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Einzelfallentscheidung nach § 100 ArbGG
Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 06.02.2024 – 3 BV 13/24 – wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle bezüglich der Beschwerde des Arbeitnehmers Dr. K vom 04.10.2023.
4Der Arbeitgeber ist eine Einrichtung der H-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und beschäftigt ca. 10.300 Arbeitnehmer. Seine institutionelle Förderung bezieht er ganz überwiegend über das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Zur Förderung von Forschung, Bildung und Innovation unterhält der Arbeitgeber seit 1974 einen sog. Projektträger mit derzeit ca. 1.600 Arbeitnehmern, der seinen Hauptsitz in B hat.
5In der zwischen den Beteiligten am 22.06.2022 geschlossenen Betriebsvereinbarung über mobiles Arbeiten und Telearbeit heißt es unter § 2 Nr. 3:
6a. Eine Tätigkeit in Form der mobilen Arbeit im Ausland ist möglich, wenn sie nach Prüfung der arbeits-, sozialversicherungs-, datenschutz- und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Exportkontrolle durch AI-RP gemäß den Regelungen dieser Betriebsvereinbarung zugelassen werden kann und keine erheblichen betrieblichen Gründe entgegenstehen. Die Anträge werden wohlwollend geprüft. Lehnt der D-PT die mobile Arbeit im Ausland ab, so legt er gegenüber dem Betriebsrat die hierfür maßgeblichen rechtlichen und / oder betrieblichen Gründe offen.
7…
8Unter § 3 Nr. 1 der Betriebsvereinbarung haben die Beteiligten vereinbart:
9Mitarbeitende haben nach Maßgabe dieser Betriebsvereinbarung bei Vorliegen der nachfolgend genannten funktionalen Voraussetzungen einen kollektiv-rechtlichen, nicht individuell einklagbaren Anspruch darauf, ihre Tätigkeit in Form von flexibler Arbeit zu erbringen. Über den Anspruch auf Tätigwerden in Form flexiblen Arbeitens entscheidet nach vorherigem Durchlauf der Eskalationsstufen in § 4 (Mobile Arbeit) bzw. § 5 (Telearbeit) die Clearingstelle gemäß § 12 abschließend. Das Recht des/der Mitarbeitenden zur Einlegung einer Beschwerde gemäß §§ 84, 85 BetrVG bleibt unberührt.
10Am 11.09.2023 teilte der Vorstand des Arbeitgebers mit, dass zukünftig mobile Arbeit im Ausland nur in besonders gelagerten Härtefällen oder zur zielgerichteten Gewinnung von Fachpersonal aus dem Ausland im Einzelfall genehmigt werde, weil die notwendige Einzelfallprüfung einen besonderen hohen administrativen Aufwand und außerordentlich hohe Kosten verursachten, so dass betriebliche Gründe den Einzelfallprüfungen entgegenstünden.
11Der bei dem Projektträger tätige Arbeitnehmer Dr. K stellte am 28.09.2023 einen Antrag auf mobiles Arbeiten an fünf Arbeitstagen in der Ferienwohnung seiner Familie in S/Italien für die zweite Januarhälfte 2024, hilfsweise für die zweite Februar- oder Märzhälfte 2024.
12Die Personalabteilung des Projektträgers lehnte den Antrag mit einem E-Mail-Schreiben vom 29.09.2023 ab und begründete dies damit, dass mit der mobilen Arbeit im Ausland kein Fall sozialer Härte verhindert würde.
13Daraufhin legte Herr K am 04.10.2023 beim Betriebsrat Beschwerde aufgrund der arbeitgeberseitigen Behandlung seines Antrags gemäß § 85 BetrVG ein, da es seiner Ansicht nach für die Beschränkung mobilen Arbeitens im Ausland auf „Fälle sozialer Härte" in der Betriebsvereinbarung keine Grundlage gebe. Die Ablehnung sei somit rechtswidrig.
14Am 18.10.2023 beschloss der Betriebsrat, dass er die Beschwerde für berechtigt ansehe, und für den Fall, dass kein Einvernehmen hinsichtlich der Berechtigung der Beschwerde erzielt werden könne, die Einigungsstelle anzurufen.
15Der Betriebsrat ist der Auffassung, wegen der Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde von Herrn K gem. § 85 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle anrufen zu können. Da in § 3 der BV ausdrücklich geregelt sei, dass die Mitarbeiter keinen individuell einklagbaren Anspruch auf mobiles Arbeiten hätten, gehe es bei der Beschwerde nicht um einen Rechtsanspruch, der ein Einigungsstellenverfahren ausschließe.
16Der Betriebsrat hat beantragt,
171. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Beschwerde des ArbeitnehmersDr. B K vom 04.10.2023“ Herrn H D (K GmbH, , Kö) zu bestellen;
2. die Anzahl der Beisitzer auf drei je Seite festzusetzen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
22die Anträge zurückzuweisen.
23Er hat die Auffassung vertreten, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei, da Herr Dr. K einen Rechtsanspruch geltend mache.
24Das Arbeitsgericht hat mit einem am 06.02.2024 verkündeten Beschluss dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Einigungsstelle sei zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig, da bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht nicht sofort erkennbar sei, dass Herr K mit seiner Beschwerde einen Rechtsanspruch geltend mache.
25Gegen diesen ihm am 08.02.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die am 21.02.2024 bei dem Landesarbeitsgericht eingelegte und zugleich begründete Beschwerde des Arbeitgebers.
26Der Arbeitgeber meint, die Beschwerde des Herrn Dr. K habe lediglich bzw. ausschließlich einen (vermeintlichen) Rechtsanspruch zum Gegenstand. Mit der Beschwerde mache Herr Dr. K geltend, dass die Ablehnung seines Antrages auf flexible Arbeit im Ausland rechtswidrig sei und dass es in der Betriebsvereinbarung keine Grundlage für die Beschränkung des mobilen Arbeitens im Ausland auf Fälle sozialer Härte gebe. Die Beschwerde gehe damit ersichtlich von einem grundsätzlichen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers aus, dessen Beschränkung in Gestalt der Ablehnung des Antrages einer Grundlage im geltenden Recht bedürfe.
27Zudem habe er, der Arbeitgeber, der Beschwerde des Herrn Dr. K mit seinem Schreiben vom 15.02.2024 abgeholfen, sofern deren Auslegung ergäbe, dass er damit (auch oder vor allem) eine nicht (hinreichend) wohlwollende Prüfung seines Anliegens hat monieren wollen. Darin habe er Herrn Dr. K darauf hingewiesen, dass bei Genehmigung seines Antrags eine Sozialversicherungspflicht in Italien begründet würde, was gegen das Gebot der sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln verstieße.
28Der Arbeitgeber beantragt,
29den Beschluss vom 6.2.2024 – 3 BV 13/24 – abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.
30Der Betriebsrat beantragt,
31die Beschwerde zurückzuweisen.
32Er meint, dass die für den Projektträger tätigen Arbeitnehmer keinen individual-rechtlichen Anspruch auf mobiles Arbeiten und mobiles Arbeiten im Ausland hätten. Geregelt werden könnte ein derartiger Anspruch im Rahmen einer nach § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG abzuschließenden Betriebsvereinbarung. Vorliegend sei es dazu jedoch gerade nicht gekommen; vielmehr sei ausdrücklich in § 3 Nr. 1 der Betriebsvereinbarung festgehalten, dass die Arbeitnehmer keinen individuell einklagbaren Anspruch darauf hätten, ihre Tätigkeit in Form von flexibler Arbeit zu erbringen.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
34II.
35Die Beschwerde des Arbeitgebers ist unbegründet. Die Einigungsstelle ist für die Behandlung der Beschwerde von Herrn Dr. K nicht offensichtlich unzuständig iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Denn Gegenstand seiner Beschwerde ist kein Rechtsanspruch, den die Einigungsstelle gemäß § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht behandeln dürfte.
361. Nach § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann ein Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde eines Arbeitnehmers bestehen.
37a) Sinn und Zweck dieses Einigungsstellenverfahrens bestehen in der Eröffnung eines Wegs zur Beilegung eines betrieblichen Regelungskonflikts. Hat ein Arbeitnehmer die Veränderung eines ihn beeinträchtigenden betrieblichen Zustands angemahnt, soll mit dem Einigungsstellenverfahren eine zusätzliche Überprüfung der Berechtigung der Beschwerde durch eine dritte Stelle ermöglicht werden. Im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat legt der Spruch der Einigungsstelle die Meinungsverschiedenheit bei (BT-Drs. VI/1786, S. 48). Stellt die Einigungsstelle die Berechtigung der Beschwerde fest, wird der Arbeitgeber zum Ergreifen geeigneter Abhilfemaßnahmen verpflichtet. Darin besteht die Konfliktlösung durch die Einigungsstelle (BAG, Beschluss vom 22. November 2005 - 1 ABR 50/04 -, BAGE 116, 235-245, Rn. 40). Dies kann jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in den Fällen gelten, in denen eine Beschwerde eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Gegenstand hat. Denn in einem solchen Fall darf weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer der Rechtsweg abgeschnitten werden (BT-Drs. VI/1786, S. 48; GK/Franzen, 12. Aufl. 2022, § 85 BetrVG, Rn. 10). Zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen dient allein der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen (BAG, Beschluss vom 22. November 2005 - 1 ABR 50/04 -, BAGE 116, 235-245, Rn. 38).
38b) Im vorliegenden Fall hat die Beschwerde des Herrn Dr. K keine rechtliche Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Arbeitgeber zum Gegenstand. Herr Dr. K hat keinen Anspruch auf ein mobiles Arbeiten im Ausland. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus einer gesetzlichen oder tariflichen Bestimmung noch aus einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien oder dem arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Anspruch des Herrn Dr. K auf mobiles Arbeiten resultiert auch nicht gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG aus der Betriebsvereinbarung vom 22.06.2022. Diese schließt ein mobiles Arbeiten im Ausland nach § 2 Nr. 3 Buchst. lediglich nicht von vorneherein aus. § 3 Nr. 1 der Betriebsvereinbarung bestimmt hingegen ausdrücklich, dass den Arbeitnehmern lediglich ein kollektiv-rechtlicher, nicht hingegen ein individuell einklagbarer Anspruch zusteht. Damit bringt die Betriebsvereinbarung zum Ausdruck, dass sie nur das kollektivrechtliche Verhältnis der Beteiligten untereinander gestalten will. Das individualrechtliche Schuldverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien nimmt sie von ihrer unmittelbar und zwingenden Wirkung aus. Auch wenn einem mobilen Arbeiten nach der Betriebsvereinbarung nichts im Wege steht, soll der Arbeitnehmer keinen einklagbaren Anspruch darauf haben. Damit ist zugleich ausgeschlossen, dass die Beschwerde eines Arbeitnehmers wegen der Ablehnung von mobilem Arbeiten eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Arbeitgeber zum Gegenstand hat. Dieses Verständnis wird dadurch bestärkt, dass das Recht des Arbeitnehmers zur Einlegung einer Beschwerde gemäß §§ 84, 85 BetrVG nach § 3 Nr. 1 Satz 3 der Betriebsvereinbarung ausdrücklich unberührt bleibt, was wiederum nach § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG voraussetzt, dass Gegenstand der Beschwerde eben kein Rechtsanspruch ist.
39c) Unerheblich ist, dass Herr Dr. K seine Beschwerde auf rechtliche Erwägungen gestützt hat. Zwar kann ein Rechtsanspruch als Gegenstand einer Beschwerde ggf. auch dann angesehen werden, wenn er materiell-rechtlich nicht besteht (Richardi/Thüsing, 17. Aufl. 2022, § 85 BetrVG, Rn. 22). Denn Aufgabe der Einigungsstelle ist es nicht, im Verfahren nach § 85 BetrVG als Gutachter darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen für einen Rechtsanspruch gegeben sind (BAG, Beschluss vom 28. Juni 1984 – 6 ABR 5/83 –, BAGE 46, 228-234, Rn. 21). Diese Gefahr besteht hier jedoch nicht, weil sich Herr Dr. K in seiner Beschwerde vom 04.10.2023 nicht eines individuellen Anspruchs berühmt, sondern lediglich die Ablehnungsgründe des Arbeitgebers als nicht von der Betriebsvereinbarung gedeckt erachtet hat. Das Ziel seiner Beschwerde ist nicht auf die Durchsetzung eines vermeintlichen Anspruchs gerichtet, sondern darauf, dem Arbeitgeber die Gelegenheit zu geben, seine Ablehnungsentscheidung zu überdenken und das mobile Arbeiten in S zu genehmigen.
40d) Der Arbeitgeber hat der Beschwerde des Herrn Dr. K nicht abgeholfen. Denn in seinem Schreiben vom 15.02.2024 hat er nicht erklärt, dass er die Beschwerde als berechtigt ansehe und demgemäß das mobile Arbeiten in S genehmigt, sondern lediglich die Ablehnungsgründe näher erläutert. Dem Anliegen des Herrn Dr. K hat der Arbeitgeber damit nicht in voller Hinsicht Rechnung getragen.
412. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Direktor des Arbeitsgerichts Da, Herr Ka Sc, zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestimmt und die Zahl der Beisitzer antragsgemäß auf drei je Seite festgesetzt, nachdem sich der Betriebsrat mit der von dem Arbeitgeber vorgeschlagenen Person des Vorsitzenden und der Arbeitgeber mit der Zahl der Beisitzer einverstanden erklärt hatte.