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Die Steuerbescheide vom 18. November 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2010 werden aufgehoben, soweit hiermit die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 2002 um ... €, für das Kalenderjahr 2003 um ... € und für das Kalenderjahr 2004 um ... € höher festgesetzt worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin veranstaltet Messen. Sie verkauft an Besucher der von ihr veranstalteten Messen Kataloge, in denen die jeweiligen Aussteller und deren Standorte in den Messehallen aufgeführt sind. In einem allgemeinen Teil des Katalogs werden zunächst Informationen über Öffnungszeiten, die für die jeweilige Messe verantwortlichen Personen, Kontaktadressen sowie über Autovermietungen, Bankverbindungen, Geldautomaten, ärztliche Versorgung und Unterkunftsmöglichkeiten zusammengestellt. Anschließend folgt ein alphabetisches Verzeichnis der jeweiligen Aussteller mit Hinweisen auf ihre Kontaktdaten und ihre Standorte in den Messehallen. Hieran schließt sich ein systematisches Warenverzeichnis an, in dem sich die im alphabetischen Verzeichnis aufgeführten Aussteller nach Produktkategorien geordnet wiederfinden. Die Aussteller- und Warenverzeichnisse machen nach der Anzahl der bedruckten Seiten den weit überwiegenden Umfang des Messekatalogs aus (mehrere hundert Seiten). Die jeweiligen Aussteller haben die Möglichkeit, in dem Messekatalog durch Anzeigen, die mit einem Hinweis auf ihren Standort verbunden sind, besonders auf ihr Unternehmen aufmerksam zu machen. Derartige Anzeigen machen weniger als die Hälfte der insgesamt bedruckten Seiten eines Katalogs aus. Falls Vorträge oder Foren auf einer Messe stattfinden, werden diese in einem an das systematische Warenverzeichnis anschließenden Teil genannt. Den Abschluss des Katalogs bildet ein Lageplan für das Messegelände.
3Die Klägerin wendete auf die Umsätze aus dem Verkauf der Messekataloge den ermäßigten Umsatzsteuersatz an. Das beklagte Finanzamt folgte dem zunächst und setzte die Umsatzsteuer gegen die Klägerin für die Kalenderjahre 2002, 2003 und 2004 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung entsprechend fest.
4Im Anschluss an eine Außenprüfung, die am … 2006 begann (Prüfungsbericht vom … 2010), vertrat das beklagte Finanzamt die Auffassung, dass die Messekataloge überwiegend Werbezwecken dienten und deshalb der Regelsteuersatz auf die aus dem Verkauf der Kataloge erzielten Umsätze anzuwenden sei. Demgemäß setzte es die Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 2002, 2003 und 2004 mit Bescheiden vom 18. November 2010 neu fest.
5Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch trug die Klägerin vor: Die Messekataloge dienten nicht überwiegend Werbezwecken, sondern vielmehr der Information und Orientierung der Messebesucher. Ohne den Messekatalog sei eine Orientierung des Fachpublikums auf ihrem Gelände mit einer Vielzahl von Hallen nicht möglich. Die Messekataloge seien nicht mit einem Hotel- und Gaststättenverzeichnis zu vergleichen, mit dem Kunden veranlasst werden sollten, ein bestimmtes Hotel oder Restaurant aufzusuchen. Die Messebesucher hätten schon vor dem Erwerb des Katalogs die Entscheidung getroffen, die Messe zu besuchen. Insoweit sei der Katalog mit den sog. gelben Seiten zu vergleichen, bei denen der Leser sich gleichfalls schon entschieden habe, sich über Unternehmen einer bestimmten Branche zu informieren.
6Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 14. Oktober 2011 zurück und führte aus: Der Messekatalog diene zwar auch der Orientierung der Besucher. Das ändere jedoch nichts daran, dass er insgesamt überwiegend Werbezwecken diene. Der Katalog bewerbe sowohl die Messeveranstaltung selbst als auch die jeweiligen Aussteller. Er stelle über den Zeitraum der eigentlichen Messe hinaus eine Übersicht von Anbietern einer Branche dar. Für den Werbecharakter des Katalogs sprächen zudem die hohen Entgelte, die ein Aussteller für eine Pflichteintragung zu zahlen habe. Mit den sog. gelben Seiten könne der Messekatalog nicht verglichen werden. Die gelben Seiten dienten nach § 78 Abs. 2 Nr. 2 des Telekommunikationsgesetzes der gesetzlich angeordneten Deckung eines allgemeinen Bedarfs.
7Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Der Messekatalog diene im Wesentlichen der Information der Besucher und nicht ihrer werbenden Beeinflussung. Für die jeweilige Messe werde nicht mit dem Katalog, sondern mit anderen Mitteln geworben. Eine Fachmesse werde von einem Kunden auf Grund ihres thematischen Schwerpunkts besucht. Der Katalog werde regelmäßig erst erworben, nachdem der Besucher seine Entscheidung, die jeweilige Fachmesse zu besuchen, bereits getroffen habe. Bei der Buchung einer Messe liege er in der Regel noch nicht vor. Der Katalog diene auch nicht überwiegend der Werbung für die Aussteller. In dem Aussteller- und Warenverzeichnis werde nicht durch besondere graphische oder sonstige Hinweise auf bestimmte Aussteller aufmerksam gemacht. Die Aussteller würden für ihre Produkte selbst werben.
8Die Klägerin beantragt,
9die Steuerbescheide vom 18. November 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2010 aufzuheben, soweit hiermit die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 2002 um ... €, für das Kalenderjahr 2003 um ... € und für das Kalenderjahr 2004 um ... € höher festgesetzt worden ist.
10Das beklagte Finanzamt beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
14Die Klage ist begründet. Die Steuerbescheide vom 18. November 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit damit die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 2002 um ... €, für das Kalenderjahr 2003 um ... € und für das Kalenderjahr 2004 um ... € höher festgesetzt worden ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Finanzamt hat die Umsatzerlöse aus dem Verkauf der Messekataloge zu Unrecht dem Regelsteuersatz unterworfen und die Steuerfestsetzung insoweit nach § 164 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung geändert. Auf die Umsätze aus dem Verkauf der Messekataloge ist der ermäßigte Steuersatz anzuwenden.
15Der ermäßigte Steuersatz gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren anzuwenden Fassung (UStG) i.V.m. der Anlage 2 Nr. 49 unter anderem für Lieferungen von Büchern, Zeitungen und anderen Erzeugnissen des graphischen Gewerbes aus der Pos. 4901 des Zolltarifs mit Ausnahme solcher Erzeugnisse, die überwiegend Werbezwecken dienen. Für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 kommt es allein auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe an (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 17. August 1993 VII R 34/93, BFH/NV 1994, 433 sowie vom 3. Februar 2004 VII R 33/03, BFH/NV 2004, 849).
16Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der Kombinierten Nomenklatur (KN) und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH -, Urteil vom 12. Juli 2012 Rs. C-291/11, Randnr. 30). Nach den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur 1 und 6 sind maßgebend für die Einreihung von Waren der Wortlaut der Positionen und Unterpositionen sowie die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln der Nomenklatur, die rechtsverbindlich sind (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Juli 2012 Rs. C-291/11, Randnr. 31). Außerdem sind die Erläuterungen der Kommission zur KN und die Erläuterungen der Weltzollorganisation zum Harmonisierten System (HS) ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Ermittlung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (EuGH, Urteil vom 12. Juli 2012 Rs. C-291/11, Randnr. 32).
17Von der Pos. 4901 KN, die im Streitfall für das Jahr 2002 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2433/2001 des Rates vom 6. Dezember 2001 (ABl EG Nr. L 329/4), für das Jahr 2003 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1832/2002 der Kommission vom 1. August 2002 (ABl EG Nr. L 290/1) und für das Jahr 2004 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom 11. September 2003 (ABl EU Nr. L 281/1) anzuwenden ist, werden Bücher, Broschüren und ähnliche Drucke erfasst. Nach Anm. 5 zu Kap. 49 KN gehören zu dieser Position jedoch nicht Veröffentlichungen, die überwiegend Werbezwecken dienen, wie z.B. Broschüren, Prospekte, Faltblätter, Handelskataloge, von Handelsgesellschaften veröffentlichte Jahrbücher und Reisewerbung. Derartige Veröffentlichungen sind nach Anm. 5 zu Kap. 49 KN der Pos. 4911 KN zuzuweisen.
18Werbung zielt darauf ab, den Werbeadressaten zur Inanspruchnahme von entgeltlichen Waren oder Dienstleistungen zu veranlassen (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 433). Das kann im Streitfall nach Überzeugung des Senats nur hinsichtlich der in den Messekatalogen von den Ausstellern in Auftrag gegebenen Anzeigen angenommen werden, die indes weniger als die Hälfte der insgesamt bedruckten Seiten eines Katalogs ausmachen.
19Die in Rede stehenden Messekataloge zielen nicht darauf ab, die Adressaten zur Inanspruchnahme von entgeltlichen Dienstleistungen in Gestalt der von der Klägerin veranstalteten Messen zu veranlassen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Katalog regelmäßig erst erworben wird, nachdem der Besucher seine Entscheidung, die jeweilige Fachmesse zu besuchen, bereits getroffen hat. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben in der mündlichen Verhandlung - vom beklagten Finanzamt unwidersprochen - nochmals dargelegt, dass bei der Buchung einer Messe der jeweilige Katalog in der Regel noch nicht vorliegt. Der Redaktionsschluss für die Kataloge liege regelmäßig etwa vier bis acht Wochen vor Beginn der jeweiligen Messe. Die Kataloge stünden dann erst etwa ein bis zwei Wochen vor einer Messe zum Verkauf zur Verfügung. Dies ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar, weil beispielsweise der Standort eines Ausstellers erst am Ende der Planung einer Messe festgelegt werden kann. Auch dies haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Daher kann der jeweilige Messekatalog das Fachpublikum nicht mehr veranlassen, die Dienstleistungen der Klägerin in Anspruch zu nehmen.
20Nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zielen die Messekataloge als solche auch nicht darauf ab, die Adressaten zur Inanspruchnahme von entgeltlichen Waren oder Dienstleistungen der Aussteller zu veranlassen. In den Aussteller- und Warenverzeichnissen der Kataloge werden bestimmte Aussteller - abgesehen von den besonders zu beurteilenden Anzeigen dieser Unternehmen - nicht besonders hervorgehoben. Die Klägerin bezweckt mit diesen Verzeichnissen in ihren Katalogen erkennbar nicht, Waren oder Dienstleistungen der Aussteller anzupreisen. Vielmehr handelt es sich bei diesen Verzeichnissen nur um eine alphabetische und systematische Aufstellung der jeweiligen Aussteller einer Messe. Insoweit verhält es sich bei den Messekatalogen ähnlich wie bei den sog. gelben Seiten, die nach den Erl(HS) zu Pos. 4901 Randnr. 02.2 gleichfalls der Pos. 4901 zuzuweisen sind. Auch bei den gelben Seiten geht es dem Herausgeber - von besonders zu vergütenden Anzeigen abgesehen - nicht darum, die Adressaten zu veranlassen, Waren oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Vielmehr ist es Zweck der gelben Seiten, eine allgemeine Informationsquelle für in bestimmten Branchen tätige Gewerbetreibende und Dienstleistende anzubieten. Ob der Anbieter von Universaldienstleistungen nach § 78 Abs. 2 Nr. 4 des Telekommunikationsgesetzes verpflichtet ist, die sog. gelben Seiten herauszugeben, kann dahinstehen. Jedenfalls ändert dies nichts daran, dass es nicht Zweck des Vertriebs derartiger Druckwerke ist, die Adressaten zur Inanspruchnahme von Waren oder Dienstleistungen bestimmter Unternehmen zu veranlassen.
21Die Höhe des Entgelts von … €, das ein Aussteller für eine Pflichteintragung in den alphabetischen und systematischen Verzeichnissen eines Messekatalogs zu zahlen hat, ist kein Kriterium für die Entscheidung der Frage, ob eine Veröffentlichung überwiegend Werbezwecken dient.
22Die Messekataloge sind auch keine Handelskataloge i.S. der Anm. 5 zu Kap. 49 KN. Wie den Erl(HS) zu Pos. 4911 Randnr. 05.0 entnommen werden kann, ist es Zweck eines Handelskatalogs, den Adressaten zur Abnahme von Waren zu veranlassen. Dies ist bei den Messekatalogen - abgesehen von den besonders zu beurteilenden Anzeigen - nicht der Fall. Bei den Messekatalogen handelt es sich zudem nicht um in den Erl(HS) zu Pos. 4911 Randnr. 06.0 beschriebene Programmhefte, weil sie nicht den Ablauf einer ähnlichen Veranstaltung, wie einer Zirkus-, Sport-, Opern- oder Schauspielveranstaltung wiedergeben.
23Die Messekataloge dienen nicht überwiegend Werbezwecken. Ob Werbezwecke überwiegen, ist nach der Beschaffenheit und der erkennbaren Zweckbestimmung der Druckschrift zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 433). Das Raumverhältnis zwischen werbendem und anderem Text ist nicht unmittelbar maßgebend. Entscheidend ist vielmehr, dass ein Druck nach seiner Beschaffenheit und seiner erkennbaren Zweckbestimmung überwiegend Werbezwecken dient. Das ist losgelöst von der Person des oder der Werbungtreibenden allein nach dem Inhalt der Druckschrift zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 433). Bei Zweifeln kann indessen auch das Raumverhältnis bei der Beurteilung von Beschaffenheit oder Zweck einer Druckschrift herangezogen werden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 433).
24Nach ihrer Beschaffenheit und ihrer erkennbaren Zweckbestimmung dienen die Messekataloge nicht überwiegend Werbezwecken, sondern der Information der Besucher einer Messe über die hieran teilnehmenden Aussteller. Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Besucher insbesondere bei Großmessen eine Information darüber erwarten, welche Aussteller auf der Messe anwesend sind und wo sich deren Standorte in den Messehallen befinden. Überdies machen die in den Katalogen abgedruckten Anzeigen der Aussteller weniger als die Hälfte der insgesamt bedruckten Seiten eines Katalogs aus.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des BFH geklärt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 433). Bei der Anwendung der vom BFH entwickelten Rechtssätze auf den Streitfall handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Der Senat hatte nicht zu entscheiden, wie Messekataloge anderer Veranstalter zolltariflich zu beurteilen sind.