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Aussetzung eines Individualverfahrens auf Zahlung einer Sozialplanabfindung, bis das Beschlussverfahren über die Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung, aus der sich der Abfindungsanspruch ergibt, rechtskräftig entschieden ist
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 29.08.2024 -1 Ca 592/24 - wird zurückgewiesen.
G r ü n d e:
2I.
3Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien um die Zahlung einer Abfindung aus einer Betriebsvereinbarung zur Förderung einvernehmlicher Austritte (BV B 2023-12, im Folgenden BV).
4Hierzu hat der Kläger erstinstanzlich die Auffassung vertreten, ihm stehe eine Abfindung gem. der BV zu. Der Ausschluss gem. § 1 Nr. 2 j), wonach nicht anspruchsberechtigt auf die Leistung nach § 2 Beschäftigte sind, die - wie er – im Anschluss an die Transfergesellschaft während des potentiellen Bezugs von ALG1 in eine abschlagsfreie Rente gehen können, sei unzulässig. Dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und stelle eine unzulässige Altersdiskriminierung dar.
5Wegen des weiteren Inhalts des zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreits wird auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Aussetzungsbeschlusses verwiesen.
6Am 14.05.2024 hat die Beklagte in dem Beschlussverfahren vor dem ArbG Bonn, Az 6 BV 66/24 (Bl. 103ff. d.A.) beantragt festzustellen, dass die BV B insgesamt nichtig ist und keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Hilfsweise hat sie beantragt festzustellen, dass die zwischen den Beteiligten abgeschlossene Betriebsvereinbarung gegen höherrangiges Recht verstößt und daher insgesamt unwirksam ist.
7Mit Beschluss vom 08.08.2024 hat das Arbeitsgericht die Anträge abgewiesen. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist bei dem LAG Köln, Az 9 TaBV 59/24, anhängig.
8Die Beklagte hat beantragt,
9den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Antrag vom 14. Mai 2024 auf Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise der Gesamtunwirksamkeit der streitgegenständlichen BV B Betriebsvereinbarung zur Förderung einvernehmlicher Austritte 1 (Faktorerhöhung der Abfindung) auszusetzen.
10Das Arbeitsgericht hat dem Aussetzungsantrag mit einem am 29.08.2024 verkündeten Beschluss stattgegeben. Es hat ausgeführt, das Verfahren 6 BV 66/24, in dem über die Frage der Gesamtnichtigkeit der streitgegenständlichen BV entschieden werde, sei vorgreiflich. Wenn die Gesamtnichtigkeit der BV festgestellt werde, sei der von dem Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch unbegründet. Werde die Gesamtnichtigkeit nicht festgestellt, sei er zuzusprechen. Eine Vorgreiflichkeit sei nicht deshalb zu verneinen, weil die Beklagte bislang die aufgrund der BV B erbrachten Leistungen von den übrigen Arbeitnehmern nicht zurückgefordert hat und diese - wie der Kläger meint - auch bei Feststellung der Unwirksamkeit der BV B bei den begünstigten Arbeitnehmern verblieben. Denn die Beklagte habe im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Frage der Rückforderung noch nicht abschließend entschieden sei und vorbehalten bliebe.
11In der abschließenden Ermessensentscheidung hat das Arbeitsgericht dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen wegen des Umstands, dass das Beschlussverfahren einen Normenvertrag betrifft, der für zahlreiche Arbeitsverhältnisse gilt, den Vorrang eingeräumt vor dem Gesichtspunkt der Verzögerung des Verfahrens.
12Gegen den am 02.10.2024 mit den Gründen zugestellten Beschluss hat der Kläger am 13.09.2024 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er sich gegen die Aussetzung des Verfahrens wendet. Er vertritt die Auffassung, dass die Klage bereits unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der BV entscheidungsreif ist. Denn die Beklagte habe bereits im Dezember 2023 und im Januar 2024 Abfindungen aufgrund der BV ausgezahlt und diese auch nicht nach Erklärung der Anfechtung der BV zurückgefordert. Aufgrund des Ablaufs der tarifvertraglichen dreimonatigen Ausschlussfrist sei die Rückforderung zwischenzeitlich ausgeschlossen. Daher sei in der fehlenden Rückforderung der Zahlung eine Benachteiligung der älteren Arbeitnehmer zu sehen, die einen Zahlungsanspruch des Klägers unabhängig von dem Ausgang des BV-Verfahrens begründe.
13Im Übrigen habe das Arbeitsgericht sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, zumal der auf Feststellung der Nichtigkeit der BV gerichtete Antrag der Beklagten erstinstanzlich zurückgewiesen worden sei.
14Die Beklagte beantragt,
15die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
16Mit Beschluss vom 03.12.2024 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern sie dem Beschwerdegericht vorgelegt.
17Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte verwiesen.
18II.
19A. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 78 ArbGG, §§ 252, 567 ff. ZPO). Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
20B. Das Arbeitsgericht hat ohne Verfahrens- oder Ermessensfehler die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem Berufungsverfahren LAG Köln – 9 TaBV 59/24 – gemäß § 148 ZPO angeordnet.
211. Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus (BGH 30.03.2005 - X ZB 26/04, BGHZ 162, 373; BGH 10.07.2003 - VII ZB 32/02, NJW 2003, 3057; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 148 Rdn. 5).
22Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegen eine Aussetzungsentscheidung nach § 148 ZPO ist für die Prüfung der Vorgreiflichkeit die Ansicht der Vorinstanz über die im ausgesetzten Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsfragen zugrunde zu legen, sofern der Mangel der Entscheidungserheblichkeit nicht offensichtlich ist. Die Auffassung des aussetzenden Gerichts kann insoweit nur im Rechtsmittelverfahren gegen die spätere Sachentscheidung überprüft werden (OLG Düsseldorf 03.11.1997 - 13 W 51/97, juris; OLG Celle 27.05.1975 - 2 W 16/75, NJW 1975, 2208; Zöller/Greger, ZPO 35. Aufl. § 252 Rn. 5). Ob aber auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Beurteilung des aussetzenden Gerichts ein Aussetzungsgrund vorliegt, ist eine davon zu unterscheidende Frage, deren Überprüfung im von § 252 ZPO eröffneten Beschwerdeverfahren uneingeschränkt vorzunehmen ist (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704; BAG 26.10.2009 - 3 AZB 24/09, NZA 2009, 1436, Rn. 9).
23Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung, ob das Verfahren bei Vorliegen der Vorgreiflichkeit ausgesetzt werden soll, hat das Beschwerdegericht den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (Zöller/Greger, ZPO 35. Aufl. § 252 Rn. 5). Seiner Prüfung unterliegt insoweit lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Anordnung der Aussetzung überschritten hat oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht in übereinstimmender Weise Gebrauch gemacht hat (LAG Hamm, Beschluss vom 08.05.2020, 12 Ta 317/20, Rn. 15 mwN.). Bei der Ermessensausübung sind unter anderem die Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit, der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen und der Beschleunigungsgrundsatz (vgl. dazu BAG, Urteil vom 27.04.2006 – 2 AZR 360/05 –, Rn. 20, juris) zu berücksichtigen.
242. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Aussetzung des Verfahrens durch das Arbeitsgericht beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
25a) Das Verfahren 9 TaBV 59/24 vor dem Landesarbeitsgericht Köln ist vorgreiflich für das arbeitsgerichtliche Verfahren.
26Rechtskräftige Beschlüsse im Beschlussverfahren über betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten können für spätere Individualstreitigkeiten auch dann präjudizielle Bindungswirkung entfalten, wenn der Arbeitnehmer am Beschlussverfahren nicht beteiligt gewesen ist. So ist etwa bei Entscheidungen über die Mitbestimmungspflichtigkeit einer Betriebsänderung für nachfolgende Ansprüche auf Nachteilsausgleich (§ 113 Abs. 3 BetrVG) oder eine Maßnahme des Arbeitgebers nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eine aus der Rechtskraft folgende Präklusionswirkung anzunehmen. Unabhängig von Abgrenzungsfragen und terminologischen Unterschieden im Einzelnen ist eine präjudizielle Bindungswirkung oder Präklusionswirkung - auch außerhalb vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und des vom Wortlaut des § 325 ZPO vorgegebenen Rahmens - dann gerechtfertigt, wenn die Rechtslage des Arbeitnehmers primär durch eine kollektivrechtliche Vorfrage geprägt und daher seine individuelle Position in ein übergreifendes Bezugssystem eingebettet ist (so: BAG 23.02.2016 - 1 AZR 73/14, BAGE 154, 136, Rz. 22 mwN).
27Das Arbeitsgericht Bonn hat zurecht darauf hingewiesen, dass eine rechtskräftige Entscheidung über den Bestand oder den Inhalt eines Normenvertrags auch gegenüber denjenigen Wirkung entfaltet, die ihren Anspruch gerade auf diesen Normenvertrag stützen.
28Das Arbeitsgericht Bonn vertritt die Rechtsauffassung, dass dem Kläger wegen des Verstoßes der ihn von dem Abfindungsanspruch ausschließenden Regelung in § 1 Abs. 2 lit. j) der BV gegen § 75 BetrVG und §§ 7,3 AGG ein Anspruch auf die Leistungen der BV zusteht. Sollte in dem Verfahren 9 TaBV 59/24 die Gesamtnichtigkeit der BV festgestellt werden, entfiele jedoch die Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Abfindungsanspruch. Damit entfaltet die Entscheidung in dem Beschlussverfahren Gestaltungs-bzw. Interventionswirkung für den vorliegenden Rechtsstreit und ist vorgreiflich.
29Die Vorgreiflichkeit ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Beklagte ihre aufgrund der BV geleisteten Zahlungen im Dezember 2023 und Januar 2024 von den Arbeitnehmern bisher nicht zurückgefordert hat und der Kläger hieraus unabhängig von der Wirksamkeit der BV einen Zahlungsanspruch aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung abzuleiten meint. Gemäß der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluss lässt sich aus diesem vorgetragenen Sachverhalt derzeit kein Anspruch des Klägers auf der Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes oder als Schadensersatzanspruch gem. § 15 Abs. 1 AGG ableiten.
30b) Die somit grundsätzlich mögliche Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass Verfahren gem. § 148 ZPO auszusetzen, hält sich im Rahmen seines Ermessens.
31Das Arbeitsgericht hat sein Ermessen zugunsten einer Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits fehlerfrei ausgeübt. Es hat alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Seine Entscheidung, der Vermeidung widersprechender Entscheidungen ein besonderes Gewicht zuzubilligen, weil es bei dem vorgreiflichen Rechtsstreit um die Nichtigkeit eines Normenvertrags geht, der für zahlreiche Arbeitsverhältnisse maßgeblich ist, ist nachvollziehbar.
323. Im Beschwerderechtszug über die Aussetzung eines Verfahrens ergeht keine Kostenentscheidung; das Beschwerdeverfahren bildet nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704).
33III.
34Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel mangels Zulassung der Rechtsbeschwerde, für die kein Anlass besteht, nicht gegeben (§§ 78 Satz 2 ArbGG, 72 Abs. 2 ArbGG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO).