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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Streitig ist, ob der Beklagte berechtigt war, am 26.03.2018 aufgrund einer Mitteilung der … AG-Versicherung (AG) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2016 zu erlassen.
3Die Klägerin (geb. ...1954) schloss im Jahr 2010 bei der AG einen Basisrentenvertrag (…) ab. Es handelte sich um ein sogenanntes Rürup-Rentenmodell.
4Für die Streitjahre 2013 bis 2016 reichte die Klägerin ihre Einkommensteuererklärungen jeweils in dem dem Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahr ein. Die jährlich an die AG gezahlten Beiträge (monatlich 300,- EUR) für den Basisrentenvertrag wurden jeweils erklärungsgemäß (vgl. Anlage Vorsorgeaufwendungen) als beschränkt abziehbare Sonderausgaben bei der Einkommensteuerfestsetzung steuermindernd berücksichtigt:
5Einkommensteuer |
Bescheid vom |
Beitrag |
davon abziehbar |
2013 |
07.10.2014 (12.12.2016) |
3.600,- EUR |
2.736,- EUR |
2014 |
12.02.2016 |
3.600,- EUR |
2.808,- EUR |
2015 |
07.10.2016 |
3.600,- EUR |
2.880,- EUR |
2016 |
09.10.2017 |
3.600,- EUR |
2.952,- EUR |
Bis September 2017 leistete die Klägerin weiterhin Beiträge an die AG. Danach erhielt sie die Mitteilung, dass sie nunmehr in die Verrentungsphase kommen würde. Tatsächlich erfolgten dann aber keine Leistungen der AG aus dem Basisrentenvertrag, weil die Klägerin gegen die AG einen Prozess vor dem Landgericht Z (...) führte, welcher mit folgendem Vergleich in der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2018 endete:
7„Vergleich:
8Die Beklagte zahlt an die Klägerin den Betrag von 20.000,- EUR, zu Händen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin.
Damit sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien gegeneinander aus dem verfahrensgegenständlichen Vertragsverhältnis, bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, sowie der Rechtsstreit erledigt. Außerdem ist damit der Vertrag zwischen den Parteien beendet.
…
12Auf den weiteren Inhalt des Sitzungsprotokolls der vom 31.01.2018 (…) wird Bezug genommen (vgl. Einkommensteuerakte).
13Nach Abschluss des landgerichtlichen Verfahrens teilte die AG dem Beklagten Folgendes mit (Mitteilung vom 08.03.2018):
14Sehr geehrte Damen und Herren,
15die Versicherungsnehmerin hat dem oben genannten Basisrentenvertrag nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) EStG auf Grundlage des BGH-Urteils vom 29.07.2015 widersprochen. Wir haben deswegen den Vertrag ab Beginn aufgehoben.
16In der Vergangenheit hatten wir folgende Beiträge bescheinigt:
17Beitragsjahr |
Betrag |
2010 |
1.200,- EUR |
2011 |
3.600,- EUR |
2012 |
3.600,- EUR |
2013 |
3.600,- EUR |
2014 |
3.600,- EUR |
2015 |
3.600,- EUR |
2016 |
3.600,- EUR |
2017 |
2.700,- EUR |
Der Beklagte erließ daraufhin am 26.03.2018 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2016, in denen die o.g. Versicherungsbeiträge nicht mehr als beschränkt abziehbare Sonderausgaben berücksichtigt wurden, und erhöhte die Einkommensteuer um folgende Beträge:
19Einkommensteuer 2013: + 1.149,- EUR
20Einkommensteuer 2014: + 1.179,- EUR
21Einkommensteuer 2015: + 1.209,- EUR
22Einkommensteuer 2016: + 1.240,- EUR
23In den Erläuterungen zu den Bescheiden heißt es:
24„Die Änderung ergeht aufgrund der Mitteilung der AG, dass der Vertrag zur Basisrente rückwirkend ab Vertragsbeginn aufgehoben wurde. Dabei handelt es sich steuerrechtlich um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung.“
25Gegen die geänderten Bescheide legte die Klägerin am 24.04.2018 Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus: Entgegen der Mitteilung der AG sei der Vertrag nicht rückwirkend aufgehoben worden. Die Mitteilung der Versicherung sei nicht nachvollziehbar. Tatsächlich handle es sich um einen gerichtlichen Vergleich aus dem Verfahren … (Klägerin ./. AG) vor dem Landgericht Z. Gegenstand dieses Vergleichs sei die Rückzahlung von 20.000,- EUR durch die AG an die Klägerin, nicht jedoch die Rückabwicklung des Vertrages. Zum Nachweis legte die Klägerin eine Abschrift des Sitzungsprotokolls vom 31.01.2018 vor.
26Mit Einspruchsentscheidung vom 18.01.2019 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Nach Auffassung des Beklagten sei der ursprüngliche Zweck der Anlage, nämlich Altersvorsorge, nicht mehr gegeben. Die Klägerin habe aufgrund der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der AG und der teilweisen Rückerstattung der Beiträge (20.000,- EUR) keine Ansprüche mehr gegenüber der AG in Form einer Altersvorsorge. Die darauf basierenden Steuererstattungen, die die Klägerin erhalten habe, seien daher vom Finanzamt wieder zurückzufordern.
27Mit der hiergegen am 07.02.2019 erhobenen Klage trägt die Klägerin vor:
28Im Rahmen des Verfahrens vor dem Landgericht Z (…) habe die Klägerin Schadensersatz gegen die AG geltend gemacht, da sie beim Abschluss des Vertrages durch den Vermittler fehlerhaft beraten worden sei. Zur Vermeidung einer streitigen Entscheidung habe die AG einem Vergleich zugestimmt, infolgedessen die Klägerin die gezahlten Beiträge zurückerhalten habe. Der Vergleichstext habe weder einen Hinweis auf ein BGH-Urteil vom 29.07.2015 enthalten, noch sei in dem Vergleich eine rückwirkende Vertragsaufhebung zwischen den Parteien protokolliert worden. Gleichwohl habe die Versicherungsgesellschaft dem beklagten Finanzamt unter dem 08.03.2018 mitgeteilt, man habe den Vertrag von Beginn an aufgehoben.
29Entgegen der Auffassung des Beklagten liege hier kein rückwirkendes Ereignis vor. Die zivilrechtliche Gestaltung sei insoweit zugrunde zu legen. Danach habe die AG zur Vermeidung eines obsiegenden Urteils wegen Beratungsverschuldens einen Vergleich geschlossen. Bestandteil des Vergleichs sei nicht die rückwirkende Aufhebung des Vertrages, sondern eine Schadensersatzzahlung an die Klägerin. Diese Schadensersatzzahlung sei kein rückwirkendes Ereignis, sondern könne allenfalls im Rahmen des Zuflussprinzips als positive Sonderausgabe berücksichtigt werden, wobei auch dieses rechtlich zweifelhaft sei.
30Die Klägerin beantragt,
31die Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2016, jeweils vom 26.03.2018, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.01.2019 aufzuheben;
32hilfsweise, die Revision zuzulassen.
33Der Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Der Beklagte trägt vor:
36Bei dem Vergleich handle es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit. Davon getrennt zu sehen sei die steuerliche Gewährung von Zulagen, die an das Bestehen eines Altersvorsorgevertrages anknüpfe. Ob dieser nun rückgängig gemacht oder aufgehoben worden sei, spiele hierbei keine Rolle, weil bei der Zulagengewährung ausschließlich auf einen Altersvorsorgevertrag abgestellt werde. Ziel der Zulagengewährung sei es, eine Altersrente aufzubauen. Dies könne jedoch durch die Erstattung der gezahlten Beiträge auch im Rahmen eines Schadensersatzes eben nicht mehr erfolgen.
37Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und die dem Gericht überlassenen Akten Bezug genommen.
38Entscheidungsgründe
39I. Die Klage ist unbegründet.
40Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2016, jeweils vom 26.03.2018, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.01.2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
41Der Beklagte durfte die bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 2013 bis 2016 mit den streitigen Bescheiden vom 26.03.2018 dahingehend ändern, dass die Beiträge für den Basisrentenvertrag (…) nicht mehr als beschränkt abziehbare Sonderausgaben steuermindernd berücksichtigt werden. Hierzu war der Beklagte berechtigt, weil zum Zeitpunkt der Änderung, am 26.03.2018, für alle Streitjahre die reguläre (vierjährige) Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war (vgl. I. 1.) und zudem die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO hier erfüllt sind (vgl. I. 2.).
421. Eine Änderung der Steuerfestsetzung ist bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist zulässig (vgl. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Vorliegend war zum Zeitpunkt der Änderung (26.03.2018) – wie zu Recht zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – für alle Streitjahre noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist war noch nicht abgelaufen (vgl. § 169 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO).
432. Der Beklagte war auch gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dazu berechtigt, die Änderungsbescheide für die Jahre 2013 bis 2016 zu erlassen.
44Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
45Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
46Im Jahr 2018 ist ein Ereignis mit (einkommen)steuerlicher Rückwirkung für die vergangenen Jahre insoweit eingetreten, als die seinerzeit in den Streitjahren 2013 bis 2016 an die AG geleisteten Beiträge in Höhe von insgesamt 14.400,- EUR (= 4 x 3.600,- EUR) im Nachhinein nicht dem Aufbau einer Altersversorgung dienten und die wirtschaftliche Belastung durch die Beitragszahlung in den Streitjahren nach Erhalt des Betrages in Höhe von 20.000,- EUR (rückwirkend) endgültig entfallen ist. In 2018 bestand zudem keine Verrechnungsmöglichkeit innerhalb des Sonderausgabentatbestandes § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) Satz 1 EStG.
47Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO im Einzelnen:
48a) Im Streitfall liegt ein „Ereignis“ im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor.
49Der Begriff "Ereignis" umfasst danach alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897).
50Das von der Klägerin vor dem Landgericht Z geführte Verfahren gegen die AG (…), in dem die Klägerin Zahlungsansprüche geltend gemacht hat, ist ein solcher tatsächlicher Lebensvorgang. Die Erledigung des zivilrechtlichen Rechtsstreits ist auch ein rechtlich bedeutsamer Vorgang. Die in dem gerichtlichen Vergleich am 31.01.2018 getroffenen Vereinbarungen und deren Erfüllung hatten zur Folge, dass der Basisrentenvertrag zwischen der Klägerin und der AG zivilrechtlich beendet wurde, die AG an die Klägerin im Jahr 2018 einen Betrag in Höhe von 20.000,- EUR zahlte und der Klägerin nunmehr keine Ansprüche aus einer Rentenversicherung zustehen („sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Vertragsverhältnis sind damit erledigt“).
51b) Das Ereignis ist im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO „eingetreten“.
52„Eintreten“ bedeutet hier, dass sich der Vorgang ereignen muss, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und bei Änderung eines Steuerbescheides, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Das Ereignis ist hingegen nicht im Sinne von § 175 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 AO „eingetreten“, wenn das Finanzamt – wie beispielsweise im Fall des § 173 Abs.1 AO – lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt oder wenn es den Sachverhalt lediglich anders würdigt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897).
53Das o.g. Ereignis geschah im Jahr 2018 und damit nach Entstehung der Einkommensteueransprüche für die Streitjahre 2013 bis 2016, weil diese bereits mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres 2013 bis 2016 entstanden sind (vgl. § 38 AO i.V.m. §§ 36 Abs. 1, 25 Abs. 1 EStG). Als das Ereignis in 2018 eintrat, waren auch alle ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzungen für 2013 bis 2016 bestandskräftig (zuletzt erging der Einkommensteuerbescheid für 2016 am 09.10.2017).
54Der Sachverhalt war auch nicht vor dem Ereignis verwirklicht oder lediglich anders zu würdigen. Die Klägerin und die AG sind erst im Jahr 2018 dahingehend übereingekommen, dass der Klägerin keine Ansprüche aus dem Basisrentenvertrag zustehen. Zudem hat die Klägerin erst im Jahr 2018 von der AG einen (Einmal)betrag in Höhe von 20.000,- EUR erhalten.
55c) Das in 2018 eingetretene Ereignis hat auch „steuerliche Wirkung für die Vergangenheit (rückwirkendes Ereignis)“ im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
56aa) Ein „rückwirkendes Ereignis“ erfordert danach nicht nur, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Vielmehr muss sich die Änderung darüber hinaus – ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen – steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Es muss aufgrund des Ereignisses ein korrekturbedürftiger Zustand geschaffen werden und das Bedürfnis bestehen, die schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen. Das Ereignis muss sich steuerlich für die Vergangenheit mit der Folge auswirken, dass der Steuerbescheid, der vor Eintritt des Ereignisses rechtmäßig war, durch den Eintritt des Ereignisses rechtswidrig wird. Hingegen kommt die Änderungsvorschrift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht zur Anwendung, wenn die ursprüngliche Festsetzung im maßgeblichen Zeitpunkt, gemessen an der materiellen Rechtslage, objektiv unzutreffend gewesen ist. Dabei ist es nicht entscheidend, welche Gründe rechtlicher oder tatsächlicher Art zur Sachverhaltsänderung geführt haben. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (vgl. nur BFH, Urteile vom 14.07.2020 VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92; vom 02.09.2008 X R 46/07, BStBl II 2009, 229; BFH, Urteil vom 26.01.2006 VI R 2/03, BFH/NV 2006, 1045 jeweils m.w.N; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897).
57bb) Maßgebende Vorschrift des materiellen Rechts ist im Streitfall § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) Satz 1 EStG.
58Danach sind Beiträge des Steuerpflichtigen zum Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Altersversorgung (beschränkt) als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Vertrag nur die Zahlung einer monatlichen, auf das Leben des Steuerpflichtigen bezogenen lebenslangen Leibrente nicht vor Vollendung des 62. Lebensjahres oder zusätzlich die ergänzende Absicherung des Eintritts der Berufsunfähigkeit (Berufsunfähigkeitsrente), der verminderten Erwerbsfähigkeit (Erwerbsminderungsrente) oder von Hinterbliebenen (Hinterbliebenenrente) vorsieht.
59Zum Zeitpunkt der jeweils ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzung (12.12.2016, 12.02.2016, 07.10.2016, 09.10.2017) waren sämtliche Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) Satz 1 EStG erfüllt. Der Beklagte hat zutreffend in den ursprünglichen Bescheiden die von der Klägerin in den Streitjahren 2013 bis 2016 an die AG geleisteten Beiträge in Höhe von 14.400,- EUR (= 4 x 3.600,- EUR) für den Basisrentenvertrag (…) als beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben (erklärungsgemäß) steuermindernd berücksichtigt. Die Beiträge wurden in den Streitjahren zugunsten eines Vertrags aufgewendet, der unstreitig nach § 5a des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifiziert war (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2 EStG). Auch die übrigen Voraussetzungen der steuerlichen Förderungen lagen vor. Der von der Klägerin mit der AG im Jahr 2010 abgeschlossene Vertrag nach dem Rürup-Rentenmodell sah kein Kapitalwahlrecht vor. Die Verrentungsphase sollte nach Vollendung des 62. Lebensjahres der Klägerin beginnen.
60cc) Das Ereignis in 2018 führte dazu, dass danach die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für 2013 bis 2016 im Hinblick auf den gewährten Sonderausgabenabzug für den Basisrentenvertrag rechtswidrig wurden.
61Zwar stellt ein gerichtlicher Vergleich an sich kein „rückwirkendes Ereignis“ im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, weil durch einen solchen Vergleich grundsätzlich nur der Streit oder die Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt, aber nicht ein Lebenssachverhalt rückwirkend anders gestaltet wird (vgl. nur BFH, Beschluss vom 28.06.2011 X B 146/10, BFH/NV 2011, 1831).
62Dies trifft vorliegend jedoch nur auf den zwischen der AG und der Klägerin streitigen Lebenssachverhalt zu, ob die Klägerin beim Abschluss des Vertrages durch den Vermittler fehlerhaft beraten worden ist oder nicht. Ein solcher Lebenssachverhalt kann rückwirkend nicht anders gestaltet werden.
63Soweit hingegen im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs vereinbart wurde, dass die Klägerin nunmehr keine Ansprüche aus einer Rentenversicherung hat, und zudem die AG der Klägerin einen Betrag in Höhe von 20.000,- EUR tatsächlich erstattet hat, wurde ein korrekturbedürftiger Zustand im Hinblick auf die bestandskräftig festgesetzte Einkommensteuer ausgelöst. Diesem rechtlich bedeutsamen Vorgang kommt eine steuerliche Rückwirkung zu, weil er den Sachverhalt, an den die Vorschrift des materiellen Rechts (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) Satz 1 EStG) anknüpft, rückwirkend verändert.
64Im Hinblick auf die hier maßgebende Vorschrift des materiellen Rechts ist es dabei nicht entscheidend, ob der Basisrentenvertrag zivilrechtlich beendet (so die Klägerin) oder ab Vertragsbeginn aufgehoben wurde (so die Mitteilung der AG vom 08.03.2018), denn der gesetzliche Tatbestand in § 10 Abs. 1 Nr. 2 b) aa) Satz 1 EStG knüpft nur daran an, dass die Beiträge dem Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Altersversorgung dienen müssen. Da die Klägerin durch den Eintritt des Ereignisses in 2018 nunmehr keine Ansprüche aus einer Rentenversicherung hat („sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Vertragsverhältnis sind damit erledigt“), steht im Nachhinein fest, dass sie mit den in den Streitjahren 2013 bis 2016 an die AG gezahlten Beiträgen tatsächlich keine eigene kapitalgedeckte Altersversorgung aufgebaut hat. Die geleisteten Beiträge wurden im Nachhinein tatsächlich nicht zum Aufbau einer Altersversorgung verwendet.
65Darüber hinaus wurde der bisher rechtmäßige Sonderausgabenabzug auch deshalb rückwirkend rechtswidrig, weil die Klägerin im Nachhinein tatsächlich keine Aufwendungen hatte.
66Beiträge zur Rentenversicherung sind nach hier maßgebende Vorschrift des materiellen Rechts nur dann als Sonderausgaben (beschränkt) abziehbar, wenn es sich um "Aufwendungen" im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG handelt. Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" im Einleitungssatz des § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG und dem Sinn und Zweck des § 10 EStG, bestimmte, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Privatausgaben vom Abzugsverbot des § 12 EStG auszunehmen, folgt, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet wird (st. Rspr.; vgl. BFH, Urteile vom 20.02.1970 VI R 11/68, BStBl II 1970, 314: zur Erstattung von Beiträgen zur Lebensversicherung; vom 26.06.1996, BStBl II 1996, 646: zur Erstattung von Kirchensteuern; vom 21.07.2009 X R 32/07, BStBl II 2010, 38).
67Nach diesen Grundsätzen handelte es sich bei den in den Streitjahren 2013 bis 2016 an die AG geleisteten Beiträgen nicht mehr um Sonderausgaben, nachdem die Klägerin im Jahr 2018 von der AG einen Betrag in Höhe von 20.000,- EUR zurück erhalten hat. Die Klägerin war im Nachhinein tatsächlich durch die Beitragszahlungen an die AG in Höhe von 14.400,- EUR (= 4 x 3.600,- EUR) nicht endgültig wirtschaftlich belastet.
68Im Streitfall kann auch dahinstehen, ob es sich bei dem im Vergleich vereinbarten Betrag in Höhe von 20.000,- EUR zivilrechtlich um Schadensersatz (so die Klägerin) oder um eine Rückerstattung der geleisteten Beiträge gehandelt hat. Die wirtschaftliche Belastung entfällt auch dann, wenn die 20.000,- EUR – was aus dem Wortlaut des Vergleichstextes nicht erkennbar ist – zivilrechtlich Schadensersatz für eine fehlerhafte Beratung bei Abschluss des Vertrages im Jahr 2010 gewesen seien sollte. Denn soweit ein Versicherer dem Versicherungsnehmer den durch die Verletzung der Beratungspflicht entstandenen Schaden zu ersetzen hat, ist der Versicherungsnehmer nach dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) so zu stellen wie er stünde, wenn die Beratung ordnungsgemäß erfolgt wäre. Der Anspruch ist damit grundsätzlich auf das negative Interesse gerichtet. Hätte der Versicherungsnehmer bei ordnungsgemäßer Beratung den Vertrag nicht geschlossen, so hat er einen Anspruch auf Rückgängigmachung des Vertrags unter Zurückzahlung eingezahlter Prämien und Ersatz des Zinsschadens oder entgangenen Gewinns (vgl. OLG Köln, Urteil vom 26.07.2019 20 U 185/18, VuR 2020, 120 m.w.N.). Entsprechend forderte die Klägerin mit ihrer beim Landgericht Z erhobenen Klage auch die geleisteten Monatsbeiträge für 67 Monate von der AG als Schadensersatz zurück (vgl. Sitzungsprotokoll vom … Seite 2).
69d) Der Senat verkennt nicht, dass bei den laufend veranlagten Steuern wie der Einkommensteuer die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern vorrangig in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen sind, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897). Da die Klägerin aber ab September 2017 keine Beiträge mehr an die AG gezahlt hat, scheitert eine Anpassung im Erstattungsjahr (2018) mangels Verrechnungsmöglichkeiten innerhalb des Sonderausgabentatbestandes und der Erstattungsüberhang (20.000,- EUR) mindert rückwirkend den Sonderausgabenabzug in den Streitjahren, in denen Beträge in Höhe von insgesamt 14.400,- EUR an die AG gezahlt wurden (vgl. hierzu auch BFH, Beschluss vom 19.01.2010 X B 32/09, BFH/NV 2010, 1250 zu Kirchensteuererstattungen, Rechtslage vor Einführung des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG).
70e) Schließlich fällt der Erstattungsbetrag in Höhe von 20.000,- EUR auch nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der ab Veranlagungszeitraum 2012 geltenden Sonderregelung in § 10 Abs. 4 b Satz 3 EStG, wonach bestimmte Erstattungsüberhänge zum Gesamtbetrag der Einkünfte des Erstattungsjahres hinzugerechtet werden (vgl. zum Anwendungsbereich Kulosa in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10 EStG Rz. 413 ff), insoweit kommt es im Streitfall zur Rückgängigmachung des Sonderausgabenabzuges in den Abflussjahren 2013 bis 2016.
71II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
72III. Die Revision war nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 FGO).