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Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
Der Erbschaftsteuerbescheid vom 20. September 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 wird aufgehoben, soweit der Vorerwerb der Klägerin bezüglich des Anteils an der Eigentumswohnung in der F.-straße in A. mit mehr als mit ... € angesetzt worden ist und die Belastung mit dem Nießbrauch nicht mit ... € erwerbsmindernd berücksichtigt worden ist sowie soweit hinsichtlich des Erwerbs der Klägerin durch Erbanfall eine Ausgleichsverpflichtung der Erblasserin gegenüber dem Zeugen L. nicht mit ... € als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt worden ist.
Die Festsetzung des Verspätungszuschlags mit dem Bescheid vom 20. September 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 wird aufgehoben.
Die Klägerin und der Beklagte tragen jeweils 50 % der Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Erblasserin und ihr Ehemann, der Zeuge V. L., waren zu jeweils ¼ Anteil Miteigentümer einer Eigentumswohnung nebst Tiefgaragenstellplatz in der J.-straße in A. (später: F.-straße N03) (Bl. N01 des Wohnungsgrundbuchs und Bl. N02 des Teileigentumsgrundbuchs von C., Amtsgericht A.). Mit notarieller Urkunde vom 9. Dezember 2014 übertrugen die Erblasserin und der Zeuge L. ihre ¼-Miteigentumsanteile auf die Klägerin und behielten sich an dem jeweils von ihnen übertragenen Miteigentumsanteil einen lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch vor. Einen für den überlebenden Veräußerer auf den Tod des erstversterbenden Veräußerers aufschiebend bedingten Nießbrauch an dem von dem Erstversterbenden übertragenen Anteil behielten sich die Erblasserin und der Zeuge V. L. ausdrücklich nicht vor (§ 2 der notariellen Urkunde).
3Die Erblasserin verstarb am 00.00.2016. Sie wurde von dem Zeugen V. L. zu einem Anteil von ½ und von der Klägerin sowie ihrem Bruder zu einem Anteil von jeweils ¼ beerbt.
4Das beklagte Finanzamt forderte die Klägerin mit Schreiben vom 24. Mai 2017 zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung mit Fristsetzung bis zum 26. Juni 2017 auf. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, schätzte das beklagte Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen und setzte mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ... € Erbschaftsteuer sowie einen Verspätungszuschlag von ... € fest.
5Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Am 10. November 2017 reichte sie eine Erbschaftsteuererklärung ein.
6Das beklagte Finanzamt setzte mit Bescheid vom 20. September 2018 die Erbschaftsteuer auf ... € und den Verspätungszuschlag auf ... € neu fest. Es teilte der Klägerin mit Schreiben vom 21. November 2018 mit, der Verspätungszuschlag bewege sich mit etwa 4 % der festgesetzten Steuer im unteren Bereich des Ermessensspielraums. Eine weitergehende Herabsetzung komme nicht in Betracht. Den Schwierigkeiten bei der Erstellung der Erbschaftsteuererklärung sei bereits durch die Einräumung entsprechender Fristen Rechnung getragen worden. Dass der Bruder der Klägerin einzelne Fragen nicht habe beantworten können, rechtfertige die Nichtabgabe der Erklärung nicht.
7Das beklagte Finanzamt setzte mit Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 die Erbschaftsteuer auf ... € und den Verspätungszuschlag auf ... € fest. Es setzte den Vorerwerb der Klägerin vom 9. Dezember 2014 mit zweimal ... € an. Ferner schätzte es die Werte der Fondsbeteiligungen auf Grund von Internetrecherchen sowie unter Ansatz von im Todesjahr von der Erblasserin erzielter Einkünfte wie folgt: Nordcapital ... €, DCM ... €, Blue Capital ... € und Bayernfonds ... €.
8Die Klägerin hat Klage erhoben, mit der sie beantragt hat, den Erbschaftsteuerbescheid vom 20. September 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 sowie die Festsetzung des Verspätungszuschlags aufzuheben. Sie hat vorgetragen: Die ergangenen Steuerbescheide seien verfassungswidrig, weil keine gesetzliche Grundlage für die Festsetzung der Erbschaftsteuer mehr bestanden habe. Die Schätzung der Werte für die Fondsbeteiligungen sei willkürlich. Die Werte hätten einheitlich und gesondert festgestellt werden müssen.
9Das beklagte Finanzamt habe ihren Vorerwerb betreffend die Wohnung F.-straße N03 zweifach berücksichtigt. Im Übrigen habe an der Eigentumswohnung in Höhe von ¼ ein Nießbrauch zugunsten der Erblasserin bestanden, der auf den Zeugen V. L. übergegangen sei. Der Jahreswert des Nießbrauchs betrage ausweislich der von ihr übersandten Feststellungserklärung ... €. Bei der Berechnung des Kapitalwerts des Nießbrauchs sei ein Zinssatz von 1 % anzusetzen, weil der gesetzlich vorgesehene Zinssatz von 5,5 % verfassungswidrig sei.
10Bei zahlreichen Konten handele es sich um Kautionskonten von Mietern. Die entsprechenden Guthaben könnten nicht der Erblasserin zugerechnet werden. So habe es sich bei den bei der Bank R. geführten Konten – bis auf das Konto N04 – um Mietkautionskonten gehandelt. Bei dem Konto N05 handele es sich um ein Konto, auf dem der Zeuge V. L. Mietkautionen für Appartements in der Q.-straße in P. hinterlegt habe. Die Appartements gehörten ihrem Bruder und ihr, seien jedoch von ihrem Vater, dem Zeugen V. L., als Testamentsvollstrecker über den Nachlass ihres Großvaters verwaltet worden.
11Sie begehre zudem die Steuerermäßigung des § 13d des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) grundsätzlich für alle Vorerwerbe und den in den Nachlass fallenden Grundbesitz mit Ausnahme des in I. belegenen Grundstücks. Es habe sich um Grundbesitz gehandelt, der zu Wohnzwecken genutzt werde. Eine Besonderheit gelte für das Grundstück H.-straße, bei dem es sich um das Hausgrundstück handele, das von der Erblasserin und ihrem Vater zu Wohnzwecken genutzt worden sei. Nach dem Tod der Erblasserin habe ihr Vater das Hausgrundstück etwa zwei Jahre lang genutzt. Nach dem Auszug ihres Vaters habe das Haus zunächst einige Zeit leer gestanden und sei dann vermietet worden. Derzeit beabsichtige sie, in das Haus einzuziehen.
12Erwerbsmindernd sei zudem noch ein Ausgleichsanspruch des Zeugen V. L. in Höhe von ½ wegen einer Darlehensrückzahlungsverbindlichkeit von ... € zu berücksichtigen. Die Erblasserin und der Zeuge L. seien zu jeweils ½ Miteigentümer eines Mehrfamilienhauses in der U.-straße in X. gewesen. Der Zeuge L. habe das Darlehen für Instandsetzungsarbeiten an dem Dach des Hauses aufgenommen, die Erblasserin sei im Innenverhältnis jedoch zum Ausgleich verpflichtet gewesen. Die Erblasserin und der Zeuge L. hätten das Hausgrundstück Ende des Jahres 2014 verkauft. Der Verkaufserlös sei für eine Sondertilgung für ein Darlehen verwendet worden, das für die Finanzierung einer Eigentumswohnung in A. in der Y.-straße aufgenommen worden sei. Diese Wohnung habe zu jeweils ½ ebenfalls ihren Eltern gehört. Die Erblasserin habe auch noch nach der Veräußerung des Hausgrundstücks U.-straße Tilgungsleistungen erbracht. Aus den von ihr übersandten Auszügen für das bei der Bank R. geführte Girokonto Nr. N04, bei dem es sich um ein Gemeinschaftskonto gehandelt habe, ergebe sich, dass auch die Erblasserin die Hälfte der Tilgungsleistungen erbracht habe. Nach dem Tod der Erblasserin habe der Zeuge V. L. die Darlehensrückzahlungsverbindlichkeit übernommen. Zum Ausgleich habe er im Rahmen der Erbauseinandersetzung andere Vermögensgegenstände, wie insbesondere einen höheren Anteil an den Fonds-Beteiligungen erhalten.
13Die Festsetzung des Verspätungszuschlags sei rechtswidrig. Der Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung sei nicht ursächlich für die spätere Festsetzung der Erbschaftsteuer gewesen. Durch die leicht verspätete Abgabe der Erbschaftsteuererklärung sei kein Schaden entstanden. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum sich das beklagte Finanzamt an der Obergrenze des Ermessensspielraums orientiere. Die Festsetzung des Verspätungszuschlags könne nicht dem Ziel dienen, sie zur fristgerechten Abgabe der Erbschaftssteuererklärung anzuhalten, weil sie voraussichtlich keine weitere Erbschaftsteuererklärung abzugeben habe.
14Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2021 haben die Beteiligten eine tatsächliche Verständigung dahingehend getroffen, dass die Fondsanteile Nordcapital mit ... €, DCM mit ... €, Bayernfonds mit ... € und Blue Capital mit ... € angesetzt werden. Ferner sicherte das beklagte Finanzamt zu, die Fondsbeteiligung DCM in Höhe von 10 % hinsichtlich des Wertes zu vermindern. Das beklagte Finanzamt sicherte zudem zu, dass die teilweise Steuerbefreiung nach § 13c ErbStG bzw. § 13d ErbStG hinsichtlich des Vorerwerbs der Klägerin sowie hinsichtlich der Eigentumswohnungen in R., W.-straße sowie in A., Y.-straße berücksichtigt wird. Darüber hinaus sicherte das beklagte Finanzamt zu, die Steuerfestsetzung dergestalt zu ändern, dass die bei der Bank R. geführten Konten mit den Endziffern N06, N09 sowie N07 nicht mehr als Erwerbsgegenstand nach der Erblasserin angesetzt werden.
15Die Beteiligten haben sodann den Rechtsstreit hinsichtlich der Streitpunkte, über die sie eine Einigung erzielt haben, übereinstimmend insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
16Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2022 hat der Vertreter des beklagten Finanzamts zugesagt, den angefochtenen Steuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung dergestalt zu ändern, dass das bei der Bank R. geführte Konto mit den Endziffern N05 nicht mehr zu ½ als Erwerbsgegenstand nach der Erblasserin angesetzt wird. Die Beteiligten haben daraufhin auch insoweit den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
17Die Klägerin beantragt,
181. den Steuerbescheid vom 20. September 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 aufzuheben,
soweit ihr Vorerwerb hinsichtlich der Eigentumswohnung F.-straße mit mehr als mit ... € angesetzt worden ist und eine Belastung mit einem Nießbrauch nicht mit ... € berücksichtigt worden ist,
21soweit eine Ausgleichsverpflichtung von ½ wegen einer Darlehensrückzahlungsverbindlichkeit von ... € nicht erwerbsmindernd berücksichtigt worden ist;
222. die Festsetzung des Verspätungszuschlags mit dem Bescheid vom 20. September 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 aufzuheben.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Zur Begründung trägt es vor: Der Vorerwerb betreffend die Wohnung F.-straße N03 sei nur einmal zu berücksichtigen. Insoweit seien allerdings die festgestellten Werte für den Anteil an der Wohnung von ... € und den Tiefgaragenstellplatz von ... € anzusetzen. Die Belastung des Vorerwerbs der Klägerin mit einem Nießbrauch an der Wohnung könne nach § 14 Abs. 1 Satz 3 BewG nur unter Anwendung eines Zinssatzes von 5,5 % berücksichtigt werden. Mietkautionskonten seien nicht als Nachlassvermögen erfasst worden. Ein Ausgleichsanspruch des Zeugen V. L. wegen der Aufnahme eines Darlehens für das Hausgrundstück U-straße in X. könne nicht erwerbsmindernd berücksichtigt werden, weil die Erblasserin ein derartiger Anspruch nicht wirtschaftlich belastet habe.
27Der Senat hat Beweis durch die Vernehmung des Zeugen V. L. erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Februar 2022 Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einzustellen, soweit der Rechtsstreit auf Grund der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten in der Hauptsache erledigt ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11. Juni 2019 6 A 2.17, NVwZ 2019, 1211).
30Die Klage ist überwiegend begründet. Der Erbschaftsteuerbescheid vom 20. September 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit ihr Vorerwerb bezüglich des Anteils an der Eigentumswohnung in der F.-straße in A. mit mehr als mit ... € angesetzt worden ist und die Belastung mit dem Nießbrauch nicht mit ... € erwerbsmindernd berücksichtigt worden ist sowie soweit hinsichtlich des Erwerbs der Klägerin durch Erbanfall eine Ausgleichsverpflichtung der Erblasserin gegenüber dem Zeugen L. nicht mit ... € als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt worden ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
31Der Erwerb der Klägerin von Todes wegen unterliegt nach den §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2016 (BGBl I, 2464) der Erbschaftsteuer.
32Der gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG hinzuzurechnende Vorerwerb der Klägerin vom 9. Dezember 2014 hinsichtlich des Anteils an der Eigentumswohnung in der F.-straße N03 ist unstreitig mit ... € + ... € anzusetzen (Feststellungsbescheide des Finanzamt A. vom 4. September 2018). Insoweit hat das beklagte Finanzamt eingeräumt, dass eine Doppelerfassung vorliegt (Bl. 145 GA). Der Gesamtwert von ... € ist um den anteiligen Wert des der Erblasserin eingeräumten Nießbrauchs zu vermindern (vgl. BFH, Urteil vom 28. Mai 2019 II R 4/16, BFHE 265, 408). Nach dem Vertrag vom 9. Dezember 2014 ist der Nießbrauch an dem Anteil der Erblasserin nicht aufschiebend bedingt durch ihren Tod auf den Zeugen L. übergegangen, sondern erloschen (§ 1061 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –). Die Erblasserin und der Zeuge L. haben sich nach § 2 der notariellen Urkunde vom 9. Dezember 2014 nur an dem jeweils von ihnen übertragenen ¼-Miteigentumsanteil einen lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch vorbehalten. Einen für den überlebenden Veräußerer auf den Tod des erstversterbenden Veräußerers aufschiebend bedingten Nießbrauch an dem von dem Erstversterbenden übertragenen Anteil haben sich die Erblasserin und der Zeuge L. ausdrücklich nicht vorbehalten.
33Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 2. August 2021 den Jahreswert des Nießbrauchs mit ... € ermittelt. Dieser Jahreswert ist allerdings noch durch ¼ zu dividieren, weil die Erblasserin ausweislich des Feststellungsbescheids vom 24. Januar 2018 (Bl. 223 GA) nur zu ¼ an der Grundstücksgemeinschaft beteiligt war. Es ergibt sich mithin ein Jahreswert von ... € (¼ x ... €), der gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 und 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) nur mit einem gekürzten Wert berücksichtigt werden kann, weil es sich um eine Nutzungsauflage handelt (vgl. BFH, Beschluss vom 5. Juli 2018 II B 122/17, BFHE 262, 163). Der Nießbrauch hat lediglich 1 ½ Jahre bestanden (von Dezember 2014 bis zum Juli 2016), so dass der Jahreswert von ... € (¼ x ... €) mit 1 ½ zu multiplizieren ist. Es ergibt sich mithin ein abzuziehender Wert des Nießbrauchs von ... €.
34Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Anwendung des in § 14 Abs. 1 Satz 3 BewG vorgesehenen Zinssatzes von 5,5 % verfassungswidrig sei, kommt es hierauf wegen der Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 1 und 3 BewG nicht mehr an.
35Die Klägerin kann auch den Abzug eines Ausgleichsanspruchs des Zeugen V. L. in Höhe von ½ wegen einer Darlehensrückzahlungsverbindlichkeit von ... € beanspruchen. Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind als Nachlassverbindlichkeiten unter anderem die vom Erblasser herrührenden Schulden abzugsfähig, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder Anteil an einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind. Der Abzug der vom Erblasser herrührenden persönlichen Verbindlichkeiten, die gemäß § 1967 BGB auf den Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten setzt voraus, dass die Verbindlichkeiten rechtlich bestanden und den Erblasser im Zeitpunkt seines Todes (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 11 ErbStG) wirtschaftlich belasteten (BFH, Urteile vom 2. März 2011 II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147 Randnr. 83; vom 4. Juli 2012 II R 15/11, BFHE 238, 233 Randnr. 17).
36Wie sich aus dem Vortrag der Klägerin sowie aus den mit Schriftsatz vom 2. November 2020 übersandten Belegen der Bank R. betreffend das Darlehenskonto N08 ergibt, hat der Zeuge V. L. dieses Darlehen für Instandsetzungsarbeiten an dem Dach des Hauses U.-straße in X. aufgenommen. Schuldner des Rückzahlungsanspruchs (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) war mithin der Zeuge V. L. und nicht die Erblasserin. Da die Erblasserin Miteigentümerin zu ½ des Hausgrundstücks U.-straße war, war sie im Innenverhältnis dem Zeugen V. L. gegenüber gemäß § 748 BGB zum Ausgleich verpflichtet. Trägt ein Ehegatte, der in Bruchteilsgemeinschaft gemeinsam mit dem anderen Ehegatten Miteigentümer eines Hausgrundstücks ist, Kosten der Erhaltung im Einverständnis mit dem Ehegatten, für die er eine Darlehensverbindlichkeit eingegangen ist, entspricht es im Zweifel dem Willen der Beteiligten, dass der Teilhaber, der die Aufwendungen zugunsten der Gemeinschaft macht, gegen den anderen Teilhaber einen anteiligen Ausgleichsanspruch gemäß § 748 BGB hat (Bundesgerichtshof – BGH –, Urteil vom 9. Oktober 1991 XII ZR 2/90, NJW 1992, 114; Brandenburgisches Oberlandesgericht – OLG –, Beschluss vom 28. August 2000 9 W 18/00, NJW-RR 2001, 1297). Dieser Ausgleichsanspruch besteht auch noch nach der Aufhebung der Gemeinschaft fort (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 81. Auflage, § 748 BGB Randnr. 4).
37Ein Ausgleichsanspruch gemäß § 748 BGB besteht während einer intakten Ehe zwar regelmäßig nicht, sondern grundsätzlich erst nach der Trennung der Ehegatten (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1991 XII ZR 2/90, NJW 1992, 114; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 28. August 2000 9 W 18/00, NJW-RR 2001, 1297). § 748 BGB ist jedoch dispositiv und somit abweichenden Regelungen der Teilhaber zugänglich (vgl. K. Schmidt in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, § 748 Randnr. 5; Grüneberg/Sprau, BGB, 81. Auflage, § 748 BGB Randnr. 4). Wie die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 vorgetragen hat, ist das Darlehen von dem Zeugen V. L. nach der Veräußerung des Hausgrundstücks U.-straße nicht nur weitergeführt, sondern noch zu Lebzeiten der Erblasserin von dieser zur Hälfte mit getilgt worden. Dies ergibt sich aus den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 übersandten Auszügen für das bei der Bank R. geführte Konto N04, bei dem es sich um ein Gemeinschaftskonto der Erblasserin und des Zeugen V. L. gehandelt hat. Bei einem solchen Oder-Konto sind die Ehegatten grundsätzlich Gesamtgläubiger (§ 428 BGB) mit der Folge, dass sie nach § 430 BGB im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen berechtigt sind, soweit nicht ein anderes bestimmt ist (BFH, Urteil vom 23. November 2011 II R 33/10, BFHE 237, 179). Die Erblasserin und der Zeuge L. sind daher zumindest konkludent davon ausgegangen, dass eine Ausgleichsverpflichtung der Erblasserin in Höhe von ½ schon zu ihren Lebzeiten bestand.
38Die Erblasserin war im Ergebnis auch wirtschaftlich belastet mit einem derartigen Ausgleichsanspruch des Zeugen L.. Die Klägerin hat zwar ursprünglich nur vorgetragen, dass die Erblasserin und ihr Vater das Hausgrundstück U.-straße in X. Ende des Jahres 2014 verkauft hätten; der Verkaufserlös sei für eine Sondertilgung für ein Darlehen verwendet worden, das für die Finanzierung der Wohnung in der Y.-straße aufgenommen worden sei. Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 hat die Klägerin indes vorgetragen, dass die Erblasserin noch nach der Veräußerung des Hausgrundstücks in der U.-straße Tilgungsleistungen erbracht habe. Nach dem Tod der Erblasserin habe der Zeuge V. L. die Darlehensrückzahlungsverbindlichkeit übernommen. Zum Ausgleich habe er im Rahmen der Erbauseinandersetzung andere Vermögensgegenstände, wie insbesondere einen höheren Anteil an den Fonds-Beteiligungen erhalten. Der Zeuge V. L. konnte letzteres im Rahmen seiner Vernehmung durch den Senat zwar nicht mehr bestätigen. Gleichwohl ändert dies nichts daran, dass die Erblasserin ausweislich der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 übersandten Auszüge für das bei der Bank R. geführte Konto N04 noch zu Lebzeiten bis zu ihrem Tod die Tilgungsraten zu ½ für das von dem Zeugen V. L. aufgenommene Darlehen gezahlt hat. Sie war daher am Bewertungsstichtag (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 11 ErbStG) mit der Ausgleichsverpflichtung gegenüber dem Zeugen V. L. wirtschaftlich belastet.
39Die Festsetzung des Verspätungszuschlags mit dem Steuerbescheid vom 20. September 2018, der gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO Gegenstand des Einspruchs- und damit auch des Klageverfahrens geworden ist, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das beklagte Finanzamt hat den Verspätungszuschlag zu Unrecht gegen die Klägerin festgesetzt.
40Im Streitfall ist gemäß Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung noch § 152 AO in der Fassung des Art. 11 Nr. 16 des Gesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl I, 1809) anzuwenden, weil die Steuererklärung auf Grund der Aufforderung durch das beklagte Finanzamt vom 24. Mai 2017 (§ 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) vor dem 1. Januar 2019 einzureichen war.
41Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO kann die Finanzbehörde gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgerecht nachkommt, einen Verspätungszuschlag festsetzen, es sei denn, die Versäumnis erscheint entschuldbar. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO erfüllt, hat die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie einen Verspätungszuschlag festsetzt (sog. Entschließungsermessen) und wie hoch sie ihn unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen des § 152 Abs. 2 AO festsetzt (sog. Auswahlermessen) (BFH, Urteil vom 11. Juni 1997 X R 14/95, BFHE 183, 21). Die Ermessensentscheidung ist nach § 102 Satz 1 FGO vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lassen, muss die Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden, anderenfalls sie im Regelfall fehlerhaft ist (BFH, Urteil vom 20. Juli 2004 VII R 20/02, BFHE 207, 565).
42Im Streitfall kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags erfüllt sind. Das Gericht muss auch nicht entscheiden, ob das beklagte Finanzamt die Ausübung seines Entschließungsermessens hinreichend dargelegt hat. Die Entscheidung des beklagten Finanzamts ist jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil es von seinem Auswahlermessen ausweislich der Begründung der Einspruchsentscheidung nicht fehlerfrei Gebrauch gemacht hat.
43Bei der Bemessung der Höhe eines Verspätungszuschlags sind alle in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO bezeichneten Ermessenskriterien zu berücksichtigen und grundsätzlich auch in der schriftlichen Begründung der Ermessensentscheidung zu behandeln (BFH, Beschluss vom 10. August 2000 IV B 130/99, BFH/NV 2001, 146; Beschluss vom 30. November 2001 IV B 30/01, BFH/NV 2002, 475). Das hat das beklagte Finanzamt in seiner Einspruchsentscheidung nicht beachtet. Der Begründung der Einspruchsentscheidung und der darin in Bezug genommenen Schreiben vom 19. April und 21. November 2018 sind allenfalls Ausführungen zum Zweck des Verspätungszuschlags und zum vom beklagten Finanzamt angenommenen Verschulden der Klägerin zu entnehmen. Ausführungen zur Dauer der Fristüberschreitung sind unsubstantiiert („mit erheblicher Verspätung“). Ausführungen zur Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs und konkrete Ausführungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin fehlen zudem völlig.
44Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 136 Abs. 1 Satz 1, 137 Satz 1, 138 Abs. 2 FGO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Klägerin zunächst einen uneingeschränkten Klageantrag gestellt hat (§ 40 des Gerichtskostengesetzes). Ferner hat sie die für die Bewertung des der Erblasserin eingeräumten Nießbrauchs erforderlichen Tatsachen, die Herkunft der Guthaben auf den bei der Bank R. geführten Konten N05, N06, N09 und N07 sowie die Tatsachen bezüglich des von dem Zeugen V. L. aufgenommenen Darlehens und des sich hieraus ergebenden Ausgleichsanspruchs erst im Klageverfahren vorgetragen (§ 137 Satz 1 FGO).
45Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.