Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Text "erste Führungserfahrung" in einer Stellenausschreibung verweist nicht auf einen bestimmten Lebenszeitkorridor und stellt somit kein vermutungsbegründendes Indiz für eine Benachteiligung wegen des Alters dar.
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 25.10.2023 – 4 Ca 790/23 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger mit der Auffassung geltend macht, die Beklagte habe ihn wegen seines Alters diskriminiert.
3Die Beklagte suchte per Stellenausschreibung eine/n Managementtrainer/-in mit Vertriebsverantwortung (m/w/d). Die Stellenausschreibung hatte folgenden maßgeblichen Inhalt (Anl. K1 zur Klageschrift, Bl. 10 der Akte):
4Sie bringen Folgendes mit:
5• Erste Erfahrung in Führungspositionen
6• Erfahrungen im Vertrieb von Dienstleistungen im B2B-Bereich
7Der Kläger ist am 1967 geboren, war zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Kammertermins also 56 Jahre alt. Er bewarb sich auf die besagte Stellenausschreibung. Die Beklagte bestätigte den Eingang der Bewerbung unter dem 23.01.2023 um 9:31 Uhr wie folgt (Anlage K 3, Bl.14 der Akte):
8Sehr geehrter Herr R, über Ihr Vertrauen und Ihr Interesse an unserem Unternehmen und der ausgeschriebenen Position freuen wir uns sehr. Gern erhalten Sie die Bestätigung, dass Ihre Unterlagen bei uns eingegangen sind. Die Bearbeitung der gesamten Bewerbungsunterlagen wird etwas Zeit in Anspruch nehmen. Wir bitten Sie daher um etwas Geduld und kommen schnellstmöglich mit einem Feedback auf Sie zu. Ihnen bis dahin eine gute Zeit!
9Unter dem 07.02.2023, also gut zwei Wochen später, erhielt der Kläger gegen 16:09 Uhr eine Absage der Beklagten wie folgt (Anl. K4, Bl. 16 der Akte):
10Sehr geehrter Herr R, Ihre Vita haben wir mit Interesse studiert und Ihr Vertrauen und Ihre Offenheit schätzen wir sehr. Leider müssen wir Ihnen jedoch mitteilen, dass wir Sie nicht in die engere Auswahl nehmen konnten. Bitte werten Sie dies nicht als Bewertung Ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten. Gerade bei einer Vielzahl an Bewerbungen führen oft Details zu einer Entscheidung. Für Ihren weiteren Berufsweg wünschen wir Ihnen viel Erfolg sowie alles Gute für Ihre persönliche Zukunft.
11Der Kläger antwortete unter dem 07.02.2023 per E-Mail (Anl. K6, Bl. 19 der Akte):
12[…] im Nachgang zu meiner letzten Mail: Würden Sie mir bitte schreiben, wo meine Qualifikationen nicht zu den Anforderungen gepasst haben bzw. was Sie objektiv bewogen hat, mich so frühzeitig auszusortieren. Wie Sie dem AGG entnehmen können, habe ich das Recht, eine detaillierte Ablehnungsbegründung zu erhalten. Ich erbitte um kurzfristige Übermittlung Ihre Begründung.
13Sodann schrieb der Kläger unter dem 09.02.2023 (Anl. K6, Bl. 19 der Akte):
14[…] darf ich noch einmal an mein Anliegen bzgl. der Dokumentation erinnern. Dass ich bislang keine Antwort erhalten habe, bestärkt mich in meinem Verdacht, dass es gar keine objektiven Ablehnungsgründe gibt. Ich werde darum das Thema weiterverfolgen.
15Die Beklagte teilte dem Kläger die Gründe für die Ablehnung nicht mit. Ausweislich der Statusmeldung auf LinkedIn lagen 17 Bewerbungen vor. Die Beklagte schrieb sodann die Stelle erneut aus. Ausweislich der Statusmeldung haben sich noch einmal fünf Bewerber beworben.
16Mit Schreiben vom 15.03.2023 machte der Kläger den streitgegenständlichen Entschädigungsanspruch gegenüber der Beklagten außergerichtlich geltend und setzte eine Frist bis zum 30.03.2023.
17Mit der am 18.05.2023 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und die Zahlung einer Entschädigung wegen einer nach seiner Auffassung bestehenden Diskriminierung aufgrund seines Alters gefordert.
18Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, er nehme es der Beklagte nicht ab, wenn sie behaupte, die Position sei nur deshalb erneut ausgeschrieben worden, weil die bezahlte Stellenausschreibung abgelaufen gewesen sei. Auch bestreite er die Behauptung der Beklagten, die Stelle sei bis heute unbesetzt. Bereits das erste Kriterium in der Stellenanzeige „erste Erfahrungen in Führungspositionen“ führe nach seiner Auffassung zu einer unmittelbaren Diskriminierung wegen des Alters. Durch die Vorgabe der ersten Erfahrungen in Führungspositionen habe die Beklagte einen gewünschten Alterskorridor vorgegeben, wonach die Bewerber ca. 38-42 Jahre alt sein sollten, während alle übrigen Bewerber, die also entweder jünger als der Zielkorridor oder - wie er - älter seien, direkt aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert würden. Jüngere Bewerber könnten in den deutschen stark von Hierarchie geprägten Unternehmen noch über keine Erfahrungen in Führungspositionen verfügen, dafür seien das Zeigen von Leistungen und zumindest mehrere Jahre Berufserfahrung Voraussetzung. Ältere Bewerber wie er würden nicht in die engere Wahl einbezogen werden, weil diese bereits über eine langjährige Berufserfahrung in Führungspositionen verfügten. Dass die Aussortierung aufgrund des Alters erfolgt sei, werde auch daran deutlich, dass ihm die Beklagte postwendend eine Absage zugesandt habe. Er sei für die Stelle zu 100 % geeignet und erfülle alle Anforderungen, welche in der Stellenanzeige gefordert würden. Die Absage ließe sich somit nur aufgrund des Aussortierens wegen des Alters des Klägers erklären. Er habe das Bruttomonatseinkommen auf ca. 3.500,00 EUR geschätzt und mache mit seiner Klage den dreifachen Betrag geltend.
19Nach seiner Auffassung komme die Beklagte ihrer Vortragsverpflichtung nicht nach, weil sie den Gang des Bewerbungsverfahren noch nicht einmal im Ansatz beschreibe, also wie viele Bewerbungen sie erhalten habe, wie viele Gespräche/Interviews sie geführt habe, wie viele Bewerber ihre Bewerbung zurückgezogen hätten. Es stelle ein weiteres Indiz dar, dass die Beklagte trotz seiner zweimaligen Nachfragen nach dem Grund seiner Ablehnung nicht darauf reagiert habe. Darüber hinaus habe die Beklagte keine weiteren Unterlagen angefordert. Der vorliegende Sachverhalt sei nicht mit dem von der Beklagten zitierten Urteil des BAG vergleichbar. Das Urteil betreffe eine Stellenausschreibung, in welcher anders als in dem vorliegenden Fall auch qualifizierte Hochschulabgänger ausdrücklich angesprochen worden seien.
20Der Kläger hat beantragt,
21die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.500,00 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2023, hilfsweise seit Rechtshängigkeit, zu zahlen.
22Die Beklagte hat beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Zur Verteidigung gegen die Klage hat sie vorgetragen, sie habe den Kläger nicht wegen seines Alters diskriminiert. Nach ihrer Auffassung ergebe sich aus den Darlegungen des Klägers auch nicht einmal ein Indiz im Sinne des § 22 AGG. Die damals ausgeschriebene Stelle sei bis heute (KT erster Instanz) unbesetzt. Die Stelle sei erneut ausgeschrieben worden, da die bezahlte Stellenausschreibung abgelaufen und dann erneut veröffentlicht worden sei. Die Formulierung „erste Erfahrungen in Führungspositionen“ beinhalte nicht einmal einen Begriff, der an den Diskriminierungsgrund „Alter“ anknüpfe. Es sei in jedem Alter möglich, erste „Erfahrungen in Führungspositionen“ zu sammeln. Entgegen der Darstellung des Klägers habe er nicht etwa „postwendend“, sondern erst zwei Wochen nach Eingang der Bewerbung eine Absage erhalten.
25Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.10.2023 insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG, da es an einer Diskriminierung fehle, es fehle sogar bereits an einem Indiz im Sinne des § 22 AGG. Dabei könne zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass auf die streitgegenständliche Position ein anderer Bewerber eingestellt worden sei, denn das ändere am Ergebnis nichts. Die Formulierung „erste Erfahrung in Führungspositionen“ knüpfe weder unmittelbar noch mittelbar an das Alter einer Person an. Erste Führungserfahrung könnten in jedem Alter gemacht werden. Es gebe auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach in deutschen Unternehmen erste Führungserfahrungen erst nach mehreren Jahren gesammelt werden könnten. Auch der Umstand, dass der Kläger binnen zwei Wochen eine Absage erhalten habe, eigne sich nicht als Indiz iSd. § 22 AGG. Der Ablauf von zwei Wochen indiziere nicht, dass die Bewerbung des Klägers lediglich überflogen worden sei. Auch das Nichtanfordern weiterer Unterlagen stelle kein Indiz dar. Die Beklagte könne sich bereits aufgrund der ersten Unterlagen gegen den Kläger entschieden haben, dies könne aber auch einen anderen Grund als das Alter gehabt haben. Kein Indiz für eine Altersdiskriminierung sei auch die vom Kläger behauptete besondere Eignung für die Stelle. Schließlich stelle auch die Nichtmitteilung von Ablehnungsgründen kein Indiz dar, denn es fehle an einem korrespondierenden Auskunftsanspruch.
26Gegen dieses ihm am 10.11.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.12.2023 Berufung eingelegt und er hat diese am 08.01.2024 begründet.
27Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger vorgetragen, er bleibe bei seiner Auffassung, dass die von ihm vorgetragenen Tatsachen für eine Altersdiskriminierung sprächen. Von der postwendend erhaltenen Absage sei er unangenehm überrascht gewesen, da er die Kriterien für die gesuchte Stelle zu 100 Prozent erfüllt habe. Die Beklagte habe diesen Umstand weder außergerichtlich noch im anschließenden gerichtlichen Verfahren in erster Instanz bestritten, so dass die Tatsache der hundertprozentigen Eignung nach seiner Auffassung als zugestanden gelten müsse. Das ArbG behandele zwar einzelne von ihm vorgetragene Indizien, belasse es aber bei der Einzelbetrachtung und unterlasse eine Gesamtschau. Er habe insgesamt sechs einzelne Umstände vorgetragen, welche einzeln für sich genommen und insbesondere auch in der Gesamtschau so zu werten seien, dass hier eine unzulässige Altersdiskriminierung im Rahmen des Bewerbungs- und Einstellungsverfahrens geschehen sei. Es habe kein vernünftiger Grund vorgelegen, ihn mit seiner Bewerbung unberücksichtigt zu lassen. Die Indizien im vorliegenden Fall seien wie folgt zu benennen: (1) Die direkte Zusendung der Ablehnungsnachricht sei nur möglich, wenn er ein Merkmal, welches sich die Beklagte für einen Bewerber zum Ziel gesetzt habe, nicht erfülle. Dies könne also nur ein schnell zu prüfendes Kriterium sein, wie etwa das Alter des Bewerbers. (2) Er erfülle zu 100 % die Anforderungen. Dieser Umstand sei von der Beklagten weder außergerichtlich noch im Rahmen des Rechtstreits erster Instanz bestritten worden. (3) Er sei nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden. (4) Die Stelle sei ohne nachvollziehbaren Grund erneut ausgeschrieben worden. (5) Die Stellenausschreibung sei nicht diskriminierungsfrei, weil „erste Führungserfahrung“ auf einen bestimmten Lebenszeitkorridor verweise. (6) Die Verweigerung der Mitteilung über die Gründe der Ablehnung trotz seiner Nachfrage sei das sechste Indiz, das nach seiner Auffassung für eine Diskriminierung spreche. Danach sei es rechtsfehlerhaft, wenn das Arbeitsgericht in dem angegriffenen Urteil die Auffassung vertrete, der Kläger habe „keine Indizien" für die insoweit unzulässige Altersdiskriminierung vorgetragen. Das Gegenteil sei richtig.
28Der Kläger beantragt,
29das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 25.10.2023 - 4 Ca 790/23 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.500,00 € brutto zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2023, hilfsweise seit Rechtshängigkeit.
30Die Beklagte beantragt,
31die Berufung zurückzuweisen.
32Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die streitgegenständliche Stelle sei nach wie vor nicht besetzt.
33Auf ausdrückliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer verbunden mit dem Hinweis, dass es wohl für den Kläger und für das Gericht nur von allgemeinen und eben nicht rechtlichem Interesse sei, äußerte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten wie folgt: „Ich habe das bisher nicht getan, weil ich der Auffassung bin, dass wir das nicht tun müssen. Aber ich kann hier kursorisch den Auswahlprozess wie folgt darstellen: Meine Mandantin hat ein Konzept für ein Coaching entwickelt und möchte, dass sich alle Mitarbeiter an dieses Konzept halten und sich an dieses Konzept gewöhnen. Daher wollte meine Mandantin keine Leute einstellen, die selbst schon als Coach tätig waren und in diesem Bereich vertiefte Erfahrungen gesammelt haben und möglicherweise sich auf eine Weise festgelegt haben, dass es schwierig wäre, sie hier in das Konzept der Mandantschaft einzubinden.“
34Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin erklärt: „Gerade eben hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das Wort „aufwachsen“ benutzt und zum Ausdruck gebracht, dass seine Mandantschaft nur solche Leute habe einstellen wollen, die „im Konzept aufwachsen“. Nunmehr bin ich der Auffassung, dass mein Vortrag rund ist, denn „aufwachsen“ könne man ja nur als junger Mitarbeiter.“
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
36E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
37Die Berufung ist zwar zulässig aber nicht begründet.
38I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
39II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Auf diese Begründung kann Bezug genommen werden. Im Folgenden werden daher nur Konkretisierungen ausgeführt, soweit sie von der Berufungsbegründung veranlasst sind.
401. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Schadensersatzanspruchs aus § 15 Abs. 1 AGG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag, denn es fehlt an der für diese Anspruchsgrundlage notwendigen Voraussetzung einer Diskriminierung. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden. Einer der in § 1 AGG genannten Gründe ist das Alter. Nach der besonderen Beweislastregel in § 22 AGG reicht es aus, dass die anspruchsstellende Person Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, um der Gegenseite, hier also der Arbeitgeberin, die Beweislast dafür zu übertragen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich für diskriminiert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes erfolgt ist (Däubler/Beck/Thorsten Beck, 5. Aufl. 2022, AGG § 22 Rn. 1).
41Der Kläger hat zwar eine Maßnahme der Beklagten dargestellt, die sich für ihn als nachteilig erweist, nämlich das auf seine Bewerbung ihm zugesandte Ablehnungsschreiben. Es sind aber keine Tatsachen erkennbar, aus denen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden könnte, dass im Motivbündel der Beklagten ein verpöntes Merkmal, also ein nach §§ 1, 7 AGG verbotenes Differenzierungskriterium, hier insbesondere das Alter, eine Rolle gespielt hätte. Die bloße Gleichzeitigkeit eines verpönten Merkmals mit einer nachteiligen Behandlung reicht als Indiztatsache im Sinne des § 22 AGG nicht aus (a.). Das gleiche gilt auch für die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen, aus denen er meint, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung ableiten zu können (b.).
42a. Die bloße Gleichzeitigkeit von einer nachteiligenden Behandlung einerseits und der Tatsache andererseits, dass der Betroffene Träger eines verpönten Merkmals ist, reicht nicht aus, um ein Indiz im Sinne des § 22 AGG anzunehmen. Abgesehen von einigen konkreten weiteren Tatsachen, auf die noch einzugehen sein wird, macht der Kläger vordergründig geltend: er sei Träger eines verpönten Merkmals; er sei nachteilig behandelt worden; die Benachteiligung sei wegen des verpönten Merkmals erfolgt. Ohne weitere Indizien, verbindet er damit allein die Trägerschaft des verpönten Merkmals einerseits mit der nachteiligen Behandlung andererseits. Aus dieser Verbindung ergibt sich nicht die Rechtsfolge des § 22 AGG (Beck in: Däubler/Beck, AGG § 22 Rn. 47). Die Regelungen über die Darlegung von Indiztatsachen in § 22 AGG sollen Behauptungen ins Blaue hinein verhindern (BAG v. 25.4.2013 - 8 AZR 287/08; MüKo-Thüsing, § 22 Rn. 11). Allein die Behauptung der Zugehörigkeit zu einer durch dieses Gesetz geschützten Gruppe, wie „ich bin ein Mann“, oder "Ich bin ein behinderter Mensch“ oder „ich bin katholisch“, reicht nicht aus, um die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen. Würde man eine solche Behauptung genügen lassen, könnte jeder, der zu der durch das Gesetz geschützten Personengruppe gehört, und mindestens ein Merkmal, das nicht in die Entscheidung einfließen darf, erfüllt, ohne jeden weiteren Anhaltspunkt versuchen, seine angeblichen Rechte durchzusetzen (BAG v. 25.04.2013 - 8 AZR 287/14). Für einen überdurchschnittlich alten Mann bedeutet das: Jede arbeitgeberseitige Weisung, also jede Ausübung des Direktionsrechts aus § 106 GewO stellt eine Einschränkung der persönlichen Freiheit der arbeitnehmenden Person und damit eine nachteilige Behandlung dar, in diesem Fall eine nachteilige Behandlung eines überdurchschnittlich alten Mannes. Hiernach könnte ein überdurchschnittlich alter Mann hinsichtlich jeder Weisung der Arbeitgeberin eine Entschädigung verlangen (oder die Unwirksamkeit der Weisung geltend machen), die von der Arbeitgeberin nur dann nicht zu zahlen wäre, wenn sie nachweisen könnte, dass das Alter (oder/und das Geschlecht) der arbeitnehmenden Person auch nicht nur als kleiner Teil ihres Motivbündels (BAG v. 18.09.2014 - 8 AZR 753/13) bei Erteilung der Weisung eine Rolle gespielt habe. Ein solcher Nachweis ist bei einer Vielzahl denkbarer Weisungen außerordentlich schwer oder unmöglich. Hinzu kommt, dass bestimmte Merkmale - wie z.B. das Alter, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung - für jeden Menschen kennzeichnend sind - und zwar in allen Richtungen: alt, jung, männlich, weiblich, divers, straight, homosexuell, queer. Mit einem solchen Vortrag kann unter Umständen die Benachteiligung, d.h. die vergleichsweise nachteilige Behandlung dargetan werden, wie das hier geschehen ist, nicht aber, dass die Benachteiligung gerade auf einem Diskriminierungstatbestand beruht (vgl. LAG Köln 28.6.2012 - 6 Sa 207/12 -; LAG Köln v. 04.07.2019 – 6 Sa 496/18 –; Düwell, jurisPR-ArbR 28/2006, Anm. 7).
43Die anspruchsstellende Person muss folglich weitere Anhaltspunkte durch den Vortrag von (Hilfs-)Tatsachen liefern, die auf eine Diskriminierung schließen lassen, also auf eine Benachteiligung, die auf einem verpönten Merkmal beruht. Dafür reicht allerdings eine Kaskade von Behauptungen ins Blaue hinein nicht aus. Wie sich zeigen wird, stellen die weiteren vom Kläger benannten Tatsachen eine solche unerhebliche Häufung von bloßen Kausalitätsvermutungen dar, die durch ihre Aufschichtung die geltend gemachte Diskriminierung nicht plausibler oder wahrscheinlicher werden lässt.
44b. Alle weiteren vom Kläger benannten Tatsachen eigenen sich nicht als Indizien im Sinne des § 22 AGG. Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen seines Alters als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. BeckOK ArbR/Roloff, 70. Ed. 1.12.2023, AGG § 22 Rn. 4). Das gilt insbesondere für alle sechs von ihm zur Begründung seiner Berufung vorgetragenen Punkte, die daher nur scheinbar zahlreich sind.
45(1) Auch wenn der Kläger in beiden Instanzen von einer „postwendenden“ Absage schreibt, bleibt es bei der unstreitigen Tatsache, dass die Beklagte unter dem 23.01.2023 (einem Montag) den Eingang der Bewerbung des Klägers bestätig hatte und unter dem 07.02.2023 (dem Dienstag zwei Wochen später) die Absage verfasste. Von „postwendend“ kann mithin keine Rede sein. Zugunsten des Klägers mag die fragwürdige These als richtig unterstellt werden, dass ein postwendendes Zurücksenden einer Bewerbung als Indiz für irgendeine Diskriminierung im Sinne des § 22 AGG ausreicht. Denn selbst wenn es so wäre, läge dieses Indiz hier nicht vor, da sich die Beklagte mehr als zwei Wochen für die Prüfung der Bewerbungsunterlagen Zeit genommen hat.
46(2) Der vom Kläger dargestellte Umstand, er erfülle zu 100 % die Anforderungen der Stellenausschreibung kann ebenfalls zu seinen Gunsten als gegeben unterstellt werden. Denn weder begründet die 100%ige Eignung einen Anspruch auf Einstellung, noch eignet sie sich als Indiz im Sinne des § 22 AGG, wenn es nicht zur Einstellung kommt. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruchs aus § 15 AGG unterscheiden sich grundlegend von den Voraussetzungen der Konkurrentenklage im öffentlichen Dienst auf der Grundlage des Art. 33 Abs. 2 GG. Bei der Konkurrentenklage kommt es auf Eignung und Befähigung des Bewerbers an. Es ist dort der arbeitgebende öffentliche Dienst, den die Pflicht trifft, der sich bewerbenden Person und dem Gericht zu verdeutlichen, dass er sich bei der Absage nicht von sachwidrigen Erwägungen hat leiten lassen. Für den Fall der Best-Eignung kommt dort sogar ein Anspruch auf Einstellung in Betracht. Bei der Klage auf Schadensersatz und/oder Entschädigung nach § 15 AGG spielt Sachwidrigkeit dem gegenüber keine Rolle, sondern nur die Frage, ob sich die arbeitgebende Person von den in § 1 AGG verpönten Merkmalen hat leiten lassen. Die bloße Sachwidrigkeit des Motivs ist kein Indiz für eine Diskriminierung. Außerhalb des öffentlichen Dienstes darf der Arbeitgeber die sich bewerbende Person z.B. mit der Begründung ablehnen, dass diese den Fußballverein der Nachbarstadt unterstütze. Das mag hochgradig sachwidrig sein, hat aber nichts mit einem in § 1 AGG genannten verpönten Merkmal zu tun.
47(3) Die Tatsache, dass der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist, ist ohne Annahme einer Schwerbehinderung gleichfalls nicht als Indiz im Sinne des § 22 AGG geeignet. Nur für schwerbehinderte Menschen und nur für den Bereich des öffentlichen Dienstes sieht § 165 SGB IX eine Pflicht zur Einladung vor. Weder ist der Kläger schwerbehindert noch ist die Beklagte ein Teil des öffentlichen Dienstes.
48(4) Ebenfalls ohne Relevanz für die Annahme des Klägers, er sei wegen seines Alters diskriminiert worden, ist die Tatsache, dass die Stelle erneut ausgeschrieben worden ist. Was diese erneute Ausschreibung mit dem Alter des Bewerbers zu tun haben soll, hat die erkennende Kammer nicht verstanden. Daran hat sich auch nach dem Rechtsgespräch in der Berufungsverhandlung nichts geändert. Hier kann erneut an den Unterschied zwischen der Konkurrentenklage einerseits und der Schadensersatz- und Entschädigungsklage andererseits erinnert werden. In der Konkurrentenklage kann der Abbruch des Bewerbungsverfahrens und die Neuausschreibung der Stelle eine Rolle spielen, denn sie kann ein Indiz dafür sein, dass die arbeitgebende Stelle entgegen der gebotenen Bestenauslese aus sachwidrigen Erwägungen die bestplatzierte Person nicht hat einstellen wollen (vergl. BAG v. 27.04.2021 – 9 AZB 93/20 –). Bei der Schadensersatz- und Entschädigungsklage nach § 15 AGG ist die Sachlage anders: die arbeitgebende Person kann grob sachwidrig entscheiden (vgl. z.B. ArbG Berlin v. 15.08.2019 – 44 Ca 8580/18 – „keine Ossis“) ohne im Sinne des§ 7 AGG zu diskriminieren. Damit besteht hier keine - auch keine bloß indizielle - Verbindung zwischen der Neuausschreibung der Stelle und der Diskriminierung aufgrund des Alters.
49(5) Auch der Text der Stellenausschreiben hilft dem Kläger bei seinem Begehren nicht weiter. Die Formulierung „erste Führungserfahrung“ verweist nicht auf einen bestimmten Lebenszeitkorridor. Für die Berufungskammer war bis zuletzt unverständlich, anhand welcher Erfahrungswerte der Kläger zu diesem Schluss gelangt ist. Insbesondere der vom Kläger bezeichnete Zeitraum „38 bis 42 Lebensjahre“ findet keine erkennbare Wurzel in der Lebenswirklichkeit. Eine 18-jährige Soldatin kann als Gruppenführerin erste - möglicherweise sogar sehr intensive - Führungserfahrung behaupten dürfen; ein 60-jähriger, der 40 Jahre Selbständigkeit hinter sich hat und seit einem Jahr im Angestelltenverhältnis mit 5 Mitarbeitenden tätig ist, hat unter dem Blickwinkel „Führungserfahrung“ nicht mehr zu bieten, aber gerade dies: erste Führungserfahrung.
50(6) Soweit der Kläger die Verweigerung der Mitteilung über die Gründe der Ablehnung als Indiz im Sinne des § 22 AGG gewertet wissen möchte, scheint erneut die Abgrenzung zur Konkurrentenklage im öffentlichen Dienst nicht deutlich genug vorgenommen worden zu sein. Dort gibt es tatsächlich einen Auskunftsanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG und § 242 BGB (BAG v. 28.05.2002 - 9 AZR 751/00). Den gibt es hier nicht. Die Auskunftspflicht der arbeitgebenden Person setzt mit Blick auf den Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG dann ein, wenn die sich bewerbende Person ein Indiz im Sinne des § 22 AGG vortragen kann. Umgekehrt gilt das nicht, es ist also nicht von einem Indiz im Sinne des § 22 AGG auszugehen, wenn die arbeitgebende Person keine Auskunft gibt, zu der sie nicht verpflichtet ist. Das wäre dialektisch ein verbotener Zirkelschluss. Der Vortrag des Klägers, es habe keinen vernünftigen Grund gegeben, ihn mit seiner Bewerbung unberücksichtigt zu lassen, ist nicht streitentscheidend. Vernunft ist hier nicht der Maßstab. Die einstellende Person darf bei der Auswahl grundsätzlich unvernünftig handeln, solange sie dabei nicht diskriminiert. Sie hat ein berücksichtigungsfähiges Interesse daran, ihre Unvernunft nicht kundzutun (sie darf z.B. nach Sternzeichen ihr Personal auswählen, das müssen ihre Kunden aber nicht wissen).
51Soweit der Kläger meint, in den Worten des Prozessbevollmächtigten der Beklagten während der Berufungsverhandlung ein Indiz erblicken zu können, tut er auch dies ohne Erfolg. In ein unternehmerisches Konzept „hineinwachsen“ können nicht nur pubertierende Jugendliche oder Menschen im Alter zwischen 38 und 42. „Hineinwachsen“ kann jede und jeder in jede neue Situation.
52Es fehlt nach alledem bereits an einem Indiz für eine Diskriminierung im Sinne des § 22 AGG. Ein Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG scheidet daher aus.
532. Da es wie gezeigt an einer Benachteiligung aufgrund eines gemäß § 1 AGG verpönten Merkmals, also an einer Diskriminierung fehlt kommt auch ein Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag nicht in Frage.
54III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.