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Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 19.05.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.03.2009 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob dem Kläger Kindergeld von Januar 2006 bis Dezember 2006 für seine Tochter (*1981) zusteht.
3Der Kläger erhielt für seine Tochter Kindergeld. Die auswärtig untergebrachte Tochter studierte bis zum 30.09.2007 Wirtschaftsrecht. Daneben arbeitete sie in 2006 für eine Anwaltskanzlei Die Tochter erzielte unstreitig in 2006 die folgenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit:
Einkünfte | 11.007,00 EUR |
Fahrtkosten | ./. 1.347,00 EUR |
Rentenversicherung | ./. 965,15 EUR |
Telefonkosten (20 %) | ./. 41,00 EUR |
Notebook | ./. 267,00 EUR |
Fachzeitschrift | ./. 48,00 EUR |
Sonstige Werbungskosten | ./. 188,00 EUR |
= | 8.150,85 EUR |
Weitere Einkünfte und Bezüge erzielte die Tochter nicht.
6Die Tochter war als Studentin nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Der Kläger hatte seine Tochter daher bei einer privaten Krankenversicherung krankenversichert. Er zahlte im Jahr 2006 einen Versicherungsbeitrag in Höhe von 34,43 EUR x 12 = 413,16 EUR. Seine Tochter erstattete ihm diesen Betrag in Höhe von 401,08 EUR. Die Krankenversicherung deckte als Ergänzung zum Beihilfeanspruch des Klägers entsprechend dem Standard der gesetzlichen Krankenversicherung den existentiell notwendigen Krankenversicherungsbedarf der Tochter ab. Freiwillige Zusatzleistungen waren nicht versichert. Die Tochter zahlte zudem im Rahmen ihrer Ausbildung an der Fachhochschule im Jahr 2006 zwei Semesterbeiträge in Höhe von insgesamt 358,00 EUR. Darin waren Beiträge für ein Semesterticket in Höhe von insgesamt 209,00 EUR enthalten. Beiträge für eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung waren in dem Semesterbeitrag nicht enthalten.
7Mit Bescheid vom 19.05.2008 hob der Beklagte u. a. die Kindergeldfestsetzung vom 01.01.2006 bis zum 31.12.2006 auf und forderte zugleich das überzahlte Kindergeld in Höhe von (12 x 154,00 EUR =) 1.848,00 EUR zurück. Zur Begründung führte er an, die zu berücksichtigenden Einkünfte und Bezüge überschritten im Jahr 2006 den Betrag von 7.680,00 EUR.
8Der Kläger legte gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid am 13.06.2008 Einspruch ein. Der Kläger machte u.a. geltend, dass bei den Einkünften und Bezügen zusätzlich zu den bisher geltend gemachten Abzügen die Aufwendungen für eine private Krankenversicherung in Höhe von 401,00 EUR sowie die Semestergebühren in Höhe von 358,00 EUR zu berücksichtigen seien.
9Mit Einspruchsentscheidung vom 06.03.2009 wies der Beklagte den Einspruch hinsichtlich des streitigen Zeitraums 01.10.2006 bis 31.12.2006 als unbegründet zurück. Er führte zur Begründung aus, die Einkünfte- und Bezügegrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei überschritten. Es verblieben Einkünfte in Höhe von 8.149,85 EUR. Der Grenzbetrag in Höhe von 7.680,00 EUR sei eindeutig überschritten. Beiträge für eine private Krankenversicherung könnten nur anerkannt werden, wenn das Kind auch gleichzeitig Versicherungsnehmer sei. Hier sei die Tochter aber nicht als Versicherungsnehmer aufgeführt, sondern als versicherte Person. Auf die weitere Frage, ob Semestergebühren in Höhe von 358,00 EUR mindernd zu berücksichtigen seien, komme es infolge der Nichtberücksichtigung der Krankenversicherungsaufwendungen nicht mehr an.
10Dagegen hat der Kläger am 06.04.2009 Klage erhoben. Er hält daran fest, dass für das Jahr 2006 der maßgebliche Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680,00 EUR unterschritten sei. Ein Kind als Mitversicherter mit gesondert ausgewiesenen Beträgen der Prämien sei einem Versicherungsnehmer einer Krankenversicherung gleichzustellen. Es sei daher von folgender Berechnung auszugehen:
Einkünfte | 11.007,00 EUR |
Fahrtkosten | ./. 1.347,00 EUR |
Rentenversicherung | ./. 965,15 EUR |
private Krankenversicherung | ./. 401,00 EUR |
Telefonkosten (20 %) | ./. 40,81 EUR |
Notebook | ./. 213,00 EUR |
Semestergebühren | ./. 358,00 EUR |
Fachzeitschrift | ./. 48,00 EUR |
Werbungskosten | ./. 188,00 EUR |
= | 7.446,04 EUR |
Der Kläger beantragt,
13den Bescheid des Beklagten vom 19.05.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.03.2009 aufzuheben.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Er führt aus, die vom Kläger geltend gemachten Beiträge zu der privaten Krankenversicherung in Höhe von 401,00 EUR seien nicht bei den Einkünften und Bezügen des Kindes abzuziehen. Denn das Kind sei nicht in der Versicherungspolice als Versicherungsnehmerin aufgeführt. Die Position Semestergebühren sei nach der nunmehr geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als Werbungskosten zu berücksichtigen. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass in den Semestergebühren Kosten für ein Semesterticket enthalten seien. Eine Aufteilung der Kosten halte er gleichwohl aus Praktikabilitätsgründen nicht für erforderlich. Denn zumindest in gleicher Höhe fielen bei einem Studenten regelmäßig Fahrtkosten an, die als Werbungskosten zu berücksichtigen seien.
17Das Verfahren hat zunächst wegen des beim Bundesfinanzhof anhängigen Revisionsverfahrens unter dem Aktenzeichen III R 46/09 geruht. In diesem Verfahren ging es um die Frage, ob die im Rahmen einer Familienversicherung geleisteten Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung bei der Berechnung der Einkünfte und Bezüge auch dann abzugsfähig sind, wenn das Kind nicht als Versicherungsnehmer auftritt. Das Verfahren III R 46/09 ist durch BFH-Beschluss vom 22.07.2011, juris, ohne Entscheidung zu der hier streitigen Rechtsfrage beendet worden.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage ist begründet.
20Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung für den Streitzeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2006 zu Unrecht wegen Überschreitens des Grenzbetrags von 7.680,00 EUR nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben. Der angefochtene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 19.05.2008 ist daher insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
211. Nach § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, soweit nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr 2006 geltenden Fassung wird ein Kind u. a. nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Lebensunterhalts bestimmt sind, von nicht mehr als 7.680,00 EUR im Kalenderjahr hat. Im Streitzeitraum 2006 unterschritten die eigenen Einkünfte und Bezüge der Tochter des Klägers jedoch den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag. Denn es sind sowohl die von der Tochter gezahlten Semestergebühren (dazu unter 2.) als auch die Beiträge des Klägers zur privaten Krankenversicherung (dazu unter 3.) im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einkünftemindernd zu berücksichtigen.
222. Die Semestergebühren in Höhe von 358,00 EUR sind zumindest in der nicht auf das Semesterticket entfallenden Höhe von 149,00 EUR als (vorweggenommene) Werbungskosten einkünftemindernd zu berücksichtigen. Mit Urteilen vom 28.07.2011 VI R 7/10, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2011, 1836 und VI R 38/10, – DStR-Entscheidungsdienst – DStRE 2011, 1116 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass Aufwendungen für ein im Anschluss an das Abitur durchgeführtes Studium als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen sein können. Dies gilt unproblematisch für die nicht auf das Semesterticket entfallenden Gebühren, ohne deren Entrichtung der Besuch und damit die Nutzung der Einrichtungen einer (Fach-) Hochschule nicht möglich ist. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht mehr streitig.
233. Die Aufwendungen für die private Krankenversicherung sind zumindest in der geltend gemachten Höhe von 401,00 EUR bei der Tochter einkünftemindernd zu berücksichtigen. Dies ist zwar in der Rechtsprechung der Finanzgerichte umstritten (dazu unter a). Einem Abzug dieser Aufwendungen im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG steht aber nicht entgegen, dass sie vom Kläger und nicht von seiner Tochter entrichtet worden sind (dazu unter b).
24a) Es ist in der Rechtsprechung der Finanzgerichte umstritten, ob es sich bei den privaten Krankenversicherungsbeiträgen um unvermeidbare Beiträge handelt, die bei der Einkünfteberechnung mindernd zu berücksichtigen sind.
25aa) Nach Ansicht des Finanzgerichts München, Urteil vom 27.07.2009 9 K 2237/08, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2010, 63 ist Voraussetzung für den Abzug von Vorsorgeleistungen, dass der Leistende nicht nur die Beiträge entrichtet, sondern auch selbst schuldet. Es genügt nicht, dass der Steuerpflichtige selbst durch die Beitragszahlungen wirtschaftlich belastet ist. Er muss sie außerdem als Versicherungsnehmer geleistet haben. Nur solche Vorsorgeaufwendungen sind abziehbar, denen eine gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung des Steuerpflichtigen zu Grunde liegt. Dies gilt auch für Vorsorgeaufwendungen zu Gunsten eines gesetzlich unterhaltsberechtigten Dritten, insbesondere im Verhältnis Eltern/Kinder. Wenn das Kind die Leistungen nicht als Versicherungsnehmer erbracht habe, könnten diese nicht im Rahmen der Einkünfte- und Bezügegrenze mindernd berücksichtigt werden. Es komme daher auch nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer die Beiträge vom Kind wieder erstattet erhalte.
26bb) Nach Auffassung des Finanzgerichts Münster (FG Münster, Urteil vom 04.06.2009 3 K 840/08 Kg, EFG 2009, 1654) sowie des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.11.2010 4 K 10218/06 B, EFG 2011, 549 mit Anm. Leitner) ist § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der Weise verfassungskonform auszulegen, dass der Relativsatz "nicht zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind", nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte des Kindes zu beziehen sei. Keine Einkünfte seien danach jedenfalls diejenigen Beträge, die – wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge – von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten könnten. Unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2005 2 BvR 167/02, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – BVerfGE – 112, 164 habe der Bundesfinanzhof auch bislang Beiträge des Kindes zu einer freiwilligen gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie unvermeidbare Beiträge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung den Sozialversicherungsbeiträgen gleichgestellt und nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einbezogen (vgl. BFH-Urteile vom 16.11.2006 III R 74/05, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 216, 69, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2007, 527 und vom 14.12.2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl. II 2007, 530). Der Bundesfinanzhof habe Beiträge zur privaten Krankenversicherung insoweit als unvermeidbar angesehen, als sie eine Mindestvorsorge für den Krankheitsfall ermöglichten und nicht lediglich Beiträge für eine private Zusatzkrankenversicherung seien. Dies gelte – so das Finanzgericht Münster und das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – sowohl für den Fall, in dem das Kind selbst Versicherungsnehmer sei als auch für den Fall, dass das Kind im Rahmen einer Familienversicherung mitversichert sei. Gründe für eine Differenzierung, wie sie hier der Beklagte vornehme, also ob das Kind selbst Versicherungsnehmer sei oder ob das Kind im Rahmen einer Familienversicherung mitversichert sei, seien nicht zu erkennen. Denn in der Höhe der Beiträge für die Krankenversicherung bewirkten die Einkünfte des Kindes keine Minderung der Unterhaltsleistungen. Damit trete auch keine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Eltern ein. Es komme daher nicht darauf an, wer Versicherungsnehmer sei und ob die Beiträge von den Eltern oder dem Kind unmittelbar geleistet würden. Denn in den Fällen, in denen die Einkünfte des Kindes das Existenzminimum nach Abzug der geleisteten Zahlungen nicht überschritten, bestehe eine entsprechende zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung der Eltern.
27b) Der Senat ist – ebenso wie das Finanzgericht Münster und das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – der Auffassung, dass die vom Kläger für seine Tochter geleisteten Beiträge zur privaten Krankenversicherung bei der Frage, ob der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten wird, mindernd zu berücksichtigen sind.
28aa) Im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG werden zwar die Einkünfte und Bezüge des Kindes ermittelt. Auch ist der in dieser Vorschrift geregelte Grenzbetrag Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kindes. Dies gilt jedoch nur insoweit, als er diejenigen Eltern von der Gewährung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes ausschließt, deren Kind über Einkünfte und Bezüge in einer den Grenzbetrag übersteigenden Höhe verfügt. Übersteigen die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag, sind die Eltern durch das Kind nicht (mehr) belastet und deshalb in gleicher Weise wie ein kinderloses Ehepaar steuerlich leistungsfähig. Anders als etwa bei § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) EStG liegt deshalb der Sinn und Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht darin, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kindes – etwa zum Zwecke der gleichmäßigen Besteuerung – zu beurteilen, sondern darin, die wirtschaftliche Belastung der Eltern mit Unterhaltsleistungen für das Kind zu ermitteln und zu berücksichtigen. Dementsprechend wird mit der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes darüber entschieden, ob die Eltern einen Ausgleich ihrer durch Unterhaltsverpflichtungen geminderten finanziellen Leistungsfähigkeit erhalten (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.11.2010 4 K 10218/06 B, EFG 2011, 549). Auch das Bundesverfassungsgericht führt in diesem Sinne aus, der Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG liege darin, diejenigen Eltern von finanziellen Entlastungen durch Freibeträge und Kindergeld auszuschließen, deren Kinder über eigene Einkünfte und Bezüge in einer das zu schützende Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügen, so dass zugleich die Unterhaltspflicht der Eltern entfällt oder sich mindert. Die folgerichtige Beachtung dieses Zwecks verlangt, dass für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Bemessungsgröße für die Freigrenze die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den unterhaltspflichtigen Eltern entscheidet, denn auf deren Leistungsfähigkeit kommt es für Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen an (BVerfG, Beschluss vom 11.01.2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164). Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich darauf ab, dass bestimmte Beiträge dem Einkünfte erzielenden Kind "oder dessen Eltern" nicht zur Verfügung stehen und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten könnten (BVerfG, Beschluss vom 11.01.2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164). Auch der Bundesfinanzhof stellt in seiner Entscheidung zur Berücksichtigung von Beiträgen zu privaten Krankenversicherungen darauf ab, ob bestimmte Einkünfte die unterhaltsverpflichteten Eltern tatsächlich entlasten. Eine tatsächliche Entlastung der Eltern werde jedoch dann verfehlt, wenn die fraglichen Einkünfte durch unvermeidbare Ausgaben wie eine Krankenversicherung gebunden und daher nicht zur Bestreitung des Existenzminimums zu Verfügung stehen (BFH-Urteil vom 14.12.2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl. II 2007, 530).
29Diese Ausrichtung der Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf die Frage der Entlastung der unterhaltsverpflichteten Eltern rechtfertigt und gebietet es, Unterhaltsleistungen der Eltern an das Kind in Gestalt der Übernahme von dessen privater Krankenversicherung – vertragliche Verpflichtung und/oder Zahlung – nicht anders zu beurteilen, als Unterhaltszahlungen mit dem Zweck, dem Kind die Bezahlung seiner eigenen privaten Krankenversicherung zu ermöglichen. Es kann und darf keinen maßgeblichen Unterschied machen, ob das Kind sich selbst krankenversichert hat und die Beiträge im Rahmen des Unterhaltes von den Eltern zur Verfügung gestellt bekommt oder ob die Eltern das Kind versichern und unmittelbar die Beiträge als eigene Verpflichtung an die Versicherung abführen. Denn in beiden Fällen werden die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern und die Frage ihrer finanziellen Entlastungen durch Freibeträge und Kindergeld in derselben Weise betroffen. In beiden Fällen werden Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung des Kindes geleistet, die unvermeidbar (zwangsläufige) Aufwendungen darstellen.
30bb) Dieses Ergebnis folgt zudem aus der zivilrechtlichen Unterhaltssituation. Die für die Bemessung des Kindesunterhalts nach § 1610 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) maßgebliche Düsseldorfer Tabelle legt den jährlichen Kindesunterhalt für ein volljähriges, auswärtig untergebrachtes und studierendes Kind im Jahr 2006 auf (640,00 EUR x 12 =) 7.680,00 EUR fest (vgl. Anmerkung 7 der Tabelle). In den Unterhaltsbeträgen sind Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Studiengebühren nicht enthalten (vgl. Anmerkung 9 der Tabelle). Diese erhöhen mithin den Unterhaltsbedarf und sind, wenn das Kind Versicherungsnehmer ist, zusätzlich zu den Tabellenentgelten zu entrichten. Die Übernahme von Kosten einer Kranken- und Pflegeversicherung durch die Eltern des Kindes gehört damit zu den zivilrechtlich geschuldeten Unterhaltsleistungen (§ 1610 Abs. 2 BGB). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es jedoch verfassungsrechtlich geboten, der durch Unterhaltsleistungen für Kinder geminderten Leistungsfähigkeit der Eltern Rechnung zu tragen (vgl. hierzu BVerfG-Beschluss vom 29.05.1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60).
31cc) Dieses Ergebnis folgt weiter aus der gesetzlichen Systematik sowie dem Sinn und Zweck des § 32 Abs. 4 EStG. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 sowie Satz 2 EStG regeln die Voraussetzungen, wonach für Kinder auch nach Volljährigkeit noch Kindergeld geleistet werden kann. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass den Eltern typischerweise Unterhaltsaufwendungen entstehen, wenn das Kind z.B. noch für einen Beruf ausgebildet wird, sich zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet oder auf einen Ausbildungsplatz wartet (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG). Ob ein Kind wegen eigener Einkünfte typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen der Eltern angewiesen und deshalb nicht als Kind zu berücksichtigen ist, ist nach der gesetzlichen Regelung nicht bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 2 EStG zu ermitteln, sondern erst auf einer zweiten Stufe bei der Prüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Grenzbetrag überschreiten. Der Gesetzgeber unterstellt typisierend, dass Eltern nicht (mehr) mit Unterhaltsaufwendungen für das Kind belastet sind und ihre Leistungsfähigkeit damit derjenigen kinderloser Steuerpflichtiger entspricht, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Grenzbetrag übersteigen. Ob Unterhaltsverpflichtungen der Eltern typischerweise vorliegen, hängt nach der gesetzlichen Regelung von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes in dem gesamten Zeitraum ab, in dem sie die Voraussetzungen eines Berücksichtigungstatbestands des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG erfüllen (vgl. BFH-Urteil vom 17.06.2010 III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 682).
32Erzielt das Kind eigene Einkünfte und Bezüge in Höhe von 7.680,00 EUR und leistet daraus auf einen eigenen Krankenversicherungsvertrag monatlich Versicherungsprämien, besteht nach den Regelungen der Düsseldorfer Tabelle ein ergänzender Unterhaltsanspruch in Höhe der aufgewendeten Versicherungsbeiträge. In diesem Fall ist das Kind unterhaltsberechtigt und die Eltern sind unterhaltsverpflichtet. Es liegt insoweit eine typische Unterhaltssituation vor, die es rechtfertigt, der Belastung des Unterhaltsverpflichteten durch die Gewährung des Kindergelds Rechnung zu tragen. Diese zivilrechtliche Ausgestaltung der Unterhaltssituation führt dazu, dass die vom Kläger getragenen Aufwendungen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung mindernd im Rahmen der Einkünfte- und Bezügegrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen sind.
333. Die Einkünfte und Bezüge der Tochter des Klägers ermitteln sich daher wie folgt:
Einkünfte | 11.007,00 EUR |
Fahrtkosten | ./. 1.347,00 EUR |
Rentenversicherung | ./. 965,15 EUR |
private Krankenversicherung | ./. 401,00 EUR |
Telefonkosten (20 %) | ./. 40,81 EUR |
Notebook | ./. 213,00 EUR |
Semestergebühren (ohne Semesterticket) | ./. 149,00 EUR |
Fachzeitschrift | ./. 48,00 EUR |
Werbungskosten | ./. 188,00 EUR |
= | 7.655,04 EUR |
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
365. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 wegen Divergenz zuzulassen. Es liegt eine Divergenz zu der Entscheidung des Finanzgerichts München, Gerichtsbescheid vom 27.07.2009 9 K 2237/08, EFG 2010, 63 vor.