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Lässt ein Arbeitnehmer, in dessen Arbeitsvertrag die Anwendung türkischen Rechts vereinbart ist, im Rahmen seiner Arbeitslosmeldung durch die deutschen Sozialversicherungsbehörden überprüfen, ob sein Beschäftigungsverhältnis dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt, so rechtfertigt dies wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen keine Kündigung. Ebenso wenig kann hierauf ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers gem. § 9 KSchG gestützt werden.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.10.2022 – 10 Ca 1441/20 -, ergänzt mit Urteil vom 29.06.2023, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d .
2Die Parteien streiten zweitinstanzlich um die Wirksamkeit zweier Kündigungen vom 19.02.2021 sowie vom 19.01.2022.
3Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er ist am 1975 geboren, verheiratet und 2 volljährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet.
4Die Beklagte ist die halbstaatliche t Fluggesellschaft T AG. Sie unterhält in Deutschland mehrere Zweigstellen in Städten mit Flughäfen, unter anderem in S, D und K.
5Der Kläger wurde mit Arbeitsvertrag vom 23.07.2008 ab dem 01.08.2008 am Standort S eingestellt. Für den Arbeitsvertrag wurde die Geltung deutschen Arbeitsrechts vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abschrift des Arbeitsvertrages (Bl.13 der Akte) Bezug genommen. Mit Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 13.12.2017 wurde dem Kläger die Funktion eines Sales-Managers in der Niederlassung S zu einem Bruttogehalt von 4.700,00 EUR übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abschrift des Nachtrags zum Arbeitsvertrag (Bl. 20 der Akte) Bezug genommen.
6Im Jahre 2017 vereinbarten die Parteien, dass der Kläger versetzt wird. Der Kläger war in D und zuletzt in K tätig. In der Zweigstelle K werden 15 Mitarbeiter beschäftigt.
7Am 31.01.2018 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, mit dem das zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf des 31.01.2018 im gegenseitigen Einvernehmen beendet wird. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abschrift des Aufhebungsvertrages (Bl. 22 der Akte) Bezug genommen. Die Umstände der Vertragsunterzeichnung sind zwischen den Parteien streitig.
8Auf Grundlage eines in t Sprache verfassten Vertrages wurde von den Parteien am 01.02.2018 ein Dienstvertrag unterzeichnet. Nach der Übersetzung ist diesem Vertrag zu entnehmen, dass sich die Rechte und Verpflichtungen der Parteien nach der Beendigung des lokalen Arbeitsvertrages nach t Gesetzen, Ordnungen und regulierenden Rechtsvorschriften oder den seitens der Gesellschaft in Umlauf gebrachten und von Zeit zu Zeit durch die T zu veröffentlichenden oder zu ändernden Ordnungen, Anweisungen, Regeln, Bestimmungen, Prozeduren und Änderungen (T Regulierungen) richten sollen. Nach dem Vertrag werden die Bestimmungen der Sozialsicherheitsgesetze im Rahmen der t Rechtsvorschriften angewandt. Wegen der Einzelheit wird auf die Abschrift der Übersetzung (Bl. 51 der Akte) Bezug genommen.
9Das Gehalt wurde auf 6.272,55 EUR brutto festgelegt. Die Beklagte führte fortan im Hinblick auf den abgeschlossenen Vertrag, nach dem der Kläger t Sozialversicherungsrecht unterliegt, keine Beiträge zur Sozialversicherung an die deutschen Sozialversicherungsträger mehr ab.
10Wegen einer am 17.02.2020 durch die Beklagte ausgesprochenen Kündigung haben die Parteien bereits ein Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Köln und dem Landesarbeitsgericht Köln durchgeführt.
11Mit Teilurteil vom 18.01.2022 - 4 Sa 312/21 - hat das LAG Köln rechtskräftig die Berufung der Beklagten gegen das der Kündigungsschutzklage stattgebende Teilurteil des ArbG Köln vom 09.04.2021 - 10 Ca 1441/20 - zurückgewiesen. Es hat in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt, dass die Kündigung nach deutschem Kündigungsschutzrecht gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-I-VO zu beurteilen ist.
12Am 10.02.2021 richtete der Klägervertreter an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten ein Schreiben, mit dem er die Willenserklärungen des Klägers aus dem Frühjahr 2018, mit denen das Arbeitsverhältnis auf t Recht umgestellt worden war, anfocht. Hierin heißt es unter anderem:
13„…Die Anfechtung erfolgt vorsorglich, Anfechtungsgrund ist § 124 Abs. 1 BGB. Unseren Klienten wurde bei Gespräche mit Direktoren von Niederlassungen der Fluggesellschaft in Deutschland erklärt, dass sie keine andere Wahl hätten als zuzustimmen und das Risiko besteht, dass die Arbeitsverhältnisse gekündigt werden.
14(…)
15Nach der von uns vertretenen Rechtsauffassung bedarf es keiner Anfechtung, da wir die Vertragskonstruktion für unwirksam halten, soweit mit ihr einem in der Bundesrepublik seit Jahren bestehendem Arbeitsverhältnis nachträglich ein Entsendearbeitsverhältnis unterlegt werden sollte, um die Regeln des deutschen Arbeits- und Sozialrechts zu umgehen. Im Zweifel bestehen zwei Arbeitsverhältnisse bei jedem unserer Mandanten. Die Anfechtung erfolgt damit für den Fall, dass die Rechtsauffassung Ihrer Mandantin zutrifft, die ja von der Zulässigkeit ihrer Vorgehensweise ausgeht, und damit für den Fall, dass die Arbeitsgerichte oder die Einzugsstellen der Sozialversicherungsträger diese Rechtsauffassung bestätigen sollten. Über all diese Fragen bestehen unterschiedliche Auffassungen, die letztlich nur über die Gerichte geklärt werden können.“ (Bl. 518f d. A.)
16Auf dieses Schreiben hin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 19.02.2021 nochmals außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.07.2021 (Bl. 532 d.A.). Das Kündigungsschreiben war unterschrieben vom (Verkaufs-) Direktor D in K. Bereits mit Schriftsatz vom 10.09.2020 hatte die Beklagte eine Herrn D erteilte Generalvollmacht zu den Akten gereicht (Bl. 543, 552 d.A.). Der Kläger wies die Kündigung, die ihm am 25.02.2021 zuging, wegen fehlender Vollmachtsvorlage mit Schreiben vom 26.02.2021 zurück.
17Mit seiner am 01.03.2021 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.
18Die AOK S hörte die Beklagte mit Schreiben vom 23.12.2021 zu ihrer Beurteilung der Versicherungspflicht des Klägers an. Darin teilte die AOK mit, dass der Kläger vor und nach dem 01.02.2018 in Deutschland beschäftigt gewesen sei und keine Fortbewegung aus der T erfolgt sei. Daher liege nach ihrer Rechtsauffassung keine Entsendung aus der T nach Artikel 6 Abs. 3 des deutsch-t Abkommens vor mit der Folge, dass der Kläger nach wie vor in Deutschland sozialversicherungspflichtig sei (Bl. 915 d.A.).
19Unmittelbar nach dem am 18.01.2022 verkündeten Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Köln bezüglich der ersten Kündigung vom 17.02.2020 kündigte die Beklagte sodann ein weiteres Mal das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 19.01.2022, dem Kläger zugegangen am 21.01.2022, außerordentlich fristlos und hilfsweise fristgerecht (Bl. 848 d.A.). Das Kündigungsschreiben war wiederum von Herrn D, dem (Verkaufs-) Direktor K, unterzeichnet und wurde durch den Kläger mangels Vorlage einer Vollmacht am 22.01.2022 zurückgewiesen.
20Auch gegen diese Kündigung erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 26.01.2022, am selben Tag bei Gericht eingegangen, Klage.
21Der Kläger hat erstinstanzliche die Auffassung vertreten, die weiteren ausgesprochenen Kündigungen seien bereits formunwirksam, da die bei der Beklagten geltenden Verfahrensregelungen vor Ausspruch einer Kündigung nicht eingehalten worden seien. Herr D sei als Leiter einer Zweigstelle nach den eigenen Vorschriften der Beklagten nicht zur Kündigung befugt.
22Der Kläger hat in Bezug auf die erste Kündigung vorgetragen, seine Ausführungen im Rahmen der Anfechtung seien sachlich gewesen, er habe seine rechtliche Einschätzung begründet. Der Vorwurf eines Umgehungsversuchs sei keine persönliche Beleidigung.
23Hinsichtlich der zweiten Kündigung hat der Kläger behauptet, er habe dem Arbeitsamt S, der zuständigen Einzugsstelle sowie dem GKV-Spitzenverband den Sachverhalt bezüglich der fehlenden Entsendung mitteilen müssen, um seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu begründen. In der T habe er sowohl bei der Arbeitslosen- als auch bei der Rentenversicherung angefragt und den Vorgang geschildert. Diese hätten erklärt, dass er nicht entsandter Arbeitnehmer sei und daher keine Ansprüche bestünden.
24Der Kläger hat weiter die Auffassung vertreten, dass Auflösungsgründe nicht gegeben seien. Die Abgabe pointierter Erklärungen sei von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt.
25Der Kläger hat beantragt,
261. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 19.02.2021 beendet worden ist, sondern fortbesteht;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten auch nicht durch die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 19.01.2022 beendet worden ist, sondern weiter fortbesteht;
3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
33die Klage abzuweisen;
34hilfsweise:
35das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 41.273,38 € brutto nicht übersteigen sollte, zum Ablauf des 31.07.2021 aufzulösen.
36Der Kläger beantragt,
37den Auflösungsantrag abzuweisen.
38Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Verkaufsdirektor D sei zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger berechtigt gewesen. Dies ergebe sich auch aus der vollumfänglichen Generalvollmacht und sei dem Kläger bekannt.
39Die Kündigung vom 19.02.2021 hat die Beklagte darauf gestützt, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 10.02.2021 erneut und wider besseren Wissens ihr vorgeworfen habe, die Regeln des deutschen Arbeits- und Sozialrechts zu umgehen. Sie habe auf diesen bereits im klägerischen Schriftsatz vom 13.05.2020 erhobenen Vorwurf erwidert und ausgeführt, die im Frühjahr 2018 vorgenommene Vertragsumstellung habe die globalen Vereinheitlichung der Arbeitsverhältnisse und der Anpassung der Vertragskonditionen für Sales Manager in Deutschland an die Standards in der T bezweckt. Die Vertragsdokumente sollten ausschließlich nach einheitlichem Muster in t Sprache ausgestellt werden.
40Zudem sei dem Kläger entgegen seiner Behauptung in dem Anfechtungsschreiben nie die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt worden für den Fall, dass er nicht den neuen Arbeitsvertrag unterschreibe. Zwei Mitarbeiter hätten sich für die Fortführung des deutschen Arbeitsverhältnisses entschieden.
41Obwohl sie den in seinen Schriftsätzen erhobenen Behauptungen und Vorwürfen des Klägers ihrerseits schriftsätzlich entgegengetreten sei, habe der Kläger diese dennoch wider besseren Wissens außerhalb des Gerichtsverfahrens in seinem Anfechtungsschreiben gegenüber der Prozessbevollmächtigten wiederholt. Damit habe er vorsätzlich wahrheitswidrige Behauptungen verbreitet.
42Hinsichtlich der Kündigung vom 19.01.2022 hat die Beklagte behauptet, der Kläger habe gegenüber Behörden, zuletzt der AOK S, falsche Vorwürfe zu ihrem Nachteil erhoben und leichtfertig einen falschen Sachverhalt mitgeteilt. Gemäß dem Schreiben der AOK vom 23.12.2021 habe der Kläger dieser mitgeteilt, dass durch die Beklagte die Versicherungspflicht in Deutschland bewusst umgangen worden sei. Hiermit habe der Kläger seine Loyalitätspflichten verletzt. Er sei verpflichtet gewesen, einen potenziellen Verstoß der Beklagten zunächst intern zu melden.
43Nachdem das Schreiben der AOK am 28.12.2021 zugegangen sei, sei die Angelegenheit bis zum 10.01.2022 rechtlich bewertet worden und der Sachverhalt sodann Herrn D als kündigungsberechtigter Person mitgeteilt worden.
44Ihren Auflösungsantrag hat die Beklagte damit begründet, dass das den Kündigungen zugrundeliegende Verhalten des Klägers das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstört habe. Denn der Kläger habe ihr unredliches Verhalten unterstellt.
45Mit Urteil vom 27.10.2022, das hinsichtlich der Kostenentscheidung mit Urteil vom 29.06.2023 ergänzt worden ist, hat das Arbeitsgericht Köln der Klage stattgegeben und den Auflösungsantrag zurückgewiesen. Dies hat es im Wesentlichen mit einer Unwirksamkeit der beiden Kündigungen gem. § 174 Satz 1 BGB begründet, weil die Generalvollmacht für Herrn D die Kündigung von Arbeitsverhältnissen nicht umfasse. Dies ergebe eine Auslegung dieser Vollmacht.
46Es lägen zudem weder fristlose noch die Kündigungen sozial rechtfertigende Kündigungsgründe vor. Der Kläger habe in seinem Anfechtungsschreiben keine bewusst unwahren und ehrenrührigen Behauptungen aufgestellt. Bezüglich der Mitteilungen an die Sozialversicherungsträger sei der Kläger als deutscher Staatsbürger lediglich seiner Verpflichtung nachgekommen, sich nach Ausspruch einer Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden. Nach der Ablehnung seines Antrags sei er zur Sicherung seines Lebensunterhalts an das Jobcenter verwiesen worden. Wenn die Sozialversicherungsträger seine Meldung zum Anlass für eine Untersuchung des vertraglichen Konstrukts der Parteien genommen hätten, stelle dies keinen Kündigungsgrund dar.
47Da die Kündigungen nicht nur wegen fehlender sozialer Rechtfertigung, sondern auch wegen § 174 Satz 1 BGB unwirksam seien, unterliege der Auflösungsantrag der Abweisung.
48Gegen das der Beklagten am 23.03.2023 zugestellte Urteil richtet sich deren am 24.03.2023 eingegangene Berufung, die sie am 23.06.2023 innerhalb der bis zum 23.06.2023 verlängerten Begründungsfrist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:
49Herr D bekleide in der K Zweigstelle auch die Stellung eines Personalleiters. Er sei für alle Personalfragen wie Elternzeitanträge, Zeugnisse, den Abschluss von Arbeits- und Aufhebungsverträgen zuständig und spreche auch Kündigungen aus. Dies sei von der bereits vorgelegten Generalvollmacht gedeckt, der eine Beschränkung bezüglich Arbeitsverhältnisse nicht zu entnehmen sei. Auch der Kläger selbst habe sich in Personalfragen an Herrn D gewandt und insofern Kenntnis von seiner Stellung gehabt.
50Da der Kläger mehrfach von der Beklagten während des Kündigungsschutzverfahrens darauf hingewiesen worden sei, dass bei der Vertragsumstellung auf t Recht keine Umgehung des deutschen Sozialversicherungsrecht bezweckt gewesen sei, habe er dies gewusst und dennoch mit Schreiben vom 10.02.2021 erneut diese Behauptung aufgestellt. Gleiches gelte für seine Behauptung einer Drucksituation im Vorfeld der Vertragsänderung. Damit habe er falsche Tatsachen und Gerüchte verbreitet.
51Die Kündigung vom 19.01.2022 werde darauf gestützt, dass der Kläger gegenüber der AOK zu ihrem Nachteil nicht gründlich geprüfte Vorwürfe erhoben habe, jedenfalls leichtfertig falsche Sachverhalten mitgeteilt habe. Unabhängig von einer Arbeitslosmeldung hätte der Kläger das Sozialversicherungsthema zunächst intern klären müssen, und zwar bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses. Die Anzeige gegenüber der Verbindungsstelle der AOK stelle eine unverhältnismäßige Reaktion dar.
52Die Beklagte beantragt,
53das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.10.2022, Aktenzeichen 10 Ca 1441/20, abzuändern und die Klage abzuweisen;
54hilfsweise:
55das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 41.273,38 € brutto nicht übersteigen sollte, zum Ablauf des 31.7.2021 aufzulösen.
56Der Kläger beantragt,
57die Berufung zurückzuweisen.
58Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und verweist auf seine erstinstanzlichen Ausführungen.
59Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
60E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
61I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
62II. Die Berufung ist nicht begründet.
63Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage gegen die beiden Kündigungen vom 19.02.2021 sowie vom 19.01.2022 und dem Weiterbeschäftigungsantrag zurecht stattgegeben und den Auflösungsantrag abgewiesen.
641. Die Kündigung vom 19.02.2021 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien weder außerordentlich fristlos noch ordentlich fristgerecht aufgelöst. Die Beklagte hat keinen Grund dargelegt, der die Kündigung gem. § 626 BGB oder § 1 KSchG rechtfertigt.
65a) Auf das Arbeitsverhältnis ist trotz der vereinbarten Anwendung t Rechts gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-I-VO deutsches Kündigungsschutzrecht anzuwenden, da durch die Rechtswahl dem Arbeitnehmer nicht der Schutz der zwingenden Normen des Rechts entzogen werden darf, welches bei objektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 4 Rom-I-VO anzuwenden wäre. Dies ist das deutsche Kündigungsschutzrecht, welches als günstiger und damit als zwingend anzusehen ist. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem Teilurteil des LAG Köln vom 18.01.2022 - 4 Sa 312/21 - unter III.2.a.bb verwiesen, welches zu der ersten Kündigung der Beklagten vom 14./17.02.2020 ergangen ist.
66b) Die Kündigung vom 19.02.2021 ist nicht gem. § 626 BGB gerechtfertigt. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Beklagten nicht unzumutbar.
67aa) Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 01.03.2021 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 25.02.2021 eingereicht.
68bb) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – ebenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 -, Rn. 15, m.w.N., juris; Urteil vom 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 –Rn. 17, juris).
69Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel - etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung - gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG, Urteil vom 23.08.2018 - 2 AZR 235/18 - Rn. 40, juris; Urteil vom 29.06.2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 27, juris). Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (BAG, Urteil vom 16.08.1991 - 2 AZR 604/90 -, Rn. 45, juris).
70Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 -, Rn. 29f, juris; Urteil vom 29.06.2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 28, juris; Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 22, juris).
71Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.2018 - 2 AZR 73/18 - Rn. 26, juris; Urteil vom 08.11.2007 - 2 AZR 528/06 - Rn. 17, juris). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG, Urteil vom 09.09.2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, juris). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 – Rn. 26ff, juris). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG, Urteil vom 23.02.2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, juris). Dies gilt auch für ehrverletzende Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang zur Ausführung oder Verteidigung der geltend gemachten Rechte stehen oder deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.04.1991 - 2 BvR 963/90 – Rn. 29, juris).
72Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 – 8 Sa 798/20 – Rn. 45, juris).
73bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt kein wichtiger Grund vor. Dem Kläger ist keine Pflichtverletzung im Hinblick auf sein Anfechtungsschreiben vom 10.02.2021 vorzuwerfen.
74Der Kläger hat in diesem Schreiben seine Anfechtung auf § 123 Abs. 1 BGB gestützt, weil ihm von den Direktoren erklärt worden sei, er habe keine andere Wahl als den Vertragsänderungen zuzustimmen, es bestünde ansonsten das Risiko der Kündigung.
75Diese Äußerung ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Der Kläger hat mit ihr eine für den laufenden Kündigungsschutzprozess prozesserhebliche Willenserklärung abgegeben, nämlich die Anfechtung des neuen, das t Recht vereinbarenden Arbeitsvertrags. Mit ihrer Hilfe wollte er seine Rechtsposition absichern, dass zum einen die streitgegenständliche Kündigung nach deutschem Recht zu beurteilen ist und zum anderen sein Beschäftigungsverhältnis sozialversicherungsrechtlich ebenfalls nach deutschem Recht zu behandeln ist.
76Ob dem Kläger im Vorfeld der Erklärungen im Jahr 2018 von den Direktoren der Beklagten für den Fall der Weigerung mit der Kündigung gedroht worden ist, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger hatte seine Behauptung in dem Schriftsatz vom 28.07.2020 unter Benennung des Niederlassungsleiters S Herrn T konkretisiert, die Beklagte hat den Vortrag bestritten.
77Es kann dahinstehen, ob die Behauptung des Klägers wahr ist. Denn es ist nicht erkennbar und ergibt sich auch nicht aus den Darlegungen der Beklagten, dass der Kläger sie leichtfertig oder gar bewusst unwahr vorgetragen hat. Selbst wenn sich die von ihm behauptete Drohung nicht beweisen ließe oder sogar feststünde, dass es keine Drohung gegeben hat, ist nicht auszuschließen, dass der Kläger die im Vorfeld der Vertragsänderung geführten Gespräche in seiner Erinnerung als Drohung abgespeichert hat und deshalb bei der Anfechtung davon ausging, etwas Wahres vorzutragen.
78Auch der Hinweis in dem Anfechtungsschreiben auf eine von der Beklagten beabsichtigte Umgehung des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts kann eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Der Kläger hat in dem Schreiben der Beklagten keine Umgehungsabsicht unterstellt. Vielmehr hat er geäußert, er halte die Vertragskonstruktion für unwirksam, soweit mit ihr ein in Deutschland bestehendes Arbeitsverhältnis mit einem Entsendearbeitsverhältnis unterlegt werden sollte, um die Regeln des deutschen Arbeits- und Sozialrechts zu umgehen. Damit hat er lediglich seine Rechtsauffassung wiedergegeben, dass jedenfalls bei Vorliegen einer Umgehungsabsicht die Vertragskonstruktion unwirksam wäre. Im Anschluss hieran gesteht er in dem Schreiben der Beklagten zu, dass über alle diese Fragen unterschiedliche Auffassungen bestünden, die letztlich nur über die Gerichte geklärt werden könnten.
79Letztlich handelt es sich bei einer Umgehungsabsicht um eine innere Tatsache, auf die gegebenenfalls aus einer objektiv feststehenden unzulässigen Vertragskonstruktion rückgeschlossen werden kann. Es ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt, die Rechtsauffassung einer rechtswidrigen Vertragsgestaltung in einem Rechtsstreit zu vertreten und aus dem objektiven Tatbestand einen entsprechenden Vorsatz abzuleiten. Eine solche Äußerung steht in engem Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung. Sie ist nicht unhaltbar.
80cc) Liegt bereits kein wichtiger Grund für die Kündigung vor, kam es nicht mehr auf die Frage ihrer Unwirksamkeit gem. § 174 Satz 1 BGB an.
81c) Die Kündigung der Beklagten vom 19.02.2021 ist sozial nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.
82aa) Das Kündigungsschutzgesetz findet gemäß § 1 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG auf das vorliegende Arbeitsverhältnis Anwendung.
83bb) Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 01.03.2021 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 25.02.2021 eingereicht.
84cc) Der Beklagten steht ein Kündigungsgrund, der die Kündigung sozial rechtfertigen könnte, nicht zur Seite.
85(1) Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 30.07.2020 – 2 AZR 43/20 – Rn. 44, juris).
86(2) Wie bereits zur der fristlosen Kündigung vom 19.02.2021 ausgeführt, ist dem Kläger im Hinblick auf das Anfechtungsschreiben vom 10.02.2021 keine Pflichtverletzung gegenüber der Beklagten vorzuwerfen. Sein Handeln war von der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Rahmen der Prozessführung gedeckt. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers ist der Beklagten daher ohne Weiteres zumutbar.
872. Auch die Kündigung vom 19.01.2022 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien weder außerordentlich fristlos noch ordentlich fristgerecht aufgelöst. Die Beklagte hat keinen Grund dargelegt, der die Kündigung gem. § 626 BGB oder § 1 KSchG rechtfertigt.
88a) Die Kündigung vom 19.02.2021 ist nicht gem. § 626 BGB gerechtfertigt. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Beklagten nicht unzumutbar.
89aa) Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 26.01.2022 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 21.01.2022 eingereicht.
90bb) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – ebenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 -, Rn. 15, m.w.N., juris; Urteil vom 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 –Rn. 17, juris).
91Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen u. a. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, juris). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet. Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17, juris; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22, juris; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 – Rn. 23, juris; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45, juris).
92Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG, Urteil vom 7.12.2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18, juris; Urteil vom 03.07.2003 - 2 AZR 235/02 – Rn. 28ff, juris). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt (BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 –, Rn. 37, juris; ErfK-Niemann, 24. Aufl. 2024, § 626 BGB, Rn. 64a). Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden Arbeitnehmers sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen.
93Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 – 8 Sa 798/20 – Rn. 45, juris).
94cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt kein wichtiger Grund für die ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vor. Dem Kläger kann keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden.
95Zum einen hat der Kläger keine Anzeige gegen die Beklagte bei einer Behörde erstattet.
96Er hat einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld bei der zuständigen Agentur für Arbeit gestellt und sich nach ihrer Abweisung an das Jobcenter gewandt, um Leistungen zum Lebensunterhalt zu erlangen. Dass diese Anträge zu einer Überprüfung der Sozialversicherungspflicht des Klägers nach deutschem Recht führten, ist eine Folge des Antrags. Hauptzweck war jedoch die von dem Kläger begehrte Leistungsgewährung.
97Was genau der Kläger gegenüber den Sozialversicherungsträgern mitgeteilt hat, geht aus dem Vortrag der Beklagten nicht hervor. Sie nimmt lediglich auf das Anhörungsschreiben der AOK vom 23.12.202 Bezug. Dem lässt sich entnehmen, dass die AOK ihre Auffassung von einer Sozialversicherungspflicht in Deutschland darauf stützt, dass der Kläger auch nach dem 01.02.2018 in Deutschland beschäftigt war und keine Fortbewegung aus der T erfolgte, so dass nicht von einer Entsendung aus der T nach Artikel 6 Abs. 3 des deutsch-t Abkommens auszugehen sei.
98Die Beklagte erläutert nicht, inwiefern dieser Sachverhalt, soweit er überhaupt von dem Kläger den Sozialversicherungsträgern mitgeteilt wurde, falsch ist. Sie zieht lediglich andere rechtliche Schlüsse aus dem Sachverhalt und ist der Auffassung, dass die Sozialversicherungspflicht für das Beschäftigungsverhältnis des Klägers in der T liegt. Schon gar nicht ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten, dass der Kläger Vorwürfe bei den Behörden erhoben hat. Nicht jede abweichende Rechtsauffassung ist als Vorwurf zu verstehen.
99Entscheidend ist letztlich, dass der Kläger bei seiner Antragsstellung in Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen gehandelt hat. Anders, als die Beklagte meint, konnte der Kläger auch nicht auf eine zunächst interne Klärung der Sozialversicherungspflicht verwiesen werden. Denn die Antragstellung auf Arbeitslosengeld ist fristgebunden (§ 38 Abs. 1 SGB III). Für eine interne Klärung der Sozialversicherungspflicht noch vor Ausspruch der Kündigung bestand offenbar für den Kläger kein Bedarf. Eine interne Klärung unterlassen zu haben, kann ihm nicht vorgeworfen werden,
100dd) Liegt bereits kein wichtiger Grund für die Kündigung vor, kam es nicht mehr auf die Frage ihrer Unwirksamkeit gem. § 174 Satz 1 BGB oder wegen Nichteinhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB an.
101b) Die Kündigung der Beklagten vom 19.01.2022 ist sozial nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.
102aa) Das Kündigungsschutzgesetz findet gemäß § 1 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG auf das vorliegende Arbeitsverhältnis Anwendung.
103bb) Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 26.01.2022 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 21.01.2022 eingereicht.
104cc) Der Beklagten steht ein Kündigungsgrund, der die Kündigung sozial rechtferti-gen könnte, nicht zur Seite.
105(1) Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers kann - je nach den Umständen des Einzelfalls - eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 30.07.2020 – 2 AZR 43/20 – Rn. 44, juris).
106(2) Wie bereits zur der fristlosen Kündigung vom 19.01.2022 ausgeführt, ist dem Kläger im Hinblick auf sein Verhalten gegenüber den Sozialversicherungsträgern keine Pflichtverletzung gegenüber der Beklagten vorzuwerfen. Sein Handeln war von der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Rahmen der Beantragung von Sozialleistungen gedeckt. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers ist der Beklagten daher ohne Weiteres zumutbar.
1073. Das Arbeitsgericht hat den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten zurecht abgewiesen.
108Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die ausgesprochenen Kündigungen bereits gem. § 174 Satz 1 BGB unwirksam waren und daher der Anwendungsbereich des § 9 KSchG nicht eröffnet ist.
109Denn die Beklagte hat keine Gründe vorgetragen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
110a) Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG, Urteil vom 24. März 2011 – 2 AZR 674/09 –, Rn. 20, juris; Urteil vom 23.02.2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22, juris). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG, Urteil vom 8.10.2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 14 mwN, juris). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG, Urteil vom 10.07.2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, juris).
111Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 674/09 –, Rn. 21, juris; Urteil vom 08.10.2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15, juris; Urteil vom 07.03.2002 - 2 AZR 158/01 – Rn. 35, juris). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG, Urteil vom 09.09.2010 - 2 AZR 482/09 - Rn.11 mwN, juris).
112Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 674/09 –, Rn. 22, juris; Urteil vom 09.09.2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, juris). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.04.1991 - 2 BvR 963/90 – RN. 26ff, juris). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.04.1991 - 2 BvR 963/90 – Rn. 29, juris; BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, juris).
113b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen keine Auflösungsgründe i.S.v. § 9 KSchG vor.
114Der Vortrag des Klägers im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses einschließlich der Anfechtungserklärung, die damit in unmittelbarem Zusammenhang stand, ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Er durfte dort alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein konnte. Deshalb durfte er auch im Rahmen der Frage, welches Recht auf die Beurteilung der Kündigung Anwendung findet, die Behauptung aufstellen, die Beklagte habe die Anwendung des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht umgehen wollen. Damit nutzte er einen eindringlichen Ausdruck, mit dem er seine Rechtsposition unterstrichen hat. Dass diese Behauptung leichtfertig oder gar unhaltbar war, lässt sich angesichts des Umstands, dass jedenfalls die deutschen Sozialversicherungsträger der klägerischen Auffassung zustimmen und von seiner Sozialversicherungspflicht in Deutschland ausgehen, nicht feststellen.
115Gleiches gilt für die Einschaltung der AOK im Rahmen des Antrags auf Zahlung von Arbeitslosengeld. Der Kläger war zur Wahrung seiner Ansprüche gehalten, den Antrag zu stellen. Soweit er im diesem Rahmen mitgeteilt haben sollte, dass trotz der Vereinbarung t Rechts von einer Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts auszugehen ist, weil die Voraussetzungen für eine Entsendung i.S.d. Art. 6 Abs. 3 des deutsch-t Abkommens nicht vorliegen, so ist auch dies von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Inwiefern er gegenüber den Sozialversicherungsbehörden einen falschen Sachverhalt geschildert hat, trägt die Beklagte nicht vor.
1164. Das Arbeitsgericht hat dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers zu Recht stattgegeben.
117Der Kläger hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
118Sein Anspruch ergibt sich aus den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats (BAG, Beschluss vom 27. Februar1985; GS 1/84, juris). Der Kläger hat im vorliegenden Kündigungsrechtsstreit erst- und zweitinstanzlich obsiegt. Überwiegende schutzwerte Interessen der Beklagten, die einer Beschäftigung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.
119III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.