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Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein Medizintechnik-Unternehmen, das u.a. Medizinprodukte einführt. Ende 2012 und Anfang 2013 bestellte sie bei der A mit Sitz in …Kalifornien u.a. einen sog. Tracheostoma-Schutz, in den Handelsrechnungen als „...“ bezeichnet (Rechnung vom 20.12.2012 über 45,57 US$ Warenwert und Rechnung vom 13.03.2013 über 121,10 US$ Warenwert).
3Bei dem streitbefangenen Tracheostomaschutz handelt es sich um quadratische bzw. rechteckige Erzeugnisse aus einem luftdurchlässigen, feinporigen Schaumstoff, die mit einem durch Folie abgedeckten Klebestreifen versehen sind. Er wird ähnlich wie ein Pflaster über die operativ geschaffene Öffnung des Tracheostomas geklebt. Beim Einatmen dient der feinporige Schaumstoff als Filter, beim Ausatmen nimmt er Feuchtigkeit und Wärme der Atemluft auf, die beim folgenden Einatmen wieder abgegeben werden.
4Die Ware ist zu 30 Stück für den Einzelverkauf aufgemacht. Sie wird mit Hilfe des Klebestreifens oberhalb des Tracheostomas befestigt und verhindert ein Eindringen von Staub- und Schmutzpartikeln in die Luftröhre.
5Die Klägerin meldete die Waren am 31.12.2012 und 20.03.2013 jeweils als Teile und Zubehör für Stimmprothesen für kehlkopfoperierte Patienten unter den Warennummern … und … des Elektronischen Zolltarifs (EZT) beim Zollamt Flughafen B des Beklagten zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Die Zollstelle fertigte die Waren antragsgemäß ab und setzte mit Einfuhrabgabenbescheiden vom 31.12.2012 und 20.03.2013 für die Waren 19% Einfuhrumsatzsteuer fest.
6Dagegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und begehrte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes als „Vorrichtung zum Tragen am Körper, zum Beheben eines Funktionsschadens oder Gebrechens, für Menschen". Die Ware diene neben dem Tracheostomaschutz der Behebung von Funktionsschäden und Gebrechen, indem sie die Atemluft filtere, anwärme und befeuchte.
7Mit Einspruchsentscheidung vom 20.05.2014 gab der Beklagte dem Einspruch hinsichtlich bestimmter anderer Waren statt und setzte die Einfuhrumsatzsteuer auf 5.570,40 € herab. Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch hinsichtlich der sog. Basisplatten und des Tracheostomaschutzes als unbegründet zurück, da der Tracheostomaschutz der Unterposition 3005 10 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) mit einem Einfuhrumsatzsteuersatz vom 19% zuzuweisen sei.
8Funktionen wie Filtern, Erwärmen und Befeuchten der Atemluft würden vom Tracheostomaschutz nur bis zu einem bestimmten Grad erfüllt. Die Ware besitze keine objektiven Beschaffenheitsmerkmale, die sie als eine „am Körper tragbare Vorrichtung zur Behebung eines Funktionsschadens oder Gebrechens für Menschen" kennzeichne. Der Tracheostomaschutz weise eine relativ einfache unspezifische Form auf und werde nur durch einen Klebestreifen oberhalb des Tracheostomas befestigt, was dazu führe, dass das Tracheostoma nicht passgenau und sicher abgeschlossen werde. Das Tracheostoma werde somit von der Ware lediglich bedeckt und nicht abgedichtet. Ein seitliches Eindringen von Fremdkörpern oder ungefilterter Luft könne von der Ware nicht wirksam verhindert werden. Eine tatsächliche Übernahme der Funktion des beschädigten Körperteils (hier Nase und Mund) erfolge nicht. Der Tracheostomaschutz sei nicht vergleichbar mit sog. „künstlichen Nasen" bzw. „HME (Heat & Moisture Exchanger)", welche aufgrund ihrer objektiven Beschaffenheitsmerkmale (Kunststoffgehäuse zur passgenauen dicht abschließenden Befestigung auf einer Tracheostomakanüle bzw. einer Basisplatte; innenliegender Schaumstoff mit wasserbindenden Eigenschaften) tatsächlich die verlorengegangene Funktion der menschlichen Nase übernehmen könnten und sich als „am Körper tragbare Vorrichtung zur Behebung eines Körperschadens oder Gebrechens" darstellten. Der Tracheostomaschutz sei nur dazu geeignet, die Folgen von Funktionsschäden oder Gebrechen zu mildern. Dies schließe eine Einreihung in die Position 9021 (ErIKN zu Position 9021 Rz. 00.1 und 00.2) aus.
9Der Tracheostomaschutz sei nach seinem Verwendungszweck den Watte, Gaze, Binden und ähnlichen Erzeugnissen zu medizinischen Zwecken der Position 3005 KN an die Seite zu stellen und gehöre als „Heftpflaster und andere Ware mit Klebeschicht" in die Unterposition 3005 10 00 KN mit einem Steuersatz von 19 %.
10Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
11Während des Klageverfahrens hat der Beklagte der Klage mit dem Bescheid vom 21.10.2014 hinsichtlich sog. Basisplatten stattgegeben und weitere 1.126,07 € EUSt erstattet. Beide Beteiligten haben insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
12Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor, zentrale Aufgabe des Tracheostomaschutzes sei das Filtern, Befeuchten und Anwärmen der Atemluft. Insoweit ergäben sich Parallelen zu Filterkassetten oder künstlichen Nasen. Zudem dichte der Tracheostomaschutz auch gegen das etwaige Eindringen von Fremdkörpern ab und sorge dafür, dass Trachealsekrete zuverlässig aufgesaugt würden. Dadurch werde auch eine Beeinträchtigung der Atmung durch zurückfließendes Sekret verhindert. Dem Tracheostomaschutz kämen daher vielfältige Körperersatzfunktionen zu.
13Die Einreihung nach Anlage 2 lfd. Nr. 52 Buchst. d des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als andere Vorrichtung zum Beheben von Funktionsschäden und Gebrechen, zum Tragen am Körper sei schon dann gerechtfertigt, wenn sie eine Körperersatzfunktion und nicht alle Funktionen der Nase erfülle. Dies habe der Beklagte sogar eingeräumt, indem er ausgeführte habe, der Tracheostomaschutz erfülle die Funktionen Filtern, Erwärmen und Befeuchten der Atemluft. Die Gefahr des behaupteten seitlichen Eindringens von Fremdkörpern oder ungefilterter Luft bestehe nicht, da der Tracheostomaschutz beim Einatmen angesaugt werde und so das Tracheostoma schließe. Seine unspezifische Form sei dem Umstand geschuldet, dass das Tracheostoma von Patient zu Patient unterschiedlich ausfalle.
14Der Tracheostomaschutz führe nicht nur zu einer bloßen Minderung der Funktionsschäden. Zudem könnten selbst bei einem gesunden Menschen Fremdkörper in Mund und Nase eindringen.
15Dadurch, dass der Tracheostomaschutz das Tracheostoma abdecke, trete er an Stelle der verletzten Haut.
16Die Einreihung als Ware der Position 9021 sei gegenüber der nach Position 3005 vorrangig. Der Tracheostomaschutz sei kein bloßes Pflaster.
17Schließlich werde auf die unverbindliche Zolltarifauskunft der Oberfinanzdirektion Berlin hingewiesen, nach der ein Tracheostomaschutz dem begünstigten Abgabensatz zugewiesen worden sei.
18Die Anmerkung 2 zu Abschnitt VI gelte nicht für die Position 9021.
19Die Klägerin beantragt,
201. die Einfuhrabgabenbescheide des Beklagten vom 31. Dezember 2012 und 20. März 2013 in der Gestalt seiner Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2014 und unter Berücksichtigung des Erstattungsbescheids vom 21. Oktober 2014 aufzuheben, soweit für den Tracheostomaschutz mehr als 7% Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt worden ist;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen,
26und verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, die Konkurrenz zwischen der Position 3005 und 9021 werde durch die Anmerkung 2 zu Abschnitt VI zugunsten der Position 3005 gelöst.
27Entscheidungsgründe:
28Das Verfahren war einzustellen, soweit der Beklagte der Klage abgeholfen und die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
29Die weitergehende Klage hat keinen Erfolg.
30Der Beklagte hat in seinen angefochtenen Einfuhrabgabenbescheiden vom 31.12.2012 und 20.03.2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.05.2014 zu Recht die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf den Tracheostomaschutz abgelehnt. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
31Auf die Einfuhr des Tracheostomaschutzes war nicht der ermäßigte Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Anlage 2 Nr. 52 Buchst. d) UStG anzuwenden, weil der Tracheostomaschutz der Position 3005 KN zuzuweisen war.
32Die streitige Einreihung richtet sich nach dem Wortlaut der Positionen 3005, 9021 und der Anmerkung 2 zu Abschnitt VI der KN.
33Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH – Urteil vom 20.11.2014 C-666/13 Rz. 24). Die Erläuterungen der Kommission zur Kombinierten Nomenklatur stellen ein wichtiges, wenn auch ein nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen dar (EuGH-Urteil vom 20.11.2014 C-666/13 Rz. 25).
34Bei dem Tracheostomaschutz handelte es sich um ein Watte, Gaze und Binden ähnliches Erzeugnis der Position 3005 KN. Zu diesen ähnlichen Erzeugnissen gehören nach der in Klammern gefassten Aufzählung im Wortlaut der Position beispielsweise Verbandzeug, Pflaster zum Heilgebrauch, Senfpflaster. Diesen vergleichbar ist der aus einem rechteckigen dünnen Stück Schaumstoff bestehende Tracheostomaschutz, der mit einem auf ihm angebrachten Klebestreifen oberhalb des Tracheostomas befestigt werden kann. Zudem wurde der Tracheostomaschutz in Packungen zu 30 Stück eingeführt. Diese Packungen stellen eine Aufmachung für den Einzelverkauf dar.
35Eine Einreihung in die Position 9021 KN kann nicht erfolgen. Zwar gehören in diese Position auch andere Vorrichtungen zum Tragen am Körper und zum Beheben von Funktionsschäden und Gebrechen. Diese Voraussetzungen erfüllt der Tracheostomaschutz, denn er stellt eine Vorrichtung dar, die am Körper getragen wird und Funktionsschäden und Gebrechen behebt. Seine zentrale Aufgabe ist das Filtern, Befeuchten und Anwärmen der Atemluft, wodurch er die Funktion der Nase übernimmt. Damit übernimmt oder ersetzt er wirklich die Funktion des beschädigten Körperteils (s. Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur zu Position 9021 Rz. 00.1). Zudem dichtet der Tracheostomaschutz auch gegen das etwaige Eindringen von Fremdkörpern ab, indem er beim Einatmen angesaugt wird und damit das Tracheostoma verschließt. Auch sorgt er dafür, dass Trachealsekrete zuverlässig aufgesaugt werden. Dadurch wird auch eine Beeinträchtigung der Atmung durch zurückfließendes Sekret verhindert.
36Die an sich bei einer Konkurrenz zwischen zwei Positionen anzuwendenden Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN (AV) würden im Streitfall sogar dazu führen, dass der Tracheostomaschutz nach der AV 3 a) der Position 9021 zuzuweisen wäre, weil diese Position im Hinblick auf die zu beurteilende Ware und seine Funktion zum Beheben von Funktionsschäden genauer gewesen wäre als die Position 3005, die sich bloß auf ähnliche Erzeugnisse von Watte, Gaze und Binden bezogen hätte.
37Gleichwohl ist die AV 3 a) im Streitfall nicht anzuwenden, weil nach der Anmerkung 2 zu Abschnitt VI Waren, die wegen ihrer Aufmachung für den Einzelverkauf u.a. zur Position 3005 gehören, dieser Position zuzuweisen sind, auch wenn andere Positionen der Nomenklatur wie die Position 9021 in Betracht kommen. Als Ware in Aufmachung für den Einzelverkauf ist der Tracheostomaschutz, der in die Position 3005 eingereiht werden kann, nach Anmerkung 2 zu Abschnitt VI dieser Position zuzuweisen, auch wenn, wie hier, eine Zuweisung in die Position 9021 in Betracht gekommen wäre.
38Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 136 Abs. 1 Satz 3, 138 Abs. 2 Satz 1 FGO, weil die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes im Streitfall nur zu einer weiteren Umsatzsteuererstattung von höchstens 15 € geführt hätte.
39Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
40Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in Hinblick auf die Anlage 2 Nr. 52 Buchst. d) UStG und die Anwendung der Anmerkung 2 zu Abschnitt VI zuzulassen.