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1. Zur Beantwortung der Frage, ob § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG zur Anwendung kommt, ist ein sich aus der Systematik der Vorschrift ergebendes dreistufiges Prüfungsverfahren zu durchlaufen:
Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob ein Sicherungsfall vorliegt, der grundsätzlich eine Einstandspflicht des PSV nach § 7 Abs. 1 oder § 7 Abs. 2 BetrAVG begründet (= Grundregel).
Dem schließt sich auf der 2. Stufe die Prüfung an, ob die Zusage in den letzten beiden Jahren vor dem Eintritt des Versicherungsfalls erfolgt ist (§ 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG). Ist dies der Fall, besteht grundsätzlich keine Einstandspflicht des PSV (= Ausnahme von der Grundregel).
Schließlich ist in einem dritten Schritt zu prüfen, ob gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 BetrAVG ausnahmsweise doch eine der Höhe nach begrenzte Einstandspflicht des PSV besteht (= Ausnahme von der Ausnahme). Weitere Ausnahmen als die sich aus § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 BetrAVG ergebenden Ausnahmen von der Ausnahme, die zu einer höheren Einstandspflicht des Beklagten führen könnten, bestehen nicht.
2. Eine Zusage ist in den beiden letzten Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls erfolgt (§ 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG), wenn in diesem Zeitraum ein Austausch des Schuldners vorgenommen wird. Weitere Voraussetzungen sind nicht zu erfüllen.
Nicht maßgeblich ist somit, wie es zu dem Austausch des Schuldners gekommen ist. Eine in den letzten beiden Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls erfolgte Zusage liegt somit auch dann vor, wenn der neue Arbeitgeber außerhalb eines Betriebsübergangs aufgrund vertraglicher Vereinbarung vollumfänglich in das Arbeitsverhältnis eintritt. Eine Unterscheidung dahingehend, ob die Vereinbarung einen vollständigen Eintritt des Arbeitgebers in das Vertragsverhältnis vorsieht (dann volle Einstandspflicht des PSV) oder ob nur eine Übertragung der Zusage (dann allenfalls beschränkte Einstandspflicht des PSV) erfolgt ist, ist nicht vorzunehmen.
3. Offen bleibt, ob sich auf § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG auch auf § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG bezieht.
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.06.2023 – 9 Ca 657/23 – teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten über den Umfang der Einstandspflicht des Beklagten als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung für eine Versorgungszusage.
3Der am 1962 geborene Kläger war ab dem 01.04.1991 bei der E M KG angestellt. Der Kläger erhielt eine unmittelbare Versorgungszusage gemäß der Gemeinsamen Grundvorsorgeordnung 1992 zur betrieblichen Altersvorsorge in der Fassung vom 01. April 2007“. Die Direktzusage beruhte auf einer Betriebsvereinbarung vom 01.04.2007 bzw. vom 01.04.1992 sowie der Grundversorgungserweiterung 1991 („alte VO“).
4Darüber hinaus erteilte die E M KG dem Kläger zum 01.04.1999 im Zusammenhang mit einer Beförderung eine dem sog. Rang 5 entsprechende unmittelbare Versorgungszusage als Zusatzvorsorge gemäß der Versorgungsordnung der E-Zusatzvorsorge aus 1999 in der Fassung vom 01.04.2007 („Versorgungsordnung“) in Höhe von 150.000 EUR.
5Die alte VO wurde mit Wirkung zum 01.07.2010 durch ein beitragsorientiertes Versorgungssystem („VO 2010“) ersetzt. Unter dem 30.08.2010 wurde zwischen dem Kläger und der E AG der Übergang auf die VO 2010 vereinbart.
6In Folge der Überleitung richtete sich die betriebliche Altersversorgung des Klägers ab dem 01.07.2010 nach der VO 2010. Der bis zum Umstellungsstichtag erdiente Besitzstand aus den bis dahin gültigen Versorgungszusagen wurde in Form eines Sockelbetrages aufrechterhalten und in die VO 2010 eingebracht. Der Sockelbaustein (Startbaustein für die VO 2010) betrug 236.604,00 EUR.
7Zum 01.05.2008 wurde das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der E A GmbH & Co. KG mit allen Rechten und Pflichten durch die E AG übernommen. 2014 wurde die E AG umgewandelt in eine Europäische Gesellschaft, firmierend unter E SE.
8Am 31.12.2018 schlossen der Kläger, die E SE und die E Anlagenbau GmbH & Co. KG einen als „Firmenwechselvertrag“ bezeichneten dreiseitigen Vertrag.
9Der Firmenwechselvertrag lautet auszugsweise wie folgt:
10„Der neue Arbeitgeber übernimmt zum Übertritt am 01.01.2019 alle Anwartschaften aus den folgenden Versorgungszusagen, die der Vorarbeitgeber erteilt hatte (Übernahme der Zusage gem. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG):
11VO 2010
12VO 2017
13Dazu wird der errechnete Wert der handelsrechtlichen Rückstellung des Vorjahres vom Vorarbeitgeber auf den neuen Arbeitgeber übertragen. Ebenso erfolgt eine Übertragung aller ab 01.01.2017 bis zum Firmenwechsel erworbenen Fondsanteile aus der VO 2017 vom Vorarbeitgeber auf den neuen Arbeitgeber. Mit Vollzug dieser Übertragung erlischt die Zusage des Vorarbeitgebers, der den auf das abgelaufene Jahr entfallenden Beitrag zur gesetzlichen Insolvenzversicherung trägt. Ab dem laufenden Kalenderjahr ist ausschließlich der neue Arbeitgeber zur Leistung der Beiträge i. S. d. § 10 BetrAVG verpflichtet.
14Zur Klarstellung: Der arbeitsrechtliche Versorgungsanspruch ändert sich durch diese Übertragung nicht.“
15Die E Anlagenbau GmbH & Co. KG meldete ebenso wie die E SE im Sommer 2019 Insolvenz an. Das Insolvenzverfahren wurde für beide Gesellschaften am 01.10.2019 eröffnet. Die durch den Kläger bis zum 01.01.2019 erdiente Anwartschaft beträgt 351.992,55 EUR.
16Der Beklagte stellte dem Kläger am 19.05.2022 einen Anwartschaftsausweis aus. Dieser wies eine gesicherte Anwartschaft in Höhe von 115.472,85 EUR aus. Er wies darauf hin, dass er gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG nicht in voller Höhe einstandspflichtig sei.
17Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Anspruch erfahre durch § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG keine Einschränkung. Die Regelung komme nicht zur Anwendung, weil weder eine Zusageverbesserung noch eine neu erteilte Zusage, sondern die Fortführung der Versorgungszusage des Vorarbeitgebers, gegeben sei. Er sei stets de facto bei der E Anlagenbau GmbH & Co. KG und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt gewesen. Zudem liege keine „Übertragung“ i.S.v. § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG vor. Dem stehe nicht entgegen, dass der Firmenwechselvertrag auch eine Regelung zur Übernahme der Zusage nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG enthalte. Dieser Regelung habe es angesichts des vollumfänglichen Eintritts in das neue Arbeitsverhältnis nicht bedurft. Es handele sich lediglich um eine deklaratorische Darstellung der zwingenden Rechtsfolgen. Hinzu komme, dass § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG auf § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG nicht anwendbar sei. Zudem sei auf den Sinn und Zweck des § 7 BetrAVG zu verweisen. Die Vorschrift diene vor allem dem Schutz der Versorgungsberechtigten bzw. der Versorgungsanwärter. Dieser Schutz solle nur dann entfallen, wenn ein hier nicht vorliegender Missbrauch der Insolvenzsicherung gegeben sei. Zu berücksichtigen sei weiterhin, dass der Beklagte wegen der Insolvenz beider Gesellschaften ohne den Wechsel des Klägers seine Anwartschaft voll hätte sichern müssen. Wenn der Beklagte recht hätte, stünde er besser als ohne den Konzernwechsel des Klägers. Ein derartiges Ergebnis stehe im diametralen Widerspruch zum Schutzzweck des § 7 BetrAVG.
18Der Kläger hat beantragt,
19festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, zu seinen Gunsten eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft in Höhe von 351.992,55 € aufrechtzuerhalten.
20Der Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Er hat geltend gemacht, seine aus § 7 Abs. 2 BetrAVG bestehende Einstandspflicht sei durch § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG eingeschränkt worden, weil eine Übertragung i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG gegeben sei. Das vormalige Arbeitsverhältnis sei durch den Firmenwechselvertrag beendet worden. Der neue Arbeitgeber habe im allseitigen Einverständnis die Zusage übernommen. § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG sei auf alle in § 4 BetrAVG aufgeführten Alternativen anwendbar.
23Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte insoweit Berufung eingelegt, als die vom Arbeitsgericht getroffene Feststellung den Betrag von 115.472,85 EUR übersteigt.
24Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass die Anwartschaft des Klägers nur in Höhe von 115.472,85 EUR insolvenzgeschützt sei. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts liege eine Übertragung i.S.v. § 4 BetrAVG vor. Die Regelung im Firmenwechselvertrag zur Übernahme wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die Parteien nicht von der Beendigung des alten und der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses ausgegangen wären. Mit der Übernahme nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG gehe stets die Erteilung einer Versorgungszusage durch den Schuldübernehmer einher. Wenn § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG nicht einschlägig wäre, stünde dem Kläger gar kein Anspruch zu.
25Der Beklagte beantragt,
26das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.06.2023 – 9 Ca 567/23 – insoweit abzuändern, als festgestellt worden ist, dass der Beklagte verpflichtet ist, eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zugunsten des Klägers über 115.472,85 EUR hinaus aufrechtzuerhalten, und die Klage insoweit abzuweisen.
27Der Kläger beantragt,
28die Berufung zurückzuweisen.
29Er meint weiterhin, dass die bis zum Eintritt des Sicherungsfalls von ihm erdiente Anwartschaft gemäß § 7 Abs. 2, 2a BetrAVG in vollem Umfang vom Beklagten zu sichern sei. Mangels Erteilung bzw. Verbesserung der zu sichernden Versorgungszusagen in den letzten zwei Jahren vor dem Sicherungsfall lägen die Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung von § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG nicht vor. Die ihm erteilten Versorgungszusagen seien unverändert vom Folgearbeitgeber im Wege der Schuldübernahme übernommen und fortgeführt worden. Die Schuldverhältnisse blieben jenseits des einvernehmlichen Schuldnerwechsels unverändert. Daher fehle es an der erneuten Erteilung der übernommenen Versorgungszusagen. Nur bezüglich Konstellationen, in denen die Zusage nicht unverändert übernommen, sondern ein Wert übertragen und eine wertgleiche Zusage erteilt werde, bestehe die Notwendigkeit, den - für unverändert übernommene Versorgungszusagen ohnehin bestehenden – sofortigen Insolvenzschutz sicherzustellen und eine Rückausnahme von der andernfalls anspruchsvernichtenden Missbrauchsvermutung in § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG zu regeln. Im Falle der unveränderten Übernahme und Fortführung einer Zusage nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG bestehe hierfür keine Veranlassung, weil es an der Erteilung einer neuen Zusage fehle und daher die Tatbestandsvoraussetzungen von § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG nicht erfüllt seien. Eine Rückausnahme sei daher nicht notwendig. Die Übernahme einer bestehenden Versorgungszusage schließe denknotwendig aus, dass es zur erneuten Erteilung dieser Zusage komme. Letzteres sei nur bei § 4 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BetrAVG der Fall, nicht jedoch bei der unveränderten Übernahme und Fortführung einer Versorgungszusage. Hier komme es gerade nicht zur Erteilung einer neuen Zusage, sondern der neue Arbeitgeber erkläre sich mit der unveränderten Übernahme einer bestehenden Zusage einverstanden und trete in die Verpflichtung aus dieser Zusage ein. Inhaltlich ändere sich an der Zusage nichts. Die bestehende Zusage werde auch nicht widerrufen und vom neuen Arbeitgeber nach dem Wechsel direkt wieder erteilt. Die Zusage bleibe vielmehr unverändert bestehen; es erfolge „lediglich“ ein Schuldnerwechsel. Selbst wenn dies abweichend zu beurteilen sein sollte, würde die Anwendung von § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG vorliegend zu im Widerspruch mit dem Sinn und Zweck der Norm stehenden Ergebnissen führen. Die Rückausnahme solle Arbeitnehmer, deren Anwartschaften nach § 4 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BetrAVG übertragen worden seien, zumindest bis zu einer gewissen Höhe schützen und nicht den Beklagten von einer ohne Konzernwechsel vollumfänglich bestehenden Sicherungspflicht entlasten. Daher sei zumindest eine teleologische Reduktion der Vorschrift geboten.
30Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Berufungsbegründung des Beklagten, die Berufungserwiderung des Klägers und die weiteren Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.
31E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
32I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde nach Maßgabe von § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.
33II. Die Berufung des Beklagten ist begründet. Die Klage war abzuweisen, weil dem Kläger bei Eintritt des Versorgungsfalls kein Anspruch gegen den Beklagten aus § 7 Abs. 2 BetrAVG zusteht, der über den rechtskräftig festgestellten Betrag von 115.472,85 EUR hinausgeht. Dies folgt aus § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG.
341. Zur Beantwortung der Frage, ob § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG zur Anwendung kommt, ist ein dreistufiges Prüfungsverfahren zu durchlaufen.
35a) Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob ein Sicherungsfall vorliegt, der grundsätzlich eine Einstandspflicht des Beklagten nach § 7 Abs. 1 oder § 7 Abs. 2 BetrAVG begründet (= Grundregel).
36Dem schließt sich auf der 2. Stufe die Prüfung an, ob die Zusage in den letzten beiden Jahren vor dem Eintritt des Versicherungsfalls erfolgt ist (§ 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG). Ist dies der Fall, besteht grundsätzlich keine Einstandspflicht des Beklagten (= Ausnahme von der Grundregel).
37Schließlich ist in einem dritten Schritt zu prüfen, ob gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 BetrAVG ausnahmsweise doch eine der Höhe nach begrenzte Einstandspflicht des Beklagten besteht (= Ausnahme von der Ausnahme). Weitere Ausnahmen als die sich aus § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 BetrAVG ergebenden Ausnahmen von der Ausnahme, die zu einer höheren Einstandspflicht des Beklagten führen könnten, bestehen, wie die Verwendung des Wortes „nur“ im Gesetzestext verdeutlicht, nicht.
38b) Die Dreistufigkeit der Prüfung ergibt sich aus der Systematik der Vorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG.
39Zur Systematik ist zunächst zu beachten, dass für Arbeitnehmer, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft haben, grundsätzlich sofort voller Insolvenzschutz besteht (§ 7 Abs. 2 BetrAVG). Dies bezieht nach § 4 Abs. 2 BetrAVG übernommene Versorgungsanwartschaften ein. Auch für diese besteht grundsätzlich sofort Insolvenzschutz (BAG 24.02.2011 – 6 AZR 626/09 – Rn. 36).
40§ 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG schließt Zusagen in den zwei letzten Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls vom Insolvenzschutz grundsätzlich aus, ohne Rücksicht darauf, ob ein Versicherungsmissbrauch festgestellt (Satz 1) oder zu vermuten ist (Satz 2). § 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG enthält eine unwiderlegbare Vermutung und damit einen zeitlich begrenzten "objektiven" Ausschlusstatbestand (BAG 21.07.2020 – 3 AZR 142/16 – Rn. 36; 26.04.1994 – 3 AZR 981/93 – Rn. 16).
41Die dargestellte Ausnahme von der grundsätzlichen Einstandspflicht des Beklagten für Zusagen, die in zeitlicher Nähe zum Sicherungsfall erteilt wurden, gilt wiederum nicht ausnahmslos. Von dem grundsätzlich in diesen Fällen bestehenden Anspruchsausschluss macht § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG eine der Höhe nach begrenzte Ausnahme zugunsten der Arbeitnehmer.
422. Die Prüfung im hiesigen Verfahren führt zu dem Ergebnis, dass dem Kläger über den rechtskräftig festgestellten Betrag von 115.472,85 EUR kein weiterer Anspruch gegen den Beklagten zusteht. Zwar bestand wegen des am 01.10.2019 eingetretenen Sicherungsfalls eigentlich gemäß § 7 Abs. 2 BetrAVG eine Einstandspflicht des Beklagten für die Anwartschaft des Klägers in voller Höhe (Prüfungsschritt 1). Da die Zusage in den letzten beiden Jahren vor dem Eintritt des Versicherungsfalls erfolgt ist, war jedoch gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG zunächst davon auszugehen, dass dem Kläger überhaupt kein Anspruch gegen den Beklagten zusteht (Prüfungsschritt 2). Da die Zusage im Rahmen einer Übertragung erfolgt ist, besteht gleichwohl gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG eine (in der Berufungsinstanz nicht mehr streitgegenständliche) Eintrittspflicht des Beklagten, die der Höhe nach auf den Betrag von 115.472,85 EUR begrenzt ist (Prüfungsschritt 3).
43a) Der Beklagte war eigentlich wegen des am 01.10.2019 eingetretenen Sicherungsfalls gemäß § 7 Abs. 2 BetrAVG in voller Höhe für die Anwartschaft des Klägers einstandspflichtig, weil der Kläger bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft hatte (Stufe 1).
44b) Die Prüfung auf der 2. Stufe führt zu dem Zwischenergebnis, dass dem Kläger gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG zunächst überhaupt kein Anspruch gegen den Beklagten zustand, weil die Zusage an den Kläger in den beiden letzten Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls erfolgt ist.
45aa) Eine Zusage ist in den beiden letzten Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls erfolgt, wenn in diesem Zeitraum ein Austausch des Schuldners vorgenommen wird.
46Weitere Voraussetzungen sind nicht zu erfüllen. Es kommt nur darauf an, ob innerhalb der beiden letzten Jahre vor dem Sicherungsfall ein Austausch des Schuldners erfolgt ist. Die zeitliche Nähe zum Sicherungsfall genügt für den Anspruchsausschluss (BAG 21.07.2020 – 3 AZR 142/16 – Rn. 37; 26.04.1994 – 3 AZR 981/93 – Rn. 17).
47Nicht maßgeblich ist somit, wie es zu dem Austausch des Schuldners gekommen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt eine in den letzten beiden Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls erfolgte Zusage somit auch dann vor, wenn der neue Arbeitgeber außerhalb eines Betriebsübergangs aufgrund vertraglicher Vereinbarung vollumfänglich in das Arbeitsverhältnis eintritt. Eine Unterscheidung dahingehend, ob die Vereinbarung einen vollständigen Eintritt des Arbeitgebers in das Vertragsverhältnis vorsieht (dann volle Einstandspflicht des Beklagten) oder ob nur eine Übertragung der Zusage (dann allenfalls beschränkte Einstandspflicht des Beklagten) erfolgt ist, ist nicht vorzunehmen. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 5 BetrAVG.
48Der Gesetzgeber verfolgt mit der in § 7 Abs. 5 BetrAVG getroffenen Regelung im Wesentlichen zwei Anliegen.
49Einerseits soll die Übertragung von Versorgungsanwartschaften und Versorgungsverpflichtungen (sog. Portabilität) gefördert werden. Hierfür hat der Gesetzgeber ein praktisches Bedürfnis erkannt. Er ist (zutreffend) davon ausgegangen, dass die Möglichkeiten zur Übertragung praktisch nur dann genutzt werden, wenn das übertragene Betriebsrentenkapital des Arbeitnehmers beim neuen Arbeitgeber von Anfang an insolvenzgeschützt ist (vgl. BT-Drs. 15/2150 S. 54).
50Andererseits soll die Einstandspflicht des Beklagten begrenzt werden, um Versicherungsmissbrauch zu verhindern. Das Risiko des Beklagten und der ihn finanzierenden Arbeitgeber soll kalkulierbar sein (vgl. BT-Drs. 15/2150 S. 53; Höfer § 7 BetrAVG Rn. 297).
51Ein besonders hohes Risiko des Missbrauchs besteht, wenn die Übertragung in zeitlicher Nähe zum Sicherungsfall erfolgt ist. In diesen Fällen liegt die Annahme, die Übertragung sei von einem solventen Arbeitgeber auf einen wirtschaftlich schwachen Arbeitgeber mit der Absicht erfolgt, Ansprüche gegen den Beklagten zu begründen, nahe. Andererseits wollte der Gesetzgeber – wie dargelegt – Insolvenzschutz von Anfang an gewähren. Um beiden Anliegen gerecht zu werden, hat er in § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG eine Begrenzung der Einstandspflicht des Beklagten der Höhe nach vorgesehen.
52Der vom Gesetzgeber erkannte Anlass für eine zeitliche Begrenzung der Haftung des Beklagten liegt in beiden o.g. Fällen vor. Immer dann, wenn der Versorgungsschuldner innerhalb von zwei Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls ausgetauscht wird, besteht ein erhöhtes Missbrauchsrisiko, für welches der Missbrauch unwiderleglich vermutet wird. Dabei ist im Interesse der Rechtssicherheit nicht auf subjektive Umstände abzustellen, sondern eine pauschalierende Betrachtung vorzunehmen (BAG 21.07.2020 – 3 AZR 142/16 – Rn. 45).
53bb) Nach diesen Grundsätzen ist § 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG anwendbar, weil der Versorgungsschuldner innerhalb von zwei Jahren vor dem Eintritt des Sicherungsfalls ausgetauscht worden ist. Die E Anlagenbau GmbH & Co. KG ist am 01.01.2019 und damit innerhalb der Zweijahresfrist Schuldnerin aus dem dem Kläger gegebenen Versorgungsversprechen geworden. Die Zusage ist in den beiden letzten Jahren vor dem am 01.10.2019 erfolgten Eintritt des Sicherungsfalls erfolgt, weil die E Anlagenbau GmbH & Co. KG bis zum 31.12.2018 nicht die Versorgungsschuldnerin war.
54c) Aus der Annahme, dass die Voraussetzungen der 2. Prüfungsstufe gegeben sind, folgt, dass es vorliegend auf den dritten Prüfungspunkt nicht mehr ankommt. Der Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG zur Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG ist zu entnehmen, dass dem Kläger über den rechtskräftig festgestellten Betrag von 115.472,85 EUR kein weiterer Anspruch gegen den Beklagten zustehen kann und demzufolge auch nicht zusteht.
55Die Einstandspflicht des Beklagten ist auf diesen Betrag begrenzt, weil die Ansprüche der Arbeitnehmer nur insoweit insolvenzgeschützt sind, als der Übertragungswert die Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung nicht übersteigt. Für Zusagen oberhalb der gesetzlich bestimmten Grenze besteht kein gesetzlicher Insolvenzschutz. Dies führt zur Unbegründetheit der Berufung, weil es nur noch um den Teil der Anwartschaft des Klägers gehrt, der über dieser Grenze liegt.
56Vor diesem Hintergrund kann es dahinstehen, ob sich § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG auch auf § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG bezieht. Dies wird bezweifelt, weil § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG ausdrücklich den Begriff „Übertragungen“ verwendet, während § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG den Begriff „Übernahme“ enthält. Daraus wird geschlossen, die Bezugnahme in § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG auf § 4 BetrAVG beziehe sich nach ihrem Wortlaut nicht auf § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG (Höfer in: Höfer § 7 BetrAVG Rn. 295; Schipp in: HWK § 7 BetrAVG Rn. 58a; gleichwohl gehen beide Autoren - zugunsten der Arbeitnehmer – davon aus, dass sich die Bezugnahme auch auf Übernahmen erstreckt).
57Einer Klärung dieser Frage bedarf es im Streitfall nicht. Denn selbst wenn zugunsten des Klägers seine Rechtsauffassung, dass sich der Verweis in § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG nicht auf § 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG erstreckt, als zutreffend unterstellt wird, ergibt sich kein anderes Ergebnis, weil der Beklagte unter keinen Umständen für einen höheren Betrag als 115.472,85 EUR einzutreten hat. Wenn anzunehmen wäre, dass § 7 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 BetrAVG nicht auf Übernahmen von Zusagen anwendbar ist, bestünde gemäß § 7 Abs. 5 Satz 3 1. Halbsatz BetrAVG überhaupt kein Insolvenzschutz des Klägers. Es verbliebe bei dem Ergebnis der Prüfung auf der zweiten Stufe.
583. Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine teleologische Reduktion von § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG wegen der Besonderheiten, die dieser Fall aufweist, nicht vorzunehmen, weil eine hierfür erforderliche planwidrige Regelungslücke (vgl. BAG 21.07.2020 – 3 AZR 142/16 – Rn. 45) nicht besteht. Der Umstand, dass über das Vermögen des alten und des neuen Arbeitgebers am gleichen Tag das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht relevant. Auf die Insolvenz der alten Arbeitgeberin des Klägers kommt es nicht an, weil sie im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nicht mehr die Versorgungsschuldnerin war. Eine „Verdoppelung“ des Insolvenzschutzes durch das Abstellen auf vormalige Arbeitgeberinnen sieht das BetrAVG nicht vor.
59III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
60IV. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.