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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt einen Vorsteuerabzug im Wege einer Billigkeitsentscheidung nach §§ 163, 227 AO.
3Die Klägerin klagt als Gesamtrechtsnachfolgerin der B-GmbH & Co. KG (KG) bzw. C-GmbH & Co. KG. Mit Vertrag vom xx.xx.2017 traten die Kommanditisten aus der Gesellschaft aus und das Vermögen wuchs auf die Klägerin als verbliebene Komplementärin an (Amtsgericht …).
4Geschäftsgegenstand der Klägerin und der KG war das Mobilienleasing für andere Unternehmen u.a. durch sog. sale-and-lease-back Geschäfte.
5Gegenstand des hiesigen Verfahrens sind insgesamt sechs sale-and-lease-back Geschäfte, die die KG mit der E-GmbH (E), … (später umfirmiert in D-GmbH) in den Streitjahren 2007, 2008, 2010 und 2012 getätigt hat:
6Dabei erwarb E zunächst jeweils ein neues Motorboot von der in Italien, Z-Stadt, ansässigen E-s.r. Die Rechnungen erfolgten ohne Ausweis von USt mit dem Hinweis auf eine innergemeinschaftliche Lieferung („prestazione intracomunitaria“). Ausweislich der Rechnungen wurde der Kaufpreis in voller Höhe von E entrichtet.
7Einige Tage später schlossen E und die KG einen „Kauf- und Übereignungsvertrag“ ab. Darin verkaufte E das Boot an die KG zum identischen Nettokaufpreis zzgl. deutscher USt. Die KG zahlte den Kaufpreis an E und refinanzierte diesen bei einer Bank.
8Die Übergabe des Bootes wurde lt. Kaufvertrag durch die Vereinbarung des Abschlusses eines Leasingvertrages mit Nutzungsüberlassung ersetzt. Im Kaufvertrag wurden die Parteien bereits als „Leasinggeber“ und „Leasingnehmer“ bezeichnet.
9E erteilte der KG anschließend eine Rechnung über den Kauf des Bootes mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer. Die KG machte die Vorsteuer aus der Rechnung der E in ihren Umsatzsteuererklärungen geltend.
10Einige Tage danach schlossen E und die KG einen Mobilienleasingvertrag über das jeweilige Boot mit einer Laufzeit 36 Monaten und einer monatlichen Leasingrate.
11Nach Punkt x des Leasingvertrages sei die KG bereit, vor Ablauf des Vertrages mit E über eine Vertragsverlängerung zu verhandeln. Unter Punkt x. … war vereinbart, dass E nach Ablauf des Leasingvertrages auf Verlangen der KG das Boot zu einem fest vereinbarten Kaufpreis (ca. 75% der Anschaffungskosten) zzgl. gesetzliche USt kaufen solle. Wenn die KG von dem Andienungsrecht keinen Gebrauch machen sollte und keine Vertragsverlängerung zu Stande käme, werde sich die KG bemühen, das Boot anderweitig zu verwerten. Wenn die KG dabei weniger als den vereinbarten Kaufpreis erzielen sollte, erstatte E den Differenzbetrag.
12Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kauf- und Übereignungsverträge, die Rechnungen und Leasingverträge Bezug genommen (in Prüferhandakte USSt des FA).
13Zudem wird auf die Allgemeinen Leasing Bedingungen (ALB) (Anlage zum Protokoll) Bezug genommen.
14Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Verträge und ALB in allen Streitjahren mit den in den Akten befindlichen Exemplaren identisch waren.
15Im Rahmen einer bei E im Jahr 2012 durchgeführten Außenprüfung für den Veranlagungszeitraum 2008 wurde festgestellt, dass die Boote im Zeitpunkt des Verkaufs von E an die KG nicht in Deutschland, sondern in Italien am Y-See gelegen haben. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
16Mit zwei Schreiben vom xx.xx.2012 teilte E der KG mit, dass sie in zwei Rechnungen vom 30.04.2008 und 31.10.2008 zu Unrecht deutsche Umsatzsteuer ausgewiesen habe (94.455,46 € und 94.551,98 €). Die Rechnungen würden wie folgt berichtigt:
17„Der Rechnungsbetrag beträgt absprachegemäß pauschal EUR 591.589,46 € [592.193,98 €]. In dem Rechnungsbetrag ist entgegen der ursprünglichen Rechnung … […] vom 30.04.2008 [31.10.2008] keine deutsche Umsatzsteuer enthalten.
18Den Rechnungsbetrag haben wir bereits vollständig von Ihnen enthalten.“
19Nach einer daraufhin bei der KG für das Jahr 2008 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung (Prüfungsbericht vom …) kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass es sich bei der von E der KG in Rechnung gestellten Umsatzsteuer um eine sog. § 14c-Steuer handele. Der Vorgang sei in Deutschland nicht steuerbar gewesen, da es sich um eine ruhende Lieferung gehandelt habe, die nach § 3 Abs. 7 UStG am Belegenheitsort der Boote, in Italien steuerbar sei. Aus einer § 14c-Rechnung bestehe keine Vorsteuerabzugsberechtigung.
20Das Finanzamt … (FA) schloss sich den Feststellungen an und erließ am 25. Januar 2013 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008, in dem es die Vorsteuern um 189.007,44 € kürzte. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mangels Begründung mit Einspruchsentscheidung vom 19. Juni 2013 als unbegründet zurück.
21Mit Schreiben vom 20. Februar 2013 teilte die Klägerin mit, dass folgenden Rechnungen der E der gleiche Sachverhalt zugrunde liege:
22RE-datum |
VAZ |
Nettobetrag |
USt |
22.12.2006 |
2007 |
565.000 € |
90.400,00 € |
01.06.2010 |
478.964 € |
91.003,16 € |
|
12.11.2010 |
502.500 € |
95.475,00 € |
|
09.07.2012 |
388.000 € |
73.720,00 € |
Das FA erließ daraufhin am 8. April 2013 einen nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2007 und einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2010, in dem es die Umsatzsteuer entsprechend erhöhte. Die hiergegen eingelegten Einsprüche wies das FA mangels Begründung mit Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2013 als unbegründet zurück.
24Die Umsatzsteuer 2012 wurde zunächst im Rahmen einer geänderten Voranmeldung geändert. In der Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 vom 21. Dezember 2013 war die Vorsteuer aus der Rechnung der E bereits nicht mehr enthalten.
25Die KG zahlte alle Vorsteuern an das FA zurück.
26Über das Vermögen der E wurde xx.xx.2014 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Schreiben vom xx.xx.2014 (in Akte „Antrag gem. § 163 AO“ des FA) widerrief der Insolvenzverwalter die Umsatzsteuer iHv insgesamt 539.605 € aus den sechs Rechnungen über die Lieferung der Boote von E an die KG. Als Rechnungsbetrag wurde nur noch jeweils der ursprünglich vereinbarte Nettokaufpreis ausgewiesen.
27Das für E zuständige Finanzamt X-Stadt teilte auf Nachfrage des FA mit, dass durch den Insolvenzverwalter berichtigte Rechnungen vom 10. Dezember 2014 vorgelegt und am 8. Januar 2015 ein Berichtigungsantrag nach § 17 UStG für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2014 gestellt worden sei. Dem Antrag sei am 24. Februar 2015 stattgegeben und der Betrag sei an die Masse erstattet worden. Der steuerliche Vertreter des Insolvenzverwalters sei darüber informiert worden, dass er verpflichtet sei, die in Rede stehenden Umsätze in Italien zu erklären.
28Nach Angaben der Klägerin weigert sich der Insolvenzverwalter, ihr eine Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer auszustellen.
29Mit Schreiben vom 5. November 2015 beantragte die KG eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2007, 2008, 2010 und 2012 sowie der darauf entfallenden Nebenleistungen aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO, hilfsweise einen Erlass nach § 227 AO.
30Das Schreiben des Insolvenzverwalters stelle eine wirksame Berichtigung iSv § 14c Abs. 1 Satz 2 iVm § 17 Abs. 1 UStG dar. Bei dem Erstattungsanspruch der KG gegen E handele es sich um eine Insolvenzforderung, die lediglich zur Tabelle angemeldet und mit der Insolvenzquote berücksichtigt werden könne. Im Ergebnis sei die KG daher wirtschaftlich mit der Umsatzsteuer iHv rd. 539.000 € belastet.
31Das System der Allphasennettoumsatzsteuer sehe vor, dass die Umsatzsteuer auf Ebene des Unternehmers neutral sei. Es sei nicht gerechtfertigt, dass sich einerseits der Insolvenzverwalter um die zu viel gezahlte Umsatzsteuer bereichere und die KG andererseits die Vorsteuer an das FA zurückzahlen müsse, ohne vom Rechnungsaussteller eine Erstattung zu erhalten. Dies widerspreche der in Deutschland geltenden Umsatzsteuersystematik und könne vom Gesetzgeber so nicht gewollt sein.
32Für den Fall, dass die Erstattung der Umsatzsteuer vom Leistenden unmöglich oder übermäßig erschwert sei, fordere der EuGH in seiner Entscheidung Reemtsma (Urteil vom 13. März 2007 C-35/05, EU:C:2007:17), dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel vorsehen müssten, die es dem Leistungsempfänger ermöglichen würden, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. Da der zivilrechtliche Erstattungsanspruch aufgrund der Insolvenz der E nicht durchsetzbar sei, falle die KG mit ihrer Forderung aus. In diesem Fall stehe dem Leistungsempfänger in seinem Besteuerungsverfahren ein aus dem Unionsrecht abgeleiteter unmittelbarer Vergütungsanspruch gegen den Fiskus zu.
33Mit Bescheid vom 27. Oktober 2017 lehnte das FA den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen und auf Erlass der Steuern ab.
34Eine unrichtig ausgewiesene Steuer werde nach der gesetzlichen Systematik vom Rechnungsaussteller geschuldet, obwohl der Leistungsempfänger diese nicht als Vorsteuer abziehen könne. Dies gelte, bis die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt sei. Der Rechnungsempfänger habe grundsätzlich nur die Möglichkeit, einen zivilrechtlichen Anspruch gegen Rechnungsaussteller auf Rückzahlung der rechtsgrundlos gezahlten Umsatzsteuer nach den Grundsätzen einer ungerechtfertigten Bereicherung geltend zu machen.
35Sei eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, habe gem. § 37 Abs. 2 AO nur derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden sei, einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages.
36Dem EuGH Urteil Reemtsma sei kein unionsrechtliches Gebot eines unmittelbaren Anspruchs des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO gegen das Finanzamt zu entnehmen, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr vollständig erreicht werden könne. Die Reemtsma Entscheidung sei mit dem hier vorliegenden Fall auch nicht vergleichbar, weil sich die KG – anderes als im Fall Reemtsma – nicht im Vorsteuervergütungsverfahren befinde, in dem sie bereits einen eigenen direkten und unmittelbaren Anspruch auf Erstattung gegen das Finanzamt habe. Im Falle einer Anerkennung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Direktanspruchs der Rechnungsempfängerin müsse die Finanzbehörde doppelt erstatten. Dem europäischen Mehrwertsteuersystem käme die ungewollte Funktion zu, einen originär gegenüber dem leistenden Unternehmer bestehenden Kondiktionsanspruch in einen steuerlichen Direktanspruch gegenüber einem anderen Finanzamt um zu qualifizieren.
37Der EuGH habe ausgeführt, dass die Grundsätze der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer durch die deutsche Regelung im Regelfall beachtet würden, wonach nur der leistende Unternehmer einen Erstattungsanspruch gegen den Staat habe und der Leistungsempfänger lediglich auf dem Zivilrechtswege eine Rückzahlung seiner nicht geschuldeten Leistung geltend machen könne.
38Es liege keine sachliche Unbilligkeit iSv §§ 163, 227 AO vor. Durch die Regelungen über den unrichtigen Steuerausweis sowie zur Rechnungsberichtigung habe der Gesetzgeber auch die vorliegende Gestaltung gesehen und geregelt. Eine Billigkeitsmaßnahme scheide aus, wenn der Gesetzgeber eine Härte zumindest in Kauf genommen habe.
39Der hiergegen erhobenen Sprungklage stimmte das FA nicht zu, so dass diese als Einspruchs zu behandeln war, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 2018 als unbegründet zurückwies:
40Die Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme sei rechtmäßig.
41Das steuerliche Ergebnis laufe den Wertungen des Gesetzgebers und der Einzelfallgerechtigkeit nicht zuwider. Sinn und Zweck des § 14c UStG sei der Schutz des Steueraufkommens, da der Rechnungsempfänger durch einen falschen Umsatzsteuerausweis zum unberechtigten Vorsteuerabzug verleitet werde. § 14c UStG ordne daher die Steuerschuld des Rechnungsausstellers an. Damit durchbreche § 14c UStG das Prinzip des Mehrwertsteuersystems, da es eine Steuerschuld ohne korrespondierenden Vorsteuerabzug gebe. § 14c UStG sei bewusst als Gefährdungstatbestand ausgestaltet worden und der Gesetzgeber habe in Kauf genommen, dass der Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, obwohl er die Umsatzsteuer an den Leistenden entrichtet habe. Im Streitfall handele es sich damit nicht um einen Sachverhalt, dessen Besteuerung zu einem vom Gesetz nicht gewollten Ergebnis geführt habe.
42Zudem erfolge im Falle der Nichtsteuerbarkeit eines Umsatzes zwischen dem Erbringer und dem Empfänger der Leistung keine echte Mehrwertsteuerzahlung. Bei der zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer handele es sich um eine rechtsgrundlose Zahlung. Eine Doppelbesteuerung im eigentlichen Sinne liege nicht vor.
43Die Erstattung dieser rechtsgrundlosen Zahlung könne die Klägerin nur im Zivilrechtswege durchsetzen. Die Geltendmachung dieses Anspruches unterliege dem allgemeinen unternehmerischen Risiko. Eine Rückzahlung der Umsatzsteuer durch den Fiskus käme einer Abwälzung dieses Risikos auf die Allgemeinheit gleich und wäre nicht zu rechtfertigen.
44Dies gelte insbesondere, da nicht sichergestellt sei, dass bei Vorliegen einer Belegenheit der Boote in Deutschland eine umsatzsteuerpflichtige Lieferung der Boote erfolgt wäre. Da es sich um ein sale-and-lease-back Geschäft gehandelt habe, sei zu vermuten, dass es sich um ein Finanzierungsgeschäft gehandelt habe und keine Verschaffung der Verfügungsmacht erfolgt sei.
45Im Zusammenhang mit einer Billigkeitsregelung sei insbesondere auch zu bedenken, dass die Klägerin beim Leistungsbezug nicht die zutreffenden steuerlichen Schlüsse gezogen und eine Nichtsteuerbarkeit bzw. die Steuerfreiheit eines Finanzierungsgeschäfts geprüft habe.
46Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage.
47Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Billigkeitsantrag im Verwaltungsverfahren.
48Es werde nicht bestritten, dass die Steuerfestsetzungen materiell-rechtlich zutreffend seien. Es sei jedoch nicht gerechtfertigt, dass die Klägerin wirtschaftlich mit der Umsatzsteuer belastet werde, weil ein zivilrechtliches Vorgehen gegen E wegen deren Insolvenz nicht mehr möglich sei. Der EuGH habe in der Rechtssache Reemtsma für diese Fälle einen unmittelbaren Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers gegen den Fiskus gefordert.
49Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorgetragen, sie habe einen Rechtsanwalt beauftragt, ihre Erfolgssichten einer zivilrechtlichen Klage gegen E bzw. den Insolvenzverwalter auf Rückzahlung der zu viel gezahlten Umsatzsteuer zu prüfen. Dieser habe mitgeteilt, dass es sich um eine Insolvenzforderung handeln würde und eine Klage daher nur in Höhe der Insolvenzquote erfolgreich sein könne. Da keine bzw. nur eine geringe Insolvenzquote zu erwarten gewesen sei, habe die Klägerin von einer gerichtlichen Geltendmachung abgesehen. Zudem hat die Klägerin erklärt, sie habe die hohe Vorsteuerrückzahlung damals nur leisten können, weil sie zu dieser Zeit einen günstigen Asset-Deal abgeschlossen hätte.
50Die Klägerin beantragt,
511. den Ablehnungsbescheid vom 27. Oktober 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 30. April 2018 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuer im Billigkeitswege um
5290.400,00 € in 2007, 189.007,44 € in 2008, 186.478,16 € in 2010 und 73.720,00 € in 2012 sowie die darauf jeweils entfallenden Nachzahlungszinsen zu mindern bzw. zu erlassen,
532. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
56die Klage abzuweisen.
57Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus dem Ablehnungsbescheid und der Einspruchsentscheidung.
58Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten vorgelegten Steuerakten.
59Entscheidungsgründe
60Die Klage ist unbegründet.
61Der Ablehnungsbescheid vom 27. Oktober 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 30. April 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA hat die abweichende Festsetzung bzw. den Erlass der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen ermessensfehlerfrei abgelehnt (§ 102 Satz 1 FGO).
62Der Klägerin steht weder ein – das Ermessen auf Null reduzierender – unionsrechtlicher Direktanspruch gegen den Fiskus auf Erstattung der Vorsteuer zu (siehe hierzu unter II.), noch ist eine sachliche Unbilligkeit gegeben (siehe hierzu unter III.).
63I. Nach § 163 Abs. 1 S. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
64Die Entscheidung über eine abweichende Festsetzung und über den Erlass aus Billigkeitsgründen ist zwar eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann. Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
65Erfordern aber gemeinschaftsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme, ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des FA auf Null reduziert (BFH, EuGH-Vorlage vom 6. April 2016 V R 25/15 BFHE 254, 139).
66I. Der Klägerin steht kein sich aus dem Unionsrecht ergebender Direktanspruch gegen das FA zu.
671.) Im nationalen Umsatzsteuerrecht existiert keine Anspruchsgrundlage, wonach der Leistungsempfänger eine ausgefallene Forderung gegen den Leistenden auf Erstattung von unberechtigt gezahlter Umsatzsteuer gegen Fiskus geltend machen kann.
68Ein solcher Anspruch wurde jedoch vom EuGH entwickelt und wird in der Folge auch vom BFH anerkannt: Hat ein nach seiner Unternehmenstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigter Rechnungsempfänger eine gesetzlich nicht geschuldete, aber gleichwohl in einer – ansonsten ordnungsgemäßen – Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt, kann er im Rahmen eines sog. Direktanspruchs entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma (EU:C:2007:167) ggfs. eine Rückzahlung dieses Betrages von der Finanzverwaltung verlangen, wenn eine Rückforderung vom Rechnungsaussteller insbesondere im Hinblick auf dessen Zahlungsunfähigkeit übermäßig erschwert ist. Hierüber ist im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO zu entscheiden (BFH-Urteile vom 30.06.2015 VII R 30/14, BFHE 250, 34, vom 22. August 2019 V R 50/16, BFHE 266, 395).
692.) Der EuGH hat in mittlerweile ständiger Rechtsprechung entschieden, dass zwar grundsätzlich ein System, in dem zum einen der leistende Unternehmer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden entrichtet hat, deren Erstattung verlangen kann, und zum anderen der Leistungsempfänger gegen den leistenden Unternehmer eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann, die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität beachtet. Denn ein solches System ermöglicht es dem Leistungsempfänger, der mit der irrtümlich in Rechnung gestellten Steuer belastet war, die rechtsgrundlos gezahlten Beträge erstattet zu bekommen.
70Allerdings kann der Effektivitätsgrundsatz gebieten, dass der Leistungsempfänger seinen Erstattungsantrag unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann, falls sich in einer Situation, in der der leistende Unternehmer die Mehrwertsteuer tatsächlich an den Fiskus entrichtet hat, ihre Erstattung an den Dienstleistungsempfänger durch den Dienstleistungserbringer – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers – als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist (EuGH-Urteil PORR Epitesi Kft vom 11. April 2019 C-691/17 EU:C:2019:327 m.w.N.).
71Der EuGH wendet diesen Anspruch sowohl im Bereich der Mehrwertsteuer (EuGH-Urteile EuGH-Urteile Reemtsma, EU:C:2007:167; Banca Antoniana Popolare Veneta vom 15.12.2011 C-427/10, EU:C:2011:844; Farkas vom 26.04.2017 C-564/15, EU:C:2017:302,; Kollroß vom 31.05.2018 C-660/16, EU:C:2018:372; PORR Epitesi Kft. EU:C:2019; 327) als auch im Bereich der Verbrauchsteuern (EuGH-Urteile Danfoss und Sauer-Danfoss vom 20.10.2011 C-94/10, EU:C:2011:674; Lady & Kid vom 6.9.2011 C-398/09, EU:C:2011:540) an.
723. Die einzelnen Voraussetzungen des sog. Reemtsma-Anspruchs sind jedoch umstritten und noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt.
73a. Nach der Rechtsprechung des BFH setzt der Direktanspruch voraus, dass der Rechnungsaussteller die in der Rechnung als steuerpflichtig abgerechnete Leistung auch erbracht hat (BFH-Urteil in BFHE 266, 395). Der BFH begründet dies mit dem Wortlaut der bislang zu diesem Anspruch ergangenen EuGH-Urteile (EuGH-Urteile Reemtsma, EU:C:2007:167, Rz 41; Danfoss und Sauer-Danfoss, EU:C:2011:674, Rz 26; Banca Antoniana Popolare Veneta, EU:C:2011:844, Rz 23; Farkas EU:C:2017:302, Rz 51; Kollroß, EU:C:2018:372, Rz 66).
74(1) Dies wird in der Literatur z.T. kritisiert mit dem Hinweis darauf, dass der EuGH in den bislang vorgelegten Fällen nie Anlass gehabt habe, dazu Stellung zu nehmen, da in den dortigen Fällen stets tatsächlich erbrachte Leistungen abgerechnet worden seien und er diese Voraussetzung als gegeben ansehen konnte (von Streit, MwStR 2020, 174 (175); Meyer-Burow/Connemann, UStB 2015, 353 (354f.)). In der Rechtssache Kollroß (EU:C:2018:372) habe er sogar einen Vorsteueranspruch ohne Leistung anerkannt und hierbei zur Begründung auf den Reemtsma-Anspruch verwiesen. Auch die Grundsätze der Neutralität und Effektivität, aus denen der EuGH den Anspruch herleite, würden gelten, wenn keine Leistung vorliege bzw. die Parteien über das Vorliegen eines Leistungsaustausches geirrt hätten, der vermeintliche Leistungsempfänger jedoch mit Vorsteuer belastet sei (von Streit, MwStR 2020, 174 (175); Meyer-Burow/Connemann, UStB 2015, 353 (354f.))
75(2) Der Senat kann offen lassen, ob er sich den Einwendungen der Literatur anschließen könnte. Denn im Streitfall liegen den Rechnungen der E an die KG tatsächlich erbrachte Lieferungen zu Grunde: E hat im Rahmen des sale-and-lease-back die jeweiligen Boote – wie in den Rechnungen ausgewiesen – an die KG geliefert. Diese hat anschließend die Boote an E zurück geleast.
76(a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Die Regelung setzt Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL in nationales Recht um, wonach es für die Lieferung auf "die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen", ankommt. Nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL gilt als Lieferung daneben die Übergabe eines Gegenstands aufgrund eines Vertrags, der die Vermietung des Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird.
77Der Begriff "Lieferung eines Gegenstands" in Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL umfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer, ohne dass es dabei auf eine Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen ankommt. Hiervon ist bei der Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag auszugehen, die allerdings häufig mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentum verbunden ist (BFH-Urteil vom 6. April 2016 V R 12/15, BFHE 253, 475 m.w.N.).
78(b) Ob beim Leasinggeschäft die Verfügungsmacht über den Gegenstand übertragen wird, richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse auf Grundlage der konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung. Dabei können mehrere formal selbständige Verträge als Einheit anzusehen sein, wenn sich aus der Interessenlage der Vertragsparteien ergibt, dass der eine Vertrag nicht ohne den anderen geschlossen worden wäre.
79Sieht ein Leasingvertrag vor, dass das Eigentum am Leasinggut am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer eine Kaufoption erhält, bei der aufgrund der finanziellen Vertragsbedingungen davon ausgegangen werden kann, dass, wenn der Vertrag bis zum Ende seiner Laufzeit ausgeführt wird, die Optionsausübung zum gegebenen Zeitpunkt als die einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint, ist der Leasing-Umsatz mit dem Erwerb des Leasingguts gleichzusetzen.
80Gleiches gilt, wenn der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an dem Leasinggut verfügt, insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum an dem Leasinggut verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Leasingguts entspricht (BFH-Urteil in BFHE 253, 475 m.w.N. und EuGH-Urteil Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd. vom 4.10.2017 C-164/16, EU:C:2017:734 m.w.N).
81(c) Beim sog. sale and lease back werden zivilrechtlich in der Regel zwei (oder mehr) Verträge zwischen den Vertragsparteien geschlossen: zum einen wird ein bereits im Eigentum des Leasingnehmers stehender Gegenstand an den Leasinggeber veräußert und diesem wird (idR) das Eigentum an dem Gegenstand übertragen, wobei der Gegenstand im Besitz des Leasingnehmers verbleibt, da dieser den Gegenstand (weiterhin) nutzen will. Zum anderen wird ein Leasing-Vertrag über eine feststehende Laufzeit abgeschlossen, in dem der Leasinggeber (und neuer Eigentümer) sich verpflichtet, den Gegenstand dem Leasingnehmer (weiterhin) zur Nutzung zu überlassen und der Leasingnehmer sich verpflichtet, hierfür eine idR monatliche Leasingrate zu zahlen.
82Für das Ende der Vertragslaufzeit gibt es unterschiedliche Gestaltungen: so kann das Eigentum nach Zahlung der letzten Rate bzw. einer Abschlusszahlung „automatisch“ an den Leasingnehmer zurückfallen; oder der Leasingnehmer erhält die Option, den Gegenstand vom Leasinggeber zurück zu erwerben oder – wie im Streitfall – der Leasinggeber hat das Recht zur freien Verwertung des Leasinggegenstandes, wobei das Angebot an den Leasingnehmer nur eine der Verwertungsmöglichkeiten seiner Wahl ist.
83Abweichend von der Frage bei normalen Leasinggeschäften, ob und wann der Leasinggegenstand vom Leasinggeber an den Leasingnehmer geliefert wird (vgl. EuGH-Urteil Mercedes-Benz Financial Services UK, EU:C:2017:734 m.w.N.); stellt sich beim sale-and-lease-back die Frage, ob der Leasingnehmer den Leasinggegenstand beim „sale“ an den Leasinggeber liefert und der Leasinggegenstand dann bei Beendigung des Leasing eventuell wieder zurückgeliefert wird, oder ob der Leasingnehmer die ganze Zeit die Verfügungsmacht an dem Leasinggegenstand behält und nur eine Finanzierungsleistung (oder andere Leistung) des Leasinggebers an den Leasinggeber vorliegt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 253, 475).
84(d) Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH ist in diesen Fällen zu prüfen, ob die Übertragung des Leasinggegenstandes und das Leasinggeschäft als getrennt oder als miteinander verbunden zu betrachten sind.
85Eine einheitliche Leistung liegt dann vor, wenn der Steuerpflichtige zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Es ist Sache des Gerichts, zu beurteilen, ob die tatsächlichen Umstände über die vertragliche Formulierung hinaus charakteristisch für das Vorliegen eines einheitlichen Umsatzes sind.
86Wenn die in Rede stehende Veräußerung und Rückverpachtung rein finanzielle Umsätze sind, die zur Erhöhung der Liquidität des Leasingnehmers dienen, und die Leasinggegenstände im Besitz des Leasingnehmers verblieben sind und von diesem ununterbrochen und dauerhaft für seiner steuerpflichtigen Umsätze genutzt wurden, kommt ein einheitlicher Umsatz in Betracht, da das eine Geschäft nicht ohne das andere abgeschlossen worden wäre. Dieser einheitliche Umsatz kann nur dann als „Lieferung von Gegenständen“ qualifiziert werden, wenn die nach Vornahme dieser Umsätze auf den Leasinggeber übertragenen Rechte, nämlich die zivilrechtlichen Ansprüche aus dem Kaufvertrag abzüglich der Rechte aus dem Leasingvertrag, den Leasinggeber nicht berechtigen, wie ein Eigentümer über die Leasinggegenstände zu verfügen (EuGH Urteil Mydibel vom 27. März 2019 C-201/18, EU:C:2019:254 Rz. 37ff.).
87Liegen die Voraussetzungen eines einheitlichen Vertrages nicht vor, ist für die beiden einzelnen Umsatzgeschäfte zu prüfen, ob es sich jeweils um eine Lieferung bzw. Rücklieferung handelt (BFH-Urteil in BFHE 253, 475).
88(e) Im Streitfall handelt es sich nach Auffassung des Senates nicht um eine einheitliche (Finanzierungs- oder andere sonstige) Leistung, sondern um zwei separate Verträge, die jeweils einen Leistungsaustausch begründen: eine Lieferung der Boote von E an die KG und eine sonstige Leistung in Form des Leasings der KG an E.
89Zwar besteht ein Zusammenhang zwischen dem Kauf- und dem Leasingvertrag, da der eine Vertrag nicht ohne den anderen abgeschlossen worden wäre. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Parteien bereits im Kaufvertrag als Leasingnehmer und Leasinggeber bezeichnet werden und die Übergabe explizit durch den Abschluss des Leasingvertrages ersetzt werden soll. Zudem ist es gerade das Geschäftsmodell der KG gewesen, Mobilien zu verleasen, die sie zuvor vom Leasingnehmer oder nach Auswahl durch den Leasingnehmer von einem Dritten erworben hat. Dies ergibt sich aus § 2 der ALB.
90Dies führt jedoch nicht dazu, dass beide Verträge zusammen zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft in Form einer Finanzierungsleistung der KG an E werden. Beim Erwerb des Leasinggegenstandes durch die KG von einem Dritten käme eine Zusammenfassung beider Verträge bereits wegen der unterschiedlichen am Leistungsaustausch beteiligten Personen nicht in Betracht. Aber auch im vorliegenden Fall der unmittelbaren Weiterveräußerung der von E erworbenen Boote an die KG liegt eine Lieferung der E an die KG vor.
91Denn vorliegend hat die KG die Verfügungsmacht an den Booten erlangt.
92Zum einen wurde der KG im Kaufvertrag das zivilrechtliche Eigentum an den Booten durch Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses (§ 930 BGB) wirksam übertragen. Dies ist nach der oben genannten Rechtsprechung zwar nicht ausschlaggebend, jedoch insoweit von Bedeutung, als dieses Eigentum nach dem Ende der Vertragslaufzeit nicht wieder an E zurückfällt, sondern bei der KG verbleibt.
93E hat selbst keinerlei Möglichkeit, die Boote auf ihre Initiative hin zurückzuerhalten.
94Eine Entscheidung über eine Verlängerung des Leasingvertrages lag allein bei der KG. Eine konkludente Verlängerung durch Weiternutzung war in den ALB ausgeschlossen (… ALB). Endete der Leasingvertrag, war E zur Herausgabe der Boote verpflichtet. Die KG war berechtigt, sich dann den unmittelbaren Besitz an den Booten ohne weitere Mitwirkung der E zu verschaffen (… der ALB). Bei einer über die vertragsgemäße Nutzung vorliegendem Verschleiß war E zur Mängelbeseitigung verpflichtet (… ALB).
95Die KG hat lediglich ein Andienungsrecht gegenüber E; jedoch keine Pflicht. Die KG kann das Boot auch – ohne weitere Voraussetzungen - anderweitig verwerten. Nach Ablauf der Vertragslaufzeit ist das Boot auch nicht wertlos, da ein neues Boot eine wesentlich längere Nutzungsdauer als die vereinbarte Vertragslaufzeit von 36 Monaten hat. Durch die Leasingraten iHv 1,… % bzw. 1,…% des Kaufpreises wird auch nicht annähernd der Kaufpreis amortisiert. So sind in den vorliegenden Verträgen nach Ablauf der Vertragszeit erst rd. 45% bzw. 48% des Kaufpreises an die KG gezahlt worden – dabei wurde der in den Raten enthaltene Zinsanteil noch nicht berücksichtigt. Der überwiegende Anteil des Kaufpreises wird erst durch die anschließende – freie – Verwertung der Boote realisiert. Dass bereits ein Rückkaufspreis für den Fall der Andienung vereinbart worden ist und E verpflichtet ist, im Fall einer freien Verwertung den Differenzbetrag zu diesem auszugleichen, führt nach Auffassung des Senats nicht dazu, dass diese die Verfügungsmacht über die Boote behalten hat. Denn hierdurch wird ihre Rechtsposition in Bezug auf die Boote gegenüber der KG nicht verbessert. Die Chancen einer Wertsteigerung bzw. eines vorteilshaften Verkaufes lagen damit bei der KG.
96Die KG war während der Vertragslaufzeit auch berechtigt, die Boote zur Sicherheit an Dritte zu übereignen (… ALB).
97Im Falle einer außerordentlichen Kündigung des Leasingvertrages (das Recht zur ordentlichen Kündigung wurde ausgeschlossen) war E verschuldensunabhängig verpflichtet, der KG Schadensersatz in Höhe des positiven Vertragsinteresses zu leisten (… der ALB). Nach § … der ALB trug E während der Vertragslaufzeit die Sach- und Preisgefahr des Unterganges, Verlustes, vorzeitigen Verschleißes und der Beschädigung der Boote.
98Damit wurde der KG Substanz, Wert und Ertrag an den Booten übertragen. E hatte nur für die Risiken des Geschäfts einzustehen, die Chancen lagen jedoch bei der KG.
99b. Der Direktanspruch der Klägerin scheitert jedoch daran, dass der Fiskus nicht mehr um die unberechtigt gezahlte Umsatzsteuer bereichert ist.
100(1) Eine weitere Voraussetzung des Reemtsma-Anspruchs ist, dass die Umsatzsteuer vom leistenden Unternehmer an den Fiskus gezahlt worden sein muss, so dass dieser auch um den zu erstattenden Betrag bereichert ist.
101Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH, aber auch des EuGH. Der BFH hat in seinen Urteilen in BFHE 250, 34; vom 10.12.2008 XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156; vom 11.10.2007 V R 27/05, BFHE 219, 266 entschieden, dass dann keine Erstattungsverpflichtung des Fiskus besteht, wenn die Steuer gar nicht an ihn entrichtet worden war.
102Auch der EuGH setzt dies in seinen Entscheidungen zumindest voraus. So hat er in seiner jüngsten Entscheidung ausgeführt, dass ein System, in dem zum einen der Dienstleistungserbringer, der die Mehrwertsteuer irrtümlich an die Steuerbehörden entrichtet hat, deren Erstattung verlangen kann, und zum anderen der Dienstleistungsempfänger gegen diesen Erbringer eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann, die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität beachtet (EuGH, Urteil PORR Epitesi Kft. EU:C:2019:327).
103Das vom EuGH gebilligte nationale Verfahren der Erstattung entlang der „Leistungskette“ vom Fiskus an den leistenden Unternehmer und von diesem an den Leistungsempfänger setzt letztendlich immer voraus, dass der leistende Unternehmer die Steuer an den Fiskus abgeführt hat – anderenfalls würde dieser Anspruch ins Leere laufen.
104(2) Soweit erkennbar, ist bislang nicht entschieden, welche Auswirkungen es auf den Direktanspruch des Leistungsempfängers hat, wenn der Fiskus deswegen nicht mehr bereichert ist, weil er die ursprünglich gezahlte Steuer bereits wieder an den Leistenden erstattet hat.
105Der BFH hat in der Entscheidung VII R 30/14 (BFHE 250, 34), der ein vergleichbarer Fall zugrunde lag (Erstattung der ursprünglich an den Fiskus abgeführten Umsatzsteuer an die Insolvenzmasse) dazu ausgeführt, dass der Direktanspruch davon abhängen könnte, ob der Fiskus zur Erstattung verpflichtet war oder ob er ausnahmsweise die Zustimmung zur Rechnungsberichtigung und damit die Erstattung hätte verweigern können, weil sie zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse geführt hätte.
106Auch der EuGH hat – allerdings für den Bereich der Verbrauchsteuern – entschieden, dass eine Erstattung einer unionsrechtswidrigen Verbrauchsteuer an den Steuerschuldner verweigert werden kann, wenn dies zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Steuerschuldners führen würde, weil dieser die Steuer bereits an seinen Abnehmer ab-gewälzt und sie diesem nicht erstattet hat (EuGH-Urteile Danfoss und Sauer Danfoss EU:C:2011:674 und Lady&Kid vom 6.9.2011 C-398/09, EU:C:2011:540). Der Abnehmer kann sich dann u.U. mit dem Direktanspruch an den Fiskus wenden und die Abgabe erstattet bekommen.
107In der Literatur wird z.T. vertreten, dass schon die Zahlung der Steuer kein Tatbestandsmerkmal des Reemtsma-Anspruchs sei. Zweck des Direktanspruchs sei ausschließlich eine Entlastung im Sinne des Neutralitätsgebots des mit der nicht abzugsfähigen Vorsteuer belasteten Leistungsempfängers – dies gelte unabhängig davon, ob der leistende Unternehmer die Steuer an den Fiskus entrichtet habe bzw. diese wieder erstattet worden ist (von Streit, UStB 2012, 38 (42f.); Meyer-Burow/Connemann, USTB 2015, 353 (355)).
108(3) Der Senat hält die Entreicherung des Fiskus für entscheidungserheblich.
109Der EuGH hat den Direktanspruch zwar zum Schutz des Leistungsempfängers entwickelt. Der Rechtsprechung ist jedoch nicht zu entnehmen, dass es sich hierbei um einen quasi voraussetzungslosen Anspruch handelt, der allein auf der Belastung des Leistungsempfängers mit Umsatzsteuer fußt.
110Der EuGH hat den Be- und Entreicherungsgedanken bislang im Bereich der Verbrauchsteuern im Hinblick auf den Steuerschuldner angewandt, und damit dessen (gesetzlichen) Erstattungsanspruch abgelehnt. Denn nach Auffassung des EuGH wäre der leistende Unternehmer ungerechtfertigt bereichert, wenn er eine unionsrechtswidrige Verbrauchsteuer erstattet bekäme, obwohl er wirtschaftlich mit dieser nicht belastet sei, weil er sie an seinen Abnehmer abgewälzt habe (EuGH-Urteile Danfoss und Sauer-Danfoss, EU:C:2011:674 und Lady&Kid, EU:C:2011:540)
111Nach Auffassung des Senats folgt daraus jedoch nicht, dass es auf eine Bereicherung des Fiskus nicht ankommt.
112Zum einen legt der EuGH – wie bereits dargestellt – seinen Entscheidungen offenbar zugrunde, dass die Steuer vom leistenden Unternehmer an den Fiskus entrichtet worden ist. Zum anderen soll der Reemtsma-Anspruch nach Ansicht der Senates keine allgemeine Einstandspflicht des Fiskus begründen, wenn es im Verhältnis zwischen Leistungsempfänger und leistendem Unternehmer zu Störungen in der zivilrechtlichen Vertrags(rück)abwicklung kommt und der Leistungsempfänger wirtschaftlich mit der Umsatzsteuer belastet bleibt.
113Vielmehr soll vermieden werden, dass der Fiskus auf der einen Seite einen ihm materiell rechtlich nicht zustehenden Steueranspruch vereinnahmt hat und der Leistungsempfänger auf der anderen Seite wirtschaftlich mit der nicht abzugsfähigen Vorsteuer belastet ist, weil sein Erstattungsanspruch gegen den Leistenden – insbesondere wegen dessen Zahlungsunfähigkeit - nicht durchsetzbar ist.
114Hierdurch wird der Leistungsempfänger auch nicht unangemessen benachteiligt. Es ist nicht zuletzt Aufgabe der Vertragsparteien, sich über die umsatzsteuerlichen Konsequenzen ihrer Geschäfte bewusst zu sein – insbesondere im hier vorliegenden B2B-Bereich, wo das Geschäft für beide Beteiligte zum wesentlichen Unternehmensgegenstand gehört. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die unrechtmäßig in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht Folge einer komplizierten unklaren oder sich ändernden Rechtslage war (a.A. von Streit, UStB 2012, 38 (43)). Im Streitfall lagen ruhende Lieferungen in Italien vor und der Belegenheitsort der Boote war beiden Beteiligten bekannt bzw. hätte bekannt sein müssen.
115Der Senat kann offen lassen, ob die Entreicherung des Fiskus dann unbeachtlich sein könnte, wenn sich dieser offensichtlich rechtswidrig entreichert hat, insbesondere weil er nicht zur Erstattung an den Leistenden verpflichtet war.
116Denn im Streitfall entsprach das Vorgehen des Fiskus der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Rechtslage:
117Das für E zuständige Finanzamt X-Stadt hat nach Änderung der Rechnungen durch den Insolvenzverwalter im Dezember 2014 dessen Antrag auf Berichtigung nach § 14c Abs. 1 iVm § 17 Abs. 1 UStG stattgegeben und die Umsatzsteuer im Februar 2015 an die Insolvenzmasse erstattet.
118Dieses Vorgehen entsprach der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Erlasslage in Abschn. 14c.1 Abs. 5 UStAE. Die Frage, ob die Berichtigung der Umsatzsteuer im Falle einer § 14c-Rechnung wegen des Verweises auf § 17 UStG zusätzlich voraussetzt, dass der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat, war zu diesem Zeitpunkt umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden. Der UStAE wurde erst mit BMF-Schreiben vom 7.10.2015 (BStBl I 2015, 782) geändert und um Abschn. 14c.1 Abs. 5 Satz 4 ergänzt, wonach eine Rückzahlung des Mehrbetrages an den Leistungsempfänger notwendig ist. Der BFH hat erst mit Urteil vom 16.5.2018 (XI R 28/16, BFHE 261, 451) für § 14c UStG entsprechend entschieden.
119Wie hingegen die Berichtigungsmöglichkeiten einer § 14c-Rechnung im Fall der Insolvenz des leistenden Unternehmers sind, d.h. ob auch in diesen Fällen die Rückzahlung des Steuerbetrages an den Leistungsempfänger erforderlich und (insolvenzrechtlich) zulässig ist, ist bis heute nicht abschließend geklärt (siehe hierzu FG Münster Urteil vom 8.10.2020 5 K 20/17 U, juris; die Erforderlichkeit bejahend und demzufolge eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 14c UStG verneinend, wenn der Insolvenzverwalter die Rückzahlung unter Hinweis auf das Insolvenzrecht ablehnt). Ebenfalls nicht abschließend geklärt ist die Rechtsfrage, ob eine Rückzahlung des Steuerbetrages erforderlich ist, wenn der leistende Unternehmer nicht ungerechtfertigt bereichert ist, weil zwar die deutsche Umsatzsteuer unberechtigt offen ausgewiesen worden ist, tatsächlich aber Umsatzsteuer eines anderen Landes hätte ausgewiesen werden müssen (verneinend: FG München Urteil vom 27.5.2020 3 K 654/18, EFG 2020, 1451).
120Der Senat hält die Entreicherung des Fiskus im vorliegenden Fall auch deswegen für erheblich, weil die Klägerin es im Streitfall selbst in der Hand gehabt hätte, ihren Anspruch gegen E oder auch den Direktanspruch gegen den Fiskus rechtzeitig vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Erstattung des Steuerbetrages geltend zu machen.
121Denn bereits im Oktober 2012 hat E der KG mitgeteilt, dass die Lieferungen im Jahr 2008 umsatzsteuerlich falsch gewürdigt worden waren, und die offen ausgewiesene deutsche Umsatzsteuer widerrufen. Im Januar 2013 wurde dies durch eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der KG bestätigt und im Februar 2013 hat die KG selbst die übrigen Umsatzgeschäfte der Jahre 2007, 2010 und 2012 beim FA angezeigt.
122Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E erfolgte erst im April 2014, d.h. fast eineinhalb Jahre nach Kenntnis der KG von den falschen Rechnungen. In dieser Zeit hat sie augenscheinlich nichts unternommen, um ihre Ansprüche gegen E zivilrechtlich geltend zu machen – notfalls auch gerichtlich. Ein eventueller zivilrechtlicher Erstattungsanspruch auf Erstattung der nicht geschuldeten deutschen Umsatzsteuer wäre unabhängig von der steuerlichen Abwicklung einer Rechnungsberichtigung der E gegenüber ihrem Finanzamt möglich gewesen. Falls E dann schon zahlungsunfähig gewesen wäre, hätte sich die KG mit dem Direktanspruch gegen den Fiskus wenden können, der zu diesem Zeitpunkt auch noch bereichert war.
123Soweit der Prozessvertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Klägerin versucht habe ihre Ansprüche durch einen Anwalt durchzusetzen und dieser davon abgeraten habe, betrifft dies erst die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
124Weder der Neutralitätsgrundsatz noch der Grundsatz der Effektivität erfordern es in diesem Fall, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Anlass zu nehmen, die versäumte Geltendmachung des Anspruchs gegen E nunmehr gegenüber dem Fiskus durchzusetzen.
125d) Neben der Entreicherung des Fiskus scheitert der Direktanspruch der Klägerin im Streitfall zusätzlich daran, dass ihr kein (zivilrechtlicher) Anspruch gegen E auf Erstattung der rechtsgrundlos gezahlten deutschen Umsatzsteuer zustand.
126Dieser ist jedoch Voraussetzung, um den – nach Auffassung des Senats – nur subsidiär eingreifenden Direktanspruch gegen den Fiskus geltend machen zu können.
127(1) Den bislang vom EuGH und vom BFH entschiedenen Fällen lag die Gemeinsamkeit zugrunde, dass die Beteiligten von einer umsatzsteuerpflichtigen (oder verbrauchsteuerpflichtigen) Leistung ausgegangen sind und dementsprechend Umsatzsteuer offen ausgewiesen haben; tatsächlich aber eine Abrechnung (ganz) ohne Umsatzsteuer richtig gewesen wäre – entweder aufgrund des reverse-charge Verfahrens (EUGH-Urteile Reemtsma EU:C:2007:167; Farkas EU:C:2017:302; PORR Epitesi Kft. EU:C:2019:327 und wohl auch BFH-Urteil in BFHE 205, 34) oder aufgrund einer nicht erkannten Steuerbefreiung (EuGH-Urteil Banca Antoniana Popolare Veneta vom 15.12.2011 C-427:10, EU:C:844) (oder weil die Verbrauchsteuer gegen das Unionsrecht verstoßen hat - EuGH Urteil Danfoss und Sauer-Danfoss EU:C:2011:674).
128In diesen Fällen steht dem Leistungsempfänger gegen den Leistenden nach nationalem Recht ein auf § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alternative iVm §§ 157, 133 BGB begründeter Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückzahlung der irrtümlich im Preis enthaltenen Umsatzsteuer zu. Im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung ist dann festzustellen, dass die irrtümlich dem Leistungsempfänger weiter berechnete Umsatzsteuer von diesem nicht geschuldet wird (vgl. BGH-Urteil vom 6. Mai 2020 VIII ZR 44/19, HFR 2020, 739 m.w.N).
129(2) Im Streitfall hatte die Klägerin jedoch keinen zivilrechtlichen Anspruch gegen E auf Erstattung einer zu viel gezahlten Umsatzsteuer.
130Denn es ist lediglich die offen ausgewiesene deutsche Umsatzsteuer unzutreffend; richtigerweise hätte E jedoch eine Rechnung mit offen ausgewiesener italienischer Umsatzsteuer ausstellen und diese dann in Italien anmelden und abführen müssen.
131Denn es handelte sich um ruhende Lieferungen mit Leistungsort Italien (§ 3 Abs. 7 UStG bzw. Art. 31 MwStSystRL). Weder ist hier eine Steuerbefreiung einschlägig noch gilt für diese Fälle das reverse-charge Verfahren. Der italienische Umsatzsteuersatz betrug in den Streitjahren 2007 bis 2010 20% und 21% in 2012.
132Die Klägerin hätte deshalb lediglich einen Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit offen ausgewiesener italienischer Umsatzsteuer gehabt. Dies folgt als Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag (Vgl. z.B. BGH-Urteile vom 26.6.2014 VII ZR 247/13, HFR 2014, 947 und vom 10.11.1988 VII ZR 137/87, NJW 1989, 302). Diese Umsatzsteuer hätte sie dann im Wege des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens (vgl. § 18 Abs. 9 UStG) in Italien geltend machen können.
133(3) Da der Senat den Direktanspruch gegen den deutschen Fiskus als eine Art „abgekürzter Zahlungsweg“ versteht, der den Anspruchsweg von der Klägerin an E und von E gegenüber dem Fiskus abkürzen will, scheitert der Direktanspruch vorliegend.
134In diesen Fällen ist der Direktanspruch auch nicht erforderlich. Denn dem Neutralitätsgebot hätte dadurch Rechnung getragen werden können, dass der Klägerin eine Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer erteilt wird, die sie dann im Vorsteuervergütungsverfahren in Italien hätte geltend machen können.
135Es ist nicht ersichtlich, dass dies im Jahr 2012, als der Fehler bekannt wurde, nicht möglich gewesen wäre. Der zivilrechtliche Anspruch auf Erteilung einer richtigen Rechnung verjährt nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB drei Jahre nach Abschluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von dem den Anspruch begründenden Umstand Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Kenntnis vom Anspruch auf Erteilung einer Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer hat die KG im Oktober 2012 erlangt, als E ihr mitgeteilt hat, dass sie die deutsche Umsatzsteuer unberechtigt ausgewiesen hat.
136Der nachträgliche Ausweis eines Steuerbetrags gegenüber dem Leistungsempfänger ist steuerrechtlich in zeitlicher Sicht auch unbegrenzt möglich. Da einer Rechnungsberichtigung i.S. des § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG keine Rückwirkung zukommt (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2016 XI R 43/14, BFHE 255, 474), ist eine eventuell eintretende Festsetzungsverjährung für das Jahr der Entstehung der Steuerschuld nach § 14c UStG ohne Bedeutung (BeckOK UStG/Weymüller, UStG § 14c Rn. 168; FG München, Urteil vom 27. Mai 2020 in EFG 2020, 1451).
137Die Bejahung des Direktanspruchs könnte somit sogar zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Klägerin führen, da sie zum einen die deutsche Umsatzsteuer vom Fiskus zurück erhalten würde und zum anderen mit der berichtigten Rechnung in Italien erneut eine Vorsteuererstattung beantragen könnte.
138III. Das FA hat auch ermessensfehlerfrei die abweichende Festsetzung bzw den Erlass der Umsatzsteuer aus allgemeinen Billigkeitsgründen abgelehnt.
139Solche werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
140Eine Unbilligkeit nach §§ 163 und 227 AO kann auf persönlichen oder sachlichen Billigkeitsgründen beruhen.
141Persönliche Billigkeitsgründe hat die Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch aus den Akten nicht ersichtlich.
142Sachliche Unbilligkeitsgründe hat das FA ebenfalls ermessensfehlerfrei verneint.
143Sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die streitige Steuererhebung zwar dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers davon ausgegangen werden kann, er hätte die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden, wenn also die Steuererhebung infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint. Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewusst in Kauf genommen hat. § 163 AO stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde (BFH-Beschluss vom 28. Febr. 2012 VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135).
144Wie das FA zutreffend ausgeführt hat, ist sowohl die Versagung des Vorsteuerabzugs aus einer § 14c-Rechnung als auch das Ungleichgewicht von einer Steuerpflicht des Leistenden und einem fehlenden Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger die beabsichtigte Folge dieser gesetzlichen Regelung. Dass die zivilrechtliche Rückabwicklung im Streitfall nicht wie von der Klägerin gewünscht möglich war, führt nicht dazu, dass die Steuerfestsetzung unbillig wird. Hätte eine steuerliche Belastung des Leistungsempfängers in jedem Fall vermieden werden sollen, hätte man den Vorsteuerabzug aus einer solchen Rechnung gewähren können. Dies haben sowohl der BFH als auch der EuGH jedoch ausdrücklich nicht getan.
145Zudem beruht die Belastung der Klägerin letztlich auf einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts. Wie bereits dargestellt, war es ihre Obliegenheit, sich über die unstreitigen und nicht komplizierten rechtlichen Folgen der ruhenden Lieferungen in Italien zu informieren.
146III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
147IV. Die Zulassung der Revision erfolgt nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts. Die einzelnen Voraussetzungen des sog. Reemtsma-Anspruchs sind noch nicht höchstrichterlich geklärt.