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Der Bescheid vom 8. Juli 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Strittig ist, ob der Kläger Anspruch auf Kindergeld für seine 2004 und 2006 geborenen Kinder aufgrund deutscher Rechtsvorschriften hat.
3Der Kläger, der bis Ende August 2008 bei einer deutschen AG beschäftigt war (Kindergeldakte - KG-Akte - Bl. 66), bezog bis einschließlich Oktober 2007 Kindergeld für seine minderjährigen Töchter (KG-Akte Bl. 24 f.). Am 7. November 2007 teilte er der seinerzeit zuständigen Familienkasse mit, dass er am 15. September 2007 mit seinen Kindern und der Kindesmutter, nach Belgien verzogen sei. Die Kindesmutter sei seit dem 5. Juli 2007 in den Niederlanden erwerbstätig (KG-Akte Bl. 12). Die Familienkasse stellte daraufhin die Zahlung des Kindergeldes mit Wirkung ab November 2007 ein.
4Mit Schreiben vom 22. Januar 2008 forderte sie den Kläger u. a. auf, die Höhe der möglichen Familienleistungen in Belgien und in den Niederlanden ab Juli 2007 und die Dauer seines Beschäftigungsverhältnisses in Deutschland nachzuweisen. Die niederländische Sozialversicherungsbehörde (Sociale Verzekeringsbank) teilte zu dieser Aufforderung mit, dass der Kläger Erziehungsurlaub genommen habe. Da dieser sich an eine Beschäftigung anschließe, sei der Zeitraum des Erziehungsurlaubs wie eine Lohnersatzleistung zu behandeln, die wiederum der Ausübung einer Berufstätigkeit gleichstehe. Es bestehe daher in Deutschland nach Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie ihre Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (DVO [EWG] Nr. 574/72) i. V. m. Nr. 2 Buchstabe b Ziffer iii des Beschlusses Nr. 207 der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 7. April 2006 (2006/442/EG, ABl. EU Nr. L 175/83) ein Anspruch auf Kindergeld. Die deutsche Familienkasse könne lediglich eine Erstattung in Höhe der Hälfte des in den Niederlanden bestehenden Anspruchs auf Kindergeld für die Kinder des Klägers durch den niederländischen Träger der Familienleistungen verlangen (KG-Akte Bl. 15). Der Kläger selbst teilte am 3. März 2008 unter Vorlage einer Bescheinigung der AG vom 19. Juni 2007, in dem diese dem Antrag auf Elternzeit vom 4. Juni 2007 bis zum 31. Mai 2008 zustimmte, mit, dass er nach wie vor dort beschäftigt sei und keinerlei Lohn oder Lohnersatzleistung beziehe (KG-Akte Bl. 20 f.).
5Nach Abgabe der Sache durch die Familienkasse an die Beklagte bat diese den Kläger u. a. um einen Nachweis, dass er während der Elternzeit in mindestens einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert sei. Die Beklagte ging dabei in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass sich die Frage, ob ein Anspruchsvorrang in Deutschland oder in den Niederlanden bestehe, danach entscheide, ob der Kläger in Deutschland sozialversichert sei (KG-Akte Bl. 29 f.). Der Kläger teilte dazu unter Vorlage einer Meldebescheinigung zur Sozialversicherung für das Jahr 2006 mit, dass die AG noch eine Bescheinigung übermitteln werde. Seine Beschäftigung dort werde wegen Verlängerung der Elternzeit voraussichtlich weiter ruhen (KG-Akte Bl. 31 f.). Die AG bescheinigte dem Kläger in einem Nachweis vom 9. Mai 2008, dass er in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit stehe (KG-Akte Bl. 33).
6Die Beklagte bat daraufhin noch um einen Nachweis über eine Sozialversicherung ab Oktober 2007 (KG-Akte Bl. 34). Der Kläger erklärte dazu in einem neuen Antrag auf Kindergeld vom 26. Juni 2008, dass er nicht in Deutschland sozialversichert sei (Ziff. 8 Buchstabe b). Grund dafür sei der elternzeitbedingte Wechsel in die Krankenversicherung seiner Ehefrau in den Niederlanden. Ergänzend erklärte der Kläger dazu Folgendes: "Ich bin über meine Frau in Holland familienversichert, aber bei einer belgischen Versicherung über E-106 Formular." Der Antwort beigefügt war ein in Belgien ausgestellter Sozialversicherungsnachweis, nach dem der Kläger dort als in den Niederlanden Krankenversicherter sich bei einer belgischen Krankenkasse ("Christelijke Mutualiteit") angemeldet hatte (KG-Akte Bl. 38 ff.).
7Die Beklagte hob durch Bescheid vom 8. Juli 2008 die Festsetzung des Kindergeldes ab Oktober 2007 auf und forderte das für Oktober 2007 gezahlte Kindergeld zurück. Sie begründete diese Entscheidung damit, dass ein vorrangiger Kindergeldanspruch in den Niederlanden bestehe, weil die Kindesmutter dort erwerbstätig sei, der Kläger dagegen mangels Versicherung in mindestens einem Zweig der sozialen Sicherheit in Deutschland im Inland nicht als erwerbstätig angesehen werden könne. Er sei vielmehr über die Kindesmutter in den Niederlanden familienversichert.
8Der Kläger legte dagegen am 5. August 2008 Einspruch ein, den die Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008, in der sie an ihrer Rechtsauffassung festhielt, als unbegründet zurückwies (KG-Akte Bl. 57 ff.).
9Die Sociale Verzekeringsbank teilte der Beklagten mit Schreiben vom 10. September 2008 mit, dass sie die Begründung in der Einspruchsentscheidung für unzutreffend halte. Die Bundesagentur für Arbeit vertrete in einem Rundschreiben vom 14. März 2003 selbst die Auffassung, dass es für die Arbeitnehmereigenschaft während einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Kinderbetreuungszeit nicht darauf ankomme, ob Erziehungsgeld bezogen werde oder das Arbeitsverhältnis beendet worden sei (KG-Akte Bl. 61 ff.). Im Anschluss daran legte der Kläger mit Schreiben vom 16. September 2008 erneut "Einspruch" gegen die Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 ein. Er verwies darauf, dass das Beschäftigungsverhältnis mit der AG am 31. August 2008 beendet worden sei. Seit dem 1. September 2008 arbeite er für einen belgischen Arbeitgeber. Der Kläger bat unter Hinweis auf das Schreiben der Socialen Verzekeringsbank vom 10. September 2008 um Zahlung von Kindergeld für seine beiden Kinder. Die Beklagte verwarf diesen Einspruch unter Hinweis auf § 348 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) durch Einspruchsentscheidung vom 18. September 2008 als unzulässig (KG-Akte Bl. 70 f.).
10Mit seiner Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen die in der Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 vertretene Rechtsauffassung, deren Richtigkeit durch das Schreiben der Socialen Verzekeringsbank vom 10. September 2008 widerlegt werde. Es bestehe daher ein vorrangiger Kindergeldanspruch in Deutschland.
11Die Beklagte hat nach einem richterlichen Hinweis die Einspruchsentscheidung vom 18. September 2008 aufgehoben und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Kläger hat sich dieser Erklärung nicht angeschlossen.
12Er beantragt sinngemäß,
13den Bescheid vom 8. Juli 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 aufzuheben.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
17Entscheidungsgründe
18I. Die Klage ist zulässig.
191. Der Kläger hat die Klage fristgerecht erhoben.
20Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom 8. Juli 2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008. Dies ergibt sich sowohl aus dem als neuerlicher Einspruch behandelten Schreiben des Klägers vom 16. September 2008 als auch aus dem Schriftsatz vom 13. Oktober 2008, mit dem er ausdrücklich Klage erhoben hat. Mit diesem Schriftsatz macht der Kläger zweifelsfrei deutlich, dass er sich nicht nur gegen die Einspruchsentscheidung vom 18. September 2008 wendet, sondern auch gegen die Sachentscheidung, durch die die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2007 aufgehoben wurde.
21Die Frist für die Klage betrug einen Monat; sie begann mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 (§ 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 galt, weil sie ins Ausland übermittelt wurde, nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 365 Abs. 1 AO einen Monat nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Sie lässt zwar nicht erkennen, wann sie abgesandt wurde. Selbst wenn dies aber der Tag war, auf den sie datiert ist, erfolgte die Bekanntgabe frühestens am 22. September 2008, weil der 20. September 2008 auf einen Samstag fiel (§ 108 Abs. 1, 3 AO, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches BGB-; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, Bundessteuerblatt II 2003, 898). Die Klagefrist begann daher am 23. September 2008 (§ 54 Abs. 1 FGO) und endete gemäß § 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und § 188 Abs. 2 BGB am 22. Oktober 2008. Der Kläger hat die Klage aber bereits am 16. Oktober 2008 und damit rechtzeitig erhoben. Es kann somit dahinstehen, ob nicht schon der neuerliche "Einspruch" vom 16. September 2008 als Klage hätte behandelt und an das Gericht weitergeleitet werden müssen.
222. Das Rechtschutzbedürfnis des Klägers für das Aufrechterhalten des Klagebegehrens ist nicht dadurch entfallen, dass die Beklagte die den neuerlichen Einspruch als unzulässig verwerfende Einspruchsentscheidung vom 18. September 2008 aufgehoben hat. Da sich das Begehren des Klägers nicht nur darauf richtete, dass diese Einspruchsentscheidung aufgehoben wird, sondern er zugleich eine sachliche Prüfung des Bescheides vom 08. Juli 2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 begehrt, wurde seinem Klageziel durch die Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. September 2008 nicht vollständig entsprochen.
23II. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 8. Juli 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 20. August 2008 waren nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen. Der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine Töchter ist nicht dadurch entfallen, dass er Elternzeit zur Erziehung seiner Tochter genommen hat, weil er während dieser Zeit gemäß § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Satz 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der Arbeitslosen- und in der Rentenversicherung versichert war.
241. a) Der Kläger gehörte auch ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ohne unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 2 oder § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach seinem Wegzug nach Belgien so lange zum Kreis der in § 62 Abs. 1 EStG aufgeführten Anspruchsberechtigten, als er aufgrund der Elternzeit in der inländischen Arbeitslosen- und Rentenversicherung versichert war. Dies ergibt sich aus den der Vorschrift des § 62 Abs. 1 EStG vorgehenden Regelungen des Art. 1 Buchstabe a, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h, Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a, 73, 75 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO [EWG] Nr. 1408/71), Art. 10 Abs. 3 DVO (EWG) Nr. 574/72 und Nr. 2 Buchstabe b Ziffer iii des Kommissionsbeschlusses Nr. 207 vom 7. April 2006.
25Diese überstaatlichen Vorschriften sehen als Rechtsfolgen vor, dass ein Arbeitnehmer auch dann den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates unterliegt, wenn er in einem anderen Staat seinen Wohnsitz hat (Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a VO [EWG] Nr. 1408/71), und lösen eine Anspruchskonkurrenz für ein und dasselbe Kind aufgrund von Ansprüchen beider Elternteile wegen der Zugehörigkeit zu den Sozialversicherungssystemen zweier Mitgliedstaaten in der Weise auf, dass Kindergeld von dem Mitgliedstaat zu zahlen ist, der den höheren Leistungsbetrag vorsieht. Die hierfür entscheidende Voraussetzung, dass der Kläger auch während der Elternzeit in mindestens einem Zweig der deutschen Sozialversicherung versichert war, ist im Streitfall gegeben.
26Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) vom 5. Dezember 2006 haben Arbeitnehmer Anspruch auf Elternzeit, wenn sie mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst betreuen und erziehen. Dies traf auf beide Töchter des Klägers zu, wobei der Anspruch des Klägers auf Elternzeit nur für das 1. Kind bestand, weil es während der Elternzeit vom 4. Juni 2007 bis zum 31. August 2008 das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, das 2. Kind es dagegen bereits am 2. Juli 2007 vollendete (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BEEG). Die Elternzeit konnte auch vom Kläger allein genommen werden (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BEEG).
27Der Kläger blieb aufgrund der Elternzeit gemäß § 26 Abs. 2a SGB III in der Arbeitslosenversicherung versichert; zugleich wurde die Elternzeit gemäß § 56 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt (vgl. dazu auch Schlegel in Eicher/ Schlegel, SGB III, § 26 Rn. 83 bis 108).
28Nach § 26 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 SGB III sind Personen in der Zeit, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, versicherungspflichtig, wenn sie unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger, weil er bis zur Zustimmung der AG zur Elternzeit aufgrund seines dortigen Beschäftigungsverhältnisses, das durch die Elternzeit nicht beendet wurde, sondern lediglich ruhte, in der gesetzlichen Sozialversicherung versichert war. Die AG hat dem Kläger deshalb zu Recht bescheinigt, dass er während der Elternzeit in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit stand. Da der Kläger seine Tochter allein erzogen hat, war auch nur er in der Arbeitslosenversicherung versichert (§ 26 Abs. 2a Satz 3 SGB III) und war die Erziehungszeit gemäß § 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI auch nur ihm rentenversicherungsrechtlich zuzurechnen. Da er vor der Elternzeit in der Bundesrepublik Deutschland eine Beschäftigung ausgeübt hatte, steht die Erziehung in Belgien zudem der Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleich (§ 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI).
29Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist es unerheblich, dass der Kläger in den Niederlanden über die Kindesmutter mitversichert war. Diese Versicherung bezieht sich nicht auf Ansprüche in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung, sondern besteht nur für den Krankheitsfall. Der Kläger hat zwar im Kindergeldantrag vom 26. Juni 2008 angekreuzt, dass er wegen seiner Erwerbstätigkeit in Deutschland nicht sozialversichert sei. Er hat dies aber durch den Zusatz "Elternzeit v(or). Wechsel in KKV d. Frau in Holland/Belgien" dadurch eingeschränkt, dass sich die Mitversicherung nur auf die Krankenversicherung beziehe. Nur dies entspricht auch dem allgemeinen Prinzip, dass eine Familienmitversicherung im Bereich der Krankenversicherung üblich ist, nicht aber im Bereich der Renten- und Arbeitslosenversicherung, in denen jeder Versicherte - bis auf eine Hinterbliebenenversorgung in der Rentenversicherung - nur eigene Ansprüche erwirbt.
30Der Kläger war damit während der Elternzeit in zwei Versicherungen der deutschen gesetzlichen Sozialversicherung versichert. Er war folglich Arbeitnehmer i. S. von Art. 1 Buchstabe a Ziffer i VO (EWG) Nr. 1408/71, sodass die VO (EWG) Nr. 1408/71 während dieser Zeit auf ihn anzuwenden war (Art. 2 Abs. 1 VO [EWG] Nr. 1408/71). Nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h VO (EWG) Nr. 1408/71 gilt sie auch für Familienleistungen und somit für das Kindergeld. Der Kläger unterlag daher nach Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a VO (EWG) Nr. 1408/71 ungeachtet seines Wegzugs nach Belgien bis Ende August 2008 weiterhin den deutschen Rechtsvorschriften über das Kindergeld. Dass er die Merkmale des § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht erfüllte, ist angesichts des Vorrangs der VO (EWG) Nr. 1408/71 gegenüber den inländischen Vorschriften unerheblich (vgl. auch Bundestags-Drucks. 16/1889, 18 u. 27 zu § 1 Abs. 1 und § 15 BEEG; Urteil des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 7. Juni 2005 in der Rechtssache C-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-05049; Nr. 2 Buchstabe b Ziffer iii des Kommissionsbeschlusses Nr. 207 vom 7. April 2006). Jede andere Auslegung des § 62 Abs. 1 EStG stünde nicht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht. Dieses verbietet es, dass Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten, weil sie das ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit ausüben (vgl. EugH-Urteil vom 20. Mai 2008 in der Rechtssache C-352/06, Bosmann, Slg. 2008, I0327). Vielmehr sind nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 dann, wenn die Familienangehörigen des Arbeitnehmers so zu behandeln sind, als hätten sie ihren Wohnsitz im Beschäftigungsstaat, Familienleistungen vom zuständigen Träger des Beschäftigungsstaats zu gewähren. Dies ist im Streitfall die Beklagte.
31b) Die weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld für die Töchter des Klägers liegen ebenfalls vor. Bei den Töchtern handelt es sich um Kinder i. S. von § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG). Die Kindesmutter hat auch jeweils der Bestimmung des Klägers zum Kindergeldberechtigten gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG zugestimmt.
322. Dem Kindergeldanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass auch die Kindesmutter aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in den Niederlanden nach niederländischem Recht Anspruch auf Kindergeld für die Töchter hat. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, der den inländischen Kindergeldanspruch für den Fall ausschließt, dass ein Kindergeldanspruch für das Kind im Ausland besteht, wird durch die vorrangige Regelung in Art. 10 Abs. 3 DVO (EWG) Nr. 574/72 verdrängt.
33Art. 10 Abs. 3 DVO (EWG) Nr. 574/72 bestimmt für den Fall, dass nach Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 Familienleistungen für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen von zwei Mitgliedstaaten geschuldet werden, der zuständige Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften den höheren Leistungsbetrag vorsehen, diesen ganzen Betrag auszahlt, der ihm dann von dem zuständigen Träger des anderen Mitgliedstaates zur Hälfte zu erstatten ist, wobei der nach den Rechtsvorschriften des letzteren Mitgliedstaates vorgesehene Leistungssatz die obere Grenze bildet.
34Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 regelt, dass ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates unterliegt, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates hat, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten. Damit wird gewissermaßen ein Wohnsitz der Familienangehörigen im Beschäftigungsstaat fingiert, sodass es nach innerstaatlichem Recht nicht zum Anspruchsausschluss für den Fall kommt, dass die Familienangehörigen ihren Sitz nicht im Beschäftigungsstaat haben. Art. 73 VO (EWG) Nr. 1408/71 ist im Streitfall anwendbar, weil die Kinder des Klägers nicht in einem Beschäftigungsstaat (Bundesrepublik Deutschland bzw. Niederlande), sondern im Wohnsitzstaat (Belgien) wohnen.
35Die Kindesmutter hat zwar aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in den Niederlanden einen Anspruch auf Kindergeld nach niederländischen Rechtsvorschriften (vgl. MISSOC-Tabelle Niederlande). Das Kindergeld für nach dem 1. Januar 1995 geborene, noch keine sechs Jahre alten Kinder betrug in den Niederlanden bis zum Juni 2008 jedoch lediglich 187,41 Euro je Quartal, d. h. 62,47 Euro monatlich und ab Juli 2008 193,73 Euro je Quartal, d. h. 64,57 Euro monatlich. Das Kindergeld in Deutschland belief sich dagegen im Streitzeitraum für das erste und zweite Kind auf jeweils 164 Euro monatlich. Damit sind die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 3 DVO (EWG) Nr. 574/72 von Oktober 2007 bis August 2008 erfüllt, sodass die Beklagte im Außenverhältnis gegenüber dem Kläger zur Zahlung des Kindergeldes in der begehrten Höhe verpflichtet ist und lediglich vom niederländischen Sozialversicherungsträger - wie von diesem auch bereits angeboten - eine Erstattung nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 3 DVO (EWG) Nr. 574/72 für diesen Zeitraum verlangen kann (ebenso DA 206.5 der Dienstanweisung zur Durchführung der über- und zwischenstaatlichen Vorschriften –DAüzV-, abgedruckt bei Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach D Abschn. IV).
36Die Festsetzung des Kindergeldes durfte somit nicht bereits ab Oktober 2007, sondern erst ab September 2008 aufgehoben werden. Es besteht daher auch kein Erstattungsanspruch gegenüber dem Kläger für Oktober 2007, weil das Kindergeld für diesen Monat nicht ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde.
37Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.