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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 22.02.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.06.2018 verpflichtet, dem Kläger Kindergeld für seinen Sohn A für den Zeitraum Februar 2015 bis Juni 2018 in gesetzlicher Höhe festzusetzen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
2Am 10.07.2017 beantragte der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seinen Sohn A (geb. ..1993) für die Jahre 2015 bis 2017. A habe am 21.01.2015 die Ausbildung zum Bankkaufmann bestanden und sodann einen Arbeitsvertrag (Vollzeitbeschäftigung) bei der Sparkasse erhalten. Schon kurz zuvor habe sich sein Sohn an der ()School of
3Finance & Management zum 4-semestrigen, berufsbegleitenden Fernstudium zum Bankfachwirt beworben und dort zum SS 2015 begonnen. Am 22.02.2017 habe A nach erfolgreichen Prüfungen den Titel des Bankfachwirts verliehen bekommen. Bereits zum nächsten Semesterbeginn, im April 2017, habe sein Sohn am dortigen Fernstudiengang zum Bankbetriebswirt teilgenommen, den er nach 2 Semestern ebenfalls bestanden habe. Seit 02.06.2018 schließe sich der Studiengang Management an. Das Berufsziel von A sei von Anfang an der Diplom-Bankbetriebswirt gewesen, das im streitigen Zeitraum noch nicht erreicht gewesen sei.
4Mit Bescheid vom 22.02.2018 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld ab. Der Sohn habe seine (Erst-)Berufsausbildung am 21.01.2015 abgeschlossen, sodass die anschließende Vollzeitberufstätigkeit steuerschädlich sei. Zudem habe das Kind seine Ausbildungsabsichten nicht zeitnah erklärt.
5Den hiergegen gerichteten Einspruch, mit dem der Kläger auf den engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der mehraktigen Erstausbildung seines Sohnes, auf dem Weg zum Ziel des Bankbetriebswirts, hingewiesen hatte, wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 07.06.2018 als unbegründet zurück.
6Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Einem Ruhen des Verfahrens hat er nicht zugestimmt. In der Verhandlung hat er bekräftigt, sein Sohn habe die Ausbildung nur absolviert, weil er andernfalls das – von Anfang an beabsichtigte – Studium nicht hätte beginnen können.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 22.02.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.06.2018 zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für seinen Sohn A für den Zeitraum Februar 2015 bis Juni 2018 in gesetzlicher Höhe festzusetzen,
9hilfsweise die Revision zuzulassen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen,
12hilfsweise die Revision zuzulassen.
13Die Beklage hat gegen den stattgebenden Gerichtsbescheid des Senats vom 19.12.2018 einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt und ergänzend wie folgt vorgetragen: Ihre Auffassung werde bestätigt durch den Wortlaut der Vorschrift und den Willen des Gesetzgebers. Eine Berufsausbildung sei mit dem erstmaligen Erlernen eines Ausbildungsberufes abgeschlossen – wie durch die Formulierungen „erstmalige Berufsausbildung“ und „Erststudium“ zum Ausdruck gebracht werde.
14Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Kindergeldakte Bezug genommen.
15Die Klage ist begründet.
16Der angefochtene Ablehnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 101 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO-; die Beklagte hat den
17Kindergeldanspruch unzutreffend abgelehnt.
18Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG). In Berufsausbildung befindet sich, wer "sein Berufsziel" noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des "angestrebten" Berufs geeignet sind, denn von Verfassungs wegen besteht ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen. Insoweit wird der Tatbestand der Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auch nicht durch eine daneben ausgeübte Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen, wenn die
19Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betrieben wird (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH vom 08.09.2016 III R 27/15, Bundessteuerblatt –BStBl- II 2017, 278).
20Nach diesen Grundsätzen stellt das von A absolvierte Studium an der () School of Finance & Management Teil seiner (erstmaligen) Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dar. Die Erlangung des Grads eines Bankbetriebswirts ist sein subjektives Ausbildungsziel. Das Gericht schließt sich dem o. a. höchstrichterlichen subjektiven Verständnis des Begriffes „erstmalige Berufsausbildung“ an, folgt somit nicht der Gegenansicht etwa des 9. Senates des Finanzgerichts –FG-Münster (Urteil vom 11.04.2018 9 K 2210/17 Kg, juris, Rev. III R 41/18), der unter objektiver Betrachtung den Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung bereits dann bejaht, wenn eine geordnete Ausbildung erfolgreich abgeschlossen ist und dem Kind über einen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht, sich selbst zu unterhalten.
21Unstreitig ist das Kind seinem Studium auch ernsthaft und hinreichend nachgegangen.
22Der Anspruch auf Kindergeld ist auch nicht wegen der Erwerbstätigkeit des Sohnes in einem Umfang von 39 Wochenstunden im Streitzeitraum ausgeschlossen. Denn das Kind hatte am 21.01.2015 noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen und diesen Abschluss auch nicht bis Ende 2017 erreicht. Die Fernstudiengänge stellten vielmehr unselbständige Bestandteile der Erstausbildung
23dar. Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz
242 EStG war die Erwerbstätigkeit im Streitzeitraum nicht anspruchsausschließend.
25Entsprechend hat der BFH mit o. a. Urteil vom 08.09.2016 III R 27/15 Kindergeld zuerkannt für ein Kind, das eine Ausbildung zur Physiotherapeutin absolviert, anschließend die Fachhochschulreife erworben und sodann das Studium „Physiotherapie Dual“ aufgenommen hatte, und das während der Dauer des Studiums eine Erwerbstätigkeit als angestellte Physiotherapeutin (ausnahmsweise nicht dual, sondern wegen der in ihrem Fall im ersten Akt bereits absolvierten Berufsausbildung berufsbegleitend) über 30 Wochenstunden ausübte.
26Der erste berufsqualifizierende Abschluss zum Bankkaufmann hatte für A noch nicht zu einem "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" geführt. Die Fernstudien () stehen – wie auch die Beklagte nicht in Abrede stellt - in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zur ersten berufsqualifizierenden Maßnahme, der
27Ausbildung zum Bankkaufmann. Das vom Kind angestrebte Berufsziel konnte im Streitfall nur über weitere Abschlüsse - also weiterführende Ausbildungsmaßnahmen im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung - erreicht werden. Bereits zu Beginn seiner Ausbildung hatte das Kind die überzeugend dargelegte und von der Beklagten nicht in Abrede gestellte Absicht, nach Ablegung der Prüfung zum Bankkaufmann die (Fern-)Studien zum Bankfachwirt und Bankbetriebswirt anzuschließen. Nach bestandener Kaufmannsausbildung nahm der Sohn das von ihm angestrebte Studium frühestmöglich
28zum nächsten Sommersemester auf. Der erforderliche fachliche Zusammenhang liegt unstreitig ebenfalls vor, denn die Ausbildungsakte sind inhaltlich und schwerpunktmäßig
29auf denselben Fachbereich derselben Berufssparte bezogen und bereiten auf dasselbe Berufsfeld vor.
30Zwar hatte der BFH mit dem – von der Beklagten angeführten – früheren Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15 (BStBl II 2016, 615) entschieden, dass sich das von einem Kind nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung aufgenommene Studium nicht mehr als integrativer Bestandteil einer einheitlichen Erstausbildung darstelle, wenn das Studium eine Berufstätigkeit voraussetze. Diese Erwerbstätigkeit führe zu einer Zäsur, die den notwendigen engen Zusammenhang zwischen beiden Ausbildungsabschnitten entfallen lasse. Sie stehe dem Fall gleich, dass das Kind eine weitere Ausbildung erst nach
31einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit beginne, die nicht der zeitlichen Überbrückung diene, weil es früher mit der weiterführenden Ausbildung hätte beginnen können. Der dort vom BFH entschiedene Sachverhalt unterscheidet sich indes maßgebend vom vorliegenden Streitfall. Denn dort setzte das Studium des Kindes eine berufspraktische Erfahrung von nicht unter einem Jahr voraus (so etwa auch im Fall lt. Urteil des FG Münster vom 23.05.2017 1 K 3050/16 Kg, juris, Rev. BFH III R 47/17). Hier dagegen war die Erwerbstätigkeit des Sohnes des Klägers nicht etwa als vorgeschriebene Erfahrungszeit dem Studium vorgeschaltet, sondern wurde berufsbegleitend im Fernstudium ausgeübt.
32Damit verbleibt es bei der Einheitlichkeit der Erstausbildung, die das Kind jedenfalls bis
33zum Ablauf des Antragszeitraum (Ende 2017) nicht beendet hat.
34Die absolvierte Prüfung zum Bankkaufmann verbraucht somit nicht etwa die Erstausbildung, sondern stellt einen integrativen Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs dar, weil die mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses
35fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152).
36Ebenso wie der BFH III R 27/15 a.a.O. hat der 9. Senat des FG Düsseldorf entschieden, dass eine Erwerbstätigkeit des Kindes dann unschädlich ist, wenn sie im Rahmen einer zeitlich und fachlich zusammen hängenden einheitlichen Erstausbildung erfolgt (dort nach Abschluss des Steuerfachangestellten frühestmöglicher Studienbeginn an der FOM, Ziel Bachelor of Arts Steuerrecht; parallel Vollzeitarbeitsverhältnis als Steuerfachangestellter), ebenso Urteil des FG Düsseldorf vom 11.01.2018 9 K 994/17 Kg, juris, Rev. BFH III R 8/18).
37Das FG Münster hat mit Urteil vom 14.05.2018 13 K 1161/17 Kg (juris sowie Neue Zeitschrift für Familienrecht –NZFam- 2018, 644; rkr.) entschieden, dass eine Vollzeitbeschäftigung eines Kindes keine schädliche Zäsur einer Erstausbildung darstellt, wenn unmittelbar nach Ausbildung zum Bankkaufmann der Studiengang zum Sparkassenfachwirt aufgenommen wird und dieser weder im Vorfeld noch parallel eine Berufstätigkeit vorschreibt.
38Dass die Familienkasse erstmals im Juli 2017 davon unterrichtet worden ist, dass A seine erstmalige Berufsausbildung nicht bereits mit dem Bestehen der Prüfung zum Bankkaufmann im Januar 2015 beendet habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Hierdurch wird eine Kindergeldfestsetzung bzw. der Auszahlungsanspruch auf Kindergeld für den Streitzeitraum nicht beeinträchtigt (wie nunmehr bei Kindergeldanträgen ab Januar 2018 gemäß § 66 Abs. 3 EStG n. F.). Der Senat schließt sich nicht der Verwaltungsauffassung der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz 2017 V 6.1 Abs. 1 Satz 8 an, sondern hält es für ausreichend, dass die wesentlichen Sachverhaltsumstände – wie hier – spätestens im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind (so auch Urteil des FG Düsseldorf vom 11.1.2018 9 K 994/17, juris, Rev. BFH III R 8/18; Niedersächsisches FG, Gerichtsbescheid vom 4.4.2018 3 K 152/17, juris, Rev. BFH III R 18/18). Die Regelungen zum Kindergeld enthalten – auch nach dem Bekanntwerden der BFH-Rechtsprechung zur mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung – keine Bestimmung, die im Sinne einer Ausschlussfrist die Kindergeldberechtigten bzw. deren Kinder verpflichtet, ihr Berufsziel zu einem bestimmten Zeitpunkt verbindlich festzulegen und gegenüber der Familienkasse zu dokumentieren. Ohne eine solche gesetzliche Regelung, die den Kindergeldanspruch einschränken würde, steht die Verwaltungsauffassung dem Anspruch auf Kindergeld nicht entgegen (Niedersächsisches FG, a.a.O.).
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
40Die Revisionszulassung stützt sich auf § 115 Abs. 2 FGO; die Rechtsfrage ist u. a. Gegenstand der noch anhängigen Revisionsverfahren BFH III R 47/17, III R 8/18, III R 17/18 und III R 41/18.