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Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 vom 25. März 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 werden dahingehend abgeändert, dass die Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 15.840,60 EUR (2005) bzw. 14.915,80 EUR (2006) gemindert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der festzusetzenden Steuerbeträge wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 1/4 und der Beklagte zu 3/4.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist, ob die Nutzung eines betrieblichen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG – mit 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer pro Monat oder mit 0,002 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer pro Einzelfahrt anzusetzen ist.
3Die Kläger wurden in den Streitjahren 2004 bis 2006 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als Vorstand der A AG mit Sitz in A-Stadt . Die Arbeitgeberin stellte dem Kläger ein Dienstfahrzeug zur Verfügung, das auch für private Zwecke genutzt werden konnte (§ 4 Ziffer 2 des Anstellungsvertrags vom 8. Oktober 2004).
4Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung bei der A AG stellte das Finanzamt B-Stadt fest, dass der Kläger von November 2004 bis September 2005 einen Mercedes-Benz S400 CDIL (amtliches Kennzeichen: XX-YY 11) sowie von Oktober 2005 bis Dezember 2006 einen Mercedes Benz S500 (amtliches Kennzeichen: XX-YY 22) für Privatfahrten genutzt und die Arbeitgeberin den geldwerten Vorteil nach der sog. 1 %-Regelung ermittelt sowie der Lohnsteuer unterworfen hatte. Ein Nutzungswert für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (0,03 %-Regelung) sei hingegen nicht erfasst worden. Demnach seien noch Beträge i. H. v. 5.385 EUR (2004), 32.462 EUR (2005) bzw. 32.910 EUR (2006) zu erfassen. Dabei ging die Lohnsteueraußenprüfung von Listenpreisen der PKW i. H. v. 105.600 EUR (XX-YY 11) bzw. 107.000 EUR (XX-YY 22) sowie einer Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und seiner Arbeitsstätte von 85 km aus. Auf die Prüfungsmitteilung des Finanzamts B-Stadt vom 11. Dezember 2007 samt Anlagen wird Bezug genommen.
5Auf der Grundlage der Prüfungsmitteilung erließ das beklagte Finanzamt am 25. März 2008 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung – AO – geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2006 und erhöhte die Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit wie folgt:
2004 | 2005 | 2006 | |
Private PKW-Nutzung (1 %-Regelung) | 2.112,00 EUR | 12.714,00 EUR | 12.840,00 EUR |
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (0,03 %-Regelung) | 5.385,60 EUR | 32.420,70 EUR | 32.742,00 EUR |
Insgesamt zu versteuern | 7.497,60 EUR | 45.134,70 EUR | 45.582,00 EUR |
Bisher versteuert | 2.112,00 EUR | 12.672,00 EUR | 12.672,00 EUR |
Zu versteuernde Differenz | 5.385,60 EUR | 32.462,70 EUR | 32.910,00 EUR |
Gegen die Änderungsbescheide legten die Kläger rechtzeitig Einspruch ein. Zur Begründung überreichten sie ein Fahrtenbuch für den Zeitraum November 2004 bis März 2007 und beantragten, den Sachbezug auf der Grundlage des Fahrtenbuchs zu ermitteln. Hilfsweise trugen sie unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 4. April 2008 (VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) vor, dass es für die Ermittlung des Zuschlags nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG in gleicher Weise wie für den Werbungskostenabzug darauf ankomme, ob und in welchem Umfang das Dienstfahrzeug tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werde. Da dem in § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG als Zuschlag vorgesehenen Ansatz von 0,03 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die typisierende Annahme zugrunde liege, dass der Dienstwagen monatlich an 15 Tagen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werde, im Streitfall aber eine geringere Nutzung (2005: 92 Tage, 2006: 98 Tage) vorliege, sei die Nutzung des Dienstwagens für die einzelnen Fahrten nach dieser Grundannahme mit 0,002 % des Listenpreises je Entfernungskilometer zu bewerten.
8Durch Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2004 unter Berücksichtigung zusätzlicher Werbungskosten des Klägers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (für 38 Fahrten) auf 113.991 EUR herab, wies den Einspruch wegen Einkommensteuer 2004 im Übrigen aber als unbegründet zurück. Die Einsprüche wegen Einkommensteuer 2005 und 2006 wurden vollumfänglich als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte aus, das vorgelegte Fahrtenbuch sei nicht ordnungsgemäß. Es biete keine hinreichende Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der im Fahrtenbuch enthaltenen Angaben. Es enthalte Eintragungen, die im Widerspruch zu Unterlagen der Arbeitgeberin des Klägers stünden. Die Eintragungen seien mit den Daten der Tankkartenfirmen verglichen worden. Letztere wiesen Betankungen an Orten auf, an denen sich das Fahrzeug nach den Angaben im Fahrtenbuch zum jeweiligen Zeitpunkt nicht habe befinden können. Auf die entsprechende Aufstellung auf Seite 5 der Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen. Zusätzlich ziehe sich seit dem 5. Dezember 2004 ein Rechenfehler durch das Fahrtenbuch, der beim Ablesen der folgenden Kilometerstände habe auffallen müssen. Weiterhin habe der Kläger nach den Angaben im Fahrtenbuch im Jahr 2004 22 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durchgeführt, obgleich im Einspruchsverfahren vorgetragen worden sei, der Kläger habe entsprechende Fahrten an 38 Tagen vorgenommen.
9Mangels eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs sei die Privatnutzung und die Nutzung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 EStG mit pauschalen Nutzungswerten anzusetzen. Dabei sei unerheblich, ob und wie oft das Kfz im Kalendermonat tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werde. Der Ansatz des pauschalen Nutzungswerts hänge allein davon ab, dass der Arbeitnehmer das Kfz für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzen könne. Der Monatswert sei deshalb auch dann anzusetzen, wenn das Kfz nicht durchgängig für solche Fahrten genutzt werde. Denn nach dem Gesetzeswortlaut und -zweck komme es allein darauf an, ob der Arbeitnehmer die objektive Möglichkeit habe, das betriebliche Kfz auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu nutzen. Bereits die Verfügbarkeit des Kfz führe zu dem geldwerten Vorteil. Es entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen, entgegen dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG eine Einzelbewertung der Fahrten entsprechend § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG vorzunehmen. § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG sei eine Typisierung, die der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens diene. Mit einer über die Fahrtenbuchmethode hinausgehenden Einzelbewertung der Fahrten würde der typisierende und vereinfachende Charakter der Regelung zunichte gemacht und der Gesetzesvollzug erschwert. Das von den Klägern angeführte BFH-Urteil vom 4. April 2008 (VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) sei gemäß dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 23. Oktober 2008 (BStBl I 2008, 961) über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Im Übrigen komme eine Einzelbewertung nach der Argumentation der Kläger für das Jahr 2004 bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Fahrzeug an mehr als 15 Tagen im Monat für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt worden sei.
10Die Kläger haben am 8. Juli 2009 Klage erhoben, mit der sie sich zunächst gegen die pauschale Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der privaten PKW-Nutzung sowie die Höhe des Sachbezugs für die Nutzung des PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG gewendet haben. Nachdem sie ihr auf Anerkennung des Fahrtenbuchs gerichtetes Begehren in der mündlichen Verhandlung am 12. Juli 2010 nicht mehr weiter verfolgt haben, tragen sie nunmehr wie folgt vor:
11Der vom Beklagten angesetzte geldwerte Vorteil für die Nutzung des PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei überhöht. Der Zuschlag nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG (0,03 %-Regelung) komme nur zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutze. Die gesetzliche Typisierung gehe dabei davon aus, dass das Fahrzeug an 15 Tagen im Monat (0,002 % pro Tag) für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werde. Werde dem Arbeitnehmer ein Dienstwagen auch für diese Fahrten überlassen, bestehe ein Anscheinsbeweis für eine entsprechende Nutzung. Die Entkräftung des Anscheinsbeweises sei nicht auf die Fälle beschränkt, in denen dem Arbeitnehmer die Nutzung des Dienstwagens für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte arbeitsrechtlich untersagt sei. Werde der zur Nutzung überlassene PKW nur selten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verwendet, sei der geldwerte Vorteil nicht monatlich mit der 0,03 %-Regelung zu erfassen, vielmehr sei jede Fahrt auf der Grundlage der 0,002 %-Regelung zu bewerten (BFH-Urteil vom 4. April 2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887).
12Der Kläger sei in den Streitjahren vorwiegend auswärts tätig gewesen und habe die Zentrale in A-Stadt an nicht mehr als zwei Tagen pro Woche aufgesucht. Er sei für das Beteiligungsmanagement der A AG im In- und Ausland zuständig gewesen und habe ein Franchise-System in NRW aufgebaut und ein solches in einem anderen Bundesland ausgebaut. Dabei habe er vor Ort geeignete Standorte gesucht, Standortanalysen erstellt und Einstellungsgespräche mit Franchise-Partnern geführt. Daneben sei er für den Aufbau neuer Eigenmarken zuständig gewesen. Er habe insbesondere Brauereien in C-Stadt, D-Stadt und E-Stadt betreut. Weiterhin sei er "Verbindungsoffizier" zur zu einer großen Einkaufsgenossenschaft gewesen, was es erforderlich gemacht habe, deren Zentrale in F-Stadt wöchentlich aufzusuchen. Zudem habe seine Tätigkeit im Bereich der Personalbeschaffung monatliche Abstimmungen mit der Firma B in G-Stadt erfordert. Schließlich habe ihm die Filialverantwortung im Großraum H-Stadt/Niederrhein oblegen, die monatliche Abstimmungsprozesse mit den Bezirksleitern vor Ort erforderlich gemacht habe. Dementsprechend könne ein geldwerter Vorteil für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte allenfalls für zwei Tage pro Woche angesetzt werden.
13Die Kläger beantragen,
14die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2006 vom 25. März 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 dahingehend abzuändern, dass für die Nutzung des Firmenwagens für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur die tatsächlich durchgeführten Fahrten mit 0,002 % des Listenpreises je Entfernungskilometer angesetzt werden sowie
15die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,
16hilfsweise, die Revision zuzulassen.
17Der Beklagte beantragt,
18das Verfahren zum Ruhen zu bringen,
19hilfsweise, die Klage abzuweisen,
20hilfsweise, die Revision zuzulassen.
21Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 Bezug.
22Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Sitzungsniederschriften vom 24. Februar und 12. Juli 2010, sowie der beigezogenen Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24I. Die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe (§ 155 der Finanzgerichtsordnung – FGO – in Verbindung mit § 251 der Zivilprozessordnung – ZPO –) liegen nicht vor, da die Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt bzw. dem Antrag des Beklagten nicht zugestimmt haben. Auch eine Aussetzung des Verfahrens analog § 74 FGO kommt im Hinblick auf beim BFH anhängige Musterverfahren zu einfachgesetzlichen Rechtsfragen grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 74 FGO Rn. 14).
25II. Die Klage ist weitgehend begründet.
26Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 vom 25. März 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2009 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, soweit der geldwerte Vorteil des Klägers aus der Nutzung des dienstlichen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für jeden Kalendermonat mit 0,03 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung bemessen worden ist und nicht für jede Einzelfahrt mit 0,002 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Hingegen ist der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
271. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 EStG alle geldwerten Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Auch die unentgeltliche bzw. verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zum Lohnzufluss (BFH-Urteile vom 6. November 2001 VI R 62/96, BFHE 197, 142, BStBl II 2002, 370; vom 7. November 2006 VI R 19/05, BFHE 215, 256, BStBl II 2007, 116, und VI R 95/04, BFHE 215, 252, BStBl II 2007, 269). Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG gilt für die private Nutzung eines betrieblichen Kfz zu privaten Zwecken § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entsprechend. Danach ist die private Nutzung eines Kfz, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Kann das Kfz auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werden, erhöht sich der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG für jeden Kalendermonat um 0,03 % des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 8 Abs. 2 Satz 3 EStG). Der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 EStG kann hingegen mit dem auf die private Nutzung und die Nutzung zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entfallenden Teil der gesamten Kfz-Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Kfz insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten Fahrten und der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden (§ 8 Abs. 2 Satz 4 EStG).
282. Das Fahrtenbuch des Klägers erfüllt die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch im Hinblick auf die von der Lohnsteueraußenprüfung festgestellten – vom Kläger zumindest nicht vollständig beseitigten – Widersprüche zwischen den Abrechnungen der Tankkartenfirmen und den Fahrtenbucheintragungen nicht. Dies ist zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig. Daher kann der Sachbezug nicht nach § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG mit dem auf die private Nutzung und die Nutzung zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entfallenden Teil der gesamten PKW-Aufwendungen angesetzt werden, vielmehr gelten die Regelungen des § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 EStG.
293. Der Beklagte hat den geldwerten Vorteil aus der Nutzung des PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG im Hinblick auf die Streitjahre 2005 und 2006 allerdings zu Unrecht für jeden Kalendermonat mit 0,03 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung bemessen. Anzusetzen sind für jede Einzelfahrt 0,002 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer. Hingegen bleibt es für das Streitjahr 2004 bei der Anwendung der 0,03 %-Regelung.
30a) Nach dem BFH-Urteil vom 4. April 2008 (VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) liegt dem in § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG als Zuschlag vorgesehenen Ansatz von 0,03 % des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die typisierende Annahme zugrunde, dass der Dienstwagen monatlich an 15 Tagen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt wird. Die Nutzung des Dienstwagens für die einzelnen Fahrten sei nach dieser Grundannahme je Entfernungskilometer mit 0,002 % des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG zu bewerten. Dies entspreche der Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG zur Bewertung der Nutzung des Dienstwagens zu Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung. Im Gegensatz zur Regelung für Familienheimfahrten in § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG führe § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG aber dazu, dass der Zuschlag für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unabhängig von der Anzahl der tatsächlich mit dem Dienstwagen durchgeführten Fahrten zu ermitteln sei. Die auf der Einnahmenseite vorgenommene Typisierung stehe damit im Widerspruch zur Grundannahme der für die Ausgabenseite geltenden Pauschalierung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F., die eine fahrtbezogene Ermittlung des Werbungskostenabzugs vorsehe. § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG werde seinem Zweck als Korrekturposten zum pauschalen Werbungskostenabzug jedoch nur dann gerecht, wenn die dem Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. zugrundeliegende Typisierung auch bei der Ermittlung des Zuschlags nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG folgerichtig umgesetzt werde. Dies gelte jedenfalls in den Fällen, in denen die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte regelmäßig nur einmal in der Woche durchgeführt werden und die tatsächliche Nutzung des Dienstwagens damit zu Lasten des Arbeitnehmers von der Grundannahme des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG abweiche, dass der Dienstwagen monatlich an 15 Tagen für derartige Fahrten genutzt werde. Die in § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG vorgesehene Erhöhung des geldwerten Vorteils aus § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG sei daher in diesem Fall – in teleologischer Reduktion der Vorschrift – dergestalt vorzunehmen, dass eine Einzelbewertung der mit dem Dienstwagen durchgeführten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in entsprechender Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 5 EStG erfolge.
31b) Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung, an deren Beachtung sich der Beklagte durch den Nichtanwendungserlass vom 23. Oktober 2008 (BStBl I 2008, 961) gehindert sieht. Dies hat zur Konsequenz, dass der geldwerte Vorteil des Klägers aus der Nutzung des Dienstfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in den Streitjahren 2005 und 2006 je Einzelfahrt mit 0,002 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung angesetzt werden kann. Denn der Kläger hat nach den Eintragungen in seinem Fahrtenbuch im Jahr 2005 nur 92 Fahrten und im Jahr 2006 nur 98 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durchgeführt. Dies ist vom Beklagten nicht bestritten worden. Wenngleich die Anzahl der Fahrten – im Schnitt ca. acht pro Monat bzw. zwei pro Woche – die der BFH-Entscheidung zugrunde liegende Anzahl von einer Fahrt pro Woche überschreitet, erscheint es gerechtfertigt, die zuvor zitierte Rechtsprechung auch im Streitfall anzuwenden. Denn auch insofern liegt eine erhebliche Abweichung von der gesetzlichen Typisierung – 15 Fahrten pro Monat – vor. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist davon jedenfalls in den Fällen auszugehen, in denen die tatsächlich durchgeführten monatlichen Fahrten die Hälfte der der gesetzlichen Typisierung entsprechenden Anzahl von Fahrten, d.h. sieben bis acht Fahrten pro Monat, nicht überschreiten. Dementsprechend wird in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung eine Einzelbewertung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei einer Anzahl von 25 bis 37 Fahrten p.a. (Urteil des Hessischen FG vom 16. März 2009 11 K 3700/05, DStRE 2009, 1490, Rev. unter VI R 54/09), 61 bis 68 Fahrten p.a. (Urteil des Niedersächsischen FG vom 11. Mai 2009 4 K 355/08, juris, Rev. unter VI R 55/09) sowie 100 Fahrten p.a. (Urteil des FG Köln vom 22. Oktober 2009 10 K 1476/09, EFG 2010, 408, Rev. unter VI R 57/09) befürwortet.
32c) In Anwendung dieser Grundsätze ist allerdings eine Einzelbewertung der im Jahr 2004 vom Kläger durchgeführten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht angezeigt. Nach den Eintragungen im Fahrtenbuch hat der Kläger im November 2004 zwölf und im Dezember 2004 zehn Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unternommen. Im Einspruchsverfahren wurden die im Jahr 2004 durchgeführten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 38 beziffert. Diese Werte übersteigen den Rahmen, innerhalb dessen der Senat eine Abweichung von der gesetzlichen Typisierung für gerechtfertigt hält (bzw. liegen über der gesetzlichen Annahme von 15 Fahrten pro Monat). Zwar ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass sich selbst unter Einbeziehung der im Jahr 2004 durchgeführten Fahrten in die im Streitzeitraum angefallenen Gesamtfahrten der Durchschnittswert von ca. 8 Fahrten pro Monat nicht (wesentlich) erhöht. Zudem kann die in den Monaten November und Dezember 2004 gesteigerte Zahl an Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte damit erklärt werden, dass der Kläger seine Dienststelle erst zum 1. November 2004 angetreten hatte und daher in diesem Monaten eine erhöhte Präsenz in der regelmäßigen Arbeitsstelle in A-Stadt erforderlich gewesen sein dürfte. Der Senat hält im Streitfall jedoch zumindest eine jahresweise Differenzierung für erforderlich. Dies entspricht dem der BFH-Entscheidung vom 4. April 2008 (VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887) zugrunde liegenden Gedanken, wonach im Fall der Abweichung von der gesetzlichen Typisierung eine Einzelbewertung und gerade keine Durchschnittsbetrachtung zu erfolgen hat. Ob darüber hinaus auch innerhalb eines Jahres auf die in den einzelnen Monaten durchgeführten Fahrten abzustellen ist, kann im Streitfall offen bleiben, da die Anzahl der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte innerhalb der einzelnen Streitjahre keinen erheblichen monatsweisen Schwankungen unterworfen ist.
33d) Im Ergebnis sind die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wie folgt mit 0,002 % des Listenpreises je Entfernungskilometer einzeln zu bewerten:
2005 Januar bis September Oktober bis Dezember | 65 Tage x 85 km x 0,002 % x 105.600 EUR 27 Tage x 85 km x 0,002 % x 107.000 EUR | 11.668,80 EUR 4.911,30 EUR 16.580,10 EUR |
2006 | 98 Tage x 85 km x 0,002 % x 107.000 EUR | 17.826,20 EUR |
Dabei legt der Senat die Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung zugrunde, wonach der Kläger von November 2004 bis September 2005 den Mercedes-Benz S400 CDIL (amtliches Kennzeichen: XX-YY 11) sowie von Oktober 2005 bis Dezember 2006 den Mercedes Benz S500 (amtliches Kennzeichen: XX-YY 22) genutzt hat. Dies steht zwar im Widerspruch zu den Eintragungen im Fahrtenbuch des Klägers, wonach der Fahrzeugwechsel am 16. März 2006 stattgefunden haben soll. Die Kläger haben jedoch auf eine weitergehende Substantiierung und Glaubhaftmachung ihres dahingehenden Vortrags verzichtet. Im Übrigen decken sich die Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung mit einer entsprechenden Auftragsbestätigung der Firma Mercedes-Benz für die Limousine S500 vom 6. Juli 2005 (Einkommensteuerakte des Beklagten ab 2006).
36Dementsprechend sind die Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit wie folgt zu vermindern:
2005 | 2006 | |
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach der 0,03%-Regelung | 32.420,70 EUR | 32.742,00 EUR |
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach der 0,002%-Regelung | 16.580,10 EUR | 17.826,20 EUR |
Differenz | 15.840,60 EUR | 14.915,80 EUR |
III. Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Steuerbeträge auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Kläger sind im Hinblick auf ihr Klagebegehren, die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einzeln zu bewerten, nur geringfügig unterlegen (Streitjahr 2004). Im Hinblick darauf, dass die Kläger ihr – nicht beziffertes – Begehren, die private PKW-Nutzung sowie die Nutzung des PKW zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit den anteiligen tatsächlichen Aufwendungen laut Fahrtenbuch anzusetzen, in der mündlichen Verhandlung fallen gelassen haben (und der Beklagte insoweit obsiegt hat), verschiebt sich die Quote jedoch zu ihren Lasten. Der Senat hält daher eine Kostentragungsquote von 1/4 (Kläger) zu 3/4 (Beklagter) für gerechtfertigt.
40Der Ausspruch über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
41Die Revision war im Hinblick auf die Rechtsfragen, ob bei jährlich 98 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine erhebliche Abweichung von der Typisierung des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG gegeben ist (vgl. auch die zuvor zitierten Revisionsverfahren) sowie welcher Zeitraum (Monat, Jahr, mehrere Jahre) der Beurteilung dieser Abweichung zugrunde zu legen ist, wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) bzw. zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) zuzulassen.