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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist die Abziehbarkeit von Beiträgen an einen Solidarverein als Sonderausgaben.
3Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 2013 und 2014 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin war selbständig tätig und zahlte für ihre Absicherung im Krankheits- und Pflegefall folgende jährliche Beiträge an die „…e.V.“ (V) mit Sitz in A-Stadt:
4- Krankenabsicherung (Basisabsicherung) 3.142,11 €
5- Krankenabsicherung (Mehrleistungen) 297,15 €
6- Pflegeabsicherung 124,74 €.
7In der Satzung des V vom … heißt es u.a.:
8„§ 2 Zweck des Vereins
9(1) Die V ist eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Ziff. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und keine Krankenkasse oder Krankenversicherung.
10(2) Zwecke des Vereins sind:
11a. Die Mitglieder sichern sich gegenseitig rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht; […].
(3) Die Satzungszwecke werden insbesondere dadurch verwirklicht,
14a. dass im Krankheitsfall jedes Mitglied eine umfassende und flexible Krankenversorgung erhält; […].
(4) Mit der Umsetzung der Satzungszwecke werden die Voraussetzungen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bzw. vergleichbare Ansprüche gemäß § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG erfüllt.“
17Die in § 2 Abs. 1 der Satzung in Bezug genommene Norm des § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) in der beim Inkrafttreten der Satzung gültigen Fassung (a.F.; heute § 3 Abs. 1 Nr. 1 VAG in der seit 2016 geltenden Fassung) lautete: „Der Aufsicht nach diesem Gesetz unterliegen nicht: Personenvereinigungen, die ihren Mitgliedern, ohne dass diese einen Rechtsanspruch haben, Unterstützungen gewähren, insbesondere die Unterstützungseinrichtungen und Unterstützungsvereine der Berufsverbände“.
18Die Mitglieder des V leisten einkommensabhängige Beiträge nach Maßgabe einer Beitragsordnung (BO). Die Hälfte der Beiträge wird danach einem Individualkonto des Mitglieds gutgeschrieben (§ 4 Abs. 5 Satz 1 BO). Die Auszahlung dieses Guthabens kann jedes Mitglied zur Deckung seiner Krankheitskosten – im Rahmen einer Zuwendungsordnung (ZO) – verlangen (§ 5 Abs. 2 der Satzung). Die andere Hälfte der Beiträge wird einem Solidarfonds gutgeschrieben (§ 4 Abs. 4 BO). Nicht verbrauchte Individualkonten gehen am Jahresende in den Solidarfonds über (§ 4 Abs. 5 Satz 2 BO).
19Zu Auszahlungen aus dem Solidarfonds bestimmt § 5 Abs. 3 der Satzung: „1Aus dem Solidarfonds können weitere Unterstützungen an die Mitglieder erbracht werden, die auch die Hilfe im Pflegefall abdecken. 2Über einen Antrag auf Unterstützung der Kosten für eine medizinisch notwendige Heilbehandlung oder eine andere gebotene Form der Therapie entscheidet der Vorstand nach Maßgabe der Zuwendungsordnung. 3Ein Anspruch auf Leistung besteht nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit. 4Diese soll dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- oder Krankenversicherung erreicht werden soll. 5In anderen Fällen entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen.“
20In § 4 Abs. 6 Satz 1 BO heißt es: „Wenn Zuwendungen aus dem Solidarfonds beantragt werden, sind vorher Zahlungen in Höhe des halben Richtbeitrags vom Mitglied zu tragen – entweder vom Individualkonto oder als ‚Selbstbehalt‘ (die Eigenbeteiligungen gemäß der Zuwendungsordnung sind zusätzlich zu tragen).“
21Nach der ZO besteht freie Therapiewahl, sodass den Mitgliedern des V die Wahl unter den approbierten Ärzten, Zahnärzten und Therapeuten sowie Heilpraktikern frei zusteht (§ 1 Abs. 1 ZO). Bei medizinisch notwendiger stationärer Heilbehandlung hat jedes Mitglied freie Wahl unter den öffentlichen und privaten Krankenhäusern (§ 1 Abs. 2 ZO). Die Mitglieder sind zunächst Selbstzahler und erhalten in der Regel eine Rechnung nach einer geltenden Gebührenordnung, die sie zur Abrechnung bei V einreichen können (§ 2 ZO). Zur Verwirklichung der Ziele des V dient gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 ZO ein Zuwendungsrahmen, der Obergrenzen für Leistungen festlegt (z.B. „Allgemeinarzt – bis zum 2,3-fachen Satz der GOÄ“; „Zahnbehandlung/Zahnersatz/Kieferorthopädie – bis zum 2,3-fachen Satz der GOZ, Eigenbeteiligung 30%“). Im Einzelfall können Zuwendungen über den Zuwendungsrahmen hinaus durch den Vorstand gewährt werden (§ 7 ZO).
22In Streitfällen ist der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen. Die Mitglieder können statt dessen ein Schlichtungsverfahren und anschließend ggf. ein Schiedsverfahren nach §§ 1025 ff. der Zivilprozessordnung einleiten (§ 11 der Satzung).
23Der in den Streitjahren von V verwendete Aufnahmeantrag enthält die folgende – fett gedruckte – Erklärung des Antragstellers: „Mir ist bekannt, dass kein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen besteht, und dass dieser auch nicht durch wiederholte oder regelmäßige Zahlungen in anderen Fällen entsteht.“
24In einem „Argumentarium“ des V werden sieben Prinzipien der Solidargemeinschaft genannt. Darunter: „5. Zuwendung statt Anspruch: Die V hat eine klare Beitrags- und Zuwendungsordnung. Es geht um das Geben von Zuwendungen statt um das Erheben von Ansprüchen.“
25Zwischen der Bundesarbeitsgemeinschaft von Selbsthilfeeinrichtungen – Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen e.V. (BASSG) und der PAX-Familienfürsorge Krankenversicherung AG (PAX) bestand ein Vertrag vom 29.11.2010, nach dem die PAX Krankheitskosten, die einen Betrag von 5.000 € pro Person pro Kalenderjahr überschreiten, an die BASSG erstattet. Die Auszahlung erfolgt unmittelbar an die bei der BASSG organisierten Einrichtungen, zu denen V gehört.
26Die Kläger machten die an V gezahlten Beiträge als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a und b des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Beklagte (das Finanzamt – FA –) versagte den Abzug in den Einkommensteuerbescheiden für 2013 vom 26.02.2015 und für 2014 vom 28.05.2015.
27Mit Einsprüchen trugen die Kläger vor, bei V handele es sich um eine Einrichtung i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) gewähre. Eines Rechtsanspruchs auf Erstattung von Krankheitskosten bedürfe es hierfür nicht. Würde V einen solchen Rechtsanspruch gewähren, unterläge er der Versicherungsaufsicht und gehörte zu den Krankenversicherungsunternehmen. Die gesetzliche Ausdehnung des Sonderausgabenabzugs auf Einrichtungen, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewähren, liefe dann leer.
28Das Bayerische Landessozialgericht hat mit Urteil vom 09.06.2015 (L 4 KR 27/13) für die im Jahr 2009 geltende Satzung des V entschieden, er sei aufgrund des darin fehlenden Rechtsanspruchs der Mitglieder auf Leistungen keine Einrichtung, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewähre. Das Bundessozialgericht (BSG) hat die hiergegen eingelegte Revision wegen unzureichender Begründung als unzulässig verworfen (Beschluss vom 18.04.2017 – B 12 KR 18/15 R, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen – 1 BvR 2062/17).
29Mit Einspruchsentscheidungen vom 29.09.2015 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Es führte aus, abzugsfähige Basiskrankenversicherungsbeiträge lägen nur vor, soweit auf die Erstattung von Krankheitskosten ein Rechtsanspruch bestehe. Ein faktischer Leistungsanspruch genüge selbst dann nicht, wenn er dauerhaft erfüllbar sei. Zudem müsse eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gegeben sein. Dies sei nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bei Solidargemeinschaften – wie V – nicht der Fall.
30Mit ihren Klagen verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie tragen vor, V sei nach seiner Satzung eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG a.F. Seinen Mitgliedern sichere er gemäß § 2 Abs. 2 Buchst. a der Satzung rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die in Qualität und Quantität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspreche. Zur Verwirklichung dieses Satzungszwecks regele § 2 Abs. 3 Buchst. a der Satzung verbindlich, dass im Krankheitsfall jedes Mitglied eine umfassende und flexible Krankenversorgung erhalte. Mit der Erfüllung der Satzungszwecke würden gemäß § 2 Abs. 4 der Satzung die Voraussetzungen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bzw. vergleichbarer Ansprüche gemäß § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) erfüllt. In der ZO sei verbindlich geregelt, dass den Mitgliedern des V die Wahl unter den approbierten Ärzten, Zahnärzten, Therapeuten und Heilpraktikern freistehe. Auch bei medizinisch notwendigen stationären Behandlungen bestehe Wahlfreiheit. Erstattet würden die Kosten für notwendige Behandlungen nach den Gebührenordnungen der Ärzte und Heilberufe, Heilpraktiker und Zahnärzte. Der Zuwendungsrahmen entspreche dem der privaten Krankenversicherung. Diese Leistungszusagen genügten den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG. Das BSG habe entschieden, für eine von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht befreiende anderweitige Absicherung i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V reiche eine den Anforderungen der privaten Krankenversicherung gemäß § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG entsprechende Leistungszusage aus. Auch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz würden genügen (Verweis auf BSG-Urteile vom 20.03.2013 – B 12 KR 14/11 – und vom 03.07.2013 – B 12 KR 2/11 R). An die Leistungszusagen von Solidargemeinschaften dürften keine höheren Anforderungen gestellt werden.
31Die für die Versicherungsaufsicht zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat gegen V im Jahr … ein auf die Einstellung und Abwicklung des Geschäftsbetriebs gerichtetes Verfahren eingeleitet. Sie hat die Auffassung vertreten, V gewähre seinen Mitgliedern einen Rechtsanspruch auf Leistungen aus dem Solidarfonds und betreibe daher erlaubnispflichtige Versicherungsgeschäfte, ohne dass ihm die erforderliche Erlaubnis erteilt worden sei. Zwar liege ein Versicherungsgeschäft nicht vor, wenn der Anspruch der Mitglieder gegen V auf die verfügbaren Mittel beschränkt sei (Anspruch auf Leistung nach Kassenlage; Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.1956 – I C 147.54). Eine solche Regelung enthielten die Satzung und ZO des V jedoch nicht. V hat daraufhin die Satzung dahingehend geändert, dass Ansprüche auf Leistungen aus dem Solidarfonds auf die zur Verfügung stehenden Mittel beschränkt sind. Die BaFin hat diese Änderung akzeptiert und das Verfahren … beendet.
32In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger betont, die BaFin sei vom Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Leistung ausgegangen. Dem Aufnahmeantrag des V lasse sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Darin sei lediglich davon die Rede, dass kein Rechtsanspruch auf „bestimmte“ Leistungen bestehe. Einen Anspruch auf bestimmte Leistungen gewährten aber auch die gesetzliche und die private Krankenversicherung nicht. Das im „Argumentarium“ genannte fünfte Prinzip solle den Mitgliedern verdeutlichen, dass sich aus ihren Beitragszahlungen nicht automatisch ein Anspruch auf Leistungen ergebe. Im Übrigen spreche die Entstehung der Regelung über den Bestandsschutz von Solidargemeinschaften in § 176 SGB V für das Vorliegen eines Rechtsanspruchs schon in den Streitjahren. Darüber hinaus müsse das tatsächliche Zahlungsverhalten des V berücksichtigt werden.
33Die Kläger beantragen,
34die Einkommensteuerbescheide für 2013 vom 26.02.2015 und für 2014 vom 28.05.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 29.09.2015 dahingehend zu ändern, dass die Beiträge an die V als Vorsorgeaufwendungen anerkannt werden;
35hilfsweise, die Revision zuzulassen.
36Das FA beantragt,
37Klageabweisung.
38Es nimmt auf seine Einspruchsentscheidungen Bezug und ergänzt, der Begriff „anderweitige Absicherung“ impliziere die Notwendigkeit eines Rechtsanspruchs, welchen V nicht gewährleiste. Die Aufnahme des Verweises auf § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in die Satzung begründe keinen einklagbaren Rechtsanspruch auf Leistungen im Krankheitsfall. Solidargemeinschaften verstünden sich als Alternative zu den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen; typisch für sie seien das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf Leistungen, das Fehlen eines festgelegten Leistungskatalogs und Beitragsmodelle auf freiwilliger Basis. Die Gewährung von Leistungen werde – innerhalb eines bestimmten Rahmens – meist im Einzelfall entschieden und erfolge über vereinseigene Rücklagen/Fonds, die aus den Mitgliedsbeiträgen gespeist würden. Dies gelte auch für V. Der Verweis auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG a.F. in § 2 Abs. 1 der Satzung stelle klar, dass die Mitglieder mit ihren Beiträgen keinen Rechtsanspruch auf Versorgung im Krankheitsfall erwürben. Auch den Aussagen zum Zweck des Vereins in § 2 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 4 der Satzung lasse sich kein Rechtsanspruch auf Leistungen entnehmen. Satzung und ZO enthielten insoweit lediglich Absichtserklärungen, etwa in § 5 Abs. 1 und 3 der Satzung und § 3 Abs. 1 und 2 ZO. Der Vertrag zwischen der BASSG und der PAX gewähre ebenso wenig einen Rechtsanspruch des Einzelnen auf Kostenerstattung. Eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sei damit nicht gegeben. Zudem werde kein sozialhilfegleiches Versorgungsniveau erreicht. § 176 SGB V habe nicht nur klarstellende Bedeutung, sondern zeige, dass in der Vergangenheit kein Rechtsanspruch auf Leistungen bestanden und keine „anderweitige Absicherung im Krankheitsfall“ vorgelegen habe.
39Das FA hat die Steuerakten vorgelegt.
40Das Gericht hat die Klagen in der mündlichen Verhandlung am 30.11.2017 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Aufgrund des Beschlusses vom 24.06.2019 hat das Verfahren bis zum Ergehen einer die Instanz abschließenden Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem Verfahren X R 12/19 geruht.
41Entscheidungsgründe
42Die Klage ist unbegründet.
43Die Einkommensteuerbescheide für 2013 vom 26.02.2015 und für 2014 vom 28.05.2015 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 29.09.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Das FA hat den Abzug der an V gezahlten Beiträge als Sonderausgaben zutreffend versagt.
441. Beiträge zu Krankenversicherungen sind gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung als Sonderausgaben abziehbar, soweit diese Beiträge zur Erlangung eines durch das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bestimmten sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus erforderlich sind und sofern auf die Leistungen ein Anspruch besteht. Daneben sind gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung Beiträge zu gesetzlichen Pflegeversicherungen (soziale Pflegeversicherung und private Pflege-Pflichtversicherung) ebenfalls als Sonderausgaben abzugsfähig.
45Weitere Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug solcher Beiträge ist insbesondere, dass sie an die in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis d EStG genannten Versicherungsunternehmen, berufsständischen Versorgungseinrichtungen, Sozialversicherungsträger oder Anbieter i.S.d. § 80 EStG geleistet werden (sog. begünstigte Versorgungsträger bzw. Beitragsempfänger). Die Abzugsfähigkeit der Beitragsleistung an ein Versicherungsunternehmen setzt dabei zusätzlich voraus, dass das Versicherungsunternehmen entweder seinen Sitz oder seine Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat und das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben darf (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG) oder ihm die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG). Nach dem durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.06.2013 (BStBl I 2013, 802) mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2013 eingefügten § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG werden darüber hinaus Beiträge nur berücksichtigt, wenn es sich um Beträge i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG an eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder eine der Beihilfe oder freien Heilfürsorge vergleichbare Absicherung i.S.d. § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG gewährt.
46a) V fällt nicht unter § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 1 EStG. Selbst wenn V als „Versicherungsunternehmen“ anzusehen sein sollte, würde ein Sonderausgabenabzug voraussetzen, dass dieses Unternehmen das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben darf (Doppelbuchst. aa) oder ihm die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist (Doppelbuchst. bb). Gemäß § 8 Abs. 1 VAG bedürfen Versicherungsunternehmen zum Geschäftsbetrieb der Erlaubnis der Aufsichtsbehörde. Da V in den Streitjahren weder eine solche Erlaubnis erteilt war noch die Voraussetzungen etwaiger Ausnahmetatbestände von der Erlaubnispflicht erfüllt waren, durfte V das Versicherungsgeschäft im Inland nicht betreiben. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
47b) Für die Abziehbarkeit der an V geleisteten Beiträge kommt es daher darauf an, ob es sich bei V um eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewährt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG) und ob auf die Leistungen des V ein Anspruch besteht (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a Satz 1 EStG).
48Ein Anspruch ist das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –). Zur Beurteilung des Bestehens eines Anspruchs auf die Leistungen ist die Satzung des V auszulegen. Ergänzend können weitere Quellen – z.B. der Internetauftritt, Werbematerial und Protokolle von Mitgliederversammlungen des V – herangezogen werden (BFH-Urteil vom 12.08.2020 X R 12/19, BFHE 270, 409, BFH/NV 2021, 483).
492. Nach diesen Maßstäben bestand auf die Leistungen des V in den Streitjahren kein Anspruch. Dies ergibt die Auslegung der in diesen Jahren geltenden Satzung, ZO und BO des V sowie die Würdigung der übrigen Umstände des Streitfalls.
50a) Anspruchsgrundlagen für Leistungen, wie sie etwa die §§ 20 ff. i.V.m. § 11 SGB V für die gesetzliche Krankenversicherung enthalten, finden sich in der Satzung des V nicht.
51Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nach den folgenden Vorschriften Anspruch auf Leistungen u.a. bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§§ 24c bis 24i SGB V), zur Verhütung von Krankheiten und von deren Verschlimmerung sowie zur Empfängnisverhütung, bei Sterilisation und bei Schwangerschaftsabbruch (§§ 20 bis 24b SGB V), zur Erfassung von gesundheitlichen Risiken und Früherkennung von Krankheiten (§§ 25 und 26 SGB V) und zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Nach § 20i Abs. 1 Satz 1, § 20j Abs. 1, § 22 Abs. 3, § 22a Abs. 1 Satz 1, § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1 Satz 1, § 24a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 24b Abs. 1 Satz 1, § 24d Satz 1 SGB V usw. haben Versicherte Anspruch auf […] bzw. Anspruch auf Leistungen für […]. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um Anspruchsgrundlagen, die den Versicherten Ansprüche i.S.d. § 194 Abs. 1 BGB vermitteln.
52Die Satzung des V enthält keine vergleichbaren Regelungen. Auch § 2 Abs. 2 Buchst. a der Satzung stellt keine Anspruchsgrundlage für Leistungen des V dar. Nach dieser Norm sichern sich die Vereinsmitglieder gegenseitig rechtlich verbindlich eine umfassende flexible Krankenversorgung zu, die in Quantität und Qualität mindestens dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Die Vorschrift beschreibt lediglich den Vereinszweck. Dies zeigen ihre Überschrift („§ 2 Zweck des Vereins“), der den Abs. 2 einleitende Halbsatz („Zwecke des Vereins sind: …“) und unbestimmte Begriffe wie „umfassende“ und „mindestens“. Mit der Regelung werden nur allgemeine Leitlinien der Unterstützung durch V formuliert, aber keine Rechtsansprüche der Mitglieder begründet.
53b) § 2 Abs. 1 der Satzung schließt einen Anspruch auf Leistungen ausdrücklich aus. Die Norm bestimmt, V sei eine aufsichtsfreie Personenvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG a.F. Nach dieser Vorschrift unterliegen der Aufsicht lediglich solche Personenvereinigungen nicht, die ihren Mitgliedern Unterstützungen gewähren, ohne dass diese Mitglieder einen Rechtsanspruch darauf haben. § 2 Abs. 1 der Satzung verneint damit einen Anspruch auf Leistungen. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Vorbringen der Kläger im Einspruchsverfahren. Sie erklärten, ein Rechtsanspruch auf Leistungen bestehe nicht, und trugen vor: Würde V einen solchen Rechtsanspruch gewähren, unterläge er der Versicherungsaufsicht.
54c) Auch die Regelungen in § 5 Abs. 2 und 3 der Satzung begründen – in Zusammenschau mit der ZO und der BO – keinen Rechtsanspruch gegen V auf Leistungen im Krankheits- oder Pflegefall.
55aa) Nach § 5 Abs. 2 der Satzung kann jedes Mitglied zur Deckung seiner Krankheitskosten die Auszahlung des Guthabens auf seinem Individualkonto verlangen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass das Auszahlungsverlangen ins Leere geht, soweit ein Guthaben auf dem Individualkonto nicht existiert. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht verbrauchte Beträge auf Individualkonten am Jahresende in den Solidarfonds fließen (§ 4 Abs. 5 Satz 2 BO). Im Hinblick auf den Auszahlungsanspruch des einzelnen Mitglieds nach § 5 Abs. 2 der Satzung verfällt das Guthaben auf dem Individualkonto daher am Ende eines jeden Jahres. Es steht zur Deckung von Kosten dieses Mitglieds lediglich im Jahr der Einzahlung zur Verfügung. Über ein Jahr hinaus können Beiträge nicht „angespart“ werden. Eine volle Kostenerstattung erfolgt mithin nur, wenn die Kosten den auf dem Individualkonto verbuchten Teil des Jahresbeitrags unterschreiten. Die Satzungsnorm gewährt somit keinen unbedingten Anspruch auf Leistungen im Falle einer Krankheit oder eines Pflegebedürfnisses. Sie spiegelt vielmehr das Interesse der Mitglieder des V wider, die Entstehung von Kosten möglichst zu vermeiden und für entstandene Kosten jeweils selbst – durch eigene Beiträge – aufzukommen.
56bb) Gemäß § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Satzung „können“ weitere Unterstützungen an die Mitglieder aus dem Solidarfonds erbracht werden. Über einen entsprechenden Antrag entscheidet der Vorstand des V. Dieser trifft demnach eine Entscheidung im jeweiligen Einzelfall. Die Sätze 2 bis 4 des § 5 Abs. 3 der Satzung enthalten Maßstäbe, an denen der Vorstand seine Entscheidung auszurichten hat. Danach besteht ein Anspruch auf Leistung nur in Fällen der medizinischen Notwendigkeit (Satz 3); in anderen Fällen entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen (Satz 5). Die Leistung „soll“ dem individuellen Bedarf entsprechen, wobei mindestens das Leistungsniveau der gesetzlichen Pflege- oder Krankenversicherung erreicht werden „soll“ (Satz 4). Der Rahmen der ZO ist zu beachten (Satz 2). Die Gesamtbetrachtung dieser Vorschriften ergibt, dass die Mitglieder des V danach keinen Rechtsanspruch auf Erstattung ihrer Kosten haben. Zwar sprechen die Sätze 3 und 5 für eine Pflicht zur Leistung dem Grunde nach, wenn eine Behandlung, ein Medikament oder Hilfsmittel medizinisch notwendig ist. Ein Anspruch auf Leistungen in einer bestimmten Höhe besteht aber nicht. Die Formulierungen „können“ (Satz 1) und „soll“ (Satz 4) zeigen, dass Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Versicherung gerade nicht garantiert werden. Auch aus der ZO ergeben sich keine konkreten Ansprüche. Der Zuwendungsrahmen nach § 7 ZO enthält lediglich Obergrenzen für Zahlungen des V. Den Regelungen über die freie Therapiewahl, die freie Wahl der behandelnden Ärzte, Zahnärzte, Therapeuten und Heilpraktiker sowie des Krankenhauses lassen sich ebenso wenig konkrete Beträge entnehmen. Die Bestimmung der Höhe des Zuschusses aus dem Solidarfonds liegt somit im Ermessen des Vereinsvorstands.
57Hinzu kommt, dass vor einer Zahlung aus dem Solidarfonds gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 BO Kosten in Höhe des halben (Richt-)Beitrags stets vom Mitglied zu tragen sind. Stehen dafür keine Mittel auf dem Individualkonto zur Verfügung, erhält das Mitglied insoweit keine Unterstützung von V (sogenannter „Selbstbehalt“, der von den Eigenbeteiligungen gemäß der ZO zu unterscheiden ist).
58d) Dieses Auslegungsergebnis wird durch den von V in den Streitjahren verwendeten Aufnahmebogen gestützt. Darin bestätigen die Antragsteller durch ihre Unterschrift, ihnen sei bekannt, dass kein Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen bestehe und dass ein solcher auch nicht durch wiederholte oder regelmäßige Zahlungen in anderen Fällen begründet werde. Die Passage ist fett gedruckt und auf dem Antragsformular so positioniert, dass sie nicht übersehen werden kann. V klärt damit potentielle Mitglieder über das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf Leistungen auf. Dass – genauer – von einem Anspruch auf „bestimmte“ Leistungen die Rede ist, führt zu keiner anderen Bedeutung der Passage. Im Kontext der Satzung, ZO und BO des V erschließt sich nicht, weshalb lediglich ein Anspruch auf „bestimmte“ Leistungen verneint werden sollte. Denn das Anliegen des V, einen Rechtsanspruch auf Leistungen auszuschließen, wird vor allem vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG a.F. verständlich: V soll nicht der Versicherungsaufsicht unterliegen.
59e) Das „Argumentarium“ des V bestätigt diese Würdigung. Das fünfte Prinzip der Solidargemeinschaft lautet danach „Zuwendung statt Anspruch“. Es gehe „um das Geben von Zuwendungen statt um das Erheben von Ansprüchen“. Ein individueller Anspruch gegenüber der Gemeinschaft widerspricht danach den Werten des V, der unter Solidarität stattdessen die gemeinschaftliche Zuwendung an den Einzelnen versteht. Diesem Verständnis sind die Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten. Sie haben vielmehr erklärt, das fünfte Prinzip solle den Mitgliedern verdeutlichen, dass sich aus ihren Beitragszahlungen nicht automatisch ein Anspruch auf Leistungen ergebe.
60f) Einen Anspruch des einzelnen Vereinsmitglieds auf Leistungen begründet auch der zwischen der BASSG und der PAX geschlossene Rückversicherungsvertrag nicht. Darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
61g) Mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz, BGBl I 2021, 1309) vom 03.06.2021 wurde mit § 176 SGB V eine Bestandsschutzregelung für solche Solidargemeinschaften geschaffen, die die Anforderungen der Abs. 1 und 3 der Norm erfüllen. Gemäß § 176 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind die in Abs. 1 der Vorschrift genannten Solidargemeinschaften ihren Mitgliedern zur Gewährung von Leistungen verpflichtet, die der Art, dem Umfang und der Höhe nach den Leistungen des SGB V entsprechen. Hiervon kann durch Satzung der Solidargemeinschaft nicht zum Nachteil ihrer Mitglieder abgewichen werden (§ 176 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Diese Bestimmungen entfalten erst seit dem 09.06.2021 Wirkung und gelten damit nicht für die Streitjahre.
623. Ob es sich bei V um eine Einrichtung handelt, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewährt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG), braucht mangels Anspruchs der Mitglieder auf eine solche Absicherung nicht geklärt zu werden.
634. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
645. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf einer tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls.