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1. Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Norm bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts.
2. Ein Arbeitsunfall ist nur dann vorsätzlich herbeigeführt worden, wenn dieser Unfall gewollt und für den Fall seines Eintritts gebilligt worden war. Allein der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften indiziert kein vorsätzliches Verhalten. Derjenige, der vorsätzlich eine zu Gunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will meistens nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern er hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde.
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 14.12.2023 – 12 Ca 5719/22 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen eines erlittenen Arbeitsunfalls des Klägers am 02.03.2022. Der Kläger macht die Differenz zwischen der Vergütung und dem Verletztengeld für Mai 2022 in Höhe von 433,28 EUR sowie für Juni bis November 2022 in Höhe von jeweils 812,40 EUR sowie Schmerzensgeld in Höhe von 5000 EUR geltend.
3Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 14.12.2023 Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass zugunsten der Beklagten die sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des § 104 Abs. 1 SGB VII eingreift. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sei ein Unternehmer den Versicherten, die - wie der Kläger - für ihr Unternehmen tätig sind, zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Der Kläger habe den Unfall infolge der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten. Der Unfall war ein Arbeitsunfall und kein Wegeunfall. Der für Ansprüche des Klägers erforderliche Vorsatz sei nicht feststellbar, da die Kammer davon ausgehe, dass sich der Container, an dem sich der Kläger beim Lösen des Stützbeins verletzt hat, in einem betriebssicheren Zustand befand.
4Gegen dieses ihn am 21.12.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.01.2024 Berufung eingelegt und diese, nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 21.03.2024, am 21.03.2024 begründet.
5Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass eine vorsätzliche Herbeiführung des Arbeitsunfalls anzunehmen sei, da der Container mit der Nummer entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht turnusmäßig gewartet worden sei. Die Richtigkeit des eingereichten Wartungsprotokolls bestreitet er. Der Container habe sich nicht in einem betriebssicheren Zustand befunden. Es sei bei der Beklagten an der Tagesordnung, dass nicht ordnungsgemäß gewartete Container, deren Prüfzeit abgelaufen ist, in den Verkehr gebracht und die bei der Beklagten beschäftigten Fahrer angewiesen werden, diese Container trotz abgelaufener Prüfzeiträume zu bewegen. Hierzu führt er Beispiele an. Es sei davon auszugehen, dass bei der Beklagten grobe strukturelle Defizite und Missstände bezüglich der Verkehrssicherheit der Arbeitsmittel bestehen. Deshalb müssten der Beklagten die Mängel in der Arbeitssicherheit bekannt sein. Dieses „kumulative Zusammenwirken“ begründe das Vorliegen eines Vorsatzes der Beklagten, der sich sowohl darauf beziehe, dass an die Beschäftigten nicht ordnungsgemäß gewartetes, überprüftes und somit nicht betriebssicheres Arbeitsgerät übergeben wird, sondern auch darauf, dass es hierdurch zu Verletzungen und Arbeitsunfällen komme.
6Der Kläger beantragt,
7unter Aufhebung des angefochtenen Urteils
81. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 10.307,68 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 5.000,00 seit dem 10.09.2022, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 433,28 seit dem 01.06.2022, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 812,40 seit dem 01.07.2022, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 812,40 seit dem 01.08.2022, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 812,40 seit dem 01.09.2022, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 812,40 seit dem 01.10.2022, Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 812,40 seit dem 01.11.2022 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von € 812,40 seit dem 01.12.2022 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfallereignis vom 02.03.2022 resultieren, soweit sie nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagte beantragt,
13die Berufung zurückzuweisen.
14Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil und macht geltend, dass der Container betriebssicher gewesen sei, jedenfalls aber dass allein Verstöße gegen Verkehrssicherungspflichten oder etwa Unfallverhütungsvorschriften im Hinblick auf den Verletzungserfolg keinen Vorsatz indizieren. Selbst bei einem abgelaufenen Prüfzertifikat könne nicht auf eine fehlende Betriebssicherheit des Containers geschlossen werden. In keinem Fall sei eine Verletzung des Klägers billigend in Kauf genommen worden.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die zulässige Berufung ist unbegründet.
18I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1, 46g ArbGG, 519, 520 ZPO).
19II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im arbeitsgerichtlichen Urteil Bezug genommen. Klarstellend und zusammenfassend soll nur folgendes ergänzt werden:
20Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte sind unabhängig von der ordnungsgemäßen Wartung des Containers nach § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen.
21a. Der Kläger hat den Unfall infolge der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten. Der Unfall erfolgte während der Ausübung der vom Kläger zu erbringenden Arbeitsleistung in Form des Abholens der Wechselbrücke bei einem Kunden der Beklagten, so dass es sich um einen Arbeitsunfall gem. § 8 Abs. 1 SGB VII handelte. Die entsprechenden zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts werden von dem Kläger auch mit der Berufung nicht angegriffen.
22b. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die - wie der Kläger - für ihre Unternehmen tätig sind, nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Norm bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts (BAG 19. August 2004 - 8 AZR 349/03 - zu B II 1 a der Gründe; BAG, Urteil vom 28. November 2019 – 8 AZR 35/19 –, Rn. 16, juris).
23Die gesetzliche Unfallversicherung verlagert den Schadensausgleich bei Arbeitsunfällen damit aus dem individualrechtlichen in den sozialrechtlichen Bereich. Die zivilrechtliche Haftung des Unternehmers für fahrlässiges Verhalten bei Personenschäden gegenüber dem Arbeitnehmer wird nach § 104 SGB VII durch die öffentlich-rechtliche Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst (BAG, Urteil vom 28. November 2019 – 8 AZR 35/19 –, Rn. 18, juris).
24Soweit bestimmte Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht übernommen bzw. bestimmte Schadenspositionen durch die gesetzliche Unfallversicherung nicht ausgeglichen werden, ändert dies nichts daran, dass der Haftungsausschluss verfassungskonform ist. Eine Deckungsgleichheit der Leistungen ist nicht erforderlich (BGH 8. März 2012 - III ZR 191/11 - Rn. 12; BAG, Urteil vom 28. November 2019 – 8 AZR 35/19 –, Rn. 25, juris).
25c. Ein Fall, in dem der Arbeitgeber ausnahmsweise zum Schadensersatz verpflichtet bleibt, liegt nicht vor: Bei dem Unfall des Klägers handelte es sich unstreitig nicht um einen Wegeunfall. Der Unfall wurde von der Beklagten auch nicht vorsätzlich herbeigeführt i.S.d. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VIII. Dabei kann dahinstehen, ob der konkrete Container nicht ordnungsgemäß gewartet war oder die Prüfzeit abgelaufen war. Allein der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften indiziert kein vorsätzliches Verhalten. Für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ist vielmehr ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich. Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen (vgl. nur BAG, 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12 - Rn. 23 mwN; 28. November 2019 – 8 AZR 35/19 –, Rn. 46,19. Februar 2009 - 8 AZR 188/08 - Rn. 50, 52; 19. August 2004 - 8 AZR 349/03 - zu B II 1 d aa und bb der Gründe; vgl. auch BGH 8. März 2012 - III ZR 191/11 - Rn. 14 mwN; 11. Februar 2003 - VI ZR 34/02 - zu II 1 der Gründe, BGHZ 154, 11).
26Ein Arbeitsunfall ist nur dann vorsätzlich herbeigeführt worden, wenn dieser Unfall gewollt und für den Fall seines Eintritts gebilligt worden war. Selbst wenn der Container nicht ordnungsgemäß gewartet gewesen wäre und dies der Beklagten bewusst gewesen wäre, führt dies nicht zu einem vorsätzlichen Herbeiführen des Arbeitsunfalls wenn die Unfallfolgen ungewollt waren (BAG, Urteil vom 19. Februar 2009– 8 AZR 188/08 –, Rn. 50, juris; BAG v. 28.11.2019-8 AZR 35/19- Rn. 46, juris). Dies folgt bereits aus dem verschiedenen Unrechtsgehalt. Derjenige, der vorsätzlich eine zu Gunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will demnach meistens nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern er hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde. Das Gewicht seines Rechtsverstoßes ist geringer als in dem anders gelagerten Falle, in dem jemand - mit oder ohne Pflichtenverstoß - den Unfall eines anderen billigend in Kauf nimmt (BAG27. Juni 1975 - 3 AZR 457/74 - AP RVO § 636 Nr. 9 = EzA RVO § 636 Nr. 9, BAG, Urteil vom 19. Februar 2009 – 8 AZR 188/08 –, Rn. 50, juris ).
27Es ist auch nicht entscheidend, ob der Beklagten bewusst war, dass ungewartete Container Verletzungen herbeiführen können. Hierbei würde es sich lediglich um einen Fall bewusster Fahrlässigkeit handeln, der gerade keine Haftung auslöst. Bewusst fahrlässig handelt, wer den möglicherweise eintretenden Erfolg sieht, aber hofft, er werde nicht eintreten, oder wem es gleichgültig ist, ob er eintritt. Bedingt vorsätzlich handelt dagegen, wer den möglicherweise eintretenden Erfolg für den Fall seines Eintritts billigt (vgl. BAG Urteil vom 8. Dezember 1970 - 1 AZR 81/70 - AP Nr. 4 zu § 636 RVO). Dementsprechend nimmt der Bundesgerichtshof (BGHZ 7, 311, 313) bedingten Vorsatz an, wenn der als möglich erkannte rechtswidrige Erfolg billigend in Kauf genommen wird (BAG, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 8 AZR 637/90 –, Rn. 14, juris). Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die konkrete Verletzung des Klägers, die durch eine verklemmte Stütze der Wechselbrücke entstanden sein soll, billigte.
28Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die konkrete Verletzung überhaupt durch eine ordnungsgemäße Wartung des Containers hätte vermieden werden können. Auf diese von der Kammer im Rahmen der Berufungsverhandlung aufgeworfenen Frage kam es daher nicht mehr an, so dass es einer Erklärungsfrist für den Kläger nach § 139 Abs. 5 ZPO nicht bedurfte. Im Übrigen wurde dies auch von der Beklagten im Rahmen der Berufungsbeantwortung thematisiert.
29III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 97 Abs.1 ZPO.
30IV. Gründe für die Zulassung der Revision iSd. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.