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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 27.07.2017 und der Einspruchsentscheidung vom 01.03.2018 verpflichtet, Kindergeld für A ab 01.01.2016 in gesetzlicher Höhe festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 11/38 und die Beklagte zu 27/38.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
2Die Beteiligten streiten darüber, ob bei einer mehraktigen Ausbildung des Kindes der nachfolgend angestrebte Berufsabschluss noch Teil der Erstausbildung i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes –EStG- ist.
3Der Kläger ist Vater des am 1993 geborenen Sohnes A. Dieser legte am 13.01.2015 die Abschlussprüfung zum Kaufmann in Groß- und Außenhandel ab. Bereits zu Beginn der Ausbildung vereinbarte das Kind mit dem Arbeitgeber Fa. B, mit dessen finanzieller Unterstützung das Bachelorstudium Wirtschaftsrecht anzuschließen und nach dessen Erfolg in das Unternehmen einzutreten. Am Folgetag der bestandenen Abschlussprüfung meldete sich der Sohn bei der FOM, Hochschule für Ökonomie und Management, in () zum Studienbeginn 01.03.2015 an. Seither ist er dort mit dem Ziel Bachelor of Laws eingeschrieben; hierzu wendet er wöchentlich ca. 30 Stunden auf. Daneben ist er weiterhin bei der B mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt.
4Mit Bescheid vom 02.12.2015 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für A mit Wirkung vom 01.02.2015 auf und forderte die Zahlungen für Februar bis Juli 2015 zurück (1.128 EUR). Das Kind habe seine Berufsausbildung am 13.01.2015 beendet und übe seitdem eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden aus, die eine schädliche Zäsur zwischen beiden Akten der Berufsausbildung begründe.
5Am 18.07.2017 beantragte der Kläger die Nachzahlung des Kindergeldes rückwirkend ab Februar 2015 und Wiederaufnahme der laufenden Kindergeldzahlung bis voraussichtlich August 2018. Entsprechend den Gründen des Urteils des Bundesfinanzhofs –BFH- vom 08.09.2016 III R 27/15, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2017, 278, stehe die parallel ausgeübte Erwerbstätigkeit des Kindes der Annahme der fortdauernden Berufsausbildung nicht entgegen. Die Beklagte lehnte indes mit Bescheid vom 27.07.2017 die Kindergeldfestfestsetzung ab 01.02.2015 ab. Durch Aufhebung vom 02.12.2015 sei der Zeitraum Februar bis Dezember 2015 verfahrensrechtlich bereits abschließend geregelt. Im Folgezeitraum sei die für den folgenden Ausbildungsabschnitt erforderliche Berufstätigkeit schädlich (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615).
6Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 01.03.2018) verfolgt der Kläger sein Begehren mit der Klage weiter. Es bestehe ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ausbildung und dem Studium seines Sohnes als Teil einer mehraktigen Ausbildung, die das Kind – trotz bzw. neben der von der FOM für die Studierenden zwecks sozialer Absicherung vorgeschriebenen Berufstätigkeit – ernsthaft und nachhaltig betreibe. Das von ihm angeführte BFH-Urteil sei jünger als die von der Beklagten herangezogene Entscheidung.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 27.07.2017 und der Einspruchsentscheidung vom 01.03.2018 zu verpflichten, Kindergeld für A ab 01.02.2015 zu gewähren.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Kindergeldvorgänge Bezug genommen.
12Der Senat entscheidet im Einvernehmen mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO.
13Die Klage ist überwiegend begründet.
14Die Klage hat keinen Erfolg, soweit der Zeitraum von Februar 2015 bis Dezember 2015 betroffen ist. Insoweit die Kindergeldfestsetzung bereits bestandskräftig abgelehnt. Der (nach Monaten teilbare, vgl. § 66 Abs. 2 EStG) Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 02.12.2015, rückwirkend ab 01.02.2015, entfaltete eine Bindungswirkung bis zum Ende des Monats, in dem er bekannt gegeben wurde – mithin hier bis zum 31.12.2015 (vgl. BFH-Urteil vom 21.10.2015 VI R 35/14, BFH/NV 2016, 178). Eine Anfechtung des Bescheides unterließ der Kläger. Auf diesen Gesichtspunkt der Bindung hatte auch die Beklagte bereits mit dem Ablehnungsbescheid vom 27.07.2017 hingewiesen.
15Für den Zeitraum seit 01.01.2016 ist die Klage – deren Verfahrensgegenstand sich bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erstreckt, hier also bis Ende März 2018 (vgl. BFH-Urteil vom 24.07.2013 XI R 24/12, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV- 2013, 1920) – begründet. Insoweit ist die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung zu Unrecht erfolgt, § 101 Satz 1 FGO. Das Kind befand sich im Streitzeitraum noch in seiner (erstmaligen) Berufsausbildung.
16Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsaus-bildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG). In Berufsausbildung befindet sich, wer "sein Berufsziel" noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des "angestrebten" Berufs geeignet sind, denn von Verfassungswegen besteht ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen. Insoweit wird der Tatbestand der Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auch nicht durch eine daneben ausgeübte Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen, wenn die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig betrieben wird (BFH-Urteil vom 08.09.2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278).
17Nach diesen Grundsätzen stellt das von A absolvierte Studium an der FOM einen Teil seiner (erstmaligen) Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dar. Die Erlangung des akademischen Grads eines "Bachelor of Laws" ist sein Ausbildungsziel. Unstreitig ist das Kind seinem Studium auch ernsthaft und hinreichend nachgegangen.
18Der Anspruch auf Kindergeld ist auch nicht wegen der Erwerbstätigkeit des Sohnes in einem Umfang von 40 Wochenstunden im Streitzeitraum ausgeschlossen. Denn das Kind hatte in diesem Zeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen. Das Studium stellte vielmehr einen Teil der Erstausbildung dar. Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG war die Erwerbstätigkeit im Streitzeitraum nicht anspruchsausschließend. Entsprechend hat der BFH mit o. a. Urteil vom 08.09.2016 III R 27/15 (BStBl II 2017, 278) Kindergeld zuerkannt für ein Kind, das eine Ausbildung zur Physiotherapeutin absolviert, anschließend die Fachhochschulreife erworben und sodann das Studium „Physiotherapie Dual“ aufgenommen hatte, und das während der Dauer des Studiums eine Erwerbstätigkeit als angestellte Physiotherapeutin (ausnahmsweise nicht dual, sondern wegen der in ihrem Fall im ersten Akt bereits absolvierten Berufsausbildung berufsbegleitend) über 30 Wochenstunden ausübte.
19Der erste berufsqualifizierende Abschluss zum Kaufmann hatte für A auch noch nicht zu einem "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" geführt. Das Studium an der FOM steht in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zur ersten berufsqualifizierenden Maßnahme. Das von A angestrebte Berufsziel konnte im Streitfall nur über einen weiteren Abschluss - also eine weiterführende Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung - erreicht werden. Bereits zu Beginn seiner Ausbildung zum Kaufmann hatte das Kind mit seinem Ausbilder vereinbart, nach Ablegung der Prüfung das Bachelorstudium Wirtschaftsrecht - mit finanzieller Unterstützung des Arbeitgebers - anzuschließen. Nach bestandener Kaufmannsausbildung meldete sich der Sohn schon am Folgetag für das von ihm angestrebte Studium an und nahm es frühestmöglich, wenige Wochen später, auf. Der erforderliche fachliche Zusammenhang liegt unstreitig ebenfalls vor, denn die Ausbildungsakte sind inhaltlich und schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich derselben Berufssparte bezogen und bereiten auf dasselbe Berufsfeld vor.
20Zwar hatte der BFH mit dem – von der Beklagten angeführten – früheren Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15 (BStBl II 2016, 615) entschieden, dass sich das von einem Kind nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung aufgenommene Studium nicht mehr als integrativer Bestandteil einer einheitlichen Erstausbildung darstelle, wenn das Studium eine Berufstätigkeit voraussetze. Diese Erwerbstätigkeit führe zu einer Zäsur, die den notwendigen engen Zusammenhang zwischen beiden Ausbildungsabschnitten entfallen lasse. Sie stehe dem Fall gleich, dass das Kind eine weitere Ausbildung erst nach einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit beginne, die nicht der zeitlichen Überbrückung diene, weil es früher mit der weiterführenden Ausbildung hätte beginnen können. Der dort vom BFH entschiedene Sachverhalt unterscheidet sich indes maßgebend vom vorliegenden Streitfall. Denn dort setzte das Studium des Kindes eine berufspraktische Erfahrung von nicht unter einem Jahr voraus (so etwa auch im Fall lt. Urteil des Finanzgerichts –FG- Münster vom 23.05.2017 1 K 3050/16 Kg, juris, Rev. BFH III R 47/17). Hier dagegen war die Erwerbstätigkeit des Sohnes des Klägers nicht etwa als vorgeschriebene Erfahrungszeit dem Studium an der FOM vorgeschaltet, sondern war parallel auszuüben; sie diente aus Sicht der (studiengebührenpflichtigen) FOM dem Zweck einer sozialen Absicherung des Studierenden. Eine etwaige Zäsur bewirkt dieser Umstand nach Ansicht des Senats nicht. Vielmehr verbleibt es bei der Einheitlichkeit der Erstausbildung, die das Kind erst nach Abschluss des Studiums beendet haben wird.
21Ebenso wie der BFH III R 27/15 a.a.O. hat der 9. Senat des FG Düsseldorf ent-schieden, dass eine Erwerbstätigkeit des Kindes dann unschädlich ist, wenn sie im Rahmen einer zeitlich und fachlich zusammen hängenden einheitlichen Erstausbildung erfolgt (dort nach Abschluss des Steuerfachangestellten frühestmöglicher Studienbeginn an der FOM mit dem Ziel Bachelor of Arts Steuerrecht; parallel Vollzeitarbeitsverhältnis als Steuerfachangestellter (Urteil des FG Düsseldorf vom 11.01.2018 9 K 994/17 Kg, juris, Rev. BFH III R 8/18).
22Das FG Münster hat mit Urteil vom 14.05.2018 13 K 1161/17 Kg (juris sowie Neue Zeitschrift für Familienrecht –NZFam- 2018, 644; rkr.) entschieden, dass eine Vollzeitbeschäftigung eines Kindes keine schädliche Zäsur einer Erstausbildung darstellt, wenn unmittelbar nach Ausbildung zum Bankkaufmann der Studiengang zum Sparkassenfachwirt aufgenommen wird und dieser weder im Vorfeld noch parallel eine Berufstätigkeit vorschreibt.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
24Die Revisionszulassung stützt sich auf § 115 Abs. 2 FGO; die Rechtsfrage ist u. a. Gegenstand der noch anhängigen Revisionsverfahren BFH III R 47/17 und III R 8/18.