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Die Beklagte wird unter Abänderung des Ablehnungsbescheids vom 2.02.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.03.2017 verpflichtet, der Klägerin für ihren Sohn A Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2016 bis März 2017 zu gewähren.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 82 vom Hundert und die Beklagte zu 18 vom Hundert.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Die Klägerin bezog Kindergeld für ihren Sohn A (im Folgenden: A), geboren im Februar 1993. Im Anschluss an seine Schulausbildung (Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung) begann A im August 2011 ein 3-jähriges Ausbildungsverhältnis zum Steuerfachangestellten. Mit Bescheid vom 6.06.2014 hob die Beklagte (im Folgenden: Familienkasse) gegenüber der Klägerin die Kindergeldfestsetzung für A ab Juli 2014 auf, weil dieser seine Berufsausbildung voraussichtlich im Juni 2014 beenden werde.
3Ende Juni 2016 beantragte A´ s Vater, der Ehemann der Klägerin, die Gewährung von Kindergeld, rückwirkend seit Mai 2014. Er trug vor, der Sohn habe sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht. Er habe nach seinem Abschluss zum Steuerfachangestellten (im Mai 2014) zum nächstmöglichen Zeitpunkt (September 2014) ein Studium an der FOM Hochschule für Ökonomie & Management begonnen. Vorgelegt wurden Studienbescheinigungen für das 1. bis 4. Semester (Studienrichtung: Bachelor of Arts - Studienfach: Steuerrecht Teilzeit) sowie Nachweise über Vollzeit-Arbeitsverhältnisse als Steuerfachangestellter. Der Vater erläuterte, die weiterführende Ausbildung (Studium) sei als Teil der Erstausbildung anzusehen, so dass die Berufstätigkeit unschädlich sei. Im weiteren Verlauf machte die Klägerin den Kindergeldanspruch geltend.
4Die Familienkasse lehnte die Kindergeldgewährung ab dem Monat Juli 2014 gegenüber der Klägerin ab (Ablehnungsbescheid vom 1.08.2016). Zur Begründung führte sie aus, A habe eine erste Berufsausbildung abgeschlossen und befinde sich derzeit in einer weiteren Berufsausbildung. Da er einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachgehe, könne er gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr berücksichtigt werden.
5Außerdem hob die Familienkasse nach vorheriger Anhörung die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin für Juni 2014 auf (Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 23.08.2016), weil A seine Berufsausbildung zu Beginn dieses Monats bereits beendet habe.
6Gegen den Ablehnungsbescheid erhob die Klägerin Einspruch. Sie erklärte, das Studium des Steuerrechts stehe als weiterführender Ausbildungsteil in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Ausbildung zum Steuerfachangestellten, so dass eine einheitliche Erstausbildung vorliege.
7Der Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 8.09.2016). Die Familienkasse führte aus, mit dem Bestehen der Prüfung zum Steuerfachangestellten habe der Sohn der Klägerin seine Erstausbildung beendet. Seine Vollzeitberufstätigkeit stehe einem Kindergeldanspruch entgegen.
8Im Januar 2017 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für A ab Juni 2014. Sie wiederholte ihr früheres Vorbringen und fügte eine aktuelle Immatrikulationsbescheinigung des Sohnes für das Wintersemester 2016/ 17 bei. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab (Ablehnungsbescheid vom 2.02.2017). Der hiergegen erhobene Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 14.03.2017).
9Mit ihrer Klage vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, die Ausbildung zum Steuerfachangestellten und der unmittelbar im zeitlichen Anschluss anschließende Studiengang seien als einheitliche Erstausbildung zu beurteilen, für die Kindergeld zu gewähren sei; es handele sich um eine sog. mehraktige Ausbildung, die vorgeschaltete Berufsausbildung sei dabei integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsganges. Wenn die Familienkasse nunmehr auf die Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids vom 1.08.2016 hinweise, sei dem nicht zu folgen, weil die Familienkasse in der angefochtenen Einspruchsentscheidung eine vollständig neue Sachentscheidung getroffen habe.
10Die Klägerin beantragt,
11die Familienkasse unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 2.02.2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.03.2017 zu verpflichten, der Klägerin für ihren Sohn A Kindergeld ab Juni 2014 zu gewähren.
12Die Familienkasse beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie trägt ergänzend vor, die Versagung der Kindergeldgewährung für die Monate Juni 2014 bis September 2016 sei bestandskräftig, weil der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 23.08.2016 (betreffend Juni 2014) und die Einspruchsentscheidung vom 8.09.2016 (betreffend Juli 2014 bis September 2016) nicht angefochten worden seien. Darüber hinaus (für die Monate Oktober 2016 bis März 2017) bestehe kein Kindergeldanspruch – für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung sei kein Raum. Die Klägerin habe zunächst selbst vorgetragen, ihr Sohn werde seine Ausbildung voraussichtlich im Sommer 2014 beenden. Eine anders lautende Erklärung sei erstmals im Juni 2016 abgegeben worden – dies spreche gegen eine geplante mehraktige Erstausbildung in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Darüber hinaus seien Erklärungen, die eine Absicht glaubhaft machen sollen, nach der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG) 2017, V 6.1 Abs. 1 Satz 8, erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs der schriftlichen Erklärung bei der Familienkasse zu berücksichtigen. Die Erklärung, dass das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht sei, hätte daher spätestens im Folgemonat nach Abschluss des vorangegangenen Ausbildungsabschnitts (also im Juni 2014) bei der Familienkasse eingehen müssen.
15Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Gericht beigezogene Kindergeldakte der Familienkasse Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17Die Klage ist teilweise begründet.
181. Soweit die Klägerin allerdings Kindergeld für den Zeitraum Juni 2014 bis September 2016 geltend macht, hat die Familienkasse die Kindergeldgewährung im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil bestandskräftige Verwaltungsakte einer anderen Entscheidung entgegenstehen.
19Mit bestandskräftigem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 23.08.2016 ist entschieden, dass der Klägerin für Juni 2014 kein Kindergeld für ihren Sohn zusteht. Gleichermaßen wurde der Klägerin durch die nicht angefochtene Einspruchsentscheidung vom 8.09.2016 das Kindergeld für Juli 2014 bis einschließlich September 2016 (Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung) bestandskräftig versagt (vgl. BFH-Urteil vom 4.08.2011 III R 71/19, BStBl II 2013, 380, Rz 12). Damit kann aufgrund eines neuen Antrages Kindergeld rückwirkend erst ab dem auf die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung folgenden Monat (hier: ab Oktober 2016) festgesetzt werden (BFH-Urteil vom 21.10.2015 VI R 35/14, BFH/NV 2016, 178).
20Eine Korrekturvorschrift für die Änderung der bestandskräftigen Entscheidungen über die Versagung des Kindergelds (zum Erfordernis vgl. z. B. BFH-Urteil vom 23.06.2006 III R 13/06, BStBl II 2007, 714, Rz 15 ff.) ist weder benannt noch sonst ersichtlich.
212. Für den Zeitraum Oktober 2016 bis März 2017 hat die Familienkasse die Kindergeldgewährung zu Unrecht versagt.
22Der Kindergeldanspruch ist nicht wegen der Erwerbstätigkeit der A im Streitzeitraum ausgeschlossen. Denn A hatte noch keine erstmalige Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen. Das Bachelor-Studium stellt vielmehr einen Teil der Erstausbildung dar: Im Streitfall ist die Erlangung des akademischen Grads eines "Bachelor of Arts" das ersichtliche Ausbildungsziel von A, das er offenbar planmäßig in einem zeitlich zusammenhängenden Weg (Abschluss Berufskolleg – Abschluss einer Berufsausbildung – Zugang zur Hochschule und Bachelorstudium) verfolgt.
23Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein (BFH-Urteil vom 8.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278, Rz 25).
24Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteile vom 3.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 25 und vom 3.09.2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166, Rz 16). Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Hierfür ist auch erforderlich, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat (BFH-Urteile vom 3.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 30; vom 8.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278, Rz 26 und vom 3.09.2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166, Rz 17).
25In diesem Sinne geht der Senat davon aus, dass das von A nunmehr betriebene Bachelor-Studium zu dem von A von vorne herein angestrebten Berufsziel führt: Das Bachelor-Studium steht in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zur ersten berufsqualifizierenden Maßnahme zum Steuerfachgehilfen. Das angestrebte Berufsziel (Studienabschluss im Bereich Steuerrecht) konnte A nur über einen weiteren Abschluss --also eine weiterführende Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung—erreichen:
26Wenn der Abschluss des Berufskollegs nur über eine abgeschlossene Berufsausbildung zu dem Hochschulzugang geführt hat, wäre es notwendig vorgegeben („alternativlos“), dass das Studium erst nach abgeschlossener berufspraktischer Ausbildung begonnen werden konnte. Hätte A hingegen schon im direkten Anschluss an den schulischen Abschuss (Berufskolleg) studieren können, wäre ihm dieser Weg trotzdem nicht vorzuschreiben – es wäre unschädlich, auf dem gewählten Weg (nach der Schule erst über eine praktische Ausbildung und unmittelbar anschließend über ein Teilzeitstudium) den akademischen Abschluss anzustreben.
27Der erforderliche fachliche Zusammenhang ergibt sich jedenfalls daraus, dass sich die Ausbildungsgänge (vorherige Berufsausbildung und Studium) inhaltlich und schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich derselben Berufssparte (Steuerrecht) beziehen und dasselbe Berufsfeld vorbereiten. Für den zeitlichen Zusammenhang reicht es aus, dass Berufsausbildung zum Steuerfachangestellten und Studium im direkten Anschluss erfolgt sind. Insofern hält es der Senat nicht für erforderlich, dass sich die praktische Ausbildung (zum Steuerfachangestellten) und das Hochschulstudium (zum Bachelor) teilweise zeitlich überschneiden (wie im Falle des BFH-Urteils vom 3.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152), sondern nur für geboten, dass sie zeitlich unmittelbar aufeinander folgen, und zwar ohne beachtliche Unterbrechung mit der gebotenen Zielstrebigkeit (wie z. B. im Falle der BFH-Urteile vom 15.04.2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163, Rz 26; vom 8.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278, Rz 27 und vom 3.09.2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166, Rz 22).
28Dass die Familienkasse erstmals im Juni 2016 davon unterrichtet worden ist, dass A seine erstmalige Berufsausbildung nicht bereits mit dem Bestehen der Prüfung zum Steuerfachangestellten (Mitte 2014) beendet habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Hierdurch wird eine Kindergeldfestsetzung bzw. der Auszahlungsanspruch auf Kindergeld für den Streitzeitraum nicht beeinträchtigt (wie nunmehr bei Kindergeldanträgen ab Januar 2018 gemäß § 66 Abs. 3 EStG n. F.).
29Zwar kann der Zeitpunkt, wann der Familienkasse ein Sachverhalt unterbreitet und eine Erklärung/ Behauptung abgegeben wird, ein Indiz für bzw. gegen die Glaubhaftigkeit des erklärten Sachvortrags darstellen – mehr aber auch nicht. Dass die Klägerin der Familienkasse im September 2011 zunächst nur die Ausbildung ihres Sohnes zum Steuerfachangestellten mitgeteilt hat (mit dem Hinweis, A werde „seine Ausbildung voraussichtlich im Sommer 2014 beenden“), spricht nicht gegen die Planung des Sohnes, anschießend mit der abgeschlossenen Berufsqualifikation ein Bachelor-Studium zu beginnen. Nach damaliger (im September 2011 geltenden) Rechtslage kam es auf die Differenzierung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG (i. d. F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1.11.2011) überhaupt nicht an. Dass die Absicht des anschließenden Studiums nicht bereits im Sommer 2014 der Familienkasse zeitnah mitgeteilt worden ist, dürfte damit zusammenhängen, dass die Klägerin erst einmal die Rechtsentwicklung zur „erstmaligen Berufsausbildung“ abwarten wollte, was angesichts der Verjährungsvorschriften (vor Geltung des § 66 Abs. 3 EStG n. F.) unproblematisch erschien. Demgegenüber ist der tatsächlich von A verwirklichte Geschehensablauf, nämlich das direkt an die berufliche Ausbildung anschließende Studium, das beste und sicherste Indiz, dass dieser Ausbildungsweg auch so (im Sinne eines „roten Fadens“) planmäßig verwirklicht werden sollte.
30Nach alledem wird die Klägerin mit ihrem Sachvortrag nicht ausgeschlossen, indem sie die Familienkasse nicht unverzüglich im Sommer 2014 (oder bereits im September 2011) von dem (geplanten) Bachelorstudium ihres Sohnes A unterrichtet hat. Der Senat schließt sich nicht der Verwaltungsauffassung der DA-KG 2017 V 6.1 Abs. 1 Satz 8 an, sondern hält es für ausreichend, dass die wesentlichen Sachverhaltsumstände - wie hier – spätestens im Entscheidungszeitpunkt vollständig und glaubhaft dargelegt sind.
313. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs.1 Satz 1 FGO.
32Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).