der BFH hat zu buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen entschieden, dass dann, wenn --wie im Streitfall-- die Richtigkeitsvermutung des § 158 AO widerlegt ist, sich aus der gesetzlichen Einschränkung "soweit" ergibt, dass grds. nur die sachlich unrichtigen Teile der Buchführung richtig zu stellen sind (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 13.7.2010 V B 121/09, BFH/NV 2010, 2015). Es sind also nur die Teile der Buchführung zu korrigieren, auf die sich die sachlichen Beanstandungen beziehen. Diese Korrektur darf erst dann durch eine Schätzung nach § 162 Abs. 1 bis 3 AO erfolgen, wenn und soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO), eine gezielte Korrektur also nicht möglich ist (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 13.7.2010 V B 121/09, BFH/NV 2010, 2015). Folglich besteht ein Vorrang der Sachverhaltsermittlung und -feststellung gegenüber einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 13.7.2010 V B 121/09, BFH/NV 2010, 2015).
88Diese Grundsätze dürften sinngemäß auch auf die Gewinnermittlung durch EÜR zu übertragen sein. Nach Maßgabe dieser Grundsätze war vorliegend eine Schätzung geboten. Das FA konnte die nicht erklärten Einnahmen nur für die in der Anlage 1 aufgelisteten Tage tatsächlich ermitteln. Eine gezielte Korrektur der Betriebseinnahmen für die übrigen Öffnungstage war daher nicht möglich.
89b) Was die Höhe der Zuschätzung angeht, folgt der Senat im Grundsatz der vom FA gewählten Schätzungsmethode, hält aber eine Modifizierung der Berechnung und die Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags für erforderlich.
90aa) Die vom FA gewählte Schätzungsmethode, anhand der aufgefundenen TAB einen durchschnittlichen Tageserlös zu ermitteln und diesen auf die Streitjahre hochzurechnen, sieht der Senat grundsätzlich als plausibel und schlüssig an. Eine solche Hochrechnung vermag ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen, weil ihr betriebsinterne Anknüpfungspunkte zugrunde liegen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die spezifischen geschäftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen realitätsnah widerspiegeln. Der BFH hat es in seinem Urteil vom 16.12.2021 IV R 1/18 (BFH/NV 2022, 305) als eine zulässige Schätzungsmethode angesehen, dass aus Z-Bons, die im Rahmen einer Durchsuchung aufgefunden wurden und aus der Zeit nach einem Prüfungszeitraum stammten (im betreffenden Fall aus dem Jahr 2012), Schlüsse auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des davor liegenden (mehrjährigen) Prüfungszeitraums (im Urteilsfall 2000 bis 2010) gezogen werden. Dies muss erst recht dann gelten, wenn – wie im Streitfall – an TAB angeknüpft wird, die aus dem Prüfungszeitraum selbst stammen. Angesichts des Umstandes, dass der Ast nur geringe Erlöse zum Steuersatz von 19% erzielt hat, sieht es der Senat auch als zulässig an, bei der Schätzung der Erlöse/Umsätze ausschließlich von Umsätzen zum ermäßigten Steuersatz von 7% auszugehen.
91Der Senat erachtet die aufgefundenen TAB auch als repräsentativ für den gesamten Prüfungszeitraum. Bei einem über viele Jahre am selben Ort bestehenden Einzelhandelsbetrieb wie dem des Ast liegt es nahe, von einer Konstanz der betrieblichen Verhältnisse auszugehen. Diese Konstanz spiegelt sich darin wider, dass die durchschnittlichen Tageserlöse beider Kassen für zwei weit auseinanderliegende Zeiträume des Prüfungszeitraums, nämlich für die in der Tabelle 1 dargestellten 16 Tage im Mai 2016 und die 17 Tage im Juni 2016, nur eine geringe Schwankungsbreite von etwa 10% aufweisen.
92Andere Schätzungsmethoden, die zu vergleichbar wahrscheinlichen Ergebnissen kommen könnten, sind nach Ansicht des Senats nicht ersichtlich. Eine Kalkulation erscheint aufgrund der Vielzahl der Artikel, die in einem Einzelhandelsgeschäft angeboten werden, nicht möglich. Eine Schätzung nach Richtsätzen (äußerer Betriebsvergleich) sieht der Senat nicht als vergleichbar präzise an, zumal der Ast selbst auf die vom BFH aufgeworfenen Zweifel hinsichtlich des Zustandekommens der Richtsätze hingewiesen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 14.12.2022 X R 19/21, BFHE 278, 428). Die Durchführung einer Geldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung kommt zwar vorliegend als Schätzungsmethode grds. in Betracht. Der Senat teilt allerdings die Einschätzung des FA, dass aufgrund der festgestellten Vermögenstransfers ins Ausland ebenfalls kein annähernd genaues Ergebnis zu erwarten gewesen wäre.
93bb) Was die konkrete Höhe der vom FA vorgenommenen Schätzung anbelangt, macht der Senat indes vor folgendem Hintergrund von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch: Zum einen ist der Senat der Auffassung, dass eine Hochrechnung zu umso genaueren Ergebnissen führt, je mehr Einzelwerte in die Berechnung eingestellt werden. Der Senat hält es daher für erforderlich, den durchschnittlichen Tageserlös aus den Erlösen sämtlicher Öffnungstage (35) zu ermitteln, für die im Rahmen der Durchsuchung TAB der zweiten Kasse aufgefunden wurden. Zum anderen hält der Senat – jedenfalls für Zweck der vorläufigen Ermittlung der zusätzlichen Betriebseinnahmen und Umsätze im Rahmen der hier allein gebotenen summarischen Prüfung – einen Sicherheitsabschlag von 10% auf den durchschnittlichen Netto-Tageserlös für geboten, um etwaigen Schwankungen der Erlöse über die einzelnen Streitjahre hinweg Rechnung zu tragen. Unter Berücksichtigung einer Abrundung auf volle Tausend EUR ergibt sich daher, wie der nachfolgend aufgeführten Tabelle zu entnehmen ist, der laut Tenor anzusetzende durchschnittliche und für jeden Öffnungstag anzusetzende Tageserlös von 3.000,00 EUR netto.
94Datum |
Kasse 1 lt. FA |
Kasse 1 lt. FG |
Kasse 2 |
Summe FA |
Summe FG |
02.05.16 |
898,25 |
262,03 |
2.120,14 |
3.018,39 |
2.382,17 |
03.05.16 |
637,02 |
637,02 |
2.358,46 |
2.995,48 |
2.995,48 |
04.05.16 |
829,73 |
829,73 |
4.085,66 |
4.915,39 |
4.915,39 |
06.05.16 |
1.928,60 |
1.928,60 |
2.349,66 |
4.278,26 |
4.278,26 |
07.05.16 |
2.416,46 |
2.416,46 |
4.548,76 |
6.965,22 |
6.965,22 |
09.05.16 |
838,81 |
838,81 |
2.691,44 |
3.530,25 |
3.530,25 |
10.05.16 |
361,15 |
361,15 |
2.474,77 |
2.835,92 |
2.835,92 |
11.05.16 |
1.114,47 |
1.114,47 |
2.786,86 |
3.901,33 |
3.901,33 |
12.05.16 |
744,20 |
744,20 |
2.938,91 |
3.683,11 |
3.683,11 |
13.05.16 |
1.350,92 |
1.350,92 |
4.138,14 |
5.489,06 |
5.489,06 |
14.05.16 |
2.296,57 |
2.296,57 |
2.905,94 |
5.202,51 |
5.202,51 |
17.05.16 |
978,47 |
665,82 |
2.416,15 |
3.394,62 |
3.081,97 |
18.05.16 |
538,03 |
312,65 |
2.030,64 |
2.568,67 |
2.343,29 |
19.05.16 |
0,00 |
538,03 |
2.168,39 |
2.168,39 |
2.706,42 |
20.05.16 |
742,98 |
742,98 |
2.453,70 |
3.196,68 |
3.196,68 |
21.05.16 |
1.132,48 |
1.132,48 |
3.328,02 |
4.460,50 |
4.460,50 |
16.808,14 |
16.171,92 |
45.795,64 |
62.603,78 |
61.967,56 |
|
05.06.19 |
1.343,95 |
1.343,95 |
817,23 |
2.161,18 |
2.161,18 |
06.06.19 |
7.890,72 |
7.890,72 |
1.004,04 |
8.894,76 |
8.894,76 |
07.06.19 |
1.818,14 |
1.818,14 |
894,41 |
2.712,55 |
2.712,55 |
08.06.19 |
3.850,82 |
3.850,82 |
1.688,56 |
5.539,38 |
5.539,38 |
11.06.19 |
2.187,75 |
2.187,75 |
702,70 |
2.890,45 |
2.890,45 |
12.06.19 |
0.080,56 |
0.080,56 |
708,18 |
2.288,74 |
2.288,74 |
13.06.19 |
1.253,83 |
1.253,83 |
984,10 |
2.237,93 |
2.237,93 |
14.06.19 |
2.322,13 |
2.322,13 |
1.105,59 |
3.427,72 |
3.427,72 |
15.06.19 |
3.203,84 |
3.203,84 |
1.339,01 |
4.542,85 |
4.542,85 |
17.06.19 |
1.493,96 |
1.493,96 |
1.061,91 |
2.555,87 |
2.555,87 |
18.06.19 |
0.041,82 |
0.041,82 |
1.168,30 |
2.710,12 |
2.710,12 |
19.06.19 |
2.565,39 |
2.565,39 |
1.432,74 |
3.998,13 |
3.998,13 |
21.06.19 |
2.516,25 |
2.516,25 |
1.252,77 |
3.769,02 |
3.769,02 |
24.06.19 |
4.249,34 |
1.249,34 |
885,30 |
5.134,64 |
2.134,64 |
26.06.19 |
1.479,76 |
1.479,76 |
951,39 |
2.431,15 |
2.431,15 |
27.06.19 |
1.100,50 |
1.100,50 |
979,08 |
2.079,58 |
2.079,58 |
29.06.19 |
3.638,42 |
3.638,42 |
1.252,68 |
4.891,10 |
4.891,10 |
16.07.19 |
0,00 |
1.413,66 |
780,82 |
0,00 |
2.194,48 |
10.12.19 |
0,00 |
0.085,00 |
842,14 |
0,00 |
2.427,14 |
44.037,18 |
44.035,84 |
19.850,95 |
62.265,17 |
63.886,79 |
|
Gesamtsumme |
125.854,35 |
||||
Gesamtdurchschnitt brutto lt. FG |
3.595,84 |
||||
Gesamtdurch. netto |
3.360,60 |
||||
Abzgl. Sicherheits-abschlag 10% |
3.024,54 |
||||
Tageserlös gerundet |
3.000,00 |
c) Soweit der Ast die Auffassung vertritt, dass ihm die Besteuerungsgrundlagen nicht vollständig mitgeteilt worden seien und deshalb schon im Hinblick auf die Verletzung des § 364 AO eine vollumfängliche AdV geboten sei, folgt der Senat dem nicht. Nach Aktenlage wurden die TAB-Asservate mit Schriftsatz vom 11.1.2023 an den Bevollmächtigten des Ast versandt. Wie sich aus den diesem Schreiben nachgehefteten Kopien der übersandten Anlagen ergibt, dürfte diese Übersendung insbesondere auch alle im Rahmen der Durchsuchung beschlagnahmten TAB umfasst haben.
963. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Kosten waren im Schätzungswege anteilig nach dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zu verteilen. Der Senat hat bei seiner Schätzung das Verhältnis der nach der Neuberechnung hinzuzuschätzenden Erlöse für alle Streitjahre (1.171.446,43 EUR) zu der bisherigen Summe der Hinzuschätzungen (1.670.274,50 EUR) zugrunde gelegt.
97Die Übertragung der Berechnung der Aussetzungsbeträge auf das FA beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.