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1. Sind die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung in einer Betriebsvereinbarung geregelt, erfüllt der Arbeitgeber den Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers durch die Nennung dieser Regelungen und die Angabe, wo die Regelungen einzusehen sind. Dies folgt daraus, dass § 11 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG auf Betriebsvereinbarungen analog anwendbar ist.
2. Die Auskunftsansprüche nach dem EntgTranspG verpflichten den Arbeitgeber nicht, auf einen Antrag für mehrere Jahre zu erteilen, sondern nur für das Jahr, das vor dem Antrag liegt. Dies folgt aus § 11 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG. Danach ist die Auskunft „jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr zu erteilen“. Damit ist das dem Antrag vorhergehende Kalenderjahr gemeint.
3. Auskunftsansprüche nach dem EntgTranspG sind betriebsbezogen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 10.08.2023 – 11 Ca 3436/22 – abgeändert. Die Anträge, die Gegenstand des Teilurteils waren, werden abgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
III. Die Revision wird zugelassen.
(*)
2T a t b e s t a n d:
3Die Klägerin verlangt Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz für die Jahre 2017 bis 2020.
4Die am .1968 geborene Klägerin ist seit dem 01.08.2002 bei der Beklagten angestellt. Sie war von 2013 bis 2021 in K unter dem Standard Title SSP (Solution Sales Professional) als Modern Work Place Specialist (Lösungsberater moderner Arbeitsplatz) (im folgenden MWPS) im Vertrieb tätig. Seit 2022 ist sie bei unveränderter Eingruppierung in den Bereich „Security, Compliance, Identify“ gewechselt. Sie ist Mitglied des am K Standort der Beklagten gebildeten Betriebsrats. In einem Vorverfahren (ArbG Köln – 8 Ca 1899/21) hat die Klägerin ihre Anträge ebenfalls auf das Entgelttransparenzgesetz gestützt. Sie nahm die Klage in diesem Verfahren am 17.03.2022 zurück.
5Die Beklagte unterhält sechs Standorte in D. An allen Standorten ist ein Betriebsrat gewählt worden. Darüber hinaus besteht ein Gesamtbetriebsrat. Die Beklagte hat sich im August 2019 mit dem Gesamtbetriebsrat auf eine „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Leistungsbeurteilung FY 20“ verständigt. Darüber hinaus gilt seit 2013 eine „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung von Karrierestufen im Rahmen von Career Guide“. Wegen des Inhalts der Vereinbarungen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
6Die Beklagte ordnet Mitarbeiter einer sogenannten „Rolle“ zu. Für als „Individual Contributor“ (IC) bezeichnete Arbeitnehmern, zu denen die Klägerin gehört, hat sie verschiedene Karrierestufen gebildet. Im Bereich der Klägerin gibt es fünf IC-Stufen („Stages“). Jeder der einzelnen IC-Stufen sind ein oder zwei sog. „Job-Level“ zugeordnet. Dem für den einzelnen Mitarbeiter ermittelten Job-Level ist zu entnehmen, in welcher Bandbreite sich die Vergütung bewegen soll. Um den Job-Level zu bestimmen, ist zunächst die maßgebliche IC-Stufe zu ermitteln. Zur Ermittlung des konkreten Job-levels für den jeweiligen Arbeitnehmer besteht keine schriftliche Regelung.
7Es ergibt sich folgende Übersicht:
8- IC 1 = Job Level 56
9- IC 2 = Job Level 57-58
10- IC 3 = Job Level 59-60
11- IC 4 = Job Level 61-62
12- IC 5 = Job Level 63-64
13Die Bandbreite der Joblevel wurde in den letzten Jahren vor 2021 wie folgt festgesetzt.:
14Joblevel 63: 103.000 EUR (Minimum) 118.500 EUR (Mittel) 134.000 EUR
15(Maximum)
16Joblevel 62: 93.500 EUR (Minimum) 107.500 EUR (Mittel) 121.500 EUR (Maximum)
17Joblevel 61: 81.000 EUR (Minimum) 93.000 EUR (Mittel) 105.000 EUR (Maximum)
18Joblevel 60 : 69.500 EUR (Minimum) 80.000 EUR (Mittel) 90.500 (Maximum)
19Joblevel 59 : 62.500 EUR (Minimum) 72.500 EUR (Mittel) 81.500 EUR (Maximum)
20Joblevel 58: 54.300 EUR (Minimum) 62.400 EUR (Mittel) 70.500 EUR (Maximum)
21Zur Ermittlung des konkreten Job-levels für den jeweiligen Arbeitnehmer besteht keine schriftliche Regelung.
22Die Beklagte gewährt allen Mitarbeitenden ab Joblevel 59 zudem Aktienpakete.
23Die Beklagte ordnete die Klägerin der IC-Stufe 2 und dem Joblevel 58 zu. Die Klägerin verdiente bis August 2017 ein Grundjahresentgelt in Höhe von 70.436 EUR brutto und ab September 2017 ein solches in Höhe von 71.136 EUR brutto. Sie war in der Zeit dem Joblevel 58 zugeordnet. Andere MWPS werden nach höheren Jobleveln vergütet. Zum 01.01.2022 ist sie in die neue Rolle „Security, Compliance, Identity“ gewechselt.
24Am K Standort waren in den Jahren 2018 und 2019 mindestens sechs männliche MWPS beschäftigt. Keiner der männlichen Mitarbeiter war in die IC-Stufe 2 mit dem Joblevel 58 eingeordnet. Bis auf einen männlichen MWPS mit dem Joblevel 60 waren sie dem Joblevel 61 zugeordnet. Insgesamt sind am K Standort der Beklagten mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt.
25Die Klägerin schrieb am 04.09.2018 eine E-Mail an die Personalabteilung mit folgendem Inhalt:
26„Betreff: Bitte um Überprüfung meiner Eingruppierung nach dem Entgelttransparenzgesetz
27Hallo HR Service Center,
28ich bitte nochmal um Überprüfung meiner Eingruppierung nach dem Entgelttransparenzgesetz….“
29Die Beklagte lehnte mit E-Mail vom 21.09.2018 die Erteilung einer Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz ab.
30Mit E-Mail vom 26.06.2019 an den Betriebsrat machte die Klägerin eine Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz geltend. Die Beklagte lehnte den Anspruch mit E-Mail vom 01.08.2019 ab. Sie stützte diese im Wesentlichen darauf, dass weniger als sechs Mitarbeiter am Standort K eine Vergleichstätigkeit ausüben würden. Wegen der weiteren Einzelheiten der E-Mail wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie (Bl. 64 GA) verwiesen.
31Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die sich aus dem Entgelttransparenzgesetz ergebenden Auskunftsansprüche seien nicht betriebs-, sondern unternehmensbezogen. Dies ergebe sich u.a. aus europarechtlichen Vorgaben. Unabhängig davon sei der Standort K kein eigenständiger Betrieb. Sie verrichte dieselbe Tätigkeit wie die anderen höher eingestuften MWPS. Die Höhe des Joblevels sage nichts darüber aus, ob Vergleichbarkeit bestehe. Sie habe seit 2013 Kunden aus dem gehobenen Mittelstand betreut und ab 2018 Kunden aus dem Finanz/Versicherungsbereich. Von Juli 2018 bis Juni 2019 sei sie für Kunden aus dem öffentlichen Dienst zuständig gewesen. Die anderen MWPS hätten dieselben Qualifikationen wie sie und nähmen an denselben Fortbildungen wie sie teil. Sei ein Mitarbeiter abwesend, übernehme sie die Aufgaben der männlichen Kollegen. Dies werde auch in umgekehrter Richtung praktiziert. Eine Beteiligung des Betriebsrats an der Eingruppierung sei nicht erfolgt.
32Die Klägerin hat beantragt,
33die Beklagte zu verurteilen,
341. ihr Auskunft zu erteilen, nach welchen Kriterien und Verfahren ihr Entgelt der Klägerin sowie das Entgelt der männlichen bei der Beklagten als Lösungsberater Modern Work Place Specialists (Lösungsberater moderner Arbeitsplatz) beschäftigten Mitarbeiter für die Jahre 2019 und 2020 festgelegt worden ist;
352. ihr Auskunft über den auf Vollzeitäquivalente hochgerechneten statistischen Medians des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts (Gesamtentgelts) sowie des Basisentgelts und der der als Entgeltbestandteil gewährten Aktienoptionen für die bei ihr, der Beklagten, als Lösungsberater Modern Work Place Specialists (Lösungsberater moderner Arbeitsplatz) beschäftigten männlichen Mitarbeiter für die Jahre 2017, 2018, 2019 und 2020 zu erteilen.
36Die Beklagte hat beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Sie hat gemeint, für den Antrag zu 1) bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin die zugrundeliegenden Kriterien - zumal als Betriebsrätin - kenne und mit diesen auch im Rahmen ihrer Hilfsanträge argumentiere.
39Sie hat bestritten, dass es eine ausreichende Anzahl von Vergleichsmitarbeitern im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG gebe. Die von der Klägerin benannten Mitarbeiter seien zum Teil nicht dem Betrieb K zuzuordnen, jedenfalls seien die mehr als sechs als MWPS in K in den Jahren 2017 - 2020 beschäftigen Mitarbeiter mindestens zwei Joblevel höher einzuordnen. Damit fehle es an der Vergleichbarkeit. Mit einer Erhöhung des Joblevels sei verbunden, dass die an den Arbeitnehmer gestellten Anforderungen anstiegen. Zu nennen sei ein größerer Verantwortungsbereich, mehr Leistungsbefugnisse, mehr Seniorität, mehr Managementbefugnisse und/oder mehr Internationalität etc. Es werde mit dem sog. Joblevel in erster Linie die Wertigkeit der Tätigkeit im Unternehmen bestimmt. Die Zuordnung eines Mitarbeiters zum nächsten Joblevel bzw. die Erreichung der nächsten Karrierestufe hänge davon ab, ob hohe und überdurchschnittliche persönlichen Leistungen erbracht würden und die Anforderungsprofileerfüllt würden. Jegliche Kriterien für Eingruppierung und Einstufung und damit auch für die entsprechende Entlohnung der Beschäftigten basiere auf den mit dem Betriebsrat ausgehandelten umfangreichen Beförderungsrichtlinien und einem klar definierten Entgelt- und Leistungsbewertungssystem. Sie hat für die Jahre 2017 und 2018 die Einrede der Verjährung erhoben.
40Das Arbeitsgericht hat den beiden gestellten Anträgen mit Teilurteil vom 10.08.2023 stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
41Sie hält an der Auffassung fest, dass der Antrag zu 1) mangels Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin unzulässig sei. Sie habe der Klägerin die gesetzlich vorgesehenen Auskünfte erteilt. Keinesfalls müsse sie über Aktienoptionen, über die selbst nicht entscheide, informieren. Die Gesamtheit der mit dem Betriebsrat abgestimmten Regelungen führe zu einem diskriminierungsfreien Entgeltsystem.
42Die Beklagte beantragt sinngemäß,
43das Teilurteil des Arbeitsgerichts Köln vom 10.08.2023 – 11 Ca 3436/22 - abzuändern und die Anträge, die Gegenstand des Teilurteils waren, abzuweisen.
44Die Klägerin beantragt,
45die Berufung zurückzuweisen.
46Sie meint, sie erfülle mit ihrer Tätigkeit die Voraussetzungen der Stage 4 und auch die Rolle IC 4. Die eigentliche Entscheidung, wie sie vergütet werde, richte sich nicht nach den von der Beklagten eingereichten Regelungen, sondern nach der rein subjektiven Bewertung des jeweiligen Vorgesetzten. Es gebe keine eindeutigen, geschlechtsneutralen Beförderungsrichtlinien. Sie halte an ihrer Auffassung fest, dass es sich bei dem Standort K nicht um einen eigenständigen Betrieb handele. Die Mitarbeiter arbeiteten im Home-Office in einem Team aus verschiedenen Standorten.
47Wegen der weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden sind, Bezug genommen. Verwiesen wird auch auf den gerichtlichen Hinweis vom 15.05.2024.
48E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
49I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.
50II. Das Rechtsmittel der Beklagten ist begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Auskunftsansprüche nicht zu.
51Der Antrag zu 1) war abzuweisen, weil ein möglicher Anspruch der Klägerin durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) erloschen wäre. Die Beklagte hat die vermeintlich geschuldete Auskunft erteilt.
52Der Antrag zu 2) ist für die Jahre 2017, 2019 und 2020 bereits von vornherein unbegründet, weil die Klägerin nur für das Jahr 2018 Auskunft verlangen konnte. Der Antrag zu 2) ist für das Jahr 2018 unbegründet, weil die Klägerin einen unternehmensweiten Auskunftsanspruch geltend gemacht hat. Der gesetzliche Auskunftsanspruch bezieht sich jedoch auf den Betrieb. Der Antrag zu 2) kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er sich hilfsweise auf einen Betrieb erstreckt. Auf die weiteren Streitpunkte kommt es nicht an. Offen bleiben kann insbesondere, ob eine gleiche oder gleichwertige Arbeit gegeben ist.
531. Die Anträge sind zulässig. Dies hat das Arbeitsgericht mit zutreffenden Erwägungen begründet. Die Kammer folgt insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
542. Der Antrag zu 1) ist unbegründet.
55a) Dies folgt nicht bereits aus § 10 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG.
56Die Sperrfrist kommt nicht zur Anwendung. Das Emailschreiben vom 04.09.2018 enthält kein Auskunftsverlangen iSv § 10 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG. Die Klägerin hat um die Überprüfung ihrer Eingruppierung“ gebeten. In diesem Zusammenhang hat sie auf das Entgelttransparenzgesetz verwiesen. Eine Auskunft hat sie nicht verlangt.
57b) Der Antrag zu 1) war abzuweisen, weil die Beklagte den vermeintlichen Anspruch der Klägerin erfüllt hat. Die Klägerin kann nach § 10 EntgTranspG Auskunft zu den Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung iSv. § 11 Abs. 2 EntgTranspG für die Festlegung des eigenen Entgelts für die Vergleichstätigkeit verlangen.
58Diesen Anspruch hat die Beklagte erfüllt. Sie hat im Prozess ein umfangreiches Regelwerk für die Einstufung der Mitarbeiter (Career Stage Profil) vorgelegt, das mit Regelungen, die in Tarifverträgen zur Eingruppierung der Mitarbeiter getroffen werden, vergleichbar sind. Dies ist ausreichend, weil § 11 Abs. 2 Satz 2 EntgTransPG auf Betriebsvereinbarungen analog anwendbar ist. Die Beklagte war nicht verpflichtet, der Klägerin gesondert Auskunft über Regelungen zur Bestimmung des job-levels zu erteilen.
59aa) Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gesamtbetriebsvereinbarung mit den Sperrregelungen des 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG und des 77 Abs. 3 BetrVG vereinbar ist. Denn der Auskunftsanspruch erstreckt sich auf die Kriterien und das Verfahren der Entgeltfindung (§ 11 Abs. 1 EntgeltTransPG), die der Arbeitgeber tatsächlich anwendet. Ein Streit über die Wirksamkeit einer entsprechenden Regelung ist nicht im Auskunftsverfahren auszutragen. Der Arbeitgeber kann nur über seine Handhabung auf der Basis seiner Rechtsauffassung nach rechtswirksamen Bestimmungen Auskunft erteilen.
60bb) Das von der Beklagten vorgelegte Regelwerk für die Einstufung der Mitarbeiter (Career Stage Profil) ist derart detailliert, dass es mit Regelungen, die in Tarifverträgen zur Eingruppierung der Mitarbeiter getroffen werden, vergleichbar ist. In den Fällen, in denen die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung auf tarifvertraglichen Entgeltregelungen beruhen, genügt als Antwort auf das Auskunftsverlangen die Nennung dieser Regelungen und die Angabe, wo die Regelungen einzusehen sind (§ 11 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG).
61Zwar kann sich die Beklagte nicht unmittelbar auf § 11 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG berufen, weil die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung nicht auf einem Tarifvertrag beruhen. Gleichwohl ist der Verweis der Beklagten auf die Gesamtbetriebsvereinbarung und des dazu ergangenen Regelwerks ausreichend, weil die Vorschrift analog auf Betriebsvereinbarungen anwendbar ist. Dies ergibt die Auslegung des Gesetzes.
62(1) Maßgebend für die Gesetzesauslegung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Zu dessen Ermittlung sind der Wortlaut der Norm, die Systematik, der Sinn und Zweck sowie die Gesetzesmaterialien und die Entstehungsgeschichte heranzuziehen. Unter diesen anerkannten Methoden hat keinem unbedingten Vorrang. Welche Regelungskonzeption der Gesetzgeber mit dem von ihm gefundenen Wortlaut tatsächlich verfolgt, ergibt sich uU erst aus den anderen Auslegungsgesichtspunkten. Wird daraus der Wille des Gesetzgebers klar erkennbar, ist er zu beachten (vgl. BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14 ua. - Rn. 74 f.; BAG 5. Juni 2020 - 10 AZN 53/20 - Rn. 15; 11. Dezember 2019 - 4 AZR 310/16 - Rn. 22; 16. Oktober 2019 - 5 AZR 241/18 - Rn. 15).
63In der genannten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit, dem Willen des Gesetzgebers bei der Auslegung von Gesetzen Geltung zu verschaffen, (nochmals) besonders betont. Es hat hervorgehoben, dass sich die Gerichte nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen dürfen, sondern die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren müssen. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetze, greife unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, komme neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indiz Wirkung zu. In Betracht zu ziehen seien hier die Begründung eines Gesetzentwurfes, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat (Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG) und Bundesregierung (Art. 76 Abs. 3 Satz 2 GG) und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse. In solchen Materialien fänden sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen.
64Zu beachten ist, dass der Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers mit diesen Aussagen gleichzeitig auch Grenzen gesetzt worden sind. Dieser ist nur dann maßgeblich, wenn er in den maßgeblichen Bestimmungen auch seinen Niederschlag gefunden hat. Der normunterworfene Bürger soll dem Gesetz entnehmen können, was für ihn maßgeblich ist. Ihm wird nicht abverlangt, die Gesetzesbegründung zu studieren, um zu ermitteln, was der Gesetzgeber regeln wollte. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber sich beim Wort nehmen lassen muss. Er hat die Aufgabe, Gesetze so zu formulieren, dass die im Gesetz vorgesehenen Tatbestandsmerkmale seinen regulatorischen Willen zum Ausdruck bringen. Wenn der tatsächliche Wille des Gesetzgebers in der gesetzlichen Regelung keinen Niederschlag gefunden hat, kommt es auf ihn nicht maßgeblich an (vgl. BAG 20. November 2019 - 5 AZR 39/19 - Rn. 20; BGH 05. November 2019 - XI ZR 650/18 - Rn. 30).
65Auch wenn Wortsinn des Wortlauts einer Norm regelmäßig die Grenze der Auslegung bildet, ist er für die Rechtsanwendung durch die Gerichte keine unübersteigbare Grenze. Der Richter hat nicht zwingend am Wortsinn des Gesetzes haltzumachen. Sowohl seitens der Methodenlehre als auch von Verfassung wegen kann es für ihn wegen der Bindung an Gesetz „und Recht” nach Art. 20 Abs. 3 GG geboten sein, das vom Gesetz Gewollte gegen das im Gesetz Gesagte zur Geltung zu bringen. Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch Analogie bedarf es aber einer besonderen Legitimation. Anders als die vom Gesetzestext sprachlich gedeckte Auslegung hat die Analogie an der demokratisch legitimierten Geltungskraft des Gesetzes nicht gleichsam automatisch teil, da sie sich außerhalb des vom Gesetzgeber sprachlich gezogenen Anwendungsfeldes des Gesetzes bewegt und deshalb einer besonderen Begründung bedarf. Die wortsinnübersteigende Gesetzesanwendung durch Analogie erfordert, dass der gesetzessprachlich nicht erfasste, d h. gesetzlich ungeregelte Fall, nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Dabei setzt die Analogie grundsätzlich das Bestehen einer unbewussten Regelungslücke voraus. Hat sich der Gesetzgeber bewusst für die Regelung oder Nichtregelung eines bestimmten Sachverhalts entschieden, sind die Gerichte nicht befugt, sich über diese gesetzgeberische Entscheidung durch eine Auslegung der Vorschrift gegen ihren Wortlaut hinwegzusetzen (vgl. BAG 14. Februar 2007 - 7 ABR 26/06 - Rn. 56).
66In der Literatur wird angenommen, dass die Voraussetzungen einer analogen Anwendung von § 11 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG auf (Gesamt-) Betriebsvereinbarungen vorliegen (Roloff, RdA 2019, 28, 36; NK/Schneider § 11 EntgelttransPG Rn. 5). Zur Begründung wird darauf verwiesen, es erscheine widersprüchlich, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen insoweit nicht gleich zu behandeln. Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, den Auskunftsanspruch zu begrenzen, wenn kollektivrechtliche Vereinbarungen vorliegen. So sei in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/11133 S. 18) darauf verwiesen worden, dass die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, denen das Gesetz entgegenwirken soll, deutlich kleiner sei, wenn Tarifverträge gälten und Betriebsräte mitwirkten. Deshalb werde das Entgelttransparenzgesetz die Tarifbindung und Sozialpartnerschaft stärken und die Aufgaben der Betriebsräte weiter aufwerten. Die Privilegierung tarifvertraglicher Regelungen sei damit zu begründen, dass der Gesetzgeber das Benachteiligungspotenzial mangels individueller Festlegung als geringer einschätze (BT-Drs. 18/11133 S. 60). Darüber hinaus wird auf die „umfassendere normative Anwendung“ der Betriebsvereinbarung gegenüber dem Tarifvertrag verwiesen. § 6 Abs. 1 EntGTransPG spreche mit dem Auftrag für diskriminierungsfreie Entgeltsysteme auch betriebliche Interessenvertretungen an (Roloff, RdA 2019, 28, 36).
67(2) Danach besteht der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht (mehr). Ein möglicher Anspruch der Klägerin aus § 11 Abs. 2 EntgTransPG auf Auskunft zu den Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung ist durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Dem steht nicht entgegen, dass sie keine konkrete Auskunft zu der Festlegung des jeweiligen job-levels erteilt hat. Die Beklagte hat die maßgeblichen Gesamtbetriebsvereinbarungen einschließlich der Bestimmungen zur Einstufung der Mitarbeiter vorgelegt. Dies ist ausreichend.
68Zu berücksichtigen ist zunächst, dass es für die Höhe der Vergütung entscheidend darauf ankommt, welcher IC-Stufe der Arbeitnehmer zugeordnet wird. Erst dann kann der konkret für den Arbeitnehmer maßgebliche Joblevel ermittelt werden. Dies folgt daraus, dass jeder IC-Stufe ein oder zwei Joblevel zugeordnet sind. Ist der Mitarbeiter in die IC-Stufe 2 – wie die Klägerin – eingestuft, kann der Joblevel nicht mehr als 58 betragen. Erst und nur dann, wenn die IC-Stufe zu erhöhen ist, kommt ein höherer Joblevel in Betracht. Die Klägerin ist über das Verhältnis der IC-Stufen zu den job-levels ebenso unterrichtet wie über das Regelwerk, dass für die Festlegung der IC-Stufe maßgeblich ist.
69Eine darüber hinaus gehende Auskunft kann die Klägerin nicht verlangen. Insbesondere besteht kein Anspruch in Bezug auf die Joblevels. Die Festlegung des maßgeblichen Joblevels ergibt sich – wie ausgeführt – schon hauptsächlich aus der Festlegung der IC-Stufe. Im Hinblick auf die Auswahl des konkreten Joblevels hat die Beklagte sinngemäß die Auskunft erteilt, dass die Bestimmung des Joblevels innerhalb der IC-Stufe davon abhängt, ob sich die Anforderungen an den Arbeitnehmer eher im oberen oder eher im unteren Bereich der IC-Stufe bewegt. Eine weitere Auskunft kann sie nicht erteilen, weil es keine weiteren Kriterien zur Bestimmung des konkreten Joblevels gibt. Die Beklagte hat die Regelungen, die sie für die Einstufung der Mitarbeiter verwendet, vorgelegt. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass sie der Einstufung des Mitarbeiters in den Joblevels weitere Kriterien zugrunde legt. Ob dieses Vorgehen der Beklagten rechtmäßig ist, ist in dem hiesigen Verfahren nicht zu klären. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Regelungen konkret genug sind, um die Einstufung der Mitarbeiter in den für ihn maßgeblichen Joblevel zweifelsfrei vorzunehmen. Der Arbeitgeber kann eine Auskunft nur über die Regelungen geben, die tatsächlich existieren (vgl. NK/Schneider § 11 EntgelttransPG Rn. 4).
702. Der Antrag zu 2) ist unbegründet. Für die Jahre 2017, 2019 und 2020 gilt dies bereits deswegen, weil die Klägerin nur für das Jahr 2018 Auskunft verlangen konnte. Der Antrag zu 2) ist insgesamt unbegründet, weil die Klägerin einen unternehmensweiten Auskunftsanspruch geltend gemacht hat. Der gesetzliche Auskunftsanspruch bezieht sich jedoch auf den Betrieb. Der Antrag zu 2) kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er sich hilfsweise auf einen Betrieb erstreckt.
71a) Der für die Jahre 2017, 2019 und 2020 geltend gemachte Auskunftsanspruch besteht schon deswegen nicht, weil die Klägerin nur für das Jahr 2018 Auskunft verlangen konnte.
72aa) Die Auskunftsansprüche nach dem EntgTranspG verpflichten den Arbeitgeber nicht, auf einen Antrag Auskunft für mehrere Jahre zu geben, sondern nur für das Jahr, dass vor dem Antrag liegt. Dies folgt aus § 11 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG. Danach ist die Auskunft „jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr zu erteilen“. Damit ist das dem Antrag vorhergehende Kalenderjahr gemeint.
73Neben dem Wortlaut der Vorschrift („ein Kalenderjahr“) sprechen auch systematische Gründe für diese Beschränkung dieses Anspruchs. Wie § 10 Abs. 2 Satz 2 EntgTransPG deutlich zeigt, sollen Arbeitgeber vor einem übermäßigen Aufwand geschützt werden. Zudem geht es dem Gesetzgeber vorrangig darum, aktuell bestehenden Ungleichheiten beim Entgelt entgegenzutreten. Die in § 10 Abs. 2 Satz 2 EntgTransPG geregelte Sperrfrist für einen neuen Antrag entfaltet nur dann praktische Wirksamkeit, wenn nicht alle zwei Jahre für zwei oder mehrere Jahre Auskunft beansprucht werden kann.
74bb) Der Auskunftsanspruch der Klägerin bezog sich auf das Kalenderjahr 2018, weil sie den Antrag am 26.06.2019 gestellt hat. Mit „Kalenderjahr“ ist die Zeit vom 01.01. bis zum 31.12. des jeweiligen Jahres gemeint.
75Dies wird in der Literatur allerdings in Zweifel gezogen. Es wird die Auffassung vertreten, dass auf die vergangenen 12 Monate vor dem Zugang des Auskunftsverlangens (= hier 26.05.2018 bis 25.05.2019) abzustellen sei (so Roloff RdA 2019, 28, 35, wie hier Bauer/Heup/Mayr DB 2018, 1213, 1216). Dem schließt sich die Kammer nicht an. Zwar trifft es zu, dass die Bezugnahme des § 25 Abs. 1 Satz 2 EntgTransPG auf § 10 Abs. 2 Satz 2 EntgTransPG nur dann sinnvoll erscheint, wenn der auch in § 25 Abs. 1 Satz 2 EntgTransPG enthaltene Begriff des „Kalenderjahres“ nicht das Kalenderjahr, sondern das Jahr vor Stellung des Antrags meint. Nach Auffassung der Kammer kann sich angesichts des klaren Wortlauts des § 10 Abs. 2 Satz 2 EntgTransPG aus der Übergangsvorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 EntgTransPG nicht ergeben, dass ein Kalenderjahr kein Kalenderjahr sein soll.
76c) Der Antrag zu 2) ist insgesamt unbegründet, weil die Klägerin einen unternehmensweiten Auskunftsanspruch geltend gemacht hat. Der gesetzliche Auskunftsanspruch bezieht sich jedoch auf den Betrieb. Dies ergibt die Auslegung des Gesetzes. Der Antrag zu 2) kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er sich hilfsweise auf einen Betrieb erstreckt.
77aa) Die Auskunftspflicht des Arbeitgebers ist nur betriebsbezogen (Roloff RdA 2019, 28, 35). Dies ergibt die Auslegung des § 12 Abs. 1 EntgeltTranspG und des § 12 Abs. 2 Nr. 2 Entgelt-TranspG, die bei den Begriff „Betrieb“ verwenden.
78Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Begriff „Betrieb“ im Gesetz im Gegensatz zu anderen im Gesetz verwandten Begriffen (§ 5 EntgTransPG) nicht definiert worden ist. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, der Gesetzgeber habe dem Begriff „Betrieb“ eine andere Bedeutung zumessen wollen als der Begriff im Betriebsverfassungsgesetz hat. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die nicht gesondert erfolgte Begriffsbestimmung zeigt, dass dem Gesetz der allgemeine Betriebsbegriff zugrunde liegt. Dies ergibt sich daraus, dass es sich bei dem Begriff „Betrieb“ um einen Rechtsbegriff handelt, für den ohne nähere Anhaltspunkte nicht davon auszugehen ist, dass er eine andere Bedeutung als in den bereits bestehenden gesetzlichen Bestimmungen, die den Begriff verwenden, haben soll.
79Zudem ist zu berücksichtigen, dass § 12 Abs. 2 Nr. 1 EntgeltTranspG ausdrücklich die Begriffe „in demselben Betrieb“ und „bei demselben Arbeitgeber“ verwendet. Wenn die Auskunftspflicht für das gesamte Unternehmen gelten würde, wäre die Aufnahme der Worte „in demselben Betrieb“ in den Gesetzestext überflüssig. Darüber hinaus bestimmt § 12 Abs. 2 Nr. 2 EntgeltTranspG ausdrücklich, dass die Auskunftspflicht „keine regional unterschiedlichen Entgeltregelungen bei demselben Arbeitgeber“ umfasst. Schließlich spricht die Einbindung des Betriebsrats in das Verfahren dafür, dass die Auskunftspflicht örtlich begrenzt ist.
80Es entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, auf den allgemeinen Betriebsbegriff abzustellen. Die Gesetzesbegründung verweist ausdrücklich auf das BetrVG. In ihr ist ausgeführt, dass das Gesetz mit der Beschäftigungsgrenze von 200 Beschäftigten „eine im Betriebsverfassungsrecht anerkannte Betriebsgröße als Anwendungsbereich für den Auskunftsanspruch verwende“ (vgl. BT-Drs. 18/11133 S. 61; Maiß/Vieg, ArbR aktuell 2018, 387).
81Diese Annahme ist mit dem höherrangigen Europarecht vereinbar. Es bedarf auch keiner europarechtskonformen Auslegung des § 12 EntgTransPG. Das Europarecht und insbesondere die Richtlinie 2006/54/EWG enthalten keine Bestimmung, die vorgibt, dass sich ein Auskunftsanspruch auf das gesamte Unternehmen erstrecken muss. Zudem ist ein unternehmensweiter Auskunftsanspruch nach Einschätzung der Kammer nicht zwingend für den Arbeitnehmer günstiger als ein betriebsbezogener Auskunftsanspruch. Es kann das Vorgehen gegen geschlechtsbezogene Benachteiligungen beim Entgelt erleichtern, wenn der Arbeitnehmer Auskunft über eine kleine Einheit und nicht auf das Gesamtunternehmen bezogen, erhält.
82bb) Die Beklagte unterhält mehrere Betriebe in D. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es die Beklagte nur einen Betrieb eingerichtet hat.
83(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Betrieb i S v. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den vom ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden (BAG 17. Mai 2017 – 7 ABR 21/15 – Rn. 17; 07. Mai 2008 - 7 ABR 15/07 - Rn. 19).
84Betriebsteile sind i S d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG vom Hauptbetrieb räumlich weit entfernt, wenn wegen dieser Entfernung eine ordnungsgemäße Betreuung der Belegschaft des Betriebsteils durch einen beim Hauptbetrieb ansässigen Betriebsrat nicht mehr gewährleistet ist. Der Zweck der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG besteht darin, den Arbeitnehmern von Betriebsteilen eine effektive Vertretung durch einen eigenen Betriebsrat zu ermöglichen, wenn wegen der räumlichen Trennung des Betriebsteils von dem Hauptbetrieb die persönliche Kontaktaufnahme zwischen einem dortigen Betriebsrat und den Arbeitnehmern im Betriebsteil so erschwert ist, dass der Betriebsrat des Hauptbetriebs die Interessen der Arbeitnehmer nicht mit der nötigen Intensität und Sachkunde wahrnehmen kann und sich die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen an den Betriebsrat wenden können oder Betriebsratsmitglieder, die in dem Betriebsteil beschäftigt sind, nicht kurzfristig zu Sitzungen im Hauptbetrieb kommen können. Maßgeblich ist also sowohl die leichte Erreichbarkeit des Betriebsrats aus Sicht der Arbeitnehmer wie auch umgekehrt die Erreichbarkeit der Arbeitnehmer für den Betriebsrat. Eine Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs allein nach Entfernungskilometern kommt nicht in Betracht. Es ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen (BAG 17.05.2017 – 7 ABR 21/15 – Rn. 20).
85(2) Danach ist der Standort der Beklagten in K als eigenständiger Betrieb anzusehen. Hierfür spricht nicht nur, dass an allen fünf Standorten der Beklagten ein Betriebsrat gebildet wurde und auch ein Gesamtbetriebsrat besteht. Vor allem aber ist anzunehmen, dass jedenfalls die Voraussetzungen einer weiten räumlichen Entfernung zwischen dem Sitz der Beklagten in M und der Betriebsstätte in K gegeben ist. Dies führt dazu, dass die persönliche Kontaktaufnahme zwischen einem dortigen Betriebsrat und den Arbeitnehmern im Betriebsteil so erschwert ist, dass der Betriebsrat des Hauptbetriebs in M die Interessen der Arbeitnehmer in K nicht mit der nötigen Intensität und Sachkunde wahrnehmen kann und sich die Arbeitnehmer nur unter erschwerten Bedingungen an den Betriebsrat wenden können oder Betriebsratsmitglieder, die in dem Betriebsteil beschäftigt sind, nicht kurzfristig zu Sitzungen im Hauptbetrieb kommen können.
86cc) erweist sich der Antrag zu 2) als unbegründet, weil die Klägerin Auskunft für den gesamten Arbeitgeber beansprucht. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Antrages („….bei ihr, der Beklagten…), sondern auch aus der Begründung des Klageantrags.
87dd) Der Antrag zu 2) konnte auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass hilfsweise eine betriebsbezogene Auskunft geltend gemacht wurde.
88(1) Klageanträge unterliegen - wie auch sonstige Prozesserklärungen - der Auslegung. Die revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbare Auslegung des Klageantrags darf - wie allgemein im Prozessrecht - nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten (vgl. BGH 22. März 2023 – V ZR 128/22 – Rn. 22).
89(2) Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag zu 2) nicht dahingehend auszulegen, dass die Klägerin hilfsweise einen betriebsbezogenen Auskunftsanspruch geltend machen wollte. Eine derartige Auslegung würde nicht den wirklichen Willen der Klägerin berücksichtigen.
90Die Klägerin hat von Anfang an und durchgehend einen unternehmensweiten Auskunftsantrag geltend gemacht. Es entspricht ihrer Rechtsauffassung, dass der Arbeitgeber unternehmensweit Auskunft zu erteilen hat. Sie hat auch nach dem Hinweis des Gerichts vom 15. Mai 2024, es spreche viel dafür, dass die Auskunftspflicht nur betriebsbezogen sei, an ihrer Rechtsauffassung festgehalten und insbesondere keine Anpassung ihrer Anträge vorgenommen.
91III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
92IV. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
93Am 17.04.2025 erging folgender Berichtigungsbeschluss:
94Das Protokoll der Kammerverhandlung und der Tenor des Urteils werden dahingehend ergänzt, dass die Adresse der Klägerin (Z ) mit aufgeführt wird.