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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.09.2012 und der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2012 verpflichtet, dem Kläger für das Kind „L“ ab Januar 2011 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Im Streitzeitraum, der sich von Januar 2011 bis Oktober 2012 erstreckt, war er zunächst arbeitslos und – seit dem 01.06.2010 – Bezieher von Arbeitslosengeld, danach vom 01.11.2011 bis zum 11.01.2012 in „K-Stadt“ sowie vom 01. bis zum 22.02.2012 in „M-Stadt“ unselbständig beschäftigt und sodann Empfänger von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch -SGB-.
3Sein am „...“.2000 geborener Sohn „L“ lebt bei seiner geschiedenen polnischen Ehefrau, der Kindsmutter, in Polen. Diese ging dort vom 01.11.2010 bis mindestens zum 19.09.2012 einer Erwerbstätigkeit nach. Einen Anspruch auf polnische Familienleistungen für das Kind hatte sie – wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen – im Streitzeitraum nicht (vgl. Formular E411, Bl 91 der Kindergeldakte -KGA-).
4Durch bestandskräftigen Bescheid vom 17.11.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2010 hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für das Kind ab Dezember 2010 auf.
5Den Kindergeldantrag des Klägers vom 30.08.2012 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.09.2012, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 18.10.2012, ab. Zur Begründung führte sie aus, die Kindsmutter sei zum Bezug des Kindergeldes vorrangig i. S. des § 64 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes -EStG- berechtigt, da sie und nicht der Kläger das Kind in ihren Haushalt aufgenommen habe.
6Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, die Ablehnung des Kindergeldanspruchs könne nicht auf § 64 EStG gestützt werden, da die Vorschrift voraussetze, dass neben dem Kläger ein weiterer Berechtigter existiere. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Kindsmutter erfülle nicht die Voraussetzungen des § 62 EStG und sei folglich nicht anspruchsberechtigt. Zudem konkurriere der deutsche Kindergeldanspruch des Klägers nicht mit einem Anspruch der Kindsmutter auf polnische Familienleistungen, denn deren hohes Einkommen schließe einen Anspruch in Polen aus.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.09.2012 und der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2012 zu verpflichten, ihm für das Kind „L“ Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie hält an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Auffassung fest und verweist auf die Begründung der Einspruchsentscheidung.
12Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorgelegten Kindergeldakte Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe
14Die Klage ist begründet.
15Der Kläger hat für seinen Sohn in Deutschland ab Januar 2011 Anspruch auf Kindergeld (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
16Der Kläger hat seinen Wohnsitz im Inland (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Das Kind hat seinen Wohnsitz in Polen, also in einem Mitgliedsstaat der EU (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Es ist berücksichtigungsfähig i. S. des § 32 EStG, denn es hat noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet (§ 32 Abs. 3 EStG).
17Auf den Kläger ist auch ausschließlich deutsches Recht anzuwenden. Für den Zeitraum seiner nichtselbständigen Beschäftigung ergibt sich dies aus Art. 11 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. a EU-VO Nr. 883/2004, für die übrige Zeit folgt dies aus dem Wohnort des Klägers in der Bundesrepublik, Art. 11 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. e EU-VO Nr. 883/2004. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
18Soweit die Beklagte die Ansicht vertritt, dass dem Kläger der Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld nicht zustehe, weil sein Sohn im Haushalt der Kindsmutter in Polen lebe und allenfalls diese einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld habe, folgt der Senat dem nicht.
19Eine Anspruchskonkurrenz nach Art. 68 EU-VO Nr. 883/2004 besteht nicht; dem Anspruch des Klägers auf deutsches Kindergeld steht – wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen des polnischen Rechts – kein Anspruch der Kindsmutter auf polnische Familienleistungen gegenüber (vgl. Formular E411, Bl 91 KGA).
20Auch auf § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG kann sich die Beklagte zur Begründung ihrer Rechtsauffassung nicht stützen. Diese Regelung, nach der bei mehreren Berechtigten das Kindergeld an den Haushaltsaufnehmenden gezahlt wird, gilt nur, wenn prinzipiell mehrere Berechtigte den Anspruch auf Bewilligung des Kindergeldes geltend machen könnten. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Ein Kindergeldanspruch der im EU-Ausland lebenden Betreuungsperson nach § 64 Abs. 2 EStG kommt nur in Betracht, wenn diese selbst die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 EStG erfüllt (vgl. etwa Urteil des Finanzgerichts -FG- Münster vom 9. Mai 2012 10 K 3768/10 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2012, 1562, Rev. BFH XI R 28/12). Das ist hier nicht der Fall; nach Aktenlage, jedenfalls bezogen auf das Inland, gibt es außer dem Kläger keine weiteren Berechtigten.
21Auch aus der Bestimmung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO Nr. 987/2009 ergibt sich keine andere Beurteilung. Richtig ist allerdings, dass nach dem Inhalt der genannten Regelung bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der EU-VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, eine Situation unterstellt wird, in der alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates (hier: der Bundesrepublik Deutschland) fallen "und dort wohnen". Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten führt dies jedoch nicht dazu, dass nunmehr Ansprüche dritter Personen begründet werden, die wiederum die Rechte des Klägers schmälern oder gänzlich ausschließen. Insoweit teilt der Senat nicht die vom FG Bremen (Urteil vom 10.11.2011 3 K 26/11, EFG 2012, 143; Rev. III R 69/11) vertretene Rechtsauffassung, die Ansprüche der im Ausland lebenden Angehörigen bejaht. Das FG Bremen muss nämlich nicht nur, dem Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO Nr. 987/2009 entsprechend, unterstellen, dass alle beteiligten Personen in der Bundesrepublik Deutschland wohnen, sondern zusätzlich, dass die Wohnsituation in Deutschland derjenigen im Ausland entspricht. In anderen Fällen müsste ggf. auch eine bestimmte Unterhaltssituation unterstellt werden (§ 64 Abs. 3 EStG). Derartige weitere Fiktionen sind der Regelung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 DVO Nr. 987/2009 nicht zu entnehmen. Das wiederum spricht dafür, dass die von der Beklagten herangezogene Bestimmung nur einen Rechtsverlust des aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland zugewanderten Arbeitnehmers verhindern soll. Eine Begrenzung oder ein Ausschluss von Rechten des im Inland wohnhaften Berechtigten kann dadurch jedoch nicht eintreten. Der Senat schließt sich deshalb in vollem Umfang denjenigen Entscheidungen in der Finanzgerichtsbarkeit an, die in vergleichbaren Fällen Ansprüche der im Ausland lebenden Angehörigen verneinen (vgl. dazu die Entscheidungen des FG München vom 27.10.2011 5 K 1145/11, EFG 2012, 255; 5 K 1075/11, EFG 2012, 253, Rev. V R 49/11; 5 K 2614/10, EFG 2012, 249, Rev. III R 73/11; 5 K 3245/10, EFG 2012, 256, Rev. V R 46/11 und vom 21.11.2011 5 K 2527/10, EFG 2012, 627, Rev. V R 50/11; des Niedersächsischen FG vom 08.12.2011 16 K 291/11, EFG 2012, 849, Rev. III R 4/12 und vom 15.12.2011 3 K 155/11, abrufbar bei juris; des FG Rheinland-Pfalz vom 14.12.2011 2 K 2085/10, EFG 2012, 716 und vom 23.03.2011 2 K 2248/10, EFG 2011, 1323; des FG Hamburg vom 31.01.2012 1 K 204/11, EFG 2012, 1364 und vom 10.05.2012 1 K 19/11, abrufbar bei juris, Rev. XI R 23/12, sowie des FG Düsseldorf vom 09.02.2012 16 K 1564/11 Kg, EFG 2012, 1369, und vom 25.08.2012 10 K 2183/11 Kg, abrufbar bei juris).
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
23Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
24Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr.1 und Nr. 2 FGO (grundsätzliche Bedeutung). Sie dient der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Anwendung des neuen europäischen Rechts im Hinblick auf die zum Teil differierende Rechtsprechung der Finanzgerichte.