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Der Bescheid für 2017 über Einkommensteuer vom 19.07.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 wird dahingehend geändert, dass der Ansatz von Einkünften aus Kapitalvermögen i.H.v. 7.670,24 € entfällt, während bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zusätzliche Einnahmen i.H.v. 4.087,79 € € berücksichtigt werden, im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens zu 2/3, der Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Steuerpflicht von Nutzungsentschädigungen, die die Kläger aufgrund des Widerrufes zweier Darlehensverträge erhalten haben.
3Die Kläger sind Eheleute und werden im Streitjahr 2017 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.
4Die Kläger hatten bei der Bank im Jahr 2007 zwei Darlehen aufgenommen. Das Darlehen mit der Nr. 0000000001 diente der Finanzierung einer vermieteten Wohnung, während die Kläger das Darlehen mit der Nr. 0000000002 zur Anschaffung einer privat genutzten Wohnung aufgenommen hatten.
5Die Kläger widerriefen die beiden Darlehensverträge aufgrund einer aus ihrer Sicht fehlerhaften Widerrufsbelehrung im August 2014. Die Bank hielt den Widerruf für unwirksam. Deshalb kam es hinsichtlich des Darlehens mit der Nr. 0000000001 zu einem Rechtsstreit vor dem Landgericht A-Stadt, welches die Klage in erster Instanz abwies. Während des Berufungsverfahrens erließ das Oberlandesgericht B-Stadt im Oktober 2016 einen Hinweisbeschluss. In diesem wies es zur Vorbereitung eines anstehenden Verhandlungstermins darauf hin, dass die Berufung nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand überwiegend erfolgreich sein werde. Grund hierfür war insbesondere, dass der von den Klägern erklärte Widerruf nicht gemäß § 355 Abs. 1 S. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – verfristet war, da die Widerrufsfrist aufgrund einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung nicht zu laufen begonnen hatte. Danach schuldeten die Kläger der Bank im Rahmen der Rückabwicklung die Herausgabe der gesamten Darlehensvaluta i.H.v. 80.000 € ohne Rücksicht auf eine zwischenzeitliche Tilgung und die Herausgabe von Wertersatz für die Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta i.H.v. 25.220,93 € (dies entsprach den bisherigen Zinsleistungen). Demgegenüber schuldete die Bank den Klägern die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen sowie die Herausgabe von Nutzungsersatz wegen der vermuteten Nutzung der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen durch die Bank. Danach hatten die Kläger einen Anspruch auf die bis zum 31.08.2014 geleisteten Raten i.H.v. 45.360 € und einen darauf bis zu diesem Zeitpunkt entfallenden Nutzungswertersatz i.H.v. 4.087,79 €. Aufgrund dieses Hinweisbeschlusses endete dieses Verfahrens letztlich mit diesem Ergebnis.
6Hinsichtlich des weiteren Darlehensvertrages für die selbstgenutzte Wohnung mit der Nr. 0000000002 gelang den Klägern im Nachgang zu dem erfolgreich geführten Verfahren beim OLG B-Stadt ohne weitere gerichtliche Auseinandersetzung die Rückabwicklung mit der Bank. Auf dieses Darlehen hatten die Kläger bis zum Widerruf Raten i.H.v. 48.200 € und Zinsen i.H.v. 17.316,38 € gezahlt. Der Nutzungsersatzanspruch für erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen der Kläger belief sich auf 3.582,63 €.
7Danach erhielten die Kläger für die beiden widerrufenen Darlehensverträge insgesamt Nutzungswertersatz i.H.v. 7.670,42 € im Jahr 2017 von der Bank.
8In dem Bescheid für 2017 über Einkommensteuer vom 27.12.2018 berücksichtigte der Beklagte aufgrund einer Mitteilung der Bank den erhaltenen Nutzungsersatz i.H.v. 7.692,94 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen.
9Gegen diesen Bescheid legten die Kläger durch Schreiben vom 02.01.2019 Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid vom 19.07.2019, in dem er den erhaltenen Nutzungswertersatz für die vermietete Wohnung nicht mehr zusätzlich bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte. Ansonsten folgte der Beklagte dem Einspruchsbegehren in der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 nur hinsichtlich der Höhe des angesetzten Nutzungswertersatzes durch einen verringerten Ansatz i.H.v. 7.670,94 € und wies ihn im Übrigen als unbegründet zurück.
10Die Kläger haben durch Schriftsatz vom 10.02.2020 Klage erhoben.
11Zur Begründung tragen sie vor, sie hätten keine Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt. Im Streitfall hätten sich wechselseitige Nutzungsentschädigungen gegenübergestanden, die aufgerechnet worden seien. Sie hätten auch selbst einen Nutzungsersatz an die Bank leisten müssen, der den eigenen Nutzungsersatzanspruch überstiegen habe. Diesen Nutzungsersatz hätten sie nur gegen Erfüllung des gegen sie gerichteten Nutzungsersatzanspruches erhalten können. Ein Überschuss zu ihren Gunsten sei daraus nicht entstanden. Die Kläger verweisen überdies auf das Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 24.05.2011 (VIII R 3/09, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2012, 254), wonach eine Steuerpflicht insoweit zwar dem Grunde nach bestehen könne, jedenfalls aber die von den Steuerpflichtigen gemachten Zinszahlungen und -aufwendungen anzurechnen seien.
12Auch nach der Rechtsprechung des Finanzgerichtes – FG – Baden-Württemberg (Urteil vom 08.12.2020 8 K 1516/18, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2021, 656) sei auf Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtung letztlich kein Überschuss der Kläger entstanden, der eine Besteuerung rechtfertigen könne.
13Die Kläger beantragen sinngemäß,
14den Bescheid für 2017 über Einkommensteuer vom 19.07.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 dahingehend zu ändern, dass der Ansatz von Einkünften aus Kapitalvermögen i.H.v. 7.670,24 € entfällt.
15die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Zur Begründung führt er aus, dass ein Nutzungsersatz der Kläger der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes – EStG – unterfalle. Er verweist zudem auf Ziff. 8 b) des Schreibens des Bundesfinanzministeriums – BMF – vom 18.01.2016 in der Fassung vom 12.04.2018 (BStBl. I 2016, 85; BStBl. I 2018, 624), nach dem der an einen Kreditnehmer gezahlte Nutzungsersatz der Abgeltungssteuer unterfällt.
19Für weitere Einzelheiten zum Sach- und Streitstand nimmt das Gericht auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug.
20Entscheidungsgründe:
21I. Der Senat konnte aufgrund der durch Schriftsätze vom 12.09.2022 und 15.09.2022 erklärten Einverständnisse ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –.
22II. Die Klage ist teilweise begründet.
23Der Bescheid für 2017 über Einkommensteuer vom 19.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit der Beklagte den Nutzungswertersatz aus der Rückabwicklung des Darlehens zur Finanzierung der selbstgenutzten Wohnung i.H.v. 3.582,63 € als steuerbaren Kapitalertrag im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG berücksichtigt hat (1.), § 100 Abs. 1 S. 1 FGO. Er hat überdies den erhaltenen Nutzungswertersatz aus der Rückabwicklung des Darlehens für die vermietete Wohnung zu Unrecht als Kapitalertrag anstelle einer steuerpflichtigen Einnahme aus Vermietung und Verpachtung erfasst (2.).
241. Der Nutzungswertersatz i.H.v. 3.582,63 € aus der Rückabwicklung des Darlehens für die selbstgenutzte Wohnung ist nicht steuerbar. Er stellt insbesondere keinen Kapitalertrag im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar (a). Auch die Veräußerung einer Kapitalforderung gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG liegt nicht vor (b).
25a) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Nach S. 2 der Vorschrift gilt dies unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.
26Diese Vorschrift bildet den Auffangtatbestand für alle nicht in § 20 Abs. 1 Nr. 1-6 und Nr. 8 EStG erfassten Einnahmen aus Kapitalvermögen. Zu den Erträgen aus § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehört – dem Sinn einer Generalklausel entsprechend – alles, was der Steuerpflichtige für die Gestattung seiner Kapitalnutzung erhält (ständige Rechtsprechung, Reichsfinanzhof Urteil vom 16.05.1933 VI A 939,32, Reichssteuerblatt – RStBl. 1933, 1005; BFH Urteil vom 12.12.1969 VI R 301/67, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 1970, 212; BFH Urteil vom 25.06.1974 VIII R 109/69, BStBl. II 1974, 735; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 20 EStG Rn. 292 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Entgelte im Sinne der Vorschrift liegen deshalb bei jeder Nutzungsentschädigung vor, die der Gläubiger bei wirtschaftlicher Betrachtung für auf Zeit überlassenes Kapitalvermögen erhält (BFH Urteil vom 13.10.1987 VIII R 156/84, BStBl. II 1988, 252; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 20 EStG Rn. 292). Eine Mindestdauer für die Kapitalüberlassung ist nicht erforderlich. Die Rückzahlung des überlassenen Kapitals gehört nicht zu den Erträgen. Wird hingegen ein Mehrbetrag zurückgewährt, liegt in Höhe dieses Mehrbetrages ein steuerbarer Ertrag im Sinne von § 20 Abs. 2 EStG vor (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 20 EStG Rn. 292, 421). Eine sonstige Kapitalforderung im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 EStG liegt bei jeder, auf eine Geldleistung gerichteten Forderung vor, soweit sie nicht bereits unter § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4-6 und 8 EStG fällt. Selbst Forderungen aus nichtigen oder anfechtbaren Verträgen sind unter den Voraussetzungen von § 41 AO von diesem Tatbestand erfasst. Die Kapitalüberlassung muss nicht auf einem Vertrag beruhen. Auch bei einer vom Schuldner erzwungenen Kapitalüberlassung kann eine entgeltliche Nutzungsüberlassung vorliegen (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 20 EStG Rn. 294).
27Ein Ertrag der Kläger aus einer sonstigen Kapitalforderung liegt danach nicht vor. Die Bank hat den Klägern kein Entgelt für eine Kapitalüberlassung zugesagt (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 Alt. 1 EStG). Sie hat die geleistete Nutzungsentschädigung auch nicht als Entgelt für eine Kapitalüberlassung geleistet (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 1 Alt. 2 EStG). Den Nutzungswertersatz hat die Bank vielmehr im Rahmen einer Zug-um-Zug zu erfüllenden Rückabwicklung geleistet, um die ihr im Rahmen der Rückabwicklung zustehenden Gegenansprüche verwirklichen zu können.
28aa) Durch den Widerruf eines Darlehensvertrages gemäß § 357 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – i.V.m. § 346 BGB wandelt sich der geschlossene Vertrag mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Der Darlehensnehmer schuldet dem Darlehensgeber gemäß § 346 Abs. 1 HS 1 BGB die Herausgabe der gesamten Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf eine (teilweise) Tilgung und gemäß § 346 Abs. 1 HS 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2 BGB Herausgabe von Wertersatz für Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta. Dieser Gebrauchsvorteil entspricht in der Regel den vom Darlehensnehmer bereits tatsächlich gezahlten Zinsen (Bundesgerichtshof – BGH – Urteil vom 22.09.2015 XI ZR 116/15, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2015, 3441; BGH Urteil vom 10.03.2009 XI ZR 33/08, NJW 2009, 3572).
29Der Darlehensgeber schuldet dem Darlehensnehmer gemäß § 346 Abs. 1 HS 1 BGB die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen und gemäß § 346 Abs. 1 HS 2 BGB die Herausgabe von Nutzungsersatz wegen der (widerleglich) vermuteten Nutzung der bis zum Wirksamwerden des Widerrufs erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Durch die Gewährung eines Anspruches auf Nutzungsersatz zugunsten des Darlehensnehmers stellt das Zivilrecht den Steuerpflichtigen rückwirkend so, als hätte er eine verzinsliche Kapitalanlage erworben (BGH Beschluss vom 12.01.2016 XI ZR 366/15, NJW 2016, 2428).
30Soweit Darlehensgeber oder Darlehensnehmer die Aufrechnung erklären, hat dies nicht zur Folge, dass der Anspruch des Darlehensnehmers gegen den Darlehensgeber gemäß § 346 Abs. 1 HS 2 BGB auf Herausgabe von Nutzungsersatz als nicht entstanden zu behandeln wäre (BGH Urteil vom 22.09.2015 XI ZR 116/15, NJW 2015, 3441; BGH Urteil vom 10.03.2009 XI ZR 33/08, NJW 2009, 3572). Vielmehr führt der Widerruf zu ihrer Entstehung. Macht der Darlehensnehmer von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch, bleibt der Vertrag bestehen und ist Rechtsgrundlage für die erbrachten, wechselseitigen Leistungen. Der Widerruf hebt diese Verknüpfung nicht auf. Das Rückgewährschuldverhältnis stellt wegen des fehlenden Verweises auf die § 323 ff. BGB kein echtes Gegenseitigkeitsverhältnis dar (Kaiser in Staudinger BGB § 348 BGB Rn. 2). Dennoch sind die sich nach einem Widerruf ergebenden wechselseitigen Verpflichtungen aus dem Rückgewährschuldverhältnis aufgrund des Verweises in § 348 S. 1 BGB auf § 320 BGB Zug-um-Zug zu erfüllen. Die Verpflichtungen beider Seiten entstehen automatisch, die Ansprüche der einen Seite können nicht ohne die Gegenansprüche des früheren Vertragspartners entstehen (BGH Urteil vom 03.03.2016 IX ZR 132/15, NJW 2016, 2118; BGH XI ZR 116/15, NJW 2015, 3441; BGH Urteil vom 10.03.2009 XI ZR 33/08, NJW 2009, 3572). Das Zurückbehaltungsrecht aus den §§ 348, 320 Abs. 1 S. 1 BGB besteht für die sich aus dem Widerruf bzw. Rücktritt ergebenden Verpflichtungen der Vertragsparteien. § 348 BGB erfasst deshalb nicht nur die Pflicht zur Rückgewähr der ausgetauschten Hauptleistungen, sondern alle Pflichten aus dem Rückgewährschuldverhältnis, also insbesondere auch Wertersatzpflichten (Kaiser in Staudinger BGB § 348 BGB Rn. 4).
31bb) Der erhaltene Nutzungsersatz stellt danach kein Entgelt für eine Kapitalüberlassung dar. Die Kläger haben der Bank weder vor noch nach dem Widerruf Kapital zur Nutzung überlassen.
32(1) Bis zur Ausübung des Widerrufsrechts lag zu keinem Zeitpunkt eine Kapitalüberlassung der Kläger an die Bank vor. Vielmehr überließ die Bank aufgrund eines wirksamen Darlehensvertrags Kapital zur Nutzung an die Kläger. Diese zahlten hierfür lediglich Zins- und Tilgungsleistungen. Diese sollten auf Grundlage des Darlehensvertrages endgültig bei der Bank verbleiben.
33(2) Hieran ändert das im Jahr 2014 ausgeübte Widerrufsrecht nichts. Durch die Ausübung dieses Widerrufsrechtes entstand ein Rückgewährschuldverhältnis, in dem sich von Anfang an Zug-um-Zug zu erfüllende Geldleistungsansprüche gegenüberstanden. Durch eine Zug-um-Zug zu erfüllende Abwicklung ist auch nach Ausübung des Widerrufsrechts keine Kapitalüberlassung auf Zeit gegeben. Es entstand vielmehr ein Austauschverhältnis, welches die Bank auch nicht berechtigte, das rückzuzahlende Kapital noch weiter zu nutzen.
34(3) Auch der Umstand, dass das Zivilrecht über die Gewährung von Nutzungswertersatz die Kläger wirtschaftlich betrachtet rückwirkend so behandelt, als hätten sie in eine verzinsliche Kapitalanlage investiert, führt zu keinem anderen Ergebnis. Für die steuerrechtliche Beurteilung kann dieser Umstand den bisher verwirklichten Sachverhalt nicht rückwirkend ändern.
35§ 38 der Abgabenordnung – AO – bestimmt, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Hieraus lässt sich entnehmen, dass die Besteuerung grundsätzlich nur an den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt anknüpft. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise dann, wenn ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. S. 1 Nr. 2 AO vorliegt. Ob ein Ereignis steuerliche Rückwirkung hat, entscheidet sich ausschließlich anhand des materiellen Steuerrechts. Aus diesem muss sich ergeben, dass die mit dem nachträglich eingetretenen Ereignis verbundene Vergangenheitswirkung einen rechtswidrigen Zustand geschaffen hat, den es mithilfe von § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu beseitigen gilt (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO § 175 AO Rn. 280). Ein solches rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn sich die Besteuerungsgrundlagen für einmalige, punktuelle Besteuerungstatbestände wie insbesondere Veräußerungsvorgänge verändern. Die Ausübung von Widerrufs- oder Rücktrittsrechten stellen für steuerpflichtige Veräußerungstatbestände regelmäßig ein rückwirkende Ereignisse dar, da sie an einmalige, punktuelle Vorgänge anknüpfen (BFH Urteil vom 19.08.2003 VIII R 67/02, BStBl. II 2004, 107; von Wedelstädt in Gosch AO/FGO § 175 AO Rn. 61). Die bis zum Eintritt des rückwirkenden Ereignisses verwirklichten laufenden Besteuerungstatbestände bleiben davon unangetastet (BFH Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897; für die bisherige Inanspruchnahme von AfA: BFH Urteil vom 19.12.2007 IX R 50/06, BStBl. II 2008, 480). Rückwirkende zivilrechtliche Fiktionen führen in Bezug auf die laufende Besteuerung nicht zu einer rückwirkenden Umgestaltung des Sachverhaltes. Diese können nicht mit steuerlicher Wirkung rückwirkend gestaltet werden (BFH Urteil vom 15.3.1973 VIII R 150/70, BStBl. II 1973, 539; BFH Urteil vom 20.10.2011 IV R 35/08, Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2012, 377). Gleiches muss gelten, wenn die bis zur Ausübung des Widerrufsrechts verwirklichten Tatbestände nicht steuerbar waren. Es bleibt deshalb für Zwecke des Einkommensteuerrechts dabei, dass die Kläger bis zur Ausübung des Widerrufsrechts Zins- und Tilgungsleistungen erbrachten und zu keinem Zeitpunkt Kapital zur Nutzung überließen.
36Der Senat folgt aus diesen Gründen nicht der Auslegung anderer Finanzgerichte und des BMF, die bei Nutzungsentschädigungen im Rahmen einer Rückabwicklung nach widerrufenem Darlehensvertrag einen Kapitalertrag i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 S.1 EStG annehmen (BMF-Schreiben vom 18.01.2016 in der Fassung vom 12.04.2018 (BStBl. I 2016, 85; BStBl. I 2018, 624 Ziff. 8 b); FG Berlin-Brandenburg Urteil vom 07.04.2022 14 K 9216/19, zitiert nach juris; FG Köln Urteil vom 19.01.2022 5 K 1371/20, zitiert nach juris; FG Münster Urteil vom 13.01.2022 3 K 2991/19 E, EFG 2022, 480; FG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.01.2021 2 K 1590/19, EFG 2021, 1025; FG Baden-Württemberg Urteil vom 14.09.2020 10 K 1468/19, EFG 2021, 1979; FG Nürnberg Urteil vom 03.03.2021 2 K 179/19, EFG 2021, 1720; FG Köln Urteil vom 14.08.2019 14 K 719/19, EFG 2020, 101; Hessisches FG Urteil vom 06.11.2018 12 K 1328/17) und teilt im Ergebnis die Auffassung des FG Baden-Württemberg in dessen Urteil vom 08.12.2020 (8 K 1516/18, EFG 2021, 656).
37b) Auch eine steuerbare Veräußerung im Sinne von § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG liegt nicht vor.
38Diese Vorschrift wäre zeitlich ohnehin nur anwendbar, wenn man über die Ausübung des Widerrufsrechts im Jahr 2014 einen Anschaffungsvorgang hinsichtlich der rückabzuwickelnden Forderungen annimmt. Die eigentliche Darlehensaufnahme erfolgte vor Inkrafttreten von § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG im Jahr 2007 (§ 52 Abs. 28 S. 16 EStG). Aber selbst die Anwendung von § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG führt zu keinem anderen Ergebnis.
39Nach dieser Vorschrift gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Gewinne aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Dass „auch“ in dieser Vorschrift ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass § 20 Abs. 2 EStG gegenüber § 20 Abs. 1 EStG nachrangig wäre. Der Gesetzgeber wollte mit der durch die Einführung von § 20 Abs. 2 EStG bewirkten Systemumstellung vielmehr sämtliche Veräußerungs-, Einlösungs- und Rückzahlungsfälle erfassen. Während die laufenden Erträge gemäß § 20 Abs. 1 EStG zu versteuern sind, unterliegen Veräußerungstatbestände § 20 Abs. 2 EStG (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 20 EStG Rn. 421).
40Durch den Widerruf liegt keine Veräußerung oder ein ihr gleichstehender Tatbestand im Sinne von § 20 Abs. 2 S. 2-5 EStG vor.
41Der Veräußerungsbegriff ist identisch mit dem in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG. Danach sind Veräußerungsgeschäfte grundsätzlich Rechtsgeschäfte, die die entgeltliche Übertragung von den in § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-8 EStG genannten Wirtschaftsgütern auf einen anderen Rechtsträger zum Inhalt haben. Diese Rechtsgeschäfte bestehen in der Regel in dem auf Übertragung des Wirtschaftsguts gerichteten schuldrechtlichen Vertrag. Zivilrechtlich kann sich ein solcher Vertrag sowohl als Kauf- als auch als Tauschvertrag darstellen (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 20 EStG Rn. 422). Sofern eine Vertragspartei von einem solchen schuldrechtlichen Vertrag zurücktritt, stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zwischen einer (erneuten) Veräußerung und deren Rückabwicklung. Die Rückgewähr eines Wirtschaftsgutes aufgrund eines Rücktritts ist in Bezug auf steuerpflichtige Veräußerungstatbestande wie in den §§ 16, 17 oder 23 EStG nicht als eine erneute Veräußerung, sondern als eine Rückgängigmachung des ursprünglichen Geschäfts anzusehen. In der Herausgabe eines zuvor angeschafften Wirtschaftsgutes liegt kein marktoffener Vorgang, sondern lediglich ein für die Rückabwicklung notwendiger Akt. Nur unter besonderen Umständen kann eine Rückabwicklung zugunsten eines erneuten Veräußerungsvorganges in Form eines Rückkaufes ausscheiden. Dies hängt von der Vertragsgestaltung im Einzelnen ab (BFH Urteil vom 6.9.2016 IX R 45/14, BFH/NV 2017, 197; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG § 23 EStG Rn. 57). Gewähren sich die Vertragspartner die erbrachten Leistungen vollständig zurück, handelt es sich um notwendige Teilakte der Rückabwicklung. Eine Veräußerung scheidet dann aus (BFH Urteil vom 31.01.2017 IX R 26/16, BStBl. II 2018, 341; BFH Urteil vom 06.09.2016 IX R 44/14, BStBl. II 2018, 323).
42Danach sind die Anforderungen an eine Veräußerung nicht erfüllt (diese würde zugunsten der Kläger gem. § 20 Abs. 4 EStG zu einem Verlust führen). Der Widerruf des Darlehensvertrags mit der Nr. 0000000002 stellte keinen marktoffenen Vorgang dar. Die Beteiligten haben sich aufgrund eines gesetzlich geregelten Rückgewährschuldverhältnisses ihre Leistungen vollständig zurückgewährt.
43Der Senat hält die fehlende Steuerbarkeit dieses Vorgangs für konsequent. Letzten Endes haben die Vertragsparteien hier einen Vorgang aus dem Jahr 2007 rückabgewickelt, der für die Kläger damals in keiner Weise steuerbar war. Dies betrifft zunächst die von den Klägern damals erworbene Forderung auf Auszahlung der Darlehensvaluta. Gleiches gilt sogar für die Zins- und Tilgungsleistungen zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnung. Dabei handelte es sich um steuerlich nicht abzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung (§ 12 EStG). Diese waren dem Grunde nach – und nicht etwa aufgrund des ab 2009 geltenden Abzugsverbots in § 20 Abs. 9 S. 1 HS. 2 EStG – nicht als Werbungskosten abzugsfähig . Wirtschaftlich betrachtet haben die Kläger diese – nicht abzugsfähige – Zinslast durch den aufgrund des Widerrufs erhaltenen Nutzungswertersatz nur gemindert.
442. Auch der erhaltene Nutzungswertersatz i.H.v. 4.087,79 € aus dem Widerruf des Darlehens mit der Nr. 0000000001 stellt danach keinen steuerpflichtigen Kapitalertrag i.S.v. § 20 EStG dar. Es liegen vielmehr Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gem. § 21 Abs. S. 1 Nr. 1 EStG vor. Dieser Nutzungswertersatz steht im Zusammenhang mit den für das widerrufene Darlehen gezahlten Schuldzinsen. Letztere stellten Werbungskosten i.S.v. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG dar. Der teilweise Rückfluss dieser Werbungskosten aufgrund des entstandenen Rückgewährschuldverhältnisses ist deshalb durch die Einnahmenerzielung aus der Vermietung der Wohnung veranlasst. Bei der Erstattung von Werbungskosten liegen steuerpflichtige Einnahmen bei der Einkunftsart vor, bei der sie zuvor abgezogen wurden (ständige Rechtsprechung, vgl. Krüger in Schmidt EStG § 9 Rn. 112).
45Da das Gericht die zutreffende Höhe der Steuerfestsetzung überprüft, ist es innerhalb des vom Steuerpflichtigen durch sein Klagebegehren gesteckten Rahmen (§ 96 Abs. 1 S. 2 FGO) verpflichtet, auch Besteuerungsgrundlagen zu seinen Lasten zu berücksichtigen (Saldierungsgebot, vgl. BFH Beschluss vom 17.07.1967 GrS 1/66, BStBl. II 1968, 1030).
46III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 FGO.
47Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
48Die Revisionszulassung erfolgt zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO wegen der beim BFH unter den Az. VIII R 7/22, VIII R 6/22, VIII R 4/22, VIII 3/22VIII R 13/21, VIII R 11/21, VIII R 7/21, VIII R 5/21 und VIII R 30/19 anhängigen Revisionsverfahren zu der Frage, ob nach Widerruf eines Darlehens erhaltener Nutzungsersatz in jedem Fall zu einem Kapitalertrag i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EStG führt.
49Die Übertragung der Steuerberechnung auf den Beklagten folgt aus § 100 Abs. 2 FGO.
50Die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren war gem. § 139 Abs. 3 S. 3 FGO für notwendig zu erklären.