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1. Der Tabaksteuerbescheid vom 26.11.2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.06.2019 wird aufgehoben.
2. Die Sicherstellungsverfügung vom 02.10.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.06.2019 wird aufgehoben.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
5. Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
6. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob es sich bei Tabak-Strips um Roh- oder Rauchtabak handelt.
3Die Fa. A mit Sitz in Polen, lieferte der Fa. B mindestens 19.400 kg zerkleinerte Tabakblätter in unterschiedlichen Größen, sog. Tabak-Strips. Geschäftsführer der B war der Kläger. Die Waren wurden am 19.09.2017 in eine von der B angemietete Halle in Deutschland eingeliefert. Dem Frachtbrief zufolge handelte es sich bei der gelieferten Ware um „unmanufactured flue cured Virginia tobacco in strips“ der Unterposition 2401 20 85 („flue cured“ Tabak) der Kombinierten Nomenklatur (KN).
4Bei einer Durchsuchung der Lagerhalle am 15.03.2018 im Rahmen eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger fand das Zollfahndungsamt 97 Kartons mit je 200 kg unversteuerten Tabaks und beschlagnahmte diese. Die Kartons waren mit dem Etikett „Virginia Tobacco Strips“ versehen. Das Zollfahndungsamt legte einige Fotografien der Tabakblätter der Steuerzeichenstelle beim Hauptzollamt vor, die auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis kam, es handele sich „eindeutig“ um Rauchtabak im Sinne des Tabaksteuergesetzes (TabStG).
5Der Kläger wurde aufgrund eines vom Zollfahndungsamt erwirkten Haftbefehls vorläufig festgenommen. In dem Termin zur Verkündung des Haftbefehls erklärte er, der Tabak sei noch nicht ausreichend verarbeitet gewesen und unterliege daher nicht der Tabaksteuer. Er habe sich in dieser Hinsicht vor der Lieferung beim Finanzamt erkundigt.
6Die Steuerzeichenstelle beim Hauptzollamt kam in ihrem Schreiben vom 07.05.2018 nach der Untersuchung von vier Proben zu dem Ergebnis, es handele sich um Pfeifentabak. Der Tabak sei zweifelsfrei zerkleinert worden und könne mit einfachen Mitteln, durch händisches Zerkleinern, rauchfertig gemacht werden. Rippenstückchen könnten bei Bedarf von Hand aussortiert werden.
7Der Kläger legte ein Privatgutachten vor, dem zufolge es sich bei den Waren nicht um Rauch-, sondern um Rohtabak handele. Nach der im Zeitpunkt der Beschlagnahme maßgeblichen Verwaltungsauffassung seien Tabak-Strips nicht als Rauchtabak, sondern als Rohtabak eingeordnet worden. Erst aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 06.04.2017 (Eko-Tabak, C-638/15, ECLI:EU:C:2017:277), seien Zweifel an dieser Qualifizierung der Tabak-Strips entstanden. Die seit dem Frühjahr 2018 von der Finanz- und Zollverwaltung vertretene Rechtsansicht, Tabak-Strips seien Rauchtabak, sei unzutreffend. Getrocknete Tabakblätter würden üblicherweise durch das Verfahren der Fermentation zu Rauchtabak verarbeitet. Eine solche Fermentation sei im Streitfall nicht erfolgt, was durch die Angaben des Lieferanten und eine Analyse bestätigt werde. Ebenso wenig sei der Tabak durch Zugabe von Melasse und Glyzerin zu Wasserpfeifentabak (Shishatabak) weiterverarbeitet worden. Die bloß zerkleinerten Tabakblätter seien als solche nicht zum Rauchen geeignet. Die Eko-Tabak-Entscheidung betreffe dagegen Shishatabak. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des Gutachtens Bezug genommen.
8Das Hauptzollamt hielt in einer weiteren Stellungnahme, vom 21.08.2018, an seiner abweichenden Würdigung fest. Entscheidend sei, dass der beschlagnahmte Tabak ohne weitere industrielle Bearbeitung mit einfachen Mitteln, durch händisches Zerkleinern und Entfernen von Rippenstückchen, rauchfertig gemacht werden könne. Es handele sich um Pfeifentabak. Die Generalzolldirektion bestätigte diese Auffassung in ihrer Stellungnahme vom 27.08.2018.
9Das Landgericht hob den Haftbefehl auf die Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 31.08.2018 auf. Es kam zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Tabak-Strips noch mindestens ein weiterer industrieller Bearbeitungsschritt vollzogen werden müsse, damit der Tabak sich zum Rauchen eigne. Der Tabak müsse noch fermentiert werden. Im Zuge dieses Gärungsprozesses würden sein Nikotingehalt vermindert und blatteigene Eiweißverbindungen, die beim Rauchen das charakteristische Aroma der einzelnen Sorten überdeckten, abgebaut. Tabakchargen von mindestens 1.000 kg müssten dazu über einen Zeitraum von vier bis sechs Monaten einer idealen Prozesstemperatur von 50°C - 60°C ausgesetzt werden. Die Tabak-Strips wiesen ohne diese weitere Bearbeitung keinen Geschmack auf, der von einem durchschnittlichen Konsumenten als üblich oder akzeptabel wahrgenommen werde. Nicht fermentierte Tabak-Strips wiesen einen zu hohen Nikotingehalt auf und seien wegen ihrer möglicherweise toxischen Wirkung nicht zum Rauchen geeignet. Es sei allgemeinkundig, dass Überdosierungen von Nikotin zu Übelkeit und Erbrechen führen könnten. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gem. § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung ein.
10Der Beklagte, das Hauptzollamt (HZA), folgte dem nicht. Mit Verfügung vom 02.10.2018 stellte es den zunächst beschlagnahmten Tabak gem. § 23 Abs. 1 Satz 5 TabStG i.V.m. § 215 der Abgabenordnung (AO) sicher und setzte mit Bescheid vom 26.11.2018 Tabaksteuer gegenüber dem Kläger fest.
11Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, den das HZA als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte es aus: Für die Beurteilung, ob ein Tabakerzeugnis einen Steuergegenstand darstelle, komme es nicht auf die „Genussfähigkeit“ für den Konsumenten oder darauf an, ob das Produkt lebensmittelrechtlich einwandfrei sei. Auch Tabakwaren, die noch keine Fermentation durchlaufen hätten, könnten der Tabaksteuer unterliegen. Dafür spreche § 30 Abs. 1 Nr. 2 TabStG, da die von der Steuerbefreiung betroffenen Tabakerzeugnisse Steuergegenstand seien, obwohl eine Privatperson den von ihr angebauten Rohtabak mangels entsprechender Ausstattung nicht fermentieren könne. Auch das Produkt „Dokha“, zu dessen Herstellung Tabak lediglich getrocknet und verkleinert werde, werde auf dem deutschen Markt angeboten und als Rauchtabak behandelt.
12Dagegen richtet sich die Klage. Der Kläger hält an der Auffassung fest, es handele sich bei den Tabak-Strips nicht um Rauchtabak. Er verweist dazu auf ein Kurzgutachten vom 23.04.2018. Diese bestätigte der polnischen Lieferantin, dass eine Probe des Produkts handelsüblichen unbehandelten Rohtabak darstelle, wie er nach dem Dreschen („threshing“) der Blätter anfalle. Das Produkt dieser Qualität werde üblicherweise an die Tabakindustrie zur Herstellung von Tabakprodukten geliefert und sei nicht zur unmittelbaren Verwendung als Rauchtabak bestimmt.
13Der Kläger sieht sich im Übrigen in seiner Rechtsansicht durch das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten bestätigt. Der Sachverständige habe bestätigt, dass sich die Tabak-Strips ohne weitere industrielle Bearbeitung nicht zum Rauchen eigneten.
14Nicht gefolgt werden könne der Ansicht des HZA, dass es nur darauf ankomme, dass man den Tabak zerkleinern und „in Rauch verwandeln“ könne, da andernfalls auch Blätter eines Baumes der Steuerpflicht unterlägen. Das Ergebnis des Bearbeitungsprozesses müsse vielmehr zum Konsum geeignet sein.
15Diese Mindestanforderung für die Annahme eines Steuergegenstandes müsse von der Erfüllung lebensmittelrechtlicher Vorgaben, die in Deutschland traditionell sehr streng seien, unterschieden werden. Dagegen spreche auch nicht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, insb. die Eko-Tabak-Entscheidung. Auch nach ihr genüge es nicht, dass ein Tabakerzeugnis bloß „zündfähig“ sei. Unbehandelter Rohtabak stelle somit ein Naturprodukt dar, das zwar verkleinert werden könne, welches aber nicht zum Konsum geeignet sei.
16Eine solche Eignung zum Rauchen ergebe sich nicht aus der Stellungnahme des Hauptzollamts, der es an der erforderlichen Objektivität fehle. Einzig das gerichtliche Sachverständigengutachten stelle ein geeignetes Beweismittel dar. Der Umstand, dass sich die Probe möglicherweise chemisch verändert habe, gehe zu Lasten des HZA, das für eine ordnungsgemäße Lagerung der Probe hätte sorgen müssen.
17Der Kläger beantragt,
181. den Tabaksteuerbescheid vom 26.11.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.06.2019 aufzuheben,
192. die Sicherstellungsverfügung vom 02.10.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.06.2019 aufzuheben.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Das HZA ist der Auffassung, die Tabak-Strips stellten Rauchtabak dar. Das gerichtliche Gutachten enthalte keinerlei Aussagen hinsichtlich der tabaksteuerrechtlichen Qualifizierung der Waren im Zeitpunkt der Vorlage. Der Gutachter habe anhand des Wassergehalts die Proben als Rohtabak eingestuft. Es fehle insoweit an einer Begründung für diese Würdigung.
23Im Übrigen verweist das HZA im Wesentlichen auf das tabaksteuerliche Gutachten des Hauptzollamts, das von der Generalzolldirektion bestätigt worden sei. Es ist der Auffassung, für die Qualifizierung als Steuergegenstand komme es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht darauf an, ob der Tabak als Genussmittel verwendet werden könne. Es komme vielmehr darauf an, ob der Tabak objektiv rauchbar sei.
24Der Nikotingehalt im getrockneten Tabak unterliege natürlichen Schwankungen und sei daher nicht aussagekräftig. Subjektive Kriterien wie Geschmack und Verträglichkeit seien nicht geeignet, um einen Steuergegenstandes möglichst zweifelsfrei zu bestimmen. Für die erforderliche Abgrenzung (zwischen Roh- und Rauchtabak) sei die Fermentation der Tabakblätter oder die Trocknung in einem Schnellverfahren ohne Fermentation, z.B. mit Heißluft, nicht entscheidend. Ausschlaggebend sei nur, ob der Tabak bereits so weit bearbeitet sei, dass ein durchschnittlicher Verbraucher die Weiterverarbeitung bis hin zu einem rauchfertigen Erzeugnis selbst durchführen könne.
25Der Senat hat ein schriftliches Sachverständigengutachten insb. zu der Frage eingeholt, ob sich die Tabak-Strips unmittelbar zum Rauchen eigneten oder ob durch leicht durchführbare nicht-industrielle Vorgänge, z.B. durch weitere Zerkleinerung oder händisches Schneiden, die Eignung der Waren zum Rauchen herbeigeführt werden könnte. Der Sachverständige kam aufgrund der chemischen und visuellen Prüfung der vom HZA überlassenen Proben zu dem Ergebnis, es handele sich um Rohtabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung nicht zum Rauchen eigne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss vom 16.12.2019 und auf das Gutachten des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts vom 27.01.2020 Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe
27Die Klage ist begründet. Der angefochtene Tabaksteuerbescheid und die Sicherstellungsverfügung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
281. Die streitgegenständlichen Tabak-Strips unterliegen nicht der Tabaksteuer. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 TabStG unterliegen Tabakwaren der Tabaksteuer. Zu den Tabakwaren gehört gem. § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG Rauchtabak in der Form von Feinschnitt und Pfeifentabak. Dabei handelt es sich nach der gesetzlichen Definition um geschnittenen oder anders zerkleinerten oder gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet. Rohtabak, der nicht diese Voraussetzungen erfüllt, ist demgegenüber kein Steuergegenstand.
29Das Gesetz sieht zwei Tatbestandsmerkmale vor, die kumulativ erfüllt sein müssen, um Tabak als Rauchtabak zu qualifizieren: Zum einen muss der Tabak geschnitten oder anders zerkleinert sein. Diese Voraussetzung ist bei den Tabak-Strips ohne weiteres und unstreitig erfüllt. Zum anderen muss sich der Tabak ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignen.
30Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass dieses zweite Tatbestandsmerkmal in Bezug auf die Tabak-Strips nicht erfüllt ist. Weder sind diese unmittelbar zum Rauchen geeignet noch hätten sie sich nach einer einfachen nicht-industriellen Bearbeitung zum Rauchen geeignet.
31Unter welchen Voraussetzungen sich Tabak zum Rauchen eignet, ist nicht näher gesetzlich definiert. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 27.07.2016 (1 StR 19/16, wistra 2017, 74) entschieden, dass es für die Frage, ob Wasserpfeifentabak als Rauchtabak anzusehen sei, lediglich darauf ankomme, ob der nach Hitzeeinwirkung entstehende Rauch durch Einziehen in den Mundraum bzw. Inhalation genossen, also geraucht werden könne. Es komme dagegen nicht darauf an, ob der Tabak in der Wasserpfeife verbrenne oder sich die nach Hitzeeinwirkung austretenden Dämpfe durch eine andere Form der Stoffumwandlung ergäben. Nicht entscheidend für die Beurteilung, ob ein Steuergegenstand vorliege, seien weiterhin die Qualität des Produkts und seine lebensmittelrechtliche Zulassung.
32Daraus kann allerdings nicht gefolgert werden, dass jeder zerkleinerte Rohtabak per se zum Rauchen geeignet sei, nur weil man ihn anzünden und – theoretisch – die dabei entstehenden gasförmigen Stoffe inhalieren könnte. Denn in diesem Fall würde das zweite Tatbestandsmerkmal, die Eignung des Tabaks zum Rauchen, praktisch gänzlich an Bedeutung verlieren. Entscheidend muss daher nach Auffassung des Senats sein, ob sich Tabak – ggf. nach einer weiteren nicht-industriellen Bearbeitung – unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zum Rauchen, d.h. zum menschlichen Konsum, eignet (vgl. auch Weidemann, wistra 2019, 122, 123 betreffend die Frage, ob Erzeugnisse aus anderen Stoffen als Tabak steuerbar sind).
33Es handelt sich dabei demnach in erster Linie um eine tatsächliche Feststellung, über die ggf. Beweis zu erheben ist. Für diese Auslegung sprechen auch die Erläuterungen (Erl) zu Kapitel 24 der Kombinierten Nomenklatur (KN), die für die Abgrenzung zwischen den Positionen 2401 (Tabak, unverarbeitet; Tabakabfälle) und 2403 (anderer verarbeiteter Tabak und andere verarbeitete Tabakersatzstoffe; homogenisierter oder rekonstituierter Tabak; Tabakauszüge und Tabaksoßen) einen Rauchtest vorsehen (Anlage A zu den ErlKn zu Kap. 24).
34Die zollrechtlichen Bestimmungen sind zwar für die tabaksteuerliche Würdigung nicht verbindlich. Die zoll- und tabaksteuerlichen Bestimmungen sind aber hinsichtlich der Abgrenzung von Roh- und Rauchtabak nahezu gleichlautend, so dass die ErlKn als Indiz dafür gesehen werden können, dass in Zweifelsfällen die Eignung von Tabak zum Rauchen durch eine weitere Untersuchung – z.B. in Form des Rauchtests – festgestellt werden muss.
35Entscheidend ist somit, ob sich die Tabak-Strips entweder unmittelbar bzw. nach weiterer Verkleinerung oder nach einer anderen nicht-industriellen Bearbeitung zum Rauchen, d.h. zum menschlichen Konsum, eigneten. Unerheblich ist demgegenüber, ob es sich um lebensmittelrechtlich zulässige oder besonders gesundheitsgefährdende Tabakerzeugnisse handelt, da das TabStG diesbezüglich keine Einschränkungen vorsieht.
36In Anwendung dieser Grundsätze ist hinsichtlich der vom Senat zu beurteilenden Tabak-Strips wie folgt zu differenzieren:
37a) Die Tabak-Strips eignen sich nicht unmittelbar oder nach weiterer Verkleinerung zum Rauchen als Pfeifentabak. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich die Tabak-Strips zum Zeitpunkt der Probenahme zum Rauchen geeignet hätten. Der Senat folgt insofern den Feststellungen des Sachverständigen.
38Seinem schriftlichen Gutachten zufolge handelt es sich bei den Tabak-Strips um Rohtabak, der sich ohne weitere industrielle Bearbeitung nicht zum Rauchen eignet. Der Sachverständige bestätigt insofern die von dem Kläger vorgelegten Privatgutachten. Sein Gutachten steht außerdem im Einklang mit der Eingruppierung der Waren in Position 2401 KN, die allerdings – wie bereits dargestellt – für die tabaksteuerliche Würdigung nicht verbindlich ist. Der Sachverständige hat dabei im Wesentlichen auf den vergleichsweise hohen Feuchtigkeitsgehalt und eine optische Begutachtung der Probe abgestellt.
39Der Senat hält die Feststellungen des Sachverständigen für nachvollziehbar und die Einwendungen des HZA gegen das Gutachten nicht für begründet. Das Hauptzollamt ist zu seiner abweichenden Beurteilung der Proben im Wesentlichen aufgrund einer visuellen Prüfung der Proben gekommen. Einen Rauchtest oder eine chemische Untersuchung hat das Hauptzollamt nicht durchgeführt.
40Soweit das beklagte HZA darauf hinweist, dass der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt habe, ihm sei eine Beurteilung der Waren hinsichtlich der Feststellung, ob diese zum Zeitpunkt der Probenahme zum Rauchen geeignet waren, nicht möglich, da ihm keine analytischen oder sensorischen Daten vom Zeitpunkt der Probenahme vorlägen, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat geht davon aus, dass seine Feststellung, dass es sich bei den Proben im Zeitpunkt der Begutachtung um Roh- und nicht um Rauchtabak handelte, nur bedeuten kann, dass die Tabakerzeugnisse auch im Zeitpunkt der Probenahme nicht zum Rauchen geeignet waren. Eine chemische Veränderung des Materials in dem Sinne, dass es sich bei der Probenahme um Rauchtabak gehandelt hätte, dürfte ausgeschlossen sein.
41Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben. Selbst wenn man mit dem HZA annähme, dass ein Rückschluss von der gutachterlichen Untersuchung auf den Zeitpunkt der Probenahme aufgrund einer Veränderung der Probe in dem Zeitraum zwischen der Probenahme und der späteren Untersuchung nicht möglich wäre, so könnte die Frage der Eignung der Tabak-Strips zum Rauchen nicht mehr festgestellt werden. Die Feststellungslast für ein steuerbegründendes Tatbestandsmerkmal läge jedoch beim Beklagten.
42b) Der Senat kann weiterhin nicht feststellen, dass die Eignung zum Rauchen durch eine andere einfache nicht-industrielle Bearbeitung hätte hergestellt werden können. Der Sachverständige hat zu dieser Frage keine näheren Feststellungen getroffen. Die Beurteilung, ob die im Streit stehenden möglichen Verfahren – im Wesentlichen die Fermentierung zur Herstellung von Pfeifentabak und die Weiterverarbeitung zu Wasserpfeifentabak – als industriell oder nicht-industriell im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG zu werten sind, stellt eine rechtliche Würdigung dar, die der Senat ohne Beweisaufnahme beantworten kann. Die in Betracht kommenden Verfahren sind danach nicht als einfache nicht-industrielle Vorgänge zu werten.
43In der Eko-Tabak-Entscheidung (EuGH-Urteil vom 06.04.2017, C-638/15, ECLI:EU:C:2017:277) hat der Europäische Gerichtshof das Tatbestandsmerkmal dahin konkretisiert, dass der Begriff „industrielle Bearbeitung“ die üblicherweise in großem Maßstab anhand eines standardisierten Verfahrens stattfindende Umwandlung von Rohstoffen in materielle Güter bezeichnet (Rn. 30). Demgegenüber stellten leicht durchführbare Vorgänge, die die Eignung einer unfertigen Tabakware zum Rauchen herbeiführen sollten – z. B. indem ein Tabakstrang einfach in eine Zigarettenpapierhülse geschoben werde –, im Wesentlichen keine „industrielle Bearbeitung“ dar (Rn. 31). Unter diesen Umständen seien Tabakwaren, die rauchfertig seien oder durch nicht industrielle Mittel leicht rauchfertig gemacht werden könnten, als ohne weitere „industrielle Bearbeitung“ zum Rauchen geeignet anzusehen (Rn. 32).
44Den Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Eko-Tabak (ECLI:EU:C:2016:962) eine Parallele zu der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21.06.2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren gezogen und ebenfalls auf einen „einfachen nichtindustriellen Vorgang“ abgestellt (Rn. 37). Er folgerte, dass Rauchtabak nicht in eine der sonstigen in dieser Richtlinie genannten Kategorien falle und verbrauchsfertig sei oder mit nicht industriellen Mitteln „unschwer“ verbrauchsfertig gemacht werden könne. Ob dies der Fall ist, sei aus einer funktionalen Perspektive zu betrachten. Insoweit stelle es keine industrielle Bearbeitung dar, wenn ein Raucher, ohne hierzu notwendigerweise über vorherige Fähigkeiten zu verfügen, zum eigenen Verbrauch geschnittenen oder anders zerkleinerten, gesponnenen oder in Platten gepressten Tabak in ein rauchfertiges Erzeugnis umwandele (Rn. 39). Zu solchen einfachen Vorgängen gehörten jedenfalls das Drehen von Zigaretten aus „Drehtabak“ (Rz. 38) und das Einführen von Feinschnitttabaksträngen in Zigarettenpapierhülsen.
45Die Bundesfinanzverwaltung hat die Eko-Tabak-Entscheidung in dem Sinne verstanden, dass bei der Beurteilung, ob es sich bei Tabak um Rauchtabak handele, nicht auf die vorgesehene weitere Bearbeitung des Tabaks abzustellen sei, sondern darauf, ob der Tabak zum Zeitpunkt der Vorlage durch leicht durchführbare Vorgänge, die im Wesentlichen keine industrielle Bearbeitung darstellten, rauchfertig gemacht werden könne (jetzt E-VSF V 1203 Abs. 3). Es besteht schon nach dem Wortlaut des Gesetzes und der Richtlinie kein Zweifel daran, dass für die Qualifikation als Rauchtabak nicht allein auf die im konkreten Einzelfall geplante Weiterverarbeitung abzustellen ist, sondern auch andere Weiterverarbeitungsmöglichkeiten berücksichtigt werden müssen. Jedoch kann dabei nach Auffassung des Senats nicht auf rein theoretische Weiterverarbeitungsmöglichkeiten abgestellt werden, sondern nur auf übliche Weiterverarbeitungsverfahren.
46Die in Anwendung dieser Grundsätze in Betracht kommenden üblichen Bearbeitungsverfahren können nicht als einfache nicht-industrielle Bearbeitung angesehen werden. Andere Weiterverarbeitungsmöglichkeiten sind vom HZA nicht dargelegt worden und auch nicht anderweitig für den Senat erkennbar.
47aa) Die Strips hätten unstreitig durch Fermentation zu Pfeifentabak verarbeitet werden können. Das Verfahren der Fermentation, wie es vom Landgericht näher beschrieben worden ist, ist als industrielle Bearbeitung im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG zu werten. Es findet üblicherweise im großen Maßstab anhand eines standardisierten Verfahrens statt.
48Dem HZA kann nicht darin gefolgt werden, dass sich aus § 30 Abs. 1 Nr. 2 TabStG ergebe, dass die Fermentation des Tabaks für die tabaksteuerliche Beurteilung unerheblich sei. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nur die an sich selbstverständliche Erkenntnis, dass aus Rohtabak Tabakwaren für den eigenen Bedarf hergestellt werden können. Dass deshalb jegliche mögliche Weiterverarbeitung als einfache nicht-industrielle Bearbeitung anzusehen wäre, folgt daraus nicht.
49Auch der Hinweis des HZA auf andere Produkte wie Dokha, die auf zerkleinertem Rohtabak beruhen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Es liegen dem Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Tabak-Strips tatsächlich zu Dokha hätten verarbeitet werden sollen oder üblicherweise bzw. in nennenswertem Umfang zur Herstellung von Dokha verwendet würden. Dies behauptet das HZA auch nicht. Es handelt sich dabei lediglich um eine theoretische Weiterverarbeitungsmöglichkeit, die für die Frage der Raucheignung der konkret zu beurteilten Tabakerzeugnisse außer Betracht bleiben muss.
50bb) Die handelsübliche Weiterverarbeitung der Strips zu Wasserpfeifentabak stellt ebenfalls keine einfache nicht-industrielle Bearbeitung dar. Das beschriebene Verfahren, das die weitere Zerkleinerung, das Hinzufügen von Glycerin, Molasse und Aromastoffen umfasst, ist deutlich komplexer als die als einfache nicht-industrielle Bearbeitung anerkannten Bearbeitungsweisen zur Herstellung von Zigaretten, nämlich das Drehen von Zigaretten aus „Drehtabak“ und das Einführen von Feinschnitttabaksträngen in Zigarettenpapierhülsen. Darüber hinaus erfolgt die Weiterverarbeitung üblicherweise im großen Maßstab und nach einem standardisierten Verfahren. Ob es möglich wäre, ähnliche Produkte in kleinen Mengen auch mit einfachen Haushaltsmitteln herzustellen, kann für die rechtliche Beurteilung nicht entscheidend sein, solange nicht feststellbar ist, dass eine solche nicht-industrielle Herstellung von Wasserpfeifentabak aus Tabak-Strips üblich wäre. Dafür hat der Senat keine Anhaltspunkte, zumal die im Streitfall gelieferte Menge (knapp 20 t) und Verpackungsgröße (200 kg) nicht dafür sprechen, dass der Verkauf an Endverbraucher geplant gewesen wäre; diesbezüglich liegen auch keinerlei Feststellungen der Zollverwaltung vor.
512. Gem. § 23 Abs. 1 Satz 5 TabStG sind Tabakwaren, die in anderen als den in § 22 Abs. 1 TabStG genannten Fällen entgegen § 17 Abs. 1 TabStG aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt (gewerbliche Zwecke) werden, gem. § 215 AO sicherzustellen. Die Voraussetzungen für eine Sicherstellung lagen im Streitfall nicht vor, weil die Tabak-Strips keine Tabakwaren im Sinne des § 1 Abs. 2 TabStG darstellten.
523. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung und die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
534. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.