Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Einkommensteuerbescheide für 2011 bis 2013 vom 30.05.2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2017 werden in der Weise abgeändert, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 82.340 € (für 2011), 125.560 € (für 2012) und 85.677 € (für 2013) vermindert werden.
Die genaue Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Der Kläger ist der Alleinerbe/ Gesamtrechtsnachfolger seines im September 2013 verstorbenen Bruders (im folgenden: B), eines ledigen Diplomingenieurs. B wurde für die Jahre bis 2012 bei dem Beklagten (im folgenden: Finanzamt) einzeln zur Einkommensteuer veranlagt, regelmäßig erklärungsgemäß entsprechend den selbst erstellten Einkommensteuererklärungen.
3Im Juli 2014 teilte der Kläger dem Finanzamt mit, dass er bei der Durchsicht der Unterlagen des B festgestellt habe, dass dieser erzielte Kapitalerträge aus ausländischen Bankverbindungen in erheblicher Höhe bisher steuerlich nicht erklärt habe. Daraufhin führte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung ein Ermittlungsverfahren zur Feststellung der steuerlichen Verhältnisse des B durch. Aus den nachgereichten Unterlagen ergab sich, dass B bei der Bank A bis April 2011 zwei Depots unterhalten hatte. Die hieraus erzielten Erträge sind unstreitig und inzwischen nachversteuert worden.
4Im April 2011 hatte B sämtliche Vermögensanlagen aus beiden Depots (im Wesentlichen 2 Fonds …) verkauft, die Depots aufgelöst und den Erlös hieraus (rund 3,4 Mio. €) anschließend ‑‑nach Abzug einer „Beitrittsgebühr“ von 2,47 %‑‑ als Einmalbetrag in einen fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag eingezahlt. Dabei handelte es sich um den Lebensversicherungsvertrag „L-Vertrag“ bei der Lebensversicherung L . Hierzu enthalten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der fondsgebundenen Lebensversicherung (im folgenden: AVB) u. a. folgende Bestimmungen:
5…
6Mit dem von B eingezahlten Einmalbetrag wurden ausschließlich Anteile des Fonds „F“… erworben …
7Der Lebensversicherungsvertrag war auf das Lebens des B und eine Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen; in den Unterlagen (auf deutsche Steuerpflichtige bezogen) wurde deutlich darauf hingewiesen, dass nach einer Laufzeit von mindestens 12 Jahren und nach Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherungsempfängers bei Rückkauf eine Steuerbegünstigung eintrete, wonach der Ertrag nur zu 50 % einkommensteuerlich berücksichtigt werde. Im Todesfall seien die Leistungen einkommensteuerfrei. Die Rückkaufswerte der Lebensversicherung (diese entsprachen jeweils dem Wert der Fondsanteile) entwickelten sich wie folgt:
831.12.2011 |
31.12.2012 |
31.12.2013 |
|
Rückkaufswert |
|||
Wert Fonds-Anteil |
Im März 2014 erhielt der Kläger schließlich als Erbe des B als Versicherungsleistung € ausgezahlt.
10Die Fahndungsprüferin nahm zur Kenntnis, dass es sich bei F um einen „Versicherungsfonds für interne kollektive Fonds“ handele und dass seitens des B keine Transaktionen (z. B. weitere Prämienzahlungen, Rückkäufe, Umschichtungen) erfolgt waren. Sie teilte dem Klägervertreter mit, sie halte Erträge aus dem F-Fonds für steuerpflichtig, entweder in nachgewiesener tatsächlicher Höhe (bei einem transparenten Fonds) oder – falls es sich um einen intransparenten Fonds handele – jeweils in Höhe von 6 % des Wertes zum Jahrsende. Um letzteres zu prüfen, bat sie um Mitteilung der ISIN-Nummer des Fonds. Hierzu wurde ihr ein Schreiben der Lebensversicherung L übersandt, worin es heißt:
11„Wir bestätigen hiermit, dass einen internen kollektiven Fonds keine offizielle ISIN-CODE hat, da es sich um einen internen Versicherungsvertrag von L handelt. Außerdem unterliegt die Todesfallleistung einer Lebensversicherung nicht der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG (…).“
12Hiernach ging die Prüferin davon aus (Prüfungsbericht vom 3.2.2016), im Streitfall liege ein sog. vermögensverwaltender Versicherungsvertrag i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor. In dem Versicherungsvertrag sei nämlich die gesonderte Verwaltung von speziell für diesen Vertrag zusammengestellten Kapitalanlagen vereinbart; die Verwaltung sei auch nicht beschränkt auf öffentlich vertriebene Investmentfondsanteile oder Anlagen, die die Entwicklung eines veröffentlichten Index abbilden. Außerdem habe B als wirtschaftlich Berechtigter zumindest mittelbar über die Veräußerung der zugrundeliegenden Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse entscheiden können. Denn B habe die Bank A als Vermögensverwalterin beauftragt, mit der er bereits eine jahrelange Geschäftsbeziehung unterhalten habe. B habe außerdem einen Wechsel in der Person des Vermögensverwalters verlangen können und eine individuelle Anlagestrategie mit dem Vermögensverwalter vereinbart. Folglich seien die zugeflossenen Kapitalerträge, die in dem vom Versicherungsunternehmen gehaltenen Depot auf den Anteil des B entfallen, dem B direkt steuerlich zuzurechnen, nach den für das jeweilige Anlagegut geltenden Regelungen. Da für den Fonds F weder eine ISIN noch eine Valorennummer ermittelt werden könne, stehe allerdings nicht fest, ob es sich hierbei um einen transparenten oder intransparenten Fonds handele. Deshalb seien die Erträge gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) zu schätzen. Dabei sei von einem jährlichen Durchschnittsertrag von 4 % auszugehen, bezogen auf den jeweiligen Rückkaufswert. Als zusätzliche Einnahmen aus Kapitalvermögen des B setzte die Prüferin 82.340 € (für 2011), 125.560 € (für 2012) und 85.677 € (für 2013) an.
13Das Finanzamt legte diese Kapitaleinkünfte unter Anwendung der Abgeltungssteuer zugrunde und erließ gegenüber dem Kläger als Rechtsnachfolger des B für die Streitjahre 2011 bis 2013 entsprechende Einkommensteuer-Änderungsbescheide vom 30.05.2016.
14Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Er führte aus, ein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag liege nicht vor. Für den betreffenden Versicherungsvertrag seien keine speziell dafür zusammengestellten Anlagen gesondert verwaltet worden. B habe sich vielmehr zwischen formularmäßig vorgegebene Vermögensanlagen entscheiden müssen, wobei diese Auswahlmöglichkeit für eine Vielzahl von Anlegern geschaffen worden sei. Dem Namensteil des gewählten Fonds („kollektiv“) sowie den hierzu vorliegenden Erläuterungen sei zu entnehmen, dass es sich bei dem F um einen versicherungsinternen Fonds handele. Auf die Ausgestaltung dieses Fonds und dessen Anlageauswahl (welche Assets angeschafft bzw. verkauft werden) habe B keinerlei Einfluss gehabt und auch nicht nehmen können. Dies entspreche der Wertung in dem BMF-Schreiben vom 1.10.2009 (IV C 1 – S 2252/07/0001, BStBl I 2009, 1172) unter Rz. 34 h. Um näher zu erläutern, dass B weder die Möglichkeit noch das Recht der Einflussnahme auf das Fonds-Management hatte, übersandte der Kläger Übersichten … über die Fondsentwicklung der verschiedenen F-Fonds (einschließlich Anlageziele, Anlageentscheidungen) zum Stand Dezember 2012 (in deutscher Sprache) und zum Stand Januar 2012 (in englischer Sprache); auf diese Unterlagen wird Bezug genommen.
15Das Finanzamt wies den Einspruch nach Rücksprache mit der Oberfinanzdirektion als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 18.12.2017). Es führte ergänzend aus, hier liege eine gesonderte Verwaltung von speziell für den Lebensversicherungsvertrag des B zusammengestellten Kapitalanlagen vor. Dabei werde die Sparleistung nicht vom Versicherungsunternehmen für eine unbestimmte Vielzahl von Versicherten gemeinschaftlich, sondern speziell für diesen einzelnen Vertrag angelegt und verwaltet. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Versicherungsnehmer einzelne Wertpapiere bzw. ein bereits vorhandenes Wertpapierdepot als Versicherungsbeitrag einbringe. Hier habe B den F-Fonds selbst ausgewählt. Er habe sich für die ausschließliche Anlage in diesem Fonds entschieden. Damit liege eine speziell für ihn und von ihm zusammengestellte Kapitalanlage vor. Außerdem habe B durch die jederzeitige Umschichtung von einem Fonds (Produkt) zu einem anderen selbst über seine Anlage disponieren können. Seine Dispositionsmöglichkeit entfalle nicht dadurch, dass er nicht über die einzelnen Transaktionen des Fonds habe (mit-)bestimmen können. Denn eine solche Einflussnahme sei auch bei einer direkten Investition (außerhalb eines Versicherungsvertrages) in Investmentfonds nicht möglich. Für solche Entscheidungen sei die Fondsverwaltung beauftragt.
16Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger widerspricht der Annahme eines vermögensverwaltenden Versicherungsvertrages. Er weist darauf hin, dass der Versicherungsbeitrag des B (Einmalzahlung) aus einer Geldleistung bestanden habe, nicht einem eingebrachten Depot als Sacheinlage, und dass damit nicht eine separate Kapitalanlage zusammengestellt und finanziert worden sei, sondern das Geld in den Pool verschiedener Versicherungsverträge einbezogen und von einem Fondsmanager der Bank A im Rahmen des gewählten F-Fonds unabhängig angelegt und verwaltet worden sei. B habe also nicht eine individuelle Kapitalanlage nur in die Hülle eines Versicherungsvertrages gekleidet. B habe weder unmittelbar noch mittelbar über die Veräußerung und Wiederanlage von Vermögensgegenständen des Fonds entscheiden können.
17Der Kläger beantragt,
18die Einkommensteuerbescheide für 2011 bis 2013 vom 30.05.2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2017 in der Weise abzuändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen um 82.340 € (für 2011), 125.560 € (für 2012) und 85.677 € (für 2013) vermindert werden;
19die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
20Das Finanzamt beantragt,
21die Klage abzuweisen;
22hilfsweise: die Revision zuzulassen.
23Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Gericht beigezogenen Steuerakten des Finanzamts Bezug genommen.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25Die Klage ist begründet.
26Das Finanzamt hat gegenüber dem Kläger als Rechtsnachfolger seines Bruders B in den angefochtene Einkommensteuerbescheiden 2011 bis 2013 zu Unrecht laufende Kapitaleinkünfte zugerechnet, die sich auf den von B bei der Lebensversicherung L abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag „L-Vertrag“ und den zugrundeliegenden Fonds „F“ beziehen. Eine Rechtsgrundlage hierfür besteht nicht. Insbesondere handelt es sich im Streitfall nicht um eine vermögensverwaltende Versicherung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG.
271. Für der Besteuerung von Kapital-Lebensversicherungen gelten insbesondere folgende gesetzliche Regelungen:
28a) Kapital-Lebensversicherungen (Neuverträge ab 2005) sind dadurch gekennzeichnet, dass der Versicherungsnehmer während der Laufzeit des Vertrags (sozusagen der Ansparphase) hieraus keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielt; die seitens der Lebensversicherung erzielten laufenden Erträge werden dem Versicherungsnehmer grundsätzlich nicht direkt zugerechnet („Abschirmwirkung“ – kein Durchgriff durch die Lebensversicherung).
29Die thesaurierten Erträge aus Lebensversicherungen unterliegen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG nur im Erlebensfall bzw. bei Rückkauf des Vertrages einer nachgelagerten Besteuerung; dagegen ist die im Todesfall (bei Eintritt des versicherten „biometrischen Risikos“) ausgezahlte Versicherungssumme im Rahmen der Einkommensbesteuerung nicht steuerbar und unterfällt nur der Erbschaftsteuer.
30§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG gewährt eine weitere steuerliche Privilegierung (für sog. Altersvorsorgeverträge) in Form der nur hälftigen Besteuerung der Erträge (Unterschied zwischen Versicherungsleistung und geleisteten Beiträgen), wenn die Auszahlung nach dem vollendeten 60. Lebensjahr des Steuerpflichtigen unter Einhaltung einer mindestens 12-jährigen Haltedauer erfolgt. Dies gilt nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 EStG grundsätzlich auch für fondsgebundene Lebensversicherungen.
31b) Eine Ausnahme gilt allerdings gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG, wenn ein sog. vermögensverwaltender Versicherungsvertrag vorliegt. In diesem Falle sind die dem Versicherungsunternehmen zufließenden Erträge bereits während der Laufzeit des Versicherungsvertrags dem aus dem Versicherungsvertrag wirtschaftlich Berechtigten direkt zuzurechnen. Es erfolgt eine transparente Besteuerung der laufenden Kapitalerträge (Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne etc.) unmittelbar beim Versicherungsnehmer in dem Zeitpunkt, in dem die Erträge dem Versicherungsunternehmen auf dem von diesem gehaltenen Depot oder Konto zufließen. Dabei richtet sich die Besteuerung nach den für das jeweilige Anlagegut geltenden Regelungen (z. B. bei Zinsen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, bei Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG und bei Investmentfondserträgen nach den Vorschriften des Investmentsteuergesetzes -InvStG- (vgl. BT-Drucks 16/11108, S. 15; BMF-Schreiben vom 01.10.2009 IV C 1 – S 2252/07/0001, BStBl. I 2009, 1172 Rz. 34a).
32c) Diese Regelung beruhte auf Folgenden gesetzgeberischen Erwägungen (BT-Drucks 16/11108, S. 14 – im Wesentlichen wortgetreu übernommen): Im Vorfeld der Einführung der Abgeltungsteuer war zunehmend zu beobachten, dass Lebensversicherungsverträge nur mit einem minimalistisch ausgestatteten Versicherungsschutz angeboten wurden. Daneben wurden zunehmend als „Lebensversicherungen“ deklarierte Verträge mit individueller Vermögensverwaltung abgeschlossen. Diese Verträge unterschieden sich von konventionellen Lebensversicherungen insbesondere dadurch, dass der Anleger als „Herr des Geschehens“ die Auswahl der konkreten Kapitalanlagen und deren Rückübereignung oder die Wiederanlage bestimmte. Typischerweise boten diese Verträge ein Höchstmaß an Flexibilität hinsichtlich der Beitragsleistung und der Möglichkeit, die Versicherungsleistung abzurufen. Häufig war es sogar möglich, ein bereits existierendes Depot als Versicherungsbeitrag einzubringen. In der Regel erfolgte die Kapitalanlage auf einem Konto oder Depot bei einem vom Kunden frei wählbaren Kreditinstitut. Ähnlich einem Treuhandvertrag wurde das Versicherungsunternehmen Eigentümer bzw. Inhaber der auf dem Konto oder Depot verwalteten Anlagegüter. Der Kunde konnte unmittelbar selbst oder mittelbar über einen Verwalter über die Vermögensgegenstände disponieren.
33Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages stellte fest (vgl. BT-Drucks 16/11108, S. 15 f.), bei den Verträgen mit einem minimalistischen Versicherungsschutz und in den Fällen einer individuellen Vermögensverwaltung trete der Vorsorgecharakter einer Lebensversicherung so weit hinter den Zweck der Kapitalanlage zurück, dass eine privilegierte Besteuerung nicht angemessen erscheine. Vielfach preisten die Anbieter oder Vermittler derartige Produkte als so genannten Versicherungsmantel an, was dokumentiere, dass es nicht um die Vorsorge durch eine Versicherung geht, sondern die Erzielung steuerlicher Vorteile im Vordergrund stehe.
34Demgemäß erachtete es der Gesetzgeber für hinreichend und notwendig, in § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG solche vermögensverwaltenden Versicherungsverträge von den allgemeinen Besteuerungsregelungen/ Begünstigungen für Versicherungsverträge auszunehmen; zudem schuf der mit § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 6 EStG Mindeststandards für die Anforderung an die Risikoleistung aus einer Kapitallebensversicherung.
352. Im vorliegenden Fall erfüllt die abgeschlossene fondsgebundene Lebensversicherung „L-Vertrag“ bei der Lebensversicherung L bezogen auf den F-Fonds die Mindestanforderungen einer (Kapital-) Lebensversicherung im steuerlichen Sinne gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG.
36a) Mangels steuergesetzlicher Definition ist für die Bestimmung des Versicherungsbegriffs auf das allgemeine Versicherungsaufsichtsrecht und die auf dieses bezogene Auslegungstradition zurückzugreifen (vgl. FG Köln Urteil vom 29.09.2015 10 K 3587/13, EFG 2016, 26 m.w.N.).
37Wesentliches Merkmal einer „Lebensversicherung“ ist danach die Abdeckung des wirtschaftlichen Risikos, das aus der Unsicherheit und Unberechenbarkeit des menschlichen Lebens für den Lebensplan des Menschen erwächst (vgl. bereits BFH-Urteil 9.11.1990 VI R 164/86, BFHE 163, 53, BStBl II 1991, 189). Die durch eine Lebensversicherung typischerweise abgedeckten Gefahren sind der Tod (Todesfallrisiko) oder die ungewisse Lebensdauer als Rentner (Erlebensfallrisiko); dem entspricht als gebräuchlichste Form der Lebensversicherung die vorliegende „gemischte Todes- und Erlebensfallversicherung“ (vgl. BFH-Urteil vom 15.06.2005 X R 64/01, BFHE 210, 281, BStBl II 2006, 245).
38b) Bei einer Kapital-Lebensversicherung wird die Ablaufleistung im Erlebensfall regelmäßig als einmalige Auszahlung und nicht im Wege einer lebenslangen Rente erbracht, so dass das weitere biometrische Risiko einer ungewissen Lebensdauer (anders als bei der Rentenversicherung) nicht zu berücksichtigen ist. Dies hat auf die steuerliche Förderung keine Auswirkung.
39Bei einer Lebensversicherung gegen vorausgezahlten Einmalbeitrag fällt das Risiko für das Versicherungsunternehmen weg, bei frühzeitigem Versterben des Versicherungsnehmers die Versicherungssumme leisten zu müssen, ohne bereits entsprechende Beiträge erhalten zu haben. Durch den Einmalbeitrag hat das Versicherungsunternehmen vorab die gesamten Einzahlungen des Versicherungsnehmers erhalten. Ungeachtet dessen ist die Versicherung gegen Einmalbeitrag ohne Beschränkung als echte Lebensversicherung anzuerkennen (BMF-Schreiben vom 01.10.2009 IV C 1 – S 2252/07/0001, BStBl. I 2009, 1172 Rz. 25).
40c) Darüber hinaus ist im Streitfall sogar die Mindeststandards des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 6 EStG (Mindest-Todesfallschutz) für die Anforderung an die Risikoleistung aus einer Kapital-Lebensversicherung erfüllt. § 3 der AVB bildet genau diese Mindest-Erfordernisse ab.
41Die Problematik des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 6 Buchstabe a) EStG stellt sich im Streitfall nicht. Hierdurch soll bei Versicherungen mit laufender Beitragszahlung verhindert werden, dass eine Todesfall-Leistung so weit abgesenkt wird, dass sie sich lediglich an den geleisteten Beiträgen orientiert, also wirtschaftlich ein Sparvertrag vorliegt, der steuerlich als Lebensversicherung begünstigt wird. Bei der hier vorliegenden Versicherung gegen vorausgezahlten Einmalbeitrag ist demgegenüber die Todesfall-Leistung von vorne herein sichergestellt.
42Die einzige versicherungsmathematisch als Risiko zu berücksichtigende Unsicherheit ist die minimale Erhöhung der Todesfall-Leistung bei Versterben des Versicherungsnehmers zwischen dem 5. Jahr der Versicherungslaufzeit und dem Ende der Vertragslaufzeit, entsprechend den Vorgaben des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 6 Buchstabe b) EStG. Dies ist nach dem Gesetz ausreichend und im Streitfall sichergestellt. Deshalb sind sogar die Voraussetzungen einer begünstigten Kapital-Lebensversicherung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG erfüllt.
433. Die Ausnahmeregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG greift nicht ein. Die im Streitfall vereinbarte auf den F-Fonds bezogene Lebensversicherung „L-Vertrag“ ist kein vermögensverwaltenden Versicherungsvertrag.
44a) Nach dieser Vorschrift liegt ein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag vor, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
45- In dem Versicherungsvertrag ist eine gesonderte Verwaltung von speziell für diesen Vertrag zusammengestellten Kapitalanlagen vereinbart,
46- die zusammengestellten Kapitalanlagen sind nicht auf öffentlich vertriebene Investmentfondsanteile oder Anlagen, die die Entwicklung eines veröffentlichten Indexes abbilden, beschränkt und
47- der wirtschaftlich Berechtigte kann unmittelbar oder mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen (Dispositionsmöglichkeit).
48b) Im Streitfall ist lediglich die mittlere Voraussetzung gegeben: der F-Fonds selbst ist kein öffentlich vertriebener Investmentfonds, sondern ein versicherungsinterner Fonds, der nicht an der Börse gelistet ist (daher keine ISIN-Nummer besitzt). Er wird durch den Asset Manager „aktiv verwaltet“ und investiert „hauptsächlich indirekt in Aktien und Anleihen“, ohne eine Beschränkung auf öffentlich vertriebene Investmentfondsanteile oder Anlagen, die die Entwicklung eines veröffentlichten Indexes abbilden (grundlegend AVB Anlage III S. 5; vgl. auch die Informationen über die Fondsentwicklung der verschiedenen F-Fonds einschließlich Anlageziele, Anlageentscheidungen zum Stand Dezember 2012 und zum Stand Januar 2012).
49c) Die anderen Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
50Es war keine „gesonderten Verwaltung“ i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG vereinbart: Die aufgebrachte Prämienleistung der Lebensversicherung L erfolgte im Rahmen des Produktes „L-Vertrag“ bezogen auf den Versicherungsfonds F für eine Vielzahl von Versicherten gemeinschaftlich („Kollektiv-Fonds“): hieran hat sich B mit seinem Versicherungsbeitrag (Einmalbeitrag) beteiligt. Der Einmalbeitrag wurde aber nicht separat für den einzelnen Vertrag des B angelegt bzw. verwaltet.
51Es handelte sich auch nicht um „speziell für diesen Vertrag zusammengestellte Kapitalanlagen“. B hat nicht einzelne Wertpapiere oder ein bereits vorhandenes Wertpapierdepot als Versicherungsbeitrag eingebracht, die dann unter dem Mantel einer Lebensversicherung zu verwalten wären, sondern er hat seine Einmalprämie (nach vorheriger Veräußerung verschiedener Kapitalanlagen) durch Bareinzahlung geleistet. Diese Bareinzahlung wurde auch nicht nach Weisung des B für konkrete Wertpapiere/ Anlagegüter verwendet. Dass B zu Vertragsbeginn einen von mehreren seitens der Lebensversicherung angebotenen standardisierten Fonds (F) wählen konnte und später ggf. eine Umschichtung in einen anderen Fonds, eine Termingeldanlage oder den vorzeitigen Rückkauf wählen konnte (vgl. AVB Anlage III Seite 5, Punkt 10), begründet keine individuelle Gestaltung der Kapitalanlage nach den Weisungen des B, sondern gibt lediglich den äußeren Rahmen vor (vgl. FG Köln Urteil vom 29.09.2015 10 K 3587/13, EFG 2016, 26, 28 Rz. 57; juris Rz. 48).
52Darüber hinaus besaß B keine Dispositionsmöglichkeit über die Anlagepolitik des F-Fonds; er konnte nicht „unmittelbar oder mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen“. Die Anlagepolitik des F-Fonds bestimmte alleine der Asset Manager (Bank A), ohne insoweit Weisungen des B oder der anderen Versicherungsnehmer/ Anleger unterworfen zu sein. Deshalb wurden die Versicherungsnehmer auch darüber belehrt, dass die Anlagebedürfnisse, -ziele oder Finanzlagen einzelner Anleger nicht berücksichtigt würden; die Anleger müssten deshalb ggf. mithilfe eines Anlageberaters selbst entscheiden, ob die vom Asset Manager vorgegebenen Investitionen und Strategien unter Berücksichtigung ihrer eigenen Anlagebedürfnisse, -ziele oder Finanzlagen für sie geeignet seien. Der Asset Manager handelte insbesondere nicht als individueller Vermögensverwalter im Auftrag und auf Weisung des B (im Unterschied zum Fall des FG Köln Urteil vom 27.08.2015 6 K 2927/13, EFG 2015, 2170). Die Auswahlmöglichkeit aus standardisierten Anlagestrategien, die einer unbestimmten Vielzahl von Versicherungsnehmern angeboten werden, stellt dabei auch nach Verwaltungsauffassung keine unmittelbare oder mittelbare Dispositionsmöglichkeit dar; dies gilt selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer einem Vertrag mehrere derartiger standardisierter Anlagestrategien in unterschiedlicher Gewichtung zugrunde legen darf (vgl. BMF-Schreiben vom 01.10.2009 IV C 1 – S 2252/07/0001, BStBl. I 2009, 1172 Tz. 34 h).
534. Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Steuer auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
545. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ergibt sich aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
556. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, auch im Hinblick auf das anhängige Revisionsverfahren VIII R 36/15.