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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Die Klägerin ist als Rechtsanwältin selbstständig tätig. Mangels Abgabe von Steuererklärungen schätzte der Beklagte mit Bescheid vom 5.10.2021 die Besteuerungsgrundlagen zur Umsatzsteuer 2019 und mit Bescheid vom 7.10.2021 die Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer 2019. Dabei legte er einen Gewinn aus selbständiger Arbeit i.H.v. 30.800 € sowie Lieferungen und sonstige Leistungen zu 19 % i.H.v. 23.700 € zugrunde.
3Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Einspruch ein, eine Begründung werde sie nachreichen.
4Der Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 10.11.2021 unter Fristsetzung gemäß § 364b der Abgabenordnung (AO) bis zum 27.12.2021 dazu auf, ihre Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärung sowie eine Gewinnermittlung für das Jahr 2019 einzureichen.
5Mit Fax vom 27.12.2021, eingegangen beim Beklagten um 23.52 Uhr, reichte die Klägerin Vordrucke zur Einkommensteuer 2010 ein, die sie handschriftlich auf das Jahr 2019 geändert hatte. Bei dem gefaxten Vordruck handelt es sich um den unterschriebenen Mantelbogen, Angaben zu Einkünften sind nicht enthalten. Ebenfalls mit Fax vom 27.12.2021, vollständig eingegangen beim Beklagten am 28.12.2021 um 00.09 Uhr, reichte die Klägerin Vordrucke zur Umsatzsteuer 2010 ein, die sie handschriftlich auf das Jahr 2019 geändert hatte. Darin erklärte die Klägerin Umsätze zum allgemeinen Steuersatz i.H.v. 580 €, Umsatzsteuer darauf i.H.v. 110,24 € sowie abziehbare Vorsteuerbeträge i.H.v. 114 €. Der von der Klägerin ermittelte Vorsteuerüberhang betrug danach 3,35 €. Eine Gewinnermittlung oder Anlage EÜR wurde nicht übermittelt.
6Nach Hinweis auf die nicht fristgerechte Erfüllung der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen und die immer noch fehlende Gewinnermittlung wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 28.2.2022 als unbegründet zurück.
7Die Klägerin hat am Montag, den 4.4.2022 per Fax Klage erhoben. In ihrem Fax hat sie die Anträge angekündigt, die Einkommensteuer 2019 sowie die Umsatzsteuer 2019 „auf null Euro herabzusetzen“. Unter Vorlage einer Ablichtung einer notariellen Unterschriftsbeglaubigung vom 21.6.2022 hat sie später dargelegt, ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) lasse noch auf sich warten.
8Zur weiteren Begründung hat sie ausgeführt, dass „die Schätzungen“ des Beklagten hinsichtlich ihres Einkommens mit einem Betrag i.H.v. 30.800 € sowie der von ihr getätigten Lieferungen und Leistungen mit einem Betrag i.H.v. 23.700 € „in keinster Weise zutrafen“. Sie habe „keine Einkünfte von 30.800 € oder 23.700 €“ erzielt. Dies werde auch durch ihre Kontoauszüge bewiesen. Zum Nachweis reichte sie „zum Beispiel“ sämtliche Kontoauszüge eines Girokontos bei der Z-Bank A-Stadt für das gesamte Jahr 2019 ein. Ihre weiteren Kontoauszüge der Konten bei der Y-Bank und der X-Bank sähen genauso aus. Diese Auszüge für das komplette Jahr werde sie noch nachreichen.
9Ihre Steuererklärungen für die Streitjahre würden in wenigen Tagen durch einen Steuerberater erstellt und dann im Verfahren nachgereicht. Aufgrund privater Umstände, dem Todesfall ihrer Mutter im Februar, ihrem eigenen Gesundheitszustand und weiterer Umstände habe sie die Erklärungen bislang nicht einreichen können. Dies werde jetzt kurzfristig geschehen.
10Letztlich werde der Beklagte „sämtliche vereinnahmten Gelder für das Jahr 2019 wieder zurückzahlen“ müssen.
11Nachdem die Klägerin – auch unter Hinweis darauf, dass die eingereichten Kontoauszüge eines Girokontos keine Steuererklärung ersetzen können – erfolglos zweimal zur Abgabe der Steuererklärung bzw. zur näheren Begründung ihrer Klage aufgefordert worden war, hat die Berichterstatterin die Klägerin mit gerichtlicher Verfügung vom 1.6.2022 unter Fristsetzung bis zum 1.7.2022 gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, das Klagebegehren zu bezeichnen und gemäß § 79b Abs. 1 FGO diejenigen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung sich die Klägerin im Verwaltungsverfahren beschwert fühlt. Das Schreiben enthielt einen Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Fristversäumung und wurde der Klägerin am 3.6.2022 zugestellt.
12Mit Fax vom 1.7.2022 legte die Klägerin dar, dass das Ziel ihrer Klage „die Rückzahlung“ der gezahlten Einkommensteuer 2019 und Umsatzsteuer 2019 zuzüglich darauf jeweils gezahlter Säumniszuschläge sei. Es ginge ihr um „die Aufhebung der Bescheide“. Dass eine Schätzung erfolgt sei, sei nicht zu beanstanden, da keine Steuererklärung eingereicht worden sei. Es seien bei der Schätzung aber alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung seien. Vor allem zu berücksichtigen seien damit die Auskünfte ihrer Banken zu den Girokonten bei der Z-Bank A-Stadt, der Y-Bank und der X-Bank. Alle drei Konten wiesen „keine Einkünfte“ aus. Irgendwelche Hinweise, dass sie anderweitige Einkünfte gehabt hätte, existierten nicht. Dies habe seinen Grund in den Jahren 2017 und 2018. Nachdem sie davon Kenntnis erlangt habe, unter dem Schirm der Beobachtung des Beklagten zu stehen, habe sie ihre Tätigkeit „heruntergefahren“. Sie sei als Rechtsanwältin zur Verschwiegenheit verpflichtet. Eine Beobachtung, wie sie durch den Beklagten erfolgt sei, sei damit nicht in Einklang zu bringen. Eine Rechtsanwältin könne nicht in Ruhe arbeiten, wenn sie unter der Beobachtung einer solchen Behörde stehe. Die Schätzungen seien falsch. Man werde gar nicht anders können, als auszusprechen, dass sie für das Jahr 2019 weder Einkommensteuer noch Umsatzsteuer zahlen müsse.
13Mit Schreiben vom 7.7.2022 hat die Berichterstatterin die Klägerin darauf hingewiesen, dass die bisherigen Ausführungen sowie die Kontoauszüge eines Girokontos der Klägerin nicht ausreichend gewesen seien, das Klagebegehren hinreichend konkret zu bezeichnen. Sofern keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht komme, sei die Klage damit wegen des Fristablaufs unheilbar unzulässig. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens wird Bezug genommen.
14Die Klägerin hat daraufhin mit Schreiben vom 25.7.2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Fristverlängerung von zwei Wochen beantragt. Zur Begründung führt sie aus, es sei unmöglich gewesen, die gesetzte Frist bis zum 1.7.2022 einzuhalten. Das Finanzamt B-Stadt habe zunächst durch Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der Z-Bank A-Stadt vom 6.5.2022 ihr Girokonto mit der Nr. 000000 blockiert. Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung sei dann am 21.6.2022 das Konto bei der Y-Bank blockiert worden. Da sie nicht habe sicherstellen können, dass ein zu beauftragender Steuerberater auch bezahlt würde, sei sie nicht im Stande gewesen, einen dahingehenden Auftrag zur Abgabe ihrer Steuererklärungen zu erteilen. Erst mit Schreiben vom 21.7.2022 des Finanzamts B-Stadt seien ihre beiden Konten wieder frei geworden. Sie werden nun einen Auftrag an ein Steuerbüro erteilen und ihre Erklärungen innerhalb von 14 Tagen abgeben.
15Auch nach einem Hinweisschreiben auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit ihres Wiedereinsetzungsantrages verfolgt die Klägerin das Verfahren weiter. Sie vertritt die Auffassung, dass sie ohne ihre finanziellen Probleme in dem Zeitraum bis zum 1.7.2022, die Auflage des Gerichts hätte fristgerecht erfüllen können. Sie habe weder Betriebswirtschaftslehre noch Volkswirtschaftslehre, sondern nur Rechtswissenschaften studiert. Was den Begriff der Besteuerungsgrundlagen ausmache, sei ihr offensichtlich nicht bekannt. Ein Steuerberater hätte gewusst, worin sich dieser Begriff widerspiegelt und hätte das Thema vollständig in dem gebotenen Umfang erfüllen können. Sie habe erkannt, dass sie mit einem Thema konfrontiert werde, wo ihr das Wissen fehle. Aus diesem Grund habe sie auch eine Steuerberaterin aufgesucht. Da sie aber nicht habe sicherstellen können, diese auch bezahlen zu können, habe sie nach dem Gespräch mit der Steuerberaterin ihre Einkünfte und Ausgaben mit allen Belegen schließlich nicht mehr bei der Steuerberaterin abgeliefert. Daraufhin sei das Mandatsverhältnis mit der Steuerberatungsgesellschaft gekündigt worden.
16Zum Nachweis dafür reichte sie ein Kündigungsschreiben der Steuerberatergesellschaft C vom 15.7.2022 ein. In dem Schreiben wird ein Mandat für die „Abgabe der Steuererklärungen 2020 für die Grundstücksgemeinschaft D“ mit sofortiger Wirkung gekündigt. Zur Begründung wird dort u.a. ausgeführt, dass man wegen der Unzuverlässigkeit der Klägerin das Mandantschaftsverhältnis beende. Wegen Umstrukturierungsmaßnahmen fehle die Zeit sonst bei anderen Mandanten, die zuverlässig und pünktlich ihre Unterlagen zur Verfügung stellten.
17Die Beteiligten sind unter dem 19.8.2022 zur mündlichen Verhandlung am 19.9.2022 mit dem Hinweis geladen worden, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann. Die Ladung ist der Klägerin am 23.8.2022 zugestellt worden. In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin nicht erschienen. Sie hat dementsprechend keinen Antrag gestellt.
18Der erschienene Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen.
21Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegten Steuerakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe
23Das Gericht konnte trotz Nichterscheinens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden. Die Klägerin ist in der ordnungsgemäß am 23.8.2022 zugestellten Ladung auf die Regelung des § 91 Abs. 2 FGO hingewiesen worden, dass beim Ausbleiben im Termin zur mündlichen Verhandlung auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.
24Die Klage hat keinen Erfolg.
25I. Die Klage ist bereits unzulässig. Zwar ist sie zumindest formal ordnungsgemäß erhoben worden. Allerdings ist das Klagebegehren nicht innerhalb der Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO hinreichend bezeichnet worden und die Klägerin hat nicht fristgerecht angegeben, durch welche Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von Tatsachen im Verwaltungsverfahren sie sich beschwert fühlt, § 79b Abs. 1 FGO. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 65 Abs. 2 Satz 3, § 56 FGO) ist nicht zu gewähren.
261. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch professionelle Einreicher, u.a. Rechtsanwälte, eingereicht werden, sind seit dem 1.1.2022 gem. § 52d Abs. 1 Satz1 FGO als elektronisches Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg zu übermitteln. Die Klägerin, eine Rechtsanwältin, hatte per Fax Klage erhoben. Dies würde der Vorschrift des § 52d Abs. 1 Satz 1 FGO nicht genügen, da ihr grundsätzlich auch ein sicherer Übermittlungsweg i.S.d. § 52a Abs. 4 Nr. 2 FGO (beA) zur Verfügung gestanden hätte. Aus welchen Gründen die Klägerin diesen Übermittlungsweg nicht nutzte, kann vorliegend dahinstehen.
27Denn im Streitfall ist die Klägerin nicht als Berufsträgerin aufgetreten. Sie hat bei der Klageerhebung weder einen Briefkopf ihrer Kanzlei benutzt, noch unter Nutzung ihrer Berufsbezeichnung unterschrieben. Vielmehr hat sie als natürliche Person Klage erhoben und nicht in ihrer Berufsausübung. Die klare Differenzierung wird dadurch gestützt, dass die Klägerin im Vorverfahren, bei der Verfassung ihres Einspruchsschreibens, ihren Kanzlei-Briefkopf verwendet hatte und unter ihrem Namen und ihrer Unterschrift die Berufsbezeichnung „Rechtsanwältin“ verwendete.
28Es ist einem Berufsträger möglich, auch ohne Nutzung einer elektronischen Übermittlung via beA formgerecht Klage per Fax zu erheben, wenn bei Gericht nicht als professioneller Einreicher in Erscheinung getreten wird, sondern von dem Selbstvertretungsrecht gem. § 62 Abs. 1 FGO Gebrauch gemacht wird (so wohl auch Schallmoser in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 267. Lieferung 3/2022, § 52d, Rn. 15 für das Beispiel eines Steuerberaters mit Doppelqualifikation, der nur als Steuerberater auftritt; Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 23.8.2022 VIII S 3/22, BFHE nn stellt ebenfalls ausdrücklich darauf ab, dass als Berufsträger aufgetreten wird).
292. Die Klage ist aber unzulässig, weil die Klägerin den Gegenstand des Klagebegehrens nicht innerhalb der ihr gesetzten Ausschlussfrist hinreichend bezeichnet hat.
30Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage u.a. den Gegenstand des Klagebegehrens enthalten. Genügt eine Klage diesem Erfordernis nicht, so kann der Berichterstatter dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Wird diese Frist versäumt, so ist die Klage – vorbehaltlich der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) – endgültig unzulässig (BFH-Urteil vom 8.7.1998 I R 23/97, BStBl II 1998, 628).
31Im Streitfall hat die Klägerin in der Klageschrift eine "Aufhebung" der angefochtenen Bescheide und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen bzw. eine „Nullfestsetzung“ beantragt und zugleich die Einreichung von Steuererklärungen angekündigt. Durch diese Angaben ist das Klagebegehren nicht i.S. des § 65 Abs. 1 FGO bezeichnet worden.
32a) Die von § 65 Abs. 1 FGO geforderte "Bezeichnung des Klagebegehrens" ist der Sache nach identisch mit der "Bestimmung des Streitgegenstandes", die § 65 Abs. 1 FGO in seiner früher geltenden Fassung dem Kläger aufgab (BFH-Urteile vom 12.9.1995 IX R 78/94, BStBl II 1996, 16; vom 27.7.1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, m.w.N.). Für die nähere Bestimmung derjenigen Angaben, durch die das Klagebegehren i.S. des § 65 Abs. 1 FGO ausreichend bezeichnet wird, kann folglich ohne weiteres auf die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.
33Nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH muss zur Bestimmung des Streitgegenstandes substantiiert dargelegt werden, inwieweit der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und eine Rechtsverletzung vorliegt (BFH-Beschluss vom 26.11.1979 GrS 1/78, BStBl II 1980, 99).
34b) Welche Angaben hiernach für eine Bezeichnung des Klagebegehrens i.S. des § 65 Abs. 1 FGO ausreichen, bestimmt sich zwar immer nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Jedenfalls gilt aber, dass die bloße Ankündigung eines Sachvortrags hierfür ebenso wenig ausreicht wie der allgemeine Hinweis, die Besteuerungsgrundlagen seien zu hoch geschätzt worden (BFH-Urteil vom 12.9.1995 IX R 78/94, BStBl II 1996, 16). Dasselbe muss indessen dann gelten, wenn in einem Schätzungsfall eine „Nullfestsetzung“ bzw. "Aufhebung" der Schätzungsbescheide beantragt wird, in der Sache aber erkennbar eine Herabsetzung der Steuer nach Maßgabe von noch abzugebenden Steuererklärungen begehrt wird oder es zumindest Anhaltspunkte dafür gibt.
35Denn in dieser Situation liegt dem Gericht zwar der Form nach ein konkreter Antrag vor, der zugleich ein eindeutiges Klagebegehren beinhalten könnte (vgl. BFH-Urteil vom 24.7.1997 V R 65/96, BFH/NV 1998, 324). Hierauf kann es jedoch nicht entscheidend ankommen, wenn das übrige Vorbringen darauf hindeutet, dass der Wortlaut des Antrags das tatsächliche Klageziel nicht korrekt wiedergibt. Dann muss nämlich der anerkannte Grundsatz durchgreifen, dass die Auslegung einer Klageschrift sich vorrangig nicht an deren Wortlaut, sondern vor allem an dem erkennbaren tatsächlichen Ziel des Klägers orientieren muss (BFH-Urteil vom 8.7.1998 I R 23/97, BStBl II 1998, 628).
36Eine Klage gegen einen Schätzungsbescheid, mit der dessen "Aufhebung" begehrt wird, kann zwar im Einzelfall – etwa weil die Steuerpflicht dem Grunde nach bestritten wird – genau dieses Ziel haben. Hierbei handelt es sich jedoch um eine atypische Konstellation, deren Vorliegen nur dann angenommen werden kann, wenn das "Aufhebungs-Begehren“ durch entsprechende inhaltliche Ausführungen näher konkretisiert wird. Anderenfalls wird eine solche Klage in der Regel dahin zu verstehen sein, dass – abweichend vom Wortlaut der Klageschrift – nicht eine (vollständige) Aufhebung, sondern (nur) eine inhaltliche Änderung des angefochtenen Bescheids begehrt wird. Zumindest bleibt dies offen, solange der Antrag auf "Aufhebung" des Bescheids nicht näher erläutert wird (BFH-Urteil vom 23.1.1997 IV R 84/95, BStBl II 1997, 462). Auch der Umfang der ggf. begehrten Änderung ist unklar, solange weder die ausstehende Steuererklärung abgegeben noch auf andere Weise die angestrebte Steuerfestsetzung präzisiert wird (Finanzgericht - FG - München, Urteil vom 15. Mai 2014, 5 K 2387/13, juris).
37Damit ist das Gericht nicht in der Lage, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu bestimmen oder überhaupt zu erkennen, über welche Streitpunkte es entscheiden soll. Eine Klage, die hierüber keinen Aufschluss gibt, ist indessen unzulässig (BFH-Beschluss vom 26.11.1979 GrS 1/78, BStBl II 1980, 99; BFH-Beschluss vom 10.8.1995 X B 283/94, BFH/NV 1996, 57).
38c) Für die im Streitfall zu beurteilende Klage ergibt sich hieraus folgendes:
39In der Klageschrift hatte die Klägerin zwar eine “Nullfestsetzung“ und eine "Aufhebung" der ihr gegenüber ergangenen Schätzungsbescheide beantragt. Aus ihrem Vorbringen ergaben sich auch Anhaltspunkte dafür, dass sie tatsächlich eine (vollständige) Aufhebung der Bescheide erstrebte. Dies war aber nicht eindeutig erkennbar, da die Angaben der Klägerin teilweise widersprüchlich und vor allem nicht eindeutig waren.
40Insbesondere aus den der Klageschrift beigefügten Einspruchsentscheidungen war erkennbar, dass die Klägerin unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen veranlagt worden war; dies ließ mangels eindeutiger anderen Angaben der Klägerin auch die Möglichkeit zu, dass ihrer Vorstellung nach nur die Schätzungsergebnisse korrigiert werden sollten. Dieser Eindruck wurde durch die Ankündigung der Einreichung von Steuererklärungen im Klageverfahren unterstützt. Dafür sprachen zudem die Einreichung ihrer Kontoauszüge und der Hinweis darauf, dass daraus erkennbar sei, dass sie „keine Einkünfte von 30.800 € oder 23.700 € gehabt habe“. Die Kontoauszüge und diese Formulierung suggerierten, dass Einkünfte geringerer Höhe erzielt worden sein sollten. Gleiches gilt für die Formulierung in der Klageschrift, dass „die Schätzungen des Beklagten in keinster Weise zutrafen“.
41Später behauptete sie zwar, dass sie „keine Einkünfte“ gehabt habe und deshalb die Aufhebung beantrage, was sich aus den eingereichten Kontoauszügen ergebe. Die eingereichten Kontoauszüge nur eines Girokontos weisen aber (zwar bei geringen Kontoständen von ganzjährig um die 10 €) geringfügige Bargeldeinzahlungen (bis zu einmalig max. 35 €) aus. Dies kann auf – wenn auch geringe – Einnahmen der Klägerin schließen lassen. Zudem hatte die Klägerin in der (verspätet) übermittelten Umsatzsteuererklärung im Einspruchsverfahren zumindest geringfügige Umsätze und Vorsteuerbeträge eingetragen. Sie hatte darüber hinaus ausgeführt, ihre Tätigkeit „heruntergefahren“ zu haben. Sofern die Klägerin keine berufliche Tätigkeit mehr ausgeübt hätte, hätte es nahegelegen, an dieser Stelle von einer Einstellung ihrer Tätigkeit zu sprechen.
42Es war für das Gericht mithin nicht eindeutig erkennbar, ob die Klägerin nun wirklich eine vollständige Aufhebung der Bescheide, eine Nullfestsetzung, eine Verlustfeststellung, die Festsetzung eines Erstattungsbetrages oder eine Änderung nach Maßgabe ihrer in der Klageschrift angekündigten Steuererklärungen begehrte. Dies genügte, da weitere Angaben zum konkreten Umfang der begehrten Korrektur fehlten, den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO nicht.
43d) Das Setzen der Ausschlussfrist war auch nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO rechtmäßig erfolgt.
44Diese erfolgte erst nach zweimaliger formlose Fristsetzung (obwohl das Gesetz eine solche nicht verlangt, § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die demgemäß gesetzte Ausschlussfrist bis zum 1.7.2022 war angemessen (vgl. BFH-Beschluss vom 17.10.1996 V B 75/96, BFH/NV 1997, 415), und zwar insbesondere angesichts des Umstandes, dass es letztlich um die Abgabe von Steuererklärungen für das Streitjahr 2019 ging und dass die hierfür vorgesehenen gesetzlichen Fristen (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO) bereits im Zeitpunkt der Fristsetzung um fast 2 Jahre überschritten waren.
45Innerhalb der Ausschlussfrist hat die Klägerin ihr Klagebegehren nicht weiter präzisiert; im Gegenteil wurde durch ihren Hinweis auf die noch abzugebenden Steuererklärungen und die Ankündigung diverser Kontoauszüge der aus der Klageschrift resultierende Eindruck bestätigt, dass es ihr um eine inhaltliche Änderung der Veranlagungen ging und dass sie den Umfang der begehrten Änderung nach wie vor nicht konkret angeben konnte.
46e) Der Klägerin war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
47Wird eine Ausschlussfrist zur Ergänzung der nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO erforderlichen Angaben versäumt, so verbleibt zwar grds. gem. § 65 Abs. 2 Satz 3 FGO die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
48Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 56 Abs. 1 FGO voraus, dass die Klägerin ohne Verschulden verhindert war, die Ausschlussfrist einzuhalten. Gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 und 3 FGO ist innerhalb der Antragsfrist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die Bezeichnung der in der richterlichen Aufforderung benannten Muss-Erfordernisse i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO (z.B. des Gegenstands des Klagebegehrens) als versäumte Rechtshandlung nachzuholen; zugleich sind gem. § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO zumindest die Tatsachen anzugeben, aus denen sich die Wiedereinsetzungsgründe ergeben. Für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden hohe Anforderungen an die vom Kläger vorzutragenden Entschuldigungsgründe gestellt (Paetsch in: Gosch, AO/FGO, 111. Lieferung 9/2014, § 65 FGO, Rn. 134).
49Die Klägerin hat vorliegend schon keinen Wiedereinsetzungsgrund dargelegt. Denn das von ihr beschriebene Hindernis ist bereits nicht ursächlich für die Fristversäumung, dies ist aber Grundvoraussetzung des § 56 Abs. 1 FGO (Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 154. Lieferung 10/2018, § 110 AO, Rn. 28).
50Die Klägerin hat vorgetragen, dass es ihr wegen ihrer fehlenden Kenntnisse des Steuerrechts nicht möglich gewesen sei, das Klagebegehren ohne Unterstützung eines Steuerberaters zu bezeichnen. Einen solche habe sie wegen ihrer beiden gepfändeten Konten nicht beauftragen können, da sie nicht zur Bezahlung imstande gewesen sei.
51Zunächst sind Kenntnisse des Steuerrechts nicht erforderlich, um das Klagebegehren zu bezeichnen. Voraussetzung ist lediglich, dass Tatsachen beschrieben werden, aus denen die Rechtsverletzung abgeleitet wird. Eine laienhafte Beschreibung des konkreten Umfangs der begehrten Änderung wäre ausreichend gewesen. Dies gilt vorliegend erst Recht dann, wenn sie wie nach ihrem eigenen Vortrag entweder keine Einkünfte oder lediglich Ausgangsumsätze von 580 € und Eingangsumsätze von 600 € zu versteuern hätte (114 € geltend gemachte Vorsteuer bei 19%igen Steuersatz).Unkenntnis des materiellen Rechts begründet auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig keine Wiedereinsetzung, da die Unkenntnis grundsätzlich nicht daran hindert, eine Frist einzuhalten (BFH-Beschluss vom 12. Juni 2007 VI B 14/07, BFH/NV 2007, 1626).
52Zudem unterhielt die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag drei Girokonten, die Pfändungen beziehen sich nur auf zwei Konten. Es hätte – bei unterstellter Kausalität – zumindest auch einer Glaubhaftmachung bedurft, dass ihr wirklich keinerlei finanzielle Mittel zur Verfügung standen.
53Die zusätzlich eingereichte Kündigung eines Mandatsverhältnisses bezieht sich auf die Mandatierung zur Erstellung einer Steuererklärung für eine Grundstücksgemeinschaft für das Jahr 2020. Als Kündigungsgrund wird dort explizit dargelegt, dass die Klägerin nicht zuverlässig notwendige Unterlagen zur Verfügung stellte. Ausstehende Zahlungen o.ä. werden dort nicht erwähnt.
54Letztendlich wäre die Fristversäumung aber auch bei Zugrundelegung ihres Vortrags nicht unverschuldet gewesen.
55"Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Wegen unverschuldeten Rechtsirrtums kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gewährt werden, wenn sich der Irrtum auf die Frist selbst oder die Form der Fristwahrung bezieht. Irrtümer über das Wesen einer Ausschlussfrist oder Unkenntnis über materielles Recht begründen dagegen eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht (BFH-Urteil vom 29.11.2006 VI R 48/05, BFH/NV 2007, 861; BFH-Beschluss vom 12.6.2007 VI B 14/07, BFH/NV 2007, 162; BFH-Beschluss vom 20.10.2011 V B 15/11, BFH/NV 2012, 247). So liegt es hier, denn der Klägerin war das Wesen der Ausschlussfrist bekannt und sie stellt nur darauf ab, dass sie keine ausreichenden Kenntnisse zur Bezeichnung ihres Klagebegehrens gehabt habe. Wie bereits ausgeführt, hätte es dazu aber keines Steuerberaters bedurft.
56Es wäre der Klägerin schließlich auch möglich gewesen, Fristverlängerung der Ausschlussfrist zu beantragen, wenn wirklich erhebliche Gründe vorgelegen hätten, die eine fristgerechte Beantwortung verhindert hätten.
572. Darüber hinaus ist die Klage jedenfalls auch wegen der Versäumung der Frist des § 79b Abs. 1 FGO unzulässig.
58Die Klage ist nach § 40 Abs. 2 FGO nämlich nur zulässig, wenn die Klägerin geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes in ihren Rechten verletzt zu sein. Dazu bedarf es nach § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO der Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren die Klägerin sich beschwert fühlt.
59Tatsachen zur Beschwer sind erst dann gegeben, wenn dem Gericht so viele sachverhaltsmäßige Erläuterungen gegeben worden sind, dass es die Streitpunkte wenigstens in ihren Grundzügen erkennen kann (vgl. BFH-Urteil vom 12.9.1995 IX R 78/94, BStBl II 1996, 16).
60Dies ist nicht möglich, weil die Klägerin der Anordnung des Gerichts nicht nachgekommen ist. Welche Einkünfte der Besteuerung statt der geschätzten Beträge zugrunde zu legen sind, hat die Klägerin immer noch nicht dargelegt. Jedenfalls ist auch die Angabe „keine Einkünfte“ gehabt zu haben nicht hinreichend substantiiert worden und steht im Widerspruch zu den eingereichten Kontoauszügen und zum Akteninhalt. Es fehlt weiterhin auch an einer Gewinnermittlung.
61Eine Wiedereinsetzung kam (entsprechend obiger Begründung) auch hier nicht in Betracht.
624. Lediglich nachrichtlich ist für die Klägerseite anzumerken, dass die Klage – ihre Zulässigkeit unterstellt – unbegründet gewesen wäre.
63Die Schätzungsbescheide sind nicht zu beanstanden, weder dem Grunde noch der Höhe nach und ohne dass es auf § 364b AO ankäme. Eine Schätzung erweist sich erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige – wie im Streitfall – seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 170. Lieferung 5/2022, § 162 AO, Rn. 99). Eine Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen (z.B. BFH-Urteil vom 1.10.1992 IV R 34/90, BStBl II 1993, 259).
64Im Streitfall bewegen sich die Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen innerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens und enthalten keine Fehler, die zur Nichtigkeit führen würden.
65Aus den vorliegenden Akten ergibt sich, dass die Voranmeldungsdaten der Klägerin zur Schätzung herangezogen wurden und zumindest im Mai Umsätze i.H.v. 546 € vorangemeldet worden waren. Die übrigen Voranmeldungen waren mit 7.000 € geschätzt worden, wie auch die Vorjahresergebnisse der Klägerin mit 29.000 €. Die zugrunde gelegten Werte in den angefochtenen Bescheiden sind auf dieser Datenlage nur moderat erhöht worden. Auch ein Gewinn, der über den geschätzten Umsätzen liegt, ist durch das Zusammenspiel wirtschaftlicher Gegebenheiten denkbar und daher kein grober Fehler, der zur Nichtigkeit führt. Ein höherer Gewinn als die geschätzten Umsätze kann nämlich auf z.B. der Hinzurechnung von Investitionsabzugsbeträge o.ä. beruhen.
66Es ist nicht ersichtlich, wie die Klägerin ihren Lebensunterhalt bestritten hat. Mit den geschätzten Umsätzen wäre es ihr der Höhe nach möglich gewesen, einen bescheidenen Lebensstil zu pflegen. Zudem gibt es zumindest geringe Bargeldeinzahlungen auf das eine der drei erwähnten Girokonten. Ferner ergeben sich aus der Mandatskündigung Anhaltspunkte auf etwaige Einkünfte aus einer Grundstücksgemeinschaft im Jahr 2020, diese könnte auch schon im Streitjahr 2019 bestanden und zu Einkünften geführt haben. Weitere Unterlagen oder eine Gewinnermittlung liegen nicht vor.
67II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.