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Auf die Berufung des Klägers gegen das am 20. Januar 2021 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 26 O 79/20 – wird das angefochtene Urteil abgeändert und die Beklagte wird verurteilt,
1.
es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern, zu unterlassen,
vor oder bei Abschluss des Produkts „A“ inhaltsgleicher Versicherungsverträge, die nachfolgenden wiedergegebenen oder inhaltsgleichen Klauseln zu verwenden und/oder
sich gegenüber Versicherungsnehmern, die das Produkt „A“ oder inhaltsgleicher Versicherungsverträge abgeschlossen haben, auf die nachfolgend wiedergegebenen oder inhaltsgleichen Klauseln zu berufen,
sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht:
„10.2 Dauer und Ende des Vertrages
…
Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr, wenn nicht Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres eine Kündigung in Schriftform zugegangen ist.
…
Bei einer Vertragsdauer von mehr als drei Jahren kann der Vertrag schon zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres gekündigt werden; die Kündigung muss Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres zugegangen sein.
…“,
2.
a. dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, welchen Verbrauchern, mit denen ein Versicherungsvertrag „A“ bestand, sie Schreiben in Gestalt der Anlage K 6 übermittelt hat, wobei
b. die Auskunft in Form einer Auflistung der Verbraucher gemäß lit. a. zu erfolgen hat, die nach Postleitzahlen – und innerhalb dieser Postleitzahlen nach Straßennamen – und innerhalb dieser Straßennamen nach Hausnummern – und innerhalb dieser Hausnummern nach Nachnamen – und innerhalb dieser Nachnamen nach Vornamen sortiert ist,
c. die Auskunft nach Wahl der Beklagten gegenüber dem Kläger selbst oder gegenüber einem Angehörigen der zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufe zu erfolgen hat, der im Fall der Nichteinigung von der Präsidentin/dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln bestimmt wird, und
d. die mit der Auskunftserteilung verbundenen Kosten die Beklagte trägt,
3.
a. für die Empfänger der Erstmitteilungen gem. Nr. 2.a binnen zwei Wochen nach Erteilung der Auskunft gem. Nr. 2.c individualisierte Berichtigungsschreiben mit dem hervorgehobenen Titel „Richtigstellung zu Ihrer A“ folgenden Inhalts zu erstellen:
„Sehr geehrte/r Frau/Herr ...,
mit Schreiben vom [Datum der Erstmitteilung] haben wir Ihnen mitgeteilt, dass wenn Sie nicht den Vertrag umstellen, wir Ihre A bedingungsgemäß zur nächsten Hauptfälligkeit kündigen und Ihr Versicherungsschutz damit erlischt.
Wir stellen richtig:
Ihr Versicherungsschutz erlischt nicht, wenn Sie den Vertrag nicht umstellen. Wir sind nicht berechtigt, die A bedingungsgemäß zur nächsten Hauptfälligkeit zu kündigen. Satz 2 und Satz 4 der Klausel 10.2 der Versicherungsbedingungen der A ist unwirksam. Wir werden uns in Zukunft Ihnen gegenüber nicht auf diese Klausel berufen.“
Mit freundlichen Grüßen
Ihre B AG“,
b. mit dem Vorbehalt zugunsten der Beklagten, in dem Berichtigungsschreiben hinzuzufügen, dass sie zu dieser Erklärung verurteilt worden ist, wobei sie das Urteil im Einzelnen bezeichnen darf, und
c. der Verpflichtung der Beklagten, die mit der Herstellung der Berichtigungsschreiben verbundenen Kosten zu tragen, sowie
d. die Versendung der Berichtigungsschreiben gem. Nr. 3.a an die Empfänger gem. Nr. 2.a innerhalb von vier Wochen nach Erteilung der Auskunft gem. Nr. 2.c wie folgt durchzuführen:
Erstellung vorbereiteter Berichtigungsschreiben gem. vorstehend Nr. 3.a für alle Empfänger gem. vorstehend Nr. 2.a, wobei die Berichtigungsschreiben nach Postleitzahlen - und innerhalb dieser Postleitzahlen nach Straßennamen - und innerhalb dieser Straßennamen nach Hausnummern - und
innerhalb dieser Hausnummern nach Nachnamen - und innerhalb dieser Nachnamen nach Vornamen sortiert werden, und
e. die mit Versendung der Berichtigungsschreiben verbundenen Kosten zu tragen, sowie
4.
an ihn einen Betrag in Höhe von 321,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Mai 2020 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich der Ziffern 1 bis 3 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 EUR abwenden, sofern nicht der Kläger vor einer Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zur Vollstreckung anstehenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger als in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener Verein verlangt von der Beklagten im Hinblick auf das von ihr in den Jahren 2006 bis 2010 vertriebene Produkt einer „A“ die Unterlassung, sich auf eine Kündigungsregelung in den nach Maßgabe der Präambel der „Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer A (BB A)“ (GA 30) ebenso wie die BB A in die Verträge einbezogenen „Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB)“ zu berufen, nach der die Beklagte den Versicherungsvertrag von sich aus jährlich kündigen kann. Ferner verlangt der Kläger von der Beklagten Auskunft darüber, welchen Verbrauchern gegenüber, mit denen sie eine „A“ abgeschlossen hat, sie sich auf ein entsprechendes Kündigungsrecht berufen hat, und diesen Verbrauchern gegenüber Richtigstellung sowie die Erstattung von Abmahnkosten.
4Die streitige, gleichlautend auch in der Vorgängerregelung AUB 2000 enthaltene Klausel findet sich für Vertragsschlüsse ab dem 1. Januar 2008 unter Ziffer 10.2 der AUB 2008.
5Ziffer 10 der AUB 2008, überschrieben mit „Die Versicherungsdauer“ lautet auszugsweise:
610 |
Wann beginnt und wann endet der Vertrag? Wann ruht der Versicherungsschutz bei militärischen Einsätzen? |
10.1 |
Beginn des Versicherungsschutzes Der Versicherungsschutz beginnt zu dem im Versicherungsschein angegebenen Zeitpunkt […] |
10.2 |
Dauer und Ende des Vertrages Der Vertrag ist für die im Versicherungsschein angegebene Zeit abgeschlossen. Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr, wenn nicht Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres eine Kündigung zugegangen ist. Bei einer Vertragsdauer von weniger als einem Jahr endet der Vertrag, ohne dass es einer Kündigung bedarf, zum vorgesehenen Zeitpunkt. Bei einer Vertragsdauer von mehr als 5 Jahren kann der Vertrag schon zum Ablauf des 5. Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres gekündigt werden, die Kündigung muss Ihnen oder uns spätestens 3 Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres zugegangen sein. Der Versicherungsvertrag endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person das 75. Lebensjahr vollendet. Sind zwei oder mehr Personen über einen Versicherungsvertrag versichert, so endet der Versicherungsschutz, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit der Hauptfälligkeit, die auf die Vollendung des 75. Lebensjahres der zu versichernden Person folgt. Ab diesem Zeitpunkt entfällt der für diese Person zu zahlende Beitragsteil. |
10.3 |
Kündigung nach Versicherungsfall Den Vertrag können Sie oder wir durch Kündigung beenden, wenn wir eine Leistung erbracht oder Sie gegen uns Klage auf eine Leistung erhoben haben. […] |
10.4 |
Ruhen des Versicherungsschutzes bei militärischen Einsätzen […]. |
In den BB A heißt es auszugsweise:
81 Präambel
9Die A ist eine eigenständige Leistungsart im Rahmen der Unfall-Versicherung, die allein oder in Kombination mit anderen Unfallleistungsarten abgeschlossen werden kann. Diese Leistungsart – A – gilt immer als eigenständiger Vertrag.
10Es gelten die Bestimmungen der allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen AUB 2008, abweichende Regelungen sind im Folgenden beschrieben.
111.1 Was ist versichert und wann sind die Leistungen fällig?
121.1.1 Leistungsfälle
13Die A unterscheidet vier Leistungsfälle:
14Den Eintritt des Leistungsfalles
15- nach einem Unfall ( Ziffer 2),
16- nach definierter Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit bestimmter Organe bzw. definierter Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten als Folge einzelner bestimmter Krankheiten und durch Unfall (Organkonzept (Ziffer 3)),
17- Verlust einzelner, definierter Grundfähigkeiten (Ziffer 4) und
18- nach Feststellung einer Pflegestufe gemäß Sozialgesetzbuch (Ziffer 5).
19Die Leistung wird als Rente gezahlt.
20Der Eintritt des Leistungsfalles muss vor der Hauptfälligkeit liegen, die der Vollendung des 65. Lebensjahres folgt.
21Eine Leistung kann es gleichzeitig nur einmal aus einem der vier Leistungsfälle geben.
221.1.2 Dynamisierung der Rentenleistung
23Die anerkannte Leistung (Rente) steigt jährlich um 1,5 % jeweils zum 1.1. eines jeden Jahres, erstmals zum
241.1. des zweiten auf den Rentenbeginn
25folgenden Jahres.
26[…].
271.2 Welche Personen sind nicht versicherbar?
28[…]
291.3 Wann endet der Vertrag?
30Der Vertrag zur A endet – in Abweichung zu Ziffer 10.2 AUB 2008 – ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person das 65. Lebensjahr vollendet oder nach Zahlung der ersten Rentenleistung.
311.4 […].
32Im Jahr 2018 entschied die Beklagte die mehr als 17.000 bestehenden Verträge über eine A nicht fortzuführen. Sie wandte sich an Versicherte mit Schreiben wie folgt (GA 82):
33„Sie haben bei B eine A abgeschlossen. Die Versicherung schützt Sie vor den finanziellen Folgen dauerhafter Beeinträchtigungen von körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie bei Pflegebedürftigkeit. Damit haben Sie seinerzeit eine wichtige und richtige Entscheidung für Ihre persönliche Absicherung getroffen. B möchte auch weiterhin sehr gerne Ihr Partner für diese Absicherung sein. Dazu müssen Sie jetzt allerdings einmalig aktiv werden.
34Aufgrund des medizinischen Fortschritts steigen die Kosten in Ihrem Tarif Jahr für Jahr erheblich an. Das anhaltende niedrige Zinsniveau führt ferner zu immer größeren Herausforderungen bei der Finanzierung lebenslanger Renten, wie sie in der A vereinbart sind. Dies führt dazu, dass wir unser Leistungsversprechen in diesem Tarif nicht mehr aufrechterhalten können. Deshalb können wir die A nicht weiter in unserem Produktsortiment führen.
35Um Ihren Versicherungsschutz zu wahren, haben wir eine passende Lösung für Sie: Unsere neue Existenzschutz Versicherung bietet umfassenden Schutz gegen die finanziellen Folgen, die bei Invalidität durch schwere Krankheiten, Unfall und bei Pflegebedürftigkeit entstehen. Darüber hinaus gewähren wir Ihnen als treuen Kunden für den Abschluss der Existenzschutz Versicherung wesentliche Erleichterungen und Vergünstigungen. Mehr zu den Leistungen der Existenzschutz Versicherung und zu den vereinfachten Abschlussmöglichkeiten erfahren Sie auf der Rückseite dieses Briefes.
36Was ist nun zu tun? Sie haben 2 Möglichkeiten:
371. Sie entscheiden sich für die Umstellung Ihres Versicherungsschutzes auf die Existenzschutz Versicherung. Schicken Sie uns dazu einfach den beigefügten Umstellungsantrag unterschrieben zurück.
2. Sie wollen den Vertrag nicht umstellen. In diesem Fall müssen wir Ihre A bedingungsgemäß zur nächsten Hauptfälligkeit kündigen. Ihr Versicherungsschutz erlischt damit.
Entscheiden Sie sich für die Fortführung Ihres Versicherungsschutzes bei B! Profitieren Sie mit unserer Existenzschutzversicherung auch weiterhin von starken Leistungen im Fall der Fälle. Gerne können Sie sich bei Fragen zu Ihrer Vertragsumstellung an Ihren persönlichen Betreuer unter […] wenden. Handeln Sie bis zum 15.08.2018, um auch für die Zukunft bestens geschützt zu sein!“
41Im Jahr 2019 versandte die Beklagte weitere Schreiben gemäß einem von ihr vorgelegten Muster (GA 223):
42„Umstellung Ihrer A
43[…]
44Sie haben sich […] für die A (A) von B entschieden, um sich gegen die finanziellen Folgen von schweren Krankheiten und Unfällen abzusichern.
45Als Versicherung müssen wir die Leistungsfähigkeit unserer Produkte kontinuierlich sicherstellen und auf Veränderungen am Markt reagieren. Seit der Markteinführung vor 12 Jahren haben sich die Rahmenbedingungen so stark verändert, dass die A den Marktbedingungen heute nicht mehr ausreichend gerecht wird. Bereits seit 2010 bieten wir die A nicht mehr an und haben uns nun dazu entschieden, die bestehenden Verträge nicht mehr fortzuführen. Natürlich möchten wir Ihnen auch weiterhin zu attraktiven Konditionen den richtigen Schutz bieten und haben daher die A zu einem Produkt weiterentwickelt, das zu den heutigen Gegebenheiten passt.
46Für Sie steht ab sofort mit der Existenzschutzversicherung (ESV) das Nachfolgeprodukt der A bereit. Wir sind überzeugt, dass wir damit eine hervorragende Lösung anbieten können, die den hohen Erwartungen unserer Kunden entspricht. So haben wir z.B. die Leistungsauslösender im Sinne unserer Kunden gesenkt, sodass bereits früher Leistungen erbracht werden. Weitere Informationen zur ESV – auch im direkten Vergleich zur A – erhalten Sie auf der Rückseite.
47Ein Wechsel in die ESV erfolgt im Rahmen der Umstellungsaktion ohne erneute Gesundheitsprüfung. Allerdings ist der Wechsel mit einer Anpassung Ihrer Prämie verbunden. Für Ihre versicherte Rente […] bezahlen Sie aktuell […] Nach Umstellung auf die ESV steigt der Betrag auf […].
48Sehr geehrte/r […], was ist nun zu tun?
491. Sie möchten mehr zum Wechsel in die ESV erfahren? Ihr Kundenberater […] Ein Wechsel in die ESV ist bis zum […] möglich!
502. Sie entscheiden sich bis zum […] für einen Wechsel in die ESV? […] Sobald Ihr neuer Antrag bei uns vorliegt, besteht von Ihrer Seite kein Handlungsbedarf mehr.
513. Ein Wechsel in die ESV kommt für sie nicht in Frage? In diesem Fall können wir den Vertrag leider nicht fortführen und müssen, unter Einhaltung der vertraglichen Fristen, von unserem Kündigungsrecht zur nächsten Hauptfälligkeit Gebrauch machen. Selbstverständlich gelten bis zu diesem Zeitpunkt sämtliche Leistungsversprechen und Vertragsbedingungen.
52[…].“
53Mit Schreiben vom 7. Mai 2019 (GA 85 ff.) verlangte der Kläger von der Beklagten, es zu unterlassen, sich im Zusammenhang mit der A auf ein Kündigungsrecht gemäß der Klausel zu Ziffer 10.2. AUB 2008 zu berufen, und verlangte unter Fristsetzung die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Die Beklagte reagierte unter dem 20. Mai 2019 (GA 98) ablehnend.
54Der Kläger hat die Ansicht vertreten, bei der A handele es sich um eine eigene Vertragsart als Versicherung zur Existenzsicherung, die neben der Unfallversicherung auch Leistungen wie bei einer „Dread-Disease-Versicherung“ (im Fall schwerer Krankheiten) und eine Grundfähigkeitsversicherung (bei Verlust von Grundfähigkeiten) sowie Leistungen nach Feststellung einer Pflegestufe umfasse. Sie sei damit – entsprechend der Bewerbung durch die Beklagten als günstige und flexible Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung, deren Unterschied in der etwas abgespeckten Leistung bestehe, dafür, weil nicht berufsbezogen, eine umfassendere Absicherung gewährleiste, – einer Berufsunfähigkeitsversicherung vergleichbar, nicht aber einer Unfallversicherung. Aus Sicht des Verbrauchers handele es sich um eine Ver-sicherung eigener Art mit dem Ziel, die Existenzsicherung im Falle einer Erwerbsunfähigkeit zu gewährleisten. In Bezug auf die beanstandete, als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehende Klausel bestehe ein Unterlassungsanspruch aus §§ 1, 2, 3 Abs. 1 UKlaG in Verbindung mit § 307 BGB. Die Klausel benachteilige den Vertragspartner in unangemessener Weise, sie sei mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen in §§ 177 Abs. 1, 176, 171, 166 VVG eines eingeschränkten Kündigungsrechts des Versicherers nicht zu vereinbaren und überraschend. Wesentliche, sich aus der Natur des Vertrages ergebende Rechte des Verbrauchers, würden soweit eingeschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks, die Existenzsicherung des Versicherungsnehmers, gefährdet sei. Die Klausel benachteilige den Versicherungsnehmer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen, weil dieser im Falle der Kündigung durch den Versicherer während der Vertragslaufzeit möglicherweise keinen neuen vergleichbaren Vertrag zur Absicherung seiner Existenz mehr finde.
55Der Kläger hat beantragt,
56die Beklagte zu verurteilen,
571.
58es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern, zu unterlassen,
59vor oder bei Abschluss des Produkts „A“ inhaltsgleicher Versicherungsverträge, die nachfolgend wiedergegebenen oder inhaltsgleiche Klauseln zu verwenden und/oder
60sich gegenüber Versicherungsnehmern, die das Produkt „A“ oder inhaltsgleiche Versicherungsverträge abgeschlossen haben, auf die nachfolgend wiedergegebenen oder inhaltsgleiche Klauseln zu berufen,
61sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht:
62„10.2 Dauer und Ende des Vertrages
63…
64Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr, wenn nicht Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres eine Kündigung in Schriftform zugegangen ist.
65…
66Bei einer Vertragsdauer von mehr als drei Jahren kann der Vertrag schon zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres gekündigt werden; die Kündigung muss Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres zugegangen sein.
67…“,
682.
69a. dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, welchen Verbrauchern, mit denen ein Versicherungsvertrag „A“ bestand, sie Schreiben in Gestalt der Anlage K 6 übermittelt hat, wobei
70b. die Auskunft in Form einer Auflistung der Verbraucher gemäß lit. a. zu erfolgen hat, die nach Postleitzahlen – und innerhalb dieser Postleitzahlen nach Straßennamen – und innerhalb dieser Straßennamen nach Hausnummern – und innerhalb dieser Hausnummern nach Nachnamen – und innerhalb dieser Nachnamen nach Vornamen sortiert ist,
71c. die Auskunft nach Wahl der Beklagten gegenüber dem Kläger selbst oder gegenüber einem Angehörigen der zur Verschwiegenheit verpflichteten Berufe zu erfolgen hat, der im Fall der Nichteinigung von der Präsidentin/dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln bestimmt wird, und
72d. die mit der Auskunftserteilung verbundenen Kosten die Beklagte trägt,
733.
74a. für die Empfänger der Erstmitteilungen gem. Nr. 2.a binnen zwei Wochen nach Erteilung der Auskunft gem. Nr. 2.c individualisierte Berichtigungsschreiben mit dem hervorgehobenen Titel „Richtigstellung zu Ihrer A“ folgenden Inhalts zu erstellen:
75„Sehr geehrte/r Frau/Herr ...,
76mit Schreiben vom [Datum der Erstmitteilung] haben wir Ihnen mitgeteilt, dass wenn Sie nicht den Vertrag umstellen, wir Ihre A bedingungsgemäß zur nächsten Hauptfälligkeit kündigen und Ihr Versicherungsschutz damit erlischt.
77Wir stellen richtig:
78Ihr Versicherungsschutz erlischt nicht, wenn Sie den Vertrag nicht umstellen. Wir sind nicht berechtigt, die A bedingungsgemäß zur nächsten Hauptfälligkeit zu kündigen. Satz 2 und Satz 4 der Klausel 10.2 der Versicherungsbedingungen der A ist unwirksam. Wir werden uns in Zukunft Ihnen gegenüber nicht auf diese Klausel berufen.“
79Mit freundlichen Grüßen
80Ihre B AG“,
81b. mit dem Vorbehalt zugunsten der Beklagten, in dem Berichtigungsschreiben hinzuzufügen, dass sie zu dieser Erklärung verurteilt worden ist, wobei sie das Urteil im Einzelnen bezeichnen darf, und
82c. der Verpflichtung der Beklagten, die mit der Herstellung der Berichtigungsschreiben verbundenen Kosten zu tragen, sowie
83d. die Versendung der Berichtigungsschreiben gem. Nr. 3.a an die Empfänger gem. Nr. 2.a innerhalb von vier Wochen nach Erteilung der Auskunft gem. Nr. 2.c wie folgt durchzuführen:
84Erstellung vorbereiteter Berichtigungsschreiben gem. vorstehend Nr. 3.a für alle Empfänger gem. vorstehend Nr. 2.a, wobei die Berichtigungsschreiben nach Postleitzahlen - und innerhalb dieser Postleitzahlen nach Straßennamen - und innerhalb dieser Straßennamen nach Hausnummern - und innerhalb dieser Hausnummern nach Nachnamen - und innerhalb dieser Nachnamen nach Vornamen sortiert werden, und
85e. die mit Versendung der Berichtigungsschreiben verbundenen Kosten zu tragen, sowie
864.
87an ihn einen Betrag in Höhe von 321,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
88Die Beklagte hat den Antrag gestellt,
89die Klage abzuweisen.
90Sie hat vorgetragen, sie habe in den Jahren 2018/2019 den Versicherungsnehmern grundsätzlich angeboten, die laufenden Verträge der Produktlinie „A“ auf die Existenzschutzversicherung umzustellen, bei der es sich nicht um ein schlechteres Produkt handele. Im Einvernehmen mit den Versicherungsnehmern seien fast 10.000 Verträge beendet worden; nur in rund 7.900 Fällen sei eine Kündigung erfolgt. Die A sei nicht mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung gleichzustellen und bezüglich des versicherten Risikos nicht vergleichbar. Die Grundregel des § 11 VVG, wonach eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit auch für den Versicherer bestehe, sei nicht durch Sonderregeln, insbesondere § 166 VVG, beschränkt. Es handele sich bereits nach der ausdrücklichen Bezeichnung und den Bedingungen um eine private Unfallversicherung mit einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Kündigungsrecht, bei der die Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung ausscheide. Der Unterlassungsantrag bezüglich der Klausel in Ziffer 10.2 AUB sei bereits zu weitgehend gefasst, da die Klausel auch Kündigungsrechte des Versicherungsnehmers umfasse. Er sei insoweit unbestimmt, als er sich auch auf „inhaltsgleiche Verträge“ erstrecke. Er differenziere auch nicht zwischen den AUB 2000 und den AUB 2008. Bezüglich der vermeintlich zu unterlassenden Verwendung der Klausel vor oder bei Abschluss des Produkts „A“ bestehe nach Einstellung des Produkts im Jahr 2010 keine Wiederholungsgefahr, eine Verwendung bei „inhaltsgleichen Versicherungsverträgen“ sei nicht dargelegt und erfolge auch nicht. Demzufolge stünden dem Kläger auch keine Folgenbeseitigungsansprüche zu. Jedenfalls im Hinblick auf diese Folgenbeseitigungs- und Auskunftsansprüche sei überdies Verjährung eingetreten.
91Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen
92Das Landgericht hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beteiligt, die mit Schreiben vom 28. Mai 2020 (GA 115) genommen hat. Die Klage hat es abgewiesen:
93Die geltend gemachten Ansprüche bestünden nicht. Bei der A handele es sich nicht um eine Berufsunfähigkeits- oder dieser ähnliche Versicherung, sodass die mit der streitgegenständlichen Klausel geregelte Kündigungsmöglichkeit der Beklagten keine unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer im Sinn des § 307 BGB darstelle. Sie widerspreche keinen gesetzlichen Grundgedanken, da mangels einer eingreifenden Sonderregelung gemäß § 11 Abs. 2 VVG ein Kündigungsrecht bestehe, das auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der Versicherungsnehmer führe. Die Klausel stelle schließlich keine überraschende Regelung dar, weil in den Vertragsunterlagen ausdrücklich auf die Kündigungsmöglichkeiten (für beide Vertragspartner) hingewiesen werde.
94Gegen diese Entscheidung hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge unverändert weiterverfolgt.
95Er ist der Meinung, das Landgericht habe bei der Einordnung des Versicherungsvertrags versäumt, die verschiedenen Leistungen der A mit einer Existenzschutzversicherung auf der einen Seite und einer Unfallversicherung auf der anderen Seite zu vergleichen. Ohne die gebotene Prüfung habe es entschieden, dass das in Rede stehende Versicherungsprodukt nicht als Existenzsicherung der Berufsunfähigkeitsversicherung gleichzustellen sei und die §§ 177 Abs. 1, 176, 171, 166 VVG nicht griffen. Auch habe es zu Unrecht nicht geprüft, ob ein nur eingeschränktes Kündigungsrecht des Versicherers bestehe, von dem die Beklagte zum Nachteil der Versicherungsnehmer abgewichen sei, sodass eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 BGB vorliege. Darüber hinaus habe das Landgericht übersehen, dass unabhängig von der Frage der Einordnung der A die Beklagte sich nicht auf das Kündigungsrecht berufen könne. Denn darin liege eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB, weil das überwiegende schutzwürdige Interesse der Versicherungsnehmer entgegenstehe. Das sehe inzwischen auch die BaFin so, wie sich aus ihrem Schreiben zur Konsultation 07/2020 (Rundschreiben zur Funktionellen Invaliditätsversicherung) (GA 435) ergebe. Aus der angegriffenen Klausel folge des Weiteren eine unangemessene Benachteiligung durch Vereitelung des Vertragszwecks. Die dort vorgesehenen Kündigungsmöglichkeiten der Beklagten seien überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB.
96Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.
97Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 5. November 2021 (GA 541) Bezug genommen.
98Der Senat hat auch im Berufungsverfahren eine Stellungnahme der BaFin eingeholt, die unter dem 16. September 2021 eingegangen ist (GA 525).
99II.
100Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
101Der Kläger ist eine anspruchsberechtigte Stelle im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG. Er ist als Verbraucherzentrale ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener rechtsfähiger Verband, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Als solcher kann er von der Beklagten gemäß § 1 UKlaG die Unterlassung verlangen, die streitgegenständlichen Vertragsklausel in Ziffer 10.2 AUB 2008:
102„[…]
103Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils ein Jahr, wenn nicht Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres eine Kündigung in Schriftform zugegangen ist.
104[…]
105Bei einer Vertragsdauer von mehr als drei Jahren kann der Vertrag schon zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres gekündigt werden; die Kündigung muss Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres zugegangen sein.
106[…].“
107oder inhaltsgleiche Klauseln vor oder bei Abschluss des Produkts „A“ oder inhaltsgleicher Versicherungsverträge zu verwenden oder sich gegenüber Versicherungsnehmern, die das Produkt „A“ oder inhaltsgleiche Versicherungsverträge abgeschlossen haben, auf derartige Klauseln zu berufen, sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht.
108Der Klageantrag zu 1 enthält entsprechend der Anforderung gemäß § 8 Abs. 1 UKlaG den Wortlaut der beanstandeten Bestimmungen in AGB sowie die Bezeichnung der Art der Rechtsgeschäfte, für die die Bestimmungen beanstandet werden. Er ist weder zu weit gefasst noch zu unbestimmt, weil er auch „inhaltsgleiche“ Klauseln und Versicherungsverträge umfasst. Hierbei handelt es sich um eine Unschärfe, die für die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes hingenommen werden muss (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.2020 – XI ZR 119/19, BeckRS 2020, 15613).
109Der Klageantrag zu 1 geht auch nicht deswegen zu weit, weil der Kläger nicht nur die Klauselverwendung vor oder bei Abschluss eines Vertragsschlusses untersagt wissen will, sondern auch die Berufung auf die Klauseln nach erfolgten Vertragsabschlüssen. Mit dem Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG soll der Rechtsverkehr von sachlich unangemessenen Vertragsbedingungen freigehalten und dafür gesorgt werden, dass die geschützten Geschäftspartner nicht von nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksamen Klauseln betroffen und davon abgehalten werden, ihre Rechte hinreichend wahrzunehmen. Der Anspruch auf Unterlassung einer künftigen Verwendung erschöpft sich daher nicht in der Forderung nach bloßer Untätigkeit. Die Unterlassung der Verwendung kann bei bereits getroffenen und fortwirkenden störenden Vorkehrungen auch ein Handeln zur Beseitigung der aus den unangemessenen Vertragsbedingungen resultierenden Umstände gebieten. Der Anspruchsverpflichtete darf die unwirksamen AGB nicht mehr verwenden, das heißt er darf nicht mehr erklären, dass diese für künftige Verträge gelten sollen, und er darf sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge nicht mehr auf diese berufen. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.2013 – X ZR 24/13, NJW 2014, 1168 Rn. 45 mwN).
110Die vom Kläger angegriffenen Klauseln hat die Beklagte vor und bei Abschluss ihres Produkts „A“ verwendet und sie hat sich im Zusammenhang mit von ihr angekündigten bzw. ausgesprochenen Kündigungen entsprechender Verträge auf diese Klauseln berufen und tut dies – soweit ersichtlich – weiterhin. Sie leitet aus ihnen für sich das Recht zur ordentlichen Kündigung ab. Daran nimmt der Kläger zu Recht Anstoß.
111Die streitgegenständlichen Klauseln stellen für die Versicherungsnehmer, die mit der Beklagten eine A abgeschlossen haben, eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB dar. Sie sind im vertraglichen Regelungsgefüge nicht klar und verständlich.
112Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragsgegners daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Der AGB-Verwender ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Der Verwender muss folglich einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Der Vertragspartner soll andererseits ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen können, damit er nicht von deren Durchsetzung abgehalten wird. Treu und Glauben gebieten es, dass die Vertragsklauseln die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen des Versicherungsverhältnisses gefordert werden kann. Bei der Verwendung gegenüber Verbrauchern sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden – juristisch unvorgebildeten – Durchschnittskunden maßgeblich (BGH, Urt. v. 12.12.2019 – IX ZR 77/19, NJW-RR 2020, 292 Rn. 24 mwN.; Beckmann in: Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl. 2021, Einführung Rn. 286 mwN.). Für die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (AVB) gilt allgemein: Sie sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urt. v. 31.3.2021 – IV ZR 221/19, NJW 2021, 2193 Rn. 26; BGH, Urt. v. 4.7.2021 – IV ZR 153/20, NJW 2021, 2970 Rn. 11 mwN.).
113Deutlich wird hier die Intransparenz bereits daraus, dass sowohl übereinstimmend die Parteien als auch das angefochtene Urteil und wohl auch sämtliche von der Beklagten zur Stützung ihrer Rechtsauffassung zitierten Gerichtsentscheidungen davon ausgehen, dass nach dem vertraglichen Konstrukt Ziffer 10.2 AUB auf die A anwendbar sei (ebenso LG Aachen, Urt. v. 14.05.2020 – 9 O 367/19, nicht veröffentlicht). Diese Annahme trifft jedoch nicht zu. Bei ihr findet Ziffer 1.3 BB A keine Beachtung, der lautet:
114„1.3 Wann endet der Vertrag?
115Der Vertrag zur A endet – in Abweichung zu Ziffer 10.2 AUB 2008 – ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person das 65. Lebensjahr vollendet oder nach Zahlung der ersten Rentenleistung.“
116Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer, der diese Ziffer liest, wird sie so verstehen, dass in ihr die vertraglichen Regelungen zur Beendigung des Vertrages über die A abschließend enthalten sind. Dieses Verständnis wird gestützt durch die „Präambel“ unter Ziffer 1 BB A. Darin ist die A als „eine eigenständige Leistungsart im Rahmen der Unfall-Versicherung“ bezeichnet, die auch, wenn sie in Kombination mit anderen Unfallleistungen abgeschlossen wird, immer als eigenständiger Vertrag gilt. Weiter heißt es in der Präambel:
117„Es gelten die Bestimmungen der Allgemeinen Unfallversicherung-Bedingungen AUB 2008, abweichende Regelungen sind im Folgenden beschrieben.“
118Dass es sich bei Ziffer 1.3 BB A um eine abschließende Darstellung der vertraglichen Regelungen zur Vertragsbeendigung handelt, legt schon die sprachliche Fassung nahe. Bereits die Überschrift „Wann endet der Vertrag?“, statt „Wann endet der Vertrag spätestens?“, lässt an dieser Stelle eine umfassende Antwort der vertraglichen Regularien zu dieser Frage erwarten. Der Versicherungsnehmer, der sich anhand des Vertrages informieren will, wann der „eigenständige Vertrag“ über die A endet, wird aufgrund des Hinweise in der Präambel, dass zwar allgemein die AUB gelten, die BB A im Folgenden jedoch hiervon abweichende Regelungen enthalten, unter Ziffer 1.3 „Wann endet der Vertrag?“ eine klare und vollständige Antwort auf diese Frage erwarten, zumindest auch einen Hinweis, wenn – ggf. auch inwieweit – neben dort ausgeführten besonderen Regelungen die Beendigungsregelungen der AUB weiterbestehen. Eine solche Erwartung rechtfertigt sich auch aus der logischem Denken entsprechenden Rechtsregel lex specialis derogat legi generali, die auch Anwendung findet, wenn eine Partei mehrere AGB verwendet und einem Vertrag zugrunde legt (vgl. BeckOGK/Buchwitz, Stand 1.5.2021, CISG Art. 14 Rn. 94).
119Zudem wird das Vertragsende nach Vollendung des 65. Lebensjahres als „in Abweichung“, und nicht etwa „in teilweiser Abweichung“, zu Ziffer 10.2 AUB 2008 dargestellt.
120Die vergleichsweise umfangreiche Ziffer 10.2 AUB lautet:
121„Dauer und Ende des Vertrages
122Der Vertrag ist für die im Versicherungsschein angegebene Zeit abgeschlossen. Er endet am angegebenen Tag mittags 12 Uhr.
123Bei einer Vertragsdauer von mindestens einem Jahr verlängert sich der Vertrag nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit um jeweils ein Jahr, wenn nicht Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres eine Kündigung in Schriftform zugegangen ist.
124Bei einer Vertragsdauer von weniger als einem Jahr endet der Vertrag, ohne dass es einer Kündigung bedarf, zum vorgesehenen Zeitpunkt.
125Bei einer Vertragsdauer von mehr als drei Jahren kann der Vertrag schon zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres gekündigt werden; die Kündigung muss Ihnen oder uns spätestens drei Monate vor dem Ablauf des jeweiligen Versicherungsjahres zugegangen sein.
126Da die Risiko-Unfallversicherung nur bis zum 75. Lebensjahr kalkuliert ist, endet der Versicherungsvertrag, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person das 75. Lebensjahr vollendet.
127Sind zwei oder mehr Personen über einen Versicherungsvertrag versichert, so endet der Versicherungsschutz, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit der Hauptfälligkeit, die auf die Vollendung des 75. Lebensjahres der zu versichernden Person folgt. Ab diesem Zeitpunkt entfällt der für diese Person zu zahlende Beitragsteil.“
128Wäre mit Ziffer 1.3 BB A eine Abweichung nur von den beiden letzten Absätzen der Ziffer 10.2 AUB gemeint (automatisches Vertragsende bzw. Ende des Versicherungsschutzes mit Ablauf des Versicherungsjahres, in das die Vollendung des 75. Lebensjahres fällt), wäre eine entsprechende Formulierung zu erwarten, die einfach, klar und unmissverständlich möglich gewesen wäre. Der Einwand der Beklagten im Schriftsatz vom 26. November 2021, die Bezugnahme in Ziffer 1.3 BB A auf Ziffer 10.2 AUB betreffe für den verständigen Versicherungsnehmer denklogisch allein dessen Abs. 5, ist schon daher nicht richtig.
129Hinzu kommt, dass in Ziffer 1.3 BB A das Ende des Vertragsverhältnisses bereits nach Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherungsnehmers bzw. der versicherten Person vorgesehen ist, während nach Ziffer 10.2 AUB das Vertragsverhältnis bzw. der Versicherungsschutz erst nach Vollendung des 75. Lebensjahres endet. Die Verkürzung des Versicherungsschutzes, die im Regelwerk nicht erläutert wird, wird er sich der verständige Versicherungsnehmer am ehesten mit der existenzsichernden Funktion des Versicherungsproduktes „A“ erklären, die eine Absicherung vor allem bis zum Zeitpunkt des üblichen Eintritts in den Ruhestand nahelegt und eine vorzeitige Beendigung des Versicherungsvertrages nach freier Entscheidung des Versicherers eher nicht erwarten lässt.
130Dass Ziffer 1.3 BB A hinsichtlich vertraglicher Beendigungsgründe abschließend erscheint, ist auch Folge der zweiten dort aufgeführten automatischen Beendigungsalternative „nach Zahlung der ersten Rente“. Hierbei handelt es sich um eine Abweichung nicht von Ziffer 10.2, sondern von Ziffer 10.3 AUB, der bei einem Versicherungsfall (und einer auf Versicherungsleistungen gerichteten Klage des Versicherungsnehmers) lediglich die beiderseitige Möglichkeit vorsieht, den Vertrag durch Kündigung zu beenden.
131In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass in dem mit der Einführung dieses Versicherungsprodukts von der Beklagten herausgegebenen Prospekt „Die A von B – Lebenslange Rente nach Unfällen und schweren Krankheiten – Fachinformation“, vorgelegt als Anlage K5a der Klageschrift (GA 59), in dem (S. 3) die A als „innovativ und in dieser Kombination einzigartig am deutschen Markt“ beworben ist, unter der „Übersicht Produktmerkmale A“ (S. 4 f.) zum Stichwort „Vertragsende“ allein der Text von Ziffer 1.3 BB A abgedruckt ist. Dass daneben weitere Beendigungsgründe bestehen sollen, findet in der „Fachinformation“ der Beklagten keinen Ausdruck.
132In den Formularen, die nach Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung im Zusammenhang mit den Vertragsschlüssen in der Regel verwendet wurden – die Kundeninformation „Leistungsunterschiede zwischen der Berufsunfähigkeitsversicherung und der A“ (GA 202), der „Antrag auf A“ (GA 204) und der „Versicherungsschein“ (GA 212) – finden sich allein im Rahmen der „Verbraucherinformation“, die anders als die AVB schon begrifflich nicht konstituierend für vertragliche Rechten und Pflichten ist, auf S. 4 des Antragsformulars (GA 208) unter den Überschriften (a) „Vertragsdauer“ (hier sogar ein Fettdruck) und (b) „Kündigung des Vertrages“ Hinweise darauf, dass auch eine Kündigung durch die Beklagte in Betracht kommt:
133(a) „Nach Ablauf der vereinbarten und im Versicherungsschein genannten Vertragslaufzeit verlängert sich der Vertrag stillschweigend von Jahr zu Jahr, wenn er nicht spätestens drei Monate vor Ablauf von einer der Vertragsparteien schriftlich gekündigt wird.
134Der Vertrag endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person das 65. Lebensjahr vollendet oder nach Zahlung der ersten Rentenleistung (Ziffer 1.3 BB A).“
135(b) „Der Vertrag kann von beiden Seiten zum vereinbarten Ablauf und nach Eintritt eines Versicherungsfalles gekündigt werden.
136Der Versicherer kann außerdem bei Zahlungsverzug mit einem Folgebeitrag kündigen.
137Einzelheiten hierzu – insbesondere zu den Kündigungsfristen – sind den dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen zu entnehmen.“
138Was der „vereinbarte Ablauf“ ist, wird allerdings nicht erklärt. Im Vertragsformular sind zur „Vertragsdauer“ zwar Eintragungen zu „Beginn“ und „Ablauf“ vorzunehmen. Im Zusammenhang mit dem erläuternden Text:
139„Beträgt die Dauer mindestens ein Jahr, so verlängert sich der Vertrag stillschweigend von Jahr zu Jahr, wenn er nicht spätestens 3 Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird.“
140ist, worauf der Kläger zu Recht hinweist, nicht klar, ob der zunächst beantragte Ablauf auch der „vereinbarte Ablauf“ im Sinne der Verbraucherinformation ist. Vereinbart ist dagegen deutlich die jährlich stillschweigende Verlängerung, abgesehen vom Ausnahmefall („wenn nicht“) der vorherigen Kündigung. Unter „Kündigung des Vertrages“ wird in der Verbraucherinformation zu „Einzelheiten“ darauf verwiesen, sie „den dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen zu entnehmen“. Dies stellt sich nach der Rechtsregel lex specialis derogat legi generali zunächst als Verweis auf die BB A dar, und die einschlägige Ziffer 1.3 BB A enthält nichts, was einen Versicherungsnehmer veranlassen müsste, mit einer ordentlichen Kündigung durch den Versicherer zu rechnen. Andererseits lässt sich Ziffer 1.3 ohne Weiteres entnehmen, dass die Information, der Vertrag könne von beiden Seiten nach Eintritt eines Versicherungsfalles gekündigt werden, auf einen Vertrag über die A nicht zutrifft, dass ein solcher vielmehr, ohne dass es einer Kündigung bedarf, nach Zahlung der ersten Rente endet. Die „Verbraucherinformationen“ erwecken damit nicht den Eindruck, auf das Versicherungsprodukt der A zugeschnitten zu sein.
141Dem zitierten Text im Antragsformular selbst lässt sich allein die Möglichkeit entnehmen, dass der Vertrag gekündigt wird. Ausdrücklich ein Recht auch des Versicherers zur ordentlichen Kündigung ist dort nicht festgehalten.
142Das gilt gleichermaßen für die von der Beklagten herausgegebene Kundeninformation „Leistungsunterschiede zwischen der Berufsunfähigkeitsversicherung und der A“ (GA 202), in der Berufsunfähigkeitsversicherung und A gegenübergestellt werden. Unter anderem werden die Unterschiede hinsichtlich der Versicherungsdauer dargestellt, wobei eine Fußnote darauf hinweist, dass es sich um eine kurze Darstellung handelt, die nur wesentliche Merkmale aufzeigen könne, und maßgeblich jeweils die den Produkten zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen seien:
143Berufsunfähigkeitsversicherung |
A |
|
… |
… |
… |
Versicherungsdauer |
Der Versicherungsschutz kann bei Vertragsabschluss je nach Beruf max. bis zum 65. Lebensjahr gewählt werden. |
Die Vertragsdauer kann beim Risikovertrag zwischen 1 und 5 Jahren gewährt werden. Der Vertrag verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn nicht drei Monate vor Ablauf gekündigt wird. Der Vertrag endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – spätestens mit Ablauf des Versicherungsjahres, in dem der Versicherungsnehmer das 65. Lebensjahr vollendet hat oder nach Zahlung der ersten Rentenleistung.² |
Fußnote 2 lautet: „Bei der A mit garantierter Beitragsrückzahlung besteht Versicherungsschutz bis zum 65. Lebensjahr.“
145Bei diesem Produktvergleich wäre ein Hinweis zu erwarten, dass anders als in der Berufsunfähigkeitsversicherung der Versicherungsnehmer, der sich, vor die Wahl gestellt, entschließt, einen Vertrag über eine A abzuschließen, dem Risiko einer ordentlichen Kündigung durch den Versicherer ausgesetzt ist – vorausgesetzt, dass die Beklagte seinerzeit selbst angenommen hätte, ihr stünde das Recht einer solchen Kündigung zu. Etwas anderes entspräche nicht den Vorgaben von § 1a VVG, der zwar bei Abschluss der hier in Rede stehenden Verträge noch nicht galt, sondern erst mit Wirkung vom 23. Februar 2018 durch das IDD-Gesetz in das VVG implementiert worden ist, dessen Anforderungen an Redlichkeit, Ehrlichkeit und Professionalität allerdings nach verbreiteter Auffassung, die der Senat teilt, bereits vorher wegen der geltenden Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Wesentlichen deutschem Recht entsprachen (vgl. Frohnecke, NJW 2021, 1561). Danach müssen alle Informationen im Zusammenhang mit der Vertriebstätigkeit, wozu auch die Vorbereitung und der Abschluss von Versicherungsverträgen gehören, einschließlich Werbemitteilungen, die der Versicherer an Versicherungsnehmer oder potenzielle Versicherungsnehmer richtig, redlich und eindeutig sein und dürfen nicht irreführend sein. Ein Versicherungsnehmer, der sich entschließt, anstelle einer Berufsunfähigkeitsversicherung einen Vertrag über eine A mit „Versicherungsschutz bis zum 65. Lebensjahr“ abzuschließen, wird kaum davon ausgehen, dass dieser Vertrag vom Versicherer ohne besondere Voraussetzung einseitig jährlich durch Kündigung beendet werden kann.
146Die von dem Kläger angegriffene Klausel der Ziffer 10.2 AUB 2008 und ihre Vorgängerregelung sind im Konstrukt der in Rede stehenden A nicht nur gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB deswegen unwirksam, weil sich ihre Anwendbarkeit mangels der nach Treu und Glauben zur fordernden Transparenz dem durchschnittlichen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer nicht erschließt. Es greifen vorliegend auch die Regelbeispiele einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders in § 307 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BGB.
147Unterstellt, nach der vertraglichen Konstruktion würden die streitgegenständlichen Klauseln für die A Geltung beanspruchen, wären sie gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 BGB unwirksam, weil sie zum Nachteil der Versicherungsnehmer von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung abwichen.
148Der Grundgedanke, nach dem für die Lebensversicherung und die Berufsunfähigkeitsversicherung – ebenso wie, inzwischen gesetzlich geregelt in § 206 VVG, die Krankheitskostenversicherung – ein ordentliches Kündigungsrecht des Versicherers nach allgemeiner Ansicht ausgeschlossen ist (vgl. MüKo-VVG/Wandt, 2. Aufl., § 164 Rn. 4 mwN.), ist auf die nach Überzeugung des Senats auf die von der Beklagten vertriebene A ebenso anzuwenden. Der Grund des Ausschlusses des Rechts zur ordentlichen Kündigung für den Versicherer, der darin liegt, dass nicht zu rechtfertigen wäre, wenn der Versicherer sich insbesondere bei altersbedingter Steigerung des Risikos vom Vertrage lösen dürfte (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 17 Rn. 23), trifft auch auf die A zu.
149Abgeleitet wird der Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung des Versicherers für die Lebens- und für die Berufsunfähigkeitsversicherung aus den §§ 176, 150 bis 170 VVG (vgl. MüKo-VVG/Wandt, 2. Aufl., § 164 Rn. 4 mwN.). Allerdings ergibt sich aus § 166 VVG, der die Folgen der (außerordentlichen) Kündigung einer Lebensversicherung durch den Versicherer regelt, unmittelbar nicht das Verbot einer ordentlichen Kündigung, er setzt dieses aber voraus. Das Verbot der ordentlichen Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags oder eines Vertrags über eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist im VVG nirgendwo ausdrücklich geregelt. Gleichwohl besteht Einigkeit über dieses Verbot und die damit verbundene Abweichung von § 11 VVG.
150Nach § 177 Abs. 1 VVG sind die §§ 173 bis 176 VVG, der auf die §§ 150 bis 170 VVG weiter verweist, auf alle Versicherungsverträge entsprechend anzuwenden, bei denen der Versicherer für eine dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit eine Leistung verspricht. Nach § 177 Abs. 2 VVG ist Abs. 1 auf die Unfallversicherung sowie auf Krankenversicherungsverträge, die das Risiko der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit zum Gegenstand haben, allerdings nicht anzuwenden.
151Ob es sich bei der A der Beklagten um einen Versicherungsvertrag handelt, bei dem der Versicherer im Sinne von § 177 Abs. 1 VVG eine Leistung für eine dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit verspricht, würde von den Kommentatoren zu dieser Vorschrift möglicherweise unterschiedlich beantwortet werden.
152In der Gesetzesbegründung zu § 177 VVG (BT-Drucks. 16/3945, S. 107) heißt es:
153Zu § 177 (Ähnliche Versicherungsverträge)
154Zu Absatz 1
155Die Vorschriften der §§ 173 bis 176 VVG-E sollen entsprechend auch für Versicherungsverträge gelten, durch die eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit abgesichert wird. Diese bisher kaum angebotene Versicherungsform ist eine Art „kleine Berufsunfähigkeitsversicherung“, die erst einsetzt, wenn der Versicherungsnehmer erwerbsunfähig wird. Wegen niedrigerer Prämien kann die Arbeitsunfähigkeitsversicherung in Zukunft größere Bedeutung erlangen. Bei ihr besteht hinsichtlich der für die Berufsunfähigkeitsversicherung geregelten Punkte dieselbe Interessenlage, wenn die Arbeitsunfähigkeit gesundheitlich bedingt ist (vgl. § 172 Abs. 2 VVG-E).
156Durch die ausdrückliche Regelung für den Fall der dauernden Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit wird eine analoge Anwendung einzelner Vorschriften auf die Einkommensausfallversicherung und andere Versicherungen nicht ausgeschlossen.
157Zu Absatz 2
158Auf die Unfallversicherung und auf die Krankenversicherung sind die Vorschriften der §§ 173 bis 175 VVG-E auch dann nicht anzuwenden, wenn sie Risiken der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit absichern. Insoweit gelten die besonderen Bestimmungen der §§ 178 ff. und 192 ff. VVG-E.
159Soweit in den Kommentierungen dazu Stellung genommen wird, wird überwiegend für eine Anwendung von § 177 Abs. 1 VVG zur Voraussetzung gemacht, dass der Leistungsfall der Versicherung ausdrücklich an die „dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit“ anknüpft (Baumann in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 177 Rn. 4 ff.; Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, § 177 VVG Rn. 24 ff.; Mangen in BeckOK VVG, Stand 3.5.2021, § 177 Rn. 5 ff.). Wo das nicht der Fall ist, werden nach dieser Ansicht auch die Grundfähigkeitsversicherung und die Schwere-Krankheiten-Versicherung (= Dread-Disease-Versicherung), die beide in der hier zu beurteilenden A enthalten sind (Ziffern 3 und 4 BB A), nicht als Anwendungsfälle von § 177 Abs. 1 VVG angenommen. Es reicht den Autoren also - für eine unmittelbare Anwendung von § 177 Abs. 1 VVG - nicht die wirtschaftliche Bedeutung des Versicherungsproduktes als Absicherung gegen den Verlust der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit.
160Nicht ganz klar ist Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 6. Aufl., § 177 Rn. 1:
161„Abs. 1 erstreckt die halbzwingenden Normen des Rechts der Berufsunfähigkeitsversicherung auf ähnliche Verträge, die an eine dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit anknüpfen. In erster Linie handelt es dabei um die Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Jedoch müssen sich auch andere Produkte wie eine Dread-Disease-Versicherung den Mindeststandards der Berufsunfähigkeitsversicherung beugen. Das kann auch bei einer Grundfähigkeitsversicherung der Fall sein, wenn der Versicherungsfall die dauerhafte Beeinträchtigung der uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit zur Voraussetzung macht.“
162Danach wird bei der Schwere-Krankheiten-Versicherung die – ausdrückliche - Leistungsvoraussetzung der dauerhaften Beeinträchtigung der uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit nicht zur Voraussetzung einer unmittelbaren Anwendung von § 177 Abs. 1 VVG gemacht, bei der Grundfähigkeitsversicherung hingegen schon. Bei einem solchen Verständnis wäre vorliegend § 177 Abs. 1 VVG unmittelbar anzuwenden, weil die A auch den Versicherungsfall Schwere-Krankheiten beinhaltet.
163Ob Rixecker so richtig verstanden wird, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn alle Autoren gehen in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung davon aus, dass beim Fehlen der ausdrücklichen Leistungsvoraussetzung der dauerhaften Beeinträchtigung der uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit eine analoge Anwendung einzelner Vorschriften auf die Einkommensausfallversicherung und andere Versicherungen nicht ausgeschlossen wird.
164Eine vergleichbare Interessenlage wie bei der Berufsunfähigkeitsversicherung, bei der nicht zu rechtfertigen wäre, wenn der Versicherer sich insbesondere bei altersbedingter Steigerung des Risikos vom Vertrage lösen dürfte, wird man bei der A schwerlich verneinen können. Bei der Kombination der vier vorgesehenen Leistungsfälle und deren konkreten Ausgestaltung in den BB A sind Risiken der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sehr weitgehend abgedeckt. Überwiegend darin liegt ersichtlich der Zweck dieses Versicherungsprodukts, mit dem die Beklagte auch geworben hat. In ihrer „Fachinformation“ (Anlage K5a) werden auf den S. 17 f. (GA 75) vier „Zielgruppen der A“ wie folgt benannt und angesprochen (Hervorhebungen im Original):
165„Existenzabsicherung über die A, insbesondere für:
166Nicht Berufstätige, z.B. Hausfrauen
167- Diese Personengruppe hat im Falle eines Unfalls oder einer schweren Krankheit keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfall- oder Rentenversicherung
168- […]
169Private Eigenvorsorge ist für diese Zielgruppe unverzichtbar.
170Personen, die sich aufgrund ihrer Familien-/Einkommenssituation keine Berufsunfähigkeitsversicherung leisten können, z.B. junge Familienväter
171- Es besteht nur eingeschränkter Schutz über die gesetzliche Unfallversicherung: Geleistet wird nur auf der Arbeitsstätte bzw. auf dem direkten Weg dorthin und zurück.
172- Die Leistungen der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung reichenden Bedarfsfall nicht zur Deckung des Lebensunterhalts […].
173- Alleine nach 1961 Geborene haben keinen Anspruch mehr auf gesetzlichen Berufsunfähigkeitsschutz.
174- Gesetzlicher Erwerbsminderung-Schutz aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht nur eingeschränkt.
175- Voraussetzung für eine Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist, dass eine Person über 5 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist.
176Private Eigenvorsorge ist für diese Zielgruppe unverzichtbar.
177Existenzabsicherung über die A
178ergänzend zu einer privaten Berufsunfähigkeitsabsicherung, z.B. für:
179Selbstständige/Unternehmer
180- Wer nach dem 01. Januar 1984 nicht mindestens 60 Beitragsmonate lückenlos nachweisen kann, hat als selbstständiger keine Leistungen von der gesetzlichen Rente (EU-Rente) zu erwarten.
181- Gerade jüngere selbstständige können dieser Voraussetzung noch nicht erfüllen.
182- Die Versorgungslücke dieser Zielgruppe ist wegen des idR hohen Einkommens auch entsprechend hoch.
183- Die A deckt die Lücken im Berufsunfähigkeitsversicherung-Angebot:
184Die Berufsunfähigkeitsversicherung leistet in diesen Berufsgruppen nur bis zu einer festgelegten Maximalrente.
185Eine ergänzende Eigenvorsorge über die A ist für diese Zielgruppe daher sinnvoll.
186Freiberufler
187- Freiberufler wie z.B. Architekten oder Rechtsanwälte haben keine gesetzlichen Ansprüche.
188- Freiberufler haben aber Anspruch auf eine Grundversorgung über Versorgungswerke.
189- Bei den meisten Versorgungswerken werden Berufsunfähigkeitsversicherung-Leistungen nur dann gezahlt, wenn Berufsunfähigkeit vorliegt und die Zulassung an die Kammer zurückgegeben wird.
190- Die Leistungen aus Versorgungswerken stellen i.d.R. aber nur eine Grundabsicherung dar, insbesondere vor dem Hintergrund des hohen Einkommens dieser Zielgruppe. Die Versorgungslücke ist daher auch entsprechend hoch.
191- Die A deckt die Lücken im Berufsunfähigkeitsversicherung-Angebot:
192Die Berufsunfähigkeitsversicherung leistet in diesen Berufsgruppen nur bis zu einer festgelegten Maximalrente.
193Eine ergänzende Eigenvorsorge über die A ist für diese Zielgruppe daher sinnvoll.“
194In dem von der Beklagten herausgegebenen Prospekt „A – Ihre lebenslange Absicherung nach Unfällen oder schweren Krankheiten“ (GA 78 ff.) heißt es (GA 79):
195„A – Ihre einzigartige Rundum-Absicherung!
196Ein Unfall oder eine schwere Krankheit können von heute auf morgen das ganze Leben verändern. In beiden Fällen rückt neben den gesundheitlichen Folgen ein weiteres großes Problem in den Vordergrund: Es drohen ernsthafte finanzielle Engpässe!
197Wenn Sie durch einen Unfall oder aufgrund einer Krankheit ihre Arbeitskraft verlieren, sind sie nahezu auf sich allein gestellt. Die staatliche Unterstützung deckt in der Regel nur einen Bruchteil ihrer Lebenshaltungskosten.
198Ohne geregeltes Einkommen sind Miete, Auto, laufende Kredite oder die Beiträge für Ihre Altersvorsorge nicht bezahlbar. Ganz zu schweigen von zusätzlichen Kosten für Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen. Kurz: Plötzlich kann die gesamte finanzielle Existenz auf dem Spiel stehen!
199[ …]“
200Dass der Abschluss der Verträge über die A für die versicherten Personen wie der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung der Existenzsicherung diente, lässt sich danach nicht ernsthaft bestreiten. Angesprochen werden sogar Zielgruppen, die auf eine Vorsorge besonders angewiesen sind. Dass die A für den Versicherungsfall ganz wesentlich der Substitution gesundheitsbedingt weggefallenen Erwerbseinkommens dienen soll, ergibt sich auch aus dem Vertragsende spätestens mit Ablauf des Vertragsjahres, in dem die versicherte Person das 65. Lebensjahr vollendet hat.
201Die Kundeninformation der Beklagten „Leistungsunterschiede zwischen der Berufsunfähigkeitsversicherung und der A“ (GA 202) belegt, dass die Beklagte die A gezielt als Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung angeboten hat. Darin heißt es vor der Gegenüberstellung einzelner Produktmerkmale einführend (Hervorhebungen im Original):
202„Ein Unfall oder eine schwere Krankheit können von heute auf morgen das Leben verändern. In beiden Fällen steht neben den gesundheitlichen Folgen häufig die finanzielle Existenz auf dem Spiel. Denn der gesetzliche Schutz deckt in der Regel nur einen Bruchteil der Lebenshaltungskosten.
203Eine zusätzliche private Absicherung ist kein Luxus, sondern absolute Notwendigkeit. Daher sollte auf eine ausreichende private Vorsorge nicht verzichtet werden.
204B hält unterschiedliche Produkte zur Absicherung bereit:
205Die Berufsunfähigkeitsversicherung und die A.“
206Eine von § 177 Abs. 1 VVG – sei es aufgrund einer Analogie – ausgehende Kettenverweisung über § 176 VVG zu den Vorschriften über den Lebensversicherungsvertrag und zu dem daraus abgeleiteten Ausschluss des Rechts des Versicherers zur ordentlichen Kündigung (§ 166 VVG) ist daher möglich.
207§ 177 Abs. 2 VVG steht dem nicht entgegen, und zwar unabhängig davon, ob man die A – laut Präambel unter Ziffer 1 BB A eine „eigenständige Leistungsart im Rahmen der Unfall-Versicherung“ – im Grundsatz als eine „Unfallversicherung“ im Normsinn mit Elementen einer Berufsunfähigkeitsversicherung ansieht oder als eine der Unfallversicherung nur ähnliche Versicherung, für die § 177 Abs. 2 VVG gleichwohl gilt (so Klenk in Looschelders/Pohlmann, VVG, 3. Aufl., § 177 Rn. 2), oder ob man in ihr eine eigenständige Versicherungsart sieht, auf die § 177 Abs. 2 VVG keine Anwendung findet. Denn § 177 Abs. 2 VVG schließt eine analoge Anwendung der Kündigungseinschränkungen aus dem Bereich der Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen in keinem Fall aus.
208Die Gesetzesbegründung zu § 177 Abs. 2 VVG lautet (Hervorhebung nicht im Original):
209Auf die Unfallversicherung und auf die Krankenversicherung sind die Vorschriften der §§ 173 bis 175 VVG-E auch dann nicht anzuwenden, wenn sie Risiken der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit absichern. Insoweit gelten die besonderen Bestimmungen der §§ 178 ff. und 192 ff. VVG-E.
210Für die Unfallversicherung geht es also darum, den Vorrang der speziellen Regelungen der §§ 178 ff. VVG zu sichern. Die Spezialregelungen des VVG in den §§ 178 bis 191 betreffen jedoch nirgends die Vertragsbeendigung und damit auch nicht die Frage einer ordentlichen Kündigung durch den Versicherer, sodass die Absicherung ihrer Anwendung durch § 177 Abs. 2 VVG einer analogen Anwendung von Kündigungs(-ausschluss-)regeln aus dem Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht entgegensteht. Damit stellt sich auch nicht die Frage, der grundgesetzlichen Zulässigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) einer derartigen Analogiesperre.
211Der danach in Betracht kommende analoge Rückgriff auf die §§ 177 Abs. 1, 176, 150 bis 170 VVG ist in Anbetracht der Interessenlage geboten. Allenfalls ließe sich dagegen einwenden, dass sich aus diesen Regelungen unmittelbar nicht das Verbot einer ordentlichen Kündigung durch den Versicherer ergibt, sondern § 166 VVG ein solches Verbot nur voraussetzt. Das spräche allerdings allenfalls insoweit gegen eine (analoge) Anwendung, als dass sich der Rückgriff auf diese Paragrafenkette als unnötiger gedanklicher Umweg darstellte. Dann wäre unmittelbar, also ohne Rückgriff auf die §§ 177 Abs. 1, 176, 150 bis 170 VVG, auf das „Wesen“ des in Rede stehenden Vertrages zuzugreifen, wie es der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 6. Juli 1983 – IVa ZR 206/81 – (BGHZ 88, 78 = NJW 1983, 2632) getan hat:
212„Dem Wesen der Krankenversicherung entspricht ein Kündigungsrecht des Versicherers nicht. Die Krankheitsanfälligkeit eines Menschen nimmt in der Regel mit steigendem Lebensalter zu; damit erhöht sich auch das vom Krankenversicherer übernommene Risiko. Eine Gefahrerhöhung i. S. der §§ 23 ff. VVG liegt darin nicht. Es handelt sich um einen Umstand, der bei Vertragsschluss voraussehbar und daher Bestandteil der versicherten Gefahr ist ([…]). Die jüngeren Versicherungsnehmer ermöglichen durch ihre Beiträge die höheren Leistungen, die die Versicherer für die älteren Versicherungsnehmer zu erbringen haben; sie können daher erwarten, dass ihnen dann, wenn sie selbst in ein höheres Alter gekommen sind, die gleichen Leistungen gewährt werden. Mit dem Gedanken der Gefahrengemeinschaft, der zu den Grundlagen des Versicherungsrechts gehört ([…]), ist es unvereinbar, dass ein Krankenversicherer sich lediglich deshalb von einem Versicherungsnehmer trennt, weil dieser infolge seines fortgeschrittenen Alters zu einem größeren Risiko geworden ist ([…]).
213Die private Krankenversicherung hat heute eine wichtige soziale Funktion. Sie ist für weite Bevölkerungskreise zu einem Ersatz für fehlenden Sozialversicherungsschutz geworden. […] Ihren Schutzzweck würde die private Krankenversicherung aber dann nicht erreichen, wenn es den Versicherern gestattet wäre, sich gerade in dem Augenblick von einem Versicherungsnehmer zu trennen, in dem dieser den Krankenversicherungsschutz besonders nötig hat und in dem er einen Krankenversicherungsvertrag mit einem anderen Versicherungsnehmer überhaupt nicht oder nur zu drückenden Bedingungen abschließen kann. Die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Versicherer bringt daher für den Versicherungsnehmer eine schwer zu ertragende Härte mit sich.“
214Wenn die Beklagte einwendet, diese Entscheidung betreffe ein Kündigungsrecht des Versicherers in der Krankentagegeldversicherung und sei deswegen auf ihre A nicht übertragbar, auch deswegen, weil für die Krankentagegeldversicherung Kündigungsbeschränkungen heutzutage in § 206 Abs. 1 S. 4 VVG gesetzlich geregelt sind, geht das an den Grundgedanken der Entscheidung vorbei. Diese werden allgemein auf Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen angewandt und treffen zur Überzeugung des Senats auch auf die A der Beklagten zu. Die existenzielle Notwendigkeit der A betont die Beklagte in ihrer „Fachinformation“ (Anl. K5a), besonders für die beiden von ihr zunächst angesprochenen Zielgruppen, ausdrücklich („Private Eigenvorsorge ist für diese Zielgruppe unverzichtbar“), allgemein auch in ihrem Werbeprospekt (Anl. K5b: „Plötzlich kann die gesamte finanzielle Existenz auf dem Spiel stehen!“) und in ihrer Kundeninformation „Leistungsunterschiede zwischen der Berufsunfähigkeitsversicherung und der A“ (s.o.). Für das den Versicherungsnehmern im Rahmen ihrer Kündigungskampagne angebotene Alternativprodukt „Existenzschutzversicherung“ schließen die Vertragsbedingungen der Beklagten dementsprechend für sie ein Recht zur ordentlichen Kündigung aus.
215Dass das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung dem Ausschluss einer ordentlichen Kündigung durch den Versicherer nicht entgegensteht, belegt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 1983 ebenfalls.
216Auch unter dem Gesichtspunkt von § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, der die Inhaltskontrolle mit Ausnahme der Transparenzkontrolle gemäß Abs. 1 S. 2 auf AGB-Bestimmungen beschränkt, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden, ist es unerheblich, ob der Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch den Versicherer aus den §§ 177 Abs. 1, 176, 150 bis 170 VVG, einer Analogie hierzu oder aus dem Wesen des Vertrages abgeleitet wird. Unter Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 S. 1 BGB sind, wie unter dem weitgehend identischen Begriff der gesetzlichen Regelung in § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (Kollmann in Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl., § 307 Rn. 54), nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn zu verstehen. Die Norm gestattet vielmehr – insbesondere beim Fehlen dispositivgesetzlicher Normen – eine Inhaltskontrolle auch solcher Klauseln, die vertragsnatürliche wesentliche Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränken oder sonst gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze verstoßen. Hierzu gehören auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die auf Grund ergänzender Auslegung nach §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten (BGH, Urt. v. 8.10.2013 – XI ZR 401/12, BGHZ 198, 250 = NJW 2013, 3716 Rn. 20 mwN).
217Aus Vorstehendem ergibt sich, dass bei der Verwendung der angegriffenen Klauseln aus Ziffer 10.2 AUB im Rahmen der A der Beklagten auch § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB eingreift, weil ein ordentliches Kündigungsrecht zu ihren Gunsten wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Die Erreichung des Vertragszwecks „Versicherungsschutz bis zum 65. Lebensjahr“ läge allein in der Hand der Beklagten und wäre daher in keiner Weise gesichert. Die Aussage (Fußnote 2 der Kundeninformation „Leistungsunterschiede zwischen der Berufsunfähigkeitsversicherung und der A“): „Bei der A […] besteht Versicherungsschutz bis zum 65. Lebensjahr“ wäre falsch. Es bestünde lediglich eine ungesicherte Aussicht auf entsprechenden Schutz.
218Dass die BaFin die A der Beklagten der Schadens- und Unfallversicherung zugeordnet hat und daran möglicherweise weiter festhält (s. Entwurf ihres Rundschreibens zur Funktionellen Invaliditätsversicherung– GA 435), ist nicht entscheidend. Auf die versicherungsaufsichtsrechtliche Spartenzuordnung kommt es schon deswegen nicht an, weil maßgeblich für die Auslegung von AVB der Verständnishorizont eines durchschnittlichen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Vorkenntnisse ist, bei dem erst recht versicherungsaufsichtsrechtliche Spezialkenntnisse nicht vorausgesetzt werden können.
219Allerdings ergeben sich für den Senat aus den Stellungnahmen der BaFin und dem Entwurf ihres Rundschreibens keine Gründe für eine Billigung der von der Beklagten angekündigten und ausgesprochenen Kündigungen der Verträge über eine A.
220In dem Entwurf des Rundschreibens wird unter „E. Aufsichtsrechtliche Grenzen bei der Produktgestaltung und beim Vertrieb der Funktionellen Invaliditätsversicherung […] II. Kündigungsrechte“ (S. 6 – GA 439) die Ausübung eines ordentlichen Kündigungsrechts, das grundsätzlich bei einer „zulässigerweise als Schadensversicherung angebotene(n) Funktionelle(n) Invaliditätsversicherung“ vorgesehen werden könne, unter bestimmten Voraussetzungen als „unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB“ angesehen, nämlich
221„wenn sich der Versicherer von Verträgen lösen will, bei denen die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt der Erst- oder einer Neukalkulation unzureichend kalkuliert waren und dies insbesondere anhand der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren statistischen Kalkulationsgrundlagen erkennbar war.
222In diesen Fällen stehen der Kündigung überwiegende schutzwürdige Interessen der Versicherungsnehmer entgegen, sodass die Rechtsausübung zu einem grob unbilligen Ergebnis führen würde. Durch eine Kündigung würde dem Versicherungsnehmer unter unzulässiger Verschiebung der Risikoverteilung noch nicht einmal die Möglichkeit gegeben, seinen Versicherungsschutz zu einem erhöhten Beitrag aufrecht zu erhalten. Der Versicherungsschutz fiele vollständig weg. Dieses Ergebnis wäre mit dem Charakter der FIV und ihrer auch für den Versicherer erkennbaren besonderen sozialen Bedeutung für den Versicherungsnehmer nicht mehr vereinbar, sodass die Ausübung des ordentlichen Kündigungsrechts erst recht als unzulässig anzusehen wäre.
223Ferner ist eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne von § 307 BGB anzunehmen, wenn die Allgemeinen Versicherungsbedingungen ein ordentliches Kündigungsrecht des Versicherers in solchen Verträgen vorsehen, in denen aufgrund der Vereinbarung von konstanten Prämien Beitragsdeckungsrückstellungen zu bilden sind (s.o. unter D.I.). Im Falle einer Kündigung würden die für die weiteren Versicherungsjahre bereits angesparten Prämienanteile aus den ggf. sogar jahrelang geleisteten Beiträgen dem Kollektiv zufallen – ohne einen Ausgleich für den Versicherungsnehmer und ohne sein Zutun. Insofern greift der allgemeine Rechtsgedanke der Regelung des §§ 147 i.V.m. § 146 Abs. 1 Nr. 3 VAG - § 146 VAG entspricht dem zur Zeit des Vertriebs der A in den Jahren 2006-2010 geltenden § 12 VAG aF (Laars/Both, VAG, 4. online-Auflage, § 146 Rn. 1) -, wonach in nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Verträgen das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherungsunternehmens ausgeschlossen sein muss.“
224Dass die BaFin grundsätzlich die Festlegung eines ordentlichen Kündigungsrechts des Versicherers in AVB als zulässig annimmt und seine Ausübung nur im Einzelfall, wenn Grund der Kündigung eine ex ante erkennbare Fehlkalkulation war, als unzulässige Rechtsausübung an § 242 BGB scheitern lassen möchte, entspricht nicht den Grundsätzen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 1983 (BGHZ 88, 78). Zudem muss sich der Versicherungsnehmer darauf verlassen können, dass der Versicherer ordentlich kalkuliert hat. Dass „Risiken wie die Zinsentwicklung oder Stornorisiken, die die Kalkulation eines Versicherungsproduktes im Nachhinein erheblich beeinflussen können, bei Produktstart (…) nicht absehbar sind“, ist, wie die Beklagte in der Berufungserwiderung meint, „natürlich“, aber grundsätzlich – vorbehaltlich einer Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB - ihr unternehmerisches Risiko. Bei der aus seiner Sicht und unter Berücksichtigung auch seiner Interessen vorzunehmenden Auslegung der AVB muss sich der Versicherungsnehmer über die Kalkulation des Versicherers keine Gedanken machen.
225Für die Beurteilung des hier betroffenen Versicherungsprodukts „A“ kommt es hierauf aber wohl auch für die BaFin nicht an, wenn man den weiteren Ausführungen im Entwurf ihres Konsultationsschreibens folgt. Es wird dort auf die Darlegungen unter D. I. Bezug genommen. Zu Beitragsrückstellungen ist dort ausgeführt (S. 3):
226„[…]
227Sofern konstante Prämien vorgesehen sind, ist die betroffene Funktionelle Invaliditätsversicherung als nach Art der Lebensversicherung betriebene Schaden-/Unfallversicherung anzusehen. Daher sind bei einer Vertragslaufzeit von mehr als drei Jahren Beitragsdeckungsrückstellungen zu bilden, die nach § 25 Abs. 6 RechVersV im Posten Deckungsrückstellung zu verbuchen sind.
228Die Bildung einer Beitragsdeckungsrückstellung kann nur unterbleiben, wenn von vornherein vertraglich eine feste Laufzeit von maximal drei Jahren vereinbart wird, nach deren Ablauf der Vertrag automatisch endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf. […]“
229Demnach würde die BaFin eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungs-nehmers im Sinne von § 307 BGB annehmen, wenn die AVB ein ordentliches Kündigungsrecht der Beklagten vorsähen. Denn es sind konstante Prämien vereinbart, und es war nicht eine vertraglich feste Laufzeit von maximal drei Jahren von vornherein vereinbart.
230In der Berufungserwiderung gibt die Beklagte die Position der BaFin nicht richtig wieder, ein in den Versicherungsbedingungen vorgesehenes (ordentliches) Kündigungsrecht des Versicherers sollte
231„lediglich dann eine unangemessene Benachteiligung und damit ein Verstoß gegen § 307 BGB darstellen, wenn Beitragsdeckungsrückstellungen gebildet wurden und im Falle einer Kündigung die angesparten Prämienanteile aus den geleisteten Prämien – ohne einen Ausgleich für den Versicherungsnehmer und ohne sein Zutun – dem Kollektiv zufallen.“
232Für die BaFin kommt es aber darauf an, dass Beitragsrückstellungen zu bilden sind bzw. waren, nicht dass sie tatsächlich gebildet wurden. Der Vortrag der Beklagten in der Berufungsbegründung, Rückstellungen nicht gebildet zu haben, würde – folgt man der BaFin (und den wohl auch berechtigten Erwartungen ihrer Vertragspartner) – dafür sprechen, dass dem Versicherungsprodukt „A“ tatsächlich auch ein fehlerhaftes Finanzierungskonzept zugrunde lag.
233In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Entwurf des Schreibens der BaFin (S. 2, C. – GA 436) die Pflegerentenversicherung, die einen der vier Bausteine der A darstellt, „für sich genommen und isoliert betrachtet der Lebensversicherung zuzuordnen wäre“.
234Darauf, ob der Kläger sich im Rahmen dieses Verfahrens zu Recht auch auf einen Verstoß gegen § 305c BGB, der überraschende und mehrdeutige Klauseln betrifft, und den Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) beruft, oder ob er damit bereits deswegen nicht durchdringt, weil – wie die Beklagte einwendet – nach § 1 UKlaG nur auf Verstöße gegen die §§ 307 bis 309 BGB zu kontrollieren ist, kommt es nicht mehr an. Allerdings ergibt sich gerade aus dem von der Beklagten angeführten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2007 - IV ZR 130/06 – (NJW 2008, 1160) eher etwas Anderes. Der Bundesgerichtshof würde hier möglicherweise eine Analogie für geboten halten:
235„Der sachliche Grund für diese, schon in der Vorgängervorschrift des § 1 UKlaG, dem § 13 AGBG, zum Ausdruck kommende Begrenzung des Anwendungsbereichs ist darin zu sehen, dass sich Fragen der Einbeziehung einschließlich der Frage, ob eine Klausel für den Vertragspartner des Verwenders überraschend ist, in aller Regel nur anhand der Einzelumstände beurteilen lassen. Sie sind daher für die abstrakte Klauselkontrolle im Verbandsklageverfahren ungeeignet. […]
236[…] spielen Besonderheiten im Zusammenhang mit einem bestimmten Einzelvertrag keine Rolle […].
237[…] trifft die ratio legis für die oben beschriebene Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 1 UKlaG hier nicht zu. Wegen der Beschränkung im Wortlaut dieser Vorschrift auf die Überprüfung von §§ 307 bis 309 BGB kommt eine erweiternde Auslegung allerdings nicht in Betracht. Geboten erscheint aber eine analoge Anwendung, […], für die das geänderte Klauselwerk maßgebend ist. Damit wird dem Zweck des § 1 UKlaG Rechnung getragen, den Rechtsverkehr von sachlich unangemessenen und unzulässigen Klauseln und den durch sie tatsächlich oft erzeugten Scheinbindungen freizuhalten ([…]). Der Kunde soll durch das Verbandsklageverfahren gerade davor geschützt werden, dass er durch den Hinweis auf neue Bedingungen missbräuchlich davon abgehalten wird, seine […] Rechte geltend zu machen.“
238Auch vorliegend macht der Kläger nicht Besonderheiten einzelner Fallgestaltungen geltend.
239Bezüglich des Antrags zu 1 könnte allerdings fraglich sein, ob die Klage auch begründet ist, soweit der Beklagten die Verwendung der Klauseln auch „vor oder bei Abschluss des Produkts ‚A‘ inhaltsgleicher Versicherungsverträge“ untersagt werden soll. Es könnte an der geforderten Wiederholungsgefahr fehlen, weil die A in den Jahren 2006 bis 2010 vertrieben wurde und die Beklagte – soweit ersichtlich – seither inhaltsgleiche Verträge unter Verwendung der angegriffenen oder inhaltsgleicher Klauseln nicht angeboten hat und nach ihrem Vortrag auch nicht anzubieten beabsichtigt.
240Nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfte die Wiederholungsgefahr hier trotzdem gegeben sein. So heißt es im Urteil vom 12. September 2017 – XI ZR 590/15 – (NJW 2017, 3649 Rn. 69):
241„Der Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG setzt als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr voraus, für deren Vorliegen bei der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine tatsächliche Vermutung spricht, an deren Widerlegung strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. […]). Regelmäßig ist hierfür die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erforderlich (vgl. […]), die nur im Ausnahmefall entbehrlich ist, wenn besondere Umstände vorliegen, bei denen nach allgemeiner Erfahrung nicht mehr mit einer Wiederholung zu rechnen ist (vgl. […]). Nicht ausreichend ist insoweit regelmäßig allein die Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder die bloße Absichtserklärung des Verwenders, diese nicht weiter verwenden zu wollen ([…]). Etwas anderes gilt aber, wenn der Verwender auf ein Unterlassungsverlangen hin bereits außergerichtlich von Anfang an die Klausel nicht rechtfertigt bzw. die Berechtigung der Beanstandung nicht bestreitet (vgl. […]).“
242Auch der Klageantrag zu 2, gerichtet auf Erteilung von Auskunft, und der Klageantrag zu 3, gerichtet auf Folgenbeseitigung, der die geforderte Auskunft dienen soll, sind begründet.
243Die Bestimmung des § 1 UKlaG gewährt den gemäß § 3 Abs. 1 UKlaG anspruchsberechtigten Stellen gegen dem Verwender von gemäß §§ 307 bis 309 BGB unwirksamen AGB keinen Beseitigungsanspruch. Der geltend gemachte Beseitigungsanspruch folgt jedoch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 3 und § 3a UWG.
244Die Vorschriften über die Kontrolle unwirksamer AGB gemäß § 1 UKlaG und des Lauterkeitsrechts sind nebeneinander anwendbar (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2017 – I ZR 184/15, GRUR 2018, 423). Der Kläger ist eine qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG. Er kann daher aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG die Beklagte (neben Unterlassung auch) auf Beseitigung in Anspruch nehmen. Denn diese hat gemäß obigen Ausführungen mit der Verwendung der streitigen Klauseln eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen. Die Voraussetzungen eines Beseitigungsanspruchs sind daher gegeben.
245Zur Durchsetzung dieses Anspruchs bedarf der Kläger der Auskunft durch die Beklagte, die in der Lage ist, sie unter zumutbaren Bedingungen zu erteilen, und kann sich hierfür auf § 242 BGB stützen.
246Die Beklagte beruft sich unter Hinweis auf die kurze 6-monatige Verjährungsfrist gemäß § 11 UWG auf Verjährung eines Folgenbeseitigungsanspruchs, dies jedoch nicht zu Recht.
247Der Folgenbeseitigungsanspruch, dessen Durchsetzung der Kläger mithilfe des dem Antrag zu 3 vorgeschalteten Auskunftsanspruchs vorbereiten will, bezieht sich auf die „Kündigungskampagne“ der Beklagten und nicht auf die Vertragsschlüsse unter Verwendung der angegriffenen Klauseln. Die „Kündigungskampagne“ ist aber noch nicht beendet, zumindest war sie es nicht bei Eintritt der Rechtshängigkeit. Es gab jedenfalls über die Rechtshängigkeit der hier zu behandelnden Klage hinaus, wie dem Senat aus dem Verfahren 20 U 176/20 bekannt ist und wie sich auch aus von der Beklagten im laufenden Verfahren vorgelegten gerichtlichen Entscheidungen ergibt – so die Urteile des Landgerichts Hannover vom 5. Juli 2021, Az. 2 O 5/21, (GA 558) und des Landgerichts Halle vom 21. Mai 2021, Az. 5 O 97/20, (GA 573) sowie die Hinweisbeschlüsse der Oberlandesgerichte Koblenz vom 4. November 2021, Az. 10 U 628/21, (GA 567) sowie des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. vom 14. Juni 2021, Az. 3 U 296/20 (GA 583) –, weiterhin Vertragsverhältnisse betreffend die A der Beklagten, deren Fortbestand im Streit stand und möglicherweise noch steht und in denen die Beklagte sich – gestützt auf die angegriffenen Klauseln – darauf beruft bzw. berufen hat, zur ordentlichen Kündigung berechtigt (gewesen) zu sein. Die Verwendung der Klauseln wird also fortgesetzt. Damit gilt zur Verjährung gemäß § 11 UWG:
248Handelt es sich bei der lauterkeitsrechtliche Abwehransprüche auslösenden Handlung um eine Einzelhandlung, wie zum Beispiel eine einmalige Zeitungsannonce, beginnt der Lauf der Verjährungsfrist mit dem erstmaligen Entstehen des Anspruchs, also dem Abschluss der Handlung, möge sie auch noch fortwirken. Und eine solche Einzelhandlung handelt es sich vorliegend nicht.
249Von der Einzelhandlung zu unterscheiden sind sog. fortgesetzte Handlungen, unter denen die Vornahme von auf einem einheitlichen Willen beruhenden gleichartigen Handlungen zu verstehen ist, und Dauerhandlungen, bei denen es sich um Handlungen handelt, die eine fortwährende Störung hervorrufen. Diese sind nicht verjährt, wenn der letzte Teilakt in nicht rechtsverjährter Zeit begangen wurde bzw. die Beendigung der Beeinträchtigung noch nicht sechs Monate zurückliegt (Menebröcker in Götting/Nordemann, UWG, 3. Aufl., § 11 Rn. 24 mwN.).
250Es kann daher offenbleiben, ob es sich beim Verwenden der streitgegenständlichen Klauseln durch die Beklagte um eine fortgesetzte oder um eine Dauerhandlung handelt.
251Die Verjährungseinrede der Beklagten geht auch deswegen ins Leere, weil sie sich – wie dargelegt – jedenfalls in Einzelfällen auch in unverjährter Zeit auf die streitigen Klauseln berufen hat. Es wäre daher an der Beklagten gewesen, die für die Voraussetzungen der Verjährung, auf die sie sich beruft, die Darlegungslast trägt, die Umstände vorzutragen, aus denen sich der Grund und der Umfang einer etwaigen Verjährung ergeben.
252Das Vorgehen des Klägers ist schließlich nicht rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB). Die Beklagte, die zumindest bis in die jüngste Vergangenheit noch in andere Rechtsstreitigkeiten wegen der von ihr ausgesprochenen Kündigungen verwickelt war, zeigt nicht auf, inwieweit der Kläger durch sein vorprozessuales Verhalten bei ihr eine schützenswertes Vertrauen begründet und sie sich dementsprechend eingerichtet hätte. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, der Frage näherzutreten, unter welchen Voraussetzungen dem Kläger, dem die Klagebefugnis im Allgemeininteresse eingeräumt ist, Rechtsmissbrauch entgegengehalten werden könnte.
253Für den an den Folgenbeseitigungsanspruch als Nebenanspruch anknüpfenden Auskunftsanspruch aus § 242 BGB gilt, dass er grundsätzlich nicht vor dem Hauptanspruch, dem er dient, verjähren kann (vgl. BGH, Urt. v. 25.7.2017 – VI ZR 222/16, NJW 2017, 2755; BGH, Urt. v. 3.9.2020 – III ZR 136/18, NJW 2021, 765).
254Dem Kläger steht gegen die Beklagte ferner ein Anspruch auf Erstattung der Kosten seiner vorgerichtlichen Abmahnung in Höhe der geltend gemachten Pauschale von 321 € aus § 5 UKlaG in Verbindung mit § 13 Abs. 3 UWG zu. Zinsen hierauf können ab Rechtshängigkeit in derzugesprochenen Höhe aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB verlangt werden.
255Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
256Nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist es geboten, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision zuzulassen.
257Streitwert des Berufungsverfahrens: 10.000 €