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Dass der Beschuldigte der nach § 53a Abs. 1 Satz 2 StPO entscheidungsberechtigte Arzt ist, begründet nicht die Rechtsfolge, dass die als seine Berufshelferinnen eingesetzten medizinischen Fachangestellten berechtigt sind, über die Ausübung des Zeugnisver-weigerungsrechts zu entscheiden. Das Zeugnisverweigerungsrecht greift auch in einem Verfahren ein, das gegen den zur Zeugnisverweigerung Berechtigten geführt wird.
Das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO)- und die Zeugnisverweigerungspflicht der Berufshelferinnen (§ 53a StPO) - ist nicht beschränkt auf den Schutz der Daten zur Identität der Patientinnen. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, auf den § 53a StPO verweist, beschränkt das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf bestimmte Kenntnisse; der Gesetzeswortlaut streckt das Zeugnisverweigerungsrecht auf alles, "was" den Berufsangehörigen "anvertraut oder bekannt geworden" ist.
Der Antrag der Antragstellerin vom 26. Juni 2014 auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens wird abgelehnt.
Die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
G r ü n d e
2I.
3Die Ärztekammer Westfalen-Lippe hat unter dem 26. Juni 2014 die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens gegen den Beschuldigten beantragt. Sie legt dem Beschuldigten zur Last, seine Berufspflichten verletzt zu haben, indem er
4„im Rahmen des in der Notfalldienstpraxis in M. am 4. Januar 2014 durchgeführten Notdienstes zwei minderjährige Patientinnen vor der [damals noch erforderlichen] Verschreibung der „Pille danach“ gynäkologisch äußerlich untersucht, auf die Durchführung der äußerlichen Untersuchung trotz kritischer Nachfrage der Patientinnen zur Erforderlichkeit der Untersuchung bestanden und zudem detaillierte Fragen zum Geschlechtsverkehr gestellt habe.“
5II.
6Der Antrag auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens ist gem. §§ 204 Abs. 1, 203 StPO, § 112 HeilBerG aus tatsächlichen Gründen abzulehnen. Der Beschuldigte ist nicht hinreichend verdächtig, gegen Berufspflichten verstoßen zu haben. Der Sachverhalt, den die Antragstellerin dem Beschuldigten vorhält, ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Taugliche Beweismittel bestehen nicht.
71. Die Patientinnen können nicht als Zeuginnen vernommen werden. Ihre Identität ist sowohl dem Berufsgericht als auch der Antragstellerin nicht bekannt. Sie haben sich nicht bei der Antragstellerin mit einer gegen den Beschuldigten gerichteten Beschwerde gemeldet. Ihre Identität kann nicht festgestellt werden (vgl. §§ 53, 53a StPO, § 112 HeilBerG).
82. Die von der Antragstellerin als Zeuginnen benannten medizinischen Fachangestellten sind nicht berechtigt, in einer Hauptverhandlung zu den Vorwürfen als Zeuginnen auszusagen.
9Erklärungen der Patientinnen zur Entbindung des Beschuldigten und der medizinischen Fachangestellten von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit liegen nicht vor (§ 53a Abs. 2 StPO, § 112 HeilBerG).
10Haben sich die Patientinnen mit einer Aussage der medizinischen Fachangestellten nicht einverstanden erklärt, sind letztere auch nicht sonst ermächtigt, über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen auszusagen. Nach § 53 a Abs. 1 StPO, § 112 HeilBerG stehen dem zeugnisverweigerungsberechtigten Arzt (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) ihre Gehilfen und damit die als Zeuginnen benannten medizinischen Fachangestellten gleich. Über die Ausübung des Rechts dieser Hilfspersonen, das Zeugnis zu verweigern, dürfen jedoch nicht die Zeuginnen entscheiden. Der Gesetzgeber hat die Entscheidungsberechtigung allein dem zeugnisverweigerungsberechtigten Arzt übertragen, es sei denn, dass diese Entscheidung in absehbarer Zeit nicht herbeigeführt werden kann (§ 53a Abs. 1 Satz 2 StPO). Dies entspricht dem Zweck der Vorschrift. § 53a StPO soll eine Umgehung des § 53 StPO verhindern. Eine solche Zustimmung liegt nicht vor.
11Dass der Beschuldigte der entscheidungsberechtigte Arzt ist, begründet nicht die Rechtsfolge, dass die als seine Berufshelferinnen eingesetzten medizinischen Fachangestellten berechtigt sind, über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts zu entscheiden. Das Zeugnisverweigerungsrecht greift auch in einem Verfahren ein, das gegen den zur Zeugnisverweigerung Berechtigten geführt wird (vgl. wegen des § 53 StPO sichernden Beweisverbots nach § 252 StPO BGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - 5 StR 584/90 -, Juris, Rn. 9 = BGHSt 38, 7 = NJW 1992, 123; ebenso LG Hamburg, Beschluss vom 7. März 1989 – [84] 7/89 -, StV 1989, 385; a. A. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 53a Rn. 9). Nach der gesetzlichen Regelung hängt das Weigerungsrecht allein vom Vernehmungsgegenstand, nicht aber von der Beziehung der Zeuginnen zum Beschuldigten ab (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1985 ‑ 2 StR 561/84 -, Juris, Rn. 17 = BGHSt 33, 148 = NJW 1985, 2203). Der Wortlaut des § 53a Abs. 1 Satz 2 StPO begründet kein solches personenbezogenes Regel-/Ausnahmeverhältnis. Die Ausnahme des § 53a Abs. 1 Satz 2, letzter Halbsatz StPO liegt nicht vor. Eine teleologische Reduktion des Satzes 2 der Vorschrift ist nicht möglich. Eine dafür erforderliche vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Regelungslücke ist nicht festzustellen.
12Der Beschluss des Landesberufsgerichts für Zahnärzte Stuttgart vom 14. Juni 1975 – LQs 1/75 –, NJW 1975, 2255, steht nicht entgegen. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob der dort angeführten Rechtsauffassung beizutreten ist. Jedenfalls ist der von dem Landesberufsgericht Stuttgart entschiedene Sachverhalt, der allein das Verhältnis zwischen einem Zahntechniker und einem Zahnarzt betraf, nicht mit dem hier behaupteten Sachverhalt vergleichbar. Hier ist ein Sachverhalt betroffen, der unmittelbarer Gegenstand des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patientin ist (vgl. dazu sogleich).
13Der Sachverhalt, zu dem die medizinischen Fachangestellten nach Auffassung der Antragstellerin aussagen sollten, ist Gegenstand des Zeugnisverweigerungsrechts nach §§ 53a, 53 StPO. Das Zeugnisverweigerungsrecht – und die Zeugnisverweigerungspflicht der Berufshelferinnen – ist nicht beschränkt auf den Schutz der Daten zur Identität der Patientinnen. Das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes erstreckt sich auch (BGH, Urteil vom 20. Februar 1985 ‑ 2 StR 561/84 -, a. a. O., Rn. 14), aber nicht nur auf die Identität der Patientinnen. Nach §§ 53a, 53 StPO haben die Berufshelferinnen darüber zu schweigen, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufshelferin anvertraut oder sonst bekannt geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1985 - 2 StR 561/84 -, a. a. O., Rn. 11). Dies ist hier offensichtlich gegeben, wenn sich das Beweisthema unmittelbar auf das Arzt-Patientinnengespräch und auf ärztliche Untersuchungen erstreckt, bei denen die medizinischen Fachangestellten in Ausübung ihres Berufes anwesend waren. Der Wortlaut des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO, auf den § 53a StPO verweist, beschränkt das Zeugnisverweigerungsrecht nicht auf bestimmte Kenntnisse; der Gesetzeswortlaut streckt das Zeugnisverweigerungsrecht auf alles, „was“ den Berufsangehörigen „anvertraut oder bekannt geworden“ ist. Auch der Zweck der §§ 53, 53a StPO ist nicht auf einen Datenschutz der Personalien beschränkt. Das Zeugnisverweigerungsrecht bezweckt einen umfassenden Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Angehörigen bestimmter Berufe ‑ hier: der Ärztinnen und Ärzte - und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 53 Rn. 1 mit Nachweisen aus der Rspr.). Eine ohne Zustimmung der Patientinnen erfolgende Vernehmung der Zeuginnen verletzt dieses Vertrauensverhältnis.
143. Die Schreiben der medizinischen Fachangestellten, mit denen sie der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe die erhobenen Vorwürfe anzeigten, dürfen nicht verlesen werden (§ 250 Satz 2 StPO, § 112 HeilBerG).
154. Weitere Beweismittel sind nicht benannt noch sonst ersichtlich.
16III.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 112 HeilBerG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.