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1. Eine zunächst dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge wurde nach ständiger
Rechtsprechung statisch, wenn der Arbeitsvertrag vor dem 01.01.2002 geschlossen wurde (sog. Altvertrag) und der Arbeitgeber vor diesem Stichtag aus dem Arbeitgeberverband ausgeschieden war.
2. Ein Wiederaufleben der Dynamik der Verweisung erfolgt nach ständiger Rechtsprechung, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien nach dem 01.01.2022 auf eine Änderung des Arbeitsvertrages verständigt haben und die arbeitsvertragliche Inbezugnahme der Tarifverträge zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist.
3. Änderungen des Arbeitsvertrags, die ausdrücklich oder sinngemäß eine Regelung enthalten, wonach „alle weiteren Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages ihre volle Gültigkeit behalten“, sind regelmäßig dahingehend auszulegen, dass sie nicht zur Wiederbelebung der Dynamik einer Bezugnahmeklausel führen. Soweit das Bundesarbeitsgericht in einer nicht einheitlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis kommt, dass von einem Neuvertrag auszugehen sei, ist dem nicht zuzustimmen. Mit der Klausel geben die Arbeitsvertragsparteien zu erkennen, dass sie mit der Ausnahme der Vertragsänderung „alles beim Alten“ belassen wollen. Dies bezieht die Annahme eines statischen Verständnisses der Bezugnahmeklausel ein (entgegen BAG 07.12.2016 – 4 AZR 414/14 und 30.07.2008 – 10 AZR 606/07).
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.09.2023 — 14 Ca 2707/23 — abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten darüber, welche tarifliche Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden.
3Die Klägerin ist aufgrund Arbeitsvertrags vom 24.02.1997 (AV 1997) seit dem 01.06.1997 bei der Beklagten bzw. zunächst einer Rechtsvorgängerin der Beklagten – einem Unternehmen der Möbelbranche – als Verkäuferin beschäftigt.
4§ 1 des Arbeitsvertrags lautet:
5„§ 1 Anstellung
6Der Arbeitnehmer wird ab 01.06.1977 als Verkäuferin / P – L eingestellt.
7Sein Aufgabengebiet umfasst in erster Linie: Jugendzimmer
8Auf Anforderung der Betriebsleitung sind auch andere Arbeiten zu übernehmen, gegebenenfalls ist der Arbeitnehmer bereit, sich in andere Abteilungen versetzen zu lassen.
9Der jeweilige Manteltarifvertrag für den Einzelhandel sowie der Lohn- und Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel sind Inhalt dieses Anstellungsvertrages.“
10§ 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags regelt unter der Überschrift „Bezüge“ auszugsweise Folgendes:
11„Der Arbeitnehmer erhält ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von z. Zeit: Fixum 1.100, --DM. Etwaige übertarifliche Lohn- und Gehaltsbestandteile einschließlich Provisionen und Prämien können jederzeit unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist gekündigt werden. Alle etwaigen freiwilligen Leistungen können bei Tarifänderung angerechnet werden. Einstufungen in eine höhere Beschäftigungs- oder Gehaltsgruppe werden grundsätzlich angerechnet. [...]“
12§ 6 des Arbeitsvertrags regelt unter der Überschrift „Sonstiges“ auszugsweise Folgendes:
13„Gehalt: Tarif-Gr. I/6 Es wird ein Fixum von DM 1.100,-- plus Provision und Staffelprämie gem. Betriebsvereinbarung gezahlt. Während der Probezeit werden DM 4.400, --garantiert. [...]
14Arbeitszeiten gem. Betriebsvereinbarung. [...]“
15Die Beklagte war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Mitglied des Arbeitgeberverbandes; zum Ablauf des 31.12.2001 trat sie aus diesem aus.
16Am 01.06.2013 wechselte die Klägerin innerhalb des Verkaufes vom Aufgabengebiet Jugendzimmer in die Abteilung Leuchten. In einem von beiden Parteien am 13.05.2013 unterzeichnetem schriftlichen Dokument vom 13.05.2013 (AV 2013) ist ausgeführt:
17„Arbeitsvertrag (Änderung)
18…. wird folgende Änderung zum Arbeitsvertrag geschlossen:
19I. Tätigkeit
201. Ab 01.06.2013 ist Frau Z in der Abteilung Leuchten tätig.
21II. Vertragsänderung
221. Alle weiteren Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages oder in späteren Vereinbarungen getroffenen Regelungen behalten ihre volle Gültigkeit.
232. Änderungen und Ergänzungen dieser Vertragsergänzung bedürfen zur Wirksamkeit der Schriftform; dies gilt auch für diese Schriftformklausel.
243. Sind oder werden einzelne Bestimmungen dieser Vertragsänderung unwirksam, so wird hierdurch die Wirksamkeit des Vertrages insgesamt nicht berührt. Die Arbeitsvertragsparteien verpflichten sich in diesem Fall, die ungültige Bestimmung durch eine ihr inhaltlich möglichst nahekommende Regelung zu ersetzen.
254. Die Änderung des Arbeitsvertrages wird in zweifacher Ausfertigung erstellt. Der Arbeitnehmer hat eine Ausfertigung erhalten.
26Köln, 13 05.2013
27P M
28GmbH& Co.KG K P-L
29Unterschriften
30Alle weiteren Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages oder in späteren Vereinbarungen getroffenen Regelungen behalten ihre volle Gültigkeit.“
31Der Tariflohn betrug in der Gehaltsgruppe I (Angestellte mit einfacher kaufmännischer Tätigkeit) ab dem sechsten Berufsjahr für Verkäufer nach § 3 Buchst. B Abs. 4 des aktuellen zwischen dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) abgeschlossenen Gehaltstarifvertrags vom 08.10.2021 (GTV) ab dem 01.05.2022 monatlich 2.832,00 Euro brutto für eine Vollzeitkraft.
32Zuletzt erhielt die Klägerin einen in der Abrechnung für Februar 2023 als „Summe Garantie“ aufgeführten Bruttomonatslohn i Hv. 1.986,00 Euro. Die Abrechnung weist darüber hinaus unter der Lohnart „Inflationsausgleichsprämie.“ einen Betrag i H v. 188,44 Euro brutto sowie unter der Lohnart „Provision (Moonlight)“ einen Betrag i H v. 60,00 Euro brutto aus. Als „Gesamt Brutto“ ergibt sich für Februar 2023 ein Betrag i H v. 2.234,44 Euro.
33Mit Schreiben vom 05.04.2023 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Differenzvergütungsansprüche geltend.
34Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die streitgegenständlichen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung anwendbar seien. Zwar habe es sich bei der ursprünglichen Bezugnahme auf die Tarifverträge des Einzelhandels Nordrhein-Westfalen um einen sogenannten „Altfall“ gehandelt, der noch als Gleichstellungsabrede zu behandeln gewesen sei. Durch die Vertragsänderung vom 13.05.2013 sei aber durch die Bezugnahme auf den ursprünglichen Arbeitsvertrag der Parteien die Dynamik wiederhergestellt worden.
35Die Klägerin hat beantragt,
361. festzustellen, dass der Gehaltstarifvertrag Einzelhandel Nordrhein-Westfalen, abgeschlossen zwischen dem Handelsverband NRW und der Gewerkschaft ver.di, in seiner jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien anzuwenden ist;
372. festzustellen, dass der Manteltarifvertrag Einzelhandel Nordrhein-Westfalen, abgeschlossen zwischen dem Handelsverband NRW und der Gewerkschaft ver.di, in seiner jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien anzuwenden ist;
383. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie nach Gehaltsgruppe I ab dem sechsten Tätigkeitsjahr des Gehaltstarifvertrages Einzelhandel Nordrhein-Westfalen, abgeschlossen zwischen dem Handelsverband NRW und der Gewerkschaft ver.di, zu vergüten;
394. die Beklagte zu verurteilen, an sie Differenzlohn für die Monate Oktober 2022 bis April 2023 iHv. insgesamt 5.922,00 Euro brutto zu zahlen.
40Die Beklagte hat beantragt,
41die Klage abzuweisen.
42Sie hat die Auffassung vertreten, dass weder der aktuelle Gehaltstarifvertrag noch der der aktuelle Manteltarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anwendbar seien. Aufgrund individualvertraglicher Vereinbarungen des Gehaltes stehe der Klägerin kein Anspruch auf die Vergütung nach Gehaltsgruppe I/6 zu. Auch die Arbeitszeit sei aufgrund der Bezugnahme auf betriebliche Regelungen abweichend vom Tarifvertrag geregelt. Die bloß statische Geltung der ursprünglichen Verweisung auf die streitgegenständlichen Tarifverträge habe sich nicht durch spätere Vertragsänderungen in eine dynamische Bezugnahmeklausel gewandelt. Eine andere Sichtweise übersehe, dass die Parteien individualvertraglich Abweichendes vom Tarifvertrag geregelt hätten. Die Beklagte hat sich zudem auf Verwirkung berufen. Der Verbandsaustritt liege rund 22 Jahre und die vermeintlich zu einer Dynamisierung führende Vertragsänderung rund zehn Jahre zurück. Zudem sei die Klägerin sowohl vor dem Jahr 2013 als auch danach stets durchgehend damit einverstanden gewesen, nach den jeweils geltenden Betriebsvereinbarungen zu Provisionen behandelt zu werden. Durch dieses langjährige Verhalten sei bei der Beklagten ein schützenswertes Vertrauen darauf entstanden, dass sich die Klägerin auch zukünftig nicht auf eine angebliche dynamische Anwendung der Tarifverträge berufen werde. Des Weiteren hat die Beklagte die Klage für abweisungsreif gehalten, weil die Höhe des geltend gemachten Anspruchs nicht schlüssig dargelegt worden sei. Aus der vorgelegten Entgeltabrechnung für Februar 2023 ergebe sich ein monatliches Bruttoentgelt iHv. 2.234,44 Euro, nicht i H v. 1.986,00 Euro. Schließlich hat sich die Beklagte auf den Verfall der Ansprüche der Klägerin zumindest im Hinblick auf den Monat September 2022 berufen.
43Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
44Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass der Verweis im Arbeitsvertrag auf die Tarifverträge des Einzelhandels als statisch zu verstehen sei. Dies gelte insbesondere für den Lohn- und Gehaltstarifvertrag. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 des Arbeitsvertrages. Der Begriff „jeweilige“ beziehe sich nur auf den Manteltarifvertrag. Das Dokument vom 13.05.2023 enthalte trotz der missverständlichen Formulierung keine Vertragsänderung. Sie habe in diesem Zusammenhang ihr Direktionsrecht ausgeübt. Selbst wenn von einer Vertragsänderung auszugehen wäre, seien die Tarifverträge nur statisch in Bezug genommen worden, weil die Parteien die Bezugnahmeklausel aus dem Ursprungsarbeitsvertrag nicht erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung machen wollten. Die Klägerin habe gewusst, dass dies nicht die Intention der Beklagten gewesen sei. Da Tariflohnerhöhungen seit mehr als zehn Jahren nicht an die Klägerin weitergegeben worden seien, hätte ein „verständiger Vertragspartner“ nicht annehmen können, dass dies wieder geändert werden sollte.
45Die Beklagte beantragt,
46das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.09.2023 - 14 Ca 2707/23 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
47Die Klägerin beantragt,
48die Berufung zurückzuweisen.
49Sie verweist darauf, dass die Beklagte die Mitarbeiter nicht über die Folgen des Austritts der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband unterrichtet habe. Nach dem Wortlaut der Klausel kämen die jeweiligen Tarifverträge zur Anwendung. Dies gelte auch für den Lohn- und Gehaltstarifvertrag. Nach der Rechtsprechung des BAG sei der Verweis auf einen Tarifvertrag regelmäßig als dynamische Verweisung zu verstehen. Die ursprüngliche Dynamik der vertraglichen Bezugnahme Klausel sei durch die Vertragsänderung wieder aufgelebt.
50Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
51E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
52I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.
53II. Das Rechtsmittel ist begründet. Die Klage war abzuweisen, weil auf das Arbeitsverhältnis weder der Lohn- und Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen noch der Manteltarifvertrag in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung findet. Die in § 1 Abs. 4 des Arbeitsvertrages geregelte Bezugnahme auf die Tarifverträge des Einzelhandels ist seit dem 01.01.2002 als statische Verweisung zu verstehen. Dies hat sich nicht durch den Abschluss der „Arbeitsvertragsänderung“ vom 13.05.2013 geändert. Dies gilt trotz der missverständlichen Formulierung schon deswegen, weil die Parteien am 13.05.2013 keine vertragliche Abrede getroffen haben. Die Beklagte hat lediglich das Einverständnis der Klägerin zu der Ausübung des Direktionsrechts durch die Beklagte eingeholt. Selbst wenn dies wegen der ausdrücklichen Verwendung des Begriffs „Vertragsänderung“ in der Urkunde anders zu betrachten wäre, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Dies ergibt die Auslegung der von den Parteien vereinbarten vertraglichen Bestimmungen.
541. Dabei geht das Berufungsgericht zunächst in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die Tarifverträge für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen nach § 1 Abs. 4 des Arbeitsvertrages vom 24.02.1997 (AV 1997) ursprünglich dynamisch in Bezug genommen worden sind. Dies gilt entgegen der Auffassung der Beklagten auch für den Gehaltstarifvertrag. Dies bedarf nicht der Vertiefung, weil die Klage auch dann abzuweisen gewesen wäre, wenn eine „gespaltene Bezugnahme“ vorläge, wie die Beklagte meint.
552. Zutreffend hat das Arbeitsgericht weiterhin erkannt, dass die Dynamisierung durch den Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband zum 31.12.2001 endete. Seither war jedenfalls bis zum 13.05.2013 von einer statischen Verweisung im AV 1997 auf die am 31.12.2001 geltenden Tarifverträge auszugehen.
56a) Nach der früheren Rechtsprechung des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts war eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge regelmäßig als sog. „Gleichstellungsabrede“ zu verstehen. Es galt die - widerlegbare - Vermutung, es gehe einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten Beschäftigten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Der 4. Senat ging davon aus, mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel sollte lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags für alle Beschäftigten zu kommen. Daraus hat der 4. Senat die Konsequenz gezogen, ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder aus den Begleitumständen bei Vertragsschluss seien im Falle der normativen Gebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge Bezugnahmeklauseln in aller Regel als Gleichstellungsabreden auszulegen. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik gehe nur so weit, wie sie bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reiche, sie ende also dann, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden sei (vgl. BAG 07.12.2016 – 4 AZR 414/14 – Rn. 30).
57Diese Rechtsprechung hat der 4. Senat für vertragliche Bezugnahmeklauseln, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind, aufgegeben. Er wendet die Auslegungsregel lediglich aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf Bezugnahmeklauseln an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform vereinbart worden sind (vgl. BAG 07.12.2016 – 4 AZR 414/14 – Rn. 31).
58b) Danach endete die Dynamik der arbeitsvertraglichen Verweisung zunächst durch den Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband mit Ablauf des 31.12.2021, weil ein sog. Altfall gegeben war.
593. Die Urkunde vom 13.05.2013 hat zu keiner Änderung dahingehend geführt, dass die bis Ende 2001 bestehende Dynamik der Verweisung auf die Tarifverträge wiederaufgelebt ist. Diese Annahme beruht auf zwei Gründen. Der erste Grund besteht darin, dass die Parteien am 13.05.2023 keine vertragliche Abrede getroffen haben. Selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung eine Änderung des Arbeitsvertrages anzunehmen wäre, ergäbe sich kein anderes Ergebnis; die Klage ist auch unter dieser Prämisse unbegründet. Der AV 1997 und der AV 2013 sind dahingehend auszulegen, dass es bei der Annahme, die Verweisung auf die Tarifverträge sei „statisch“, verbleibt.
60a) Für Arbeitsverträge, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 abgeschlossen worden sind („Neuverträge”), wendet der 4. Senat die Auslegungsregel der Gleichstellungsabrede nicht an. Die Auslegung von Verweisungsklauseln in diesen Arbeitsverträgen hat sich in erster Linie an deren Wortlaut zu orientieren. Soweit ein Vertragspartner vom Wortlaut abweichende Regelungsziele verfolgt, können diese danach nur in die Auslegung eingehen, wenn sie für den anderen Vertragspartner mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommen. Eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Verweisung auf einen bestimmten Tarifvertrag ist jedenfalls dann, wenn eine Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an den in Bezug genommenen Tarifvertrag nicht in einer für den Arbeitnehmer erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung gemacht worden ist, eine konstitutive Verweisungsklausel, die durch einen Verbandsaustritt des Arbeitgebers oder einen sonstigen Wegfall seiner Tarifgebundenheit nicht berührt wird - „unbedingte zeitdynamische Verweisung“ (BAG 18.11.2009 – 4 AZR 514/08 – Rn. 22; 18.04.2007 - 4 AZR 652/05 - Rn. 26, 28).
61Bei Verweisungsklauseln in Arbeitsverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 abgeschlossen worden sind („Altverträge“), kann nach der Rechtsprechung des BAG eine Wiederbelebung der Dynamik der Verweisung auf Tarifverträge im Sinne einer unbedingten zeitdynamischen Verweisung erfolgen. Hierfür bedarf es zunächst einer Vertragsänderung nach dem 1. Januar 2002. Eine bloße Vertragsänderung soll allerdings nicht genügen. Erforderlich sei darüber hinaus, dass die Klausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist (vgl. nur BAG 19.10.2011 – 4 AZR 811/09 – Rn. 25).
62Nur wenn dies der Fall sei, werde die jeweilige Klausel von der Vertragsänderung erfasst. Ein deutlicher Ausdruck dafür, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist und die Parteien trotz der geänderten Gesetzeslage auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am 1. Januar 2002 ausdrücklich an den zuvor getroffenen Abreden festhalten, soll beispielsweise in der ausdrücklichen Erklärung, dass „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben“, liegen. Eine solche Regelung hindert nach dem Verständnis des 4. Senats die Annahme eines „Altvertrags“ und eine Rechtsfolgenkorrektur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (BAG 18.11.2009 - 4 AZR 514/08 - Rn. 25).
63b) Danach verbleibt es bei der Statik der Bezugnahme bereits deswegen, weil die Parteien am 13.05.2013 keine Änderung des AV 1997 vorgenommen haben. Dem steht nicht entgegen, dass in der Urkunde ausdrücklich von einer Vertragsänderung die Rede ist. Dies ergibt sich aus der Auslegung der Urkunde.
64(aa) Die Urkunde vom 13.05.2013 enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen i S v. §§ 305 ff. BGB. Die nach diesen Bestimmungen maßgeblichen Auslegungsgrundsätze sind auch für die Klärung der Frage, ob sich die Parteien auf eine Vertragsänderung verständigt haben, maßgeblich.
65Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten. Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendende Arbeitgeber muss bei Unklarheiten die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen. Die Anwendung der Unklarheiten Regel des § 305c Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von ihnen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht (st. Rspr., zB BAG 25.01.2023 – 10 AZR 109/22 – Rn. 21; 16. Juni 2021 - 10 AZR 31/20 - Rn. 44 mwN).
66(bb) Die Auslegung der „Vertragsänderung“ vom 13.05.2023 ergibt, dass die Parteien den Arbeitsvertrag vom 24.02.1997 nicht geändert haben. Dem steht nicht entgegen, dass das Dokument ausdrücklich als Änderungsvertrag bezeichnet worden ist. Eine Änderung des Vertrages haben die Parteien gleichwohl nicht vorgenommen.
67Die einzige Änderung, die die Parteien vorgenommen haben, ist der Wechsel der Klägerin von der Jugendabteilung in die Abteilung Leuchten. Hierzu bedurfte es keiner Vertragsänderung. Die Beklagte konnte der Klägerin die neue Tätigkeit in Ausübung ihres Direktionsrechts zuweisen (§ 106 GewO). Zudem hatte sich die Beklagte die Möglichkeit zur Versetzung der Klägerin in § 1 AV 1997 vorbehalten.
68Die Parteien haben aus der Sicht verständiger und redlicher Vertragspartner und aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise keine vertragliche Abrede zum neuen Tätigkeitsfeld der Klägerin getroffen. Die Urkunde zielt insbesondere nicht darauf, das Direktionsrecht der Beklagten dahingehend einzuschränken, dass diese nicht mehr die Möglichkeit haben sollte, die Klägerin in Ausübung ihres Direktionsrechts in einer anderen Abteilung einzusetzen. Dies ergibt sich unmissverständlich aus der „Weitergeltungsregelung“ in II. 1 der Urkunde.
69Die systematische Auslegung spricht gegen die Annahme einer Vertragsänderung. Die Urkunde sieht eine Trennung zwischen „I. Tätigkeit“ und „II. Vertragsänderung“ vor. Die eigentliche Neuerung für die Klägerin war der Wechsel in die Abteilung Leuchten. Diese Neuerung wird unter I. geführt und somit nicht der unter II. getroffenen Regelung zugeordnet.
70Die Bestimmungen unter II. enthalten trotz der irreführenden Überschrift keine Vertragsänderung.
71Unter Ziffer 1 haben die Parteien klargestellt, dass sie die „weiteren Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages“ nicht ändern wollten.
72Auch die in Ziffer 2 enthaltene Schriftformklausel stellt keine Vertragsänderung dar. Sie bezieht sich nur auf „diese Vertragsergänzung“, die gerade keine Änderung des bisherigen Vertrages beinhaltet.
73Gleiches gilt für die (überflüssige) Ziffer 3. Sie bezieht sich ebenfalls nur auf den AV 2013, der keine Änderung des Vertrages enthält.
74c) Selbst wenn entgegen der hier vertretenen Auffassung eine Änderung des Arbeitsvertrages anzunehmen wäre, ergäbe sich kein anderes Ergebnis; die Klage ist auch unter dieser Prämisse unbegründet. Der AV 1997 und der AV 2013 sind dahingehend auszulegen, dass es bei der Annahme, die Verweisung auf die Tarifverträge sei „statisch“, verbleibt. Dies gilt entgegen der Auffassung des 4. Senats ungeachtet dessen, dass die Klausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien“ gemacht worden ist.
75aa) Das Arbeitsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage nach den vom 4. Senat entwickelten Grundsätzen als begründet anzusehen wäre. Dies Wiederherstellung der Dynamik ergäbe sich aus der Klausel in Ziffer II 1. AV 2013, wonach alle weiteren Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages oder in späteren Vereinbarungen getroffenen Regelungen ihre volle Gültigkeit behalten sollen.
76(bb) Nach Auffassung des Gerichts ist ein derartiges Ergebnis mit den Abreden der Parteien nicht in Einklang zu bringen. In Ziffer II 1. AV 2013 haben die Parteien – auch nach der bei der Auslegung von AGB erforderlichen „objektiven Betrachtung“ – zum Ausdruck gebracht, dass sie den „Status quo“ sichern und keine Änderung der weiteren Vertragsbestandteile vornehmen wollten. Aus der Sicht eines verständigen und redlichen Vertragspartners ist die am 13.05.2003 getroffene Vereinbarung dahingehend zu verstehen, dass sie nur die Versetzung der Klägerin regeln sollte. Ansonsten sollte „alles beim Alten“ bleiben. Es ist aus Sicht des Gerichts insbesondere nicht erkennbar, dass die Regelung im AV 2013 dazu bestimmt war, eine Änderung in Bezug auf die Bezugnahmeklausel auf Tarifverträge, die unmittelbar zuvor galt, herbeizuführen.
77Die Rechtsprechung des BAG führt zu dem gegenteiligen Ergebnis, weil sie die in dem Änderungsvertrag enthaltenen Abreden nur insoweit berücksichtigt, als es um die Frage geht, ob die Klausel zum „Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien“ gemacht worden ist. Nach Bejahung der Frage befasst sich das BAG ausschließlich mit der Auslegung der Inbezugnahmeklausel in dem ursprünglichen Arbeitsvertrag. Nach Auffassung des Gerichts kann jedoch eine Erklärung der Parteien in dem Änderungsvertrag, dass alles beim Alten bleiben soll, nicht unberücksichtigt bleiben.
78Gegen die Rechtsprechung des BAG spricht zudem, dass unklar bleibt, wie die Abgrenzung der sog. „Altverträge“ von den „Neuverträgen“ vorzunehmen ist. Dies führt zu zufälligen Ergebnissen.
79Die Annahme, dass es zu zufälligen Ergebnissen kommt, soll anhand der folgenden Entscheidungen des BAG verdeutlicht werden:
80(1) BAG 24.08.2011 – 4 AZR 717/10 – Rn. 39: kein Neuvertrag
81Der Änderungsvertrag enthielt die Regelung, dass es im Übrigen „bei den bislang geltenden Bedingungen des Arbeitsverhältnisses“ bleibt.
82(2) BAG 19.10.2011 – 4 AZR 811/09 Rn. 29 und 30: kein Neuvertrag
83Der Änderungsvertrag enthielt die folgende Regelung:
84„Des Weiteren bleibt es bei den bisherigen Arbeitsbedingungen.“
85(3) BAG 07.12.2016 – 4 AZR 414/14 – Rn. 32: Neuvertrag
86Der Änderungsvertrag enthielt die folgende Regelung:
87„Weitere Paragraphen des Arbeitsvertrages vom 30.09.1992 bleiben unberührt.“
88(4) BAG 30.07.2008 – 10 AZR 606/07 – Rn. 49: Neuvertrag
89Der Änderungsvertrag enthielt die folgende Regelung:
90„Alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag vom 1. März 1996 bleiben unberührt.“
91Nach Einschätzung des Gerichts enthalten die vier Verträge die übereinstimmende Aussage, dass im Übrigen alles so bleiben soll wie es ist. Es leuchtet nicht ein, warum in zwei Fällen von einem Neuvertrag und in den beiden anderen Fällen von einem nicht vorliegenden Neuvertrag auszugehen sein soll.
92Darüber hinaus hängt die Wiederbelebung der Dynamik auf der Grundlage der Rechtsprechung des 4. Senats für Arbeitgeber und Arbeitnehmer von Ereignissen ab, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der In Bezugnahme der Tarifverträge steht:
93Wenn sich im Arbeitsverhältnis über Jahre bzw. Jahrzehnte nichts ändert, verbleibt es nach der Rechtsprechung des BAG bei der Anwendung der im Zeitpunkt des Austritts des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband geltenden Tarifverträge.
94Wenn Bedingungen ohne unmittelbaren Bezug zu der Inbezugnahmeklausel geändert werden (hier: Wechsel der Abteilung der Klägerin), kommt es nach der Auffassung des BAG regelmäßig zu der Rechtsfolge, dass die Dynamik wieder gilt.
95Zu berücksichtigen ist zudem, dass es auf der Basis der Rechtsprechung des BAG bei einer vor dem 01.01.2002 vereinbarten „Gleichstellungsabrede“ trotz einer nach dem 31.12.2001 vereinbarten Vertragsänderung verbleiben würde, wenn sich die Vertragsänderung zu der Fortgeltung der weiteren Bestandteile des Arbeitsvertrages gar nicht äußern würde, weil in einem solchen Fall nicht davon ausgegangen werden könnte, dass die Klausel zum „Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien“ gemacht worden ist.
96Warum es sich anders verhalten soll, wenn der Änderungsvertrag die ausdrückliche Erklärung enthält, es solle alles beim Alten bleiben, leuchtet nicht ein. Es überzeugt nicht, dass die Erklärung, es solle alles beim Alten verbleiben, dazu führt, dass in Bezug auf die Geltung der Tarifverträge nichts beim Alten bleibt.
97Danach ist die Klage insgesamt unbegründet, weil die vertraglichen Abreden der Parteien so zu verstehen sind, dass § 1 Abs. 4 AV eine statische In Bezugnahme der für den Einzelhandel maßgeblichen Tarifverträge enthält. Der „Änderungsvertrag“ hat zu keiner Wiederbelebung der ursprünglichen Dynamik geführt, weil in der Urkunde vom 13.05.2023 ausdrücklich vorgesehen ist, dass „alle weiteren Bestandteile des bestehenden Vertrages oder in späteren Vereinbarungen getroffenen Regelungen ihre volle Gültigkeit behalten. Damit sollte auch weiterhin das bis dahin geltende Verständnis des Arbeitsvertrages, dass nur die am 31.12.2001 geltenden Tarifverträge Anwendung finden, gelten.
98III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.
99IV. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG.