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Die Beschwerde des Konzernbetriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 29.10.2024 – 3 BV 102/24 – wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle bezüglich der Einführung und Anwendung des IT-Systems U .
4Die Antragstellerin, das herrschende Unternehmen eines weltweit tätigen Post- und Logistikkonzerns, beabsichtigt dieses IT-System zur Arbeitszeiterfassung und zur Personaleinsatzplanung in drei Konzerngesellschaften ihrer Division Express einzuführen und anzuwenden.
5Die Antragstellerin hat die Ansicht vertreten, dass das Mitbestimmungsrecht beim Konzernbetriebsrat liege, weil U als Ein-Mandanten-Lösung genutzt werden solle. Das IT-System werde aus diesem Grunde gesellschaftsübergreifend einheitlich konfiguriert und über einen Server gehostet. Die Administration erfolge ebenfalls einheitlich für die nutzenden Gesellschaften durch eine zentrale Stelle.
6Die Antragstellerin hat beantragt,
7zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Einführung und Anwendung des IT-Systems ‚U ‘“ Herrn O K, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht D, zu bestellen und die Anzahl der Beisitzer auf drei je Seite festzulegen.
8Der Konzernbetriebsrat hat beantragt,
9den Antrag zurückzuweisen.
10Er hat die Ansicht vertreten, das Mitbestimmungsrecht bestehe nicht auf Ebene des Konzernbetriebsrats. Bei der Software U sei es technisch möglich, dass eine Mandantentrennung zwischen den Gesellschaften erfolge, so dass die Datenverarbeitung auch getrennt erfolgen könnte. Jedenfalls sei die Anzahl der Beisitzer für jede Seite auf fünf festzusetzen, damit der Konzernbetriebsrat zum einen juristischen Sachverstand als auch mangels eigener Kenntnisse über die lokalen Besonderheiten der einzelnen konzernangehörigen Gesellschaften je einen Vertreter dieser Gesellschaften in die Einigungsstelle entsenden könne.
11Das Arbeitsgericht hat mit einem am 29.10.2024 verkündeten Beschluss entsprechend den Anträgen der Antragstellerin Herrn K zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt und die Anzahl der Beisitzer wird auf drei je Seite festgelegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
12Die Einigungsstelle sei zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig, da die Einführung und Anwendung von U in den drei konzernangehörigen Gesellschaften der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliege und für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts der Konzernbetriebsrat zuständig sei. Bei der Einführung und Anwendung der neuen Software handele es sich um eine Angelegenheit, die mehrere Betriebe und nicht durch die einzelnen (lokalen) Betriebsräte geregelt werden könne. Denn die Einführung und Anwendung des IT-Systems U in Form einer Ein-Mandanten-Lösung bedürfe einer Regelung auf Konzernebene, weil sie nur einheitlich für die konzernangehörigen Gesellschaften als ein zusammenhängender Mandant erfolgen könne und die Administrationsrechte zentral vergeben würden. Dadurch bestehe die Möglichkeit einer Kontrolle des Nutzungsverhaltens von Arbeitnehmern in sämtlichen Betrieben der konzernangehörigen Gesellschaften. Zwar könnte das IT-System auch lokal konfiguriert werden, so dass die Daten für die verschiedenen konzernangehörigen Gesellschaften auch jeweils getrennt und nicht in einer Cloud gespeichert würden. Die Antragstellerin habe aber entschieden, das IT-System „U “ als Ein-Mandanten-Lösung einzuführen, sodass sich erst im Anschluss an diese mitbestimmungsfreie Organisationsentscheidung ein objektiver Zwang zu einer unternehmenseinheitlichen Regelung einer Angelegenheit ergebe.
13Herr K biete als Einigungsstellenvorsitzender die Gewähr für eine neutrale Verhandlungsführung und verfüge auch über die notwendige Sach- und Rechtskunde.
14Die Anzahl der Beisitzer sei antragsgemäß auf jeweils drei, nicht aber auf fünf pro Seite festzulegen. Das IT-System „U “ werde gerade einmal bei drei konzernangehörigen Gesellschaften eingeführt und der Fokus liege auf den technischen Gegebenheiten, bei denen abweichende Auffassungen und umfangreiche Erörterungen nicht zu erwarten seien. Etwaige lokale Besonderheiten könnten im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den jeweils lokalen Betriebsräten und den dortigen Geschäftsführungen erfragt werden.
15Gegen diesen ihm am 30.10.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13.11.2024 bei dem Landesarbeitsgericht eingelegte und zugleich begründete Beschwerde des Konzernbetriebsrats.
16Er behauptet, eine konzerneinheitliche Regelung sei – anders als vom Arbeitsgericht angenommen – weder sachgerecht noch möglich. Die für die Nutzung vorgesehenen Konzerngesellschaften hätten sehr spezifische sowie voneinander abweichende Anforderungen an die Zeiterfassung und an die Personaleinsatzplanung. Auch aus der zentralen Überwachungsmöglichkeit ergebe sich nicht die Notwendigkeit einer betriebsübergreifenden Regelung. Denn Zweckmäßigkeitserwägungen seien für die Zuständigkeitsbegründung nicht maßgebend. Zudem sei den Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu unterscheiden. Allein die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats bei der Einführung einer Software führe nicht dazu, dass notwendigerweise dasselbe Gremium – also der Konzernbetriebsrat – für die Frage des Gesundheitsschutzes zuständig sei. Für diesen sei das örtliche Gremium zuständig, weil es mit der Kenntnis der konkreten Umstände des einzelnen Betriebs sachnäher sei.
17Angesichts der Komplexität der Angelegenheit sei die vom Arbeitsgericht festgesetzte Beisitzerzahl zu niedrig. Da mehrere Mitbestimmungstatbestände und unterschiedliche Konzernunternehmen mit unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen sowohl hinsichtlich der Dienstplangestaltung als auch bezüglich der Arbeitszeit berührt seien, wäre eine sachgerechte Lösung der zu klärenden Fragen nur gewährleistet, wenn auch die betroffenen Unternehmen selbst in der Einigungsstelle repräsentiert wären.
18Der Konzernbetriebsrat beantragt,
19den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 29.10.2024 – 3 BV 102/24 – abzuändern und den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
20Die Antragstellerin beantragt,
21die Beschwerde zurückzuweisen.
22Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Vertiefung ihres Sachvortrags und meint, der Konzernbetriebsrat unterliege einem Missverständnis. Zwar wäre es technisch möglich, das System „U “ getrennt voneinander mit individueller Konfiguration und separater Datenverwaltung in jeder einzelnen Konzerngesellschaft einzuführen. Dann wären allerdings gleich drei Beschaffungsvorgänge durch die jeweiligen Gesellschaften durchzuführen. Eine solche unternehmerische Entscheidung als Grundlage der (dann lokal zu erfolgenden) Mitbestimmung wäre indes sehr kostenträchtig und sei daher nicht Gegenstand der hier einzusetzenden Einigungsstelle.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
24II.
25Die gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthafte und gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Konzernbetriebsrats ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender ausführlicher Begründung hat das Arbeitsgericht Herrn K zum Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Regelungsgenstand „Einführung und Anwendung des IT-Systems U “ bestellt sowie die Anzahl der Beisitzer für jede Seite auf drei festgelegt.
261.) Denn die Einigungsstelle ist zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.
27a) Die Einführung und die Anwendung von technischen Einrichtungen, die – wie U – dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG der Mitbestimmung.
28b) Für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts ist der Konzernbetriebsrat gemäß § 58 Abs. 1 BetrVG nicht offensichtlich zuständig. Bei der Einführung und Anwendung der neuen Software handelt es sich um eine Angelegenheit, die mehrere konzernangehörige Unternehmen betrifft und nicht offensichtlich auch auf Unternehmens- oder Betriebsebene geregelt werden kann.
29aa) Denn die Arbeitgeberin hat entschieden, die Einführung des IT-Systems als Ein-Mandanten-Lösung zu organisieren. Dadurch besteht die Möglichkeit einer Kontrolle des Nutzungsverhaltens von Arbeitnehmern in sämtlichen Betrieben der konzernangehörigen Gesellschaften. Auch wenn die zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle geeigneten Arbeitszeitdaten auf bestimmte Personen oder Personengruppen eingeschränkt und unternehmensspezifische Regelungen getroffen werden können, ändert dies nichts daran, dass die Software in einer Cloud zusammen mit den gespeicherten Arbeitszeitangaben gehostet und betrieben werden soll. Dabei handelt es sich um eine einheitliche betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit, innerhalb derer eine Aufspaltung der Zuständigkeit auf mehrere betriebsverfassungsrechtliche Organe nicht möglich ist.
30bb) Ob die Entscheidung auf für die mitbestimmungsrechtliche Zuständigkeit unerheblichen Zweckmäßigkeitserwägungen eines lokalen Managements beruht oder ob sich im Anschluss an eine bindende Organisationsentscheidung der Konzernspitze ein objektiver Zwang zur einer unternehmenseinheitlichen Regelung ergibt, bedarf im Verfahren nach § 100 ArbGG keiner weiteren Aufklärung, sondern fällt in die Prüfungskompetenz der Einigungsstelle. Denn die Einigungsstelle hat, bevor sie eine Regelung in der Sache trifft, ihre Zuständigkeit im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz vorab selbst zu prüfen (BAG, Beschluss vom 28. Mai 2002 – 1 ABR 37/01 –, BAGE 101, 203-215, Rn. 60; BAG, Beschluss vom 22. Oktober 1981 – 6 ABR 69/79 –, BAGE 36, 385-392, Rn. 19. Damit ist die Einigungsstelle in der vorliegenden Fallkonstellation jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig.
31cc) Offenbleiben kann ebenfalls, ob und inwieweit die Einführung und Anwendung des IT-Sytems weitere Mitbestimmungsrechte auslöst. Sofern diese Mitbestimmungstatbestände einer Regelung mit den Gesamtbetriebsräten oder den örtlichen Betriebsräten zugänglich sein sollten, hätte sich Einigungsstelle ggf. einer Regelung zu enthalten. Auch dies wird die Einigungsstelle aufgrund ihrer Vorfragenkompetenz selbst zu prüfen haben; die Thematik hätte jedoch keinen Einfluss auf die Einführung und Anwendung von U und die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats im Übrigen.
322.) Gegen den vom Arbeitsgericht bestellten Vorsitzenden haben die Beteiligten keine Einwände erhoben. Solche sind auch nicht ersichtlich.
333.) Zu Recht hat das Arbeitsgericht schließlich die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils drei festgesetzt. Eine höhere Anzahl ist nicht erforderlich. U wird nur bei drei Konzerngesellschaften eingeführt, wobei, wie das Arbeitsgericht überzeugend dargelegt hat, bei den technischen Gegebenheiten abweichende Auffassungen und umfangreiche Erörterungen nicht zwingend zu erwarten sind. Lokale Besonderheiten können ggf. schon im Vorfeld der Sitzungen von den Beteiligten und der Einigungsstelle in Erfahrung gebracht werden und so Berücksichtigung finden.
34III.
35Gegen diesen Beschluss findet gemäß § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG ein Rechtsmittel nicht statt.