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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob für die Kläger ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H. von 97.669 Euro zum 31. Dezember 2004 gesondert festzustellen ist.
3Die Kläger sind deutsche Staatsangehöre und haben seit Dezember 2004 wieder einen Wohnsitz in Deutschland. Zuvor wohnten sie bereits bis zum 10. September 2001 in Deutschland, gaben ihren dortigen Wohnsitz aus beruflichen Gründen des Klägers jedoch auf und lebten von September 2001 bis Dezember 2004 in Frankreich. Dort war der Kläger als Arbeitnehmer für ein großes deutsches Unternehmen tätig; die Klägerin war nicht berufstätig. In den Jahren 2002 und 2003 veräußerten die Kläger Wertpapiere. Aus den Wertpapiergeschäften erzielten sie Verluste i.H. von 79.497 Euro (2002) und 18.172 Euro (2003). Diese Verluste konnten sie in Frankreich gem. Art. 150-0 D Abs. 11 des Code general des impots (CGI) nicht mit anderen Einkünften, insbesondere nicht mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, verrechnen. Die Verluste durften lediglich auf die nächsten fünf (hinsichtlich der Verluste aus 2002) und die nächsten zehn Jahre (hinsichtlich der Verluste aus 2003) vorgetragen und mit Gewinnen aus Wertpapiergeschäften verrechnet werden. Die französische Finanzverwaltung bescheinigte die Verluste und erläuterte, dass sie auf den genannten Zeitraum vortragbar seien.
4Im November 2004 vollendete der Kläger sein 60. Lebensjahr und es begann für ihn die Freistellungsphase des sog. Vorruhestandes. Im Dezember 2004 zogen die Kläger wieder nach Deutschland. Dort erzielten sie im Jahr 2005 einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H. von 2.034 Euro und im Jahr 2006 einen ebensolchen i.H. von 790 Euro. Eine Minderung dieser Einkünfte aufgrund der in den Jahren 2002 und 2003 erzielten Verluste i.H. von insgesamt 97.669 Euro lehnte der Beklagte (das Finanzamt – FA –) in den jeweiligen Einkommensteuerbescheiden 2005 und 2006 ab. Die dagegen erhobene Klage der Kläger ist beim Finanzgericht Düsseldorf unter dem Az. 13 K 1026/08 E anhängig. In der mündlichen Verhandlung zu diesem Verfahren vom 02. Februar 2010 haben die Kläger gegenüber dem FA beantragt, die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften, die sie während ihrer Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht in Frankreich erlitten hatten, zum 31. Dezember 2004 gesondert festzustellen. Der Senat hat daraufhin das Klageverfahren wegen Einkommensteuer 2005 und 2006 mit Beschluss vom 02. Februar 2010 nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt.
5Das FA lehnte den Antrag der Kläger auf gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags aus privaten Veräußerungsgeschäften zum 31. Dezember 2004 mit Bescheid vom 12. März 2010 ab. Den dagegen eingelegten Einspruch wies es mit Entscheidung vom 22. April 2010 als unbegründet zurück.
6Mit ihrer Klage tragen die Kläger vor, in den Jahren 2002 und 2003 seien sie in Deutschland lediglich mit den dort erzielten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steuerpflichtig gewesen. Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2004 seien sie wieder unbeschränkt steuerpflichtig. Die Weigerung des FA, die Verluste zum 31. Dezember 2004 gesondert festzustellen, verstoße gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht. Hätten sie – die Kläger – die Veräußerungsverluste während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland erlitten, wäre ein Verlustvortrag unstrittig gewesen. Sie würden nur aufgrund der Tatsache, dass sie für einen bestimmten Zeitraum lediglich beschränkt steuerpflichtig gewesen seien, steuerlich schlechter gestellt. Diese Ungleichbehandlung könne nicht i.S. des Gesetzgebers sein. In der Europäischen Union (EU) sei die Niederlassungsfreiheit garantiert. Somit könne der Wohnsitz frei gewählt werden. Zudem gebe es eine Kapitalverkehrsfreiheit. Würden sie durch Nichtberücksichtigung der in Frankreich festgestellten Verluste steuerlich benachteiligt, wäre dies eine Verletzung der in den Europäischen Verträgen festgeschriebenen Rechte. Die Tatsache, dass die vorübergehende Verlegung des Wohnsitzes nach Frankreich nun in Deutschland steuerliche Nachteile habe, führe zu einem Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit.
7Der Gerichtshof der Europäischen Union (ehemals Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften – EuGH –) habe bislang noch keine Entscheidung zu einem vergleichbaren Sachverhalt getroffen. Es seien aber mehrere Urteile ergangen, die eine Gleichbehandlung von in- und ausländischen Einkünften forderten. So habe der EuGH mit Urteil vom 21. Februar 2006 (C-152/03 "Ritter-Coulais") über die Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung ausländischen Grundbesitzes entschieden. Auch in dem am 17. Januar 2008 (C-152/05 "Kommission/Deutschland") ergangenen Urteil zur Gewährung der Eigenheimzulage an unbeschränkt Steuerpflichtige werde mehrfach auf das Grundrecht der Niederlassungsfreiheit hingewiesen. Art. 18 des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, in dem das Recht eines jeden Bürgers der EU, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt sei, habe in Art. 39 EG hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und in Art. 43 EG hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit eine besondere Ausprägung erfahren. Ferner sei auf den Beschluss vom 12. September 2002 zur Beschränkung des Verlustvortrags bei selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit in verschiedenen Mitgliedstaaten (C-431/01 "Mertens") hinzuweisen. Schließlich komme auch dem Urteil vom 29. März 2007 (C-347/04 "Rewe-Zentralfinanz") Bedeutung zu.
8Die Kläger beantragen,
9unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 12. März 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 22. April 2010 das FA zu verpflichten, den verbleibenden Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften zum 31. Dezember 2004 auf 97.669 Euro gesondert festzustellen.
10Das FA beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung führt es aus, eine gesonderte Feststellung der in Frankreich erzielten Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften zum 31. Dezember 2004 komme nicht in Betracht. Einkünfte aus Frankreich seien nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer und der Grundsteuern (DBA-Frankreich) von der Besteuerung in Deutschland freigestellt. Sie könnten in Deutschland nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts gemäß § 32b des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt werden. Dies sei im Streitfall jedoch nicht möglich, da private Veräußerungsverluste in Frankreich nur mit ebensolchen Einnahmen in Frankreich in den Folgejahren ausgeglichen werden dürften. Ein Ausgleich der französischen Veräußerungsverluste mit deutschen Einnahmen sei somit ausgeschlossen.
13Entscheidungsgründe:
14Die Klage ist unbegründet.
15Die Kläger haben keinen Anspruch, dass das FA einen verbleibenden Verlustvortrag aus privaten Veräußerungsgeschäften, die die Kläger in den Jahren 2002 und 2003 getätigt haben, zum 31. Dezember 2004 gesondert feststellt.
161. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG (i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 – StBereinG 1999 – vom 22. Dezember 1999, BGBl. I 1999, 2601, heute § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG) i. V. m. § 10d Abs. 4 EStG sind nicht erfüllt.
17a) Nach diesen Regelungen sind Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 EStG, die nicht mit Gewinnen ausgeglichen werden konnten, die der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat und die auch nicht die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums gemindert haben, am Schluss des Veranlagungszeitraums als verbleibender Verlustvortrag gesondert festzustellen.
18b) Die Kläger haben in den Jahren 2002 und 2003 keine Verluste aus privaten Ver-äußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 EStG erzielt. Der Einkommensteuer unterliegen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nur dann, wenn sie der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt (§ 2 Abs. 1 EStG).
19aa) Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 Abs. 1 EStG). Die Kläger hatten in den Jahren 2002 und 2003 weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, da sie ausschließlich in Frankreich wohnten und sich dort aufhielten.
20bb) Die in Rede stehenden Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften – hier aus privaten Wertpapiergeschäften – stellten (unstreitig) auch keine Einkünfte dar, die die Kläger als inländische Einkünfte i.S. der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) erzielt haben. Private Veräußerungsgeschäfte mit Anteilen an Kapitalgesellschaften sind gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG (i.d.F. des StBereinG 1999) keine inländischen Einkünfte i.S. der beschränkten Einkommensteuerpflicht, wenn es sich – wie hier – nicht um Anteile an Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland bei wesentlicher Beteiligung i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG handelt. Unabhängig davon stand – worauf die Kläger zutreffend hinweisen – der Französischen Republik nach Art. 7 Abs. 1 DBA-Frankreich das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus der von den Klägern vorgenommenen Veräußerung der Anteile an Kapitalgesellschaften zu.
212. Entgegen der Ansicht der Kläger ist eine Berücksichtigung der Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften, die sie in den Jahren 2002 und 2003 erlitten haben, im Rahmen einer gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 2004 nicht etwa deshalb möglich, weil sich die Verluste in Frankreich weder in den Jahren 2002 und 2003 noch in den Folgejahren ausgewirkt haben. Eine Berücksichtigung solcher Verluste ergibt sich nicht aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht.
22a) Die Situation der Kläger, die steuerlich benachteiligt werden, weil sie während der Zeit, in der sie Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielten, in Frankreich wohnten und somit in Deutschland mit diesen Einkünften weder unbeschränkt noch beschränkt einkommensteuerpflichtig waren, wird nicht von Art. 56 EG (jetzt Art. 63 des Vertrages über die Arbeitsweise der europäischen Union – AEUV –) über die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs erfasst. Der sachliche Anwendungsbereich des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs erfasst Bestimmungen, die den Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern beschränken (Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV). Zwar stellt eine Regelung, die z.B. Aktionäre, die Aktien einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats erworben haben, steuerlich unterschiedlich behandelt, je nach dem, ob sie in dem Mitgliedstaat der Gesellschaft ansässig sind oder nicht, eine nach Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV) unzulässige Beschränkung des Kapitalverkehrs dar (vgl. EuGH-Urteil vom 19. Januar 2006 C-265/04 "Bouanich", Slg. 2006, I-923, Rz. 32 ff.). Die §§ 23 Abs. 3 Satz 9, 10d Abs. 4 EStG machen die Feststellung von verbleibenden Verlusten aus privaten Wertpapiergeschäften jedoch nicht davon abhängig, ob die Kläger in dem Mitgliedstaat ansässig waren, in dem die Kapitalgesellschaft, deren Anteile die Kläger angeschafft und später veräußert haben, ihren Sitz hatte. Die Kläger haben auch nicht dargelegt, dass und aus welchem Grund die in Rede stehenden deutschen Einkommensteuerregelungen gegen die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs verstoßen könnten.
23b) Der Ausschluss der Verrechnung der während der Zeit der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in Frankreich erzielten Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften mit in späteren Jahren zur Zeit der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland erzielten Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften verstößt auch nicht gegen das Recht des Bürgers der EU, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieses in Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) in allgemeiner Form niedergelegte Recht hat in Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und in Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit eine besondere Ausprägung erfahren (vgl. EuGH-Urteil vom 17. Januar 2008 C-152/05 "Kommission/Deutschland", Slg. 2008, I-00039, Rz. 18).
24aa) Die Niederlassungsfreiheit ist durch die Nichtberücksichtigung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften, die nicht der beschränkten oder unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland unterlagen, im vorliegenden Fall nicht betroffen. Die Niederlassungsfreiheit umfasst nach ständiger Rechtsprechung die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten (EuGH-Urteil vom 21. Februar 2006 C-152/03 "Ritter-Coulais", Slg. 2006, I-01711, Rz. 19, m.w.N.). Die Kläger waren jedoch in den Jahren 2002 und 2003 weder in Frankreich noch – nach ihrem Umzug Ende 2004 – in Deutschland selbständig tätig. Vielmehr ging der Kläger als leitender Angestellter in Frankreich einer nichtselbständigen Tätigkeit nach und erzielte nach seiner Rückkehr nach Deutschland im sog. Vorruhestand ebenfalls Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin war weder in Frankreich noch in Deutschland berufstätig.
25bb) Die für den Kläger bedeutsame Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 EG, jetzt Art. 45 AEUV) soll die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im gesamten Gebiet der EU erleichtern und steht Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen (EuGH-Urteil in Slg. 2008, I-00039, Rz. 21, m.w.N.). Das hinsichtlich der Klägerin grundsätzlich relevante Recht auf Freizügigkeit (Art. 18 EG, jetzt Art. 21 AEUV) wird durch Bestimmungen beeinträchtigt, die einen Angehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, auch wenn diese Bestimmungen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen Anwendung finden (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2008, I-00039, Rz. 22, m.w.N.).
26(1) Es ist bereits fraglich, ob die §§ 23 Abs. 3 Satz 9, 10d Abs. 4 EStG geeignet sind, die Kläger in ihrem Recht auf Freizügigkeit nach den Art. 18 und 39 (jetzt Art. 21 und 45 AEUV) zu beeinträchtigen. Zwar benachteiligen diese nationalen Regelungen die seit Ende 2004 in Deutschland wieder unbeschränkt steuerpflichtigen Kläger, die zuvor, als sie nicht der deutschen Einkommensteuerpflicht unterlagen, Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften erwirtschafteten, gegenüber den in Deutschland unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen, die diese Verluste während ihrer deutschen Einkommensteuerpflicht erlitten haben. Ob der genannten nationalen Regelung eine abschreckende Wirkung hinsichtlich zunächst in Deutschland einkommensteuerpflichtiger Personen, denen das Recht auf Freizügigkeit zusteht und die ihren Wohnsitz aus beruflichen oder privaten Gründen lediglich vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat begründen möchten, zukommt, erscheint gleichwohl zweifelhaft.
27(a) Hinsichtlich der Entscheidung der Kläger, im September 2001 ihren Herkunftsstaat Deutschland zu verlassen und nach Frankreich zu ziehen, um dort zu arbeiten und zu wohnen, haben die Regelungen in §§ 23 Abs. 3 Satz 9, 10d Abs. 4 EStG das Recht auf Freizügigkeit der Kläger nicht beschränkt. Durch die Verlegung des Wohnsitzes nach Frankreich unterlagen sie ausschließlich dem französischen Steuerrecht und hatten in Deutschland weder Einkommensteuer auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit noch auf solche aus privaten Veräußerungsgeschäften zu entrichten. Zudem war für sie beim Wegzug aus Deutschland im September 2001 nicht absehbar, dass sie in den Jahren 2002 und 2003 negative Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielen würden.
28(b) Der Entschluss der Kläger, nach Beendigung der aktiven Berufstätigkeit des Klägers und mit Beginn der Freistellungsphase seines Vorruhestandes im Dezember 2004 von Frankreich wieder nach Deutschland zu ziehen, dürfte nicht vom Geltungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) erfasst sein. Zwar hat der Kläger auch während der Freistellungsphase Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, er übte jedoch keine berufliche Tätigkeit mehr aus. Ob der Geltungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit betroffen ist, bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da sich der Kläger, ebenso wie die Klägerin, hinsichtlich der Wohnsitzverlegung von Frankreich nach Deutschland jedenfalls auf das (allgemeine) Recht auf Freizügigkeit (Art 18 EG, jetzt Art. 21 AEUV) berufen kann.
29Der Senat erachtet es allerdings als zumindest fraglich, ob das Recht auf Freizügigkeit einer Beeinträchtigung unterliegt, wenn die nationalen Regelungen der §§ 23 Abs. 3 Satz 9, 10d Abs. 4 EStG nicht auf Personen angewendet werden, die in den Jahren der Verlustentstehung in einem anderen Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtig waren. Eine abschreckende Wirkung hinsichtlich einer Wohnsitzbegründung in Deutschland für bislang in einem anderen Mitgliedstaat lebende Steuerpflichtige kommt der Nichtanwendung der §§ 23 Abs. 3 Satz 9, 10d Abs. 4 EStG nach Meinung des Senats nämlich nicht zu. Anders als etwa bei Einkünften aus selbständiger oder nichtselbständiger Tätigkeit oder Vermietungstätigkeit handelt es sich bei privaten Veräußerungsgeschäften nicht um Einkünfte, deren Besteuerung die garantierte Grundfreiheit der Freizügigkeit behindern oder weniger attraktiv machen könnte. Gleichwohl verkennt der Senat nicht, dass der EuGH im Urteil vom 17. Januar 2008 (Slg. 2008, I-00039, Rz. 22) entschieden hat, dass § 2 Abs. 1 Satz 1 des Eigenheimzulagengesetzes wegen der Förderung nur im Inland belegener Objekte eine abschreckende Wirkung für in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen gehabt habe, die die Herstellung oder Anschaffung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken in einem anderen Mitgliedstaat beabsichtigt hätten. Anders als in der genannten Entscheidung des EuGH sind im Streitfall allerdings nicht gleichzeitig zwei Lebenssachverhalte in zwei Mitgliedstaaten (unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland und eigengenutzte Wohnung in einem anderen Mitgliedstaat) betroffen, sondern der Lebenssachverhalt "Steuerpflicht in Frankreich mit Verlusten aus Wertpapiergeschäften" war im Zeitpunkt der Verwirklichung des zweiten Sachverhalts "Steuerpflicht in Deutschland" bereits abgeschlossen.
30(2) Es bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, ob die §§ 23 Abs. 3 Satz 9, § 10d Abs. 4 EStG die Grundfreiheit der Freizügigkeit beschränken. Nach Ansicht des Senats wäre eine solche Beschränkung statthaft. Nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH können nationale Regelungen, die geeignet sind, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, statthaft sein (vgl. jeweils zur Niederlassungsfreiheit: EuGH-Urteile vom 15. Mai 2008 C-414/06 "Lidl Belgium", Slg. 2008, I-3601, Rz. 27; vom 23. Oktober 2008 C-157/07 "Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt", Slg. 2008, I-8061, Rz. 40; vom 29. November 2011 C-371/10 "National Grid Indus", Slg. 2011, 00000, Rz. 42). Eine Beschränkung der Freizügigkeit i.S. der Art. 18 und 39 EG (jetzt Art. 21 und 45 AEUV) ist dann statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, zur Erreichung des Beschränkungszwecks geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2008, I-8061, Rz. 40, m.w.N.).
31(a) Ein zwingender Grund des Allgemeininteresses besteht im vorliegenden Fall in der Beachtung des gemeinschaftlich anerkannten Territorialprinzips (vgl. Jachmann in jurisPR-SteuerR 26/2010 Anm. 2, unter C.). Wenn Deutschland den Verlustvortrag von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften davon abhängig macht, dass die Verluste in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Einkünften stehen, die der Steuerpflichtige in Deutschland erzielt hat, ist dies durch das Territorialprinzip, wie es der EuGH im Urteil vom 15. Mai 1997 (C-250/95 "Futura Participations und Singer", Slg. 1999, I-2471, Rz. 22) anerkannt hat, gerechtfertigt. Dieser Grundsatz besagt nach dem Verständnis des EuGH, dass bei der Besteuerung von Gebietsfremden nur die Einnahmen und Ausgaben zu berücksichtigen sind, die in dem Staat der Besteuerung angefallen sind, während bei Steuerinländern die weltweiten Einnahmen und Ausgaben in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden (EuGH-Urteil vom 07. September 2004 C-319/02 "Manninen", Slg. 2004, I-7477, Rz. 42). Die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften, die die Kläger in den Jahren 2002 und 2003, als sie ausschließlich in Frankreich wohnten, erzielt haben, waren mangels unbeschränkter und beschränkter Einkommensteuerpflicht nicht in Deutschland, sondern allein in Frankreich zu versteuern, sodass es gerechtfertigt ist, die erzielten Verluste nicht im Zeitpunkt der späteren unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland gesondert festzustellen.
32Eine Beschränkung, die sich aus der Nichtberücksichtigung dieser Einkünfte in späteren Jahren in Deutschland ergibt, ist nach Ansicht des Senats auch durch das Erfordernis der Kohärenz des deutschen Steuersystems gerechtfertigt. Dieser Rechtfertigungsgrund dient der Wahrung eines Zustands, in dem mehrere steuerrechtliche Vorschriften aus systematischen Gründen aufeinander bezogen sind und diese gemeinsam eine angemessene systematische Regelung darstellen. Deutschland stand in den Jahren 2002 und 2003 ein Besteuerungsrecht für die Einkünfte der Kläger aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht zu. Es ist daher kohärent, die Verluste, die in diesen Jahren entstanden sind, in späterer Zeit, in der Deutschland das Besteuerungsrecht für die dann erzielten Einkünfte zusteht, nicht zu berücksichtigen.
33Des Weiteren ist eine Beschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit durch die §§ 23 Abs. 3 Satz 9, § 10d Abs. 4 EStG zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gerechtfertigt. Bei der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten handelt es sich um ein vom EuGH anerkanntes legitimes Ziel (EuGH-Urteil in Slg. 2011, 00000, Rz. 45, m.w.N.). In Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen bleiben die Mitgliedstaaten befugt, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Besteuerungsbefugnis vertraglich oder einseitig festzulegen (EuGH-Urteil vom 18. Juli 2007 C-231/05 "Oy AA" Slg. 2007, I-6373, Rz. 52, m.w.N.). Nach Ansicht des Senats würde die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigt, wenn Personen, die nicht der Besteuerung eines Mitgliedstaats unterliegen und die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften in einem anderen Mitgliedstaat erzielt haben, Gewinne späterer Jahre, die sie wegen zwischenzeitlich begründeter Steuerpflicht im erstgenannten Mitgliedstaat versteuern müssen, mit diesen Verlusten ausgleichen könnten.
34(b) Eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit ist für die Erreichung des Ziels, nur die (negativen) Einkünfte früherer Jahre zu berücksichtigen, die dem inländischen Besteuerungsrecht unterlagen, geeignet.
35(c) Die Beschränkung geht nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Beschränkungszwecks erforderlich ist. Mangels gemeinschaftlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen bleiben die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Kriterien für die Besteuerung festzulegen, um eine Doppelbesteuerung (hier in Deutschland und in Frankreich) ggfs. im Vertragswege zu beseitigen (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2008, I-8061, Rz. 48, m.w.N.). Vorliegend kommt hinzu, dass Deutschland bereits nach nationalem Recht im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht auf die Besteuerung der (positiven und negativen) Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften verzichtet hatte (s.o. unter 1.b bb). Die Zuständigkeit für die Festlegung entsprechender Kriterien beinhaltet nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) auch, dass ein Staat für Zwecke seines eigenen Steuerrechts nicht verpflichtet sein kann, die evtl. ungünstigen Auswirkungen der Besonderheiten einer Regelung eines anderen Staates zu berücksichtigen, die dazu führt, dass ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht mit in diesem Staat zu versteuernden anderen Einkünften saldiert werden kann (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2008, I-8061, Rz. 49, m.w.N.; BFH-Urteil vom 09. Juni 2010 I R 100/09, Bundessteuerblatt II 2010, 1065, unter II.3.a, m.w.N.).
36Weder die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch das allgemeine Recht auf Freizügigkeit können nach Auffassung des Senats dahingehend verstanden werden, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, seine Steuervorschriften auf die eines anderen Mitgliedstaates abzustimmen, um in allen Situationen eine Besteuerung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen Steuerregelungen ergibt, berücksichtigt (vgl. EuGH-Urteil vom 28. Februar 2008 C-293/06 "Deutsche Shell", Slg. 2008, I-000, Rz. 42).
37Anders als in dem dem BFH-Urteil vom 09. Juni 2010 I R 107/09 (Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 230, 35) zu Grunde liegenden Fall, in dem der BFH über den Abzug eines ausländischen Betriebsstättenverlustes bei der Ermittlung des Gewinns einer in Deutschland ansässigen GmbH entschieden hat, beruht im vorliegenden Fall die Nichtberücksichtigung des Verlustes der Kläger auf einer Steuerrechtsregelung der Französischen Republik. Der Abzug der Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften scheiterte nicht – wie im BFH-Urteil in BFHE 230, 35 – daran, dass die Kläger in den Jahren 2002 und 2003 in Frankreich keine positiven Einkünfte erzielt hätten. Vielmehr durften die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften der Jahre 2002 und 2003 nach Art. 150-0 D Abs. 11 CGI nicht mit anderen positiven Einkünften der Kläger, insbesondere – was wegen der Höhe durchaus möglich gewesen wäre – nicht mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers, verrechnet werden. Die Verluste konnten lediglich mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften im jeweiligen Entstehungsjahr oder in den folgenden fünf Jahren (für 2002) oder zehn Jahren (für 2003) ausgeglichen werden. In dieser Situation besteht keine Verpflichtung Deutschlands, durch entsprechende steuerrechtliche Regelungen zu gewährleisten, dass die während der Zeit der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht der Kläger in Frankreich erzielten Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften von späteren Gewinnen aus diesen Geschäften, die der deutschen Besteuerung unterliegen, abgezogen werden können.
383. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
394. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen.