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Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 8.7.2020 in Gestalt der Ein-spruchsentscheidung vom 12.8.2020 wird der Beklagte verpflichtet, den Umsatz-steuerbescheid für 2019 vom 19.3.2021 dahingehend zu ändern, dass die antei-lige Vorsteuer aus der Rechnung der RG betreffend die Anmie-tung eines Bruchteils von einem Drittel für das Jahr 2013 in Höhe von 2.219,86 Euro und für das Jahr 2014 i. H. von 2.959,81 Euro zusätzlich berücksichtigt wird.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 75,59% und dem Beklagten zu 24,41% auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Der Kläger betreibt seit März 2013 als Einzelunternehmer ein Eiscafé. Die Räume des Eiscafés befinden sich im Erdgeschoss des Objekts Straße in I.
3Unter der gleichen Anschrift hatte zuvor sein Vater, GG (künftig als GG bezeichnet), ein Eiscafé betrieben. Die hierfür benötigten Räumlichkeiten hatten die Eltern des Klägers, GG und RG (künftig als RG bezeichnet), gemeinsam von Herrn V (künftig als V bezeichnet) angemietet. Laut dem (undatierten) Gewerbemietvertrag mit der Nr. 316/202 hatte das Mietverhältnis am 1.11.2008 begonnen und sollte am 31.7.2018 enden. Nach diesem Zeitraum sollte sich die Mietdauer, sofern nicht eine Partei unter Einhaltung einer bestimmten Frist widersprechen würde, jeweils um ein Jahr verlängern. In dem Mietvertrag war eine Gesamtmiete von 3.760,20 EUR zzgl. 714,44 EUR Umsatzsteuer pro Monat vereinbart worden. Als Nutzungszweck war ausschließlich der Betrieb eines Eiscafés vorgesehen.
4Am 18.3.2018* (*Tatbestandsberichtigung, s. Ende des Entscheidungstextes). übernahm der Kläger das Eiscafé von GG und führte dieses unter Beibehaltung des Firmennamens „Eiscafé F“ fort. Am selben Tag wurde zwischen den Mietvertragsparteien und dem Kläger eine „Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag vom 7.10.2008“ mit folgendem (auszugsweise wiedergegebenen) Inhalt getroffen:
5Punkt 1: Mit sofortiger Wirkung wird Herr MG, Straße, 00000 I mit allen Rechten und Pflichten in den oben genannten Mietvertrag aufgenommen. Herrn MG ist der Mietvertrag bekannt.
6Punkt 2: In allen anderen Vertragspunkten bleibt der oben genannte Mietvertrag rechtswirksam. Sollte irgendeine Bestimmung aus diesem Vertrag rechtsunwirksam sein, so berührt dies nicht die Wirksamkeit des übrigen Vertrages.
7Die Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag wurde nach den eigenen Angaben des Klägers geschlossen, um eine Mieterhöhung zu vermeiden. Die Miete wurde in den Jahren 2013 bis 2018 ausschließlich vom Kläger an den V entrichtet.
8Am 31.8.2018 wurde ein neuer Mitvertrag zwischen dem Kläger und V geschlossen, an dem die Eltern des Klägers nicht mehr beteiligt waren.
9Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) schloss mit Bericht vom 8.3.2017 eine Betriebsprüfung (BP) beim Kläger ab, die die Veranlagungszeiträume 2013 bis 2015 betraf. Wegen der Einzelheiten der getroffenen Feststellungen wird auf diesen Bericht Bezug genommen. U.a. ging das FA davon aus, dass der Kläger in Bezug auf die Anmietung der Räumlichkeiten in der Straße lediglich ein Drittel der für die einzelnen Streitjahre in Rechnung gestellten Umsatzsteuer in Anspruch nehmen könne, da die Vermietungsleistung nur in diesem Umfang an ihn, im Übrigen aber an GG und RG ausgeführt worden sei (vgl. Tz. 2.2 des BP-Berichts).
10Hiergegen wandte sich der Kläger zunächst mit dem Einspruch und dann in Bezug auf das Jahr 2013 mit der Klage. Das Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 5 K 2204/17 wurde durch eine Verständigung mit anschließender Hauptsacheerledigung abgeschlossen. Hinsichtlich des Vorsteuerabzugs aus dem Mietvertrag erachtete der seinerzeit zuständige Berichterstatter die Klage als unbegründet, da er die Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag als Beitritt zu einem bestehenden Mietvertrag und nicht, wie vom Kläger geltend gemacht, als Übernahme des Vertrags würdigte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 16.5.2019 Bezug genommen.
11Im Anschluss an das Verfahren 5 K 2204/17 U optierten die Eltern des Klägers in Bezug auf eine Untervermietung ihres Bruchteils aus der Anmietung der Räumlichkeiten im Objekt Straße zur Umsatzsteuer, und zwar rückwirkend für den Zeitraum vom 18.3.2013 bis zum 31.8.2018. Für diese Jahre gaben sie Umsatzsteuererklärungen ab, in denen sie entsprechend steuerpflichtige Umsätze erklärten. Sie stellten zudem am 30.5.2019 jeweils Rechnungen mit offenem Steuerausweis und folgendem Inhalt aus, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird: „Gem. beiliegenden Anlagen berechne ich Ihnen für die Jahre 2013 bis 2018 meinen 1/3 Bruchteil aus der Anmietung ihres Geschäftslokals weiter. Eine Zahlung muss nicht erfolgen, weil sie bereits im abgekürzten Zahlungsweg unmittelbar an den Eigentümer geleistet haben“. In der Anlage wurde die Umsatzsteuer für die Jahre 2013 bis 2018 in der nachfolgend aufgeführten Höhe ausgewiesen (Beträge in EUR):
12Netto |
USt |
Brutto |
|
2013, monatlich ab April, Gesamtsumme |
11.683,47 |
2.219,86 |
13.903,33 |
2014, Gesamtsumme |
15.577,96 |
2.959,81 |
18.537,77 |
2015, Gesamtsumme |
15.577,96 |
2.959,81 |
18.537,77 |
2016, Gesamtsumme |
15.577,96 |
2.959,81 |
18.537,77 |
2017, Gesamtsumme |
15.577,96 |
2.959,81 |
18.537,77 |
2018, bis einschließlich August |
10.385,31 |
1.973,21 |
12.358,51 |
Gesamtsumme jeweils |
16.032,31 |
||
Vorsteuer gesamt |
32.064,62 |
RG gab ihre Umsatzsteuererklärungen für 2013 bis 2018 am 14.6.2019 beim ebenfalls für sie zuständigen FA ab. Die Einspruchsverfahren gegen die daraufhin im November 2020 ergangenen Ablehnungsbescheide des FA vom 30.11.2020 wurden ruhend gestellt.
14Der Kläger gab seinerseits für Mai 2019 eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung ab, in der er die Vorsteuer aus den Rechnungen seiner Eltern vom 30.5.2019 zusätzlich geltend machte:
15BMG |
USt |
|
Umsätze zu 19% |
23.242,00 |
4.415,98 |
Umsätze zu 7% |
15.354,00 |
1.074,78 |
Umsatzsteuer |
5.490,76 |
|
Vorsteuer |
-33.938,09 |
|
Begehrte Erstattung |
28.447,28 |
Das FA folgte dem mit der Abgabe der geänderten Voranmeldung verbundenen Änderungsantrag nur teilweise. Es kürzte die erklärte Vorsteuer, wie nachfolgend dargestellt, um insgesamt 21.211,90 EUR und setzte mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Mai 2019 vom 6.3.2020 einen Erstattungsbetrag von 7.235,43 EUR fest.
17Vorsteuer erklärt |
33.938,09 |
Abzgl. Vorsteuer Vermietung durch GG für: |
|
April – Dezember 2013 |
- 2.219,85 |
2014 – 2017 |
-11.839,20 |
Januar bis August 2018 |
- 1.973,20 |
Abzgl. Vorsteuer Vermietung RG |
|
April bis Dezember 2013 |
- 2.219,85 |
2014 |
- 2.959,80 |
Verbleibende Vorsteuer |
12.726,19 |
Umsatzsteuer laut VA |
5.490,76 |
Erstattung |
7.235,43 |
Der Kläger beantragte am 3.7.2020 die Änderung dieses Bescheides entsprechend der eingereichten (berichtigten) Voranmeldung für Mai 2019.
19Diesen Änderungsantrag lehnte das FA am 8.7.2020 ab. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom 12.8.2020 als unbegründet zurückwies. Das FA vertrat die Auffassung, dass bzgl. der Untervermietung des Anteils der RG am Mietverhältnis betreffend die Jahre 2013 und 2014 kein Vorsteuerabzug in Betracht komme, da in Bezug auf die von der RG für diese Zeiträume eingereichten Jahreserklärungen Verjährung eingetreten sei. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 AO greife vorliegend nicht, da bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf der Jahre 2017 (hinsichtlich 2013) und 2018 (hinsichtlich 2014) mangels eines Veranlagungstatbestandes (keine Option zur Umsatzsteuer bzgl. der Vermietung an den Kläger) keine Steuererklärungspflicht bestanden habe. Nach dem klaren Wortlaut des § 18 Abs. 1, 3 und 4 UStG seien Unternehmer, die ausschließlich steuerfreie Umsätze tätigen würden, nicht zur Abgabe von Voranmeldungen und Jahreserklärungen verpflichtet, da keine Steuer bzw. zu entrichtende Steuer zu berechnen sei. Die erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingereichten Steuererklärungen könnten auch nicht mehr nachträglich eine rückwirkende Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist bewirken. Optionserklärungen seien verspätet, wenn für den Veranlagungszeitraum, für den optiert werde, die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen sei.
20Für die Jahre ab 2015 sei dagegen bezüglich des Vermietungsanteils der Mutter der Vorsteuerabzug in Höhe des Anteils von einem Drittel zu gewähren.
21Der GG sei dagegen wegen des noch nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nicht berechtigt gewesen, Umsatzsteuererklärungen abzugeben und bezüglich der Untervermietung an seinen Sohn zur Umsatzsteuer zu optieren. Dies obliege allein dem Insolvenzverwalter. Mangels wirksamer Option komme daher kein Vorsteuerabzug in Betracht.
22Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung vom 12.8.2020 Bezug genommen.
23Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene Klage. Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor: Der Vorsteuerabzug aus den als Anlage zum Schriftsatz vom 4.8.2021 an das Gericht übersandten Rechnungen sei jedenfalls zum Teil zu gewähren. Eine schriftliche Untermietvereinbarung hätten die drei Parteien des Mietvertrags nicht getroffen. Diese seien aber aufgrund seines erfolgten Beitritts zum Mietvertrag in einem ersten Schritt zu jeweils einem Drittel als Leistungsempfänger anzusehen. Im Hinblick auf die weitere Nutzungsüberlassung an ihn, den Kläger, könne es keinen Unterschied machen, ob eine Mietgemeinschaft als GbR oder als Bruchteilsgemeinschaft organisiert sei. Auf der zweiten Stufe sei die Weitergabe der von seinen Eltern empfangenen Leistung an ihn als den Betreiber des Eiscafés erfolgt. Er sei alleiniger Nutzer der Räumlichkeiten gewesen. Dieser Umstand sei als Weitervermietung an ihn zu werten. Die originäre Verpflichtung zur Zahlung der Miete an den Eigentümer habe er allein erfüllt, und zwar für seinen Anteil unmittelbar und für die Verpflichtungen der anderen Beteiligten in Form eines abgekürzten Zahlungsweges. Damit liege zunächst eine gemäß § 4 Nr. 12 Buch. a UStG steuerfreie Untervermietung seiner Eltern an ihn vor. Hinsichtlich der Untervermietung durch seine Mutter sei sodann der Tatbestand des § 9 UStG erfüllt worden. Hinsichtlich des Vermietungsanteils des GG fehle es an einer durch den Insolvenzverwalter abzugebenden Steuererklärung. Aus den von GG erteilten Rechnungen sei er daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Insoweit werde die „Teilrücknahme“ der Klage erklärt.
24Entgegen der Auffassung des FA sei die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer aus der anteiligen Weitervermietung durch RG für die Jahre 2013 und 2014 zum Zeitpunkt der Optionserklärung nicht abgelaufen gewesen. Es komme gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu einer Anlaufhemmung von drei Jahren. Unternehmer seien gem. § 18 UStG i.V.m. § 149 AO verpflichtet, eine Umsatzsteuererklärung abzugeben. Entgegen der Auffassung des FA gelte dies auch für Unternehmer, die ausschließlich steuerfreie Umsätze erzielen würden. Dass die Finanzverwaltung aus verwaltungsökonomischen Gründen darauf verzichte, sei nicht maßgeblich. Der Verweis auf die Verjährungsregelungen im Fall einer ertragsteuerlichen Antragsveranlagung gehe fehl, weil es sich bei der Umsatzsteuererklärung nicht um eine freiwillige Angelegenheit handele. Unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung sei die Festsetzungsfrist für 2013 und 2014 in 2019 noch nicht abgelaufen gewesen.
25Im Rahmen des Klageverfahrens hat das FA am 19.3.2021 einen Jahressteuerbescheid für 2019 erlassen, auf den wegen seines Inhalts Bezug genommen wird.
26Der Kläger beantragt zuletzt,
27unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 8.7.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.8.2020 den Beklagten zu verpflichten, den Umsatzsteuerbescheid für 2019 vom 19.3.2021 dahingehend zu ändern, dass die anteilige Vorsteuer aus der Rechnung der RG betreffend die Anmietung eines Bruchteils von einem Drittel für das Jahr 2013 in Höhe von 2.219,86 EUR und für 2014 in Höhe von 2.959,81 EUR zusätzlich berücksichtigt wird.
28Das FA beantragt,
29die Klage abzuweisen, hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
30Das FA trägt vor: Bezüglich des begehrten Vorsteuerabzugs aus den Leistungen des GG habe der Kläger sein Klagebegehren mit Schriftsatz vom 4.8.2021 eingeschränkt und nicht weiter aufrechterhalten. Bezüglich der Vermietungsleistungen der RG an den Kläger habe das FA die Vorsteuerbeträge ab 2015 berücksichtigt. Für die Jahre 2013 und 2014 könne wegen der eingetretenen Verjährung keine Vorsteuer in Anspruch genommen werden.
31Der Senat hat die Akten des Verfahrens 5 K 2204/17 U beigezogen.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die dem Gericht übersandten Akten Bezug genommen.
33E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34Die zulässige Klage ist begründet.
35Der Ablehnungsbescheid vom 8.7.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.8.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordung --FGO--).
36I. Zu Unrecht hat es das FA abgelehnt, die in den Rechnungen der RG für 2013 und 2014 ausgewiesene Umsatzsteuer i.H.v. 2.219,86 EUR (2013) und 2.959,81 (2014) EUR zusätzlich als Vorsteuer zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG liegen insoweit vor. Der Vorsteuerabzug war auch nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen, denn die RG hat in zulässiger Weise und vor Ablauf der Festsetzungsfrist gem. § 9 UStG auf die Steuerfreiheit der von ihr an den Kläger erbrachten Vermietungsleistung verzichtet.
371. Die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug aus der von RG am 30.5.2019 erstellten Rechnung liegen in Bezug auf den hier allein streitigen Zeitraum April 2013 bis Dezember 2014 sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht vor.
38a) Nach nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen die Steuer für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
39Zum Vorsteuerabzug berechtigter Leistungsempfänger ist grundsätzlich derjenige, der aus dem der Leistung zugrunde liegenden Schuldverhältnis als Auftraggeber berechtigt und verpflichtet ist (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31.5.2017 XI R 40/14, Sammlung der Entscheidungen des BFH --BFHE-- 258, 495, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 2021, 828). Nicht maßgeblich ist dagegen u.a., wem die empfangene Leistung wirtschaftlich zuzuordnen ist oder wer sie bezahlt hat (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 30.4.2014 XI R 33/11, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH --BFH/NV-- 2014, 1239 m.w.N.). Empfänger einer Leistung kann schließlich ausnahmsweise auch derjenige sein, an den der Leistende eine Leistung tatsächlich erbracht hat, ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 30.4.2014 XI R 33/11, BFH/NV 2014, 1239 m.w.N.).
40b) Der Kläger war Leistungsempfänger einer sonstigen Leistung in Form einer Vermietungsleistung, die die RG an ihn erbracht hat. Insoweit ist in der vorliegenden Konstellation zwischen zwei Miet- und damit zwischen zwei Leistungsverhältnissen zu unterscheiden.
41aa) Hauptmieter der Gewerbeeinheit im Erdgeschoss der Straße war eine aus GG, RG und dem Kläger bestehende Mietermehrheit, bei der die einzelnen Mieter – sofern sie Unternehmer sind und die übrigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG vorliegen – nur anteilig zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
42(1) GG, RG und der Kläger sind durch den am 18.3.2021** (**Berichtigung der Entscheidungsgründe, s. Ende des Entscheidungstextes). erfolgten Mietbeitritt des Klägers zum zwischen seinen Eltern und V geschlossenen Mietvertrag gemeinsam Mieter (und damit untereinander Mitgläubiger i.S.v. § 432 BGB) der Gewerbeeinheit im Erdgeschoss des Objekts Straße geworden. Der Mietvertrag mit dem V lässt zivilrechtlich keine Auslegung dergestalt zu, dass GG und RG nur die Rechtsstellung von Bürgen für die Mietzahlungsverpflichtung des Klägers gehabt hätten, letzterer also alleiniger Mieter gewesen wäre. Anhaltspunkte dafür, dass der V die Mietsache unter Missachtung des Anspruchs von GG und RG alleine dem Kläger überlassen hätte (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 1.6.1989 V R 72/84, BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677), bestehen ebenfalls nicht. Ebensowenig ist eine aus den drei Mietvertragsparteien bestehende (Außen- oder Innen-)GbR Mietvertragspartei geworden. Hierfür fehlt es bereits an einem gemeinschaftlichen Gesellschaftszweck. Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, dass die Parteien überhaupt ein Interesse daran gehabt haben könnten, untereinander gesellschaftsrechtliche Rechte und Pflichten zu begründen.
43(2) Umsatzsteuerlich bildet diese Mietermehrheit kein einheitliches Unternehmen, das als Leistungsempfänger i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG anzusehen wäre. Ob dies mangels zivilrechtlicher Rechtsfähigkeit der Bruchteilsgemeinschaft der Fall ist, kann dahinstehen (vgl. zu dieser Kontroverse Korn in Bunjes, UStG, 23. Aufl., § 2 Rn. 24 ff.). Die Mietermehrheit selbst war jedenfalls keine Unternehmerin i.S.v. § 2 UStG. Sie war nicht zur Aufnahme einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit gegründet worden und hat auch keine umsatzsteuerlichen Leistungen gegen Entgelt ausgeführt. Leistungsempfänger waren vielmehr die drei Gemeinschafter.
44Wie der BFH bereits mehrfach zu vergleichbaren Konstellationen entschieden hat (vgl. BFH-Urteile vom 7.11.2000 V R 49/99, BFHE 194, 270, BStBl II 2008, 493; vom 1.2.2001 V R 79/99, BFHE 194, 488, BStBl II 2008, 495; vgl. ferner BFH-Urteil vom 3.11.2005 V R 53/03, BFH/NV 2006, 841; Abschn. 15.2b Abs. 1 Satz 8 des Umsatzsteueranwendungserlasses --UStAE--) und wovon auch die Beteiligten ausgehen, ist in einem solchen Fall nur ein anteiliger Vorsteuerabzug eines jeden Gemeinschafters möglich. Der anteilige Vorsteueranspruch des Klägers von einem Drittel der im Mietvertrag ausgewiesenen Steuer ist vom FA zutreffend berücksichtigt worden.
45bb) Über dieses Hauptmietverhältnis hinaus bestand, wovon auch die Beteiligten ausgehen, ein weiteres Mietverhältnis zwischen RG und dem Kläger.
46(1) GG, RG und der Kläger stand, wie bereits dargestellt, gemeinsam eine Forderung auf eine unteilbare Leistung i.S.v. § 432 Abs. 1 BGB zu, nämlich der Anspruch auf die Gebrauchsüberlassung der Mietsache. Derartige Forderungen auf unteilbare Leistungen, die mehreren Gläubigern zustehen, lassen eine Bruchteilsgemeinschaft entstehen, wenn die Gläubiger – wie hier – keine Gesamthandsgemeinschaft bilden und wenn nicht ausnahmsweise die Regeln der Gesamtgläubigerschaft (§ 428 BGB) anwendbar sind (von Proff in Staudinger, BGB, § 741 Rn. 109; im Ergebnis gl.A. Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 Rn. 18 und 21, der eine Bruchteilsgemeinschaft am Mietverhältnis annimmt). Das Nutzungsrecht der Gemeinschafter untereinander richtet sich in diesem Fall nach Gemeinschaftsrecht (§ 741 ff. BGB). Gem. § 743 Abs. 2 BGB ist jeder Teilhaber – hier also jeder Mieter – grundsätzlich insoweit zum Gebrauch des gemeinschaftlichen Gegenstandes befugt, als nicht der Mitgebrauch des anderen Teilhabers beeinträchtigt wird. Jeder Teilhaber hat somit ein originäres Nutzungsrecht, welches ihm nicht erst im Rahmen eines Leistungsaustauschs von der Gemeinschaft überlassen wird. Will ein Teilhaber sein Gebrauchsrecht nicht ausüben oder übt er es tatsächlich nicht aus, liegt keine Beeinträchtigung seines Mitgebrauchs vor, wenn andere Teilhaber ihr Gebrauchsrecht ausüben (BeckOGK/Fehrenbacher, BGB § 743 Rn. 20).
47(2) Zur Miteigentumsgemeinschaft, bei der es sich ebenfalls um eine Bruchteilsgemeinschaft handelt, hat der BFH mit Urteil vom 26.2.1975 V R 132/73 (BFHE 118, 104, BStBl II 1976, 309; vgl. auch BFH-Urteil vom 28.8.2014 V R 49/13, BFHE 247, 283) entschieden, dass dann, wenn bei einer Gemeinschaft die Miteigentümer (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbaren, dass der gemeinschaftliche Gegenstand ganz oder teilweise einem Miteigentümer unentgeltlich zum Gebrauch überlassen werden soll, dieser den gemeinschaftlichen Gegenstand in dem vorliegenden Umfang aufgrund des sich aus seinem Miteigentum ergebenden Gebrauchsrechtes nach § 743 Abs. 2 BGB benutzt. In dieser Konstellation liege keine Gebrauchsüberlassung seitens der Bruchteilsgemeinschaft unter Begründung eines vertraglichen Schuldverhältnisses vor.
48Etwas Anderes soll aber nach der Auffassung des BFH dann gelten, wenn die Gebrauchsüberlassung entgeltlich erfolgt. So hat der BFH etwa mit Urteil vom 27.4.1994 XI R 91, 92/92 (BFHE 174, 559, BStBl II 1994, 826 mit kritischer Anmerkung von Weiss, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1996, 125, 126) entschieden, dass eine umsatzsteuerliche Leistung darin liegen kann, dass ein Miteigentümer seinen ideellen Grundstücksanteil gegen Entgelt zur Nutzung an den anderen Miteigentümer überlässt. Dieser Miteigentümer führe damit gegenüber dem anderen Gemeinschafter steuerbare Umsätze aus und werde unternehmerisch tätig
49(3) Nach der Auffassung des Senats ist eine entsprechende Differenzierung zwischen entgeltlicher und unentgeltlicher Überlassung auch in der hier vorliegenden Konstellation der Mietermehrheit vorzunehmen. Hierfür spricht aus Sicht des Senats, dass zivilrechtlich im Rahmen des § 743 Abs. 2 BGB anerkannt ist, dass die Teilhaber Ausgleichsansprüche für eine abweichende Gebrauchsregelung rechtsgeschäftlich vereinbaren können (BeckOGK/Fehrenbacher, 1.8.2023, BGB § 743 Rn. 24). Der Bundesgerichtshof hat insoweit etwa mit Urteil vom 29.6.1966 V ZR 163/63 (Neue Juristische Wochenschrift 1966, 1707) entschieden, dass bei der ausschließlichen Nutzung eines Grundstücks durch einen Teilhaber ein Vergütungsanspruch des anderen gegeben wäre, wenn die Parteien vereinbart hätten, dass der erstgenannte zur alleinigen Innehabung und Benutzung des Grundstücks nur gegen Entgelt berechtigt sei, denn die Teilhaber an einer Gemeinschaft könnten die Benutzung gemäß § 745 Abs. 2 BGB in einer bestimmten Weise regeln. Jedenfalls in dieser Konstellation der ausschließlichen Zuweisung des Nutzungsrechts an einen Teilhaber ist daher vom Bestehen eines (selbständigen) Mietverhältnisses auszugehen (vgl. etwa Aderhold in Erman, BGB, Kommentar, 17. Aufl. 2023, § 743 BGB Rn. 9; Gregor in Herberger / Martinek / Rüßmann / Weth / Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 743 BGB Rn. 17); Kuhn in Dauner-Lieb/Langen, BGB, 4. Aufl. 2021, § 743 Rn. 10 Fn. 22). Eine konkludente Vereinbarung eines solchen Mietverhältnisses kann dabei schon dadurch zustande kommen, dass ein Teilhaber den gemeinschaftlichen Gegenstand gegen Verrechnung nutzt (Gregor in Herberger / Martinek / Rüßmann / Weth / Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 743 BGB Rn. 15 m.w.N.).
50(4) Letzteres trifft nach Auffassung des Senats auch auf den Streitfall zu. Der Kläger hat von Beginn an die gemieteten Räumlichkeiten ausschließlich zum Betrieb seines Eiscafés genutzt. Weder GG noch RG haben von ihrer eigenen Nutzungsbefugnis Gebrauch gemacht. Ein wie auch immer geartetes Nutzungsinteresse von GG und RG war auch von vornherein nicht gegeben, da die Räumlichkeiten nach Maßgabe des Mietvertrags ausschließlich für Zwecke des Betriebs eines Eiscafés und nicht etwa für private Zwecke genutzt werden durften. Darüber hinaus hat der Kläger im gesamten Zeitraum vom April 2013 bis zum August 2018 die volle Miete vollständig aus seinem eigenen Vermögen gezahlt. Bei Würdigung dieser Umstände ist aus Sicht des Senats davon auszugehen, dass der Kläger mit GG und RG zeitgleich mit Aufnahme in den Mietvertrag konkludent ein weiteres „Untermietverhältnis“ vereinbart hat. Dieses hatte zum Inhalt, dass die GG und RG aufgrund des Hauptmietvertrags zustehende Nutzungsbefugnis an den angemieteten Räumlichkeiten dem Kläger zur Alleinnutzung gegen Übernahme der anteiligen Mietzahlungsverpflichtung von GG und RG übertragen wird.
51c) Die RG war auch Unternehmerin i.S.v. § 2 UStG. Gewerblich oder beruflich ist nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Bei richtlinienkonformer Anwendung muss dabei eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden (vgl. etwa BFH-Urteil vom 28.10.2004 V R 19/04, BFH/NV 2005, 725). Die Vermietung eines körperlichen Gegenstands ist eine wirtschaftliche Tätigkeit, wenn sie zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen vorgenommen wird (vgl. etwa BFH-Urteil vom 2.7.2008 XI R 59/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 390; Ulbrich, UR 2023, 137). Dies ist bei der hier maßgeblichen Untervermietung der Geschäftsräume gegen Entgelt an den Kläger der Fall.
52d) Die Leistung war auch für das Unternehmen des Klägers bestimmt, da die Geschäftsräume für den Betrieb des Eiscafés benötigt wurden.
53e) Eine ordnungsgemäße Rechnung i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. 14 UStG liegt ebenfalls vor.
542. Der Vorsteuerabzug war auch nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. Die Vermietungsleistung der RG an den Kläger war nicht gem. § 4 Nr. 12 Buch. a Satz 1 UStG steuerfrei, denn sie hat gem. § 9 Abs. 1 UStG in zulässiger Weise nachträglich zur Umsatzsteuer optiert.
55a) Die Umsätze durch Grundstücksvermietung sind nach § 4 Nr. 12 Buchst. a Satz 1 UStG grundsätzlich steuerfrei. Ein Unternehmer kann jedoch gem. § 9 Abs. 1 UStG einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis g, Nr. 9 Buchstabe a, Nr. 12, 13 oder 19 UStG steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 UStG ist bei der Bestellung und Übertragung von Erbbaurechten (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG), bei der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buch. a UStG) und bei den in § 4 Nr. 12 Satz 1 Buch. b und c UStG bezeichneten Umsätzen allerdings nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen nachzuweisen.
56Darüber hinaus kann er den Verzicht nur solange erklären, wie die Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung noch änderbar ist, da der Verzicht ansonsten bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen keine Berücksichtigung finden kann. Nach der Rechtsprechung des BFH muss die Steuerfestsetzung im Zeitpunkt des Verzichts entweder noch anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 AO noch änderbar sein (vgl. etwa BFH-Urteil vom 19.12.2013 V R 6/12, BFHE 245, 71, BStBl II 2017, 837; Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 9 Rn. 46; Abschn. 9.1 Abs. 3 Satz 1 UStAE).
57b) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen einer wirksamen Option nach § 9 Abs. 1 UStG vor. Die RG hat zunächst eine nach § 4 Nr. 12 Buch. a Satz 1 UStG steuerfreie Vermietungsleistung an den Kläger als Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt. Auf diese Steuerbefreiung hat die RG dadurch verzichtet, dass sie am 30.5.2019 Rechnungen mit Steuerausweis an den Kläger erteilt hat. Ein Ausschlussgrund nach § 9 Abs. 2 UStG liegt ebenfalls nicht vor, denn der Kläger hat das Mietobjekt ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen.
58c) Entgegen der Auffassung des FA wurde die Option von der RG auch rechtzeitig, insbesondere vor Eintritt der Festsetzungsverjährung, ausgeübt.
59Mit Recht weist das FA zwar darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Erklärungsabgabe am 14.6.2019 die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bereits abgelaufen gewesen ist.
60§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO sieht aber unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung der Festsetzungsfrist in Form einer sog. Anlaufhemmung vor. Nach dieser Vorschrift beginnt die Festsetzungsfrist abweichend von § 170 Abs. 1 AO, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO später beginnt.
61Voraussetzung für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist durch die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO** (** Berichtigung der Entscheidungsgründe, s. Ende des Entscheidungstextes). ist also die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung. Ob ein Unternehmer, der – wie die RG – vor Ausübung der Option lediglich steuerfreie Umsätze erzielt, zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtet ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
62aa) Aus dem Unionsrecht lässt sich eine entsprechende Abgabepflicht nicht herleiten. Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) sieht im Art. 261 Abs. 1 lediglich eine optionale Möglichkeit vor, dass die Mitgliedstaaten von dem Steuerpflichtigen verlangen, dass er eine Erklärung über sämtliche Umsätze des vorangegangenen Jahres mit allen in den Artikeln 250 und 251 MwStSystRL genannten Angaben abgibt.
63bb) Der nationale Gesetzgeber hat von der unionsrechtlich eingeräumten Möglichkeit, Jahreserklärungen zu verlangen, Gebrauch gemacht. § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG sieht zu diesem Zweck vor, dass der Unternehmer - vorbehaltlich des § 18i Absatz 3 UStG, des § 18j Absatz 4 UStG und des § 18k Absatz 4 UStG - für das Kalenderjahr oder für den kürzeren Besteuerungszeitraum eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln hat, in der er die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss, der sich zu seinen Gunsten ergibt, nach § 16 Absatz 1 bis 4 UStG und § 17 UStG selbst zu berechnen hat (Steueranmeldung).
64cc) Ein Teil der Literatur ist der Auffassung, dass sich hieraus für den Fall, dass ausschließlich steuerfreie Umsätze erzielt werden, keine Pflicht zur Abgabe einer Jahreserklärung herleiten lässt (Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, Abschnitt V Kap. 3 B, § 18 Abs. 3 – Abs. 4 UStG Rn. 9; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Rn. 28). Stadie weist zur Begründung darauf hin, dass nach dem klaren Wortlaut des § 18 Abs. 1, 3 und 4 UStG Unternehmer, die ausschließlich steuerfreie Umsätze tätigten, deshalb nicht zur Abgabe von „Voranmeldungen“ und Jahressteuererklärungen verpflichtet seien, da keine Steuer (Vorauszahlung) bzw. zu entrichtende Steuer zu berechnen sei.
65dd) Nach der Gegenauffassung soll die Steuererklärungspflicht unabhängig davon bestehen, ob nach Auffassung des Steuerpflichtigen steuerbare und steuerpflichtige Umsätze vorliegen (FG München, Urteil vom 22.10.2013 2 K 1993/10, abrufbar in juris; Brandl in Bunjes, UStG, 22. Aufl. 2023, § 18 Rn. 16; Treiber in Sölch/Ringleb, UStG, § 18 Rn. 76; Ulbrich, UR 2023, 137, 142). Treiber verweist im Zusammenhang mit der Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 18 Abs. 1 UStG darauf, dass Unternehmer, die – wie private Vermieter – ausschließlich steuerfreie Umsätze ohne Recht zum Vorsteuerabzug ausführen würden, grds. erklärungspflichtig seien, denn der Umstand, dass der Umsatzsteuer-Saldo null betrage, bedeute nicht, dass er nicht zu berechnen sei.
66ee) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
67Hierfür spricht nach Auffassung des Senats bereits die im Hauptsatz des § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG gewählte Formulierung: „der Unternehmer hat für das Kalenderjahr (…) eine Steuererklärung zu übermitteln“. Der betreffende Gesetzeswortlaut sieht keine Ausnahme für solche Unternehmer vor, die ausschließlich steuerfreie Umsätze erzielen.
68Nach Auffassung des Senats und entgegen der Auffassung von Stadie kann eine Ausnahme für Unternehmer mit steuerfreien Umsätzen auch nicht aus dem sich an den Hauptsatz anschließenden Nebensatz: „in der er die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss, der sich zu seinen Gunsten ergibt, nach § 16 Absatz 1 bis 4 und § 17 selbst zu berechnen hat (Steueranmeldung)“ hergeleitet werden. Aus dieser Formulierung kann nicht auf die Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, dass in dem Fall, dass die Berechnung eine Umsatzsteuer von 0 EUR ergibt (also sich weder eine zu entrichtende Steuer noch ein Überschuss ergibt), keine Erklärung abgegeben werden muss. Gegen eine solche Auslegung spricht bereits der Umstand, dass es grammatisch an einer entsprechenden konditionalen Verknüpfung von Haupt- und Nebensatz fehlt. Hinzu kommt, dass sich auch dann, wenn ein Unternehmer steuerpflichtige Umsätze erzielt, rechnerisch eine Umsatzsteuer von 0 EUR ergeben kann. Letztlich hinge die Pflicht zur Abgabe von Jahreserklärungen dann von mathematischen Zufällen ab, was nicht gewollt sein kann.
69Auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sieht der Senat keinen Anlass dafür, in der hier maßgeblichen Konstellation eine Ausnahme von der Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung anzunehmen. Wie auch in den anderen Fällen der Erzielung steuerfreier Einkünfte erlangt das FA nur durch die Abgabe einer Erklärung Kenntnis davon, dass nach der Ansicht des Unternehmers eine Umsatzsteuer nicht entstanden ist. Der Senat vermag insoweit im Ergebnis keinen Unterschied zu den Fällen der fehlenden Einnahmeerzielung eines Istversteuerers zu erkennen, in denen der BFH ebenfalls ausdrücklich die Pflicht zur Abgabe einer Erklärung bejaht hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4.4.2003 V B 183/02, BFH/NV 2003, 1097; 8.1.2004 V B 37/39, 57/03, BFH/NV 2004, 829; vom 7.9.2006 V B 203, 304/05, BFH/NV 2006, 2312). Vergleichbare Erwägungen hat der BFH darüber hinaus auch in seinem Beschluss vom 24.7.2013 XI R 14/11 (BStBl II 2014, 210) in Bezug auf Kleinunternehmer angestellt, die ebenfalls nach § 18 Abs. 3 UStG zur Abgabe einer Erklärung verpflichtet sind.
70ff) Ist die RG aber nach der hier vertretenen Auffassung von Anfang an zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung verpflichtet gewesen, greift die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO** (** Berichtigung der Entscheidungsgründe, s. Ende des Entscheidungstextes), mit der Folge, dass sich die Festsetzungsfrist um weitere drei Jahre verlängert. Die Erklärungsabgabe durch RG am 14.6.2019 ist daher noch innerhalb der Festsetzungsfrist erfolgt, die unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung am 31.12.2020 (2013) bzw. 31.12.2021 (2014) abgelaufen ist. Damit ist auch die nachträgliche Ausübung des Optionsrechts zulässig gewesen.
71II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Zwar hat der Kläger hinsichtlich seines zuletzt gestellten Klageantrags (zusätzliche Berücksichtigung einer Vorsteuer von insgesamt 5.179,67 EUR) in voller Höhe obsiegt. Bei der Berechnung der Quote war aber zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass sein ursprüngliches Klagebegehren, das für die Bestimmung des Streitwerts maßgeblich ist, auch darauf gerichtet war, die Vorsteuer aus den Rechnungen des GG zusätzlich zu erhalten (ursprünglich begehrte zusätzliche Vorsteuer = 21.211,90 EUR). Der Kläger hat seine Klage insoweit nachträglich mit Schriftsatz vom 4.8.2021 eingeschränkt, so dass sich die aus dem Tenor ersichtliche Obsiegens- und Unterliegensquote ergab (5.179,67 EUR / 21.211,90 EUR).
72III. Die Revision war zuzulassen. Die Frage, ob bei steuerfreien Umsätzen eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben ist, hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.
73(*) und (**): Am 23.11.2023 erging ein Berichtigungsbeschluss folgenden Inhalts:
74(*)“Der Tatbestand des Urteils vom 22.9.2023 wird dahingehend berichtigt, dass die Formulierung auf Seite vier, dritter Absatz, erster Satz: "Am 18.3.2018" durch die Formulierung "Am 18.3.2013" ersetzt wird.“
75(**)“Die Entscheidungsgründe des Urteils vom 22.9.2023 werden dahingehend berichtigt, dass die Formulierung auf Seite elf, vierter Absatz, erster Satz „am 18.3.2021“ durch die Formulierung „am 18.3.2013“ und die auf den Seiten 16 (vorletzter Absatz) und 19 (erster Absatz) zitierte Vorschrift „§ 170 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO“ durch das Zitat „§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO“ ersetzt wird.
76Gründe:
771. Nach § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind Schreibfehler, Rechenfehler und andere offenbare Unrichtigkeiten in einem Urteil jederzeit vom Gericht zu berichtigen. Als Berichtigungsgegenstand erfasst § 107 FGO alle Bestandteile des Urteils, auch den Tatbestand.
782. Das in diesem Verfahren ergangene Urteil vom 22.9.2023 weist insoweit eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO auf, als im Tatbestand ein falsches Datum für den Eintritt in den Mietvertrag genannt ist. Auf Seite vier im Absatz drei Satz eins wurde versehentlich das Datum „18.3.2018“ statt des richtigen Datums „18.3.2013“ aufgeführt. Ein gleichgelagerter Fehler ist in den Entscheidungsgründen auf Seite elf im ersten Satz des vierten Absatzes unterlaufen. Dort wurde als Datum des Mietbeitritts der „18.3.2021“ anstatt des „18.3.2013“ genannt.
79Dass es sich insoweit um eine offenbare Unrichtigkeit handelt, ist aus dem Tatbestand des Urteils ersichtlich. Bereits aus dem ersten Absatz des Tatbestands geht hervor, dass der Kläger die Eisdiele im März 2013 übernommen und in den fraglichen Räumlichkeiten betrieben hat.
803. Auf den Seiten 16 (vorletzter Absatz) und 19 (erster Absatz) sind überdies bei der Zitierung der Vorschrift der Anlaufhemmung Zahlendreher unterlaufen. Dort muss es statt „§ 170 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO“ richtigerweise § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO“ heißen.
814. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (vgl. BFH-Beschluss vom 10.2.2004 X B 75/03, BFH/NV 2004, 663).“