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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin .
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) zur Körperschaftsteuer 1996.
3Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin der vormaligen "S-AG" (AG). Für das Streitjahr wurde die AG zunächst mit Bescheid vom 19.01.1998 erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt. Hierbei wurde eine Körperschaftsteuer in Höhe von "... ... ...,.." DM (".. ... ..." EUR) festgesetzt. Unter Berücksichtigung von Steuerabzugs- und Anrechnungsbeträgen ergab sich eine verbleibende Körperschaftsteuer "... ...,.." DM ("... ...,.." EUR). Die geleisteten Vorauszahlungen von "... ..." DM ("... ..." EUR) führten zu einem Unterschiedsbetrag zu Gunsten der AG von ".. ...",00 DM (".. ... EUR), der wegen Nichtüberschreitung des Karenzzeitraums des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO nicht verzinst wurde.
4Mit Änderungsbescheid vom 01.02.2002 wurde die Körperschaftsteuer gegenüber der Klägerin (als Gesamtrechtsnachfolgerin der AG) auf ".. ... ...",00 EUR herabgesetzt. Der Herabsetzungsbetrag zu Gunsten der Klägerin von ".. ... ...",95 EUR führte unter Berücksichtigung der zuvor verbliebenen Körperschaftsteuer von "... ...",31 EUR zu einem neuen Unterschiedsbetrag zu Gunsten der Klägerin von insgesamt ".. ... ...",26 EUR. Mit Zinsbescheid vom 1.02.2002 wurden erstmalig Erstattungszinsen in Höhe von ". ... ...",00 EUR für den Zeitraum vom 1.04.1998 bis 4.02.2002 (46 Monate zu 0,5 v.H.) festgesetzt.
5Im Hinblick auf eine bei der Klägerin seit Mitte 1999 für die Wirtschaftsjahre 1995/96 bis 1997/98 laufenden Betriebsprüfung, deren Abschluss trotz der im Juli 2003 stattgefundenen Schlussbesprechung zum Jahresanfang 2005 noch nicht absehbar war, beantragte die Klägerin beim Beklagten zur Vermeidung von (weiteren) Nachzahlungszinsen die Erhöhung der Körperschaftsteuer im Umfang der sich wahrscheinlich durch die Betriebsprüfung ergebenden Nachzahlungen. Der Beklagte erhöhte daraufhin mit Bescheid vom 31.03.2005 die Körperschaftsteuer des Streitjahres auf ".. ... ...",08 EUR. Nach Ansatz von Steuerabzugs- und Anrechnungsbeträgen ergab sich eine verbleibende Körperschaftsteuer zu Gunsten des Beklagten von "... ...",06 EUR, was unter Berücksichtigung des auf Grund des Bescheides vom 01.02.2002 bereits an die Klägerin erstatteten Betrages einen Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Beklagten von ".. ... ...",01 EUR ergab. Mit dem gleichzeitig erlassenen Zinsbescheid vom 31.03.2005 setzte der Beklagte erstmals Nachzahlungszinsen in Höhe von ".. ... ...",00 EUR für den Zeitraum vom 1.04.1998 bis 4.04.2005 (84 Monate zu 0,5 v.H.) fest.
6Gegen den letztgenannten Zinsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte am 24.11.2005 auf der Grundlage des Betriebsprüfungsberichts vom 25.04.2005 die Steuerfestsetzung erneut und setzte die Körperschaftsteuer auf ".. ... ...",41 EUR herauf. Hierdurch erhöhte sich der Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Beklagten zusätzlich um ". ... ...",20 EUR, was zu einer Erhöhung der festgesetzten Nachzahlungszinsen um "... ...",25 EUR für den Zeitraum vom 1.04.1998 bis 28.11.2005 (91 Monate zu 0,5 v.H.) führte. Der geänderte Zinsbescheid wurde zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
7Am 15.12.2006 erließ der Beklagte letztmalig einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr und ermäßigte die Körperschaftsteuer auf ".. ... ...",80 EUR, was zu einem Unterschiedsbetrag zu Gunsten der Klägerin in Höhe von ". ... ..." EUR führte. Zeitgleich nahm der Beklagte eine Korrektur der Zinsfestsetzung vor und setzte Erstattungszinsen der Klägerin in Höhe von ". ... ...",00 EUR fest. Dieser Betrag resultiert aus Erstattungszinsen für den Zeitraum vom 23.05.2005 bzw. 28.12.2005 bis 18.12.2006 sowie aus einer Minderung der ursprünglich ab 1.04.1998 angesetzten Nachzahlungszinsen. Wegen der Zusammensetzung im einzelnen wird auf die Erläuterungen in der Klagebegründung vom 13.02.2008 S. 4 f. (Bl. 31 f. GA) verwiesen. Dieser Zinsbescheid wurde ebenfalls zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Mit Einspruchsentscheidung vom 30.10.2007 wies der Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück.
8Hiergegen hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, die sie wie folgt begründet:
9Die angefochtene Festsetzung von Nachzahlungszinsen sei aus verfassungsrechtlichen Gründen als rechtswidrig anzusehen, soweit sie für den Zeitraum 01.01.2003 bis 31.03.2005 den üblichen Kapitalmarktzins weit überschreite. Die Zinsbelastung mit einem Jahressatz von 6 v.H. p.a. habe sich im Streitfall über einen außergewöhnlich langen Zeitraum erstreckt. Denn mit Erlass des ursprünglich angefochtenen Zinsbescheides vom 31.03.2005 sei zu Lasten der Klägerin eine mit Beginn des Zinslaufes am 01.04.1998 eingetretene Zinsbelastung festgesetzt worden, die bei wirtschaftlicher Gesamtbetrachtung dem Grunde nach zumindest auf dem Saldo der sich seit dem Bescheid vom 31.03.2005 ergebenden Unterschiedsbeträge an Körperschaftsteuer für 1996 in Höhe von ".. ... ...",60 EUR beruhe, der sich aus der ursprüngliche Nachzahlung zum 31.03.2005 von ".. ... ...",01 EUR zuzüglich Nachzahlung zum 24.11.2005
10von ". ... ...",20 EUR abzüglich Erstattung zum 15.12.2006 von ". ... ...",61 EUR ergebe. Ab dem 01.04.1998 bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Anforderung durch Zinsbescheid vom 31.03.2005 habe sich hiernach eine Belastung für diesen Gesamtzeitraum von 84 Monaten in Höhe von ". ... ..." EUR ergeben (42 v.H. von ".. ... ...",00 EUR). Die Erhebung von Nachzahlungszinsen für den vorgenannten Zinszeitraum von sieben Jahren in der gesetzlich vorgesehenen Höhe von 6 v.H. p.a. verstoße zumindest in Höhe eines Teilbetrages gegen Grundprinzipien des deutschen Verfassungsrechts, und zwar insbesondere gegen die durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Gleichbehandlung durch willkürlich belastende Übertypisierung der gesetzlichen Verzinsungsregelungen, die unter Verfehlung des ursprünglich angestrebten Gesetzeszweck einen Zinssatz in Höhe von 6 v.H. vorsähen, obwohl der übliche Kapitalmarktzins für Geldanlagen während dieses Zeitraumes dauerhaft unterhalb von 3 v.H. gelegen habe.
11Ausweislich der Gesetzesbegründung sei es der Zweck der allgemeinen Verzinsungsregelung des § 233a AO, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (wird näher ausgeführt). Die Zinsen im Sinne des § 233a AO i.V.m. § 238 AO seien ihrer Rechtsnatur nach weder als Sanktions- oder Druckmittel noch als Strafe konzipiert, sondern vielmehr als eine laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung. Entscheidend sei, ob der jeweilige Schuldner einer Steuerforderung Zins- oder Liquiditätsvorteile erlangt habe oder doch zumindest erlangen bzw. anderweitige Zinsbelastungen habe vermeiden können, wobei aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine Abschöpfung derartiger Liquiditätsvorteile oder ein Ausgleich fiktiver Zinsnachteile erfolgen sollte.
12Der Gesetzgeber habe zur Bewältigung der steuerlichen Massenverfahren auf vereinfachende Typisierungen abgestellt und ausweislich der Gesetzesbegründung aus "Gründen der Praktikabilität” am festen Zinssatz von 6 v.H. des bei Einführung des § 233a AO bereits geltenden § 238 AO festgehalten (Hinweis auf BT-Drs. 11/2157, S. 194). Der Gesetzgeber habe damit im Interesse einer einfachen Erhebung der Zinsen den aus der Verfügung über Geldmittel herrührenden Liquiditätsvorteil typisierend bewertet und damit die Berufung auf die konkreten Umstände des Einzelfalles – wie etwa den Marktzins oder fehlende zinsgünstige Anlagemöglichkeiten – im Grundsatz ausgeblendet. Er habe es im Rahmen der Typisierung auch für ausreichend erachtet, dass die Zinsvor- und Zinsnachteile zumindest hätten entstehen können.
13Unbeschadet des Umstands, dass typisierende Regelungen naturgemäß mit Unschärfen behaftet seien, habe die "Vollverzinsung” von Anfang an an ganz erheblichen Geburtsfehlern gelitten. Dementsprechend habe die Rechtsprechung auch schon unmittelbar nach der Einführung des § 233a AO zahlreiche Schwachstellen dieser Bestimmung aufgedeckt und den auf pauschal 6 v.H. p.a. fixierten Zinssatz für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten (wird näher ausgeführt). Zwischenzeitlich hätten sich zudem sowohl die bei Schaffung der Vollverzinsung geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen wie auch die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse am Kapitalmarkt entscheidend verändert, was gerade für Nachzahlungsfälle der vorliegenden Art zu einer ganz erheblichen Zunahme der von § 233a AO ausgehenden Belastungswirkungen für den Steuerpflichtigen geführt habe.
14So hätte die Verzinsungsregelung des § 233a AO seit ihrer Einführung bereits eine dermaßen große Anzahl von Korrekturen erfahren, dass sie zu Recht als mittlerweile kaum mehr handhabbar bezeichnet werde. Der Gesetzgeber habe zahlreiche Nachbesserungen zugunsten des Fiskus vorgenommen, die Nachteile auf Seiten der Steuerpflichtigen jedoch nicht nur bestehen gelassen, sondern bei langem Zinslauf sogar noch deutlich verschärft, wie gerade der Streitfall deutlich mache. So sei die ursprüngliche zeitliche Begrenzung des maximalen Zinslaufes auf vier Jahre, mit dem insbesondere die aus Nachforderungen nach einer Betriebsprüfung resultierende Zinsbelastung in einem zumutbaren Rahmen gehalten werden sollte, mit Wirkung ab 2000 aus rein fiskalischen Gründen gestrichen worden. Zudem sei die die ursprüngliche steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsen durch Streichung von § 10 Nr. 2 KStG ab dem Veranlagungszeitraum 1999 weggefallen. Die wirtschaftliche Belastung eines Steuerpflichtigen ergebe sich damit im Ergebnis nicht nur aus der eigentlichen Zinszahlung von 6 v.H., sondern außerdem auch noch aus der steuerlichen Nichtabziehbarkeit bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer. Dieser Belastungseffekt werde durch das Zusammenwirken mit dem Wegfall der zeitlichen Begrenzung des Zinslaufs noch verstärkt und unter Beachtung des Umstands, dass Erstattungszinsen –wie vorliegend der Betrag von "... ...",09 EUR aus dem letzten Änderungsbescheid vom 16.12.2006 – von der Klägerin versteuert werden müssten, um so offensichtlicher und unverständlicher. Von einer "Ausgewogenheit" der Verzinsungsregelung im Nachzahlungs- und Erstattungsfall könne damit keine Rede mehr sein.
15Erschwerend komme hinzu, dass sich seit Einführung des § 233a AO im Jahr 1990 auch die Verhältnisse auf den Kapitalmärkten drastisch geändert hätten. So sei der Kapitalmarktzins, der 1990 noch bei rund 9 v.H. gelegen habe, bereits Mitte der 90er Jahre unter den gesetzlichen Zinssatz des § 238 AO gesunken und bewege sich spätestens ab 2003 nachhaltig unterhalb von 3 v.H. Vor diesem Hintergrund könne die zu der bis Mitte der 90er Jahre geltenden Gesetzeslage durchweg vertretene Auffassung in der Judikatur, es komme durch die Vollverzinsung zu keiner willkürlichen und übermäßig wirkenden Typisierung, heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Im jüngeren Fachschrifttum werde neben der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen vor allem auch der Zinssatz von 6 v.H. als zunehmend bedenklich angesehen. Die von der Rechtsprechung bislang vorgebrachten allgemeinen Aspekte zur Verfassungsmäßigkeit der Typisierung in § 233a AO im Interesse der möglichst einfachen Handhabung der Vollverzinsung seien nicht (mehr) geeignet, zugleich die Verfassungsmäßigkeit der typisierten Zinshöhe in Niedrigzinsphasen zu begründen. Zudem habe sich der BFH mit den möglichen Folgen des Auseinanderfallens von gesetzlich festgesetztem Zinssatz und Marktzins für die Verfassungsmäßigkeit der Norm bislang noch nicht näher beschäftigt.
16Die Klägerin sehe sich in ihrer Auffassung durch den kürzlich ergangenen Beschluss des BVerfG vom 17.11.2009 1 BvR 2192/05, DStR 2010, 434 zur teilweisen Verfassungswidrigkeit der Übergangsregelung vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfte-verfahren bestätigt: Danach stehe dem Gesetzgeber zwar eine sog. Pauschalierungs- und Typisierungsbefugnis zu, um Massenvorgänge des Wirtschaftslebens in praktikabler Form steuerlich handhaben zu können. Die steuerlichen Vorteile der Typisierung müssten jedoch im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichbehandlung der steuerlichen Belastung stehen. Zudem dürfe eine gesetzliche Typisierung als Leitbild keinen atypischer Fall wählen, sondern müsse sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren. In diesem Sinne habe das BVerfG schon in seinen Einheitswertbeschlüssen vom 22.06.1995, BStBl II 1995, 655 und 671 festgestellt, dass der Gesetzgeber die im Lauf der Zeit eintretenden nachhaltigen Veränderungen der wirtschaftlichen Realitäten nicht auf sich beruhen lassen dürfe. Eine vergleichbare Anpassungspflicht bestehe auch im Streitfall.
17Entscheidender Prüfungsmaßstab sei der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, ergänzt durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verlange Art. 3 Abs. 1 GG, dass steuererhebliche Sachverhalte nicht je nach Normadressaten willkürlich steuerlich anders behandelt würden. Sämtliche Typisierungen würden vom BVerfG konsequent einer strengen Kontrolle der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit unterworfen Vom Gesetzgeber werde insbesondere eine sachgerechte und vor allem realitätsnahe Typisierung verlangt, was nicht zuletzt auch eine Verpflichtung einschließe, eine typisierende Gesetzesnorm an veränderte Verhältnisse anzupassen. Vor diesem Hintergrund werde im Schrifttum völlig zu Recht die Vereinbarkeit des § 233a AO mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG bezweifelt, soweit es um die Anwendung der heutigen Normfassung in dauerhaften Niedrigzinsphasen gehe. Diese Zweifel würden bereits auf den bloßen Umstand gestützt, dass der Steuerpflichtige bei fehlender Möglichkeit einer anderweitigen günstigen Anlage des Nachzahlungsbetrags durch den im hier betrachteten Zeitraum schlichtweg unrealistisch hohen Zinssatz von 6 v.H. p.a. erheblich belastet werde.
18Dieser Argumentationsansatz mache nicht nur klar, wie weit sich die Lebensrealität in-zwischen von jener entfernt habe, die noch bei Einführung des § 233a AO im Jahr 1990 gegeben war. Er zeige vielmehr auch, dass in Niedrigzinsphasen der ursprünglich mit der Norm angestrebte Gesetzeszweck, der in den Zinsen eine Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung gesehen habe, objektiv nicht mehr erreichbar sei. Bei einem dauerhaften Niedrigzinsniveau am allgemeinen Kapitalmarkt von unter 3 v.H. sei eine Kapitalnutzung zum Zinssatz von 6 v.H. für den Normalanleger, den § 233a AO mit der ihm eigenen typisierenden Betrachtungsweise vor Augen habe, offenkundig nicht möglich.
19Bei dieser Betrachtung sei unerheblich, dass § 233a AO nicht allein einen Liquiditätsvorteil beim Steuerpflichtigen abschöpfen, sondern auch die auf Seiten des Steuergläubigers objektiv entstehenden Zinsnachteile ausgleichen solle. Denn auch beim Staat als Gläubiger einer Steuernachzahlung könne ein Zinsnachteil nur in jenem Umfang auftreten, wie im Falle einer früheren Verfügbarkeit des Nachzahlungsbetrags durch Anlage desselben ein Zinsertrag hätte erzielt werden können. Nach den hierbei anzulegenden objektiven Maßstäben wäre aber auch für den Staat als Anleger nur der übliche Kapitalmarktzins erzielbar gewesen. Damit sei nach den tatsächlichen äußeren Gegebenheiten ausgeschlossen, dass auf Seiten des Steuergläubigers überhaupt objektiv ein Zinsnachteil in Höhe von 6 v.H. entstehen könne. Spätestens ab 2003 sei die Unverhältnismäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes von 6 v.H. offensichtlich, da dieser Zinssatz nunmehr das Doppelte des am Kapitalmarkt objektiv maximal erzielbaren Ertrags ausmache.
20Die Belastungswirkung dieser überschießenden Typisierung werde für Fälle der vorliegenden Art, wo es um die Verzinsung einer Steuernachnachzahlung für das Jahr 1996 gehe, durch die Einführung des zeitlich unbegrenzten Zinslaufes ab 2000 sowie die bereits ab 1999 geltende Streichung des § 10 Nr. 2 KStG, die sich nicht allein bei der Körperschaftsteuer, sondern auch bei der Gewerbesteuer niederschlage, noch zusätzlich verstärkt. Diese verdeckte Steuerbelastung mache bei der Klägerin bei einem durchschnittlichen Gewerbesteuer-Hebesatz von 430 v.H. rechnerisch zusätzlich noch einmal rund 65 v.H. des gesetzlich vorgeschriebenen Zinssatzes von 6 v.H. aus. Auf diese Weise ergebe sich hier letztlich eine wirtschaftliche Gesamtbelastung von 9,9 v.H. die sich insbesondere für den Verzinsungszeitraum ab 2003 auf mehr als das Dreifache der tatsächlich erreichbaren Marktverzinsung belaufe. Diese Zusatzbelastungen machten besonders deutlich, dass in Steuernachzahlungsfällen das zulässige Maß typisierender Vorteilsabschöpfung nunmehr weit überschritten sei.
21Vor diesem Hintergrund sei die gesetzlich angeordnete Verzinsung von Steuernachzahlungen nach § 233a i.V.m. § 238 AO mit 6 v.H. p.a. mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot nicht mehr vereinbar. Selbst wenn es sich ursprünglich um eine zulässige Typisierung gehandelt haben sollte, habe der Gesetzgeber jedenfalls unter der verfassungsrechtlich verankerten Verpflichtung gestanden, die Realitätsnähe der getroffenen Regelung fortlaufend zu beobachten und Anpassungen vorzunehmen, um übermäßige Härten zu verhindern. Vor allem die zusätzlichen Verschärfungen im Rahmen des StEntlG 1999/2000/2002 und des StBereinG 1999 für Altjahre, deren Zinslauf bereits ausgelöst war, hätten den Gesetzgeber dazu bewegen müssen, die Grundregelung der § 233a i.V.m. § 238 AO an die tatsächlichen Marktverhältnisse anzupassen. Da er dies nicht getan habe, liege spätestens mit dem Eintritt in die dauerhafte Niedrigzinsphase ab dem Jahr 2003 ein verfassungswidriger Zustand vor, so weit ab diesem Zeitpunkt vom Steuerpflichtigen ein über den objektiven Marktzins von 3 v.H. p.a. (0,25 v.H. pro Monat) hinausgehender Zinsbetrag verlangt werde.
22Für den Streitfall folge hieraus, dass es den festgesetzten Nachzahlungszinsen spätestens mit Beginn des Jahres 2003 an einer verfassungsmäßig akzeptablen Rechtsgrundlage fehle, soweit der Zinssatz 3 v.H. p.a. ab diesem Zeitpunkt übersteige. Damit liege in Höhe von ". ... ...",35 EUR ein verfassungswidriger Zinsbetrag vor, der sich wie folgt errechne:
23Nachzahlungszinsen 01.04.1998 bis 31.03.2005 insgesamt . ". ... ...",00 EUR
24anteilige Zinsen für den Zeitraum 01.01.2003 bis 31.03.2005 ". ... ...",70 EUR
25maximal zulässige Zinsen (3. v.H.) vom 01.01.2003 bis 31.03.2005 ". ... ...",35 EUR
26Diesem Hauptbegehren der Klägerin sei im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der § 233a i.V.m. § 238 AO zu entsprechen.
27Die Klägerin beantragt,
28den Bescheid über die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO vom 31.03.2005 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30.10.2007 dahingehend zu ändern, dass die Nachzahlungszinsen zur Körperschaftsteuer 1996 um ". ... ...",35 EUR herabgesetzt werden;
29hilfsweise, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob und inwiefern die Erhebung von Nachzahlungszinsen in Höhe von 6 v.H. p.a. gemäß § 233a i.V.m. § 238 AO mit dem Grundgesetz, insbesondere dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem Übermaßverbot zu vereinbaren ist, wenn im maßgeblichen Zeitraum des Zinslaufes (hier: 01.01.2003 bis 31.03.2005) der objektiv durch Geldanlagen erzielbare Marktzins dauerhaft unter 3 v.H. abgesunken ist.
30Der Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Er hält unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung die angefochtene Zinsfestsetzung weiterhin für rechtmäßig. Im Übrigen hält er die Berechnungen der Klägerin für nicht nachvollziehbar. Er weist darauf hin, dass sich ausweislich eines Kontoauszugs vom 23.06.2008 (Bl. 53 GA) die bezüglich der - endgültig festgesetzten - Körperschaftsteuer für 1996 insgesamt zu entrichtenden Nachzahlungszinsen per Saldo auf lediglich ". ... ...",00 EUR beliefen. Die Auffassung der Klägerin, dass es sich bei der Rückforderung der Erstattungszinsen in Höhe von ". ... ...",00 EUR um "verkappte" Nachzahlungszinsen handele, sei unzutreffend. Der nach § 233a Abs. 5 Satz 2 AO zu verzinsende Unterschiedsbetrag im Zinsbescheid vom 31.03.2005 betrage ".. ... ...",00 EUR. Von dem sich hieraus bei einem Zinslauf vom 1.04.1998 bis 4.04.2005 ergebenden Zinsbetrag von ".. ... ...",00 EUR seien die mit Bescheid vom 1.02.2002 festgesetzten Erstattungszinsen von ". ... ...",00 EUR abgezogen worden, so dass lediglich der verbleibende Betrag von ". ... ...",00 EUR als gemäß § 233a Abs. 5 AO geänderte Zinsfestsetzung gelte. Auch bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung ergebe sich bezüglich der Höhe der festzusetzenden Zinsen nichts anderes. Die einseitige wirtschaftliche Betrachtungsweise der Zinsbelastung ohne Einbeziehung von Erstattungszinsen, die sich letztendlich auf die Zinsbelastung insgesamt ausgewirkt hätten, führe zu einer Verzerrung des Gesamtbildes. Die Rechtsnorm der Vollverzinsung des § 233a AO unterscheide bezüglich der Festsetzung nicht zwischen Erstattungs- und Nachzahlungszinsen. Es erfolge vielmehr eine Gesamtzinsfestsetzung, die im Bescheid entsprechend aufgeschlüsselt werde.
33 34E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
35Die Klage ist unbegründet.
36Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 233a AO, aus der sich die Notwendigkeit zu der von der Klägerin mit dem Hauptantrag begehrten verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift oder die Verpflichtung zur hilfsweise beantragten Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG ergeben könnte. Weder die in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Höhe des Zinssatzes von 6 v.H. p.a. noch die von der Klägerin gerügte fehlende "Ausgewogenheit" der Verzinsungsregelung in Nachzahlungs- und Erstattungsfällen stellen die Verfassungsmäßigkeit der Vollverzinsung nach § 233a AO und damit die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsfestsetzung ernstlich in Frage.
37.
381. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich bereits wiederholt mit der Verfassungsmäßigkeit des § 233a AO auseinander gesetzt und diese ausnahmslos bejaht (vgl. die Rechtsprechungsnachweise im BFH-Beschluss vom 20.06.2007 X B 116/06, BFH/NV 2007, 1705). Sie hat darauf verwiesen, dass die Entstehung des Zinsanspruchs dem Grund und der Höhe nach gemäß dem durch die Gesetzesbegründung (BTDrucks 11/2157, S. 194) bestätigten Wortsinn, dem Zusammenhang und dem Zweck des Gesetzes eindeutig unabhängig von der konkreten Einzelfallsituation geregelt ist und, rein objektiv, ergebnisbezogen allein vom Eintritt bestimmter Ereignisse, nämlich dem Fristablauf i.S. des § 233a Abs. 2 AO und dem Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 233a Abs. 3 AO abhängt.
39Der Zweck der Regelung des § 233a AO ist es, die durch nicht zeitnahe Steuerfestsetzung entstehenden Liquiditätsvorteile des Steuerpflichtigen abzuschöpfen und Zinsvor- und -nachteile auszugleichen, die sich aus der Festsetzung der Steuer zu – aus welchen Gründen auch immer – unterschiedlichen Zeitpunkten ergeben. Abgeschöpft werden soll lediglich der potentielle Liquiditätsvorteil, wobei das Gesetz diesen Liquiditäts- oder Zinsvorteil und dessen Bewertung auch deshalb typisiert, um die Berufung auf besondere Umstände des Einzelfalls auszuschließen. Ob und in welcher Höhe der Steuerpflichtige tatsächlich einen Zinsvorteil erzielt, ist damit unerheblich; es genügt die bloße Möglichkeit der Kapitalnutzung bzw. die bloße Verfügbarkeit eines bestimmten Kapitalbetrages (vgl. BFH-Beschluss vom 1.09.2008 IV B 137/07, BFH/NV 2009, 200 mit zusammenfassender Darstellung und Nachweisen der BFH-Rechtsprechung).
40Die Zinsen nach § 233a AO sind weder Sanktions- noch Druckmittel oder Strafe, sondern laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund hat die Rechtsprechung ein Verschulden und damit die Frage, ob der --typisierend vom Gesetz unterstellte-- Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Einreichung der Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen oder einer verzögerten Bearbeitung durch das FA für prinzipiell irrelevant angesehen.
41Auch die Klägerin stellt diese vom Bundesverfassungsgericht erst kürzlich in einem ausführlich begründeten Nichtannahmebeschluss vom 3.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115 ausdrücklich bestätigten Rechtsprechungsgrundsätze nicht nur nicht ernstlich in Frage. Ihre Prozessvertreter haben in der mündlichen Verhandlung zudem klar gestellt, dass sie dem Umstand, dass sich bei der Klägerin wegen der zeitaufwendigen Betriebsprüfungen regelmäßig überdurchschnittlich lange Zinslaufzeiten ergeben, wie gerade der Streitfall deutlich macht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung beimisst.
422. Der Gesetzgeber war, wie die Klägerin selbst einräumt, bei der Einführung der Vollverzinsung von Verfassungs wegen nicht gehindert, für die mit § 233a AO bezweckte Abschöpfung von Zins- und Liquidationsvorteilen einen festen Zinssatz zugrundezulegen. Er war im maßgebenden Zeitraum (2003 bis 2005) aber auch nicht zu einer Anpassung des in § 238 AO normierten Zinssatzes an veränderte Kapitalmarktverhältnisse verpflichtet. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird durch die angefochtene Zinsfestsetzung trotz des signifikant niedrigeren Zinsniveaus am Kapitalmarkt das zulässige Maß typisierender Vorteilsabschöpfung in Steuernachzahlungsfällen nicht überschritten.
43a) Das Bundesverfassungsgericht erkennt in ständiger Rechtsprechung Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen an. Die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung ist schon deshalb zu beachten, weil jede gesetzliche Regelung verallgemeinern muss. Vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (vgl. hierzu BVerfG-Urteil vom 9.12.2008 2 BvL 1/07, BFH/NV 2009, 338 mit weiteren Nachweisen).
44b) Mit der Anwendung des Zinssatzes des § 238 AO für die Abschöpfung der durch die nicht zeitnahe Steuerfestsetzung entstehenden Zins- und Liquidationsvor(-nach)teile des § 233a AO hat der Gesetzgeber von der ihm eingeräumte Typisierungsbefugnis in zulässiger Weise Gebrauch gemacht und die vom verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot gezogenen Grenzen hinreichend beachtet.
45Ausweislich der Gesetzesbegründung hat sich der Gesetzgeber bei Einführung der Vollverzinsung gerade nicht an den aktuellen Verhältnissen am Geld- und Kapitalmarkt orientiert, die nach der Tabelle zur Zinsentwicklung auf S. 12 der Klagebegründung (Bl. 39 GA) auch zum Ansatz eines höheren Zinssatzes hätte führen müssen, sondern "aus Gründen der Praktikabilität am festen Zinssatz des geltenden Rechts (§ 238 AO) festgehalten" (Gesetzesbegründung BT-Drs. 11/2157 S. 194). Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hatte der Gesetzgeber Überlegungen zu einer Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz nach § 247 BGB angestellt und mit Hinweis auf die erheblichen Ermittlungs- und Umsetzungsprobleme ausdrücklich verworfen (vgl. Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeit der Einführung einer Vollverzinsung im Steuerrecht vom 6.01.1978; BTDrucks 8/1410, S. 13).
46Die Anwendung eines einheitlichen Zinssatzes von 0,5 v.H. je Monat für sämtliche Zinstatbestände der §§ 233a bis 237 AO ist schon deshalb sachgerecht, weil sich diese Tatbestände teilweise überschneiden und der Gesetzgeber mit Einführung der Vollverzinsung vor allem auch die bestehenden Lücken in den Verzinsungsvorschriften schließen wollte (vgl. hierzu Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 233a AO Rdnr. 5). Es liegt insoweit eine typisierende Grundannahme des Gesetzgebers zur Höhe der Verzinsung vor, die auch von den Gerichten zu respektieren ist.
47c) Kam damit bereits bei Einführung der Vollverzinsung den Verhältnissen am Kapitalmarkt für die Festlegung des Zinssatzes keine erhebliche Bedeutung zu, so kann sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch die Lebensrealität in den Jahren 2003 bis 2005 nicht in entscheidungserheblicher Weise von jener entfernt habe, die noch bei Einführung des § 233a AO im Jahr 1990 gegeben war. Es trifft zwar zu, dass bei einem dauerhaften Niedrigzinsniveau am allgemeinen Kapitalmarkt von unter 3 v.H. eine Kapitalnutzung zum Zinssatz von 6 v.H. für den Normalanleger, den § 233a AO mit der ihm eigenen typisierenden Betrachtungsweise vor Augen hat, offenkundig nicht möglich ist. Der Gesetzgeber hat sich bei Festlegung des Zinssatzes jedoch gerade nicht an den Anlagemöglichkeiten des Normalanlegers am Kapitalmarkt orientiert. Es steht daher mit dem Gebot der Folgerichtigkeit in Einklang, eine mögliche Verpflichtung zur Änderung des Zinssatzes nicht von Änderungen am Kapitalmarkt abhängig zu machen.
48d) Eine mögliche Anpassungspflicht des Gesetzgebers könnte ohnehin nicht darauf gestützt werden, dass der Kapitalmarktzins ab 2003 dauerhaft unter 3 v.H. gesunken ist.
49aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich aus dem Geldmarktzins nicht der maßgebliche Vergleichsmaßstab für die Ermittlung der Liquiditätsvor- und -nachteile ableiten. Denn diese richten sich nicht ausschließlich nach dem durch Geldanlagen erzielbaren Marktzins. Für Steuerschuldner ohne verfügbare Eigenmittel bemisst sich der Liquiditätsvorteil vielmehr nach dem Zinssatz, den er für den zur Begleichung der Steuerschuld aufzunehmenden Kredit entrichten müsste. Gleiches gilt auch umgekehrt für die Bestimmung des Liquidationsnachteils des Fiskus. Denn die Überlegung, zu welchen Zinssätzen der Fiskus die nach Ablauf der Karenzzeit gezahlten Steuern bei früherer Entrichtung hätte anlegen können, war auch schon bei der im Jahre 2003 bestehenden Haushaltslage realitätsfremd. Als Vergleichsmaßstab wäre deshalb ein gemittelter Wert der Schuld- und Guthabenzinsen zugrunde zu legen, der eher über dem gesetzlichen Zinssatz liegen dürfte.
50bb) Unabhängig von der Frage der Ermittlung des zutreffenden Zinssatzes kann – jedenfalls für den maßgebenden Zeitpunkt 2003 – auch nicht von einer dauerhaften Absenkung der Zinsen am Kapitalmarkt unter 3 v.H. ausgegangen werden. Dies zeigt bereits eine Fortschreibung der Entwicklung der Zinsen für Monatsgelder, die laut Bundesbankstatistik im Monatsdurchschnitt im Jahr 2008 auf bis zu 4,88 v.H. (Oktober) angestiegen sind.
51Es kommt hinzu, dass die Entwicklung der Zinsen am Kapitalmarkt ohnehin nur bedingt prognostizierbar ist. Eine verfassungsrechtliche Anpassungsverpflichtung des gesetzlichen Zinssatzes an signifikant niedrigere Geldmarktzinsen müsste spätestens daran scheitern, dass dem Gesetzgeber keine empirisch belastbaren Daten für die hinreichend sichere Feststellung einer dauerhaften Zinssenkung zu Verfügung stehen. Der Gesetzgeber muss sich daher anders als bei der Einheitsbewertung auch nicht vorhalten lassen, er habe nicht auf die im Laufe der Zeit eintretenden nachhaltigen Veränderungen der wirtschaftlichen Lage reagiert (BVerfG-Beschlüsse vom 22.06.1995 2 BvL 37/91, BStBl II 1995, 655)
52e) Dass der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung den auszugleichenden Zinsvorteil typisierend auf 0,5 v.H. pro Monat festgesetzt und für den streitigen Zeitraum beibehalten hat, ist nach alledem rechtsstaatlich unbedenklich und führt insbesondere zu keinem Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot (vgl. BVerfG-Beschluss vom 3.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115).
533. Die von der Klägerin gerügte Unausgewogenheit der Verzinsungsregelung in Nachzahlungs- und Erstattungsfällen ist nicht geeignet, die Verfassungswidrigkeit des § 233a AO in Verbindung mit § 238 AO in Frage zu stellen.
54a) Die Abschaffung der auf 4 Jahre begrenzten Höchstdauer des Zinslaufes durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 vom 27.12.1999 führt weder zur Verfassungsmäßigkeit des § 233a AO insgesamt, noch ergibt sich hieraus von Verfassungs wegen die Notwendigkeit zur Herabsetzung des Zinssatzes des § 238 AO.
55Bereits die ursprüngliche Begrenzung des Zinslauf war kein zwingender Bestandteil der Neuregelung zu Vollverzinsung und auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht geboten. Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass der Gesetzgeber mit der Begrenzung des Verzinsungszeitraums auf 4 Jahre bei Einführung der Vollverzinsung ausdrücklich dem gerade für sie relevanten Umstand Rechnung tragen wollte, dass Außenprüfungen aus nicht von den Steuerpflichtigen zu vertretenden Gründen häufig erst lange Zeit nach Ablauf des einzelnen Steuerjahres durchgeführt werden und diese Steuerpflichtigen für die Verzinsung so gestellt werden sollen, als sei die Steuerfestsetzung aufgrund der Außenprüfung zeitnah erfolgt (BT-Drs. 11/2157 S. 195). Wenn der Gesetzgeber diese Begrenzung wieder aufgehoben hat, weil sie dazu geführt haben soll, dass Steuerpflichtige die Zinsbelastung durch Verzögerung des Prüfungsablaufs vermindern konnten (BT-Drs. 14/1514 S. 48), so mag diese Begründung nicht überzeugen (so Loose, StuW 2003, 377,380), ein Verstoß gegen das Willkürverbot ergibt sich hieraus jedoch nicht, zumal ein Gleichklang mit Erstattungsfällen besteht. Zudem räumt die Finanzbehörde die Möglichkeit ein, die zu erwartende Steuernachforderung bereits während der Außenprüfung "freiwillig" zu entrichten (vgl. BT-Drs. 14/1514 S. 48 und AEAO zu § 233a Tz. 70), und erlässt die nach Eingang der freiwilligen Zahlungen anfallenden Nachzahlungszinsen regelmäßig aus Billigkeitsgründen.
56b) Das Abzugsverbot für Nachzahlungszinsen in § 10 Nr. 2 KStG 2002 berührt die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 233a AO ebenfalls nicht. Kommt es für die typisierende Erfassung der Liquiditätsvor- und -nachteile nicht darauf an, ob derartige Vor- und Nachteile tatsächlich eingetreten sind, so kann die abstrakte und/oder konkrete steuerliche Behandlung der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für die Beurteilung der Sachgerechtigkeit und Folgerichtigkeit dieser Vorschrift erst recht keine Rolle spielen. Es wäre eher umgekehrt als Verstoß gegen das Prinzip der Folgerichtigkeit zu werten, für die typisierend ermittelten Zinsvor- und -nachteile unterschiedliche Zinssätze anzuwenden, die sich an der konkreten steuerlichen Belastung orientieren.
57Die Frage eines Gleichheitsverstoßes stellt sich zudem ausschließlich bei Prüfung des Abzugsverbots für Nachzahlungszinsen, das nicht Gegenstand der angefochtenen Zinsfestsetzung ist. Nur klarstellend weist der Senat darauf hin, dass sämtliche Ertragsteuersenate des BFH in ständiger Rechtsprechung verfassungsrechtliche Bedenken wegen der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen verneinen. Auch der Körperschaftsteuersenat des BFH hat das Abzugsverbot für Nachzahlungszinsen in § 10 Nr. 2 KStG 2002 kürzlich ausdrücklich für verfassungsgemäß und den mit ihm verfolgten Zweck als sachlich begründet angesehen (Urteil vom 6.10.2009 I R 39/09, BFH/NV 2010, 470).
584. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
595. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Zwar hat der BFH die Verfassungsmäßigkeit des § 233a AO wiederholt bestätigt. Bislang hat er jedoch zur Frage der Bestimmung des maßgebenden Marktzinses und dem von der Klägerin für verfassungsrechtlich bedenklich gehaltenen längerfristigen Auseinanderfallen des gesetzlichen Zinssatzes des § 238 AO und des Marktzinses zumindest nicht ausdrücklich Stellung genommen.