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Der Bescheid vom 9. Mai 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2017 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 13. April 2016 dahin zu ändern, dass beschränkt abziehbare Sonderausgaben in Höhe von 6.659 Euro statt in Höhe von 5.577 Euro abgezogen werden. Die Steuerberechnung wird auf den Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist die Abänderbarkeit eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids.
3Der Kläger erzielte im Streitjahr 2014 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus seiner Tätigkeit als Industriemechaniker. Vom 1. Januar 2014 bis zum 6. Mai 2014 war er im Auftrag seines Arbeitgebers für diesen in Brasilien und vom 13. Oktober 2014 bis zum 31. Dezember 2014 in China beruflich tätig. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte er den für diese Streiträume erzielten - nach Auslandstätigkeitserlass (ATE) bzw. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) in Deutschland steuerfrei zu stellenden - ausländischen Arbeitslohn mit 31.309 Euro und 2.131 Euro. Die Beiträge zur Altersvorsorge gab er in der Anlage Vorsorgeaufwand entsprechend der Lohnsteuerbescheinigung mit 4.411 Euro als Arbeitnehmer-Anteil und 4.410 Euro als Arbeitgeber-Anteil an. Gemäß Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 28. April 2017 wurden für den Zeitraum 1.1.2014-31.12.2014 für ein Arbeitsentgelt von insgesamt 67.138 Euro Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung von 6.344,54 Euro (Arbeitnehmer-Anteil) und 6.344,55 Euro (Arbeitgeber-Anteil) abgeführt. Der Arbeitgeber des Klägers hat ihm am 22. Dezember 2016 bescheinigt, dass er für 2014 Arbeitnehmerbeiträge i. H. v. 6.284,30 Euro zur Rentenversicherung abgeführt habe. In Brasilien bzw. China hat der Kläger bei seinen Einkünften keine sich steuerlich auswirkende Rentenversicherungsbeiträge in Abzug gebracht.
4Im Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 13. April 2016 berücksichtigte der Beklagte Altersvorsorgeaufwendungen als beschränkt abziehbare Sonderausgaben in Höhe von 8.821 Euro. Weiterhin berücksichtigte er bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens einen Bruttoarbeitslohn von 43.640 Euro. Ausländische Einkünfte in Höhe von 33.440 Euro, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen, wurden mit 30.563 Euro in die Berechnung des Steuersatzes (Progressionsvorbehalt) einbezogen. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2016 beantragte der Kläger die Änderung des Steuerbescheids mit der Begründung, dass ihm die Höhe der tatsächlich abgeführten Sozialversicherungsbeiträge erst mit der Arbeitgeberbescheinigung vom 22. Dezember 2016 nachträglich bekannt geworden sei. Auch für den Zeitraum seiner Tätigkeit in China habe er der Sozialversicherungspflicht in Deutschland unterlegen. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 9. Mai 2017 die beantragte Änderung ab. Den dagegen eingelegten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2017 als unbegründet zurück.
5Mit der Klage trägt der Kläger vor:
6Weder ihm noch seinem Prozessvertreter sei bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2014 bewusst gewesen, dass die in der Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesenen Rentenversicherungsbeiträge von 4.410,38 Euro als Arbeitnehmer-Anteil nicht dem tatsächlich geleisteten Beitrag entsprochen hätte. In der Lohnsteuerbescheinigung seien nur Beiträge für den in Deutschland erzielten Lohnanteil ausgewiesen worden. Die Rentenversicherung habe erst am 28. April 2017 einen Nachweis über die tatsächlich gezahlten Beiträge ausgestellt. Entgegen der Ansicht des Beklagten stünden die Rentenversicherungsbeiträge nicht im Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen. Sie seien nicht durch steuerfreie Einnahmen ausgelöst worden. Ihre Finanzierung aus steuerfreien Einnahmen könne noch keinen unmittelbaren Zusammenhang begründen. Zudem müsse sich der Kläger später die volle Besteuerung seiner Rentenbezüge gefallen lassen, obwohl er nach Ansicht des Beklagten für einen Teil der geleisteten Beiträge keine steuerliche Vergünstigung erhalten könne. Dieses Ergebnis könne später nicht mehr korrigiert werden.
7Der Kläger beantragt,
8den Bescheid vom 9. Mai 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 13. April 2016 durch Berücksichtigung von Rentenversicherungsbeiträgen von insgesamt 12.688 Euro (Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Anteile) statt bisher insgesamt 8.821 Euro als Sonderausgaben zu ändern,
9hilfsweise, die Revision zuzulassen.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen,
12hilfsweise, die Revision zuzulassen.
13Er trägt vor:
14Er habe die Sozialversicherungsbeiträge, die in der Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesen worden sind, im Einkommensteuerbescheid berücksichtigt. Es treffe zu, dass niedrigere Beiträge als tatsächlich abgeführt bescheinigt worden seien. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei ein Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen nicht möglich, die, wie hier, im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden. Dies habe der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 18. April 2012 (X R 62/09, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2012, 721) entschieden. Deshalb liege eine zur Änderung berechtigende rechtserhebliche Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) nicht vor.
15Kläger und Beklagter haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).
16Entscheidungsgründe:
17Die Klage ist begründet.
18Der Beklagte hat zu Unrecht die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids 2014 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) abgelehnt. Die Ablehnung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO), soweit der Beklagte Rentenversicherungsbeiträge nur in Höhe von 8.821 Euro statt insgesamt gezahlter 12.688 Euro zum Sonderausgabenabzug nach § 10 EStG zugelassen hat.
19Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Tatsachen i. S. dieser Vorschrift sind alle Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein können, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 II R 25/01, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2003, 1395).
20Nachträglich bekanntgewordene Tatsachen sind solche, die zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO maßgeblichen Zeitpunkt – in der Regel dem Erlass des zu ändernden Bescheides – bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren (BFH-Urteil vom 16. September 1987 II R 178/85, BStBl II 1988, 174). Maßgebend ist die Kenntnis der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde.
21Neue Tatsache i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist im vorliegenden Fall der Umstand, dass insgesamt Rentenversicherungsbeiträge von 12.688 Euro gemäß Nachweis der Deutschen Rentenversicherung Bund statt wie bisher in der Lohnsteuerbescheinigung und im Steuerbescheid ausgewiesen 8.821 Euro gezahlt worden sind. Dieser Umstand war sowohl dem Kläger als auch dem Beklagten neu. § 173 AO setzt für die Zulässigkeit der Änderung voraus, dass die Unkenntnis von Tatsachen für die ursprüngliche Veranlagung ursächlich gewesen sein muss, dass also die Steuerfestsetzung bei Kenntnis der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache im Zeitpunkt des Ergehens des ursprünglichen Bescheids, anders als geschehen vorgenommen worden wäre. Die neue Tatsache ist rechtserheblich, denn die Rentenversicherungsbeträge sind in der entrichteten Höhe nach Maßgabe des § 10 EStG zum Abzug als Sonderausgaben zuzulassen.
22Der Kläger kann gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 EStG die Altersvorsorgeaufwendungen wie tenoriert als Sonderausgaben abziehen. Dem Abzug steht nicht entgegen, dass die vom Arbeitslohn des Klägers einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge zur Altersvorsorge in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Die Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 EStG erfordert im Streitfall eine Auslegung, die dem subjektiven Nettoprinzip und dem Folgerichtigkeitsgebot entspricht.
23Zu § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) hat der BFH entschieden, dass ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Einnahmen und Aufwendungen dann anzunehmen ist, wenn die Einnahmen und die Aufwendungen durch dasselbe Ereignis veranlasst sind (Urteile vom 18. Juli 1980 VI R 97/77, BStBl II 1981, 16, zum steuerfreien Arbeitslohn aufgrund des Montage-Erlasses; vom 27. März 1981 VI R 207/78, BStBl II 1981, 530, zum gemäß § 3 Nr. 63 EStG 1975 steuerfreien Arbeitslohn für eine Tätigkeit in der DDR; und vom 29. April 1992 I R 102/91, BStBl II 1993, 149, zu den aufgrund eines DBA steuerfreien Einkünften). Diese Voraussetzung ist dann erfüllt, wenn ein Steuerpflichtiger steuerfreie Einnahmen erzielt und dieser Tatbestand gleichzeitig Pflichtbeiträge an einen Sozialversicherungsträger auslöst. In diesem Fall geht die Steuerbefreiung dem Sonderausgabenabzug logisch vor. Die mit der Verausgabung der Pflichtbeiträge verbundene Minderung der Leistungsfähigkeit wird bereits durch den Bezug der steuerfreien Einnahmen aufgefangen (so auch BFH-Urteil vom 29. April 1992, a.a.O.). Der unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang i. S. des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist danach grundsätzlich dadurch gegeben, dass die steuerfreien Einnahmen verpflichtend der Finanzierung der Vorsorgeaufwendungen dienen. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob die Vorsorgeaufwendungen zu steuerfreien Einnahmen führen.
24Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des BFH grundsätzlich ebenfalls für die Rechtslage nach Inkrafttreten des AltEinkG (BFH-Urteil vom 18. April 2012 X R 62/09, BStBl II 2012, 721). Das neue System der Besteuerung der Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkünfte aufgrund des AltEinkG mit der grundsätzlichen Ausrichtung auf die nachgelagerte Besteuerung, die zu einer die gesamten Renteneinnahmen umfassenden Besteuerung führt, erfordert generell keine Änderung bzw. Anpassung der Rechtsprechung (so der BFH in seinem Urteil vom 18. April 2012, a.a.O.). Mit dem Konzept der nachgelagerten Besteuerung wurde die Besteuerung von Leibrenten neu geregelt. Rentenzuflüsse, also die zeitlich gestreckte Auszahlung der Versicherungssumme, können jetzt, auch soweit sie auf eigenen Beitragszahlungen des Steuerpflichtigen zur Rentenversicherung beruhen, über den Ertragsanteil hinaus der Besteuerung unterworfen werden. Zumindest solange die Beitragszahlungen steuerfrei gestellt werden, wird der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum nicht überschritten (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 2008 X R 15/07, BStBl II 2009, 710).
25Die Altersvorsorgeaufwendungen sind zwar seit der Neuregelung durch das AltEinkG unstreitig ihrer Rechtsnatur nach Werbungskosten. Der BFH hat aber in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Gesetzgeber diese Vorsorgeaufwendungen trotz ihrer Rechtsnatur konstitutiv den Sonderausgaben und nicht den Werbungskosten zuweisen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 2009 X R 28/07, BStBl II 2010, 348). Verfassungsrechtlich kann, so der BFH, die Einordnung der Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben nur dann einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstellen, wenn die daraus resultierenden unterschiedlichen Rechtsfolgen zu einer nicht gerechtfertigten steuerlichen Ungleichbehandlung der Altersvorsorgeaufwendungen im Vergleich zu anderen vorweggenommenen Werbungskosten führen (vgl. BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 45/07, BFH/NV 2010, 421).
26Es sei einerseits systemgerecht, bei der Anwendbarkeit des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG entscheidend auf die Steuerfreiheit der Einnahmen abzustellen, aus denen die Vorsorgeaufwendungen stammen, obwohl die künftigen Renteneinkünfte dem deutschen Besteuerungsrecht unterliegen und gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG nicht mehr lediglich mit dem Ertragsanteil, sondern mit dem Besteuerungsanteil – und ab dem Jahr 2040 vollständig – besteuert werden. Dies wird bei der umgekehrten Konstellation, in der die Vorsorgeaufwendungen aus steuerpflichtigen Einkünften stammen und zu steuerfreien Einkünften führen, deutlich Für diese Sachlage hat der BFH entschieden, dass im Ausland geleistete Sozialversicherungsbeiträge in dem durch § 10 Abs. 3 EStG vorgegebenen Rahmen im Inland abziehbar sind, obwohl sie zu künftigen nach dem DBA steuerfreien Alterseinkünften führen, da die Beiträge aus im Inland steuerpflichtigen Einkünften stammen (BFH-Urteil vom 24. Juni 2009 X R 57/06, BStBl II 2009, 1000). Auf die steuerliche Behandlung der Altersrenten kommt es daher für die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht an. Eine gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG fehlende Berücksichtigung der Altersvorsorgeaufwendungen über die Steuerfreistellung der zugrunde liegenden Einkünfte hinaus stelle, so der BFH, generell keinen Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip dar (so im Ergebnis auch Urteil des Finanzgerichts – FG – Rheinland-Pfalz vom 23. Januar 2017 5 K 1463/14, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2017, 1078, Revision anhängig, BFH X R 23/17).
27Dies findet aber eine Grenze, wenn die Auslegung des § 10 Abs. 2 EStG dazu führt, dass ein Steuerpflichtiger weder im Tätigkeitsstaat (als beschränkt Steuerpflichtiger) noch im Inland (als unbeschränkt Steuerpflichtiger) seine Vorsorgeaufwendungen geltend machen kann (BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1991 X B 126/91, BFH/NV 1992, 382; und BFH-Urteil vom 18. April 2012, a.a.O.). Dies resultiert u.a. daraus, dass diesen durch staatliche oder staatlich veranlasste Sicherungssysteme begründeten (Renten-)Ansprüchen eigene (Beitrags-)Leistungen des Anspruchsberechtigten gegenüberstehen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Eigentumsschutz nach Art. 14 des Grundgesetzes (GG) genießen (vgl. Speckamp, Soziale Grundrechte im Rechtsvergleich zwischen Deutschland und Österreich, S. 79, m. w. N.). Dabei können auch Steuern enteignend in den Schutzbereich des Art. 14 GG eingreifen (vgl. z.B. Beschluss des BVerfG vom 29. November 1989 1 BvR 1402/87 und 1 BvR 1528/87, Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – BVerfGE – 81, 122, m. w. N.).
28So verhält es sich im Streitfall, denn der Kläger kann unstreitig seine inländischen Sozialversicherungsbeiträge in Brasilien und China – auch nicht anteilig – abziehen. Im Inland soll er, so die Anwendung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG, die Aufwendungen ebenfalls in wesentlichem Umfang nicht absetzen können, obwohl er nach § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) – i. V. m. § 4 Abs. 1 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) – auch mit seinen Arbeitsentgelt, das er im Ausland erzielt hat, der deutschen Sozialversicherungspflicht unterliegt. Soweit also die Altersvorsorgeaufwendungen nicht abgezogen werden dürften und zugleich eine spätere Besteuerung der Alterseinkünfte nach dem AltEinkG erfolgen würde, läge unabhängig von der Frage der systematischen Einordnung solcher Aufwendungen als Sonderausgaben oder vorweggenommene Werbungskosten ein Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip vor. Der Kläger dürfte seine Altersvorsorgeaufwendungen einerseits nicht abziehen und müsste andererseits seine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung später versteuern. Eine solche Auslegung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG kommt daher auch zur folgerichtigen Umsetzung des AltEinkG im Streitfall nicht in Betracht (ebenso Urteil des Niedersächsischen FG vom 28. September 2016 3 K 169/15, EFG 2017, 124).
29Den Kläger trifft am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache, nämlich der Höhe der insgesamt gezahlten Rentenversicherungsbeiträge, kein grobes Verschulden. Grobes Verschulden i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO umfasst Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (BFH-Urteil vom 4. Februar 1998 IX R 47/97, BFH/NV 1998, 682; BFH-Urteil vom 10. Dezember 2013 VIII R 10/11, BFH/NV 2014, 820). Grob fahrlässig handelt der Steuerpflichtige, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 26. November 2014 XI R 41/13, BFH/NV 2015, 491).
30Nach diesen Maßstäben trifft den Kläger kein grobes Verschulden. Der Kläger ist von Beruf Industriemechaniker und in erster Linie in seinem Berufsfeld beheimatet, nicht dagegen in Buchhaltungs-, Abrechnungs-, Sozialversicherungs- und Steuerfragen. Er konnte hinsichtlich der Richtigkeit der Lohnsteuerbescheinigung auf seinen Arbeitgeber und dessen Kenntnisse vertrauen. Es handelt sich bei den angegebenen Rentenversicherungsbeiträgen in der Lohnsteuerbescheinigung, die nicht zutreffend waren, nicht um einen offensichtlichen Fehler, der einem im technischen Bereich tätigen Arbeitnehmer hätte auffallen müssen. Diese Überlegungen gelten auch für eine sich rechnerisch ergebende, dem Kläger nicht aufgefallene Abweichung der in der Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesenen Rentenversicherungsbeiträge von denen in den sie zusammenfassenden Lohnabrechnungen.
31Nach den vorgenannten Ausführungen kann der Kläger daher beantragte Aufwendungen von insgesamt 12.688 Euro und nicht nur von 8.821 Euro als Sonderausgaben zum steuerlichen Abzug bringen. Dies führt zu folgender Berechnung der beschränkt abziehbaren Sonderausgaben:
32Summe der Altersvorsorgeaufwendungen |
12.688 Euro |
davon 78 % |
9.897 Euro |
abzüglich Arbeitgeber-Anteil zur Rentenversicherung |
./. 6.344 Euro |
verbleiben |
3.553 Euro |
Summe der Beiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG (wie bisher) |
3.106 Euro |
Summe der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen |
6.659 Euro |
Der Senat überträgt die damit verbundene Steuerberechnung auf den Beklagten (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen, da die Fallkonstellation eines Zusammentreffens einer inländischen Sozialversicherungspflicht und eines möglichen anteiligen Abzugsverbots nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG wegen ausländischer Einkünfte, ohne dass die Vorsorgeaufwendungen zur Altersvorsorge im In-
35oder Ausland abzugsfähig sind, soweit ersichtlich, bisher nicht Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung war.