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Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 24.3.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.4.2015 wird der Beklagte verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 13.2.2009 dahingehend zu ändern, dass der Bruttoarbeitslohn des Klägers um 4.006,72 € niedriger festgesetzt wird.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Tatbestand
2Der Kläger war evangelischer Pfarrer und bewohnte im Jahr 2007 (Streitjahr) ebenso wie in den vorangegangenen Jahren und im Jahr 2008 eine Dienstwohnung in A. Streitig ist, ob für das Streitjahr eine Korrektur des aus der verbilligten Überlassung dieser Dienstwohnung resultierenden und beim Bruttoarbeitslohn des Klägers berücksichtigten geldwerten Vorteils zu Gunsten des Klägers erfolgen kann.
3Der am 28.7.2008 erklärungsgemäß erlassene erstmalige Einkommensteuerbescheid für 2007 wurde bestandskräftig. Nachdem die evangelische Kirche im Rheinland für die Jahre 2003 bis 2006 – nicht aber für das Jahr 2007 – geänderte Lohnsteuerbescheinigungen erstellt hatte, die um Beträge zwischen 664 € und 925 € höhere Bruttoarbeitslöhne des Klägers auswiesen, ergingen unter dem 13.10.2008 geänderte Einkommensteuerbescheide für diese Jahre, die die Kläger mit Einsprüchen angriffen. Für das Streitjahr erging am 13.2.2009 ein nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) zu Gunsten des Klägers geänderter Einkommensteuerbescheid, dem eine Änderung der gesetzlichen Regelung über die Entfernungspauschale zugrunde lag.
4Am 7.9.2009 legten die nunmehr fachkundig vertretenen Kläger Einspruch gegen den mittlerweile ergangenen Einkommensteuerbescheid für 2008 ein und beantragten ferner die Einkommensteuerfestsetzungen für 2004-2007 zu ändern. Damals wurde für das Jahr 2007 eine Minderung des Bruttoarbeitslohns um 3.974,16 € erstrebt. Ein erneuter Änderungsantrag wurde von den Vertretern des Klägers für die Einkommensteuer 2007 bis 2010 am 29.12.2011 gestellt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass das Ergebnis der Abstimmung zwischen der OFD Rheinland und der evangelischen Kirche über die Höhe der für die Pfarrer-Dienstwohnungen anzusetzenden Mietwerte „u. a. am“ 14.2 und 8.8.2011 innerdienstlich mitgeteilt worden sei. Nach Klärung der Höhe des Sachbezugs aus der Wohnungsüberlassung ergingen schließlich am 5.2.2014 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2006 und 2008, die zu Minderungen des Bruttoarbeitslohns des Klägers um Beträge zwischen 4.671 € (2003) und 5.932 € (2006) und zugleich zur Erledigung der noch anhängigen Einspruchsverfahren führten.
5Den auf die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2007 gerichteten Antrag des Klägers lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 24.3.2014 ab. Zur Begründung führte es aus, dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfolgen könne. „Eine neue Tatsache“ … liege nicht vor, „da die neue Tatsache zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Änderung durch die Rechtsbehelfe (Eingang 13.10.2008) gegen die Jahre 2003 bis 2006, sowie 2008 und 2009 bereits bekannt“ gewesen sei. Ein „Antrag auf Änderung gegen einen bereits bestandskräftigen Bescheid“ sei nicht zulässig.
6Den hiergegen fristgerecht erhobenen Einspruch wies das Finanzamt mit der hier wegen der Einzelheiten ihrer Begründung in Bezug genommenen Einspruchsentscheidung vom 13.4.2015 als unbegründet zurück. Es stellte unter anderem darauf ab, dass eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO deshalb nicht durchgeführt werden könne, weil die Kläger ein grobes Verschulden am Bekanntwerden neuer Tatsachen treffe. Den Klägern seien bereits bei Erhalt des Änderungsbescheides vom 13.2.2009 die dem Änderungsantrag zu Grunde liegenden Tatsachen bekannt gewesen. Daher sei es Ihnen möglich und zumutbar gewesen gegen die geänderte Einkommensteuerfestsetzung 2007 rechtzeitig Einspruch einzulegen.
7Mit der Klage machen die Kläger geltend, dass die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorlägen. Die von ihnen erstrebte Minderung des Bruttoarbeitslohns haben Sie durch der Klageschrift beigefügte tabellarische Darstellungen, die auch in der vom Finanzamt vorgelegten Sonderakte abgeheftet sind und auf die verwiesen wird, sachlich und rechnerisch erläutert.
8Sie beantragen sinngemäß,
9den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 24.3.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.4.2015 zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 13.2.2009 dahingehend zu ändern, dass der Bruttoarbeitslohn des Klägers um 4.006,72 € niedriger festgesetzt wird.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Das Finanzamt führt mit dem hier wegen der Einzelheiten seines Inhalts in Bezug genommenen Schreiben vom 8.4.2016 aus, dass die Kläger mit ihren Einsprüchen vom 21.10.2008 gegen die Einkommensteuerbescheide für 2003 bis 2006 auf die nicht den Tatsachen entsprechende steuerliche Behandlung des Eingangsbereichs der Pfarrerdienstwohnung hingewiesen hätten. Bei der Änderung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2003 bis 2006 zu Gunsten der Kläger sei das Finanzamt davon ausgegangen, dass die Kläger bis zum Erlass der Änderungsbescheide vom 13.10.2008 keine Kenntnis über wertmindernde Umstände der Wohnungsüberlassung hatten und sie daher kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden im Oktober 2008 der nicht zutreffenden Wertermittlung der Sachbezüge treffe.
13Am 24.11.2008 hätten die Kläger ihren jetzigen Prozessvertretern eine Vollmacht erteilt, die sich auch auf besoldungsrechtliche Angelegenheiten, insbesondere im Zusammenhang mit der Besteuerung und Festsetzung des Pfarrhaus- bzw. Dienstwohnungsmietwerts für 2003-2008 erstreckt habe. Hierdurch sei dem Finanzamt bekannt geworden, dass auch für die Jahre 2007 und 2008 die Besteuerung des geldwerten Vorteils der Wohnung nicht zutreffend erfolgt sei.
14Letztlich sei davon auszugehen, dass den Klägern und ihrem Steuerberater spätestens ab Ende November 2008 bekannt gewesen sei, dass für das Jahr 2007 eine nicht zutreffende Wertermittlung der Sachbezüge erfolgt sei. Es sei ihnen und ihrem steuerlichen Berater daher möglich und zumutbar gewesen, zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Änderung der mit Bescheid vom 20.7.2008 [gemeint: 28.7.2008] erfolgten bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzung für 2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu stellen.
15Entscheidungsgründe
16Die Klage ist begründet.
17Der angefochtene Ablehnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Entgegen der Auffassung des Finanzamtes liegen im Streitfall die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vor. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, sofern den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
18Nachträglich bekannt geworden ist im Streitfall die Höhe des Sachbezugs aus der Überlassung der Dienstwohnung durch die evangelische Kirche. Die evangelische Kirche im Rheinland und die Oberfinanzdirektion Rheinland hatten über geraume Zeit hinweg Verhandlungen geführt, die darauf abzielten, landesweit eine Bemessung des geldwerten Vorteils aus der verbilligten Überlassung von Dienstwohnungen nach einheitlichen Maßstäben zu ermöglichen. Diese wiederum hatten ihre Grundlage in den jeweils anhand von Größe, Ausstattung, Nutzung und Lage bestimmten Eigenschaften der zu beurteilenden Wohnungen. Das Gericht hegt keinen Zweifel, dass es sich hierbei um „Tatsachen“ im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt.
19Diese Tatsachen sind erst nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides für 2007 vom 28.7.2008 – und damit nachträglich – bekannt geworden. Nichts spricht dafür, dass schon während des Laufs der Einspruchsfrist gegen diesen Bescheid Verhandlungen zwischen der evangelischen Kirche Rheinland und der Oberfinanzdirektion über die Mietwerte im Raum standen und die Kläger überdies hiervon wussten. Letztlich wäre dies aber auch unerheblich, weil die Kläger in diesem Fall mangels Kenntnis anerkannter und objektiv nachvollziehbarer Bewertungskriterien gar nicht in der Lage gewesen wären, den Umfang einer von ihnen erstrebten Änderung zu konkretisieren. Bei der diffusen, nicht substantiiert darstellbaren Vermutung, ein Sachbezug sei möglicherweise in unzutreffender Höhe im Bruttoarbeitslohn enthalten, handelt es sich nach der Überzeugung des Gerichts nicht um eine Tatsache, die mit einem auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützten Änderungsantrag vorgetragen werden könnte.
20Aus dem gleichen Grund hätte bei verständiger Würdigung auch keine Möglichkeit bestanden, bereits gegen diesen Bescheid mit der Aussicht auf Erfolg Einspruch einzulegen.
21Demgegenüber ging es bei den Verhandlungen zwischen evangelischer Kirche und OFD gerade darum, greifbare Bewertungskriterien zu ermitteln und so eine einheitliche Lösung zu finden, die den Finanzämtern eine zeit- und arbeitsaufwändige Befassung mit der Problematik erspart und überdies unterschiedliche finanzbehördliche Entscheidungen über gleich gelagerte Sachverhalte vermeidet. Anhaltspunkte dafür, dass die Vertreter des Klägers bereits zu einem früheren Zeitpunkt über bessere Erkenntnisse verfügten, ergeben sich aus den vorgelegten Akten nicht. Diese hatten vielmehr noch mit einem die Einkommensteuerfestsetzungen für 2003 bis 2006 betreffenden Schreiben vom 9.11.2009 (Eingangsstempel des Finanzamtes vom 5.2.2010) darauf hingewiesen, dass zwar am 10.7.2009 eine erste Besprechung bei der OFD Rheinland stattgefunden habe, dass dort aber zunächst nur hinsichtlich der grundsätzlichen Korrekturbedürftigkeit der Mietwertbesteuerung Einvernehmen habe erzielt werden können.
22Anders als das Finanzamt meint, lässt sich aus der Tatsache, dass gegen die Änderungsbescheide für 2003 bis 2006 vom 13.10.2008 am 21.10.2008 Einsprüche eingelegt wurden, keine Kenntnis der nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen herleiten. Denn diese Einsprüche waren aus anderem Grund eingelegt worden, nämlich deshalb, weil die geänderten Lohnsteuerbescheinigungen der evangelischen Kirche im Rheinland für diese Jahre zum Ansatz höherer Bruttoarbeitslöhne geführt hatten. Das Abstimmungsverfahren begann, wie ausgeführt, hingegen erst im Jahr 2009 und erstreckte sich über weit mehr als ein Jahr. Unter diesen Umständen hält das Gericht die Annahme, dass den Klägern bereits im Oktober 2008 bekannt gewesen sei, welche wertmindernden Umstände im Zusammenhang mit der steuerlichen Bewertung des Sachbezugs aus der Überlassung der Pfarrer Dienstwohnung zu berücksichtigen seien, für verfehlt.
23Aber selbst wenn man mit dem Finanzamt davon ausgeht, dass den Klägern die Tatsachengrundlage für die Bewertung des Sachbezugs „spätestens ab Ende November 2008 bekannt“ war, würde dies einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht grundsätzlich entgegenstehen. Der Einkommensteuerbescheid vom 28.7.2008 war damals bereits bestandskräftig. Der Hinweis des Finanzamtes, es sei den Klägern sowie ihrem steuerlichen Berater möglich und zumutbar gewesen, zu diesem Zeitpunkt (d.h. Ende November 2008), einen Antrag auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2007 zu stellen, impliziert, dass ein solcher Antrag unverzüglich nach Kenntniserlangung gestellt werden muss. Dies ist indessen nicht der Fall, der Antrag muss vielmehr lediglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt werden. Diese war für das Jahr 2007 aber selbst dann noch nicht abgelaufen, wenn man auf den am 29.12.2011 erneut und auf der Grundlage nunmehr belastbar ermittelter Bewertungskriterien gestellten Änderungsantrag abstellt.
24Ein grobes Verschulden im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, das einen Änderungsanspruch der Kläger ausschließen würde, liegt schon deshalb nicht vor, weil die Kläger die vorstehend umschriebenen Tatsachen vor Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses Anfang 2011 selbst nicht kennen konnten. Infolgedessen haben sie auch die erst nachträgliche Kenntniserlangung durch das Finanzamt nicht zu vertreten. Ohnehin ist nach den Gesamtumständen des Streitfalles nicht zu erkennen, dass ein etwaiges Verschulden der Kläger als „grob“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen wäre. Auch das Finanzamt hat nicht vorgetragen, aufgrund welcher Umstände im Streitfall von einer gemessen an den persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen der Kläger ungewöhnlichen und nicht entschuldbaren Sorgfaltspflichtverletzung auszugehen sein soll. Vielmehr wird man bei Arbeitnehmern nur ausnahmsweise – so vielleicht bei der Überlassung eines betrieblichen Pkw für Privatfahrten – davon ausgehen können, dass ihnen die Kriterien für die Bewertung eines Sachbezugs geläufig sind. Die Bewertung des Sachbezugs, der aus einer verbilligten Wohnungsüberlassung resultiert, dürfte für nicht von Berufs wegen sachkundige Arbeitnehmer hingegen „ein Buch mit sieben Siegeln“ sein. Im Gegensatz zum Finanzamt sieht das Gericht im BFH-Urteil vom 25.7.2001 (VI R 82/96, BFH/NV 2001, 1533) sogar eine Bestätigung seiner Rechtsauffassung. Denn den Klägern hätte sich innerhalb der Einspruchsfrist keinesfalls die Geltendmachung allenfalls umrissartig zu erahnender Bewertungskriterien aufdrängen müssen. Ein nur einfaches oder geringes Verschulden steht einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aber nicht entgegen.
25Ein Einspruch der Kläger gegen den zu Ihren Gunsten nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid vom 13.2.2009 wäre schon mangels Beschwer und im Hinblick auf den nach § 351 Abs. 1 AO gar nicht vorhandenen Änderungsrahmen unzulässig gewesen, weshalb das Unterlassen eines solchen Einspruchs den Klägern ohnehin nicht angelastet werden kann.
26Die Klägervertreter haben in der Klagebegründung vom 15.5.2015 den Hergang des Abstimmungsverfahrens erläutert und durch die beigefügten Anlagen, insbesondere die „Änderungsanzeige“ für das Jahr 2007, rechnerisch dargestellt, dass der Kläger als Sachbezug aus der verbilligten Wohnungsüberlassung nicht einen Betrag von 4.506,00 €, sondern einen solchen von 499,28 € zu versteuern hatte. Die Differenz dieser Beträge ergibt die mit der Klage begehrte Minderung des Bruttoarbeitslohns um 4.006,72 €. Zweifel an der Richtigkeit dieser Berechnung hegt das Gericht nicht, zumal in den Jahren 2003 bis 2006 sowie 2008 die für diese Jahre erstellten Änderungsanzeigen ebenfalls in Höhe der dort genannten Minderungsbeträge steuerlich berücksichtigt wurden. Dies belegt zugleich, dass die neue Tatsache, wie von der Rechtsprechung gefordert, im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO rechtserheblich war. Denn in Kenntnis der durch das Abstimmungsverfahren gefundenen Bewertungskriterien hätte das Finanzamt bei der Veranlagung von vornherein einen geldwerten Vorteil nur in der nunmehr ermittelten Höhe berücksichtigt. Zur entsprechenden Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2007 war das Finanzamt daher antragsgemäß zu verpflichten.
27Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.