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Wenn Beträge, die vereinbarungsgemäß im laufenden Arbeitsverhältnis im Wege der Gehaltsumwandlung vom Arbeitnehmer zu zahlen sind, währen des Krankengeldbezuges nicht einbehalten bzw. umgewandelt werden können, dann kommt in den Grenzen des § 394 BGB eine Aufrechnung in Betracht.
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 31.08.2023 – 8 Ca 2199/22 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, die vollständige Vergütung für den Monat August 2022 an den Kläger zu zahlen. Im Kern geht es bei dem Streit um eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung der beklagten Arbeitgeberin des Klägers und bei diesem Gegenanspruch um die Frage, wer in einem Zeitraum ohne Entgeltbezug (hier: Krankengeldbezug nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums) letztlich die Leasingraten für zwei Fahrräder zu tragen hat, die dem Kläger von der Beklagten auf der Grundlage eines entsprechenden Vertrages überlassen worden waren, finanziert über eine ebenfalls vertraglich vereinbarte Entgeltumwandlung.
3Die Beklagte ist Leasingnehmerin der besagten zwei Fahrräder. Diese wurden dem Kläger im Rahmen des sog. „JobRad-Modells“ zur Nutzung überlassen. Zwischen den Parteien ist die Wirksamkeit einzelner Klauseln des Nutzungsüberlassungsvertrages (Bl. 12 ff. d.A.) streitig. Dieser Vertrag lautet auszugsweise (Unterstreichungen nur hier) wie folgt:
4Der/die Mitarbeiter/in beauftragt hiermit den Arbeitgeber, dieses Fahrzeug zum Zweck der Überlassung bei folgendem Fachhändler zu bestellen:
5Fachhändler (…)
6Vereinbarter Kaufpreis 2.953,99 EUR (inkl. MwSt)
7UVP 3.403,99 EUR (inkl. MwSt)
8Fahrzeugversicherung Ja
9Versicherungsrate trägt Der Arbeitgeber
10Laufzeit 36 Monate
11Gesamtnutzungsrate 90,11 EUR/Monat (zzgl. MwSt.)
12Umwandlungsrate 81,42 EUR/Monat
131. Entgeltumwandlung, Gehaltsextra
14Der Mitarbeiter wandelt, in entsprechender Abänderung des bestehenden Arbeitsvertrags, aus seinem Anspruch auf Brutto-Arbeitsentgelt monatlich einen Teilbetrag in Höhe der auf Seite 1 genannten Umwandlungsrate in einen Anspruch auf Nutzung des vorstehend genannten, vom Arbeitgeber geleasten Fahrrads, Pedelecs oder S-Pedelecs inklusive Ieasingfähigem Zubehör (nachfolgend „Fahrzeug") um. Die Entgeltumwandlung beginnt mit dem auf die Übernahme des Fahrzeugs folgenden Monatsersten und endet mit dem Ende der Nutzungsüberlassung. Entfällt während der Dauer der Vertragslaufzeit die Möglichkeit zur Entgeltumwandlung, besteht die Pflicht des Mitarbeiters zur Zahlung der auf Seite 1 genannten Umwandlungsrate vorbehaltlich der Regelungen in Ziffer 3.2 ff fort.
152. (…)
163. Vertragslaufzeit, Beendigung der Nutzungsüberlassung, Widerruf der Nutzungsmöglichkeit
173.1. Dieser Nutzungsüberlassungsvertrag ist befristet abgeschlossen und endet automatisch nach Ablauf von 36 Monaten, gerechnet ab dem auf den Zeitpunkt der Übernahme (Ziff. 2.2) folgenden Monatsersten, ohne dass es hierzu einer gesonderten Kündigung durch eine der Vertragsparteien bedarf. (…)
183.2. Eine vorzeitige Beendigung des Nutzungsüberlassungsvertrages ist grundsätzlich nicht möglich, es sei denn, dass vor Ablauf der vereinbarten Laufzeit
19a) der Arbeitgeber dem Mitarbeiter das Fahrzeug aus Gründen nicht mehr zur Nutzung überlassen kann, die aus dem Vertragsverhältnis des Arbeitgebers mit dem Leasinggeber herrühren (z.B. Vertragsbeendigung des Einzel-Leasingvertrags, Insolvenz einer der Vertragsparteien, sonstiger Verlust des Rechts zur Besitzüberlassung);
20b) das Arbeitsverhältnis zwischen den Vertragsparteien beendet wird;
21c) der Mitarbeiter verstirbt;
22d) der Mitarbeiter erheblich gegen seine vertraglichen Pflichten aus dem Nutzungsüberlassungsvertrag verstößt und Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Beendigung des Vertragsverhältnisses rechtfertigen;
23e) die Möglichkeit zur Entgeltumwandlung aus anderen Gründen dauerhaft entfällt (insbesondere im Falle einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit des Mitarbeiters);
24(…)
253.4. Der Arbeitgeber behält sich vor, das Recht zur Nutzung des Fahrzeugs gegenüber dem Mitarbeiter bei Vorliegen eines sachlichen Grundes und unter Berücksichtigung der Interessen des Mitarbeiters dauerhaft oder zeitweilig durch schriftliche Erklärung zu widerrufen, insbesondere
26a) bei einer Freistellung des Mitarbeiters nach Ausspruch einer Kündigung oder Abschluss eines Aufhebungsvertrags für die Dauer der Freistellung, beginnend mit dem Ende des Monats, in dem die Kündigung oder der Abschluss des Aufhebungsvertrags erfolgt sind;
27b) wenn der Mitarbeiter beim Arbeitgeber eine Stelle außerhalb Europas antritt;
28c) bei einem temporären Wegfall der Möglichkeit zur Entgeltumwandlung für die Dauer des Wegfalls, z.B. bei Bezug von Krankengeld sowie Elterngeld;
29d) im Falle von Gehaltspfändungen, sofern und solange durch die Pfändungsmaßnahme die Möglichkeit zur Entgeltumwandlung entfällt.
303.5. Im Falle eines Widerrufs durch den Arbeitgeber entfällt die Pflicht zur Leistung der Umwandlungsrate durch den Mitarbeiter für die Dauer des Widerrufs.
313.6. Im Falle eines temporären Wegfalls der Möglichkeit zur Entgeltumwandlung (Ziff. 3.4.c)) sowie im Falle einer Gehaltspfändung (Ziff. 3.4.d)) kann der Arbeitgeber anstelle des Widerrufs der Nutzungsmöglichkeit dem Mitarbeiter gestatten, die monatliche Umwandlungsrate direkt an den Arbeitgeber zu bezahlen. Ein Anspruch des Mitarbeiters hierauf besteht nicht. Der steuerliche Vorteil durch die Gehaltsumwandlung entfällt für diesen Zeitraum.
32Der Kläger war im Jahre 2021 ab einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 06.12.2021 (Bl. 127.G d.A.) wies die Beklagte ihn darauf hin, dass er die Leasingrate „in Höhe von 161,52 ab dem 05.02.2021“ während des bevorstehenden Krankengeldbezugs selbst zu entrichten habe. Der Kläger bezog zwischen Januar und Mai 2022 Krankengeld. Eine Zahlung an die Beklagte aufgrund der Nutzungsüberlassungsvereinbarung erfolgte nicht. Nach entsprechender Ankündigung zog die Beklagte dem Kläger sodann einen Bruttobetrag in Höhe von 969,12 EUR ab. Auf die vom Kläger vorgelegte Abrechnung für den Monat August 2022 wird hierfür Bezug genommen (Bl. 147 d.A.). Ausweislich dieser Abrechnung wurde für den Monat August 2022 ein Tarifentgelt in Höhe von 2.876,00 EUR brutto ausgezahlt nebst einer widerruflichen Leistungszulage in Höhe von 352,00 EUR brutto sowie Vergütung und Zuschläge für Überstunden und Nachtarbeit in Höhe von insgesamt 729,73 EUR brutto. Hinzukommt ein „geldwerter Vorteil Fahrrad“ in Höhe von 16,00 EUR brutto mit einem entsprechenden Nettoabzug im unteren (Netto-)Bereich der Abrechnung, wie es bei der Versteuerung von geldwerten Vorteilen üblich ist. Schließlich wurde als „Lohnart 838“ der besagte Betrag unter dem Text „Leasingrate Fahrrad“ in Höhe 969,12 brutto abgezogen. Dieser Betrag entspricht dem Sechsfachen des Betrages 161,52 EUR - wenn auch die zweifache vertraglich vereinbarte Umwandlungsrate für zwei Fahrräder nach dem Überlassungsvertrag 2 x 81,42 EUR = 162,84 EUR entspräche, also einem um 1,32 EUR höheren Betrag.
33Mit der seit dem 08.09.2022 anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen den besagten im August 2022 vorgenommenen Abzug gewandt und dabei die Auffassung vertreten, ihm sei ein Betrag in Höhe von (5 x 161,52 EUR =) 807,60 EUR zu viel abgezogen worden. Diese 807,60 EUR hat der Kläger als Nettobetrag gefordert.
34Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, ein Gegenanspruch der Beklagten, der diese zur Aufrechnung berechtige, existiere nicht. Es benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen, wenn der Arbeitgeber den Vertrag widerrufen könne. Solche Klauseln seien intransparent und benachteiligten die Beschäftigten unangemessen.
35Der Kläger hat beantragt,
36die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 807,60 € netto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
37Die Beklagte hat beantragt,
38die Klage abzuweisen
39Nach ihrer Auffassung seien die Regelungen des Vertrags hinreichend transparent und auch nicht unangemessen.
40Mit dem Urteil vom 31.08.2023 hat das Arbeitsgericht Aachen die Klage auf Zahlung des Restentgelts für den Monat August 2022 abgewiesen mit der Begründung, der Entgeltanspruch sei erfüllt, denn die Beklagte habe wirksam in Höhe der Klageforderung die Aufrechnung mit einem Gegenanspruch erklärt. Die Aufrechnung sei zulässig, insbesondere sei sie ausdrücklich erklärt worden und verstoße nicht gegen § 394 BGB. Da es sich um eine Forderung „netto gegen netto“ handele, seien die Forderungen auch gleichartig im Sinne des § 387 BGB. Der aufgerechnete Zahlungsanspruch der Beklagten folge aus Abschnitt 1 Satz 3 des Nutzungsüberlassungsvertrags in Höhe von 807,60 EUR netto. Die vertragliche Regelung, der zufolge die Zahlungspflicht auch bei entgeltfreien Beschäftigungszeiten fortbestehe, sei keine überraschende Klausel im Sinne des § 305 c Abs. 2 BGB. Auch eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB durch die Verpflichtung zur Übernahme der Raten bei Unmöglichkeit der Entgeltumwandlung sei nicht ersichtlich. Zunächst enthalte die Regelung, wonach der Arbeitnehmer unabhängig davon, ob er Entgelt beziehe oder nicht, für die Leasingraten aufkommen müsse, keine von gesetzlichen Vorschriften abweichende Regelung (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB). Abschnitt 1 Satz 3 des Nutzungsüberlassungsvertrags mache lediglich deutlich, dass die Gegenleistung für die Nutzung während der gesamten Vertragslaufzeit zu erbringen sei. Dies sei eine unmittelbar die Gegenleistung betreffende Regelung, die daher auch nicht im Sinne von § 307 Abs. 3 S. 1 BGB von gesetzlichen Vorschriften abweichen könne. Selbst wenn man dies anders sähe und die Klausel als kontrollfähige „Preisnebenabrede“ einordnete, sei eine unangemessene Benachteiligung des Klägers nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ersichtlich. Ebenso wenig greife § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unter dem Aspekt ein, dass in Abschnitt 3 des Nutzungsüberlassungsvertrags ein differenziertes System geregelt sei, welches der Beklagten in der konkreten Situation ermöglicht habe, auch die Fahrräder zurückzufordern, statt auf die Erfüllung zu dringen.
41Gegen dieses ihm am 18.09.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.10.2023 Berufung eingelegt und am gleichen Tag begründet.
42Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger vorgetragen, er habe von Januar bis Mai 2023 Krankengeld bezogen. Leasingraten seien für diesen Zeitraum in Höhe von 5 x 161,52 = 807,06 € angefallen. Die Beklagte habe diese in der Augustabrechnung vom Nettoentgelt einbehalten. Dazu sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen. Die Beklagte habe nämlich keinen Gegenanspruch gegen ihn gehabt, mit dem sie habe aufrechnen können. Ein solcher Anspruch könne sich schon aus tarifrechtlichen Gründen nicht aus dem Überlassungsvertrag ergeben. Denn der Überlassungsvertrag mit der vereinbarten Entgeltumwandlung greife unzulässig in das unverzichtbare Tarifentgelt ein.
43Jedenfalls handele es sich bei der Regelung in Abschnitt 1 Satz 3 des Nutzungsüberlassungsvertrags um eine überraschende Klausel. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass er aufgrund des Sachbezugs nicht nur weniger Krankengeld erhalte, denn dieses habe sich aus dem niedrigeren, um die monatliche Leasingrate reduzierten Bruttolohn berechnet, sondern auch zusätzlich noch die Leasingraten(nach-) leisten müsse.
44Für den Fall des Unterliegens mit dem bisherigen Klageantrag begehre er hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 617,12 EUR brutto nebst Zinsen. Wenn nämlich seinem bisherigen Antrag nicht gefolgt werde, sei zu berücksichtigen, dass in einem normalen Monat, in dem er Entgelt beziehe, der Tariflohn durch die Umwandlung nicht unterschritten werde, wohl aber durch den kumulierten Betrag in der hier streitgegenständlichen Augustabrechnung. Der bereits vorgelegten Augustabrechnung folgend sei ihm ein Tarifentgelt in Höhe von 2.876,00 EUR brutto und darüber hinaus ein als widerrufliche Leistungszulage benannter Betrag in Höhe von 352,00 EUR brutto gezahlt worden. Für eine Entgeltumwandlung bei beidseitiger Tarifgebundenheit habe daher nur ein Betrag in Höhe von 352,00 EUR brutto zur Verfügung gestanden. Nach Abzug der vereinbarten monatlichen Fahrradrate für den Monat August 2022 in Höhe von 161,52 EUR habe nur noch ein Rest in Höhe von 190,48 EUR für eine Umwandlung zur Verfügung gestanden. Die Beklagte habe aber insgesamt 969,12 € brutto umgewandelt. Die Differenz kürze das tarifliche Entgelt um 617,12 EUR brutto. Dies sei tarifwidrig.
45Der Kläger beantragt,
46das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 18.09.2023- 8 Ca 2199/22 -abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 807,60 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
47Die Beklagte beantragt,
48die Berufung zurückzuweisen.
49Wenn der Kläger meine, schon die dem Fahrradleasing zugrundeliegende Entgeltumwandlung sei rechtswidrig, weil Tariflohn umgewandelt werde, so beruhe dies wohl auf einem Irrtum. Die monatliche Leasingrate sei weitaus geringer als die übertarifliche Leistungszulage. Ebenfalls fehlerhaft gehe der Kläger davon aus, die Klausel in Nummer 1 Satz 3 des Überlassungsvertrages sei überraschend. Auch soweit der Kläger argumentiere, er habe nicht damit rechnen müssen, weniger Krankengeld zu erhalten und zusätzlich noch Leasingraten erbringen zu müssen, führe das nicht weiter. Dass sich ein mögliches Krankengeld reduziere, wenn man seinen Bruttoverdienst verringere, sei eher zwingend als überraschend. Eine Aufklärungspflicht habe nicht bestanden. Ein eigenes Interesse auf Arbeitgeberseite, dass ein Arbeitnehmer Entgelt umwandele und dafür ein Fahrrad lease, gebe es nicht. Insofern sei es auch Sache des Arbeitnehmers, sich über die Konsequenzen zu informieren.
50Mit seinem Hilfsvorbringen stelle der Kläger zwar unstreitig, dass grundsätzlich ein übertarifliches Entgelt gezahlt werde. Er meine aber jetzt, dass im Monat August 2022 ein zu hoher Betrag umgewandelt worden sei und er damit zu wenig Tariflohn erhalten habe. Auch dies sei auf ein falsches Verständnis dessen zurückzuführen, was hier passiert sei. Sie habe im Monat August 2022 nicht etwa 969,12 EUR brutto umgewandelt. Sie habe vielmehr in Höhe der eingeklagten Forderung, nämlich mit 807,60 EUR, die Aufrechnung erklärt.
51Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
52E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
53Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
54I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
55II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
561. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 611 a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag auf Zahlung von 807,60 EUR netto.
57a. Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines solchen Nettobetrages kam nicht in Betracht. Die Gerichte für Arbeitssachen können nicht mit Bindung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Krankenkassen festlegen, ob ein Betrag abgabenpflichtig ist oder nicht. Deshalb ist in eine Entscheidungsformel das Wort „netto“ nur dann aufzunehmen, wenn der Arbeitgeber aus arbeitsrechtlichen Gründen gehalten ist, alle etwaigen Abgaben zu tragen, die auf eine von ihm geschuldete Geldleistung zu entrichten sind (BAG v. 15.11.2005 - 9 AZR 626/04 -). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Eine Nettoklage kann ausnahmsweise erhoben werden, wenn die Parteien eine Nettoentgeltvereinbarung getroffen haben (BAG v. 23.09.2020 - 5 AZR 251/19 -). Das ist hier nicht geschehen. Ohne Nettoentgeltvereinbarung hat das Bundesarbeitsgericht die Verurteilung zu einer Nettozahlung teilweise auch dann für möglich gehalten, wenn sichergestellt ist, dass zum Beispiel begehrte Zuschläge steuer- und sozialversicherungsfrei nach § 3b Abs. 1 Nr. 3 EStG bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung sind (BAG v. 04.08.2016 - 6 AZR 129/15 -). Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Eine auf eine Entgeltnachzahlung gerichtete Nettoklage ist auch dann als schlüssig angesehen worden, wenn die für den Tag des Zuflusses maßgeblichen elektronischen Steuerabzugsmerkmale iSv. § 39e EStG (ELStAM) dargelegt worden waren (BAG 23.09.2020 - 5 AZR 251/19 -). Auch das ist hier nicht geschehen. Danach war hier eine Verurteilung zu einer Nettozahlung nach den Grundsätzen der zitierten Rechtsprechung nicht möglich. Eine Besteuerung der begehrten Zahlung ist nicht auszuschließen und die Nachzahlung konnte nicht mehr in einem Zeitraum erfolgen, der eine Einordnung als laufender Arbeitslohn ermöglicht hätte (vgl. hierzu LAG Berlin-Brandenburg v. 02.06.2022 - 26 Sa 841/21 -).
58b. Tatsächlich hat die Beklagte keinen Nettobetrag aufgerechnet. Ausweislich der vom Kläger selbst vorgelegten Abrechnung, auf die er sich ausdrücklich bezogen hatte, hat die Beklagte vom Bruttoentgelt (Tarifentgelt zzgl. Leistungszulage) unter der Lohnart 838 „Leasingrate Fahrrad“ einen Bruttobetrag und nicht einen Nettobetrag in Höhe von 969,12 EUR abgezogen. Hier wurde also Brutto gegen Brutto aufgerechnet und nicht Netto gegen Netto. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich gerade bei der Entgeltumwandlung steuerrechtliche Besonderheiten ergeben, die sich der Rechtswegzuständigkeit und der Kompetenz der Arbeitsgerichtsbarkeit entziehen. Was die Lohnart 838 für das Steuerrecht und das Sozialrecht bedeutet, ist also nicht vor den Arbeitsgerichten zu klären. Auch die inzwischen verflossene Zeit hat Auswirkungen: Lohnnachzahlungen, die ein Arbeitnehmer aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Urteils für frühere Jahre erhält, sind als sonstiger Bezug im Jahr der Nachzahlung zu erfassen mit der Folge, dass die persönlichen Verhältnisse des Zuflussjahres zugrunde zu legen sind (BFH 29.05.1998 - VI B 275/97). Ein im Jahre 2022 abgezogener Bruttobetrag kann also im Falle der Nachzahlung im Jahre 2024 zu einem ganz anderen Nettobetrag führen.
59c. Der fehlerhafte Nettoantrag war nicht heilbar. Weder konnte als ein Minus das Wort „netto“ gestrichen noch konnte es gar durch das Wort „brutto“ ersetzt werden. In beiden Fällen werden Abgaben steuerrechtlicher und sozialrechtlicher Art ausgelöst, die sich aus den unter b genannten Gründen einer Beurteilung durch die Arbeitsgerichtsbarkeit entziehen. Wegen der arbeitgeberseitigen Abgabenpflichten ist ein Bruttobetrag auch ein „Mehr“ gegenüber einem Nettobetrag. Eine Bruttoverurteilung auf einen Nettoantrag verstieße daher gegen den Grundsatz „ne ultra petita“, also gegen das Verbot über den Antrag hinaus zu tenorieren. Hierauf ist der Kläger in der Berufungsverhandlung hingewiesen worden.
602. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch mit seinem Hilfsvorbringen keinen Anspruch aus § 611 a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag auf Zahlung von 617,12 EUR brutto. Nach seiner Begründung sei eine Entgeltumwandlung nur möglich, soweit sie nicht den Betrag der außertariflichen Zulage überschreite, alles Weitere sei ein unzulässiger Eingriff in das unverzichtbare Tarifentgelt. Bei dieser Auffassung wird die Grenze der Verzichtbarkeit vermengt mit der Grenze der Unpfändbarkeit. Tatsächlich würde der Kläger mit einem Vertrag, der eine Gehaltsumwandlung von mehr als 352,00 EUR (widerrufliche Leistungszulage) beträfe, gegen den Grundsatz der Unverzichtbarkeit verstoßen. Das tut er mit dem Überlassungsvertrag aber nicht, denn dieser betrifft einen monatlichen Betrag, der geringer ist als 352,00 EUR. Eine Aufrechnung kann diesen Grundsatz erst recht nicht verletzen, denn sie geschieht einseitig, ohne dass es eines Verzichts des Arbeitnehmers bedürfte. Sie hat ihre Grenze in § 394 BGB und § 850 c ZPO. Vorliegend ist diese Grenze bei weitem eingehalten.
61Die ausführlichen und nachvollziehbaren Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts führen zur grundlegenden Frage, ob die Regelungen im hier streitigen Überlassungsvertrag zur „Entgeltumwandlung und zur Zahlungspflicht an den Arbeitgeber bei Krankengeldbezug“ einer Klauselkontrolle standhalten. Aus den vorgenannten Gründen konnte diese Frage offenbleiben.
62III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.