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Der Bescheid vom 17.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.09.2018 wird aufgehoben, soweit er den Monat Februar 2014 betrifft.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klage richtet sich gegen einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid. Streitig ist nur noch der Monat Februar 2014.
3Der Kläger, der die polnische Staatsangehörigkeit besitzt, ist der Vater des Kindes B (geb. 00.00.2007). Seine Ehefrau, die nicht erwerbstätig ist, ist zudem Mutter des aus erster Ehe stammenden Kindes C (geb. 00.00.1997).
4Zum 24.10.2006 meldete der Kläger ein Gewerbe u.a. als Fliesenleger unter der Adresse Z Straße in Z-Stadt an. Zum 01.11.2006 mietete er unter der gleichen Anschrift zusammen mit zwei Kollegen eine 2-Zimmer-Wohnung. Der Kläger bezog für die beiden Kinder zunächst Differenzkindergeld und ab Februar 2011 Kindergeld in voller Höhe.
5Im Veranlagungszeitraum 2014 wurde der Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt (Einkommensteuerbescheid 2014 vom 30.05.2016, Bl. 159 der Kindergeldakte -KgA-). In dem Bescheid werden sowohl Einkünfte aus Gewerbebetrieb als auch Beiträge zur Krankenversicherung aufgeführt.
6Mit Bescheid vom 17.05.2017 hob die Beklagte die Festsetzung für beide Kinder für die Zeiträume Januar bis Dezember 2014 und Januar 2016 bis März 2017 auf und forderte das für diese Monate gezahlte Kindergeld von dem Kläger zurück. Die Entscheidung wurde darauf gestützt, dass der Kläger angeforderte Belege nicht eingereicht habe (u.a. Nachweise über den Zufluss von Einkünften i.S.d. § 49 EStG).
7Im anschließenden Einspruchsverfahren reichte der Kläger die angeforderten Unterlagen nach. Ausweislich einer als Bl. 345 KgA abgehefteten, vom Kläger erstellten tabellarischen Übersicht hat er im Jahr 2014 im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit 18 Rechnungen erstellt (Rechnungsnummer 01/2014 bis 18/2014). Für die Rechnung 01/2014 vom 28.03.2014 wurde in der tabellarischen Übersicht der Leistungszeitraum „01-03.2014“ eingetragen; die Rechnung selbst (Bl. 356 KgA) benennt keinen Leistungszeitraum.
8Mit Bescheid vom 09.08.2018 half die Beklagte dem Einspruch für alle Monate außer dem Monat Februar 2014 ab. Der Rückforderungsbetrag wurde auf 368 € reduziert.
9Im Übrigen - d.h. bezüglich des Monats Februar 2014 - wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 20.09.2018 als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der Kläger im Veranlagungszeitraum 2014 nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden sei, er im Monat Februar 2014 jedoch keine Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt habe.
10Der Kläger hat sodann Klage erhoben. Er weist darauf hin, dass er bereits seit 2006 sowohl einen Wohnsitz als auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Es bestehe daher für das ganze Jahr 2014 ein Anspruch auf Kindergeld, ohne dass es darauf ankomme, in welchen Monaten Einkünfte erzielt worden seien. Dass er in der Z-Straße in Z-Stadt tatsächlich wohnhaft sei, ergebe sich u.a. aus dem Mietvertrag (Bl. 489 KgA), Bescheinigungen des Vermieters (Bl. 344 KgA) und des Mitmieters (Bl. 504 KgA) und einer Stromabrechnung vom 04.02.2013 (Bl. 475 KgA).
11Für den Auftraggeber, an den sich die Rechnung 01/2014 gerichtet habe, habe er - der Kläger - in dem Zeitraum vom 01.06.2013 bis 30.06.2014 mehrere Aufträge mit einem Gesamtrechnungsvolumen von 12.020 € ausgeführt. Im Januar 2014 habe er wetterbedingt kaum oder gar nicht gearbeitet, jedoch sei er spätestens im Februar 2014 wieder tätig gewesen. Rechnungen aus dem Jahr 2013 könne er nicht mehr vorlegen; seine Buchhalterin habe diese nach einem bei ihr eingetretenen Wasserschaden nicht wiedergefunden. Ausweislich der Bankkontoauszüge sei jedoch am 18.12.2013 die Rechnung 11/2013 vom 16.12.2013 bezahlt worden. Aus den Kontoauszügen - genauer gesagt den dort verbuchten Bargeldabhebungen - ergebe sich auch, dass er sich in Deutschland aufgehalten habe. Auch habe er am 30.01.2014 sowie im März 2014 Baumaterial gekauft (Bl. 515, 517, 518 KgA) und monatliche Beiträge zu einer Betriebshaftpflichtversicherung gezahlt.
12Entgegen der Auffassung der Beklagten gebe es keine Konkurrenzsituation zwischen dem deutschen und dem polnischem Kindergeld, da in Polen wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen kein Anspruch auf Kindergeld bestanden habe. Die Einkommensgrenze habe im Februar 2014 bei 539 PLN pro Monat und Familienmitglied gelegen. Er habe in dem für die Einkommensberechnung maßgeblichen Jahr 2012 jedoch Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 7.833 € erzielt, was bei einem Umrechnungskurs von 4,25 PLN/€ 639 PLN pro Monat und Familienmitglied ergebe. Dass kein Kindergeld bezogen worden sei, ergebe sich auch aus einer Bescheinigung der polnischen Behörden vom 02.10.2019 (Bl. 148 der Gerichtsakte -GA-).
13Ungeachtet dessen sei es aber auch nicht gerechtfertigt, den Anspruch auf deutsches Kindergeld schon bei kurzfristigen Tätigkeitsunterbrechungen entfallen zu lassen. Dies stelle eine ungerechtfertigte Benachteiligung selbständig Erwerbstätiger gegenüber unselbständig Erwerbstätigen dar, welche ihren Kindergeldanspruch auch während ihres Urlaubs, bei Krankheit oder bei witterungsbedingter Arbeitsunterbrechung behalten würden.
14Der Kläger beantragt,
15den Bescheid vom 17.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.09.2018 aufzuheben, soweit er den Monat Februar 2014 betrifft.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie weist darauf hin, dass der Kläger für das Jahr 2014 nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt worden sei. Eine Veranlagung nach dieser Vorschrift setze voraus, dass der Steuerpflichtige keinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe. Wenn der Kläger nunmehr behaupte, doch einen Wohnsitz im Inland zu haben, setze er sich in Widerspruch zu den Angaben in seiner Steuererklärung. Der Kläger sei daran, dass er nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt worden sei, festzuhalten, mit der Folge, dass sich die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b EStG richte. Ein Anspruch nach dieser Vorschrift bestehe nur für die Monate, in denen Einkünfte nach § 49 EStG erzielt worden seien. Der Kläger habe jedoch nicht nachgewiesen, dass er im Februar 2014 gewerblich tätig gewesen sei. Die bloße Behauptung in der tabellarischen Übersicht, dass die mit der Rechnung 01/2014 abgerechneten Tätigkeiten in den Monaten Januar bis März 2014 erbracht worden seien, reiche nicht aus, zumal aus der Rechnung selbst kein Leistungszeitraum ersichtlich sei. Auch habe der Kläger nicht hinreichend nachgewiesen, wann er in 2013 das letzte Mal tätig gewesen sei. Es sei daher von einer Unterbrechung der Tätigkeit von mehr als einem Monat auszugehen.
19Aber selbst dann, wenn der Kläger einen Wohnsitz im Inland hätte, bestehe gem. Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1; im Folgenden kurz VO 833/2004 genannt) kein Anspruch auf Kindergeld. Denn da der Kläger im Februar 2014 keine Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit erzielt habe, sei er in diesem Monat bei der Prüfung der Prioritätsregelungen des Art. 68 VO 883/2004 nur als über seinen Wohnsitz berechtigt anzusehen, was wiederum zur Folge habe, dass der polnische Kindergeldanspruch vorrangig sei und gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO 883/2004 auch kein Anspruch auf deutsches Differenzkindergeld bestehe. Darauf, ob in Polen tatsächlich ein Anspruch auf Kindergeld bestehe, komme es nicht an.
20Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Kindergeldakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die Klage ist zulässig und begründet.
23Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 17.05.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.09.2018 ist rechtswidrig, soweit er den Monat Februar 2014 betrifft. Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Anspruch auf deutsches Kindergeld durch Art. 68 VO 883/2004 ausgeschlossen wird.
241. Die Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 63, 64 EStG lagen im allein streitigen Monat Februar 2014 vor. Insbesondere steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger in der Z-Straße in Z-Stadt einen Wohnsitz hat, und zwar seit 2006 und damit auch im Streitzeitraum. Der Kläger hat durch Vorlage des Mietvertrags nebst Bescheinigungen des Vermieters und Mitmieters und diverser sonstiger Unterlagen (wie z.B. der Stromabrechnung vom 04.02.2013) hinreichend nachgewiesen, dass er Mitmieter dieser Wohnung war und ihm dieser Wohnraum dauerhaft zur eigenen Nutzung zur Verfügung stand i.S.d. § 8 AO.
25Entgegen der Auffassung der Beklagten entfaltet der Einkommensteuerbescheid 2014 auch keine Bindungswirkung dergestalt, dass wegen der auf § 1 Abs. 3 EStG gestützten Veranlagung für dieses Jahr nunmehr nicht mehr von einem inländischen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen werden dürfte und der Kläger nur (noch) nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b EStG kindergeldberechtigt wäre. Zwar ist Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 3 EStG, dass gerade kein inländischer Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt. Bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung handelt es sich jedoch um unterschiedliche Verfahren, so dass der Einkommensteuerbescheid hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts für die Kindergeldfestsetzung nicht bindend ist (z.B. BFH, Urteil vom 20.03.2013 – XI R 37/11, BStBl II 2014, 831; Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 25.04.2019 – 6 K 1720/17 (Kg), juris). Anders als § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b EStG stellt § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gerade nicht auf die Veranlagungsart ab, sondern allein darauf, dass ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland besteht. Dies ist hier wie dargelegt der Fall.
262. Der damit nach deutschem Recht bestehende Anspruch auf Kindergeld wird nicht durch die VO 883/2004 verdrängt. Zwar ist der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet (hierzu unter a) und es liegt auch eine Konkurrenzsituation i.S.d. Art. 68 VO 883/2004 vor (hier unter b). Der Anspruch des Klägers auf deutsches Kindergeld ist jedoch gem. Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der VO 883/2004 vorrangig (hierzu unter c). Denn der Kläger übte im Streitzeitraum eine selbstständige Erwerbstätigkeit i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Art. 1 Buchst. a der VO 883/2004 aus (hierzu unter d), während die Kindesmutter keiner Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit nachging.
27a) Im Streitfall ist der persönliche Anwendungsbereich der VO 883/2004 eröffnet, weil der Kläger als polnischer Staatsangehöriger die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt (Art. 2 Abs. 1 der VO 883/2004), und der sachliche Anwendungsbereich, weil das Kindergeld eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z VO 883/2004 ist (Art. 3 Abs. 1 Buchst. j VO 883/2004).
28b) Für den Fall, dass für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind, enthält Art. 68 VO 883/2004 diverse Prioritätsregeln. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, dass es zu einem Zusammentreffen von Leistungen kommt, d.h. sowohl nach deutschem als auch nach ausländischem Recht ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die entsprechende Leistung besteht (BFH, Urteil vom 25.07.2019 – III R 34/18, BFH/NV 2020, 137).
29Im Streitfall liegt eine Konkurrenzsituation i.S.d. Art. 68 VO 883/2004 vor. Denn für die Kinder B und C bestand neben dem Anspruch auf deutsches Kindergeld auch ein Anspruch auf polnisches Kindergeld.
30Die Zahlung von Kindergeld richtete sich in Polen im Streitzeitraum nach dem Gesetz über Familienleistungen vom 28.11.2003 (Gesetzblatt der Republik Polen Nr. 228/2003 Pos. 2255) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.11.2013 (Gesetzblatt der Republik Polen 2013, Pos. 1456; im Folgenden kurz FamLStG-PL genannt). Nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 FamLStG-PL werden Familienleistungen, zu denen gem. Art. 2 Nr. 1 FamLStG-PL auch Kindergeld gehört, u.a. an polnische Staatsangehörige gezahlt, soweit sie im Beihilfezeitraum, in dem sie die Familienleistungen beziehen, im Gebiet der Republik Polen ihren Wohnsitz haben. Diese Voraussetzungen liegen sowohl bezüglich des Klägers als auch der Kindesmutter vor. Beide Elternteile sind auch anspruchsberechtigte Person i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 FamLStG-PL.
31Ein Anspruch auf polnisches Kindergeld besteht gem. Art. 5 Abs. 1 FamLStG-PL jedoch nur, soweit das Familieneinkommen pro Familienmitglied einen bestimmten Betrag nicht überschreitet. Die Einkommensgrenze betrug vom 01.11.2013 bis 31.10.2014 539 PLN pro Monat und Familienmitglied. Bei einem 4-Personen-Haushalt sind dies 25.872 PLN pro Jahr, was bei Zugrundelegung eines Umrechnungskurses von 4,18 PLN/€ (Jahres-Mittelwert der Umsatzsteuerumrechnungskurse) 6.189 € entspricht. Maßgebend ist dabei gem. Art. 3 Abs. 2a FamLStG-PL das durchschnittliche monatliche Einkommen der Familienmitglieder, das in dem Kalenderjahr vor dem Leistungszeitraum bezogen wurde. Der Leistungszeitraum läuft gem. Art. 3 Abs. 10 FamLStG-PL jeweils vom 01. November bis zum 31. Oktober. Für den hier maßgeblichen Streitmonat Februar 2014 sind mithin die Einkommensverhältnisse des Jahres 2012 maßgebend.
32Im Streitfall wurde die Einkommensgrenze nicht überschritten. Zwar hat der Kläger im Jahr 2012 ausweislich des Einkommensteuerbescheids 2012 vom 28.04.2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 7.833 € erzielt. Das polnische Kindergeldgesetz hat jedoch einen eigenen Einkommensbegriff. Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 1c fünfletzter Spiegelstrich FamLStG-PL gehören zum Einkommen auch die außerhalb der Grenzen der Republik Polen erzielten Einkünfte, jedoch sind diese um die im Ausland abgeführte Einkommensteuer sowie Sozialversicherungsbeiträge und gesetzliche Krankenversicherungsbeiträge zu mindern. Ausweislich der Angaben im Einkommensteuerbescheid 2012 hat der Kläger Zahlungen zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 2.269 € und 129 € geleistet. Zieht man diese 2.398 € von den Einkünften aus Gewerbebetrieb ab, verbleibt ein Einkommen von nur 5.435 €. Die Einkommensgrenze von 6.189 € ist mithin unterschritten, weshalb ein Anspruch auf polnisches Kindergeld bestand. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von dem Kläger vorgelegten Bescheinigung vom 02.10.2019 (Bl. 148 GA), da dort lediglich bescheinigt wird, dass der Kläger mangels Antragstellung kein Kindergeld bezogen hat. Dazu, ob bei Antragstellung ein Anspruch bestanden hätte, äußerst sich die Bescheinigung nicht.
33c) Sind - wie hier - Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt nach Abs. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a VO 883/2004 folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche. Dabei ist darauf abzustellen, aufgrund welchen Tatbestands die berechtigte Person den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats nach Art. 11 bis 16 der VO 883/2004 unterstellt ist (BFH, Urteil vom 25.07.2019 – III R 34/18, BFH/NV 2020, 137).
34Im Streitfall ist der Anspruch auf deutsches Kindergeld nach Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a VO 883/2004 vorrangig, da der Kläger in Deutschland eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt (hierzu unter d) und den deutschen Rechtsvorschriften deshalb nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a VO 883/2004 unterliegt, während die Kindesmutter keinen Sondertatbestand der Art. 11 Abs. 3 a bis d, Art. 12 bis 16 VO 882/2004 erfüllt hat und deshalb gem. Art. 11 Abs. 3 Buchst. e VO 883/2004 den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats – hier Polen – unterliegt. Der durch die selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöste Anspruch geht dem lediglich durch den Wohnsitz ausgelöstem Anspruch vor.
35d) Die Prüfung, ob ein Kindergeldberechtigter selbstständig erwerbstätig ist, richtet sich nach folgenden Grundsätzen:
36Art. 1 Buchst. a VO 883/2004 bestimmt, dass der Ausdruck „selbstständige Erwerbstätigkeit“ für die Zwecke dieser Verordnung jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation bezeichnet, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.
37Eine generelle Regelung, wann für die Zwecke der sozialen Sicherheit von der Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auszugehen ist, kennt das deutsche Recht nicht, weil es weder eine generelle Versicherungspflicht für selbstständig Erwerbstätige gibt, noch besondere Vorschriften, unter welchen Umständen selbstständig Erwerbstätige Leistungen der sozialen Sicherheit, die keine Versicherungsleistungen sind, erhalten können (Helmke/Bauer, in: Familienleistungsausgleich, Erg.Lfg. 11/18, VO Nr. 883/2004 Rn. 49). Nach deutschem Recht liegt eine selbstständige Erwerbstätigkeit vielmehr bereits dann vor, wenn eine eigenverantwortliche Tätigkeit für eigene Rechnung am allgemeinen Markt zur Erzielung von Einnahmen in Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird (vgl. § 15 Abs. 2 i.V.m. §§ 13, 18 EStG). Die wirtschaftliche Tätigkeit muss auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung tatsächlich ausgeübt werden, d.h. allein ein formaler Akt wie z.B. die Registrierung eines Gewerbes ist nicht ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R –, BSGE 107, 66; Otting in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, 03/15, Art. 1 Rn 6). Erforderlich ist die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (Otting in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, 03/15, Art. 1 Rn. 10 m.w.N.).
38Die Annahme der Beklagten, dass eine selbstständige Erwerbstätigkeit i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a VO 883/2004 lediglich für die Monate zu bejahen ist, in denen der Kindergeldberechtigte Einkünfte nach § 49 EStG erzielt hat, wird den o.g. Anforderungen, die an eine selbstständige Erwerbstätigkeit zu stellen sind, nicht gerecht und geht im Übrigen auch an der Lebenswirklichkeit vorbei. Denn anders als bei einer nichtselbständigen Beschäftigung, bei der regelmäßig Lohnzahlungen oder Lohnersatzleistungen wie Krankengeld etc. erfolgen und bei der der Zufluss von Einkünften mithin auch eine Beschäftigung indiziert, unterliegt die Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit naturgemäß Risiken und Schwankungen, die gerade keine regelmäßige Tätigkeit und damit auch keine regelmäßigen Einkünfte garantieren. Insbesondere saison- oder konjunkturbedingte Umsatzausfälle sind für selbstständige Erwerbstätigkeiten nicht ungewöhnlich. Die Feststellung, ob eine selbstständige Erwerbstätigkeit überhaupt bzw. noch ausgeübt wird, kann sich daher nicht auf die Überprüfung der Umsätze/Einkünfte beschränken (so auch Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.07.2019 – 7 K 3133/17 PKH). Vielmehr ist das Gesamtbild aller Umstände in die Prüfung einzubeziehen.
39In diesem Sinne versteht offensichtlich auch die Familienkasse Direktion die Vorschriften des Art. 1 Buchst. a, Art. 68 VO 883/2004. Denn in DA 213.24 der Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichem Recht (RV 1 – 8502, Stand Juni 2015) wird den nachfolgenden Behörden gerade keine monats- bzw. umsatzbezogene Prüfung auferlegt, sondern vielmehr soll das Vorliegen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit anhand allgemeiner Nachweise geprüft werden. Als geeignete Nachweise werden dabei folgende Unterlagen/Umstände benannt: Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse oder gesetzlichen Rentenversicherung, Steuerbescheide, Bilanzen oder Einnahmenüberschussrechnungen, Mietverträge über Gewerberäume, Kundenverträge, Kaufverträge über Arbeitsmittel oder ähnliche aussagekräftige Unterlagen.
40Im Streitfall besteht bei der gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände keinerlei Zweifel daran, dass der Kläger auch im Februar 2014 selbstständig erwerbstätig war. Der Kläger hat sein Gewerbe bereits im Jahr 2006 eröffnet und insbesondere in den Jahren 2013 und 2014 aktiv betrieben. Hierfür sprechen nicht nur die Steuerbescheide für die Jahre 2013 und 2014, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausweisen (Bl. 445, 159 KgA), sondern auch der Umstand, dass der Kläger ausweislich der Bescheinigung des D vom 19.03.2019 (Bl. 68 GA) für diesen in dem Zeitraum 01.06.2013 bis 30.06.2014 mehrfach mit einem Gesamtauftragsvolumen von 12.020 € tätig war. Zudem hat der Kläger monatlich - auch im Februar 2014 - Beiträge für eine Betriebshaftpflichtversicherung gezahlt und er hat am 30.01.2014 Baumaterial gekauft. Zudem war der Kläger krankenversichert. Indizien, die die den Schluss zulassen, dass der Kläger sein Gewerbe im Streitzeitraum ganz oder zumindest vorübergehend aufgegeben hat, fehlen dagegen völlig.
413. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.