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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin meldete am 10. August, 14. September und 11. Dezember 2012, am 10. Juli 2013 sowie am 21. März, 28. Mai, 7. und 11. August, 19. September, 17. und 24. Oktober und 19. Dezember 2014 aus Südkorea und Indien eingeführtes Iopamidol, einen Rohstoff für die Herstellung von Röntgenkontrastmitteln, zu Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Die Klägerin meldete das Iopamidol entweder unter der Unterpos. 3004 90 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) oder unter der Unterpos. 2924 29 98 KN mit dem Zusatzcode 2500 an. Auf Grund dieser Angaben sah das Zollamt Fracht des Hauptzollamts A-Stadt von der Erhebung von Zoll ab und setzte nur Einfuhrumsatzsteuer gegen die Klägerin fest.
3Im Anschluss an eine Außenprüfung (Prüfungsbericht vom 28. Juli 2015 Randnr. 3.3.1.1 und 3.3.1.2), in deren Verlauf Gutachten des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung eingeholt wurden, gelangte das beklagte Hauptzollamt zu der Auffassung, dass das Iopamidol in die Unterpos. 2924 29 98 KN einzureihen sei. Ferner sei das Iopamidol nicht von den Zöllen befreit, weil die CAS Nr. (Chemical Abstracts Service Registry Number) für die Substanz 60166-93-0 laute. Dementsprechend erhob das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 29. Juli 2015 58.240 € Zoll von der Klägerin nach. Mit einem weiteren Bescheid vom 30. September 2015 erhob das beklagte Hauptzollamt von der Klägerin 173.971,49 € Zoll abzüglich 12.095,06 € erstatteten Zoll nach.
4Mit ihren hiergegen eingelegten Einsprüchen trug die Klägerin vor: Für Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 müsse ebenso wie für die Substanzen der CAS Nr. 62883-00-5 bzw. ab dem Jahr 2014 der CAS Nr. 60208-45-9 Zollfreiheit gelten. Eine unterschiedliche Behandlung der Substanzen sei vom Verordnungsgeber nicht gewollt und unter pharmazeutischen Gesichtspunkten auch nicht nachzuvollziehen. Die CAS Nrn. seien unerheblich. Bei den Substanzen der CAS Nr. 62883-00-5 bzw. ab dem Jahr 2014 der CAS Nr. 60208-45-9 handele es sich zudem um Gemische, während das von ihr angemeldete Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 die chemisch reinere Substanz sei.
5Das beklagte Hauptzollamt wies die Einsprüche mit Entscheidung vom 3. Februar 2016 als unbegründet zurück und führte aus: Für Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 sehe die KN keine Zollfreiheit vor. Falls die KN insoweit fehlerhaft sei, sei sie gleichwohl wirksam und anzuwenden. Eine etwaige Fehlerhaftigkeit der KN könne allenfalls durch den Erlass einer neuen Verordnung korrigiert werden. Die Zollbehörde sei an den Wortlaut der KN gebunden.
6Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Die in Anhang 3 der KN für Iopamidol genannten CAS-Nrn. 62883-00-5 und 60208-45-9 fänden sich in der Fachliteratur seit dem Jahr 1988 nicht mehr. Iopamidol sei als pharmazeutische Substanz nur mit der CAS Nr. 60166-93-0 bekannt. Bei den Erzeugnissen der anderen CAS-Nrn. handele es sich um bloße Gemische, die pharmazeutisch nicht mehr verwendet werden dürften. Das ergebe sich auch aus dem Europäischen Arzneibuch aus dem Jahr 2008. Darin sei für Iopamidol nur die CAS Nr. 60166-93-0 verzeichnet. Deshalb dürften deutsche Pharmaunternehmen Iopamidol nur noch der CAS Nr. 60166-93-0 einsetzen. Iopamidol der CAS-Nr. 62883-00-5 bzw. 60208-45-9 einerseits und Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 andererseits unterschieden sich in ihren physikalischen und physiologischen Eigenschaften und damit hinsichtlich ihrer pharmazeutischen Anwendbarkeit erheblich. Deshalb sei die Liste in Anhang 3 der KN fehlerhaft. Dem Widerspruch zwischen den zollrechtlichen und arzneimittelrechtlichen Vorschriften sei durch eine teleologische Auslegung des Anhangs 3 der KN Rechnung zu tragen. Die unterschiedliche Behandlung von Iopamidol der CAS-Nr. 62883-00-5 bzw. 60208-45-9 und Iopamidol als pharmazeutische Substanz der CAS Nr. 60166-93-0 verstoße gegen Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta).
7Die Klägerin beantragt,
81. die Einfuhrabgabenbescheide vom 29. Juli und 30. September 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2016 aufzuheben, soweit Zoll nacherhoben worden ist;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung trägt es vor: Es könne nicht Aufgabe einer Zollbehörde sein, zu prüfen, ob eine Ware zollfrei sein müsste, wenn der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen eindeutig sei.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15Die Klage ist unbegründet. Die Einfuhrabgabenbescheide vom 29. Juli und 30. September 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2016 sind - im angefochtenen Umfang - rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Hauptzollamt hat den Zoll zu Recht von der Klägerin nacherhoben.
16Rechtsgrundlage für die Nacherhebung des Zolls sind die Art. 220 Abs. 1 Satz 1, 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex - ZK -). Die einer Zollschuld entsprechenden Abgabenbeträge sind von dem Zollamt Fracht des Hauptzollamts A-Stadt nicht buchmäßig erfasst worden (Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK). Das beklagte Hauptzollamt war daher berechtigt, die einer Zollschuld entsprechenden Abgabenbeträge nachträglich buchmäßig zu erfassen und sie der Klägerin mit den angefochtenen Einfuhrabgabenbescheiden mitzuteilen.
17Für das von der Klägerin zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Iopamidol, das unstreitig in die Unterpos. 2924 29 98 KN für das Jahr 2012 in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 1006/2011 der Kommission vom 27. September 2011 (ABl EU Nr. L 282/1), für das Jahr 2013 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom 9. Oktober 2012 (ABl EU Nr. L 304/1) und für das Jahr 2014 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013 (ABl EU Nr. L 290/1) einzureihen ist, war ein Zollsatz von 6,5 % anzuwenden.
18Die Klägerin kann für das Iopamidol keine Zollfreiheit beanspruchen. Nach Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN 2012, 2013 und 2014 werden pharmazeutische Substanzen nur dann von den Zöllen befreit, wenn sie sowohl durch die CAS Nr. identifiziert als auch durch den Internationalen Freinamen (INN) in Anhang 3 KN erfasst werden. Gemäß Anhang 3 KN 2012 und 2013 war nur Iopamidol der CAS Nr. 62883-00-5 zollfrei. Nach Anhang 3 KN 2014 war nur Iopamidol der CAS Nr. 60208-45-9 zollfrei.
19Der Anhang 3 KN 2012, 2013 und 2014 kann nach Überzeugung des Senats nicht dergestalt ausgelegt werden, dass Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 in dem Einfuhrzeitraum zollfrei war. Die Bestimmungen des Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN i.V.m. Anhang 3, welche die Anwendung einer Zollbefreiung vorsehen, stellen eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass in die Europäische Union eingeführte Waren im Allgemeinen zollpflichtig sind. Sie sind daher als Ausnahmevorschriften eng auszulegen (Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH -, Urteil vom 17. Februar 2011 Rs. C-11/10, Slg. 2011, I-677 Randnr. 16). Eine Auslegung entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmungen des Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN i.V.m. Anhang 3 ist mithin nicht zulässig. Dies entspricht auch den Erfordernissen der Rechtssicherheit und den Schwierigkeiten, denen die Zollverwaltungen der Mitgliedstaaten auf Grund des Umfangs und der Komplexität der Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, gegenüberstehen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2011 Rs. C-11/10, Slg. 2011, I-677 Randnr. 23). Eine am Wortlaut der Bestimmungen des Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN i.V.m. Anhang 3 orientierte Auslegung ist zudem am besten eignet, eine einheitliche Anwendung der Vorschriften der KN zu gewährleisten (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2011 Rs. C-11/10, Slg. 2011, I-677 Randnr. 25).
20Nach Auffassung des Senats kann auch nicht angenommen werden, dass die Bestimmungen des Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN 2012, 2013 und 2014 i.V.m. Anhang 3 unwirksam sind, weil Iopamidol der CAS Nr. 62883-00-5 und ab dem Jahr 2014 der CAS Nr. 60208-45-9 zollfrei war, nicht jedoch das von der Klägerin angemeldete Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0. Für die Rechtsakte der Organe, Institutionen und Einrichtungen der Union gilt die Vermutung der Rechtsmäßigkeit und damit die Vermutung der Rechtswirksamkeit (EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012 Rs. C-533/10, ECLI:EU:C:2012:347 Randnr. 39). Unbeschadet dessen kann die Entscheidung der Kommission über die Zollfreiheit eines pharmazeutischen Erzeugnisses in Anbetracht ihres technischen Charakters nur auf offensichtliche Tatsachen- oder Rechtsirrtümer oder einen Ermessensmissbrauch hin überprüft werden (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Oktober 1984 185/83, Slg. 1984, 3623 Randnr. 14 - zur Frage der Beurteilung der Gleichwertigkeit eines in der Europäischen Gemeinschaft hergestellten mit einem eingeführten wissenschaftlichen Gerät -).
21Selbst wenn man mit der Klägerin davon ausgeht, dass das in Anhang 3 der KN 2012 bis 2014 bezeichnete Iopamidol der CAS-Nr. 62883-00-5 und 60208-45-9 ein bloßes Gemisch ist, das pharmazeutisch nicht mehr verwendet wird und als solches unzutreffend bezeichnet wurde, während das von der Klägerin angemeldete Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 eine im Vergleich dazu chemisch reinere Substanz ist, bedeutet das noch nicht, dass allein deshalb die Bestimmungen des Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN i.V.m. Anhang 3 wegen eines offensichtlichen Tatsachen- oder Rechtsirrtums oder eines Ermessensmissbrauch ungültig sind. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Vereinbarung über die Zollfreiheit von pharmazeutischen Erzeugnissen auf einer nicht bindenden Übereinkunft der wichtigsten Herstellerländer beruht, um ihre Zollbelastungen im Rahmen der Welthandelsorganisation für gewisse pharmazeutische Erzeugnisse auf Null zu reduzieren. Diese Vereinbarung sieht wegen der ständigen Neuentwicklung pharmazeutischer Erzeugnisse regelmäßige Überprüfungen der von der Zollfreiheit betroffenen Erzeugnisse vor (vgl. etwa die Erwägungsgründe zur Verordnung (EU) Nr. 1238/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates hinsichtlich der Zollbefreiung für bestimmte pharmazeutische Wirkstoffe mit einem von der Weltgesundheitsorganisation vergebenen „Internationalen Freinamen“ (INN) und für bestimmte Erzeugnisse, die zur Herstellung pharmazeutischer Fertigerzeugnisse verwendet werden (ABl EU Nr. L 348/36) sowie die Begründung der Kommission vom 27. Juli 2010 - KOM(2010)397 - hierzu). Im Rahmen dieses Verfahrens obliegt es der Kommission, etwaige Neuentwicklungen oder Fehleinschätzungen in der Vergangenheit durch die Änderung bestehender Rechtsakte zu berücksichtigen oder zu berichtigen. Das ist mittlerweile geschehen. Nach Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN i.V.m. Anhang 3 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1821 der Kommission vom 6. Oktober 2016 (ABl EU Nr. L 294/1) ist Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 zollfrei. Diese Regelung ist nach Art 2 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1821 allerdings erst am 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Für die Vergangenheit muss es daher bei den bis dahin geltenden Regelungen des Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN i.V.m. Anhang 3 verbleiben (vgl. zur Anpassung von Unionsrecht an Entscheidungen der Streitbeilegungsgremien der Welthandelsorganisation: EuGH, Urteile vom 30. September 2003 Rs. C-93/02 P, Slg. 2003, I-497 Randnr. 61 f. sowie vom 10. November 2011 Rs. C-319/10 und C-320/10, ECLI:EU:C:2011:720 Randnr. 41).
22Die Klägerin kann eine Zollfreiheit auch nicht deshalb beanspruchen, weil ihrer Ansicht nach die unterschiedliche Behandlung von Iopamidol der CAS-Nr. 62883-00-5 bzw. 60208-45-9 und Iopamidol der CAS Nr. 60166-93-0 gegen Art. 20 EU-Grundrechtecharta verstoßen soll. Wenn man der Argumentation der Klägerin folgt, wurde die Zollfreiheit zu Unrecht für Iopamidol der CAS-Nr. 62883-00-5 bzw. 60208-45-9 vorgesehen. Das bedeutet indes nicht, dass die Klägerin unter Berufung auf Art. 20 der EU-Grundrechtecharta die Zollfreiheit für das von ihr angemeldete Erzeugnis beanspruchen kann. Denn die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung muss mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden, was bedeutet, dass sich niemand mit Erfolg zu seinem Vorteil auf eine gegenüber anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juli 1985 Rs. 134/84, Slg. 1985, 2225, Randnr. 14; EuG, Urteil vom 14. Mai 1998 Rs. T-347/94, Slg. 1998, II-1751 Randnr. 334).
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.