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Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 vom 22.3.2012 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 14.8.2012 dahin geändert, dass zusätzliche Aufwendungen von 8.726 € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG (vor Abzug der zumutbaren Belastung) berücksichtigt werden. Die Berechnung im Einzelnen wird dem Beklagten auferlegt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Gründe:
2Zwischen den Beteiligten ist die Berücksichtigung von Gerichtskosten aus einem Zivilprozess in Höhe von 8.726 € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG streitig.
3Die Kläger erwarben mit Vertrag vom 26.10.2005 eine von dem Verkäufer, einer Bauträgergesellschaft, noch zu errichtende Doppelhaushälfte in "A" zum Preis von 266.927 €. Im Jahr 2007 kam es im Zusammenhang mit der Fertigstellung und Übergabe des Gebäudes zum Streit, der zu einem im Namen der Klägerin geführten Rechtsstreit vor dem Landgericht führte (). Die Klägerin obsiegte in diesem Klageverfahren zum ganz überwiegenden Teil () - die Bauträgergesellschaft wurde jedoch im Jahr 2009 insolvent, so dass nach Abschluss des Verfahrens die Klägerin mit Rechnung der Gerichtskasse vom 26.2. als haftende Zweitschuldnerin für die von der unterlegenen Partei zu tragenden Verfahrenskosten (88 % = 8.726,25 €) in Anspruch genommen wurde.
4Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 2010 machten die Kläger diese Zahlung als außergewöhnliche Belastung geltend und bezogen sich dabei auf eine neue Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Berücksichtigungsfähigkeit von Zivilprozess-kosten gemäß § 33 EStG, „... soweit die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig sei“ (Urteil vom 12.5.2011, VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015).
5Der Beklagte lehnte eine Berücksichtigung der Kosten im Veranlagungsbescheid ab.
6Auch der dagegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führt der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 14.8.2012 aus, er sei durch einen Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.12.2011 angewiesen, die von den Klägern in Bezug genommene Entscheidung des Bundesfinanzhofs nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden.
7Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzziel weiter.
8Die Kläger beantragen,
9den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2010 in der letzten Fassung vom 22.3.2012 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 14.8.2012 dahin zu ändern, dass zusätzliche Aufwendungen von 8.726 € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt werden.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte ist der Ansicht, nach der für ihn maßgebenden früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs komme eine Berücksichtigung der Prozesskosten allenfalls insoweit in Betracht, als der Zivilrechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existenziell wichtigen Bereich berühre und die Verfolgung seiner rechtlichen Interessen existenziell erforderlich gewesen sei. Von letzterem könne vorliegend nur ausgegangen werden, soweit die Klägerin die Übertragung des Grundstücks eingeklagt, nicht aber soweit sie auch auf Schadensersatz wegen der Beseitigung von Baumängeln sowie wegen Verzugsschäden geklagt habe. Vor diesem Hintergrund komme nur eine anteilige Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen, berechnet nach dem Verhältnis der Streitwerte, in Betracht.
13Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
14Die Klage ist begründet.
15Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Der Beklagte hat die geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 8.726 € zu Unrecht nicht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt.
16Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt, § 33 Abs. 1 EStG. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn der Prozess existentiell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH, Urteil vom 9.5.1996, BStBl II 1996, 596, m.w.N.).
17An dieser Rechtsprechung hält der Bundesfinanzhof in dem von den Klägern in Bezug genommenen Urteil vom 12.5.2011 (VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015) nicht mehr fest. Zivilprozesskosten können den Prozessbeteiligten danach unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Denn für den Steuerpflichtigen, der sein Recht durchsetzen wolle oder müsse, sei im Rechtsstaat die Beschreitung des Rechtsweges unausweichlich. Zivilprozesskosten seien nur dann nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige sich mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe bzw. wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hätte.
18Im Streitfall ist die Klage sowohl unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 12.5.2011 als auch unter Zugrundelegung der früheren Rechtsprechungsgrundsätze begründet. Die geltend gemachten Verfahrenskosten für den Zivilprozess vor dem Landgericht sind der Klägerin in jedem Fall zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG entstanden.
19Zum einen ergibt sich aus dem überwiegend stattgebenden Urteil des Landgerichts, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, dass die Klägerin aufgrund des vertragswidrigen Verhaltens des Verkäufers zur Durchsetzung ihrer Rechte gezwungen war, Klage zu erheben. Die Klägerin hat weder mutwillig noch leichtfertig Klage erhoben, die Rechtsverfolgung hatte aus Sicht eines verständigen Dritten auch Aussicht auf Erfolg. Das Prozesskostenrisiko realisierte sich bezüglich der hier streitigen Kosten nicht aufgrund eines Unterliegens im Prozess, sondern aufgrund der bei Klageerhebung im September 2007 für die Klägerin nicht absehbaren Insolvenz des Verkäufers im Verlauf des Jahres 2009. Allein auf letzterem Umstand beruht die Inanspruchnahme der Klägerin als Zweitschuldnerin der Verfahrenskosten. Werthaltige Ersatzansprüche der Klägerin gegen den eigentlichen Kostenschuldner bestehen nach Aktenlage nicht; die Gerichtskasse hat die Forderung ihm gegenüber niedergeschlagen.
20Zum anderen war der Zivilprozess für die Kläger auch unzweifelhaft von wirtschaftlich existenzieller Bedeutung. Die Kläger erwarben die Doppelhaushälfte zur Selbstnutzung durch ihre Familie. Sie hatten im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits rund 221.000 € gezahlt und waren mit entsprechenden Zinsverpflichtungen belastet, bei gleichzeitigem Weiterbestehen der bisherigen Wohnaufwendungen. In dieser Situation gerieten die Kläger durch die Weigerung des Verkäufers, ihnen den Besitz zu übertragen, der Auflassung zuzustimmen sowie die bereits erkennbaren Mängel zu beseitigen, in eine Zwangslage, die eine Klageerhebung vor dem Zivilgericht und die Übernahme eines entsprechenden Prozessrisikos erforderlich machte. Ohne diesen Zivilrechtsstreit hätten die Kläger aller Voraussicht nach einen ganz erheblichen wirtschaftlichen Schaden erlitten (unabsehbarer Verlust bisher erbrachter Zahlungen im Fall einer Rückabwicklung des Vertrages oder Zahlung der letzten Rate von rd. 45.000 €, wie vom Verkäufer verlangt, gegen Erhalt eines Gebäudes mit bereits erkennbaren Mängeln und Verzugs-schäden im Umfang von rund 85.000 €), was ebenfalls voraussichtlich, dazu geführt hätte, dass die Kläger ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr im bisherigen Rahmen hätten erfüllen können. Insofern liegt eine Sachverhaltsgestaltung vor, bei der auch nach bisheriger Rechtsprechung eine Zwangsläufigkeit der Zivilprozesskosten vorgelegen hätte (statt aller BFH, Urteil vom 9.5.1996, BStBl II 1996, 596).
21Der vom Beklagten in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, die Prozesskosten seien nur insoweit anteilig zwangsläufig i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG wie sie auf die eingeklagte Übertragung des Grundstücks entfielen, greift nicht durch. Der Verkäufer machte vertragswidrig die Besitzübertragung und Zustimmung zur Auflassung von der Zahlung der letzten Kaufpreisrate abhängig, welche erst nach vollständiger Mängelbeseitigung fällig war. Durch dieses - rechtswidrige - Verhalten des Verkäufers wurden die Streitpunkte derart miteinander verknüpft, dass die Kläger zur Durchsetzung ihrer Rechte, d.h. zum Erhalt eines mangelfrei hergestellten Gebäudes, gezwungen waren, sowohl auf Besitzübertragung und Zustimmung zur Auflassung als auch auf Mängelbeseitigung bzw. Schadensersatz zu klagen.
22Die Berechnung der Einkommensteuer 2010 unter zusätzlicher Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 8.726 € wird dem Beklagten auferlegt.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.