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Wird in einem Beschlussverfahren die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung angegriffen, so ist die Aussetzung eines Individualverfahrens, bei dem die Parteien um Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung streiten, in der Regel nicht ermessensfehlerhaft
Die Beschwerde des Klägers vom 10.10.2024 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 29.08.2024 - 1 Ca 589/24 - wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
2I. In der Hauptsache streiten die Parteien über die Zahlung einer weiteren Abfindung nach einer anlässlich der Stilllegung des Betriebs der Beklagten abgeschlossenen Betriebsvereinbarung „B 2023-12“ (Antrag zu 1) sowie um die Zahlung einer höheren Abfindung gemäß der ebenfalls aus diesem Anlass geschlossenen Betriebsvereinbarung „B 2023-15“ (Antrag zu 2).
3Mit Teilurteil vom 29.08.2024 hat das Arbeitsgericht Bonn nach Auslegung der Betriebsvereinbarung B 2023-15 für Recht erkannt, dass die Beklagte bei der Berechnung der Sozialplanabfindung den Kläger zurecht als „rentennahen Mitarbeiter“ im Sinne der Betriebsvereinbarung behandelt und daher eine geringere Abfindung ausgezahlt habe. Das Arbeitsgericht hat mit dem besagten Teilurteil daher den dort gestellten Antrag zu 2 abgewiesen.
4Bisher nicht beschieden ist der Antrag zu 1, mit dem der Kläger eine zusätzliche Abfindung nach der Betriebsvereinbarung B 2023-12 gefordert hatte. Im Verfahren 6 BV 66/24 hat die Beklagte die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise der Gesamtunwirksamkeit der dem Anspruch zugrundeliegenden Betriebsvereinbarung B 2023-12 begehrt. Die Anträge sind im Beschlussverfahren vom Arbeitsgericht Bonn mit Beschluss vom 08.08.2024 abgewiesen worden. Die Beschwerde der Beklagten gegen diesen Beschluss wird beim Landesarbeitsgericht Köln unter dem Geschäftszeichen 9 TaBv 59/24 geführt. Dort ist für den 06.05.2025 ein Anhörungstermin anberaumt worden.
5Mit Blick auf dieses vorbezeichnete Beschwerdeverfahren beim Landesarbeitsgericht Köln über die Wirksamkeit der dem noch streitigen Anspruch zugrundeliegende Betriebsvereinbarung hat das Arbeitsgericht Bonn mit dem hier streitgegenständlichen Beschluss den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO, § 46 Abs. 2 ArbGG bis zur Erledigung des Verfahrens 6 BV 66/24 ausgesetzt. Dies geschah mit der Begründung, dass das Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht vorgreiflich sei. Die Regelung in der fraglichen Betriebsvereinbarung, die den Kläger von einer Zahlung ausschließe, sei nach Auffassung des Arbeitsgerichts wegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen das Diskriminierungsverbot unwirksam. Wenn sich im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung herausstelle, entfalle dem gegenüber die Anspruchsgrundlage für einen Zahlungsanspruch vollständig. Mit Blick auf den Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit und mit Blick auf das Bemühen, widersprechende Entscheidungen zu verhindern, sei das durch § 148 ZPO eingeräumt Ermessen wie erfolgt auszuüben und folglich sei der Rechtsstreit auszusetzen gewesen.
6Damit ist der Kläger nicht einverstanden und wendet sich daher mit der streitgegenständlichen sofortigen Beschwerde gegen diese Aussetzungsentscheidung. Bei der Ermessensentscheidung habe das Arbeitsgericht den Beschleunigungsgrundsatz nicht ausreichend gewürdigt und das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass alle anderen Arbeitnehmer, die nicht dem hier einschlägigen Ausschlusstatbestand in der Betriebsvereinbarung unterfielen, die von der Betriebsvereinbarung versprochenen Geldleistungen bereits erhalten hätten, die wegen der tariflichen Ausschlussfrist nicht zurückgefordert werden könnten. Schon aus diesem Grund sei ein Anspruch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung gegeben - ganz unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung.
7In seinem Nichtabhilfebeschluss vom 03.12.2024 hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass es den Beschleunigungsgrundsatz durchaus berücksichtigt habe und dass der vom Kläger mit Blick auf die tarifliche Ausschlussfrist angesprochene Sachverhalt nicht geeignet sei, einen Anspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz herzuleiten, da die Berücksichtigung der tariflichen Ausschlussfrist ein Fall des Normvollzugs sei und eben nicht einer selbstbindenden Auswahlentscheidung der Arbeitgeberin.
8Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, insbesondere auf den Inhalt des angegriffenen Beschlusses vom 29.08.2024 (Bl. 300 der arbeitsgerichtlichen Akte) sowie auf den Inhalt des Nichtabhilfebeschlusses des Arbeitsgerichts Bonn vom 03.12.2024 (Bl. 352 der arbeitsgerichtlichen Akte).
9II. Die gemäß §§ 252, 567 Abs. 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 29.08.2024 ist zulässig. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
101. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht im Sinne des § 569 Abs. 1, Abs. 2 ZPO eingelegt worden. Die 2-Wochen-Frist für die Einlegung des Rechtsmittels ist gewahrt.
112. Die Beschwerde bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Denn das Arbeitsgericht hat ohne ersichtlichen Verfahrens- oder Ermessensfehler den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Berufungsverfahren beim Landesarbeitsgericht Köln - 9 TaBv 59/24 - ausgesetzt.
12a) Nach § 148 ZPO „kann“ das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt damit die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen. Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer (BAG v. 16.04.2014 - 10 AZB 6/14 -).
13Im Streitfall liegen die gesetzlichen Voraussetzungen einer Aussetzung gemäß § 148 ZPO vor. Insbesondere ist das Beschwerdeverfahren vorgreiflich: Stellt sich im Beschwerdeverfahren die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung heraus, entfällt der vom Arbeitsgericht angenommene Anspruch. Umgekehrt besteht dieser Anspruch nicht aus einem anderen Gesichtspunkt, der von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung unabhängig wäre. Insbesondere hat das Arbeitsgericht zurecht darauf hingewiesen, dass das Verstreichen einer Ausschlussfrist mit dem daraus folgenden Normvollzug grundsätzlich keine selbstbindende Auswahlentscheidung der Arbeitgeberin darstellen kann.
14Der Kläger hat mit seiner Beschwerdebegründung keinen durchgreifenden Ermessensfehler des Arbeitsgerichts aufgezeigt. Nach § 252 ZPO obliegt dem Beschwerdegericht bei der Prüfung des angegriffenen Beschlusses nur die Nachprüfung auf Verfahrens- und Ermessensfehler. Das Beschwerdegericht hat also lediglich zu prüfen, ob das Arbeitsgericht den Ermessensspielraum überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender Weise Gebrauch gemacht hat. (BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 360/05 -).
15Vorliegend hat das Arbeitsgericht im angefochtenen Beschluss vom 29.08.2024 und im Nichtabhilfebeschlusses vom 03.12.2024 die bei § 148 ZPO maßgeblich zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sämtlich in seine Ermessensabwägung eingestellt. Es hat einerseits die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen im Instanzenzug im Rahmen seiner Abwägung berücksichtigt und andererseits den Beschleunigungsgrundsatz. Der letztgenannte Beschleunigungsgrundsatz aus § 9 ArbGG gilt gemäß § 61 a ArbGG besonders für Bestandsstreitigkeiten. Vorliegend geht aber nur um Geld. Damit ist es richtig, die Vermeidung widersprechender Entscheidungen und die Prozessökonomie bei der Abwägung in den Vordergrund zu stellen.
16Insgesamt hat das Arbeitsgericht aufgrund einer Würdigung aller maßgeblichen Umstände des vorliegenden Falles in nicht zu beanstandender Art und Weise die Vermeidung der Gefahr widerstreitender Entscheidungen im Instanzenzug sowie Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit höher gewichtet als das Beschleunigungsinteresse des Klägers.
173. Eine Kostenentscheidung entfällt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind Kosten des Rechtstreits insgesamt.
184. Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel mangels Zulassung der Rechtsbeschwerde, für die kein Anlass besteht, nicht gegeben (§§ 78 Satz 2 ArbGG, 72 Abs. 2 ArbGG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Die Entscheidung ist daher unanfechtbar.